Bericht des Bundesrats zu den privaten Sicherheits- und Militärfirmen (in Beantwortung des Postulats Stähelin 04.3267 vom 1. Juni 2004.

«Private Sicherheitsfirmen») vom 2. Dezember 2005

Sehr geehrte Herren Präsidenten, sehr geehrte Damen und Herren, In Beantwortung des Postulats Stähelin vom 1. Juni 2004 mit dem Titel «Private Sicherheitsfirmen» unterbreiten wir Ihnen den vorliegenden Bericht zur Information.

Wir versichern Sie, sehr geehrte Herren Präsidenten, sehr geehrte Damen und Herren, unserer vorzüglichen Hochachtung.

2. Dezember 2005

Im Namen des Schweizerischen Bundesrates Der Bundespräsident: Samuel Schmid Die Bundeskanzlerin: Annemarie Huber-Hotz

2005-2848

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Übersicht Der vorliegende Bericht geht auf ein von Herrn Ständerat Philipp Stähelin am 1. Juni 2004 eingereichtes Postulat 04.3267 «Private Sicherheitsfirmen» zurück.

Darin wird der Bundesrat aufgefordert, eine Standortbestimmung seiner sicherheitspolitischen Führungsorgane über Herkunft, Einsatz sowie die Vorgehensweise privater Sicherheitsfirmen im Bereich des traditionell staatlichen Gewaltmonopols vorzunehmen. Der Bericht soll insbesondere abklären, ob das schweizerische und das internationale Recht genügen, um den heutigen Herausforderungen zu begegnen. Der Bericht behandelt auch die in der am 16. Dezember 2004 von Frau Nationalrätin Ursula Wyss eingereichten Motion 04.3748 «Schaffung rechtlich verbindlicher Bestimmungen über den Umgang der Schweiz mit privaten Militärunternehmen und Sicherheitsfirmen» aufgeworfenen Fragen. Diese Motion fordert vom Bundesrat, über den Umgang und den Einsatz privater Militärunternehmen und Sicherheitskräfte im Ausland im Auftrag der Schweiz sowie den Übertritt von ehemaligen Schweizer Offizieren und Spitzenbeamten in solche Firmen rechtlich verbindliche Bestimmungen zu erlassen. Schliesslich schlägt der Bericht Massnahmen vor, welche die Schweiz auf der internationalen Ebene ergreifen möchte. Damit wird auch den Anliegen der am 17. Dezember 2004 eingereichten Motion Wyss 04.3796 «Aufnahme international gültiger Regeln für private Militärunternehmen und Sicherheitsfirmen» Rechnung getragen. Diese Motion verlangt vom Bundesrat, dafür zu sorgen, dass sich die Schweiz auf internationaler Ebene für verbindliche Regelungen stark macht, welche den Einsatz, die Verantwortlichkeiten und die Einhaltung des humanitären Völkerrechtes sowie der Menschenrechte durch private Militärunternehmen und Sicherheitskräfte festlegen.

Das Gewaltmonopol ist eines der Kernelemente des modernen Staates. Obwohl sie nicht a priori ausgeschlossen werden kann, tangiert eine Privatisierung von Sicherheitsaufgaben die Grundlagen oder doch wenigstens die Legitimation des Staates.

Sie kann deshalb nur für Randbereiche in Frage kommen. Auch einer Delegation staatlicher Sicherheitsaufgaben an Private sind enge Grenzen gesetzt, obwohl diese weniger weit geht als eine Privatisierung, weil die delegierten Aufgaben nach wie vor im staatlichen Verantwortungsbereich verbleiben. Eine in der Bundesverwaltung
durchgeführte Erhebung zeigt, dass die Delegation staatlicher Aufgaben an private Sicherheitsunternehmen im Bereich des Bundes eine eher untergeordnete Rolle spielt. Dennoch ist der Bundesrat bereit zu prüfen, ob es sinnvoll sein könnte, die Voraussetzungen, welche private Sicherheitsunternehmen erfüllen müssen, um einen Bundesauftrag zu erhalten sowie die in den einzelnen Vereinbarungen zu regelnden Fragen in allgemein gültiger Weise festzulegen. Gegenwärtig stehen diese Punkte im Ermessen der jeweiligen Auftraggeber.

Der Bericht untersucht ausserdem, in welchem Ausmass das kantonale Recht private Sicherheitsunternehmen einer staatlichen Aufsicht unterstellt. Der Bundesrat lädt die Kantone dazu ein, ihre diesbezüglichen Vorschriften zu harmonisieren. Schritte in dieser Richtung werden bereits unternommen, erarbeitete doch die Konferenz der Kantonalen Polizeikommandanten der Schweiz (KKPKS) «Musterbestimmungen» zu dieser Thematik. Der Bericht gibt auch einen Überblick über Bestimmungen des

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geltenden Bundesrechts, die für die Aktivitäten privater Sicherheitsfirmen relevant sein können.

Der Bericht geht aber auch auf die Problematik privater Sicherheitsfirmen ein, welche die Schweiz als Basis für Aktivitäten in ausländischen Konflikt- und Krisengebieten nutzen könnten. Der Bundesrat ist bereit zu prüfen, ob eine Bewilligungsoder Lizenzierungspflicht für solche Unternehmen sinnvoll sein könnte.

Schliesslich gibt der Bericht einen Überblick über das einschlägige Völkerrecht.

Neben dem zwischenstaatlichen Gewaltverbot und dem Nichteinmischungsgebot gelten vor allem die Bestimmungen des humanitären Völkerrechts und der Menschenrechte. Dabei erweist sich deren Respektierung durch private Sicherheits- und Militärfirmen bzw. in diesen Bereichen tätige Privatpersonen als Hauptproblem.

Der Bericht zeigt Massnahmen auf, welche die Staaten auf nationaler Ebene ergreifen könnten, kommt jedoch zum Schluss, dass nationale Regelungen allein nicht genügen. Es fehlt heute an einem internationalen Dialog bzw. einem zwischenstaatlichen Prozess, um geeignete Massnahmen zur besseren Respektierung des Humanitären Völkerrechts und der Menschenrechte erörtern zu können.

Aufgrund ihrer humanitären Tradition und als Vertragsstaat der Genfer Abkommen könnte die Schweiz einen sinnvollen Beitrag zur Kodifikation und Präzisierung der rechtlichen Voraussetzungen und Schranken der Tätigkeit privater Sicherheits- und Militärunternehmen sowie zur Förderung der Respektierung des Humanitären Völkerrechts und der Menschenrechte leisten. Sie könnte einen internationalen Prozess initiieren oder auch als Katalysator wirken. Entsprechende Überlegungen wurden bereits angestellt und mit dem IKRK abgestimmt. Erste Treffen mit Spezialisten fanden im Sommer 2005 statt. Im Jahr 2006 soll eine Konferenz mit Regierungsexperten abgehalten werden. Weitere Massnahmen zur Stärkung und Präzisierung des einschlägigen Völkerrechts sind vorgesehen. Damit wird der Bundesrat die Anliegen der zuvor genannten Motion 04.3796 realisieren können.

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Inhaltsverzeichnis Übersicht

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1 Auftrag und Organisation der Arbeiten 1.1 Parlamentarische Vorstösse 1.2 Mandat der Sicherheitsdelegation des Bundesrates 1.3 Organisation der Arbeiten

629 629 630 630

2 Einleitende Grundlagen 2.1 Die Begriffe «Private Sicherheitsunternehmen» und «Private Militärunternehmen» 2.2 Das Gewaltmonopol als notwendiges Element des Staates 2.3 Die Delegation von Sicherheitsaufgaben an Private: eine aktuelle Problematik 2.4 Konkrete Probleme des Beizugs privater Sicherheits- bzw.

Militärunternehmen durch den Staat oder Private 2.5 Besondere Probleme im Zusammenhang mit Interventionen privater Sicherheits- und Militärunternehmen in Krisenregionen 2.6 Relevanz der internationalen Entwicklung für die Schweiz

630

3 Art und Ausmass der Aktivitäten privater Sicherheits- und Militärunternehmen in der Schweiz und im Ausland 3.1 Rückgriff auf private Sicherheitsunternehmen zum Zwecke der Gewährleistung der inneren Sicherheit auf schweizerischem Staatsgebiet 3.2 Zunehmende Bedeutung privater Militär- und Sicherheitsfirmen im internationalen Umfeld 3.3 Von der Schweiz aus im Ausland tätige private Sicherheits- und Militärunternehmen 3.4 Beizug privater Sicherheitsunternehmen durch die Bundesbehörden 3.4.1 Allgemeines 3.4.2 Schutz der Schweizer Vertretungen im Ausland 4 Innerstaatliches Recht 4.1 Verfassungsgrundlagen 4.2 Zulässigkeit privater Aktivitäten im Sicherheitsbereich: verfassungsrechtliche Grenzziehungen 4.2.1 Problematik privater Sicherheitsaktivitäten aus der Perspektive der Bürgerinnen und Bürger 4.2.2 Privater Raum 4.2.3 Halböffentlicher Raum 4.2.4 Öffentlicher Raum 4.2.5 Privater Personenschutz und Sicherung des Transports von Gütern und Wertsachen 4.3 Die Grenzen der Privatisierung 4.4 Die Delegation staatlicher Sicherheitsaufgaben an Private: verfassungsrechtliche Schranken 4.4.1 Gesetzliche Grundlage 626

630 631 632 634 635 636 637 637 640 642 643 643 644 645 645 647 647 647 648 649 649 650 651 651

4.4.2 Öffentliches Interesse 4.4.3 Verhältnismässigkeit Die für private Sicherheitstätigkeiten relevante Bundesgesetzgebung 4.5.1 Die Waffen- und Kriegsmaterialgesetzgebung des Bundes 4.5.2 Die Embargogesetzgebung 4.5.3 Strafrechtliche Verantwortlichkeit für im Ausland begangene Delikte 4.5.3.1 Individuelle Verantwortlichkeit 4.5.3.2 Verantwortlichkeit des Unternehmens Rechtliche Behandlung des «Know How»-Transfers beim Wechsel vom öffentlichen Dienst zu privaten Sicherheitsfirmen Gesetzgebungskompetenz bei der Ausübung privatwirtschaftlicher Tätigkeiten (Art. 95 Abs. 1 BV) Kantonales Recht 4.8.1 Das Konkordat der Westschweizer Kantone über die Sicherheitsunternehmen und andere kantonale Rechtsordnungen 4.8.2 Die «Musterbestimmungen» der Konferenz der Kantonalen Polizeikommandanten der Schweiz

653 654 655 655 656

5 Der völkerrechtliche Rahmen 5.1 Völkerrechtliche Regeln in Bezug auf das Söldnerwesen 5.1.1 Art. 47 des Ersten Zusatzprotokolls von 1977 5.1.2 Relevante Instrumente der UNO und einzelner Regionalorganisationen 5.1.3 Schlussfolgerung: Völkergewohnheitsrecht verbietet das Söldnerwesen nicht 5.2 Allgemeines Völkerrecht 5.2.1 Allgemeine Prinzipien des Völkerrechts 5.3 Humanitäres Völkerrecht 5.3.1 Was ist der Inhalt des Humanitären Völkerrechts?

5.3.2 Anwendbarkeit des Humanitären Völkerrecht auf private Sicherheitsunternehmen 5.3.3 Staatliche Pflichten hinsichtlich privater Sicherheitsunternehmen 5.4 Die Menschenrechte 5.4.1 Einhaltung der Menschenrechte als traditionelle Verpflichtung der Staaten 5.4.2 Direkte Anwendbarkeit der Menschenrechte auch für private Sicherheitsunternehmen?

5.5 Konsequenzen der Verletzung von Völkerrecht 5.5.1 Staatenverantwortlichkeit 5.5.2 Individuelle völkerstrafrechtliche Verantwortlichkeit 5.5.2.1 Einführung und Rechtsquellen 5.5.2.2 Die Tatbestände 5.5.2.3 Nationale Gerichtsbarkeit zur Durchsetzung des Völkerrechts 5.5.2.4 Internationale Gerichtsbarkeit

665 666 666

4.5

4.6 4.7 4.8

656 657 659 661 662 662 662 664

667 668 669 669 669 669 670 670 671 671 671 672 672 673 673 674 674 675

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5.6 Völkerrechtliche Verpflichtungen und Rolle der Schweiz als Vertragsstaat und Depositar der Genfer Abkommen 675 5.7 Völkerrechtliches Neutralitätsrecht 676 6 Schlussfolgerungen und Massnahmenvorschläge 6.1 Innerstaatliche Perspektiven 6.1.1 Delegation von Sicherheitsaufgaben an Private 6.1.2 Staatliche Beaufsichtigung der Aktivitäten privater Sicherheitsunternehmen 6.1.3 In Krisen- und Konfliktgebieten tätige Sicherheitsunternehmen 6.1.4 Strafrechtliche, zivilrechtliche und öffentlichrechtliche Verantwortlichkeit 6.1.5 Transfer von «Know How» ehemaliger Staatsangestellter an private Sicherheitsfirmen 6.2 Aussenpolitische Perspektiven 6.2.1 Mögliche Lösungsansätze aus internationaler Sicht 6.2.2 Mögliche Rolle der Schweiz im internationalen Bereich 6.3 Aufzählung der vom Bundesrat vorgeschlagenen Massnahmen

628

677 677 677 678 678 679 680 681 681 682 684

Bericht 1

Auftrag und Organisation der Arbeiten

1.1

Parlamentarische Vorstösse

Der vorliegende Bericht geht auf das Postulat 04.3267 vom 1. Juni 2004 «Private Sicherheitsfirmen» (nachstehend: Postulat Stähelin) zurück, welches der Ständerat mit Datum vom 22. September 2004 an den Bundesrat überwiesen hat. Dieses Postulat beauftragt den Bundesrat, eine Standortbestimmung seiner sicherheitspolitischen Führungsorgane über Herkunft, Einsatz sowie die Vorgehensweise privater Sicherheitsfirmen im Bereich des traditionell staatlichen Gewaltmonopols vorzunehmen. Der Bericht soll insbesondere abklären, ob das schweizerische und das internationale Recht genügen, um den heutigen Herausforderungen zu begegnen, ob die schweizerische Gesetzgebung Grundlage und Einsatz solcher Firmen in der Schweiz bzw. deren Inanspruchnahme durch die Schweiz im Ausland regelt bzw.

regeln soll und ob internationale Gerichtsbarkeiten bestehen oder vorgesehen sind, wenn solche Privatfirmen oder deren Angestellte Menschenrechte und die Genfer Abkommen verletzen.

Eine Motion «Schaffung rechtlich verbindlicher Bestimmungen über den Umgang der Schweiz mit privaten Militärunternehmen und Sicherheitsfirmen» vom 16. Dezember 2004 (nachstehend: Motion Wyss 04.3748) fordert den Bundesrat unter Anderem auf, über den Umgang und den Einsatz privater Militärunternehmen und Sicherheitskräfte im Ausland im Auftrag der Schweiz sowie den Übertritt von ehemaligen Schweizer Offizieren und Spitzenbeamten in solche Firmen rechtlich verbindliche Bestimmungen zu erlassen. Der Bundesrat empfahl am 16. Februar 2005 die Ablehnung der Motion, da diese Problematik im Rahmen der Realisierung des umfassenderen Postulats «Stähelin» zu untersuchen sei. Nach Ansicht des Bundesrats wäre es verfrüht, gesetzgeberische Massnahmen zu erwägen, bevor die gegenwärtige Situation untersucht worden ist.

Am 4. März 2005 empfahl der Bundesrat eine Motion «Aufnahme international gültiger Regeln für private Militärunternehmen und Sicherheitsfirmen» vom 17. Dezember 2004 (nachstehend: Motion Wyss 04.3796) zur Annahme. Diese Motion verlangt vom Bundesrat, dafür zu sorgen, dass sich die Schweiz auf internationaler Ebene für verbindliche Regelungen stark macht, die den Einsatz, die Verantwortlichkeiten und die Einhaltung des humanitären Völkerrechtes sowie der Menschenrechte durch private Militärunternehmen und Sicherheitskräfte festlegen.

In seiner Antwort
verweist der Bundesrat für die Prüfung dieser Fragen ebenfalls auf den vorliegenden Bericht. Der Nationalrat hat die Motion am 17. Juni 2005 gutgeheissen.

Eine Interpellation «Private Sicherheitsfirmen. Kenntnisstand und Massnahmen des Bundesrates» vom 17. Juni 2005 (nachstehend: Interpellation Wyss 05.3432) fragt nach den Kriterien, die der Bund bei der Auswahl von Firmen zum Schutz der schweizerischen diplomatischen Vertretungen im Ausland anwendet. Gefragt wird auch, ob einzelne der berücksichtigten Firmen nebst klassischen Sicherungsaufgaben auch bewaffnetes Personal für militärische Zwecke anbieten bzw. Unterstützungsfunktionen für Streitkräfte wahrnehmen und ob sich nach Kenntnis des Bundesrates private Militärfirmen in der Schweiz angesiedelt haben oder hier Personal anwerben 629

bzw. ausbilden. Der Bundesrat soll ausserdem zur Notwendigkeit gesetzgeberischer oder anderer Massnahmen Stellung nehmen. In seiner Antwort verweist der Bundesrat auf den vorliegenden Bericht.

1.2

Mandat der Sicherheitsdelegation des Bundesrates

Ungefähr zeitgleich mit dem Auftrag an den Bundesrat, aufgrund der parlamentarischen Interventionen «Stähelin» und «Wyss» einen Bericht zu Handen des Parlamentes zu verfassen, nahm die Geschäftsprüfungsdelegation der eidgenössischen Räte Kenntnis von einem zu Handen der Sicherheitsdelegation des Bundesrates verfassten Bericht. Dieser sieht vor, die Verwaltung mit der Prüfung verschiedener Fragen im Zusammenhang mit privaten Militärunternehmen zu beauftragen. Unter diesen Umständen wünschte die Geschäftsprüfungsdelegation der eidgenössischen Räte, vom vorliegenden Bericht im Rahmen ihrer für den Dezember 2005 vorgesehenen Sitzung Kenntnis nehmen zu können.

1.3

Organisation der Arbeiten

Das EJPD erarbeitete den Berichtsentwurf mit Hilfe einer interdepartementalen Arbeitsgruppe, der Vertreterinnen und Vertreter des EDA, des EFD, des EVD, des UVEK und des VBS angehörten.

2

Einleitende Grundlagen

2.1

Die Begriffe «Private Sicherheitsunternehmen» und «Private Militärunternehmen»

Die vorgenannten parlamentarischen Vorstösse beziehen sich auf «private Sicherheitsunternehmen» und «private Militärunternehmen». Diese Begriffe können wie folgt definiert werden1: Als «privates Sicherheitsunternehmen» bezeichnet man eine Firma, die mit dem Ziel, Gewinne zu erwirtschaften, Güter oder Dienstleistungen zum Schutz sowie zur Be- und Überwachung von Personen und Objekten anbietet, insbesondere in den folgenden Bereichen: ­

Überwachung und Bewachung beweglicher Objekte oder Immobilien (z.B.

Flughäfen oder Botschaften);

­

Personenschutz (z.B. Magistratspersonen);

­

Wert- oder Personentransporte (z.B. Häftlinge), Begleitschutz für humanitäre Hilfskonvois;

­

Training von Polizeieinheiten im Bereich des Personen- oder Objektschutzes;

1

630

Geneva Centre for the Democratic Control of Armed Forces (DCAF), Privatising Security: Law, Practice and Governance of Private Military and Security Companies, Geneva (March 2005), S. 19­36.

­

Beratung im Angelegenheiten der Sicherheit, der Organisation und der Logistik;

­

logistische Unterstützung beispielsweise beim Aufbau von Flüchtlingslagern, Haftanstalten oder Spitälern;

­

Betrieb von Haftanstalten (Gefängnissen);

­

Nachforschungen im Sinne der Aktivitäten von Privatdetektiven2.

Als «privates Militärunternehmen» wird eine Firma bezeichnet, die mit dem Ziel, Gewinne zu erwirtschaften, militärische Leistungen im Bereich der Beratung, Logistik und Kampfführung anbietet. Man unterscheidet dabei drei Arten von Unternehmen: ­

Im Dienstleistungsbereich tätige Militärunternehmen («military support firms»), die logistische Leistungen wie die Versorgung und Unterbringung von Truppen erbringen, aber auch Transporte, die Sicherung von Verbindungs- und Nachschublinien und ähnliche Aufgaben wahrnehmen.

­

Militärische Beratungsunternehmen («military consulting firms»), welche Leistungen im Bereich der Beratung und der Ausbildung von Polizeikräften, militärischer und paramilitärischer Einheiten erbringen. Zu den Spezialitäten solcher Unternehmen gehört auch die Überprüfung von Streitkräften in organisatorischer, strategischer und operationeller Hinsicht.

­

In Kampfhandlungen involvierte Unternehmen («military fighting firms»), die sich aktiv an militärischen Auseinandersetzungen beteiligen. Sie operieren unmittelbar in der Kampfzone, indem sie beispielsweise Truppen, Spezialisten oder Kampfpiloten zur Verfügung stellen3.

2.2

Das Gewaltmonopol als notwendiges Element des Staates

Der Einbezug privater Unternehmen bei der Wahrnehmung staatlicher Sicherheitsaufgaben steht in einem Spannungsverhältnis zu den Kernfunktionen des Staates und zum staatlichen Gewaltmonopol.

Das staatliche Gewaltmonopol bildet zweifellos den Kern der staatlichen Sicherheitsverfassung. Seit der Entstehung des modernen Territorialstaates im 16. und 17. Jahrhundert ist das Gewaltmonopol eine der tragenden Säulen staatlicher Legitimation und damit unverzichtbarer Bestandteil der staatlichen Ordnung. Als zentrale Komponente der Staatsgewalt ist es Teil der drei klassischen, von der Staatsrechtslehre entwickelten konstituierenden Staatselemente (Staatsgebiet, Staatsvolk, Staatsgewalt)4. Das Gewaltmonopol macht die Anwendung physischen Zwangs zur ausschliesslichen Angelegenheit des Staates. Die zulässige Gewaltanwendung durch Private wird auf wenige Ausnahmerechte beschränkt, die entweder in zeitlicher Hinsicht (Notwehr, Notstand, Festhalterecht) oder aber räumlich (Hausrecht) stark

2 3 4

DCAF, S. 26­33.

DCAF, S. 17­26.

Vgl. dazu Pierre Tschannen, Staatsrecht der Schweizerischen Eidgenossenschaft, Bern 2004, § 1, Rz. 3.

631

limitiert sind. Diese Grundsätze gelten für die innere Sicherheit, spielen aber auch bei der Gewährleistung der äusseren Sicherheit des Staates eine zentrale Rolle.

Vor dem Aufkommen der Nationalstaaten in der Neuzeit war die Aufrechterhaltung von Ruhe und Ordnung im gemeinschaftlich genutzten Raum, aber auch die Sorge für die persönliche Sicherheit und die Ahndung von Verstössen gegen Recht und Sitte des Landes auf verschiedenste Träger verteilt. Die private Selbsthilfe spielte dabei eine wichtige Rolle5.

Erst im 16. und 17. Jahrhundert wurde das Selbsthilferecht zurückgedrängt und vom staatlichen Gewaltmonopol abgelöst. Neben machtpolitischen und ökonomischen Gründen (Entwicklung absolutistischer Herrschaftsformen und Bündelung der Kräfte im Zuge der kolonialen Expansion) spielten insbesondere auch verheerende Erfahrungen mit den erbittert ausgetragenen Konfessionskonflikten, die in der Form von Bürgerkriegen die traditionellen gesellschaftlichen Ordnungsstrukturen schwer erschüttert hatten, eine wichtige Rolle6.

Diese weitgehende Ablösung der privaten Selbsthilfe durch den Staat hat allerdings ihren Preis: Das staatliche Gewaltmonopol verpflichtet den Staat im Gegenzug, die private Sicherheit wirksam zu gewährleisten und Rechtsbrüche zu ahnden, im öffentlichen genauso wie im privaten Raum. Da er seine Ziele, beispielsweise im sozialen Bereich, nur erreichen kann, wenn die innere und äussere Sicherheit gewährleistet ist, hat der Staat auch die Pflicht, von den ihm zustehenden Zwangsmitteln Gebrauch zu machen, um eine stabile Ordnung und Rechtssicherheit durchzusetzen.

Dazu muss er auch die erforderlichen finanziellen Mittel bereitstellen.

Aufgrund der bundesstaatlichen Kompetenzverteilung ist die Gewährleistung der inneren Sicherheit in der Schweiz primär eine Aufgabe der Kantone, während die äussere Sicherheit in den Zuständigkeitsbereich des Bundes fällt.

2.3

Die Delegation von Sicherheitsaufgaben an Private: eine aktuelle Problematik

Nicht alle im öffentlichen Interesse liegenden Aufgaben müssen vom Staat wahrgenommen werden. Veränderte gesellschaftliche Vorstellungen können dazu führen, dass eine Privatisierung, d.h. die vollständige Entlassung einer Aufgabe aus der staatlichen Verantwortung, sinnvoll erscheint7. Dagegen sind notwendige Staatsaufgaben solche, für die nach einem breiten gesellschaftlichen Konsens, der auch in der Verfassung zum Ausdruck kommt, zwingend der Staat die Verantwortung tragen 5

6

7

632

In zeitgenössischen Gesellschaften, in denen archaisch-ländliche Strukturen mit einer relativ schwach ausgebildeten Staatsgewalt einhergehen, können private Ordnungs- und Sanktionsmechanismen nach wie vor eine gewisse Bedeutung haben. So z.B. in Nordalbanien, wo der «Kanun», eine mehrere hundert Jahre alte gewohnheitsrechtliche Ordnung, welche die Rache als Hauptinstrument zur Durchsetzung des Rechts und namentlich der (männlichen) Ehre kennt, verbreitet ist, vgl. zu dieser Rechtsordnung den Kommentar von Robert Elsie, Der Kanun der albanischen Berge: Hintergrund der nordalbanischen Lebensweise, Peja 2001.

Marco Gamma, Möglichkeiten und Grenzen der Privatisierung polizeilicher Gefahrenabwehr, Bern/Stuttgart/Wien 2000, S. 51. Zur Ablösung der Selbsthilfe durch das staatliche Gewaltmonopol vgl. ibid., S. 50­56.

Die Privatisierung ist von der Aufgabendelegation zu unterscheiden, bei der der Staat die oberste Verantwortung für die Aufgabenerfüllung behält, den Vollzug aber Privaten zuweist (vgl. Ziff. 4.4).

soll. Die Gewährleistung der öffentlichen Sicherheit gehört zum «harten Kern» staatlicher Aufgaben. Eine Privatisierung dieser Aufgaben würde den Bestand des Staates per se, in jedem Fall aber seine ordnungspolitische Legitimation in Frage stellen. Sie kann deshalb nur in einer punktuell ergänzenden Weise in Betracht kommen (vgl. dazu Ziff. 4.3 nachstehend).

Die Gemeinschaft kann indes den Vollzug gewisser Sicherheitsaufgaben Privaten anvertrauen, ohne diese Aufgaben ganz aus der staatlichen Verantwortung zu entlassen. Diese Möglichkeit wird heute häufig genutzt. Es handelt sich dabei nicht um eine Privatisierung im eigentlichen Sinne, sondern um eine Delegation staatlicher Aufgaben an Private.

Unabhängig von einer solchen Aufgabendelegation können Privatpersonen auch versucht sein, ihre Sicherheit selber in die Hand zu nehmen, indem sie sich an private Sicherheitsfirmen wenden, um Lücken im staatlichen Sicherheitsdispositiv zu schliessen, wenn der Staat den als notwendig erachteten Standard nicht mehr gewährleistet. Dies kann namentlich dann eintreten, wenn der Staat seine Leistungen aus finanziellen Gründen reduziert oder die privaten Sicherheitsansprüche steigen.

In beiden zuvor genannten Fällen stellt sich die Frage, in welchem Umfang und unter welchen Voraussetzungen Sicherheitsaufgaben an Privatpersonen delegiert werden können, ohne das Gewaltmonopol des Staates zu gefährden. Gleichgültig ob der Beizug privater Sicherheitskräfte durch den Staat selber oder durch Private veranlasst wurde, stellt sich immer ­ in mehr oder weniger akzentuierter Form ­ die Frage nach der staatlichen Legitimität.

In demokratischen Gesellschaftsordnungen waren Umfang und Grenzen der staatlichen Sicherheitsaufgaben seit jeher ein permanenter Diskussionsgegenstand.

Die Frage, welche Sicherheitsbedürfnisse grundlegend und damit vom Staat selber zu gewährleisten sind und welche an Private delegiert werden können, hat heute eine besondere Aktualität erlangt. Im innerstaatlichen Bereich sind mehrere Faktoren ausschlaggebend. Zum einen gibt es eine starke Zunahme grosser kultureller, sportlicher oder politischer Veranstaltungen, die erhöhte Anforderungen an die innere Sicherheit stellen. Zum anderen ist eine gewisse Zunahme eines auf verschiedene Ursachen zurückzuführenden Unsicherheitsgefühls in der Bevölkerung
festzustellen.

Mehr als früher wird von den Ordnungskräften eine sichtbare Präsenz in bewohnten Gebieten oder auch städtischen Zentren erwartet (Patrouillentätigkeit). Angesichts knapper Finanzen namentlich in Zeiten defizitärer öffentlicher Haushalte tut sich der Staat jedoch schwer, die zur Befriedigung der gestiegenen Bedürfnisse erforderlichen Ressourcen bereit zu stellen. Unter diesen Umständen eröffnen private Sicherheitskräfte Alternativen insbesondere auch in finanzieller Hinsicht, um punktuelle Bedürfnisse (z.B. die Organisation eines internationalen Gipfeltreffens) oder dauerhafte Engpässe (z.B. fehlende Polizeibestände für die Präsenz in den Quartieren) sicherzustellen.

Im internationalen Bereich stellt sich die Problematik etwas anders dar: Hier hat man es heute immer wieder mit dem Phänomen schwacher staatlicher Strukturen und Rechtsdurchsetzungsmechanismen oder gar komplett zerrütteter staatlicher Strukturen (sog. «failed states») zu tun. In diesen Fällen fehlt eine zentrale Ordnungsmacht, welche elementare Sicherheitsaufgaben wahrnehmen könnte. Damit wird die Sicherheit zur Privatangelegenheit, umso mehr, als viele demokratische Staaten ihre Armeen verkleinern und teilweise nicht gewillt sind, als externe Ordnungsmächte, die z.B. im Rahmen von UNO-Operationen intervenieren könnten, 633

ihre Streitkräfte und Polizeieinheiten den mit solchen chaotischen Verhältnissen verbundenen Risiken auszusetzen. Die Sicherheit ist auch von lebenswichtiger Bedeutung für zahlreiche aus ganz unterschiedlichen Gründen in Konfliktzonen präsente Akteure, welche ohne selber an der Auseinandersetzung beteiligt zu sein zur Zielscheibe aggressiver Akte aller Art werden (Entführungen, Attentate usw.).

Dazu gehören beispielsweise die humanitären Organisationen, das Personal diplomatischer Vertretungen oder private Geschäftsleute. Solche Akteure müssen in vermehrtem Masse auf private Sicherheitskräfte zurückgreifen, die häufig den Vorzug haben, die örtlichen Verhältnisse zu kennen und mit extremen Situationen (Terrorakte, Guerillataktiken, Bürgerkrieg) vertraut zu sein. Dies führt zu einer starken Zunahme privater Sicherheitsunternehmen mit unterschiedlichsten Angeboten sowohl für ausländische Regierungen (z.B. Botschaftsschutz), für private Konzerne (z.B. Bewachung von Energieproduktionsanlagen) als auch für Nichtregierungsorganisationen (z.B. Eskortierung humanitärer Konvois).

2.4

Konkrete Probleme des Beizugs privater Sicherheits- bzw. Militärunternehmen durch den Staat oder Private

Unabhängig von der grundsätzlichen Frage, welche Sicherheitsaufgaben der Staat selber wahrzunehmen hat, verursacht der Beizug privater Sicherheitskräfte eine Reihe konkreter Probleme sowohl auf nationaler als auch auf internationaler Ebene.

Auch wenn zahlreiche private Sicherheitsunternehmen seriös und professionell arbeiten, kann dieser rasch expandierende Sektor auch dubiose Firmen oder Personen anziehen. Mit Sicherheitsaufgaben ist stets auch das Risiko des Gewaltmissbrauchs verbunden, namentlich dann, wenn diese durch kaum oder gar nicht geschultes, mangelhaft kontrolliertes und unsorgfältig angestelltes Personal wahrgenommen werden. Sowohl die Staaten auf der jeweiligen nationalen Ebene als auch die internationale Gemeinschaft müssen sich deshalb überlegen, welche Schranken für private Sicherheitstätigkeiten gelten sollen, um öffentliche Interessen zu wahren.

Es ist zu fragen, wer die Haftung für einen eventuellen Schaden übernimmt und welche strafrechtlichen Konsequenzen eine missbräuchliche Anwendung von Gewalt oder Zwang nach sich zieht, insbesondere wenn sich die Übergriffe ausserhalb des eigenen Hoheitsgebiets in Territorien ereignen, in denen die Täter aufgrund einer Krisensituation faktisch nicht belangt werden können.

Der Beizug privater Sicherheits- und Militärunternehmen wirft auch Probleme der Legitimation und der Transparenz gegenüber den Bürgerinnen und Bürgern auf.

Diese sind nicht immer in der Lage, zwischen staatlichen Ordnungskräften und Angestellten privater Sicherheitsunternehmen zu unterscheiden, namentlich wenn letztere Uniformen oder Embleme (Badges, Namensschilder) tragen, die zu Verwechslungen Anlass geben können. Die Leute neigen automatisch dazu, einer ihrer Erscheinung nach staatlichen Ordnungskräften vergleichbaren Person zu gehorchen, was zu unklaren Situationen führen kann. Die Bürgerinnen und Bürger wissen auch nicht immer, über welche Kompetenzen das Personal privater Sicherheitsdienste verfügt. Sie können deshalb weder beurteilen, ob die Mitarbeiterinnen oder Mitarbeiter des privaten Sicherheitsunternehmens, mit denen sie zu tun haben, ihre Zuständigkeiten überschreiten, noch in wessen Auftrag sie handeln.

634

Die Möglichkeit von Privatpersonen, mittels Einsatz privater Dienste selber für ihre Sicherheit zu sorgen, wirft schliesslich auch die heikle Frage nach der Zugänglichkeit der Sicherheit für alle auf. Bewohnerinnen und Bewohner wohlhabender Quartiere können sich einen Einsatz privater Sicherheitsdienste leisten, nicht jedoch in einer weniger begüterten Umgebung wohnhafte Personen. Die Sicherheit droht damit zu einem Gut zu werden, das nicht für alle verfügbar ist.

2.5

Besondere Probleme im Zusammenhang mit Interventionen privater Sicherheits- und Militärunternehmen in Krisenregionen

Interventionen privater Sicherheits- und Militärfirmen sind dann besonders problematisch, wenn sie in einem Umfeld zerrütteter oder vollständig zusammengebrochener staatlicher Strukturen stattfinden, wie es aufgrund militärischer Auseinandersetzungen, namentlich auch Bürgerkriege, eintreten kann.

Die Hauptmotivation der Privatpersonen bzw. der beauftragten Privatunternehmen ist grundsätzlich pekuniärer Art und deckt sich somit nicht notwendigerweise mit den öffentlichen Interessen der auftraggebenden Staaten. Dies ist heikel, da private Militär- und Sicherheitsunternehmen, die in Konfliktgebieten zum Einsatz kommen, aufgrund ihrer Bewaffnung und ihres Mandats eine besondere Macht über Zivilpersonen oder Gefangene ausüben. In Konfliktsituationen eingesetzte Unternehmen befinden sich überdies regelmässig weitab von der Aufsicht und der Öffentlichkeit des auftraggebenden Staates, der zudem häufig nicht mit dem Zielstaat des Einsatzes identisch ist.

Die meisten Staaten regeln den Einsatz privater Sicherheitsunternehmen in ausländischen Konfliktregionen überhaupt nicht. Aufgrund fehlender nationaler Regulierungen ist es in gewissen Ländern heute einfacher, von einem privaten Sicherheitsunternehmen beauftragt zu werden, mit einer automatischen Waffe in einem ausländischen Krisengebiet Aufgaben zu übernehmen, als Türsteher einer lokalen Bar zu werden. In einigen wenigen Staaten wurden in den letzten Jahren Regulierungen geschaffen (etwa in Südafrika, den USA, Australien, Sierra Leone und im Irak). Die meisten dieser Normierungen werden aber bisher von Beobachtern als (noch) ungenügend oder doch wenig effektiv bewertet.

Auch das allgemeine Völkerrecht enthält ­ wie in Ziffer 5 zu zeigen sein wird ­ keine spezifisch auf private Sicherheitsunternehmen zugeschnittenen Rechtsnormen oder «Soft Law»-Standards. Deshalb wird oft gefragt, ob nicht spezifische völkerrechtliche Normen oder zumindest international anerkannte Richtlinien oder Standards für in Konfliktsituationen zum Einsatz kommende private Sicherheitsunternehmen geschaffen werden sollten.

Allerdings ist es nicht so, dass gegenwärtig keine anwendbaren Völkerrechtsnormen existieren. Von praktischer Bedeutung sind neben den Regeln des zwischenstaatlichen Gewaltverbots und der Verpflichtung zur Nichtintervention in fremde Angelegenheiten insbesondere
das Humanitäre Völkerrecht und die Menschenrechte. Das Hauptproblem liegt jedoch in deren Durchsetzung. Es gibt Anzeichen dafür, dass bisweilen das Humanitäre Völkerrecht und die Menschenrechte durch in Konfliktgebieten tätige private Militär- und Sicherheitsunternehmen weniger respektiert worden ist als durch reguläre Streit- und Polizeikräfte und sich diesbezüglich beson635

dere Herausforderungen stellen. Folgende Gründe können für die mangelnde Beachtung einschlägiger Rechtsnormen bedeutsam sein: ­

Die fehlende oder ungenügende Ausbildung der Angestellten der privaten Sicherheitsunternehmen im Humanitären Völkerrecht und in den Menschenrechten;

­

Das Fehlen einer strikten Befehlslinie («chain of command») und Disziplinarordnung;

­

Die ungenügende Prüfung der Vergangenheit der Unternehmen sowie ihrer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, vor allem in Bezug auf die Beachtung des einschlägigen Völkerrechts;

­

Die nur sehr schwierig zu gewährleistende Aufsicht («monitoring») durch die auftraggebenden Staaten und der Mangel an bereits im Vertrag vorgesehenen Aufsichtsmechanismen und anderen Vorkehrungen wie Berichtspflichten;

­

Die zu vage Definition des Mandats;

­

Die fehlende Rechtsdurchsetzung im Gaststaat, sei es, weil dieser ungenügende bzw. überhaupt nicht mehr funktionierende Ordnungsstrukturen aufweist («failed state») oder weil privaten Sicherheitsunternehmen strafrechtliche Immunität gewährt worden ist;

­

Die de jure oder de facto ungenügenden Sanktionen oder eine mangelnde Durchsetzung strafrechtlicher Verantwortlichkeit in den auftraggebenden Staaten, in den Staaten, in denen private Sicherheitsunternehmen ihren Sitz haben und in den Heimatstaaten des Personals der Sicherheitsunternehmen, einschliesslich der fehlenden Anwendung des Weltrechtsprinzips8;

­

Die schwierige Identifizierbarkeit des Unternehmens bzw. seiner Angestellten im Felde;

­

Die eigenen, primär gewinnorientierten Interessen privater Sicherheitsunternehmen, die nicht notwendigerweise staatlichen Grundwerten entsprechen.

2.6

Relevanz der internationalen Entwicklung für die Schweiz

Aufgrund ihrer Neutralität und ihrer traditionellen, dem Völkerrecht und der Festigung der Menschenrechte verpflichteten aussenpolitischen Grundüberzeugung mischt sich die Schweiz nicht in fremde Konflikte ein. Aus den nachfolgend genannten drei Gründen kann sich unser Land den Entwicklungen im Zusammenhang mit international tätigen privaten Sicherheitsunternehmen dennoch nicht entziehen: ­

8

636

In der Schweiz ansässige multinationale Konzerne, aber auch zahlreiche kleinere exportorientierte Firmen sind in Krisen- und Konfliktgebieten tätig.

Dazu kommen die offiziellen Vertretungen unseres Landes, staatlich organisierte Hilfsprojekte sowie Niederlassungen diverser schweizerischer Nichtregierungsorganisationen in unstabilen Staaten. In diesen Fällen stellt sich So wurden etwa für die Untaten in Abu Ghraib zwar Mitglieder der Streitkräfte, nicht jedoch die ebenfalls involvierten Angestellten privater Sicherheitsunternehmen belangt.

die Frage nach einem möglichst wirksamen Schutz von Personal, Niederlassungen und Güter, den ohne funktionierende staatliche Strukturen bzw.

zuverlässige internationale Militärpräsenz möglicherweise nur private Sicherheitsunternehmen übernehmen wollen bzw. können.

­

Die insbesondere nach dem 11. September 2001 stark gestiegene Bedrohung durch global operierende Terrororganisationen macht auch vor der Schweiz nicht Halt. Unsere Neutralität und eine umsichtige Aussenpolitik bieten keinen vollständigen Schutz gegen Terroranschläge auf schweizerischem Staatsgebiet, namentlich auch wenn sie sich gegen ausländische Vertretungen, Konzerne, internationale Verbände, internationale Konferenzen oder Grossanlässe (z.B. Sportveranstaltungen), Zweigstellen internationaler Organisationen, ausländische Fluggesellschaften und Touristen, prominente ausländische Persönlichkeiten, aber auch Objekte mit grossem Schadenspotential (z.B. Atomkraftwerke) richten. Nicht nur die internationale Zusammenarbeit bei der Terrorbekämpfung, sondern auch der präventive Personen- und Objektschutz ist in den letzten Jahren markant ausgebaut worden.

Angesichts knapper Staatsfinanzen, stagnierender Zahlen bei den kantonalen Polizeikorps sowie rückläufiger Armeebestände wird sich künftig vermehrt die Frage stellen, ob und in welchem Umfang private Sicherheitsunternehmen zusätzliche Schutz- und Kontrollaufträge übernehmen können.

­

Schliesslich könnte die Schweiz angesichts stabiler gesellschaftlicher Strukturen, der verfassungsrechtlich geschützten Wirtschaftsfreiheit und ihrer starken Stellung im globalen Finanzmarkt eine zunehmend attraktive organisatorische und logistische Basis für weltweit operierende private Sicherheitsunternehmen werden. Wie die Erläuterungen in Ziffer 3.3 zeigen, sind in einzelnen Kantonen bereits Unternehmen bekannt, die auch in Krisenund Konfliktgebieten tätig sind oder eine künftige Tätigkeit in solchen Gebieten nicht ausschliessen.

3

Art und Ausmass der Aktivitäten privater Sicherheits- und Militärunternehmen in der Schweiz und im Ausland

3.1

Rückgriff auf private Sicherheitsunternehmen zum Zwecke der Gewährleistung der inneren Sicherheit auf schweizerischem Staatsgebiet

Gemäss dem USIS-Bericht vom 26. Februar 2001 gab es in der Schweiz im Jahr 1998 ca. 250­300 private Sicherheitsfirmen, wobei das grösste Unternehmen damals ca. 1500 Fest- und 3500 nebenberuflich Angestellte beschäftigte. Insgesamt schätzte man 1998 die Gesamtzahl aller in Sicherheitsfirmen und Privatdetekteien beschäftigten Personen auf 8000­10 300 Personen9. Neue von den Medien erhobene Schät9

Vgl. Überprüfung des Systems der Inneren Sicherheit der Schweiz. Teil I: Analyse des Ist-Zustandes mit Stärken, Schwächenprofil, Bericht vom 26. Februar 2001 (Bericht USIS I), S. 86 (deutsche Fassung). Der USIS-Bericht, der sich auf einen Artikel der Weltwoche vom 5. Juni 1998 stützt, geht von 8000 Personen aus. In einem für das USISProjekt verfassten Zwischenbericht vom 17.8.2000 nennt die Konferenz der kantonalen Justiz- und Polizeidirektoren (KKJPD) die Zahl von 10 300 Personaleinheiten, wobei sie sich auf Angaben des VBS beruft, vgl. Anhang 1 zum Bericht USIS I, S. 18.

637

zungen aus dem Jahr 2005 gehen nur schon für die sechs Westschweizer Kantone von 5800 im Sicherheitsbereich tätigen Personen aus, 1000 Personen mehr als in den dortigen Polizeikorps beschäftigt sind. Allein im Kanton Genf soll es 80 Sicherheitsfirmen mit ca. 2650 Angestellten geben10. Der Kanton Waadt nennt 42 Unternehmen11. Und im Kanton Tessin werden 119 Privatfirmen gezählt, die sich mit Nachforschungen, Überwachung und Werttransporten befassen12.

Diese Zunahme lässt sich hauptsächlich auf folgende Gründe zurückführen: ­

10 11 12

13

14

15 16 17

638

Personalknappheit aufgrund von Budgetrestriktionen: Im Jahr 2001, anlässlich der Abklärung im Rahmen des USIS-Projekts, stellten die Kantone einen Unterbestand von 800­1000 zivilen Polizeikräften fest13. Ein chronischer Personalunterbestand von mindestens 200 Personaleinheiten14 besteht auch beim Grenzwachtkorps, das nicht nur an der Grenze selber, sondern bei der Bekämpfung der grenzüberschreitenden Kriminalität erfolgreich mit der Polizei zusammenarbeitet15. Diese Personalknappheit hat wesentlich mit Budgetrestriktionen im Zuge defizitärer öffentlicher Haushalte zu tun.

Untersuchungen kommen beispielsweise mehrheitlich zum Ergebnis, dass die Polizei zumindest dort, wo sie den Bürgerinnen und Bürgern oft am nächsten steht und am vertrautesten ist, nämlich im Gemeindeordnungsdienst, wesentlich teurer arbeitet als private Sicherheitsdienste16. Bezeichnenderweise ist es heute üblich, den Ordnungsdienst z.B. bei Dorffesten oder lokalen Sportveranstaltungen Privaten anzuvertrauen, während sich die kapazitätsmässig beschränkte lokale Polizei auf übergeordnete Überwachungs- und Koordinationsaufgaben konzentriert. Von der Polizei ressourcenmässig kaum zu bewerkstelligen sind auch nächtliche Patrouillengänge in Wohnquartieren, die indes erheblich zur Verbesserung des subjektiven Sicherheitsgefühls beitragen können17. Obwohl finanzielle Aspekte alleine nicht ausschlaggebend sein dürfen, weil die erforderliche hohe Professionalität der zum Einsatz kommenden Kräfte nur mit einer soliden und damit auch kostspieligen Ausbildung gewährleistet werden kann, spielen Budgetrestriktionen sicherlich eine wichtige Rolle beim häufigeren Rückgriff auf private Anbieter von Dienstleistungen im Sicherheitsbereich.

«Dans la jungle des polices privées», L'Hebdo vom 18. August 2005, S. 13.

Liste als Anhang zu einem Antwortschreiben der Waadtländer Kantonspolizei vom 29. Juli 2005 auf eine Umfrage des Bundesamtes für Justiz bei den Kantonen.

So Andrea Leoni in einem Beitrag vom 19.8.2004 auf dem von den drei Tessiner Zeitungen Corriere del Ticino, La Regione Ticino und Giornale del Popolo betriebenen Onlineportal «Ticinonline», http://www.tio.ch/common_includes/pagine_comuni/ articolo_interna.asp?idarticolo=178582&idtipo=3.

Kernteam Polizei XXI, Protokoll der Antworten zum Fragenkatalog USIS vom 5.7.2001, zit. in
USIS. Überprüfung des Systems der inneren Sicherheit der Schweiz. Teil II. Grobe Soll-Varianten, Sofortmassnahmen, Bericht vom 12. September 2001 (Bericht USIS II), S. 87, vgl. auch http://www.usis.ch/deutsch/berichte/pdf_usis2_voll/deutsch.pdf.

So Bericht USIS I, a.a.O. (Fn. 9), S. 60. Die Sicherheitspolitische Kommission des Ständerats (SIK-S) ging am 25. November 2003 sogar von einem Unterbestand von 290 Personaleinheiten aus.

Zu den Aufgaben des Grenzwachtkorps im Bereich der inneren Sicherheit vgl. Bericht USIS I, a.a.O. (Fn. 9), S. 58­61.

Dazu Marco Gamma, a.a.O. (Fn. 6), S. 222­23.

Solche nächtlichen Patrouillen- und Kontrolleinsätze haben sich in der Schweiz zu einem wichtigen Tätigkeitsfeld privater Sicherheitsdienste entwickelt, für entsprechende Schilderungen aus der Romandie vgl. «Dans la jungle des polices privées», L'Hebdo vom 18.8.2005, S. 17­18.

18

19

­

Veränderungen bei der Kriminalität und beim persönlichen Sicherheitsgefühl: Die schwere Kriminalität ist in den vergangen Jahrzehnten deutlich angestiegen18. Mit Ausnahme der Tötungsdelikte nahmen zwischen 1992 und 2003 alle Übergriffe auf die sexuelle und körperliche Integrität stark zu.

Die Gewaltbereitschaft der Täterinnen und Täter wurde grösser. Die Delinquenz Minderjähriger stieg zwischen 1956 und 2003 gar auf das zehnfache an19. Gewaltdelikte verunsichern die Einzelnen am meisten, und sie stossen auch in den Medien auf den grössten Wiederhall. Die objektive Zunahme der Gewaltdelikte, aber auch das subjektive Gefühl der Unsicherheit, führen zu einem gesteigerten Bedürfnis nach Sicherheitsdienstleistungen, das die Polizei mit ihren stagnierenden Beständen nicht mehr in jedem Fall gewährleisten kann.

­

Zunahme privater und öffentlicher Grossanlässe sowie Ausbau des Angebots im öffentlichen Verkehr: Gegenüber früheren Jahrzehnten ist eine Zunahme sportlicher, kultureller und politischer Grossanlässe zu beobachten. Zu denken ist z.B. an Städteläufe mit grosser Beteiligung, die EURO 2008, die Street Parade, Open Air-Konzerte oder das Weltwirtschaftsforum (WEF) in Davos. Diese Anlässe zeichnen sich oft durch eine starke internationale Beteiligung aus und finden zudem häufig in städtischen Zentren statt. Der Bedarf für Sicherheitsdienstleistungen ist entsprechend gross. Die Polizeikräfte stossen an Kapazitätsgrenzen. Ausserdem wird bei privaten Grossanlässen immer mehr Wert darauf gelegt, dass sich die Organisatoren mit eigenen Kräften an der Gewährleistung von Sicherheit und Ordnung beteiligen.

In den vergangenen Jahrzehnten kam es auch zu einem markanten Ausbau des Angebots im öffentlichen Verkehr, vor allem in den städtischen Agglomerationen in nächtlichen Randzeiten. Aufgrund des Sparzwangs stand den Betreibern jedoch immer weniger eigenes Personal zur Verfügung, um die Sicherheitsbedürfnisse der Fahrgäste zu decken (unbegleitete Züge). Der punktuelle Einsatz privater Sicherheitsfirmen bot sich in dieser Situation als Ausweg an.

Ein Vergleich der Kriminalstatistiken der Jahre 1990 und 2000 zeigt eine starke Steigerung bei Gewaltdelikten wie Tötung, Körperverletzung, Nötigung, Raub, Erpressung, Drohung, Entführung, Geiselnahme sowie Vergewaltigung und anderen strafbaren Handlungen gegen die sexuelle Integrität, Bericht USIS I, a.a.O. (Fn. 9), S. 42. Im Kanton Zürich hat sich gemäss der kantonalen Kriminalstatistik die Gesamtzahl der erfassten Delikte zwischen 1980 und 1997 verdoppelt, ibid., S. 43. Ebenfalls eine Verdoppelung gab es vom Ende der achtziger Jahre bis 1997 bei den Wohnungseinbrüchen in der Schweiz, ibid., S. 43, unter Berufung auf eine auf Opferbefragungen basierende Studie der Universität Lausanne (Martin Kilias/Philippe Lamon, Zunahme der Kriminalität?

Eine differenzierte Lagebeurteilung, Criminoscope, Nr. 12, Dezember 2000, Universität Lausanne).

NZZ Online vom 25.05.2004, http://nzz.ch/2004/05/25/il/newzzDUNQDWNN-12.html; jsessionid=DD17B20763A6CAFF9582E157DFE4F767.

639

3.2

Zunehmende Bedeutung privater Militär- und Sicherheitsfirmen im internationalen Umfeld

Zwangsinterventionen privater, nicht-staatlicher Organisationen oder Individuen zur Durchsetzung einer bestimmten Ordnung bzw. Machtstruktur im Ausland sind keineswegs neuartige Phänomene, wie oft aufgrund aktueller Geschehnisse (Irak) angenommen wird.

So stützten z.B. die ab dem 13. Jahrhundert aufstrebenden italienischen Stadtstaaten ihre Macht fast ausschliesslich auf von sog. Condottieri geführte private Berufsheere, die vertraglich engagiert wurden. Ein anderes bekanntes Beispiel sind die äusserst einflussreichen privaten Handelsgesellschaften, die in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts als Vorläufer oder im Rahmen der britischen und holländischen Kolonialherrschaft auf dem indischen Subkontinent und in Südostasien in Erscheinung traten und über mächtige militärische Machtapparate geboten. Selbst 1782, nachdem die britische Kolonialherrschaft in Indien längst Bestand hatte, verfügte die dortige britische East India Company über eine Privatarmee von mehr als 100 000 Mann und war damit wesentlich schlagkräftiger als die britischen Kolonialstreitkräfte20. Solche nicht in obrigkeitliche Strukturen eingebundene «private Militärorganisationen» blieben allerdings eher die Ausnahme. Bis ins 20. Jahrhundert hinein weit verbreiteter war das Söldnerwesen, worunter gemeinhin Personen subsumiert werden, die sich gegen Entgelt vertraglich verpflichteten, als Kämpfer einer fremden Macht zu dienen und in deren Kriegen mitzukämpfen21.

Die jüngsten internationalen Entwicklungen zeigen eine stark zunehmende Bedeutung privater Dienstleistungen im Militär- und Sicherheitsbereich. Heute hat man es mit einem grossen Marktpotential und vielen tausenden weltweit zum Einsatz kommenden Personen zu tun. Der Fall des Irak manifestiert diese Entwicklung besonders deutlich: Nach Schätzungen standen dort im Frühjahr 2003 rund 15­20 000 Personen bei privaten Sicherheitsunternehmen unter Vertrag, eine Zahl, die seither noch weiter gestiegen ist22. Der globale Markt umfasst heute etwa 100 international tätige Unternehmen, die in ebenso vielen Staaten aktiv sind23. Das weltweite Marktvolumen wird auf ca. 100 Milliarden US$ geschätzt, mit einer prognostizierten Verdoppelung bis zum Jahr 201024. In einigen Staaten entsprechen die öffentlichen und privaten Ausgaben für private Sicherheitsunternehmen bereits einem Drittel, gelegentlich sogar 100 % der Ausgaben für die regulären Streitkräfte. Einzelne Aufträge 20 21

22

23 24

640

P.W. Singer, Corporate Warriors, Cornell University Press, Ithaca (N.Y.) 2003, S. 35.

Eine grosse ­ auch ökonomische ­ Bedeutung hatte das Söldnerwesen insbesondere auch in der Alten Eidgenossenschaft: Im Rahmen der sogenannten «Reisläuferei» traten von Beginn des 14. bis Ende des 19. Jahrhunderts schätzungsweise 2 Millionen Söldner der eidgenössischen Orte in fremde Kriegsdienste ein, vgl. Schweizer Lexikon 91, Bd. 2, Luzern 1992, S. 745 (Stichwort: «fremde Dienste»). Obwohl völkerrechtliche Verträge, die ausländischen Staaten das Anwerben von Personen auf schweizerischem Gebiet zugestanden, bereits in der ersten Bundesverfassung vom 12. September 1848 verboten wurden und kurz danach auch der Eintritt in fremde Militärdienste strafbar wurde, blieb z.B.

die französische Fremdenlegion nach wie vor attraktiv: Man geht davon aus, dass seit 1831 ca. 60 000 Schweizer dort Dienst geleistet haben, ibid., S. 746 (Stichwort: «Fremdenlegion»).

Daniel Berger, «The Other Army», The New York Times vom 14.8.2005, nennt für Juni 2005 eine Zahl von 25 000 bewaffneten Personen, die privat engagiert wurden. Vgl. auch Caroline Holmquist, Private Security Companies. The Case for Regulation, SIPRI Policy Paper No.9, Stockholm, Januar 2005, S. 1.

Holmquist, a.a.O. (Fn. 22), S. 1.

Singer, a.a.O. (Fn. 20), S. 78.

an private Sicherheitsfirmen erreichen Geschäftsvolumen von mehreren hundert Millionen US$25. In Krisenstaaten wie Algerien oder Kolumbien geben Privatunternehmen gegen neun Prozent ihres operationellen Aufwands für Sicherheitsmassnahmen aus26. Im Militär- und Sicherheitsbereich tätige, international operierende private Firmen stellen ihren Auftraggebern nicht nur logistische Unterstützung, Personal und Infrastruktur, sondern gelegentlich auch schweres Kriegsgerät wie Kampfflugzeuge, Panzer und Artillerie zur Verfügung27.

Der internationale Bedeutungszuwachs privater Dienstleistungen im Militär- und Sicherheitsbereich hat wesentlich damit zu tun, dass mit dem Ende des Kalten Kriegs in verschiedenen Regionen Machtvakuen entstanden, die den vollständigen oder partiellen Zerfall ethnisch oder politisch instabiler Staaten begünstigten. So genannte «failed states», «failing states» oder auch «weak states» wurden zahlreicher, d.h. Länder ohne oder mit schlecht funktionierenden Regierungs- und Verwaltungsstrukturen bzw. staatlicher Ordnungsmacht, in denen das staatliche Gewaltmonopol in gewissen Regionen oder im ganzen Land in Frage gestellt wird.

Unter dem Eindruck der Risiken verschiedener unter dem Kommando der UNO, regionaler Organisationen, aber auch einzelner Staaten durchgeführter Interventionen zur Herstellung einer minimalen Ordnung bzw. Verhinderung humanitärer Katastrophen (z.B. in Somalia 1992, in Bosnien 1992­1995, in Liberia 1994) entstand namentlich in den westlichen Demokratien eine Diskussion über den Einsatz eigener Soldaten oder Polizeikräfte in Kriegs- und Krisengebieten. Die schwer abschätzbaren Eskalationsrisiken bei Ordnungsinterventionen (Peace-Keeping, Peace-Building, humanitäre Intervention), aber auch die zunehmende demokratische Sensibilisierung und Medialisierung der westlichen Gesellschaften führten zu einer restriktiveren Ausgestaltung der rechtlichen Voraussetzungen für die Entsendung staatlicher Militär- oder Polizeikräfte. Andererseits benötigen staatliche Vertretungen sowie die exponierten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter supranationaler Organisationen und NGO's in Gebieten mit nur sehr schlecht oder gar nicht funktionierenden staatlichen Ordnungsstrukturen unbestrittenermassen einen besonderen Schutz.

Dieser wird von privaten Firmen im Militär- und Sicherheitsbereich
angeboten.

Deren Verluste an Menschenleben finden ­ anders als im Falle von Angehörigen der Streitkräfte ­ keinen Eingang in die Opferstatistik bestimmter Staaten.

Der Bedeutungszuwachs privater Militärfirmen ist aber auch darauf zurückzuführen, dass sich nach der Überwindung des Kalten Kriegs namentlich die Grossmächte aus weiter ausgetragenen internen Konflikten zurückgezogen haben. Mangels staatlicher Unterstützung greifen die stark fragmentierten Bürgerkriegsparteien, die häufig nicht über das zur Beherrschung und Wartung moderner Waffensysteme erforderliche «Know How» verfügen, auf private Militärfirmen zurück. Die Angebotsseite begünstigt diese Entwicklung zusätzlich, setzte doch die starke Redimensionierung der Streitkräfte in den Staaten des ehemaligen Ostblocks und der NATO, aber auch in Südafrika nach dem Ende der Apartheid, zahlreiche personelle und materielle Ressourcen frei.

25 26 27

Singer, a.a.O., (Fn. 20), S. 80.

Singer, a.a.O., (Fn. 20), S. 81.

So offenbar in Angola, vgl. Singer, a.a.O. (Fn. 20), S. 10, mit Verweis auf Al Venter, «Out of State and Non-State Actors Keep Africa Down», Janes' Intelligence Review, 11 (01.05.1999).

641

3.3

Von der Schweiz aus im Ausland tätige private Sicherheits- und Militärunternehmen

Im Rahmen ihrer Arbeiten untersuchte die interdepartementale Arbeitsgruppe auch die Situation betreffend private Sicherheits- und Militärunternehmen, die von der Schweiz aus Auslandsaktivitäten betreiben, wobei sie sich insbesondere für in Konfliktgebieten tätige Unternehmen interessierte. Da eine für die gesamte Schweiz geltende, allgemeine Pflicht, solche Tätigkeiten den Behörden mitzuteilen, nicht existiert, war es schwierig, sich einen vollständigen Überblick über die Bedeutung derartiger Aktivitäten zu verschaffen. Die betreffenden Firmen werden nicht besonders beaufsichtigt.

Die primär bei den Kantonen eingeholten Informationen zeigen, dass private Sicherheitsunternehmen, die von der Schweiz aus in ausländischen Krisenzonen tätig sind, gegenwärtig noch ein eher marginales Phänomen darstellen. Gewisse Indizien weisen allerdings auf eine künftig möglicherweise zunehmende Bedeutung hin. Vor allem scheint es nicht ausgeschlossen, dass solche Unternehmen ihren Sitz in die Schweiz verlegen, um vom guten Ruf unseres Landes namentlich auch aufgrund der schweizerischen Neutralitätspolitik zu profitieren.

Zwar gab die Mehrzahl der Kantone an, keine privaten Sicherheits- oder Militärunternehmen zu kennen, die von ihrem Gebiet aus in Risikozonen operieren. Mehrere Kantone teilten jedoch die Existenz derartiger Firmen auf ihrem Gebiet mit oder schlossen eine solche zumindest nicht aus.

Der Kanton Basel-Landschaft etwa zählt drei Unternehmen, die sich in Kriegs- oder Krisengebieten betätigen und eine behördliche Bewilligung besitzen. Zwei davon haben ihren Sitz in der Schweiz; das dritte hat seinen Sitz im Ausland, jedoch eine schweizerische Niederlassung. Dabei werden folgende Leistungen angeboten: Personen- und Objektschutz, Observierung, Videoüberwachungstechnik, Technik und Intervention im Zusammenhang mit Alarmsystemen. Im Rahmen der Abklärungen der basellandschaftlichen Behörden gaben zwölf weitere Unternehmen an, künftig auch Aktivitäten in Risikozonen in Erwägung zu ziehen.

Im Juni 2005 bot ein im Kanton Tessin niedergelassenes privates Sicherheitsunternehmen dem EDA spontan seine Dienste an. Die Firma gab an, sich auf die Erbringung von Sicherheitsdienstleistungen für in Risikogebieten präsente Behörden, diplomatische Vertretungen und multinationale Konzerne spezialisiert zu haben.

Gemäss Angaben
der Firma sind ihre Angestellten Staatsangehörige der EU-Länder und haben professionelle Erfahrung im Bezug auf Militäroperationen, im Kampf gegen den Terrorismus, im Umgang mit Sprengstoff und als Scharfschützen. Sie hätten auch an Operationen der UNO und der NATO im Irak, in Afghanistan, Somalia, Sierra Leone, Guatemala, Bosnien und im Kosovo teilgenommen. Auskünfte der Tessiner Behörden28 ergaben, dass die betreffende Firma ohne Bewilligung arbeitet, weil sie auf dem Gebiet des Kantons Tessin ausschliesslich administrativ tätig ist (Buchhaltung und Abschluss von Verträgen). Für solche Aktivitäten verlangt das geltende Tessiner Recht keine Bewilligung. Es scheint, dass sich dieses Unternehmen aus Imagegründen (Neutralität der Schweiz) im Kanton Tessin niedergelassen hat.

28

642

Schreiben des Departementes der Institutionen vom 6. September 2005 an das Bundesamt für Justiz.

Ein Fall, der sich vor ziemlich genau zehn Jahren ereignete, zeigt, dass von der Schweiz aus tätige Privatpersonen oder private Firmen auch in problematische Aktivitäten im Ausland verwickelt sein können.

Am 28. September 1995 versuchte eine Gruppe von 34 bewaffneten Männern unter der Leitung des bekannten französischen Söldnerführers Robert «Bob» Denard, auf dem Ostafrika vorgelagerten Archipel der Komoren einen Staatsstreich durchzuführen. Es folgten bewaffnete Auseinandersetzungen zwischen den ausländischen Putschisten, inländischen Sympathisanten und Sicherheitskräften. Am 4. und 5. Oktober intervenierte die französische Armee, setzte die 34 Söldner fest und führte sie nach Frankreich, um sie der dortigen Justiz zu übergeben. Unter den Verhafteten befanden sich auch ein Schweizer Staatsbürger und ein in der Schweiz niedergelassener EU-Bürger.

Die französischen Behörden ermittelten in der Folge gegen 28 Personen und ersuchten die Schweiz um Rechtshilfe. Die Ermittlungen wurden erst vor kurzem abgeschlossen und der Fall der französischen Staatsanwaltschaft zur Weiterbearbeitung übergeben. In der Schweiz ermittelten militärische Untersuchungsinstanzen gegen den involvierten Schweizer Bürger. Ein Ersuchen der früheren Bundespolizei, wegen Verstosses gegen Artikel 299 Absatz 2 StGB (Verletzung fremder Gebietshoheit) und Kriegsmaterialdelikten gegen den in der Schweiz niedergelassenen EU-Bürger zu ermitteln, lehnte die Bundesanwaltschaft 1996 unter Hinweis auf das laufende französische Verfahren ab.

Hintergrund für das Ersuchen der Bundespolizei waren im Jahr 1995 erschienene Inserate in Söldnermagazinen, mit denen Personen für eine «Sicherheitsmission» gesucht wurden. Diese sollten sich bei einer Schweizer Postfachadresse melden, die sowohl von der privaten Sicherheitsfirma des in der Schweiz niedergelassenen EU-Bürgers als auch vom Söldnerführer Denard benutzt wurde. Es bestand der Verdacht, dass der in unserem Land niedergelassene EU-Bürger nicht nur am Putschversuch selber, sondern bereits in der Planungs- und Rekrutierungsphase mitwirkte.

3.4

Beizug privater Sicherheitsunternehmen durch die Bundesbehörden29

3.4.1

Allgemeines

Im Rahmen ihrer Arbeiten führte die interdepartementale Arbeitsgruppe eine Umfrage bei der gesamten Bundesverwaltung, den Parlamentsdiensten, der Post und den SBB durch, um sich einen Überblick über den Beizug privater Sicherheitsfirmen durch die Bundesbehörden beim Vollzug von Sicherheits- und Militäraufgaben in der Schweiz oder im Ausland zu verschaffen. Von den 56 antwortenden Verwaltungseinheiten und anderen Einrichtungen gaben 21 an, die Dienste privater Sicherheitsunternehmen entweder punktuell oder über einen längeren Zeitraum hinweg zu beanspruchen. Die Dienstleistungen der Sicherheitsfirmen betreffen vor allem den Schutz von Gebäuden und anderen Einrichtungen, den Empfangsdienst und die Eingangskontrolle bei Bundesbauten, den Transportschutz (z.B. Erlöse aus dem Verkauf der Autobahnvignetten, zu vernichtende Dokumente) sowie den Personenschutz (z.B. bei Magistraten).

Besonders erwähnenswert sind die folgenden Beispiele: ­

29

Das Staatsekretariat für Bildung und Forschung (EDI) und das EDA beanspruchen die Dienste privater Sicherheitsunternehmen zum Schutz ihrer Büros, der diplomatischen Vertretungen, aber auch der Wohnungen ihrer Der Umfang der Delegation staatlicher Sicherheitsaufgaben an private Unternehmen durch die Kantone und Gemeinden wird im vorliegenden Bericht nicht behandelt. Zum einen würde dies den vorgesehenen Rahmen sprengen, zum anderen wäre dafür auch eine vertiefte Prüfung erforderlich, was in der knapp bemessenen Zeit nicht möglich war.

643

Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Ausland (vgl. Ziff. 3.4.2 nachstehend).

Die entsprechenden Aufträge werden an lokale ausländische Firmen vergeben.

­

Das Bundesamt für Migration greift auf private Sicherheitsunternehmen zurück, um die eigene Telefonzentrale sowie den Empfang der Asylbewerberzentren an der schweizerischen Grenze zu betreiben. Wenn in den Räumlichkeiten von Wabern eine Kollektivbefragung der Asylbewerberinnen und Asylbewerber stattfindet, stellen Sicherheitsfirmen auftragsgemäss den Schutz der Personen und der Örtlichkeit sicher und überprüfen in Zusammenarbeit mit der Polizei die Liste der zu befragenden Personen. (Art. 17 der Asylverordnung 1 über Verfahrensfragen vom 11. August 199930).

­

Das Bundesamt für Polizei nutzt private Sicherheitsunternehmen, um den Gebäudeschutz sowie die Sicherheit von Magistratspersonen oder anderen aufgrund des Völkerrechts besonders zu schützenden Personen zu gewährleisten (Art. 22 bis 24 des Bundesgesetzes über Massnahmen zur Wahrung der inneren Sicherheit [BWIS] vom 21. März 199731 und Art. 3 der Verordnung über das Sicherheitswesen in der Bundesverantwortung [VSB] vom 27. Juni 200132). Private Sicherheitsunternehmen haben ausserdem den Auftrag, den kantonsübergreifenden Transport von Personen, denen die Freiheit entzogen wurde, sicherzustellen. Das Bundesamt für Polizei nutzt ihre Dienste auch für den Transport von Personen, die aus der Schweiz ausgewiesen werden sollen: Es geht hierbei um den so genannten «Jail-TrainStreet»-Vertrag, der nach 2005 durch einen neuen Vertrag ersetzt werden soll, an welchem die Eidgenossenschaft nicht beteiligt sein wird.

­

Die Post erteilt privaten Sicherheitsunternehmen Aufträge zum Betrieb der Alarmzentrale, zum Gebäudeschutz und zum Schutz von Personen in besonderen Situationen.

­

Die SBB greifen auf private Sicherheitsfirmen zurück, um die Bahnpolizei im Sinne von Artikel 12 Absatz 1 des Bundesgesetzes betreffend Handhabung der Bahnpolizei vom 18. Februar 187833 zu betreiben. Die privaten Dienste haben insbesondere die Aufgabe, die öffentliche Ordnung zu gewährleisten (Verhinderung von Übergriffen, Festhaltungen, Meldung strafbarer Handlungen an die zuständigen Behörden) sowie die Bahnkunden zu schützen und die Infrastruktur zu überwachen.

3.4.2

Schutz der Schweizer Vertretungen im Ausland

Zum Schutz der Schweizer Vertretungen im Ausland (Botschaften, Generalkonsulate, Konsulate, Koordinationsbüros), der Residenzen und der Privatunterkünfte der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter beauftragt der Bund (handelnd durch das EDA) ständig lokal ansässige private Sicherheitsfirmen. Deren Aufgaben, vergleichbar mit denen privater Wach- und Schliessgesellschaften in der Schweiz, betreffen Zugangsund Zutrittskontrollen und die Überwachung der Gebäude. Damit wird die Erfüllung 30 31 32 33

644

Asylverordnung 1 (AsylV 1), SR 142.311.

SR 120 SR 120.72 SR 742.147.1

des Bundesauftrags, ein schweizerisches Vertretungsnetz im Ausland zu unterhalten, ermöglicht. Es werden dabei keine hoheitlichen Aufgaben an Drittpersonen ausgelagert. Beim Schutz der Koordinationsbüros für Entwicklung und Zusammenarbeit bilden das Entwicklungshilfegesetz und der Bundesbeschluss Ost die mittelbaren gesetzlichen Grundlagen, da es um die Sicherstellung der Erfüllung des gesetzlichen Auftrages geht (Organisation der erforderlichen Rahmenbedingungen).

Zurzeit fallen rund 80 Vertretungen unter die Bewachungsmassnahmen. Würden diese nicht entsprechend bewacht, wäre der Schutz des Personals nicht garantiert und die Vertretungen müssten geschlossen werden, was aus aussenpolitischen und aussenwirtschaftspolitischen Gründen nicht zu vertreten wäre.

Der Schutz wird in der Regel durch die Behörden des Gastlandes, in Ausnahmefällen auch durch lokale Bewachungsfirmen oder durch lokal angestelltes Sicherheitspersonal wahrgenommen. Die Schutzmassnahmen beziehen sich fast ausschliesslich auf den Gebäudeschutz. Bei der Wahl der Sicherheitsfirmen geben deren aktive Erfahrungen mit den lokalen Verhältnissen und die für den Schutzauftrag erforderlichen Kapazitäten den Ausschlag. Die Entsendung von Angehörigen eines Sicherheitsdienstes zum Schutz einer diplomatischen Vertretung steht nicht im Widerspruch zum humanitären Völkerrecht. Diese Personen sind ebenfalls verpflichtet, das Völkerrecht und die Menschenrechte einzuhalten (vgl. Ziff. 5 nachstehend). Da international verbindliche Qualitätsstandards für den Einsatz privater Sicherheitskräfte fehlen, ist bei deren Wahl erhöhte Sorgfalt angezeigt. Angehörige schweizerischer militärischer Berufsformationen können für beschränkte Zeit für Sicherungseinsätze im Ausland herangezogen werden. Dauert der Einsatz länger als drei Wochen, muss die Bundesversammlung den Einsatz gemäss Artikel 70 des Militärgesetzes34 genehmigen. Bei der Prüfung eines solchen Einsatzes ist jeweils das Sicherheitsrisiko für die Militärangehörigen zu prüfen. Im konkreten Fall des Irak muss davon ausgegangen werden, dass ein Einsatz von Militärpersonal das Risiko von Attentaten gegen die Schweizer Vertretung erhöht35.

4

Innerstaatliches Recht

4.1

Verfassungsgrundlagen

Die Kantone sind für die Gewährleistung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit auf ihrem eigenen Territorium zuständig, eine Aufgabe, die traditionellerweise von der Polizei wahrgenommen wird (originäre kantonale Polizeihoheit)36. Auf der anderen Seite verfügt der Bund über eine implizite Verfassungskompetenz, um im Innern und im Äusseren die notwendigen Massnahmen zu seinem eigenen Schutz bzw. zum Schutz seiner Institutionen und Organe (Personen- und Objektschutz, Schutz von Veranstaltungen des Bundes) zu treffen. Diese Zuständigkeit ist in der

34 35

36

SR 510.10 Im übrigen wird auf folgende Antworten des Bundesrates verwiesen: Anfrage Haering Barbara, Private Sicherheitskräfte, vom 4. Mai 2004 (04.1045); Dringliche Anfrage Lang Josef, Söldner und Soldaten im Irak, vom 2. Juni 2004 (04.1066); Fragestunde vom 7. Juni 2004, Frage Leuenberger Ueli: Schweizer Zusammenarbeit mit Söldnern muss unverzüglich aufhören (Frage 04.5094), Fragestunde vom 14. März 2005, Frage Wyss, Ursula: Private Sicherheitsfirmen (Frage 05.5075).

Botschaft BV, BBl 1997 I 237.

645

Staatlichkeit des gesamtschweizerischen Gemeinwesens als solchem begründet37.

Der Bund besitzt auch eine umfassende und ausschliessliche Kompetenz bei der Landesverteidigung (Art. 58 BV)38.

Gemäss Artikel 57 Absatz 1 BV sorgen Bund und Kantone «im Rahmen ihrer Zuständigkeiten für die Sicherheit des Landes und den Schutz der Bevölkerung».

Mit dieser Formulierung wird festgehalten, dass Artikel 57 Absatz 1 BV keine neuen Bundeskompetenzen im Sicherheitsbereich schafft, sondern nur die bereits bestehenden verfassungsmässigen Zuständigkeiten von Bund und Kantonen bestätigt39.

Artikel 57 Absatz 2 BV trägt dem Umstand Rechnung, dass die Sicherheit unteilbar ist: Bund und Kantone sollen «ihre Anstrengungen im Bereich der inneren Sicherheit» koordinieren. Diese Koordinationspflicht trifft sowohl die Kantone, die bei Bedarf ihre Aktivitäten im Sicherheitsbereich untereinander abstimmen müssen, als auch den Bund. Gestützt auf Artikel 57 Absatz 2 kann der Bund beispielsweise die Sicherheitskoordination grosser Anlässe (WEF, EURO 2008) an sich ziehen oder gesetzgeberisch tätig werden, wenn Fragen der inneren Sicherheit zwingend einer gesamtschweizerischen Abstimmung unter Einbezug oder sogar Leitung des Bundes bedürfen.

In einzelnen Aufgabenbereichen von nationaler Bedeutung (öffentliches Transportwesen, Ausländerrecht) erlässt der Bund in den letzten Jahren zunehmend Regelungen, welche unter Anderem auch die Delegation von Sicherheitsaufgaben an Private zum Gegenstand haben. Neuere Beispiele sind die Entwürfe zum Bundesgesetz über den Sicherheitsdienst der Transportunternehmen [BGST]40 sowie zum Bundesgesetz über die Anwendung von Zwang im Ausländerrecht und beim Transport von Personen im Auftrag der Bundesbehörden [ZAG]41). Dabei wird auf eine präzise Umschreibung des Umfangs und der Grenzen der den Privaten eingeräumten Handlungsbefugnisse Wert gelegt (vgl. dazu Ziff. 4.4.1).

Schliesslich finden allgemeine bundesrechtliche Normen z.B. des Waffengesetzes, des Güterkontrollgesetzes, des Strafrechts, des Militärstrafrechts, des Zivilrechts oder des Verantwortlichkeitsrechts auch auf private Sicherheitsunternehmen Anwendung.

Aufgrund ihrer gebietsbezogenen polizeilichen Kompetenzen haben bisher jedoch vor allem die Kantone Vorschriften über die Zulassung und Tätigkeiten privater Sicherheitsunternehmen
und ihres Personals erlassen. Dabei gibt es, wie in Ziffer 4.8 ausgeführt wird, bislang jedoch noch keine einheitlichen Regelungen. Gestützt auf Artikel 95 Absatz 1 BV (privatwirtschaftliche Erwerbstätigkeit) hätte allerdings auch der Bund die Möglichkeit, Vorschriften zu erlassen.

37 38

39 40 41

646

So BGE 117 Ia 202 und Andreas Auer/Giorgio Malinverni/Michel Hottelier, Droit constitutionnel suisse, Bd. I, Bern 2000, S. 331, Rz. 961.

Rainer J. Schweizer/Gabriela Küpfer in: Bernhard Ehrenzeller/Philippe Mastronardi/ Rainer J. Schweizer/Klaus A. Vallender (Hrsg.), Die Schweizerische Bundesverfassung, Zürich/Basel/Genf 2002, Vorbemerkungen zu Art. 57­61, Rz. 11.

Botschaft über eine neue Bundesverfassung vom 20. November 1996, BBl 1997 I 1 ff., 237 (Botschaft BV); Schweizer/Küpfer, a.a.O. (Fn. 38), zu Art. 57 BV, Rz. 1.

Für den Entwurf und die Botschaft zum BGST vgl. BBl 2005 2573 ff.

Für den Entwurf und die Botschaft zum ZAG vgl. Internetseite des Bundesamtes für Justiz, http://www.ofj.admin.ch/d/index.html, Rubrik «Rechtsetzung», Stichwort «Zwangsanwendung».

4.2

Zulässigkeit privater Aktivitäten im Sicherheitsbereich: verfassungsrechtliche Grenzziehungen

4.2.1

Problematik privater Sicherheitsaktivitäten aus der Perspektive der Bürgerinnen und Bürger

Eine wichtige Funktion des staatlichen Gewaltmonopols in demokratischen Gesellschaftsordnungen ist die Durchsetzung der Rechtsordnung, insbesondere der durch die Verfassung und das Völkerrecht garantierten Grundrechte der Bürgerinnen und Bürger. Die Aktivitäten privater Sicherheitsunternehmen und im Sicherheitsbereich tätiger Einzelpersonen können diesbezüglich heikle praktische Probleme aufwerfen.

An erster Stelle steht die Frage, über welche Eingriffsrechte, Zwangsmassnahmen gegenüber Personen und Zwangsmittel (z.B. Knüppel, Handschellen, Feuerwaffen, Verteidigungssprays, Hunde) das private Sicherheitspersonal verfügt. So kann man sich etwa fragen, ob privates Sicherheitspersonal das Recht haben soll, Personen zu überprüfen, diese nötigenfalls auch mittels Fesseln festzuhalten, Körperdurchsuchungen vorzunehmen bzw. Gegenstände zu beschlagnahmen oder ob sich dessen Kompetenzen auf Schutz- und Überwachungsaufgaben, die Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung und die Verhinderung widerrechtlicher Übergriffe beschränken sollen.

Die Antwort auf die Frage, wie weit Private zum Zwecke der Gewährleistung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung gegebenenfalls auch mittels Zwangsanwendung intervenieren dürfen, hängt zum Teil auch davon ab, ob der Eingriff in einem privaten oder einem öffentlichen Raum stattfindet. Alle Lokalitäten, die nicht dem privaten Gebrauch vorbehalten sind, können als öffentlich oder halböffentlich betrachtet werden. Die Abgrenzung zwischen privatem und öffentlichem Raum fällt nicht immer leicht, wie die ­ allerdings in einem etwas unterschiedlichen Kontext entwickelte ­ Rechtsprechung zu Artikel 261bis des schweizerischen Strafgesetzbuches (Rassendiskriminierung) zeigt42.

4.2.2

Privater Raum

Selbst in rein privaten Räumen obliegt die Durchsetzung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit aufgrund des Gewaltmonopols letztlich dem Staat, wenn man von eng begrenzten privaten Abwehrrechten wie der Notwehr oder dem Notstand bzw.

den entsprechenden Hilfsleistungen für Dritte (Nothilfe, Notstandshilfe) absieht.

Immerhin belässt die Verfassungsordnung hier Raum für ein begrenztes privates Sicherheitsmanagement. Basis ist das Prinzip der Selbstverantwortung, das die Verfassung mit dem Schutz der Privatsphäre (Art. 13 BV) und der Eigentumsgarantie (Art. 26 BV) anerkennt. Über die privaten Abwehrrechte hinaus bestimmt vor allem das Hausrecht, das sich auf die in Artikel 13 Absatz 1 BV und allen Kantonsverfassungen gewährleistete Garantie der Wohnung stützt, den Umfang der zulässigen privaten Sicherheitstätigkeiten.

42

SR 311.0. Vgl. z.B. BGE 130 IV 111: Das Bundesgericht hielt fest, dass Äusserungen an einem Vortrag, der im Rahmen einer geschlossenen Veranstaltung in einer Waldhütte vor 40 bis 50 Skinheads gehalten wurde, öffentlichen Charakter haben.

647

Eine dem Verhältnismässigkeitsprinzip Rechnung tragende Abwägung zwischen privater Selbstverantwortung und staatlichem Gewaltmonopol führt dabei zu folgendem Ergebnis: ­

Zulässige Privatmassnahmen in privaten Räumlichkeiten sind z.B.: präventive Massnahmen wie der Objektschutz (Innen- und Aussenkontrollen von Liegenschaften); die Wegweisung von Personen; die Zutrittsverweigerung.

­

Ohne Einwilligung der Betroffenen unzulässige Privatmassnahmen in privaten Räumlichkeiten sind dagegen: Identitätskontrollen, Durchsuchungen, Konfiskation von Gegenständen.

4.2.3

Halböffentlicher Raum

Halböffentliche Räume sind Räumlichkeiten, die sich zwar privat zuordnen lassen, im Rahmen ihrer Zweckbestimmung nach aber öffentlich zugänglich sind. Beispiele sind privat betriebene Fussballstadien, Schulen, (umgrenzte) Sportplätze, Badeanstalten, Restaurants, Messen, Kinos, Diskotheken, Geschäfte und Einkaufszentren, aber auch privat betriebene Transportmittel wie Bus, Tram, Bahn oder Flugzeug.

Auch hier kommen die stets geltenden Selbsthilferechte wie Notwehr, Notstand, die entsprechenden Hilfsleistungen für Dritte (Nothilfe, Notstandshilfe) sowie das Hausrecht zum Tragen. Darüber hinaus haben die privaten Betreiber jedoch noch weitergehende, zusätzliche Sicherheitsbefugnisse. Innert gewisser Grenzen sind die privaten Organisatoren rechtlich verantwortlich für den ordnungsgemässen Ablauf ihrer Veranstaltungen. Die mangelhafte Organisation oder Durchführung eines Anlasses kann unter Umständen eine zivilrechtliche Haftung mit Schadenersatzansprüchen auslösen.

Da die im halböffentlichen Raum zur Aufrechterhaltung der Ordnung erlaubten Sicherheitsmassnahmen weder durch das Hausrecht noch durch die anderen Selbsthilferechte abgedeckt sind, braucht es dafür eine besondere Rechtsgrundlage. Diese besteht regelmässig in einer vertraglichen Einwilligung. Mit der Inanspruchnahme einer vertraglichen Leistung, z.B. durch den Kauf eines Eintritts- oder Transportbilletts, wird auch die Zustimmung zu Sicherheitsmassnahmen erteilt, die Eingriffe in die persönliche Freiheit darstellen. Dabei ist allerdings genau darauf zu achten, welche Massnahmen von der Einwilligung gedeckt sind und welche nicht.

Das Verhältnismässigkeitsprinzip spielt hier eine wesentliche Rolle. Damit lässt sich folgende Abgrenzung vornehmen: ­

Gestützt auf die vertragliche Einwilligung der Betroffenen zulässige private Sicherheitsmassnahmen in halböffentlichen Räumen sind beispielsweise: Eingangskontrollen, Interventionen zur räumlichen Trennung von Personengruppen (z.B. Fangruppen) Durchsuchungen, wenn sie im Zusammenhang mit der Sicherheit des betreffenden Anlasses stehen, Konfiskation von Gegenständen, wenn sie im Zusammenhang mit der Sicherheit des betreffenden Anlasses steht, Aufnahme der Personalien.

­

Nicht zulässig wären dagegen eigentliche erkennungsdienstliche Massnahmen durch die privaten Betreiber.

648

4.2.4

Öffentlicher Raum

Im öffentlichen Raum, d.h. in Örtlichkeiten, die sich keinem Privaten zuordnen lassen, kann privates Sicherheitspersonal grundsätzlich keine über die jedermann zustehenden Selbsthilferechte (Notwehr, Notstand) und Hilfsleistungen für Dritte (Nothilfe, Notstandshilfe) hinausgehenden Eingriffsrechte beanspruchen. Die Aufrechterhaltung der Ordnung im öffentlichen Raum ist definitionsgemäss Sache des Staates. Für zusätzliche private Eingriffsrechte braucht es eine spezielle Ermächtigung durch den Gesetzgeber im Rahmen einer Aufgabendelegatio (vgl. Ziff. 4.4).

Ohne diese besondere Ermächtigung ist die Grenze im öffentlichen Raum wie folgt zu ziehen: ­

Neben den Selbsthilferechten zulässig sind reine Präventivaktivitäten, die nicht in die persönliche Freiheit Anderer eingreifen, wie z.B. private Patrouillengänge in Wohnquartieren. Wird eine Gefährdung der öffentlichen Ordnung oder ein anderes ungewöhnliches Ereignis festgestellt, kann nur durch eine Benachrichtigung der staatlichen Sicherheitsorgane Abhilfe geschaffen werden. Delinquierende Personen dürfen bis zum Eintreffen der staatlichen Ordnungskräfte für kurze Zeit festgehalten werden (Festhalterecht).

­

Ohne besondere Aufgabendelegation nicht zulässig sind Zwangseingriffe aller Art, welche in die persönliche Freiheit der Betroffenen eingreifen und über die Selbsthilferechte hinausgehen. Darunter fallen z.B. Identitätskontrollen, die Konfiskation von Gegenständen oder Strassensperren.

4.2.5

Privater Personenschutz und Sicherung des Transports von Gütern und Wertsachen

Obwohl sie im öffentlichen Raum stattfinden, handelt es sich beim Personenschutz und bei der Sicherung des Transports von Gütern und Wertsachen insofern um Sonderfälle, als sie einem individuellen Schutzbedürfnis zugeordnet werden können, d.h. punktuell konzentriert, für die Allgemeinheit erkennbar und abgrenzbar sind.

Das Verhältnismässigkeitsprinzip erlaubt unter diesen Umständen weiter gehende private Aktivitäten als sonst im öffentlichen Raum: ­

Zulässig sind nicht nur vorsorgliche Massnahmen wie Beobachtung und Überwachung, sondern z.B. auch die Abschirmung der zu schützenden Personen bzw. Fahrzeuge durch Fernhaltung von Personen aus der unmittelbaren Nähe der zu schützenden Objekte, wenn dies in einem verhältnismässigem Mass (Freihaltung des unmittelbaren Umkreises, nicht aber Strassensperre) geschieht.

­

Ohne besondere, gesetzlich vorgesehene Aufgabendelegation (vgl. Ziff. 4.4) unzulässig sind dagegen über die Selbsthilferechte (Notwehr, Notstand) und die entsprechenden Hilfsleistungen für Dritte (Nothilfe, Notstandshilfe) hinausgehende Zwangsanwendungen aller Art, die in die persönliche Freiheit der Betroffenen eingreifen. Darunter fallen z.B. Identitätskontrollen, die Konfiskation von Gegenständen, Strassensperren oder Wegweisungen. Die Abgrenzung zwischen zulässigen Selbsthilferechten und unzulässigen Zwangseingriffen kann allerdings gelegentlich heikel werden: Während präventiver Zwang unzulässig ist, kann im Fall einer unmittelbaren Gefahren649

abwehr für Leib und Leben allenfalls sogar der Einsatz von Schusswaffen durch privates Sicherheitspersonal eine zulässige Selbsthilfe sein.

4.3

Die Grenzen der Privatisierung

Die Gewährleistung elementarer privater Sicherheitsbedürfnisse und die Durchsetzung der öffentlichen Ordnung gehören zweifellos zu den notwendigen Staatsaufgaben. Eine Privatisierung43 dieser Aufgaben wäre de iure zwar möglich, da die Bundesverfassung ebenso wie die kantonalen Verfassungen keine autochthonen materiellen Schranken kennt. De facto ist sie aber ausgeschlossen, weil durch eine Beseitigung oder auch nur Aushöhlung des Gewaltmonopols die Legitimation, d.h.

letztlich die Existenzberechtigung des Staates an sich, in Frage gestellt würde.

Eine Privatisierung ist deshalb nur in Randbereichen, nicht aber im Kernbereich der Sicherheits- und Polizeitätigkeit denkbar. In der Literatur diskutiert werden eher periphere Aufgaben wie die heute teilweise von der Polizei wahrgenommene präventive Kriminalitätsberatung oder auch technische Hilfs- und Kontrolltätigkeiten im Strassenverkehr44.

Ob eine Tätigkeit im Polizei- bzw. Sicherheitsbereich zu den staatlichen Kernaufgaben gehört, deren Privatisierung faktisch ausgeschlossen ist, oder ob es sich um einen privatisierbaren Randbereich handelt, muss fallweise geprüft werden. Im Vordergrund stehen dabei namentlich folgende einschränkenden Kriterien: ­

Hohes Risiko physischer Zwangsanwendung: Aktivitäten, bei denen zum Zwecke der Gefahrenabwehr oder der Störungsbeseitigung von vornherein mit unmittelbaren physischen Zwangseingriffen zu rechnen ist (z.B. bewaffnete Interventionen zur Durchsetzung oder Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung, Festnahmen, erhebliche Einschränkung der Bewegungsfreiheit durch eine längere Festhaltung von Personen), müssen als notwendige Aufgaben dem Staat vorbehalten bleiben und sind de facto nicht privatisierbar.

­

Grundrechtseingriffe: Dort, wo mit erheblichen Grundrechtseingriffen zu rechnen ist, wird eine Privatisierung nicht in Frage kommen. Im Falle unmittelbarer physischer Zwangsanwendung (bewaffnete Interventionen zur Durchsetzung oder Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung, Festnahmen bzw. eine über das eng limitierte Festhalterecht gegenüber delinquierenden Personen hinausgehende Einschränkung der Bewegungsfreiheit) spricht bereits das notwendige staatliche Gewaltmonopol gegen eine Privatisierung. Mit massiven Grundrechtseingriffen sind aber auch präventive Massnahmen wie z.B. Telefonabhörungen, Eingriffe in das Postgeheimnis oder Personenüberwachungen verbunden. Solche Massnahmen müssen ebenfalls dem Staat vorbehalten bleiben.

43 44

650

D.h. die vollständige Entlassung einer Aufgabe aus der staatlichen Verantwortlichkeit, vgl. Ziff. 2.3.

Vgl. Gamma, a.a.O.(Fn. 6), S. 157­59. Immerhin gibt es polizeiinterne Schätzungen, wonach ca. 30­40 % der täglichen Polizeiarbeit nicht zum eigentlichen Kernbereich polizeilicher Tätigkeit gehören, ibid., S. 127.

­

Gleichmässige Versorgung mit Sicherheit (rechtsgleiche Behandlung): Der Staat ist bei den von ihm wahrgenommenen Aufgaben zu einer rechtsgleichen Behandlung verpflichtet. Die Privatisierung von Teilen der staatlichen Tätigkeit im Polizei- und Sicherheitsbereich hat dort ihre Grenzen, wo eine gleichmässige Gewährleistung der öffentlichen Sicherheit nicht mehr garantiert werden könnte. So ist es kaum vorstellbar, dass die lokale Gefahrenabwehr privatisiert wird, weil dann nur jene Personen (bzw. Strassen, Quartiere) Schutz erhielten, die sich diesen auch wirtschaftlich leisten könnten. Ist die öffentliche Hand alleine nicht in der Lage, einen wirksamen Schutz zu vertretbaren Kosten anzubieten, so kommt allenfalls und in gewissen Grenzen ein unterstützender Beizug Privater mittels Aufgabendelegation in Frage, bei der die oberste Verantwortung beim Gemeinwesen verbleibt (vgl.

Ziff. 4.4).

4.4

Die Delegation staatlicher Sicherheitsaufgaben an Private: verfassungsrechtliche Schranken

Für den Bund hält Artikel 178 Absatz 3 BV fest, dass «Verwaltungsaufgaben ...

durch Gesetz Organisationen und Personen des öffentlichen oder des privaten Rechts übertragen werden [können], die ausserhalb der Bundesverwaltung stehen».

In den Kantonen ist jeweils gesondert zu prüfen, ob die Rechtslage mit derjenigen im Bund vergleichbar ist oder ob eine Delegation staatlicher Aufgaben an Private eine spezifische Ermächtigung durch die Kantonsverfassung voraussetzt.

Gemäss einhelliger Lehre und Praxis ist eine Aufgabendelegation überdies nur zulässig, wenn sie folgende, in Artikel 5 Absatz 1 und 2 BV für jegliches staatliche Handeln und in Artikel 36 Absätze 1­3 BV für Grundrechtseinschränkungen festgehaltenen drei Schranken beachtet: ­

sie stützt sich auf eine genügende gesetzliche Grundlage45;

­

sie liegt im öffentlichen Interesse;

­

sie wahrt das Verhältnismässigkeitsprinzip.

4.4.1

Gesetzliche Grundlage

Wie jede Delegation von Verwaltungsaufgaben benötigt auch die Delegation von Aufgaben im Sicherheits- und Polizeibereich an Private eine formelle gesetzliche Grundlage. Dies nicht nur wegen des anerkannten Grundsatzes, dass jedes staatliche Handeln gesetzlich verankert sein muss (Legalitätsprinzip), sondern zusätzlich auch wegen der Durchbrechung des in der Verfassung angelegten Organisationsprinzips, wonach der Staat seine Aufgaben grundsätzlich selber wahrnimmt46.

45 46

Für den Bund schreibt dies Art. 178 Abs. 3 BV explizit vor.

Die Delegation von Aufgaben des Bundes an Private ist somit regelmässig als «wichtige rechtsetzende Bestimmung» im Sinne von Artikel 164 Absatz 1 BV zu betrachten, welche die Form eines Bundesgesetzes erfordert.

651

Damit ist aber noch nicht gesagt, welche Inhalte schon im formellen Gesetz geregelt werden müssen. Die Lehre knüpft häufig an das Kriterium der «hoheitlichen Handlungen» an47. Gelegentlich tut dies auch der Gesetzgeber, so beispielsweise in Artikel 17 der Asylverordnung 1, wonach das zuständige Bundesamt zur Sicherstellung des Betriebs der Asylempfangsstellen Dritte «mit nicht hoheitlichen Aufgaben» beauftragen kann48. Die Differenzierung zwischen hoheitlichen und nicht hoheitlichen Staatsaufgaben mag juristisch oftmals sinnvoll sein. Einige fundamentale praktische Probleme, die im Zusammenhang mit der Sicherheitstätigkeit Privater entstehen, können damit jedoch nicht gelöst werden. Aus Sicht der betroffenen Privatpersonen entscheidend ist nicht primär die Hoheitlichkeit einer Aufgabe, sondern die reale Möglichkeit der unmittelbaren Zwangsanwendung und das damit einhergehende Risiko von Eingriffen in geschützte Grundrechtspositionen. So kann privates Sicherheitspersonal, das zur Aufrechterhaltung der Ordnung und Sicherheit im halböffentlichen Raum (z.B. Stadien, Flugplätze) oder auf öffentlichem Grund Hilfsaufgaben nicht hoheitlicher Art an der Seite der Polizei wahrnimmt, in eskalierende Situationen hineingeraten, die auf eine gewaltsame Auseinandersetzung zulaufen. Die wichtigsten Fragen zu den Eingriffsbefugnissen und Eingriffsmitteln, zur Organisation des privaten Sicherheitspersonals und zu den staatlichen Kontrollbzw. Aufsichtsmechanismen müssen deshalb bereits auf der formellen gesetzlichen Ebene beantwortet werden.

In zwei kürzlich in die Vernehmlassung gegebenen Gesetzesentwürfen des Bundes, die beide den Sicherheits- und Polizeibereich betreffen, wird versucht, diesen Anforderungen gerecht zu werden.

­

Der Entwurf vom 23. Februar 2005 des Bundesgesetzes über den Sicherheitsdienst der Transportunternehmen (BGST)49 soll das bereits über 120-jährige Bundesgesetz über die Bahnpolizei ablösen50. Der BGSTEntwurf regelt nicht nur Zweck und Aufgaben (Art. 2) und die Grundzüge der Organisation der Sicherheitsdienste (Art. 3), sondern auch die einzelnen Eingriffsbefugnisse wie Personenbefragungen, Ausweiskontrollen, Anhalteund Wegweisungsrecht, Abnahme von Gegenständen zur Beweissicherung (Art. 5) und die Schranken bei den Einsatzmitteln (unmittelbare Zwangsanwendung nur gegen Personen, welche die angebotene Transportdienstleistung «stören», Art. 5 Abs. 4 i.V. m. Art. 5 Abs. 1 des Entwurfs).

­

Der Vorentwurf des Bundesgesetzes über die Anwendung von Zwang im Ausländerrecht und beim Transport von Personen im Auftrag der Bundesbehörden (Zwangsanwendungsgesetz [ZAG])51, der am 24. November 2004 in die Vernehmlassung geschickt wurde, sieht explizit vor, dass die Behörden für die Erfüllung ihrer Aufgaben auch Private beiziehen können (Art. 1 Abs. 1 Bst. c des Entwurfs). Auch der ZAG-Entwurf umschreibt neben dem

47 48 49 50

51

652

So z.B. Gamma, a.a.O. (Fn. 6), S. 204.

Asylverordnung 1 vom 11. August 1999 über Verfahrensfragen (AsylV 1, SR 142.311).

Für den Entwurf und die Botschaft zum BGST vgl. BBl 2005 2573 ff.

Bundesgesetz vom 18. Februar 1878 betreffend Handhabung der Bahnpolizei, (SR 742.147.1). Gemäss Artikel 12 Absatz 1 dieses Erlasses bezeichnet «[j]ede Bahngesellschaft ... diejenigen Beamten und Angestellten, welche zur Ausübung der Bahnpolizei berechtigt sind ...». Gestützt darauf ist eine Delegation von Sicherheitsaufgaben auch an Private möglich, vgl. dazu Ziffer 3.4.1.

Für den Entwurf und die Botschaft zum ZAG vgl. Internetseite des Bundesamtes für Justiz, http://www.ofj.admin.ch/d/index.html, Rubrik «Rechtsetzung», Stichwort «Zwangsanwendung».

Zweck der Zwangsanwendung (Art. 3) die Schranken der Einsatzmittel wie z.B. die Grenzen des physischen Gewalteinsatzes, die zulässigen und verbotenen Hilfsmittel (Art. 3­4 und Art. 6­8), sowie die einzelnen Zwangsanwendungsbefugnisse (Art. 9­11).

In anderen Fällen begnügt sich der Bundesgesetzgeber allerdings noch immer mit blossen Ermächtigungsklauseln, ohne den Zweck, das Ausmass oder die mit der Delegation an Private verbundenen Eingriffsbefugnisse näher zu spezifizieren: ­

Artikel 22 Absatz 2 des Bundesgesetzes vom 21. März 199752 über Massnahmen zur Wahrung der inneren Sicherheit (BWIS) ermächtigt den Bundesrat, die öffentliche Aufgabe des Schutzes der Behörden, der Personen und der Gebäude des Bundes an private Sicherheitsdienste zu delegieren.

Die Verordnung vom 27. Juni 200153 über das Sicherheitswesen in Bundesverantwortung (VSB) regelt die Aufgaben der in den Artikeln 22 bis 24 BWIS mit dem Schutz der Personen und Gebäude beauftragten Organe (vgl.

Art. 1 VSB). Gemäss Artikel 3 dieser Verordnung können die zuständigen Behörden zur Überwachung von Bundesbauten «private Schutzdienste» beiziehen, «wenn das eigene Personal verstärkt werden muss» (Abs. 1). Ein Beizug ist auch möglich «für Anlässe des Bundes, gegebenenfalls zur Verstärkung der Polizei» (Abs. 2). Gestützt auf Absatz 3 der genannten Bestimmung kann das EJPD die Anforderungen festlegen, welche die privaten Sicherheitsdienste «für einen Einsatz beim Bund erfüllen müssen»54.

­

Gemäss Artikel 6 Absatz 2 Buchstabe b der Verordnung vom 2. Mai 1990 über den Schutz militärischer Anlagen55 kann die Über- und Bewachung militärischer Anlagen auch von vertraglich damit betrauten Personen oder Unternehmen wahrgenommen werden.

Im letztgenannten Fall stützt sich die Delegation sogar nur auf Verordnungsrecht.

4.4.2

Öffentliches Interesse

Im Unterschied zur Privatisierung (Ziffer 4.3) verbleibt bei der Aufgabendelegation an Private die letzte Verantwortung für die richtige Aufgabenerfüllung weiterhin beim Staat56. Anders als Private, die ihren eigenen Tätigkeiten nachgehen, sind Private, die staatliche Aufgaben wahrnehmen, an die Grundrechte gebunden, wie Artikel 35 Absatz 2 BV57 klarstellt. Auch kann der Staat die Delegation per Gesetzesänderung jederzeit rückgängig machen. Deshalb besteht bei den öffentlichen

52 53 54 55 56

57

SR 120.

SR 120.72.

Von dieser Delegation hat das Departement noch keinen Gebrauch gemacht.

Verordnung vom 2. Mai 1990 über den Schutz militärischer Anlagen (Anlageschutzverordnung); SR 510.518.1.

Artikel 19 Absatz 1 Buchstabe a des Bundesgesetzes vom 14. März 1958 über die Verantwortlichkeit des Bundes sowie seiner Behördemitglieder und Beamten (Verantwortlichkeitsgesetz, SR 170.32) sieht für Schäden, die eine mit öffentlich-rechtlichen Aufgaben des Bundes betraute private Organisation verursacht, eine subsidiäre Bundeshaftung vor.

«Wer staatliche Aufgaben wahrnimmt, ist an die Grundrechte gebunden und verpflichtet, zu ihrer Verwirklichung beizutragen.»

653

Interessen, die für eine Aufgabendelegation sprechen können, mehr Spielraum als im Fall einer Privatisierung.

Öffentliche Interessen für die Aufgabendelegation an Private im Sicherheits- und Polizeibereich sind z.B. die ökonomischere Leistungserbringung durch Private oder die Möglichkeit einer Effizienzsteigerung bei der Aufgabenerfüllung (Konzentration der staatlichen Kräfte auf zentrale Sicherheits- und Polizeieinsätze). Ein öffentliches Interesse kann grundsätzlich in folgenden Fällen bejaht werden: ­

Wichtige Bedürfnisse der öffentlichen Sicherheit und Ordnung können mit staatlichen Mitteln allein nicht genügend gewährleistet werden. Eine rein staatliche Lösung würde einen unverhältnismässigen Ressourceneinsatz bedingen.

­

Private sind, z.B. wegen besonderer Kenntnisse oder Vertrautheit mit den Umständen, besser geeignet, Überwachungsaufgaben wahrzunehmen: Zu denken ist beispielsweise an den Einbezug ehemaliger Fans in die Kontrolle und Überwachung potentiell problematischer Fangruppen bei Sportveranstaltungen in Stadien.

­

Die Delegation staatlicher Sicherheitsaufgaben an Private deckt Ausnahmebedürfnisse ab, welche die staatlichen Kapazitäten punktuell überfordern.

Bei lange im Voraus geplanten Grossveranstaltungen kann ein sinnvoller Ressourceneinsatz des Staates beispielsweise erfordern, dass klar definierte, erfahrungsgemäss unproblematische Aufgaben des Ordnungsdienstes an Private delegiert werden, damit der Staat noch über genügend Einsatzkräfte für andere Sicherheitsaufgaben, namentlich auch für unvorhersehbare Krisensituationen, verfügt.

4.4.3

Verhältnismässigkeit

Die Delegation staatlicher Sicherheitsaufgaben an Private ist wie alle staatlichen Akte an das Verhältnismässigkeitsprinzip gebunden. Das heisst etwa, dass beispielsweise die Kantone nicht einfach ihre gesamten Polizeitätigkeiten durch private Sicherheitsdienste ausführen lassen könnten, weil diese billiger arbeiten: Hier würde es nicht nur an einem öffentlichen Interesse, sondern auch an der Verhältnismässigkeit fehlen.

Dies bedeutet aber auch, dass bei der Prüfung der Verhältnismässigkeit, wie schon bei der gesetzlichen Grundlage (Ziffer 4.4.1), besonders strenge Anforderungen zu stellen sind, wenn die Delegation Zwangsmassnahmen betrifft, welche die Grundrechte der Betroffenen tangieren könnten. Die Verhältnismässigkeit basiert stets auf einer Interessenabwägung zwischen dem Anliegen der Allgemeinheit, mit einem effizienten Ressourceneinsatz eine optimale öffentliche Sicherheit zu erlangen und dem Anliegen potentiell Betroffener, in ihren Grundrechten geschützt zu sein. Da der Sicherheits- und Polizeibereich besonders sensible Fragen aufwirft, ist diese Interessenabwägung häufig bereits auf der formellen Gesetzesstufe zu treffen. Einschränkend sollen insbesondere folgende Kriterien in die Abwägung einfliessen: ­

654

Zurückhaltung bei der Delegation von Befugnissen, die zu einer unmittelbaren Zwangsanwendung gegen Personen führen können: Wie bereits bei der gesetzlichen Grundlage (Ziff. 4.4.1) gezeigt, sollten nicht nur der Einsatz-

zweck, sondern auch Voraussetzungen und Mittel eines Einsatzes bereits auf der Ebene des formellen Gesetzes festgelegt werden.

­

Zurückhaltung bei Anordnungen bzw. Massnahmen mit Zwangscharakter, wenn keine Dringlichkeit gegeben ist: Eine solche Zurückhaltung entspricht dem Grundgedanken eines eher subsidiären Beizugs Privater im Sicherheitsund Polizeibereich. Das öffentliche Interesse legitimiert eine private Mitwirkung bei der Erfüllung des öffentlichen Sicherheitsauftrags insbesondere auch zur Abdeckung von Ausnahmebedürfnissen (vgl. Ziff. 4.4.2).

4.5

Die für private Sicherheitstätigkeiten relevante Bundesgesetzgebung

Obwohl das private Sicherheitsunternehmen erfassende Recht in der Schweiz hauptsächlich auf der kantonalen Ebene angesiedelt ist, kommt bei bestimmten Aktivitäten solcher Firmen auch Bundesrecht zur Anwendung, namentlich etwa die Waffengesetzgebung. Gegenüber dem Ausland erbrachte Leistungen militärischer Art können somit besonderen bundesrechtlichen Vorschriften unterworfen sein. Der vorliegende Bericht setzt sich auch mit den Sanktionsmöglichkeiten des Strafrechts bzw. des Militärstrafrechts bei Delikten, die durch privates Sicherheitspersonal begangen wurden, auseinander. Von Interesse sind dabei insbesondere allfällige im Rahmen von Auslandsoperationen begangene Delikte.

4.5.1

Die Waffen- und Kriegsmaterialgesetzgebung des Bundes

Das Waffengesetz (WG)58 schränkt die Befugnisse von Privatpersonen und privaten Organisationen im Sicherheits- und Polizeibereich ein. Das Gesetz gilt sowohl für nichtkommerzielle als auch kommerzielle Aktivitäten Privater.

Der Erwerb von Waffen im Handel erfordert einen Waffenerwerbsschein (Art. 8 WG), der von besonderen persönlichen Voraussetzungen abhängig gemacht wird.

Verschiedene Bestimmungen im Gesetz und in der ausführenden Waffenverordnung (WV)59 verlangen, dass eine Person sowohl charakterlich als auch aufgrund ihrer Fähigkeiten in der Lage ist, mit der Waffe umzugehen, ohne Andere zu gefährden (vgl. Art. 8 Abs. 2 WG und Art. 32 Abs. 1 WV). Auch dort, wo ein Waffenerwerb ohne Erwerbsschein möglich ist, nämlich beim Erwerb von Privaten, muss sich die veräussernde Person über das Vorliegen dieser Voraussetzungen vergewissern.

Wer in der Öffentlichkeit eine Waffe tragen will, benötigt eine Waffentragbewilligung (Art. 27 Abs. 1 WG), die von der zuständigen Behörde des Wohnsitzkantons für maximal fünf Jahre ausgestellt wird (Art. 27 Abs. 3 WG). Diese Bewilligung wird nur erteilt, wenn (kumulativ) die Voraussetzungen für die Erteilung eines Waffenerwerbsscheins erfüllt sind, wenn glaubhaft gemacht wird, dass die Waffe zum Selbstschutz oder zum Schutz anderen Personen bzw. Sachen wirklich benötigt 58 59

Bundesgesetz vom 20. Juni 1997 über Waffen, Waffenzubehör und Munition (Waffengesetz [WG]), SR 514.54.

Verordnung vom 21. September 1998 über Waffen, Waffenzubehör und Munition (Waffenverordnung, [WV]), SR 514.541.

655

wird und wenn eine Prüfung zu Fragen der Handhabung und der rechtlichen Voraussetzungen des Waffeneinsatzes bestanden wird (Art. 8 Abs. 2 WV). Ausdruck der durch das Verhältnismässigkeitsprinzip gesetzten Schranken ist Artikel 31 WV, wonach eine Waffe «nur so lange mitgeführt werden [darf], als es für die Tätigkeit, die dazu berechtigt, angemessen erscheint» (Abs. 1) und sich beim Mitführen von Hand- und Faustfeuerwaffen in den Magazinen keine Munition befinden darf (Abs. 2).

Hinzuweisen ist auch auf das Bundesgesetz vom 13. Dezember 199660 über das Kriegsmaterial, das die Herstellung und den Handel mit Kriegsmaterial regelt, wobei auch der Transfer immaterieller Güter, welche in einem Zusammenhang mit Kriegsmaterial stehen, erfasst wird.

4.5.2

Die Embargogesetzgebung

Das Bundesrecht verbietet Aktivitäten im Zusammenhang mit der Lieferung militärischer Güter und Dienstleistungen nicht in umfassender Weise, enthält jedoch diesbezüglich einige Spezialvorschriften. So kann der Bund gestützt auf das Bundesgesetz vom 22. März 200261 über die Durchsetzung von internationalen Sanktionen Zwangsmassnahmen ergreifen, um internationale Sanktionen durchzusetzen, welche die Respektierung des Völkerrechts bezwecken. Diese Massnahmen können insbesondere den Güter- und Dienstleistungsverkehr einschränken, aber auch Verbote oder Bewilligungspflichten vorsehen (Art. 1 Abs. 1 und 3 EmbG). Der Bund machte von dieser Ermächtigung Gebrauch und erliess eine Anzahl von Verordnungen62.

4.5.3

Strafrechtliche Verantwortlichkeit für im Ausland begangene Delikte

Da es nicht auszuschliessen ist, dass private Sicherheitsunternehmen von schweizerischem Staatsgebiet aus im Ausland aktiv werden oder Schweizer Staatsangehörige für Auslandoperationen rekrutiert werden, muss geprüft werden, inwieweit im Ausland begangene Delikte vom schweizerischen Strafrecht erfasst werden. Die Motion Wyss 04.3748 wirft unter Anderem auch die Frage auf, ob Verbrechen von Angestellten privater Sicherheitsunternehmen, die im Auftrag der Schweiz handeln, verfolgt werden. Zunächst ist somit zu prüfen, unter welchen Voraussetzungen das schweizerische Recht eine Verfolgung solcher Delikte zulässt. Für die Frage der Verfolgbarkeit vor einer internationalen Gerichtsbarkeit wird überdies auf Ziffer 5.5.2 verwiesen.

60 61 62

656

Kriegsmaterialgesetz (KMG); SR 514.51.

Embargogesetz (EmbG); SR 946.231.

Die im Zusammenhang mit der Embargogesetzgebung erlassenen Verordnungen werden auf der Internetseite des Staatsekretariates für Wirtschaft (seco) publiziert und sind unter folgender Adresse abrufbar: www.seco.ch.

4.5.3.1

Individuelle Verantwortlichkeit

Das schweizerische Strafgesetzbuch63 ahndet verschiedene Delikte, die im Zusammenhang mit der Tätigkeit privater Sicherheitsunternehmen relevant werden können, wie beispielsweise die «verbotene[n] Handlungen für einen fremden Staat» (Art. 271 StGB), die «Feindseligkeiten gegen einen Kriegführenden oder fremde Truppen» (Art. 300 StGB), die «Verletzung fremder Gebietshoheit» (Art. 299 StGB) und der «Nachrichtendienst gegen fremde Staaten» (Art. 301 StGB).

Zudem könnten gewisse Bestimmungen des schweizerischen Militärstrafgesetzes vom 13. Juni 192764 auf das Personal privater Sicherheitsunternehmen anwendbar sein, wenn bestimmte persönliche Voraussetzungen erfüllt sind. Eine Anwendbarkeit wäre beispielsweise gegeben bei «Personen, die der Truppe folgen, ohne ihr direkt anzugehören» (Art. 4 Ziff. 1 MStG), bei Zivilisten, welche in Kriegszeiten bestimmte im Gesetz genannte Delikte begehen (Art. 4 Ziff. 2 MStG) oder auch bei Personen, die sich im Rahmen eines bewaffneten Konflikts zusammen mit anderen Personen, welche dem Militärstrafrecht unterstehen, an einem Delikt gegen das Völkerrecht beteiligen (Art. 6 Abs. 1 MStG).

Das Militärstrafgesetz stellt insbesondere folgende Delikte unter Strafe: Feindseligkeiten gegen einen Kriegführenden oder fremde Truppen (Art. 92 MStG, Neutralitätsverletzung), Nachrichtendienst gegen fremde Staaten (Art. 93 MStG, Neutralitätsverletzung), fremder Militärdienst (Art. 94 MStG, Schwächung der Wehrkraft), Verletzung vertraglicher Leistungspflichten (Art. 97 MStG), Verletzung militärischer Geheimnisse (Art. 106 MStG) und Verletzungen des Völkerrechts im Falle bewaffneter Konflikte (Art. 108­114 MStG).

Eine vom Personal einer privaten Sicherheitsfirma vorgenommene Handlung gilt als rechtmässig, wenn sie aufgrund auf eines Gesetzes, einer Amts- oder einer Berufspflicht geboten ist (Art. 32 StGB)65, wenn sich die handelnde Person in einer Notwehrsituation befindet (Art. 33 StGB)66 oder wenn sie im Notstand gehandelt hat (Art. 34 StGB)67. Gleich wie das Strafgesetzbuch sieht auch das Militärstrafgesetz

63

64

65

66

67

StGB; SR 311.0. Der allgemeine Teil des Strafgesetzbuches wurde einer Revision unterzogen, vgl. Änderung des StGB vom 13. Dezember 2002, BBl 2002 8240 ff. Der Bundesrat hat das Datum des Inkrafttretens noch nicht bestimmt. Vorläufig vorgesehen ist der 1. Januar 2007.

MStG; SR 321.0. Das Militärstrafgesetz wurde einer Revision unterzogen, vgl. Änderung des Militärstrafgesetzes vom 21. März 2003, BBl 2003 2808 ff. Der Bundesrat hat das Datum des Inkrafttretens noch nicht bestimmt. Vorläufig vorgesehen ist der 1. Januar 2007.

Im Unterschied zu Artikel 32 StGB beschränkt Artikel 14 des Revisionsentwurfs StGB vom 13. Dezember 2002 die Rechtfertigungsgründe auf die gesetzliche Pflicht bzw. die gesetzliche Ermächtigung. Die Amts- und die Berufspflicht werden nicht mehr erwähnt.

Der Revisionsentwurf StGB vom 13. Dezember 2002 enthält die rechtfertigende (Art. 15) und die entschuldbare Notwehr (Art. 16): Die erste Bestimmung entspricht in der Substanz dem geltenden Artikel 33 Absatz 1 StGB, die zweite dem geltenden Artikel 33 Absatz 2 StGB.

Der Revisionsentwurf StGB vom 13. Dezember 2002 enthält den rechtfertigenden (Art. 17) und den entschuldbaren Notstand (Art. 18): Die erste Bestimmung entspricht in der Substanz dem geltenden Artikel 34 Ziffer 1 StGB, die zweite übernimmt ­ mit zwei Änderungen ­ den Grundsatz von Artikel 34 Ziffer 1 Absatz 2 StGB.

657

vor, dass Notwehr- und Notstandshandlungen rechtmässig sind (Art. 25 bzw. 26 MStG)68.

Haben die Täterin oder der Täter ihre Taten im Ausland begangen, findet das schweizerische Strafgesetzbuch in folgenden Konstellationen Anwendung: ­

Es wurde ein Verbrechen oder Vergehen gegen den Staat begangen (Art. 4 StGB)69.

­

(1) Es wurde ein Verbrechen oder Vergehen gegen eine Schweizerin oder einen Schweizer begangen; (2) die Tat ist auch am Begehungsort strafbar; (3) die Täterin oder der Täter befindet sich entweder schon in der Schweiz und wird nicht an das Ausland ausgeliefert oder sie bzw. er wird wegen dieser Tat vom Ausland an die Schweiz ausgeliefert (Art. 5 StGB). Diese Bestimmung verankert das passive Personalitätsprinzip.

­

(1) Das Verbrechen oder Vergehen wurde von einer Person schweizerischer Nationalität begangen; (2) die Tat ist auch am Begehungsort strafbar; (3) das schweizerische Recht lässt für diese Tat die Auslieferung zu und (4) die Täterin bzw. der Täter befindet sich entweder schon in der Schweiz oder wird der Schweiz wegen dieser Tat ausgeliefert (Art. 6 StGB). Diese Bestimmung verankert das aktive Personalitätsprinzip.

­

Es wurde ein Verbrechen oder Vergehen begangen, dessen Verfolgung die Schweiz in einem internationalen Übereinkommen zugesagt hat (Art. 6bis StGB)70. Diese Bestimmung erweitert den Geltungsbereich des schweizerischen Strafrechts, indem sie die Schweizer Behörden verpflichtet, eine Strafverfolgung selbst in Fällen einzuleiten, die nicht unter das Territorialprinzip oder das Personalitätsprinzip fallen, wenn folgende Voraussetzungen erfüllt sind: (1) Die Täterin oder der Täter befindet sich in der Schweiz; (2) es kommt zu keiner Auslieferung ins Ausland; (3) die Tat ist sowohl in der Schweiz als auch am Begehungsort strafbar; (4) die Schweiz hat sich im Rahmen eines völkerrechtlichen Vertrags verpflichtet, die Tat zu verfolgen.

Die einzelnen internationalen Verträge, die in den Geltungsbereich von Artikel 6bis StGB fallen, werden in dieser Bestimmung nicht aufgezählt.

Weiter ist auch auf den Artikel 7 des Revisionsentwurfs StGB vom 13. Januar 2002 hinzuweisen, dessen Absatz 2 den Anwendungsbereich des schweizerischen Strafrechts erweitert, indem es das Prinzip der stellvertretenden Strafrechtspflege verankert. Diese Bestimmung erfasst Fälle, in denen Täterinnen oder Täter, die nicht über das Schweizer Bürgerrecht verfügen, im Ausland an einem ausländischen Opfer ein Verbrechen oder ein Vergehen begehen. In solchen Fällen ist eine Verfolgung durch die schweizerischen Behörden möglich, wenn (kumulativ) folgende Voraussetzungen erfüllt sind: (1) Die Tat ist auch am Begehungsort strafbar oder der Begehungsort unterliegt keiner Strafbarkeit; (2) die Täterin oder der Täter befindet sich in der Schweiz oder wird ihr wegen der betreffenden Tat ausgeliefert; (3) obwohl die Tat 68

69 70

658

Der Revisionsentwurf zum Militärstrafrecht vom 21. März 2003 enthält die Rechtfertigungsgründe der gesetzlich erlaubten Handlungen (Art. 15), der rechtfertigenden Notwehr (Art. 16), der entschuldbaren Notwehr (Art. 16a), des rechtfertigenden Notstandes (Art. 17) und des entschuldbaren Notstandes (Art. 17a).

Die Artikel 3 und 4 des Revisionsentwurfs StGB vom 13. Dezember 2002 entsprechen in der Substanz den geltenden Artikeln 3 und 4 StGB.

Artikel 6 des Revisionsentwurfs StGB vom 13. Dezember 2002 entspricht in der Substanz dem geltenden Artikel 6bis StGB.

nach schweizerischem Recht eine Auslieferung zulässt, findet keine solche statt; (4) ein Auslieferungsbegehren wurde aus einem Grund abgewiesen, der nicht die Art der Tat betrifft; (5) die Täterin oder der Täter hat ein besonders schweres Verbrechen begangen, das von der internationalen Rechtsgemeinschaft geächtet wird.

Gemäss Artikel 9 Absatz 1 MStG findet das Militärstrafrecht auf in der Schweiz und im Ausland begangene strafbare Handlungen Anwendung. Die Schweiz beansprucht die primäre Zuständigkeit, ihre Staatsangehörigen, welche in der Schweiz oder im Ausland eine verbotene Tat im Sinne des Militärstrafrechts begangen haben, aber auch Ausländerinnen und Ausländer, die in der Schweiz ein solches Delikt begangen haben, strafrechtlich zu verfolgen. Mit dem Erlass des neuen Absatzes 1bis71 wurde das umfassende Prinzip von Artikel 9 Absatz 1 MStG etwas enger gefasst bzw.

relativiert: Ausländerinnen und Ausländer, die im Ausland eine Verletzung des Völkerrechts im Falle bewaffneter Konflikte (Art. 108­114 MStG) begehen, werden nur unter drei kumulativen Voraussetzungen von schweizerischen Gerichten beurteilt, nämlich dann, (1) wenn sie sich in der Schweiz befinden (Bst. a); (2) wenn sie einen engen Bezug zur Schweiz haben (Bst. b) und (3) wenn sie weder an das Ausland ausgeliefert noch einem internationalen Strafgericht überstellt werden können (Bst. c). Die Artikel 218 bis 223 MStG enthalten weitere die Militärgerichtsbarkeit betreffende Zuständigkeitsregeln.

Auf der internationalen Ebene ist das Römer Statut des Internationalen Strafgerichtshofs vom 17. Juli 1998 zu erwähnen72 (vgl. auch die Ziff. 5.5.2.3 und 5.5.2.4).

Artikel 1 des Statuts weist dem Internationalen Strafgerichtshof eine die innerstaatliche Strafgerichtsbarkeit ergänzende Funktion zu. Seine Zuständigkeit beschränkt sich auf die schwersten Verbrechen, welche die internationale Gemeinschaft in ihrer Gesamtheit treffen. Dies sind der Völkermord, die Verbrechen gegen die Menschlichkeit, die Kriegsverbrechen und das Verbrechen der Aggression (Art. 5 des Statuts).

4.5.3.2

Verantwortlichkeit des Unternehmens

Gestützt auf Artikel 100quater StGB73 kann ein vom Personal eines Unternehmens verübtes Delikt die strafrechtliche Verantwortlichkeit des Unternehmens selber zur Folge haben, wenn das Delikt im Unternehmen begangen wurde und die Begehung «in Ausübung geschäftlicher Verrichtung im Rahmen des Unternehmenszwecks» erfolgte.

Diese objektiven Tatbestandsvoraussetzungen dienen dazu, den Geltungsbereich von Artikel 100quater StGB einzuschränken. Es soll vermieden werden, dass ein Unternehmen für alle erdenklichen strafbaren Handlungen verantwortlich gemacht wird.

Die strafrechtliche Verantwortlichkeit des Unternehmens ist auf verbotene Verhaltensweisen, in denen sich typische, mit den erlaubten und üblicherweise ausgeübten Geschäftsaktivitäten verbundene Risiken materialisieren, zu limitieren.

71 72

73

AS 2004 2694; BBl 2003 767 ff.

SR 0.312.1. Um das materielle Strafrecht dem Römer Statut anzupassen und die Strafverfolgung des Völkermords, der Verbrechen gegen die Menschlichkeit und der Kriegsverbrechen zu erleichtern, wird das schweizerische Strafgesetzbuch gegenwärtig revidiert.

Artikel 102 des Revisionsentwurfs StGB vom 13. Dezember 2002 entspricht im Wesentlichen dem geltenden Artikel 100quater StGB.

659

Artikel 100quater Absatz 1 StGB begründet eine subsidiäre Verantwortlichkeit des Unternehmens: Dieses kann nur verantwortlich gemacht werden, wenn das in Frage stehende Verbrechen oder Vergehen wegen mangelhafter Organisation des Unternehmens keiner bestimmten natürlichen Person zugerechnet werden kann. Im Zusammenhang mit Sicherheitsfirmen dürften die Delikte in der Regel einer bestimmten natürlichen Person zugeordnet werden können, so dass nicht auf die strafrechtliche Verantwortlichkeit der Unternehmung zurückgegriffen werden muss.

Absatz 2 der betreffenden Bestimmung geht über Absatz 1 hinaus, indem für bestimmte Straftaten eine primäre Verantwortlichkeit des Unternehmens festgelegt wird, welche unabhängig von oder parallel zur Verantwortlichkeit der natürlichen Person zur Anwendung kommt.

Hinsichtlich der örtlichen Voraussetzungen trifft ein den Tatbestand von Artikel 100quater StGB erfüllendes Unternehmen eine strafrechtliche Verantwortlichkeit und es untersteht schweizerischer Gerichtsbarkeit, wenn das Delikt in der Schweiz verübt wurde. Diese Bestimmung gilt auch für Firmen, die ihren Sitz im Ausland haben74. Dies entspricht dem Territorialitätsprinzip, nach welchem ein ausländisches Unternehmen für Delikte, die es in der Schweiz begangen hat, hier auch strafrechtlich zur Verantwortung gezogen werden kann. Wurde die Straftat im Ausland verübt, sind die beiden folgenden Konstellationen zu unterscheiden: ­

Artikel 4 StGB (im Ausland gegen den Staat begangene Verbrechen oder Vergehen): In diesem Fall kann das Unternehmen in der Schweiz strafrechtlich verfolgt werden, unabhängig davon, ob sich sein Sitz in der Schweiz oder im Ausland befindet75.

­

Artikel 5 StGB (im Ausland gegen schweizerische Staatsangehörige verübte Verbrechen oder Vergehen), Artikel 6 StGB (Verbrechen oder Vergehen von Schweizern im Ausland) und Artikel 6bis StGB (andere Verbrechen oder Vergehen im Ausland): In diesen Fällen ist eine Strafverfolgung in Anwendung von Artikel 100quater StGB einzig gegen ein Unternehmen mit Sitz in der Schweiz möglich76. Eine schweizerische Strafverfolgung kann ausserdem gegen Personen oder eine Unternehmung eingeleitet werden, die von der Schweiz aus als Mittäter zur (teilweise) im Ausland begangenen Tat beigetragen haben. Es ist allerdings darauf hinzuweisen, dass diese Thematik noch zahlreiche von der Rechtsprechung bis anhin nicht behandelte Fragen offen lässt.

Mit dem Ziel der Angleichung des Militärstrafrechts an die in Revision befindlichen Bestimmungen des allgemeinen Teils des Strafgesetzbuches wurden im Revisionsentwurf zum MStG vom 21. März 2003 die zwei Artikel 59a und 59b zur strafrechtlichen Verantwortlichkeit des Unternehmens eingefügt. Diese beiden Bestimmungen decken sich ungefähr mit den Artikeln 100quater und 100quinquies StGB77.

74 75 76 77

660

Alain Macaluso, La responsabilité pénale de l'entreprise, Commentaire des art. 100quater et 100quinquies CP, Zurich 2004, S. 177, Rz. 1028.

Alain Macaluso, S. 177, Rz. 1034.

Alain Macaluso, S. 177, Rz. 1036.

Alain Macaluso, S. 196­197, Rz. 1150­1155.

4.6

Rechtliche Behandlung des «Know How»-Transfers beim Wechsel vom öffentlichen Dienst zu privaten Sicherheitsfirmen

In ihrer Motion 04.3748 «Schaffung rechtlich verbindlicher Bestimmungen über den Umgang der Schweiz mit privaten Militärunternehmen und Sicherheitsfirmen» vom 16. Dezember 2004 spricht Nationalrätin Ursula Wyss am Rande auch die Problematik des «Know-How»-Transfers durch ehemalige hohe Militärfunktionäre an, die nach ihrem Austritt aus den öffentlichen Dienst eine entgeltliche Beratungstätigkeit bei privaten Militärunternehmen ausüben. Mit Blick auf die rechtliche Beurteilung solcher Tätigkeiten sind verschiedene Konstellationen zu unterscheiden:

78 79

80 81

­

Geheimhaltungspflichten: Arbeitnehmende sind auch nach ihrem Austritt aus dem Dienstverhältnis zur Wahrung der Amts-, Geschäfts- und Berufsgeheimnisse verpflichtet. Die Pflicht zur Verschwiegenheit erstreckt sich auf Geschäfte, die aufgrund von Vorschriften oder wegen ihrer Natur geheim zu halten sind. Die Geheimhaltungspflicht gilt sowohl in privatrechtlichen Arbeitsverhältnissen (Fabrikations- und Geschäftsgeheimnis)78 als auch im öffentlichen Dienst79. Eine Verletzung der Geheimhaltungspflichten zieht auch nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses eine strafrechtliche Verantwortlichkeit nach sich80.

­

Konkurrenzverbot: Die Geheimhaltungspflicht beschränkt sich auf den relativ engen Kreis von Amts- und Berufsgeheimnissen. Das ganze beruflich erworbene Know-how in Sinn von Fähigkeiten, allgemeinem Wissen und Erfahrung kann sie dagegen nicht umfassen, denn dies käme faktisch einem Berufsverbot gleich. Das Grundrecht der Wirtschaftsfreiheit schützt aber «den freien Zugang zu einer privatwirtschaftlichen Erwerbstätigkeit und deren freie Ausübung». Für privatrechtliche Arbeitsverhältnisse sehen die Artikel 340 ff. OR allerdings die Möglichkeit vor, ein Konkurrenzverbot zu vereinbaren, das nach der Beendigung des Arbeitsverhältnisses wirksam wird81. Der Bundesrat ist der Ansicht, «dass zwar die entsprechenden Bestimmungen des Obligationenrechts (Art. 340 ff. OR) grundsätzlich auch für die Arbeitsverhältnisse beim Bund Anwendung finden können, dies jedoch in der Praxis nur unter sehr restriktiven Voraussetzungen möglich ist.

Eine solche Freiheitsbeschränkung muss einerseits durch ein überwiegendes öffentliches Interesse legitimiert werden. Auch muss die neue Tätigkeit des ehemaligen Bundesangestellten tatsächlich in Konkurrenz mit seiner früheren Bundestätigkeit stehen. Dies ist jedoch nur in wenigen Bereichen der Artikel 321a Absatz 4 OR.

Artikel 22 des Bundespersonalgesetzes vom 24. März 2000 [BPG], SR 172.220.1 und Artikel 94 Absatz 2 der Bundespersonalverordnung vom 3. Juli 2001 [BPV], SR 172.220.111.3. Der Arbeitgeber soll, wie die Geschäftsprüfungsdelegation der eidgenössischen Räte für den Bund festhält, die Arbeitnehmenden beim Austritt schriftlich an ihre Geheimhaltungspflicht erinnern, wobei er z.B. die wichtigsten geheim zu haltenden Themen auflisten und sich die Geheimhaltungsverpflichtung unterschriftlich bestätigen lassen kann, vgl. Jahresbericht 2004 der Geschäftsprüfungskommissionen und der Geschäftsprüfungsdelegation der eidgenössischen Räte vom 21.1.2005; BBl 2005 1889 ff., 1925.

Artikel 320­321ter StGB.

Erforderlich ist eine schriftliche Vereinbarung zwischen dem Arbeitgeber und den Arbeitnehmenden (Art. 340 Abs. 1 OR). Diese wird häufig bereits bei Vertragsabschluss stipuliert. Eine einseitige Verfügung durch den Arbeitgeber ist nicht möglich.

661

Fall.»82 Namentlich bei militärischen Dienstleistungen ist eine Konkurrenz des Bundes mit privaten Anbietern kaum vorstellbar83.

4.7

Gesetzgebungskompetenz bei der Ausübung privatwirtschaftlicher Tätigkeiten (Art. 95 Abs. 1 BV)

Gestützt auf Artikel 95 Absatz 1 BV kann der Bund Vorschriften über die Ausübung privatwirtschaftlicher Tätigkeiten erlassen. Diese Verfassungsbestimmung räumt dem Bund eine sehr breite Gesetzgebungskompetenz ein84. Obwohl er davon bislang noch keinen Gebrauch gemacht hat, könnte der Bund demnach Regelungen über die Tätigkeit privater Sicherheitsunternehmen treffen, insbesondere um Polizeigüter zu schützen. Es handelt sich um eine konkurrierende Kompetenz. Die Kantone haben ­ wie in Ziffer 4.8 gezeigt wird ­ mehrheitlich eigene Regelungen erlassen.

4.8

Kantonales Recht

Da der Bund von seiner Gesetzgebungskompetenz keinen Gebrauch gemacht hat, findet sich die Polizeigesetzgebung zu den privaten Sicherheitsunternehmen heute vorwiegend im kantonalen Recht, wie nachstehend ausgeführt wird.

4.8.1

Das Konkordat der Westschweizer Kantone über die Sicherheitsunternehmen und andere kantonale Rechtsordnungen

Alle Westschweizer Kantone sind dem Konkordat vom 18. Oktober 1996 über die Sicherheitsunternehmen (nachstehend: Konkordat) beigetreten. Dieses legt gemeinsame Regeln fest, welche die Tätigkeit der Sicherheitsunternehmen und ihres Personals bestimmen. Das Konkordat statuiert eine Bewilligungspflicht für alle Aktivitäten im Bereich der Sicherheit. Neun andere Kantone85 haben gesetzliche Bestimmungen zu den privaten Sicherheitsunternehmen erlassen, die gleich wie das Konkordat jegliche derartige Aktivität vom Einholen einer Bewilligung abhängig macht. Elf weitere Kantone86 kennen dagegen keine Bewilligungspflicht. In drei 82 83

84

85 86

662

Jahresbericht 2004 der Geschäftsprüfungskommissionen und der Geschäftsprüfungsdelegation der eidgenössischen Räte vom 21.1.2005; BBl 2005 1889 ff., 1925.

Artikel 58 BV weist die Verantwortung für die Organisation und den Einsatz der Armee dem Bund und in geringem Mass den Kantonen zu. Das Militär gehört zu den Kernbereichen des staatlichen Gewaltmonopols. Eine Konkurrenzierung der Armee durch private militärische Aktivitäten ist im Inland somit nicht möglich. Bei militärischen Auslandeinsätzen wäre eine Konkurrenzsituation zwar grundsätzlich denkbar, allerdings verbietet Art. 66a Abs.2 des Bundesgesetzes über die Armee und die Militärverwaltung vom 3. Februar 1995 (Militärgesetz [MG], SR 510.10) Kampfeinsätze selbst zur Friedenserzwingung, weshalb diese Konstellation hier ebenfalls ausscheidet.

Jean-François Aubert/Pascal Mahon, Petit commentaire de la Constitution fédérale de la Confédération suisse du 18 avril 1999, Zurich/Bâle/Genève 2003, zu Art. 95 BV, S. 743, § 5.

AR, BL, BS, LU, NW, SG, SO, TG und TI.

AG, AI, BE, GL, GR, OW, SH, SZ, UR, ZG und ZH.

dieser Kantone87 muss jede im Sicherheitsbereich tätige Person immerhin folgende Pflichten beachten: Information der Polizei über getroffene oder vorgesehene Massnahmen und alle besonderen Vorkommnisse, Stillschweigen über alle im Zusammenhang mit der Tätigkeit der Polizei gemachten Beobachtungen sowie Verzicht auf jegliche Aktivitäten, welche die Polizei bei der Erfüllung ihres Auftrags stören könnten88.

Das Konkordat und die einschlägige kantonale Gesetzgebung erfassen folgende Aktivitäten: Personenschutz, Be- bzw. Überwachung von Bauten und beweglichen Objekten sowie Transport von Wertsachen. Gewisse kantonale Gesetze nennen auch die Überwachung gefährlicher Güter.

Spezialbestimmungen, die Auslandsaktivitäten von in der Schweiz niedergelassenen Unternehmen regeln, gibt es nicht. In welchem Umfang die Ausübung solcher Tätigkeiten einer Bewilligungspflicht unterliegt, hängt vom Recht desjenigen Kantons ab, in dem das Unternehmen seinen Sitz hat. So verlangen die Konkordatskantone eine Bewilligung zur Ausübung der im Konkordat bezeichneten Aktivitäten nicht nur für ihr eigenes Gebiet, sondern auch für den Betrieb einer Sicherheitsfirma in einem anderen Konkordatskanton. Die übrigen Kantone, die über ein Bewilligungssystem verfügen, begnügen sich mit der Umschreibung der bewilligungspflichtigen Aktivitäten89 oder bestimmen, dass die Bewilligungspflicht die auf ihrem Territorium ausgeübten Tätigkeiten erfasst90.

Das Konkordat und diejenigen kantonalen Rechtsordnungen, die ein Bewilligungssystem kennen, stellen gewisse persönliche Anforderungen an die für das Unternehmen verantwortlichen Personen. Solche sind die schweizerische Staatsangehörigkeit oder eine Niederlassungsbewilligung, die Ausübung der bürgerlichen Rechte, das Fehlen einer strafrechtlichen Verurteilung und von Betreibungen. Einzig das Konkordatsrecht sieht eine kantonale Prüfung für die Verantwortlichen der Unternehmen vor.

Für das Personal der Sicherheitsunternehmen gilt in verschiedenen Kantonen ebenfalls eine Bewilligungspflicht. Das Konkordatsrecht erlaubt eine Einstellung unter ähnlichen persönlichen Voraussetzungen, wie sie auch für die Verantwortlichen der Unternehmen gelten. Diejenigen der übrigen Kantone, die eine Bewilligungspflicht kennen91, verlangen eine solche in der Regel auch für das Firmenpersonal.

Vier nicht dem
Konkordat angehörige Kantone92 führen ein öffentlich zugängliches Register. Demgegenüber enthält das Konkordat keine Bestimmung in dieser Richtung. Im Rahmen ihrer Ausführungsgesetzgebung erliess jedoch die Mehrzahl der Konkordatskantone ergänzende Bestimmungen. In zwei Kantonen93 werden die Bewilligungen im offiziellen amtlichen Publikationsorgan veröffentlicht.

87 88 89 90 91 92 93

BE, SH und ZH.

Die Angaben zum kantonalen Recht stützen sich auf eine vom Institut für Föderalismus der Universität Freiburg im Auftrag des BJ verfasste Studie.

AR, BL, BS, LU, SG, SO.

NW, TG und TI.

AR, BL, BS, LU, NW, SG, TG.

AR, SO, SG und TG.

VD und TI.

663

Mehrere kantonale Rechtsordnungen94 sehen ausdrücklich vor, dass im Sicherheitsbereich tätige natürliche oder juristische Personen keine hoheitlichen Befugnisse besitzen, oder dass polizeiliche Zwangsmassnahmen und strafrechtliche Ermittlungen in die Zuständigkeit der Polizei fallen.

Einzig das Konkordatsrecht bestimmt explizit, dass sich die Gewaltanwendung von im Sicherheitsbereich tätigen Privatpersonen auf die erlaubte Notwehr und den Notstand im Sinne des schweizerischen Strafgesetzbuchs beschränken muss.

Mit Bezug auf den Erwerb und des Tragen von Waffen verweisen das Konkordatsrecht und verschiedene kantonale Gesetze auf entsprechende Spezialgesetze. Der Kanton St.Gallen untersagt das Tragen von Waffen ohne besondere Bewilligung der dafür zuständigen Behörde, insbesondere beim Personenschutz und beim Transport von Wertsachen.

Die Mehrzahl der Konkordatskantone erliess Ausführungsbestimmungen für den Einsatz von Hunden.

Im Kanton Genf soll ein Gesetz über die Ausbildung der im Sicherheitsdienst tätigen Personen geschaffen werden. Auch der Kanton Tessin möchte sein Recht revidieren und das eidgenössische Brevet für im Sicherheitsbereich tätige Personen als obligatorisch erklären.

4.8.2

Die «Musterbestimmungen» der Konferenz der Kantonalen Polizeikommandanten der Schweiz

Auf Ersuchen des Verbands Schweizerischer Sicherheitsdienstleistungs-Unternehmen (VSSU) erarbeitete die Konferenz der Kantonalen Polizeikommandanten der Schweiz (KKPKS) so genannte «Musterbestimmungen» für den Bereich der privaten Sicherheitsunternehmen95. Den Kantonen soll empfohlen werden, diese «Musterbestimmungen» in ihr eigenes Recht einfliessen zu lassen. Aufgrund punktuell aufgetretener Schwierigkeiten gewisser Unternehmen, die einschlägigen Standesregeln zu respektieren, erachtete die VSSU die Ausarbeitung von Richtlinien als sinnvoll, um eine einheitliche kantonale Praxis insbesondere bezüglich der Erteilung von Bewilligungen zum Betrieb privater Sicherheitsfirmen zu fördern.

Die «Musterbestimmungen» der KKPKS sind vom solothurnischen Recht inspiriert.

Die für die privaten Sicherheitsfirmen verantwortlichen Personen benötigen eine Bewilligung, wenn sie in folgenden Bereichen tätig werden wollen: Personenschutz, Bewachung und Objektschutz, Durchführung von Werttransporten, Wahrnehmung von Sicherheitsaufgaben im Auftrag des Gemeinwesens, Tätigkeit als Privatdetektiv.

Die Namen der sich im Besitze einer Bewilligung befindlichen Personen werden veröffentlicht. Alle für die Ausübung von Sicherheitsaufgaben eingestellten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter müssen der kantonalen Bewilligungsbehörde gemeldet werden. Die gesetzlich festgelegte Kompetenzaufteilung zwischen den kantonalen und kommunalen Polizeikorps einerseits und den privaten Sicherheitsunternehmen andererseits wird in den «Musterbestimmungen» ausdrücklich vorbehalten. Zusätzlich wird noch präzisiert, dass die Erteilung einer Bewilligung keine hoheitlichen 94 95

664

AG, BL, BS, LU, NW, SG, SO, VD und ZH.

Die interdepartementale Arbeitsgruppe hatte Gelegenheit, eine Vertreterin der KKPKS anzuhören.

Befugnisse verleiht. Die «Musterbestimmungen» regeln auch die Zusammenarbeit mit der Polizei und führen unter Anderem aus, dass die Bewilligungsinhaberinnen und -inhaber alles zu unterlassen haben, was zu Verwechslungen mit Polizeiorganen führen könnte. Insbesondere muss sich die Uniform von derjenigen der Polizistinnen und Polizisten unterscheiden. Hinsichtlich des Tragens von Waffen wird auf die einschlägige Gesetzgebung des Bundes verwiesen.

Die «Musterbestimmungen» der KKPKS wurden in die Vernehmlassung geschickt.

Die eingegangenen Stellungnahmen fielen insgesamt positiv aus. Die Vernehmlassungsadressatinnen und -adressaten sprachen sich für eine einheitliche Lösung aus, beispielsweise in der Form eines Konkordats. Die Vernehmlassungsergebnisse lassen hingegen nicht auf ein spezifisches Bedürfnis betroffener Kreise nach einer Bundesregelung schliessen. Die Option eines Beitritts der übrigen Kantone zum Konkordat der Westschweizer Kantone wurde nicht mehr weiter verfolgt. Mehrere Kantone halten die formellen Erfordernisse, die das Konkordat zur Erteilung einer Bewilligung für die Einstellung von Personal verlangt, für zu restriktiv.

Die «Musterbestimmungen» der KKPKS haben keine Gesetzeskraft. Sie sollen jedoch die Kantone veranlassen, einheitliche Regelungen zu erlassen. Die Kantone der Romandie müssten ihre heutige Praxis nicht ändern, da sie dem Konkordat angehören.

5

Der völkerrechtliche Rahmen

Das Völkerrecht regelt die Aktivitäten privater Sicherheitsunternehmen in Konfliktgebieten nicht explizit. Spezifische Völkerrechtsnormen gibt es lediglich hinsichtlich der Söldnerthematik (Ziff. 5.1). Relevant sind jedoch die allgemeinen Regeln des Völkerrechts, des Humanitären Völkerrechts und unter Umständen der Menschenrechte (Ziff. 5.2 bis 5.4). Schliesslich auferlegt das Neutralitätsrecht den neutralen Staaten gewisse Pflichten (Ziff. 5.7).

665

5.1

Völkerrechtliche Regeln in Bezug auf das Söldnerwesen

5.1.1

Art. 47 des Ersten Zusatzprotokolls von 1977

Das Humanitäre Völkerrecht enthält mit Artikel 47 des Ersten Zusatzprotokolls von 1977 (ZP I)96, das von der grossen Mehrheit der Staaten ratifiziert wurde, lediglich eine Bestimmung, die spezifisch Söldner betrifft97.

Wie dem ersten Absatz dieser Bestimmung zu entnehmen ist, verbietet Artikel 47 ZP I das Söldnerwesen nicht, obwohl dies in den Verhandlungen über diese Bestimmung v.a. afrikanische Staaten gewünscht hatten. Aufgrund von Artikel 47 ZP I kann Söldnern jedoch der privilegierte Status eines Kombattanten oder Kriegsgefangenen verweigert werden. Insbesondere können somit Söldner im Gegensatz zu Kombattanten bzw. Kriegsgefangenen für den blossen Umstand der aktiven Teilnahme am bewaffneten internationalen Konflikt vom gegnerischen Staat strafrechtlich zur Verantwortung gezogen werden.

Ein Staat ist jedoch nicht dazu gezwungen, den Kriegsgefangenenstatus zu verweigern; der Söldner hat lediglich «keinen Anspruch» auf diesen. Auch sind Söldner selbst bei Verweigerung des Kriegsgefangenenstatus nicht völlig schutzlos, sondern geniessen etwa den in Artikel 75 ZP I verankerten Mindestschutz, der völkergewohnheitsrechtlichen Charakter hat.

Die Bedeutung von Artikel 47 ZP I ist in der Praxis jedoch verschwindend klein. Die sechs in Absatz 2 aufgezählten und kumulativen Bedingungen sind derart restriktiv und deshalb oft schwierig zu beweisen, dass Arbeitnehmende eines privaten Sicherheitsunternehmens kaum darunter fallen. Die Mehrheit der privaten Militärunternehmen bietet zwar inhärent militärische Dienstleistungen an, jedoch nur selten eine unmittelbare Teilnahme an Feindseligkeiten. Nicht zuletzt können Staatsangehörige einer Konfliktpartei definitionsgemäss keine Söldner sein. Effektiv ist davon auszugehen, dass selbst von den militärische Funktionen ausübenden und in Konfliktsituationen tätigen Angestellten privater Sicherheitsunternehmen nur ein geringer Teil allenfalls als Söldner qualifiziert werden könnte.

96

97

666

Zusatzprotokoll vom 8. Juni 1977 zu den Genfer Abkommen vom 12. August 1949 über den Schutz der Opfer internationaler bewaffneter Konflikte (Protokoll I) (mit Anhängen), SR 0.518.521.

Artikel 47 trägt den Titel «Söldner» und lautet: «1. Ein Söldner hat keinen Anspruch auf den Status eines Kombattanten oder eines Kriegsgefangenen.

2. Als Söldner gilt, a) wer im Inland oder Ausland zu dem besonderen Zweck angeworben ist, in einem bewaffneten Konflikt zu kämpfen, b) wer tatsächlich unmittelbar an Feindseligkeiten teilnimmt, c) wer an Feindseligkeiten vor allem aus Streben nach persönlichem Gewinn teilnimmt und wer von oder im Namen einer am Konflikt beteiligten Partei tatsächlich die Zusage einer materiellen Vergütung erhalten hat, die wesentlich höher ist als die den Kombattanten der Streitkräfte dieser Partei in vergleichbarem Rang und mit ähnlichen Aufgaben zugesagte oder gezahlte Vergütung, d) wer weder Staatsangehöriger einer am Konflikt beteiligten Partei ist noch in einem von einer am Konflikt beteiligten Partei kontrollierten Gebiet ansässig ist, e) wer nicht Angehöriger der Streitkräfte einer am Konflikt beteiligten Partei ist und f) wer nicht von einem nicht am Konflikt beteiligten Staat in amtlichem Auftrag als Angehöriger seiner Streitkräfte entsandt worden ist.»

5.1.2

Relevante Instrumente der UNO und einzelner Regionalorganisationen

Die Diskussion des Söldnerwesens in den Vereinten Nationen wurde und wird wesentlich durch postkoloniale Erfahrungen geprägt. Zur Zeit der Dekolonialisierung wurden mehrere der damals im Entstehen begriffenen Staatswesen und nach Unabhängigkeit strebenden Regimes direkt durch Söldnerformationen bedroht. Die aufgrund dieser Erfahrungen redigierten UNO-Instrumente bezwecken nicht zuletzt die Verhinderung des Einsatzes von Söldnern gegen legitime Regierungen und deren Selbstbestimmung.

1970 verabschiedete die UNO-Generalversammlung die Deklaration 2625 (XXV) über die Prinzipien des Völkerrechts betreffend die freundschaftlichen Beziehungen und die Zusammenarbeit zwischen den Staaten («Friendly Relations Declaration»).

Diese Deklaration ist nicht formell bindend, wird aber als eines der grundlegenderen Dokumente der Vereinten Nationen und Interpretation der UNO-Charta angesehen.

Das erste in der Deklaration präzisierte Prinzip ist jenes des (völkergewohnheitsrechtlichen) Gewaltverbots, also des die Staaten betreffenden Verbots jeder Androhung oder Anwendung von Gewalt in den internationalen Beziehungen, die gegen die territoriale Unversehrtheit oder politische Unabhängigkeit eines Staates gerichtet oder sonst mit den Zielen der Vereinten Nationen unvereinbar ist. Eine der Konkretisierungen lautet: «Jeder Staat hat die Pflicht, die Organisation oder Förderung der Organisation von irregulären (Streit-)Kräften oder bewaffneten Banden (), einschliesslich von Söldnern, zum Eindringen in das Territorium eines anderen Staates zu unterlassen.»

Diese Deklaration von 1970 statuiert somit eine staatliche Pflicht, Söldner nicht gegen die territoriale Integrität oder Unabhängigkeit eines anderen Staates zu verwenden. Diese explizite Erwähnung des Söldnerwesens durch die UNO-Generalversammlung stellt ein Novum in der internationalen Behandlung des Söldnerwesens dar, weil das Völkerrecht sich zuvor mit dieser Thematik gar nicht befasst hatte.

Die Deklaration definiert allerdings nicht, was unter «irregulären (Streit-)Kräften oder bewaffneten Banden» zu verstehen ist.

Die heutige Afrikanische Union (AU, ehemals «Organisation of African Unity», OAU) nahm am 3. Juli 1977 eine Konvention zur Eliminierung des Söldnertums in Afrika an. Artikel 1 Absatz 1 dieser Konvention definiert Söldner fast wörtlich gleich wie Artikel 47 ZP I. Dies macht es wie bereits erwähnt in der Praxis schwierig, jemanden aufgrund der Konvention der AU juristisch als Söldner zu qualifizieren98. Die Konvention verbietet den Vertragsstaaten jedoch nicht jeglichen 98

Artikel 1 Absatz 2 der Konvention qualifiziert als Verbrechen etwa die Organisation, Finanzierung, Ausbildung oder andere Unterstützung oder Beauftragung von Söldnerbanden, wenn dies mit dem Ziel des bewaffneten Kampfs gegen einen Prozess der Selbstbestimmung oder gegen die territoriale Integrität eines anderen Staates geschieht. Auch Gruppen, Vereinigungen oder gar Vertragsstaaten können diese Verbrechen begehen. Ein Verbrechen ist auch das allenfalls passive Zulassen von Söldneraktivitäten durch einen Staat in von ihm kontrolliertem Gebiet, oder etwa die Ermöglichung des Transits oder Transportes von Söldnern. Artikel 3 verwehrt Söldnern den Status eines Kombattanten oder Kriegsgefangenen. Artikel 6 bestimmt sodann, dass Vertragsstaaten die Rekrutierung, Ausbildung, Finanzierung und Ausrüstung von Söldnern sowie Söldneraktivitäten durch Staatsangehörige oder Ausländer auf dem Territorium der betroffenen Staaten verhindern sollen.

667

Gebrauch von Söldnern, wie etwa deren Einsatz gegen dissidente Gruppen im eigenen Staat99.

Die UNO-Konvention gegen die Rekrutierung, Nutzung, Finanzierung und Ausbildung von Söldnern vom 4. Dezember 1989 definiert Söldner in Artikel 1 Absatz 1 in sehr ähnlicher Weise wie Artikel 47 ZP I. Dadurch ist es in der Praxis auch aufgrund der Definition der UNO-Konvention schwierig, jemanden als «Söldner» zu qualifizieren. Immerhin geht die Definition der UNO-Konvention leicht über jene des Ersten Zusatzprotokolls hinaus, indem sie nicht nur Situationen bewaffneter Konflikte berücksichtigt, sondern auch auf die organisierte Gewalt zum Sturz einer Regierung oder zu einer anderen Unterminierung der Verfassungsordnung oder der territorialen Integrität eines Staates anwendbar ist.

Die UNO-Konvention kriminalisiert die Rekrutierung, Finanzierung, Ausbildung und den Gebrauch von Söldnern sowie die aktive Teilnahme der Söldner selbst an organisierter Gewalt. Diese Aktivitäten sind durch die Vertragsstaaten zu verbieten.

Die UNO-Konvention trat erst mehr als ein Jahrzehnt nach ihrer Annahme in Kraft100. Die Schweiz hat die Konvention bisher nicht ratifiziert. Die Frage der Ratifikation der Konvention war in den 1990er Jahren nicht prioritär, zumal es bereits damals verschiedene Ansichten über deren Effektivität gab. Die UNOKonvention reflektiert kein Völkergewohnheitsrecht, wie die geringe Anzahl Ratifikationen deutlich macht.

5.1.3

Schlussfolgerung: Völkergewohnheitsrecht verbietet das Söldnerwesen nicht

Während Artikel 47 ZP I und die «Friendly Relations Declaration» der UNO das Söldnerwesen nicht verbieten, stellen sowohl die Konvention der AU von 1977 wie auch die UNO-Konvention von 1989 bei weitem keine universell akzeptierten Rechtsinstrumente dar. Somit verbietet das Völkergewohnheitsrecht das Söldnerwesen nicht und enthält auch keine spezifisch nur das Söldnerwesen einschränkende Normen.

Hinsichtlich der Konventionen der AU und jener der UNO ist zu bemerken, dass mehrere der dort festgelegten Definitionselemente derart restriktiv und schwierig zu beweisen sind, dass die praktische Relevanz der Konvention selbst für die vertraglich gebundenen Staaten beschränkt ist. Die beiden Konventionen befassen sich primär mit Individuen, welche gegen nationale Regierungen vorgehen und sind nicht zur Regulierung des Einsatzes privater Sicherheitsunternehmen in allgemeinen Konfliktsituationen bestimmt. Das Konzept des «Söldners» wird aus diesen Gründen teilweise als veraltet bezeichnet und für ungeeignet befunden, um das weiter entwi-

99

24 afrikanische Staaten haben den Vertrag ratifiziert, darunter z.B. Ägypten, Nigeria, Senegal, Sudan und Tunesien, nicht jedoch etwa Südafrika, Sierra Leone oder Libyen.

100 Gegenwärtig sind 26 Staaten durch die UNO-Konvention gebunden, einschliesslich etwa Angola, Neuseeland, Nigeria und die Demokratische Republik Kongo (früher: Zaire).

Sechs europäische Staaten haben die Konvention ratifiziert (Belgien, Italien, Kroatien, Ukraine, Weissrussland, Zypern) und vier unterschrieben (Deutschland, Polen, Rumänien, Serbien-Montenegro). Militärisch einflussreiche westliche Staaten wie die USA, Grossbritannien und Frankreich, aber auch Russland und die Volksrepublik China, sahen bisher von einer Ratifikation ab.

668

ckelte Phänomen privater Militär- und Sicherheitsunternehmen sinnvoll regeln zu können.

Somit sind die allgemeingültigen, eben nicht spezifisch nur die Söldner betreffenden Völkerrechtsnormen zu prüfen, um allfällige den Einsatz und das Verhalten privater Sicherheitsunternehmen regelnde Völkerrechtsnormen zu finden.

5.2

Allgemeines Völkerrecht

5.2.1

Allgemeine Prinzipien des Völkerrechts

Gemäss dem völkergewohnheitsrechtlichen, in Artikel 2 Absatz 4 der UNO-Charta verankerten Gewaltverbot ist es Staaten verboten, in den internationalen Beziehungen Gewalt anzudrohen oder anzuwenden, die gegen die territoriale Unversehrtheit oder politische Unabhängigkeit eines Staates gerichtet oder sonst mit den Zielen der Vereinten Nationen unvereinbar ist. Ausnahmen sind die individuelle oder kollektive Selbstverteidigung (Artikel 51 UNO-Charta) oder eine Resolution des UNOSicherheitsrats nach Kapitel VII der UNO-Charta. Wie bereits erwähnt besagt die «Friendly Relations Declaration» der UNO von 1970 zudem, dass Staaten die Organisation oder Förderung der Organisation irregulärer (Streit-)Kräfte oder bewaffneter Banden, einschliesslich Söldnern, zum Eindringen in das Territorium eines anderen Staates zu unterlassen haben. Die Staaten dürfen das Gewaltverbot und das Interventionsverbot («obligation of non-intervention») weder durch eigene Streitkräfte noch durch den Gebrauch privater Sicherheitsunternehmen verletzen.

5.3

Humanitäres Völkerrecht

5.3.1

Was ist der Inhalt des Humanitären Völkerrechts?

Das Humanitäre Völkerrecht wird auch das Recht der bewaffneten Konflikte, Kriegsvölkerrecht oder «ius in bello» genannt. Es ist nur in bewaffneten Konflikten anwendbar. Das Ziel dieses Rechtsgebiets ist die Milderung der Leiden potentieller Opfer und anderer negativer Effekte der Kriegsführung.

Zu den wichtigsten Rechtsquellen des Humanitären Völkerrechts gehören die vier Genfer Abkommen von 1949101 und ihre beiden Zusatzprotokolle von 1977102 sowie die Haager Landkriegsordnung von 1907103 und mehrere Konventionen, die spezifische Waffen verbieten oder deren Gebrauch einschränken. Praktisch alle Staaten der Erde haben die Genfer Abkommen ratifiziert, und auch die beiden Zusatzprotokolle sind für die grosse Mehrzahl der Staaten, einschliesslich der Schweiz, bindend.

Auch das Haager Recht geniesst breite Anerkennung. Ein relativ grosser Teil des Humanitären Völkerrechts ist denn auch völkergewohnheitsrechtlich verbindlich.

Die auf internationale bewaffnete Konflikte anwendbaren humanitärvölkerrechtlichen Bestimmungen sind immerhin erheblich zahlreicher und detaillierter als diejenigen, die in internen Konflikten Anwendung finden.

101 102 103

SR 0. 518.12; 0.518.23; 0.518.42; 0.518.51 SR 0.518.521; 0. 518.522 SR 0.515.21; 0.515.22

669

Das Humanitäre Völkerrecht enthält einerseits bestimmte Regeln, die im Hinblick auf sich im Machtbereich einer Konfliktpartei aufhaltende Personen (insbesondere die Zivilbevölkerung in besetzten Gebieten und Gefangene) zu beachten sind, etwa das Verbot der Folter, das Verbot der unmenschlichen Behandlung, das Verbot des Transfers der Zivilbevölkerung, oder die Freilassung von Gefangenen nach Ende des bewaffneten Konflikts. Weiter limitiert das Humanitäre Völkerrecht die Art und Weise der in bewaffneten Konflikten völkerrechtlich zulässigen Kampfführung. So sind etwa Angriffe auf geschützte Personen und Objekte wie etwa Zivilpersonen, zivile Objekte sowie Personal oder Objekte des Roten Kreuzes verboten. Angriffe auf militärische Ziele sind zudem dann verboten, wenn damit zu rechnen ist, dass dadurch Zivilpersonen oder zivile Objekte unverhältnismässig zu Schaden kommen.

Auch ist der Gebrauch bestimmter Waffen verboten, wie beispielsweise die Anwendung biologischer oder chemischer Waffen. Ebenso sind bestimmte Methoden der Kampfführung wie etwa die Perfidie oder der Missbrauch des Emblems des Roten Kreuzes ausgeschlossen. Besatzungsmächte haben weitere, spezifische Pflichten hinsichtlich der Bevölkerung und Verwaltung der besetzten Gebiete.

5.3.2

Anwendbarkeit des Humanitären Völkerrecht auf private Sicherheitsunternehmen

Das Humanitäre Völkerrecht richtet sich nicht nur an Staaten. Es enthält auch zahlreiche Bestimmungen, die von Individuen und sogar Zivilpersonen zu beachten sind. Das vielleicht bekannteste Beispiel ist der allen vier Genfer Abkommen104 gemeinsame Artikel 3, wonach Zivilisten, Angehörige bewaffneter Streitkräfte, welche die Waffen gestreckt haben sowie Personen, die wegen Krankheit, Verwundung oder Gefangennahme nicht (mehr) kampffähig sind, menschlich zu behandeln sind und nicht Angriffen auf Leib und Leben, Verstümmelungen, Folter oder grausamer Behandlung ausgesetzt werden dürfen. Alle Individuen, die aktiv an internen oder internationalen bewaffneten Konflikten teilnehmen, müssen ­ unabhängig von ihrer Nationalität ­ bestimmte Mindestregeln der Kriegsführung beachten, ob sie nun Mitglieder von Streitkräften, spontan zur Waffe greifende Zivilpersonen oder Angestellte privater Sicherheitsunternehmen sind. Dasselbe gilt für Individuen, die im Zusammenhang mit einem bewaffneten Konflikt gefangen genommene Personen beaufsichtigen.

5.3.3

Staatliche Pflichten hinsichtlich privater Sicherheitsunternehmen

Der den vier Genfer Abkommen gemeinsame Artikel 1 bestimmt, dass die Vertragsstaaten verpflichtet sind, die Genfer Abkommen unter allen Umständen einzuhalten und deren Einhaltung durchzusetzen. Somit haben die Staaten einerseits dafür zu sorgen, dass alle staatlichen Akteure das Humanitäre Völkerrecht einhalten. Darüber hinaus haben die Vertragsstaaten der Genfer Abkommen die Pflicht, auch darauf hinzuwirken, dass Dritte, seien dies nun andere Staaten oder Private, das Humanitäre Völkerrecht beachten. Staaten können sich ihren humanitärvölkerrechtlichen Verpflichtungen nicht dadurch entziehen, dass sie bestimmte Aufgaben an private 104

670

SR 0.518.12; 0.518.23; 0.518.42; 0.518.51

Unternehmen auslagern. Vielmehr haben sie dafür zu sorgen, dass private Sicherheitsunternehmen, die sie in Konfliktsituationen einsetzen, die ihren Gesellschaftssitz im betreffenden Staat haben oder die auf ihrem Territorium agieren, das Humanitäre Völkerrecht respektieren. Zudem sind die Vertragsstaaten dazu verpflichtet, unabhängig vom Tatort oder der Nationalität des Täters oder der Opfer insbesondere schwere Verletzungen der Genfer Abkommen zu ahnden.

5.4

Die Menschenrechte

5.4.1

Einhaltung der Menschenrechte als traditionelle Verpflichtung der Staaten

Als Teil des Völkerrechts verpflichten die Menschenrechte traditionell nur die Staaten gegenüber ihren Bürgern oder anderen Personen. Es ist die Pflicht der Staaten, dafür zu sorgen, dass die Menschenrechte von den für sie handelnden Akteuren respektiert werden.

Bei privaten Sicherheitsunternehmen, die von Staaten beauftragt werden, ohne zugleich auch in die staatlichen Streit- oder Polizeikräfte integriert zu werden, stellt sich insbesondere die Frage, ob sie als staatliche Akteure gelten und deshalb die völkerrechtlich verbrieften Menschenrechte zu beachten haben.

Ähnlich wie beim Humanitären Völkerrecht gilt hier ebenfalls, dass Staaten sich ihrer Menschenrechtspflichten nicht dadurch entledigen dürfen, dass sie gewisse Aufgaben an Private auslagern.

Die internationalen Menschenrechtskonventionen sind zudem auch in Situationen bewaffneter Konflikte anwendbar, wie der Internationale Gerichtshof105 und der UNO-Menschenrechtsausschuss106 bestätigt haben. Eine Ausnahme bilden diejenigen Menschenrechte, die gemäss den Vertragsbestimmungen derogierbar sind. Nicht derogierbar sind unter anderem das Recht auf Leben sowie das Verbot der Folter und der unmenschlichen Behandlung. Zudem bildet das Humanitäre Völkerrecht oft die «lex specialis», d.h. es sagt aus, wie ein konkretes Menschenrecht in der Situation eines bewaffneten Konflikts zu verstehen ist.

5.4.2

Direkte Anwendbarkeit der Menschenrechte auch für private Sicherheitsunternehmen?

Wenn private Sicherheitsunternehmen nicht von Staaten, sondern von Privatpersonen oder Firmen beauftragt werden, so sind sie eindeutig keine staatlichen Akteure.

In diesem Fall stellt sich die Frage, ob die Menschenrechte oder zumindest gewisse Menschenrechte auch auf die Beziehungen zwischen den Angestellten der privaten Sicherheitsunternehmen und anderen Privatpersonen einwirken können. Eine solche Horizontalwirkung der Menschenrechte ist umstritten.

105

Gutachten vom 9. Juli 2004, «Conséquences juridiques de l'édification d'un mur dans le territoire palestinien occupé».

106 General Comment No. 31 vom 29. März 2004.

671

Immerhin sei erwähnt, dass Private auch in Friedenszeiten unmittelbar aufgrund des Völkerrechts für grobe Verletzungen bestimmter Menschenrechte individuell strafbar sein können. Dies wird unter anderem durch das von der Schweiz ratifizierte Römer Statut des Internationalen Strafgerichtshofs von 1998107 bestätigt. Gemäss Artikel 7 des Römer Statuts können auch Private für Verbrechen gegen die Menschlichkeit, beispielsweise in der Form der Folter oder des zwangsweisen Verschwindenlassens von Personen, strafrechtlich verantwortlich werden.

5.5

Konsequenzen der Verletzung von Völkerrecht

Bisher sieht das Völkerrecht keine strafrechtliche Verantwortlichkeit von Unternehmen vor, die sich direkt auf völkerrechtliche Bestimmungen abstützt, obwohl es gewisse Bestrebungen in diese Richtung gibt. Sehr wohl aber können Individuen direkt gestützt auf das Völkerrecht strafrechtlich verantwortlich werden. Auch trifft die Staaten für von Privatunternehmen verursachte Schäden unter gewissen Umständen eine völkerrechtliche Verantwortung, etwa wenn sie ihre völkerrechtliche Pflicht, auf ihrem eigenen Gebiet keine Aktivitäten auszuüben oder zu dulden, die gravierende grenzübergreifende Schäden verursachen, missachten.

5.5.1

Staatenverantwortlichkeit

Völkerrechtswidrige Handlungen oder Unterlassungen, die Staaten völkerrechtlich zugerechnet werden können, lassen deren so genannte Staatenverantwortlichkeit entstehen. Wichtige Regeln der Staatenverantwortlichkeit finden sich in den das Völkergewohnheitsrecht reflektierenden «Draft Articles on Responsibility of State for Internationally Wrongful Acts» der «International Law Commission» der Vereinten Nationen (ILC).

Einem Staat zugerechnet werden kann zum einen ein völkerrechtswidriges Verhalten seiner Organe108. Zum andern kann ein völkerrechtswidriges Verhalten einer natürlichen Person, einer Gruppe von natürlichen Personen oder einer juristischen Person, die keine Staatsorgane sind, ebenfalls einem Staat zugerechnet werden, wenn die genannten Akteure aufgrund des Rechts dieses Staates ermächtigt sind, hoheitliche Tätigkeiten auszuüben oder wenn sie bei ihren Tätigkeiten faktisch auf Anweisung oder unter der Leitung oder Kontrolle dieses Staates handeln. Zudem wird das Verhalten einer Person oder Personengruppe nach dem Völkerrecht als Handeln eines Staates betrachtet, wenn die Person oder Personengruppe in Abwesenheit oder Ermangelung der öffentlichen Behörden tatsächlich hoheitliche Funktionen wahrnehmen und Umstände vorliegen, welche die Ausübung solcher hoheitlichen Funktionen erforderlich machen (Art. 5, 8 und 9 der ILC Draft Articles).

107 108

672

SR 0.312.1 Hierbei ist es irrelevant, ob das staatliche Organ legislative, exekutive, judikative oder andere Funktionen ausübt, welche Position es in der Staatsorganisation einnimmt, und ob es einer zentralen oder föderalen Einheit unterstellt ist (Art. 1, 2 und 4 der ILC Draft Articles).

Die Konsequenz dieser Staatenverantwortlichkeit ist die Verpflichtung zur vollständigen Wiedergutmachung (z.B. Wiederherstellung, Schadenersatz oder Genugtuung) gegenüber anderen geschädigten Staaten oder allenfalls auch gegenüber der «internationalen Gemeinschaft» (Teil 2 der ILC Draft Articles).

Somit können insbesondere Handlungen privater Sicherheitsunternehmen, die von Staaten beauftragt wurden, unter Umständen völkerrechtlich einem Staat zugerechnet werden.

Während die «Draft Articles» der ILC die Staatenverantwortlichkeit gegenüber anderen Staaten oder der internationalen Gemeinschaft umschreiben, gibt es auch für Einzelpersonen die Möglichkeit, vor bestimmten nationalen und internationalen Foren einen Staat zu belangen, der bestimmte Regeln des Völkerrechts verletzt hat (etwa das Humanitäre Völkerrecht oder die Menschenrechte). Die Untersuchung der verschiedenen nationalstaatlichen oder regionalen Möglichkeiten, einen Staat völkerrechtlich zur Verantwortung zu ziehen, übersteigt jedoch den Rahmen dieses Berichts.

5.5.2

Individuelle völkerstrafrechtliche Verantwortlichkeit

5.5.2.1

Einführung und Rechtsquellen

Gewisse Verletzungen des Völkerrechts resultieren in einer direkt auf Völkerrecht basierenden individualstrafrechtlichen Verantwortlichkeit. Die Rechtsquellen des einschlägigen Völkerstrafrechts sind zum einen bestimmte internationale Verträge wie die Genfer Abkommen109 oder die UNO-Folterkonvention von 1984110. Zum andern ist das Völkergewohnheitsrecht von herausragender Bedeutung. Dieses wurde durch die nationale und die internationale Praxis fortgebildet. Zur Bildung von Völkergewohnheitsrecht beigetragen haben beispielsweise nationale Gesetze, militärische Handbücher sowie geschriebene und ungeschriebene Rechtsgrundlagen nationaler und internationaler Gerichte wie etwa die nach dem Zweiten Weltkrieg errichteten Ad hoc-Tribunale in Nürnberg und Tokio, aber auch die Tribunale für Ex-Jugoslawien und Ruanda. Die im Römer Statut des Internationalen Strafgerichtshofs111 genannten völkerrechtlichen Verbrechen reflektieren, wie in breiten Kreisen anerkannt wird, Völkergewohnheitsrecht.

109 110 111

SR 0.518.12; 0.518.23; 0.518.42; 0.518.51 SR 0.105 SR 0.312.1

673

5.5.2.2

Die Tatbestände

Die Tatbestände, die für den Einsatz privater Sicherheitsunternehmen in Konfliktsituationen potentiell relevant sein könnten, umfassen die Kriegsverbrechen112 und die Verbrechen gegen die Menschlichkeit113 sowie Einzeltatbestände wie die Folter114 oder das zwangsweise Verschwindenlassen von Personen115.

5.5.2.3

Nationale Gerichtsbarkeit zur Durchsetzung des Völkerrechts

Bei der Durchsetzung des Völkerstrafrechts stützen nationale Gerichte ihre Zuständigkeit traditionellerweise vor allem auf die folgenden Prinzipien: das Territorialprinzip (Verbrechen wurde auf dem Gebiet des Gerichtsstaats verübt), das aktive Personalprinzip (Verübung durch einen eigenen Staatsbürger), das passive Personalprinzip (Verübung gegen einen eigenen Staatsbürger) und das Weltrechtsprinzip (besonders schwere Verbrechen gegen das Völkerrecht ohne Notwendigkeit eines Bezugs zum Gerichtsstaat).

Einige Konventionen enthalten die Pflicht für die Vertragsstaaten, bestimmte Konventionsverletzungen durch ihre eigenen Gerichte strafrechtlich verfolgen zu lassen.

Die Genfer Abkommen116 und die UNO-Folterkonvention117 verpflichten die Vertragsstaaten zudem zur strafrechtlichen Verfolgung schwerer Verstösse gegen die beiden Abkommen. Diese Verpflichtung stützt sich auf das Weltrechtsprinzip, gilt also selbst dann, wenn das Verbrechen in einem anderen Land und nicht gegen oder durch eigene Staatsangehörige verübt wurde.

Die schweizerische Gesetzgebung sieht dementsprechend bei schweren Verletzungen der Genfer Abkommen, Völkermord, weiteren Kriegsverbrechen und Folter unter gewissen Voraussetzungen eine auf dem Weltrechtsprinzip gründende schweizerische Strafgerichtsbarkeit vor. Eine Revision des Strafrechts zur Errichtung der Strafgerichtsbarkeit auch bei Verbrechen gegen die Menschlichkeit ist als eine Folgemassnahme der Ratifikation des Römer Statuts durch die Schweiz im Gange.

112

113 114 115

116 117

674

Kriegsverbrechen sind völkerrechtlich kriminalisierte Verletzungen des Humanitären Völkerrechts, wie etwa die im Zusammenhang mit einem bewaffneten Konflikt verübte Folterung von Gefangenen, die Tötung unbewaffneter Zivilpersonen oder die Plünderung von Wertgegenständen.

Verbrechen gegen die Menschlichkeit sind im Wesentlichen systematisch und im grossen Massstab begangene Menschenrechtsverletzungen.

SR 0.105 Am 23.09.2005 nahm eine intersessionelle Arbeitsgruppe des UNOMenschenrechtsausschusses einen Konventionsentwurf zum Schutz aller Personen gegen das gewaltsame Verschwindenlassen an: http://www.ohchr.org/english/issues/disappear/group/index.htm.

SR 0.518.12; 0.518.23; 0.518.42; 0.518.51 SR 0.105

5.5.2.4

Internationale Gerichtsbarkeit

Da viele Staaten ihren Verpflichtungen zur strafrechtlichen Verfolgung völkerrechtlicher Verbrechen bislang nicht nachgekommen sind, errichtete die internationale Gemeinschaft mehrere Ad hoc-Tribunale sowie den ständigen Internationalen Strafgerichtshof. Eine Zuständigkeit des Internationalen Strafgerichtshofs ist jedoch gemäss Römer Statut118 nur dann gegeben, wenn ein Verbrechen auf dem Territorium eines Vertragsstaats oder durch eine seiner Staatsbürgerinnen oder Staatsbürger verübt wurde, oder wenn der UNO-Sicherheitsrat dem Strafgerichtshof einen Fall zur Beurteilung überwiesen hat. Zudem ist der Internationale Strafgerichtshof nicht zuständig, wenn die behaupteten Straftaten im Rahmen eines ernsthaften nationalen Strafverfahrens untersucht werden. Auch kann der Internationale Strafgerichtshof aufgrund seiner begrenzten Ressourcen nur eine kleine Zahl der schwersten völkerrechtlichen Verbrechen untersuchen.

5.6

Völkerrechtliche Verpflichtungen und Rolle der Schweiz als Vertragsstaat und Depositar der Genfer Abkommen

Die Schweiz hat weniger als Depositar denn als Vertragsstaat der Genfer Abkommen119 Verpflichtungen hinsichtlich der Respektierung und der Förderung der Respektierung des Humanitären Völkerrechts. Immerhin aber übertrug die internationale Gemeinschaft der Schweiz wegen ihrer Depositarrolle in jüngerer Zeit teilweise auch Aufgaben zur Förderung der Einhaltung des Humanitären Völkerrechts.

Als Vertragsstaat der Genfer Abkommen ist die Schweiz verpflichtet, diese einzuhalten «und [ihre] Einhaltung durchzusetzen». Dazu gehört die Verpflichtung, darauf hinzuwirken, dass die Genfer Abkommen von anderen Staaten und Privaten eingehalten werden, einschliesslich allfälliger in der Schweiz ansässiger und in Konfliktsituationen aktiver privater Sicherheitsunternehmen. Dies gilt umso mehr, wenn die Schweiz selber private Sicherheitsunternehmen beauftragt, in Konfliktsituationen bestimmte Aufgaben wahrzunehmen.

Auch hat die Schweiz als Vertragsstaat der Genfer Abkommen die Pflicht, schweizerische Staatsangehörige oder sich in der Schweiz befindende Ausländerinnen und Ausländer, seien diese Angestellte privater Unternehmen oder nicht, strafrechtlich zur Verantwortung zu ziehen, wenn sie Kriegsverbrechen begangen haben.

Die Schweiz setzt sich zudem auf der internationalen Ebene regelmässig für die konsequente Respektierung der Genfer Abkommen ein. Mögliche internationale Initiativen der Schweiz sind im abschliessenden Teil des Berichts (Ziff. 6.2) aufzuzeigen.

118 119

SR 0.312.1 SR 0.518.12; 0.518.23; 0.518.42; 0.518.51

675

5.7

Völkerrechtliches Neutralitätsrecht

Neutrale Staaten haben sich in Bezug auf internationale bewaffnete Konflikte neutral zu verhalten und nehmen insbesondere nicht an den Feindseligkeiten teil. Letzteres dürfen sie auch nicht indirekt durch private Militär- oder Sicherheitsunternehmen, die etwa damit beauftragt würden, eine der Konfliktparteien des internationalen Konflikts militärisch zu unterstützen. Das Neutralitätsrecht ist in Bezug auf nicht-internationale bewaffnete Konflikte nicht anwendbar.

Artikel 4 in Verbindung mit Artikel 5 des Haager Abkommens vom 18. Oktober 1907 betreffend die Rechte und Pflichten der neutralen Mächte und Personen im Falle eines Landkriegs (V. Haager Abkommen)120 besagt zudem, dass neutrale Staaten auf ihrem Territorium die Bildung von «Korps von Kombattanten» oder die Eröffnung diesbezüglicher «Werbestellen» zugunsten von Kriegführenden nicht dulden dürfen.

Es stellt sich somit die Frage, ob der Schweiz die Pflicht erwächst, präventiv darauf hinzuwirken, dass private Sicherheitsunternehmen nicht aktiv in der Schweiz Personal zur Teilnahme an militärischen Kampfeinsätzen in einem bestehenden zwischenstaatlichen bewaffneten Konflikt anwerben. Die Rekrutierung von «Kombattanten» im Sinne des V. Haager Abkommens durch Unternehmen mit Sitz in der Schweiz könnte etwa im Rahmen einer potentiell einzuführenden Rechtsgrundlage zur Einführung einer Lizenzierungspflicht verboten werden. Ausserdem stünde dem Bundesrat auch die Möglichkeit zur Verfügung, eine Verfügung oder eine Verordnung aufgrund von Artikel 184 Absatz 3 der Bundesverfassung zu erlassen, falls die Wahrung der Interessen der Schweiz dies erforderten. Dies wäre aber längerfristig keine zufrieden stellende Lösung. Des Weiteren ist in Erinnerung zu rufen, dass im weltweiten Markt der Sicherheitsdienstleistungen das Anbieten militärischer Kampfeinsätze klar die Ausnahme darstellt.

Ein neutraler Staat ist zudem «nicht dafür verantwortlich, dass Leute einzeln die Grenze überschreiten, um in den Dienst eines Kriegführenden zu treten» (Art. 6 des V. Haager Abkommens). Auch ist eine neutrale Macht nicht verpflichtet, «die für Rechnung des einen oder des anderen Kriegführenden erfolgende Ausfuhr oder Durchfuhr von Waffen, Munition und überhaupt von allem, was für ein Heer oder eine Flotte nützlich sein kann, zu verhindern» (Art. 7 des V. Haager Abkommens).
Ausserdem bestimmt Artikel 18 des V. Haager Abkommens ausdrücklich, dass die Leistung von «polizeilichen oder Zivilverwaltungsdiensten» nicht als Handlungen zugunsten eines Kriegführenden anzusehen ist. Im übrigen ist anzufügen, dass etwa Leistungen zugunsten von friedenserhaltenden oder friedensstiftenden Operationen, die durch eine Resolution des UNO-Sicherheitsrat als Massnahme der internationalen Gemeinschaft legitimiert sind, ebenfalls nicht als Leistungen zugunsten eines Kriegführenden anzusehen sind.

120

676

SR 0.515.21

6

Schlussfolgerungen und Massnahmenvorschläge

6.1

Innerstaatliche Perspektiven

6.1.1

Delegation von Sicherheitsaufgaben an Private

Grundsätzlich kann festgestellt werden, dass die gegenwärtige Inanspruchnahme privater Sicherheitsunternehmen durch die Bundesverwaltung keine besonderen Probleme aufwirft, weil die delegierten Aufgaben in der Sache relativ eng begrenzt sind. Die Delegation staatlicher Aufgaben an Private durch die Kantone und Gemeinden scheint dagegen häufiger zu sein als im Bund. Im Rahmen ihrer Organisationsautonomie können die Kantone solche Aufgabendelegationen vornehmen.

Zahlreiche in den Kantonen und Gemeinden etablierte private Sicherheitsunternehmen erfüllen traditionelle Kontrollaufgaben für Private oder die öffentliche Hand (z.B. Objektbewachung oder -überwachung, Eingangskontrollen bei Grossanlässen).

Vielerorts arbeiten staatliche Organe und private Unternehmen bei der Gewährleistung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung gut zusammen. Allerdings können Probleme entstehen, wenn Privatpersonen von Angestellten privater Sicherheitsunternehmen kontrolliert werden, ohne dass deren Kompetenzen und Eingriffsbefugnisse genügend klar festgelegt sind.

Längst nicht alle staatlichen Aufgaben im Sicherheitsbereich sind einer Delegation an Private zugänglich. Das staatliche Gewaltmonopol (vgl. Ziff. 2.2), das in der Verfassungsordnung des Bundes und der Kantone positivrechtlich konkretisiert wird (vgl. die Ziffern 4.1 und 4.2), setzt diesbezüglich relativ enge Grenzen121.

Sollen in delegierbaren Aufgabenbereichen, die in die Zuständigkeit des Bundes fallen, Private für Sicherheits- und Polizeitätigkeiten beigezogen werden, so ist eine hinreichend konkrete gesetzliche Grundlage zu verlangen. Angesichts der für einen freiheitlich-demokratischen Staat zentralen Werte des staatlichen Gewaltmonopols und des Grundrechtsschutzes genügt eine weit gefasste, auf eine nachfolgende Verordnung verweisende gesetzliche Delegationsklausel nicht. Vielmehr muss schon das formelle Gesetz neben organisatorischen Grundlagen die grundlegenden Voraussetzungen und Schranken der zu regelnden privaten Sicherheitstätigkeit enthalten, d.h. namentlich die Ziele und Grenzen, aber auch die konkret erlaubten bzw.

verbotenen Zwangsmittel und den zulässigen Grad einer Zwangsanwendung festlegen. Auch müssen die Grundzüge des Aufsichts- und Kontrollinstrumentariums bereits auf dieser Ebene geregelt werden. Beispiele sind die vor kurzem erarbeiteten
Entwürfe zum BGST und zum ZAG, die detaillierte Bestimmungen zu den Voraussetzungen und Schranken der Delegation von Sicherheitsaufgaben an Private enthalten, namentlich auch dann, wenn es um Zwangsanwendungen geht.

Beauftragt der Bund ein privates Sicherheitsunternehmen, so finden die folgenden Punkte regelmässig Eingang in den Vertrag zwischen der Eidgenossenschaft und dem betreffenden Unternehmen: Die zu erbringenden Leistungen, das Entgelt, die Anforderungen an die Ausbildung und die Fähigkeiten des Personals des privaten Sicherheitsunternehmens, die dem Personal erlaubten Eingriffsmittel, die Regelung der Verantwortlichkeiten im Schadensfall, die Vertragsdauer, der Ort der Leistungserbringung sowie der Gerichtsstand. Diese vertragliche Lösung ist vorteilhaft, da sie 121

Kürzlich hat der Verband Schweizerischer Polizeibeamter (VSPB) Professor Walter Kälin mit der Verfassung eines Gutachtens über die Schranken der Delegation von Sicherheitsaufgaben an Private beauftragt. Die Arbeiten daran sind noch im Gange.

677

eine den fallspezifischen Besonderheiten Rechnung tragende Flexibilität ermöglicht.

Allerdings stellt sich doch die Frage, ob die vertragswesentlichen Punkte und die Mindestvoraussetzungen, die ein privates Sicherheitsunternehmen erfüllen muss, um im Auftrag des Bundes tätig werden zu können, nicht in allgemeiner Form geregelt werden müssten.

6.1.2

Staatliche Beaufsichtigung der Aktivitäten privater Sicherheitsunternehmen

Heute fällt die Aufsicht über die privaten Sicherheitsunternehmen in die Zuständigkeit der Kantone. Es fragt sich, ob die gegenwärtigen Regelungen genügen.

Die Regelungen der Kantone betreffend private Sicherheitsunternehmen und im Sicherheits- und Polizeibereich tätige Privatpersonen sind heute sehr uneinheitlich.

Angesichts des Umstands, dass überregional oder international bedeutsame Grossanlässe eine wichtigere Rolle spielen, dass Sicherheitsdispositive aufgrund universeller Bedrohungsszenarien vernetzter und grossräumiger angelegt werden müssen und häufig über Kantonsgrenzen hinausgreifen, was eine adäquate Organisation auch der Veranstalter erfordert, wären einheitlichere kantonale Regelungen auf längere Frist sicher wünschenswert. Auch scheint es notwendig, dass alle Kantone Minimalstandards für die Zulassung bzw. Kontrolle privater Sicherheitsunternehmen und ihrer Tätigkeit einführen, um Probleme mit unprofessionellen oder unseriösen Anbietern zu vermeiden.

Die Bemühungen der Deutschschweizer Kantone, ihre Regelungen zur Tätigkeit privater Unternehmen und Personen im Sicherheitsbereich künftig stärker zu harmonisieren, sind viel versprechend, zumal sie in enger Abstimmung, ja sogar auf Wunsch der Sicherheitsbranche erfolgen. Mit ihrem seit 1996 wirksamen Konkordat haben die Westschweizer Kantone einen entsprechenden Weg eingeschlagen. Der Bundesrat hält eine weitere Harmonisierung der kantonalen Regelungen nicht nur für wünschenswert, sondern angesichts der raschen Entwicklung bei den privaten Sicherheitsdienstleistungen auch für nötig. Denjenigen Kantonen, die den privaten Sicherheitsbereich bisher kaum oder gar nicht geregelt haben, wird empfohlen, dies bald zu tun, indem sie z.B. dem Konkordat über die Sicherheitsunternehmen beitreten oder sich an den von der KKPKS entwickelten «Musterbestimmungen» orientieren. Angesichts des Umstands, dass die Kantone Bestrebungen eingeleitet haben, ihre Vorschriften zu harmonisieren, hält es der Bundesrat gegenwärtig nicht für erforderlich, bundesrechtliche Regelungen zu erlassen.

Die Problematik der im Ausland tätigen Sicherheitsunternehmen, die von schweizerischem Staatsgebiet aus operieren, verdient allerdings besondere Beachtung (vgl.

Ziff. 6.1.3 gleich nachstehend).

6.1.3

In Krisen- und Konfliktgebieten tätige Sicherheitsunternehmen

Die Nachfrage bei den Kantonen ergab, dass private Sicherheitsunternehmen in einzelnen Fällen bereits heute von der Schweiz aus in Konfliktgebieten tätig sind oder einen solchen Schritt zumindest in naher Zukunft erwägen.

678

Der in Ziffer 3.3 enthaltene Überblick über Aktivitäten privater Anbieter von Militär- und Sicherheitsdienstleistungen, die von schweizerischem Staatsgebiet aus im Ausland tätig sind, zeigt zweierlei: ­

Ein vollständiger Überblick über solche Aktivitäten ist gegenwärtig kaum möglich, weil die betreffenden Unternehmen ­ wenn überhaupt ­ nur kantonal erfasst und nicht besonders beaufsichtigt werden und weil die Kantone ganz unterschiedliche Regelungen kennen.

­

Die erhobenen Recherchen bei den Kantonen zeigen, dass einzelne private Sicherheits- bzw. Militärunternehmen, die in Konflikt- oder Krisengebieten aktiv sind oder eine solche Tätigkeit nicht ausschliessen, auch von schweizerischem Staatsgebiet aus tätig sind oder tätig werden könnten. Die Tragweite dieser Problematik kann gegenwärtig nicht abschliessend beurteilt werden. Angesichts potentieller Risiken (neutralitätspolitisch heikle Verwicklungen in internationale Konflikte, von schweizerischem Territorium ausgehende gravierende Völkerrechtsverstösse), hat die Schweiz jedoch ein zentrales Interesse daran, über allfällige von ihrem Gebiet aus in Krisenund Konfliktgebieten tätige Personen oder Unternehmen Bescheid zu wissen und deren Aktivitäten auf ihre Übereinstimmung mit nationalen und völkerrechtlichen Vorschriften überprüfen zu können.

Aus diesen Gründen ist der Bundesrat bereit zu prüfen, ob in Krisen- und Konfliktgebieten tätige private Anbieter von Militär- und Sicherheitsdienstleistungen einer bundesrechtlichen Bewilligungs- oder Registrierungspflicht unterstellt werden sollen, wie das auch andere Staaten, z.B. die USA, Grossbritannien und Südafrika, bereits tun oder konkret erwägen. Zu prüfen wäre dabei auch die verfassungsrechtliche Grundlage einer solchen Bundesregelung. Diese könnte sich auf Artikel 95 Absatz 1 BV stützen, möglicherweise aber auch auf die umfassende Kompetenz des Bundes in der Aussenpolitik (Art. 54 Abs. 2 BV), kann doch der Bund für ein allfälliges völkerrechtswidriges Verhalten privater Sicherheitsunternehmen im Ausland, die mit seiner Duldung von schweizerischem Staatsgebiet aus operieren, völkerrechtlich verantwortlich werden. Ausserdem verfügen die obersten politischen Organe der Eidgenossenschaft über die Kompetenz, Massnahmen zur Wahrung der äusseren Sicherheit und Neutralität der Schweiz, aber auch die erforderlichen Schritte zur Wahrung der Interessen des Landes zu ergreifen (vgl. Art. 173 Abs. 1 Bst. a BV, Art. 184 Abs. 3 BV und Art. 185 Abs. 1 BV).

In diesem Rahmen beabsichtigt der Bundesrat, die internationale Entwicklung zu verfolgen und die Problematik der von schweizerischem Staatsgebiet aus international tätigen Sicherheits- bzw. Militärunternehmen vertieft zu untersuchen.

6.1.4

Strafrechtliche, zivilrechtliche und öffentlichrechtliche Verantwortlichkeit

Nach Ansicht des Bundesrats gegenwärtig nicht nötig ist der Ausbau der straf-, zivilund öffentlichrechtlichen Verantwortlichkeitsregelungen für im Sicherheitsbereich tätige Private und Privatunternehmen sowie für private oder staatliche Auftraggeber.

Die zivil- und öffentlichrechtliche Verantwortlichkeit für Schäden, die durch widerrechtliches Verhalten entstanden sind, ist nach Auffassung des Bundesrates vorderhand ausreichend geregelt.

679

Was das internationale Strafrecht betrifft, so bestehen dort hinreichend konkrete Strafrechtsbestimmungen, mit denen gravierende Verstösse gegen geschützte Rechtsgüter, namentlich auch die Menschenrechte und das Humanitäre Völkerrecht, geahndet werden können. Auf der innerstaatlichen Ebene enthält das schweizerische Recht verschiedene Prinzipien (Art. 3­6bis StGB), die nicht nur den Geltungsbereich des eigenen Rechts, sondern auch die Zuständigkeit schweizerischer Justizorgane zur strafrechtlichen Verfolgung von Delinquenten festlegen. Aufgrund dieser Prinzipien ist schweizerisches Recht anwendbar, wenn ein Anknüpfungspunkt zur Schweiz besteht, namentlich wenn sich eine Täterin oder ein Täter in der Schweiz aufhält (vgl. z.B. Art. 6bis StGB). Ausländische Rechtsordnungen kennen dasselbe Prinzip.

Dagegen verleiht das schweizerische Recht den Justizorganen keine universelle Kompetenz zur Verfolgung sämtlicher im Ausland begangener Verbrechen oder Vergehen. Dies führt dazu, dass ausländisches Personal einer in der Schweiz ansässigen, jedoch im Ausland tätigen privaten Sicherheitsfirma in unserem Land grundsätzlich nicht für im Ausland verübte Delikte belangt werden kann, sofern sich dieses Personal nicht in der Schweiz aufhält. In diesem Fall fehlt ein gesetzlicher Anknüpfungspunkt zur Schweiz. In diesem Zusammenhang ist daran zu erinnern, dass eine allfällige Ausdehnung der Strafkompetenzen schweizerischer Behörden vorgenommen werden müsste unter Berücksichtigung des parlamentarischen Entscheids, wonach von ausländischen Staatsangehörigen verübte Kriegsverbrechen nur dann durch schweizerische Justizorgane verfolgt und geahndet werden können, wenn ein enger Bezug zwischen den Delinquenten und der Schweiz besteht122. Es ist absehbar, dass diese Entscheidung anlässlich des zur Zeit im Vernehmlassungsverfahren stehenden Gesetzgebungsprojekts «Folgemassnahmen Römer Statut» durch das Parlament in Bezug auf weitere Schwerstverbrechen erneut zu diskutieren sein wird. Nicht zu übersehen ist, dass eine universelle strafrechtliche Kompetenz schweizerischer Justizorgane mit erheblichen prozeduralen Schwierigkeiten verbunden wäre, insbesondere bei der Voruntersuchung und der Beweisführung. Gegebenenfalls könnten private Sicherheitsunternehmen, wie in Ziffer 4.5.3.2 gezeigt wurde, gestützt auf Artikel 100quater StGB strafrechtlich zur Verantwortung gezogen werden, wenn die Voraussetzungen dieser Bestimmung erfüllt sind.

6.1.5

Transfer von «Know How» ehemaliger Staatsangestellter an private Sicherheitsfirmen

Es erscheint nicht notwendig, besondere Regelungen hinsichtlich des Transfers von «Know How» ehemaliger Staatsangestellter an private Sicherheitsfirmen zu erlassen.

Die heutigen Bestimmungen, insbesondere die Artikel 320­321ter StGB, welche die Verletzung von Geheimhaltungspflichten sanktionieren, reichen aus Sicht des Bundesrates aus. Wollte man weiter gehen und ehemaligen Bundesangestellten oder einzelnen Kategorien daraus die Nutzung ihrer Kenntnisse im Rahmen einer privaten Arbeitstätigkeit verbieten, so käme dies in der Praxis häufig einem eigentlichen Berufsverbot gleich, namentlich wenn es um Sektoren mit spezifischem Fachwissen ohne entsprechenden Arbeitsmarkt in der Privatwirtschaft geht. Eine solche Massnahme könnte unverhältnismässige Auswirkungen haben, zumal die öffentliche Hand eine Weiterbeschäftigung dieser Personen nicht mehr in jedem Fall garantieren kann.

122

680

AB SR 2003 938.

6.2

Aussenpolitische Perspektiven

6.2.1

Mögliche Lösungsansätze aus internationaler Sicht

Ob neue, spezifisch auf private Sicherheits- und Militärunternehmen bzw. in diesen Bereichen tätige Privatpersonen ausgerichtete Völkerrechtsnormen geschaffen werden sollen, bleibt näher abzuklären. In jedem Fall aber ist die Staatengemeinschaft aufgefordert, im Rahmen eines zwischenstaatlichen Dialogs effektive Regulierungen auf der nationalen Ebene zu prüfen, mit denen der Einsatz privater Sicherheitsunternehmen in Konfliktsituationen im Ausland wirksam kontrolliert werden kann.

Denkbar wären beispielsweise folgende auch in Fachkreisen erörterte innerstaatliche Massnahmen und Vorkehrungen: a.

Zurückhaltung bei Abweichungen vom staatlichen Gewaltmonopol: Aufgaben, die unter das staatliche Gewaltmonopol fallen, sollten nur zurückhaltend an Private delegiert werden;

b.

Regulierung der Gewaltanwendung privater Sicherheitsunternehmen: Unternehmen, die in ausländischen Konfliktgebieten zum Einsatz kommen, könnten teilweise gleichen Regeln unterstellt werden, wie sie für die Streitkräfte gelten. Im Hinblick auf eine effiziente staatliche Kontrolle wäre insbesondere eine adäquate Verantwortlichkeitsstruktur (klare «chain of command») zu gewährleisten;

c.

Effiziente Aufsicht: Geeignete nationale (z.B. Parlament) und internationale Organe bzw. Organisationen sollten einen Überblick über die Tätigkeiten international aktiver privater Unternehmen haben und gegebenenfalls aufsichtsrechtlich eingreifen können;

d.

Griffige individuelle Sanktionen und Verantwortlichkeiten: Straftaten sind effektiv zu verfolgen und zu sanktionieren, insbesondere wenn es sich um Kriegsverbrechen oder andere völkerrechtliche Verbrechen handelt.

e.

Lizenzsystem bzw. Autorisierungsverfahren: Die Erteilung einer staatlichen Lizenz könnte eine Voraussetzung für die Tätigkeit privater Sicherheitsunternehmen in ausländischen Konfliktgebieten sein. Die Eigentumsverhältnisse, die Struktur und das Dienstleistungsangebot der Unternehmen wären offen zu legen. Zusätzlich vorstellbar wären auch Bewilligungen für einzelne Aufträge. Die Lizenzen könnten veröffentlicht werden. Bei der Lizenzvergabe könnten folgende Punkte eine Rolle spielen: ­ Definition von Mindestvoraussetzungen für die Grundausbildung und die Vorbereitung des Personals auf einen bestimmten Einsatz sowie für das Verhalten im Gaststaat («Code of Conduct» und «Rules of Engagement»); ­ «Vetting and Screening»: Überprüfung der charakterlichen Eignung des Personals (z.B. bisherige Straflosigkeit, Leumund); ­ «Monitoring»: Sicherstellung einer effizienten laufenden Kontrolle (z.B. Pflicht, entsprechende Klauseln in die Verträge der Mandatarstaaten mit den Privatunternehmen aufzunehmen);

681

­

Pflicht des Einbaus von Mindestvoraussetzungen in die Verträge: z.B.

Pflicht zur Einhaltung des Humanitären Völkerrechts und der Menschenrechte, Pflicht zur diesbezüglichen Schulung des Personals, Schranken der Subkontrahierung von Sicherheitsaufgaben an lokale bzw. andere ausländische Privatunternehmen, Pflicht zur Beachtung des Rechts des Gaststaates;

f.

Adäquates Exportkontrollregime: Namentlich auch für Güter mit «Dual Use»-Charakter, die für die Logistik und Infrastruktur privater Sicherheitsunternehmen gebraucht werden, sollten praktikable und wirksame Exportkontrollen errichtet werden;

g.

Harmonisierung mit der Waffengesetzgebung: Die Bestimmungen für im Ausland tätige private Sicherheitsunternehmen könnten mit der nationalen Waffenexportgesetzgebung harmonisiert werden (Kohärenz zwischen militärisch sensiblem Güter- und Dienstleistungsexport);

h.

Verbot bestimmter Aktivitäten: Es wäre denkbar, bestimmte Operationen vollständig zu verbieten, beispielsweise solche, die von einzelnen ausserhalb einer Unternehmensstruktur handelnden Privatpersonen ausgeführt werden, aber auch z.B. Kampfeinsätze oder besonders heikle Dienstleistungen wie Personenbefragungen und nachrichtendienstliche Tätigkeiten.

Eine rein nationale Lösung genügt jedoch nicht. Einerseits können international tätige, häufig sehr flexibel organisierte private Sicherheitsunternehmen eine nationale Regulierung etwa dadurch umgehen, dass sie ihren Sitz in einen anderen Staat verlegen (mit oder ohne Namenswechsel) oder sich auflösen und mit anderem Namen oder Struktur die gleiche Tätigkeit andernorts mit den gleichen Personen weiterführen. Zudem stösst die extraterritoriale Durchsetzung international nicht anerkannter Standards an faktische und allenfalls auch rechtliche Grenzen.

6.2.2

Mögliche Rolle der Schweiz im internationalen Bereich

Das öffentliche Interesse an der Problematik der Delegation bisher staatlich wahrgenommener Sicherheitsaufgaben auf spezialisierte Privatunternehmen hat seit Beginn des Irak-Kriegs stark zugenommen123. Trotz Bemühungen verschiedener Länder, für ihren eigenen Zuständigkeitsbereich geeignete Lösungen zu entwickeln, fehlt es bisher allerdings an einem internationalen Prozess, der den Staaten ein Forum bietet, um gemeinsam Ansätze für internationale wie auch nationale Standards sowie Mechanismen zur besseren Respektierung des Humanitären Völkerrechts und der Menschenrechte zu diskutieren.

Die Problematik der in internationalen Krisen- und Konfliktgebieten tätigen privaten Sicherheitsunternehmen hat sich insbesondere seit den 1990er Jahren akzentuiert.

Mit dem jüngeren Irak-Krieg, vor allem jedoch seit dem vergangenen Jahr rückte das Thema auch stärker in das Bewusstsein der schweizerischen Bevölkerung und des Parlamentes. Im Sommer 2004 bekundete das EDA Vertretern Grossbritanniens 123

682

Es gibt auch immer mehr öffentliche Veranstaltungen, die sich mit dem Thema befassen, und auch die Bibliographie nimmt rapide zu. Allerdings ist diese bislang eher deskriptiv, nur teilweise politikwissenschaftlich ausgerichtet und sehr selten rechtsanalytisch.

und der USA gegenüber die Besorgnis der Schweiz über die Übergriffe im Gefängnis von Abu Ghraib (Irak). An jenen Menschenrechtsverletzungen waren unter Anderem auch Angestellte privater Sicherheitsunternehmen beteiligt. Im Jahr 2004 begann die Bundesverwaltung sodann zunehmend, sich auch Gedanken zur Zweckmässigkeit und zum Potential internationaler, zwischenstaatlich oder supranational aufgegleister Initiativen zu machen.

Die Schweiz kann sich international problematischen Entwicklungen im Bereich privater Militär- und Sicherheitsunternehmen namentlich aus drei Gründen nicht entziehen: ­

Zur Sicherung ihrer Vertretungen im Ausland, insbesondere in Konfliktgebieten, muss sie gelegentlich auch selber auf Dienstleistungen privater Sicherheitsunternehmen zurückgreifen.

­

Punktuelle Recherchen zeigen, dass in Konfliktgebieten aktive private Militär- oder Sicherheitsunternehmen auch von schweizerischem Staatsgebiet aus tätig sein können. Die Schweiz hat jedoch ein Interesse, nicht als Basis für rechtswidrige oder doch zweifelhafte Operationen im Ausland zu dienen.

­

Die Durchsetzung und wo erforderlich auch Weiterentwicklung des Völkerrechts, insbesondere der Menschenrechte und des Humanitären Völkerrechts, ist ein traditionelles Anliegen der Schweiz.

Aufgrund ihrer humanitären Tradition und als Vertragsstaat der Genfer Abkommen könnte die Schweiz einen sinnvollen Beitrag zur Kodifikation und Präzisierung der rechtlichen Voraussetzungen und Schranken der Tätigkeit privater Militär- und Sicherheitsunternehmen sowie zur Förderung der Respektierung des Humanitären Völkerrechts und der Menschenrechte leisten.

Gegenwärtig ist die Schweiz hauptsächlich daran, einen internationalen Prozess zu initiieren. Dieser hat insbesondere folgende drei Zielsetzungen: ­

Förderung eines zwischenstaatlichen Dialogs über die mit dem Einsatz privater Sicherheits- und Militärunternehmen verbundenen Herausforderungen;

­

Bekräftigung und Präzisierung der völkerrechtlichen Pflichten von Staaten und anderen Akteuren, namentlich im Bereich des Humanitären Völkerrechts und der Menschenrechte;

­

Prüfung von Optionen und Regulierungsmodellen sowie anderer geeigneter Massnahmen auf nationaler, regionaler und internationaler Ebene.

Diesen internationalen Prozess strebt die Schweiz in Kooperation mit dem IKRK an, mit dem bereits gemeinsame Grundlinien der zwischenstaatlichen Initiative erarbeitet worden sind. Im Verlaufe des Sommers 2005 fanden erste Treffen mit ausgewählten Experten statt. Im Herbst 2005 wurden bereits gezielt einzelne Staaten konsultiert. Geplant ist die Organisation einer Konferenz von Regierungsexperten im Jahr 2006.

Die im Rahmen dieses internationalen Prozesses geführten inhaltlichen Diskussionen und die daraus hervorgehenden Ergebnisse könnten sich idealerweise auch günstig auf innerstaatliche Entwicklungen auswirken und dazu führen, dass Staaten, aber auch supranationale und nichtstaatliche Organisationen sowie multinationale Unternehmen, die ebenfalls Kunden privater Sicherheitsunternehmen sind, ihrerseits über eigene Regulierungen nachdenken. Auch wären international festgelegte Standards der Kohärenz verschiedener nationalstaatlicher Regulierungen dienlich.

683

Schliesslich bleibt noch festzuhalten, dass die schweizerische Initiative hinsichtlich der Wünschbarkeit privater Sicherheits- und Militärunternehmen eine grundsätzlich neutrale Haltung einnimmt. Der ­ voraussichtlich gar zunehmende ­ Rückgriff auf private Sicherheits- und Militärunternehmen ist aber Realität, weshalb die Initiative Massnahmen zur Milderung potentieller negativer Konsequenzen des Gebrauchs solcher Unternehmen erörtern will.

6.3

Aufzählung der vom Bundesrat vorgeschlagenen Massnahmen

Der Bundesrat beabsichtigt, folgende Massnahmen zu ergreifen: 1.

Der Bundesrat wird die Verwaltungsbehörden auffordern, die von der Bundesverfassung gesetzten Schranken zu beachten, wenn sie Sicherheitsaufgaben an private Unternehmen delegieren wollen.

2.

Der Bundesrat wird die Kantone einladen, ihre Rechtsordnungen zu harmonisieren.

3.

Der Bundesrat ist bereit, die Möglichkeit einer Festlegung von Mindestvoraussetzungen für vom Bund mit der Wahrnehmung von Sicherheitsaufgaben beauftragte private Sicherheitsunternehmen zu prüfen.

4.

Der Bundesrat ist bereit zu prüfen, ob es sinnvoll sein könnte, Anbieter von Dienstleistungen im Militär- oder Sicherheitsbereich, die von der Schweiz aus in Krisen- und Konfliktgebieten tätig sind, einer Bewilligungspflicht oder einem Lizenzsystem zu unterstellen.

5.

Der Bundesrat will ­ soweit möglich in Zusammenarbeit mit dem IKRK ­ auf der internationalen Ebene einen Prozess in Gang bringen, um auf diese Weise zu einem zwischenstaatlichen Dialog beizutragen, die völkerrechtlichen Verpflichtungen der Staaten und anderer Akteure zu bekräftigen und zu präzisieren sowie Regulierungsmodelle auf der nationalen, regionalen und internationalen Ebene zu studieren.

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