06.058 Botschaft zum Abkommen zwischen dem Schweizerischen Bundesrat, der Österreichischen Bundesregierung und der Regierung des Fürstentums Liechtenstein über den gegenseitigen Datenaustausch in Asylangelegenheiten vom 9. Juni 2006

Sehr geehrte Herren Präsidenten Sehr geehrte Damen und Herren Wir unterbreiten Ihnen mit der vorliegenden Botschaft den Entwurf eines Bundesbeschlusses zum Abkommen vom 29. September 2005 zwischen dem Schweizerischen Bundesrat, der Österreichischen Bundesregierung und der Regierung des Fürstentums Liechtenstein über den gegenseitigen Datenaustausch in Asylangelegenheiten mit dem Antrag auf Zustimmung.

Wir versichern Sie, sehr geehrte Herren Präsidenten, sehr geehrte Damen und Herren, unserer vorzüglichen Hochachtung.

9. Juni 2006

Im Namen des Schweizerischen Bundesrates Der Bundespräsident: Moritz Leuenberger Die Bundeskanzlerin: Annemarie Huber-Hotz

2006-1238

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Übersicht In dem Bestreben, die Identität und Herkunft von Asyl suchenden Personen bestimmen zu können, hat das Bundesamt für Migration (BFM) in den letzten Jahren neben einer Reihe von anderen geeigneten Massnahmen auch die Zusammenarbeit mit Asylbehörden und anderen Fachstellen in europäischen und aussereuropäischen Asylstaaten intensiviert. Neben dem allgemeinen Austausch über Entwicklungen im Migrations- und Asylbereich geht es bei dieser Zusammenarbeit insbesondere um die Möglichkeit, personenbezogene Daten über Asyl suchende Personen auszutauschen. Dieser Datenaustausch stellt sich als eine geeignete Massnahme gegen den Missbrauch der Asylsysteme durch Mehrfachgesuche und durch die Verschleierung von Identität und Herkunft dar.

Auf europäischer Ebene ist der Datenaustausch im Asylwesen institutionalisiert.

Das Abkommen über das Dublin-Verfahren, die Dublin-II-Verordnung und schliesslich die Einrichtung der Fingerabdruckdatenbank EURODAC haben die Zusammenarbeit der Dublin-Staaten erheblich erleichtert. Die Schweiz hat demgegenüber noch keinen Zugang zu diesen Systemen. Sie ist daher auf bilaterale Absprachen mit anderen Asylstaaten angewiesen, um in Einzelfällen personenbezogene Angaben zu früheren Asylverfahren und Identitätsangaben zu erhalten. Das BFM ist aufgrund von Artikel 98 des Asylgesetzes vom 26. Juni 1998 (AsylG; SR 142.31) sowie nach Artikel 22c des Bundesgesetzes vom 26. März 1931 über den Aufenthalt und die Niederlassung der Ausländer (ANAG, SR 142.20) grundsätzlich ermächtigt, personenbezogene Daten an zuständige ausländische Behörden weiterzugeben. Inwiefern ausländische Behörden ihrerseits die Schweiz entsprechend informieren, hängt neben dem politischen Willen zur Zusammenarbeit von der nationalen Gesetzgebung ab. Österreich hat die Schweiz 2003 informiert, dass die Weitergabe personenbezogener Daten im Asylbereich an «Nicht-Dublin»-Staaten durch ein internationales Abkommen geregelt werden müsse. Da die diesbezügliche Zusammenarbeit mit Österreich für die Schweiz aufgrund der Migrationsbewegungen von grosser Bedeutung ist, wurde dem Vorschlag Österreichs entsprochen, Verhandlungen mit dem Ziel des Abschlusses eines Abkommens über den Datenaustausch aufzunehmen.

Das vorliegende Abkommen konstituiert demnach keine neue Form der Zusammenarbeit im Bereich des Datenaustauschs. Es
legt vielmehr die Bedingungen und Grenzen des Datenaustauschs im Asylwesen mit Österreich und dem Fürstentum Liechtenstein fest und trifft Regelungen über die Sicherheit, Aufbewahrung und Löschung solcher Daten. Damit wird die Zusammenarbeit mit Österreich rechtlich verankert und sichergestellt, bis die Anwendung der Dublin-II-Verordnung durch die Schweiz und der damit verbundene Zugriff auf EURODAC die Notwendigkeit spezieller bilateraler Absprachen weitgehend hinfällig macht. Das Fürstentum Liechtenstein ist ebenfalls Vertragspartei, da die Schweiz infolge der Zollunion im Bereich der Fremdenpolizei zum Fürstentum Liechtenstein sehr enge Beziehungen pflegt.

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Das Abkommen unterliegt dem Genehmigungsvorbehalt der Räte, da eine ausdrückliche Ermächtigungsgrundlage für die Abschlusskompetenz des Bundesrates fehlt und das Abkommen aufgrund des Regelungsinhalts und der Verbindlichkeit nicht als Vertrag von beschränkter Tragweite im Sinne von Artikel 7a Absatz 2 des Regierungs- und Verwaltungsorganisationsgesetzes vom 21. März 1997 (RVOG; SR 172.010) gilt.

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Botschaft 1

Grundzüge der Vorlage

1.1

Ausgangslage

Die Schweiz ist wie andere Zielstaaten von Asyl suchenden Personen mit dem Problem konfrontiert, dass diese Personen häufig ihre Identität, Nationalität, Reisewege und vorgängigen Aufenthalte in Drittstaaten verheimlichen. Obwohl Artikel 8 Absatz 1 des AsylG (SR 142.31) von der Asyl suchenden Person im Rahmen der Mitwirkungspflicht verlangt, die eigene Identität offen zu legen und an den Empfangszentren Reisepapiere und Identitätsausweise abzugeben, kommt seit Jahren nur eine Minderheit von Gesuchstellerinnen und Gesuchstellern dieser Pflicht nach. Im Jahr 2005 waren es nur knapp 26 % der in den Empfangszentren des Bundes registrierten Asyl suchenden Personen.

Diese Verletzung der Mitwirkungspflicht macht sich sowohl in der Durchführung der Asylverfahren als auch beim Vollzug der Wegweisung negativ bemerkbar. Im Zweifelsfall müssen langwierige und kostspielige Identitätsabklärungen in der Verfahrensphase durchgeführt werden, beispielsweise durch Sprachgutachten oder durch den Austausch von Fingerabdrücken mit anderen, vornehmlich europäischen Staaten, sofern Anhaltspunkte für einen früheren Aufenthalt vorliegen. Zudem ist durch die Verschleierung der Identität ohne zusätzliche Abklärungen nicht erkennbar, ob bereits in einem anderen Staat ein Asylverfahren durchgeführt wurde, was zu überflüssigen Verfahrensschritten in der ersten und zweiten Instanz führt.

Für den effizienten Vollzug der Wegweisung stellt die nicht gesicherte Identität und Nationalität der gesuchstellenden Personen das grösste Hindernis dar. Herkunftsstaaten machen im Regelfall von deren Nachweis die Ausstellung von Ersatzreisepapieren abhängig.

Auf europäischer Ebene hat dieses Problem in den letzten Jahren eine Reihe konkreter Massnahmen ausgelöst. Ausgangspunkt dieser Massnahmen ist die erkannte Notwendigkeit, den Austausch von Informationen und von personenbezogenen Daten zu intensivieren und zu institutionalisieren. Insbesondere das Abkommen von Dublin (Dublin I), die Dublin-II-Verordnung des Europäischen Rates (Nr. 343/2003) sowie die Einrichtung der gemeinsamen Fingerabdruckdatenbank EURODAC nach der EURODAC-Verordnung des Europäischen Rates (Nr. 2725/2000) haben unter anderem dazu geführt, dass Mehrfachgesuche unter verschiedenen Identitäten rasch und systematisch aufgedeckt werden können. Die engere Kooperation im
Datenaustausch führt zudem auch zu einer besseren Zusammenarbeit im Vollzug der Wegweisung.

Das BFM kann, gestützt auf Artikel 98 AsylG, ausländischen Migrationsbehörden personenbezogene Daten zum Vollzug des Gesetzes bekannt geben. Gemäss Artikel 4 Absatz 2 der Asylverordnung 3 über die Bearbeitung von Personendaten (Asylverordnung 3; AsylV 3; SR 142.314) fallen hierunter auch Fotos und Fingerabdrücke. Auf dieser gesetzlichen Basis betreibt das BFM seit Jahren eine enge Zusammenarbeit mit den für den Datenaustausch zuständigen Behörden in über 15 europäischen Staaten. So werden pro Jahr ca. 8000 bis 10 000 Fingerabdruckbögen von gesuchstellenden Personen in der Schweiz an das europäische Ausland zwecks 5908

Vergleich verschickt. Die Schweiz erhält ihrerseits pro Jahr ca. 100 Anfragen des Auslands zur Identität und zu Verfahrensangaben über Personen aus dem Asyl- und Ausländerbereich. Der grosse quantitative Unterschied erklärt sich mit der systematischen Kooperation der europäischen Staaten im Dublin-II- und EURODACVerfahren, während die Schweiz aufgrund der Nichtteilnahme noch auf die bilaterale Zusammenarbeit angewiesen ist. Diese Zusammenarbeit stützt sich unmittelbar auf das Gesetz und erfolgt im Regelfall formlos und ohne, internationales Abkommen. Gegenstand dieser Zusammenarbeit ist die Bekanntgabe personenbezogener Daten von Asyl suchenden Personen mit dem Ziel, die Identität und Nationalität festzustellen und Hinweise auf frühere Asylverfahren zu erlangen. Hierunter fallen insbesondere Angaben zum früheren Asylvorbringen und zum Ausgang eines Asylverfahrens, sowie die Übermittlung von Kopien von Dokumenten und Fotos. Mit diesen Angaben können Asylverfahren zügiger und inhaltlich zutreffend abgeschlossen oder der Vollzug der Wegweisung beschleunigt werden. In Einzelfällen kann durch die Aufdeckung eines vorgängigen Aufenthalts in einem anderen europäischen Staat auch die Rückübernahme durch diesen Staat erreicht werden, sofern ein bilaterales Rückübernahmeabkommen besteht und die entsprechenden Voraussetzungen erfüllt sind.

Wie mit anderen europäischen Staaten arbeitet die Schweiz diesbezüglich auch mit der Republik Österreich seit mehreren Jahren zusammen. In quantitativer und qualitativer Hinsicht ist diese Zusammenarbeit für die Schweiz sehr wichtig, sie wird nur noch von der Zusammenarbeit mit Deutschland übertroffen. Österreich ist aufgrund seiner Lage nicht nur ein wichtiges europäisches Asylland, sondern im Verhältnis zu den übrigen Staaten Westeuropas und speziell auch zur Schweiz ein wichtiges Transitland für Asyl suchende Personen. So richtete das BFM im Jahr 2004 an Österreich 1835 Anfragen um Fingerabdruckvergleiche, für die es 14 % positive Rückmeldungen gab. Im Jahr 2005 wurden 1205 Gesuche um Fingerabdruckvergleiche gestellt. Diesbezügliche Anfragen Österreichs an die Schweiz sind dagegen selten. Für diejenigen Personen, deren vorgängiger Aufenthalt in Österreich aufgrund des Fingerabdruckvergleichs feststeht, ist die Beschaffung von weitergehenden Informationen zur Identität
und zum durchgeführten Asylverfahren von Bedeutung. Auf österreichischer Seite ist das Bundeskriminalamt zuständig für den Vergleich der Fingerabdrücke, während die Weitergabe von personenbezogenen Daten dem Bundesasylamt obliegt. Beide Dienststellen unterstehen dem österreichischen Bundesministerium für Inneres.

Seit dem Jahr 2003 hat das österreichische Bundesasylamt die Beantwortung von Anfragen zu Einzelfällen immer wieder unter Hinweis auf die Rechtslage verweigert. Als Begründung für die Verweigerung der Auskunft führte das Bundesministerium für Inneres die restriktive österreichische Datenschutzgesetzgebung an. Die Übermittlung personenbezogener Daten an das Ausland ist im österreichischen Asylgesetz in Paragraph 36 Absatz 3 geregelt. Demgemäss dürfen personenbezogene Daten von Asyl suchenden Personen ausschliesslich an die für den Vollzug des Genfer Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (SR 0.142.30), in der Fassung des New Yorker Protokolls vom 31. Januar 1967 (SR 0.142.301) zuständigen Behörden des Auslands übermittelt werden, vorausgesetzt dass die Feststellung der Identität sowie die Asylgewährung ohne eine solche Übermittlung an diese Behörden nicht möglich sind. Eine Übermittlung an eine andere ausländische Behörde ist unzulässig, ebenso die Übermittlung aus einem anderen als den genannten Gründen. Unzulässig ist demnach beispielsweise die 5909

blosse Mitteilung, dass die betreffende Person bereits in Österreich um Asyl nachgesucht hat. Allerdings kann nach Paragraph 36 Absatz 6 des österreichischen Asylgesetzes in einem internationalen Abkommen eine weitergehende Ermächtigungsgrundlage für die Übermittlung von personenbezogenen Daten geschaffen werden.

Diese muss sich aber im Rahmen von Paragraph 36 Absatz 1 halten und den dort genannten Zwecken entsprechen. Das bedeutet insbesondere, dass die Übermittlung von personenbezogenen Daten auf der Basis eines solchen Abkommens ausschliesslich zum Zweck der Anwendung des nationalen Asylgesetzes bzw. der Genfer Flüchtlingskonvention erfolgen darf. Insbesondere die Übermittlung von Daten, die es nach rechtskräftigem Abschluss des Asylverfahrens in der Schweiz ermöglicht hätten, die Wegweisung zu vollziehen, wurde unter Verweis auf Paragraph 36 Absatz 1 des österreichischen Asylgesetzes abgelehnt. Vorstösse des BFM zu einer Überprüfung und flexibleren Interpretation des Asylgesetzes durch die österreichischen Behörden wurden unter Verweis auf die eindeutige Rechtslage abgelehnt.

Dagegen schlug das Bundesministerium für Inneres vor, einen Vertrag über den Austausch von personenbezogenen Daten im Migrationsbereich abzuschliessen, um diesbezüglich Rechtsklarheit und Rechtssicherheit zu schaffen.

1.2

Ablauf der Verhandlungen

Anlässlich des Treffens zwischen Bundesrat Christoph Blocher und dem österreichischen Bundesminister für Inneres, Herrn Ernst Strasser, am 17. Mai 2004 in Wien wurden Verhandlungen über einen verstärkten Datenaustausch in den Bereichen Asyl und Migration sowie im Bereich der polizeilichen Datenbanken und der Polizeizusammenarbeit vereinbart und entsprechende Vertragsentwürfe Österreichs übergeben.

Am 27. Juli 2004 trafen sich Expertinnen und Experten beider Länder in Wien, um den Gegenstand und die Ziele dieser Zusammenarbeit näher zu bestimmen. Dabei wurde zunächst vereinbart, das Fürstentum Liechtenstein in ein abzuschliessendes Abkommen über den Datenaustausch in den Bereichen Asyl und Migration einzubeziehen. Zudem wurde der österreichische Entwurf des «Abkommens über den gegenseitigen Datenaustausch in Angelegenheiten der Migrationskontrolle und in Asylangelegenheiten» erstmals besprochen.

Am 15. Dezember 2004 fand ein Expertentreffen der Schweiz, Liechtensteins und Österreichs zum Abkommen über den Datenaustausch in Asylangelegenheiten statt.

Dabei wurde vereinbart, das zu schliessende Abkommen inhaltlich auf den Austausch von personenbezogenen Daten in Asylangelegenheiten zu begrenzen, da der Austausch von personenbezogenen Daten im Bereich der Migrationskontrolle bereits durch den trilateralen Vertrag vom 27. April 1999 zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft, der Republik Österreich und dem Fürstentum Liechtenstein über die grenzüberschreitende Zusammenarbeit der Sicherheits- und Zollbehörden (SR 0.360.163.1) geregelt ist.

Am 5. und 6. Juni 2005 fand eine abschliessende Gesprächsrunde in Wien statt, an der der Abkommenstext bereinigt wurde.

Die Unterzeichung des Abkommens erfolgte am 29. September 2005 in Bregenz (Österreich) anlässlich eines Treffens von Bundesrat Christoph Blocher mit der

5910

österreichischen Bundesministerin für Inneres, Frau Liese Prokop, und dem Innenminister des Fürstentums Liechtensteins, Herrn Martin Meyer.

1.3

Datenschutz im Verhältnis zum europäischen Recht

Die internationale Zusammenarbeit in Asylangelegenheiten durch den Austausch personenbezogener Daten berührt den Kernbereich des Datenschutzes. Die Rechtsgrundlage für diesen Austausch ist Artikel 98 AsylG. Eingeschränkt wird diese Möglichkeit der Datenbekanntgabe an das Ausland durch Artikel 6 Absatz 1 des Bundesgesetzes vom 19. Juni 1992 über den Datenschutz (DSG; SR 235.1). Die dort genannte Voraussetzung für ein Verbot der Datenbekanntgabe, namentlich die schwerwiegende Gefährdung der Persönlichkeit aufgrund des Fehlens eines gleichwertigen Datenschutzes im Ausland, ist im Fall der Zusammenarbeit mit Österreich und dem Fürstentum Liechtenstein nicht gegeben. Aufgrund des Regelungsgegenstands sind wesentliche Bestimmungen des Abkommens solche über den Datenschutz. Es war den Vertragsparteien ein Anliegen, aufgrund der strengen Datenschutzbestimmungen in Österreich durch das vorliegende Abkommen Rechtssicherheit für den Datenaustausch zu schaffen und neben der Zweckbindung des Austauschs vor allem Vorschriften über Datensicherheit, Vertraulichkeit und Datenlöschung zu verankern (Art. 4­6). In diesem Sinne entspricht das Abkommen dem europäischen Datenschutzstandard EU Datenschutzrichtlinie (RICHTLINIE 2002/58/EG DES EUROPÄISCHEN PARLAMENTS UND DES RATES vom 12. Juli 2002 über die Verarbeitung personenbezogener Daten und den Schutz der Privatsphäre in der elektronischen Kommunikation (Datenschutzrichtlinie für elektronische Kommunikation [OJEC Nr. L 201, vom 31. 7. 2002])).

1.4

Würdigung

Das Abkommen zwischen dem Schweizerischen Bundesrat, der Österreichischen Bundesregierung und der Regierung des Fürstentums Liechtenstein über den Datenaustausch in Asylangelegenheiten erlaubt die Sicherstellung und Fortsetzung der Kooperation mit diesen Staaten im Asylwesen. Es handelt sich um das erste förmliche Abkommen im Anwendungsbereich von Artikel 98 des AsylG. Sein Abschluss erwies sich aufgrund der österreichischen Rechtslage als erforderlich. Die bisherige Zusammenarbeit zwischen der Schweiz und Österreich zeigt klar, dass vor allem die Schweiz die Möglichkeit der Datenabfrage in Anspruch nehmen wird, da sie derzeit aufgrund der Nichtteilnahme an EURODAC und Dublin II noch auf bilaterale Lösungen angewiesen ist. Die in diesem Abkommen getroffenen Lösungen widerspiegeln die im Vergleich zum schweizerischen Asyl- und Ausländerrecht vergleichsweise restriktiven Bestimmungen Österreichs. Insbesondere der von der Schweiz gewünschte und für den Vollzug der Wegweisung wichtige Datenaustausch für Asyl suchende Personen, deren Asylverfahren rechtskräftig abgeschlossen ist, konnte aufgrund des österreichischen Asylgesetzes nicht in das Abkommen aufgenommen werden. Die getroffene Vereinbarung erlaubt aber die Fortsetzung des Datenaustauschs zu Beginn und während des Asylverfahrens.

Es ist denkbar, den nach Artikel 98 AsylG möglichen Datenaustausch über den Dublin-Raum hinaus auszudehnen, sofern sich dies aufgrund der weiteren Entwick5911

lung der internationalen Migration als erforderlich erweisen sollte und soweit hierzu ein völkerrechtliches Abkommen notwendig sein sollte.

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Erläuterungen zu den einzelnen Artikeln

Titel und Präambel Der Titel des Abkommens macht deutlich, dass der Datenaustausch auf den Asylbereich beschränkt ist. Der Bezug auf die Genfer Flüchtlingskonvention in der Präambel hat deklaratorischen Charakter. Hiermit soll auf Wunsch Österreichs klargestellt werden, dass der Datenaustausch ausschliesslich vor dem Hintergrund der Prüfung der Flüchtlingseigenschaft erfolgen soll. Die ursprünglich vorgeschlagene Formulierung «in Anwendung der Genfer Konvention» wurde allerdings fallengelassen, da der Datenaustausch nicht Gegenstand der Konvention ist und daher auch nicht in Anwendung derselben erfolgt.

Art. 1 und 2

Begriffsbestimmungen und Zweck

Die Begriffsbestimmungen in Artikel 1 definieren den Anwendungsbereich des Abkommens sowohl in inhaltlicher als auch in verfahrensrechtlicher Hinsicht.

Gemäss Absatz 2 kommt ein Informationsbegehren unter Bezug auf das Abkommen dann nicht mehr in Betracht, wenn das zugrunde liegende Asylverfahren bereits rechtskräftig beendet wurde. Diese Regelung folgt aus dem bereits in der Präambel erwähnten Bezug auf die Genfer Flüchtlingskonvention, wonach der Datenaustausch zwecks Prüfung der Flüchtlingseigenschaft erfolgen soll. Sobald ein Asylverfahren rechtskräftig abgeschlossen ist, besteht kein Bezug mehr zu Flüchtlingskonvention.

Diese Unterscheidung ist bei Datenanfragen zum Zweck des Vollzugs von Wegweisungen von Bedeutung. Das vorliegende Abkommen deckt eine solche Anfrage nicht, da der Vollzug der Wegweisung nicht Gegenstand des Asylwesens im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention ist. Andererseits kann das Abkommen aber angewendet werden, wenn ein Asylverfahren nach rechtskräftigem Abschluss behördlicherseits wieder aufgenommen wird, beispielsweise im Rahmen eines Asylwiderrufsverfahrens. Artikel 2 hält den Zweck des Abkommens fest.

Art. 3

Datenübermittlung

Artikel 3 Absatz 1 definiert die Daten, die im Rahmen des Abkommens übermittelt werden dürfen. Der Datenkatalog entspricht inhaltlich dem Datenkatalog von Artikel 98 Absatz 2 AsylG. Artikel 3 Absatz 2 bestimmt den Verwendungszweck der übermittelten Daten und verhindert dadurch deren missbräuchliche Verwendung.

Die Absätze 3­6 regeln den Zeitrahmen und die Form der Übermittlung. Gemäss Absatz 7 stellt ein Ersuchen um Datenübermittlung keinen Rechtfertigungsgrund für die Ermittlung von Daten über den in Absatz 1 beschriebenen Rahmen hinaus dar.

Damit soll klargestellt werden, dass das vorliegende Abkommen keine Rechtsgrundlage sui generis für die Datenerhebung ist.

Art. 4

Zweckbindung

Eine Verwendung übermittelter Daten zu einem anderen Zweck als dem vertraglich vereinbarten ist nicht grundsätzlich ausgeschlossen, unterliegt aber dem Zustim5912

mungsvorbehalt der anderen Vertragspartei. Da sich die Genehmigung wiederum nach dem jeweiligen innerstaatlichen Recht richtet, ist aufgrund der österreichischen Asylgesetzbestimmung eine weitergehende Verwendung von österreichischen Daten, zum Beispiel für Vollzugszwecke, derzeit ausgeschlossen.

Art. 5

Vertraulichkeit und Datensicherheit

Artikel 5 verpflichtet die Vertragsparteien zur sorgsamen Verwendung der übermittelten Daten. Diese müssen gemäss innerstaatlichem Datenschutz behandelt werden und gegen den Zugriff Unbefugter geschützt werden. Ebenso müssen die Übermittlungswege den datenschutzrechtlichen Anforderungen entsprechen.

Art. 6

Weitere Datenschutzbestimmungen

Artikel 6 enthält eine Reihe von Bestimmungen zur Bearbeitung und Bekanntgabe der übermittelten Daten durch die Vertragsparteien. Diese Bestimmungen entsprechen den üblichen Datenschutzbestimmungen oder sind in Anlehnung an die EURODAC-Verordnung formuliert. Diesbezüglich bestand bei den abschliessenden Verhandlungen eine gewisse Unsicherheit, wie in der Praxis mit der Löschung der übermittelten Daten nach Fristablauf zu verfahren sei. Diese Daten können, beispielsweise bei Angaben zu Mehrfachidentitäten oder zu früheren Asylverfahren, in die Begründung für die Ablehnung eines Asylgesuchs einfliessen und damit Teil des Asylentscheids werden. Durch Datenlöschung kann zwar die schriftliche Mitteilung der ersuchten Vertragspartei nach Ablauf von zehn Jahren physisch gelöscht bzw. vernichtet werden. Inhaltlich bleiben diese Angaben durch ihre Verwendung im Asylverfahren gleichwohl erhalten, und sie sind unter Umständen Gegenstand des Entscheids. Insofern besteht ein Unterschied zwischen der Speicherung und Löschung von Fingerabdrücken einerseits und Fallinformationen andererseits. Die Vertragsparteien sind sich darin einig, dass die Löschungspflicht nach Absatz 3 gemäss den innerstaatlichen Vorschriften für die Dossierführung auszulegen ist, die sich wiederum an den datenschutzrechtlichen Bestimmungen des Landesrechts zu orientieren haben.

Art. 7

Zuständige Stellen

Das Abkommen wird ausschliesslich durch die genannten Stellen angewendet.

Art. 8

Verhältnis zu anderen Abkommen

Diese Klausel ist vor allem für zwei Abkommen mit ähnlichem Regelungsinhalt von Bedeutung. Zum einen wird der Vertrag vom 27. April 1997 zwischen der Schweiz, Österreich und Liechtenstein über die grenzüberschreitende Zusammenarbeit der Sicherheits- und Zollbehörden vom vorliegenden Abkommen nicht berührt. Nach diesem Vertrag ist der Datenaustausch über Personen zur Abwehr von Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung, zur Verhütung und Bekämpfung von Straftaten sowie für fremdenrechtliche Zwecke möglich.

Darüber hinaus bezieht sich Artikel 8 insbesondere auf die Dublin-II-Verordnung.

Durch diese Klausel soll die Unabhängigkeit dieses Abkommens vom Dublin-IISystem klargestellt werden, da zum Zeitpunkt des Verhandlungsabschlusses eine Teilnahme der Schweiz und Liechtensteins an Dublin II noch nicht gesichert war.

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Art. 9

Schlussbestimmungen

Mit der Regelung in Artikel 9 Absatz 2, wonach das Abkommen dann in Kraft treten kann, wenn mindestens zwei der drei Vertragsparteien das Abkommen ratifiziert haben, wurde einem Wunsch Österreichs entsprochen. Im Lauf der Verhandlungen wurde deutlich, dass das Ratifizierungsverfahren in Österreich und im Fürstentum Liechtenstein wesentlich rascher erfolgen kann als in der Schweiz. Entsprechend konnte das Abkommen bis Januar 2006 in diesen Ländern ratifiziert werden. Artikel 9 Absatz 2 erlaubt beiden Vertragsparteien die bilaterale Anwendung des Abkommens, ohne die Ratifizierung durch die Schweiz abzuwarten.

3

Finanzielle Auswirkungen

Das Abkommen und seine Anwendung verursachen keine zusätzlichen Kosten. Es ist im Gegenteil davon auszugehen, dass mit einer Sicherstellung der Zusammenarbeit mit Österreich und dem Fürstentum Liechtenstein in Asylangelegenheiten die aufgrund des Datenaustauschs gewonnenen Erkenntnisse zu einer rascheren Erledigung von Asyl- und Beschwerdeverfahren führen werden. Zudem wird erwartet, dass diese Form der Zusammenarbeit schon jetzt Personen davon abzuhalten vermag, nach einem Asylverfahren in einem Vertragsstaat ein weiteres Asylgesuch in der Schweiz zu stellen, auch wenn die Schweiz noch nicht aktiv am DublinVerfahren teilnimmt.

4

Legislaturplanung

Das Abkommen zwischen dem Schweizerischen Bundesrat, der Österreichischen Bundesregierung und der Regierung des Fürstentums Liechtenstein über den Datenaustausch in Asylangelegenheiten entspricht den in der Legislaturplanung 2004­2007 des Bundesrats festgelegten Zielen (vgl. Bericht vom 25. Februar 2004 über die Legislaturplanung 2003­2007; Ziel 9).

5

Verhältnis zum europäischen Recht

Das vorliegende Abkommen regelt die Zusammenarbeit in Asylangelegenheiten durch den Austausch personenbezogener Daten. Dieser Austausch ist teilweise auch Regelungsinhalt der Dublin-II-Verordnung und der EURODAC-Verordnung.

Er entspricht diesem Abkommen wie auch dem Dublin-II-Verfahren zugrunde liegenden Willen zu einer vertieften Zusammenarbeit in Asylangelegenheiten. Zum Zeitpunkt der Vertragsverhandlungen, vor der Abstimmung über die erweiterte Personenfreizügigkeit, war nicht sicher, ob die Schweiz wie vorgesehen der Dublin-II-Verordnung beitreten würde. Auch nach der Annahme der erweiterten Personenfreizügigkeit vom 25. September 2005 ist das Datum der Umsetzung von Dublin II noch offen. In dieser Hinsicht hat das Abkommen seine Berechtigung, bis Dublin II durch die Schweiz und das Fürstentum Liechtenstein umgesetzt werden.

Auch nach Inkraftsetzung des Dubliner Übereinkommens wird für das vorliegende Abkommen ein eigenständiger Anwendungsbereich verbleiben, zielt doch die Dublin-II-Verordnung (Dublin-II-VO) in erster Linie auf einen Datenaustausch zum 5914

Zwecke der Bestimmung des zuständigen Staates und nur subsidiär auf einen Austausch personenbezogener Daten für die Durchführung eines Asylverfahrens selbst ab. Das vorliegende Abkommen ist mit den punktuellen Vorgaben der Dublin-II-VO vereinbar, behält doch Artikel 8 des Abkommens die Rechte und Pflichten aus anderen Abkommen ausdrücklich vor.

6

Verfassungsmässigkeit

6.1

Allgemeine Zuständigkeit

Die Artikel 54, 166 und 184 der Bundesverfassung (BV; SR 101) weisen die allgemeine Kompetenz in den auswärtigen Angelegenheiten dem Bund zu. Bei internationalen Verträgen gilt der Grundsatz, dass der Bund Verträge über beliebige Fragen abschliessen kann, unabhängig davon, ob diese in die eidgenössische oder kantonale Gesetzgebungskompetenz fallen (vgl. BBl 1994 II 620­624). Der dem Abkommen zugrunde liegende Gegenstand, die Gesetzgebung über die Gewährung von Asyl, fällt gemäss Artikel 121 Absatz 1 BV in die Zuständigkeit des Bundes.

6.2

Genehmigung durch die Bundesversammlung

Die Zuständigkeit der Bundesversammlung zur Genehmigung dieses Abkommens ergibt sich aus Artikel 166 Absatz 2 BV. Das Asylgesetz enthält keine ausdrückliche Norm, die die Kompetenz des Bundesrats zum Abschluss dieses Abkommens begründet. Eine solche Kompetenz kann nach herrschender Auffassung auch nicht auf Artikel 7a Absatz 2 des RVOG in Verbindung mit Artikel 98 AsylG gestützt werden, da das Abkommen aufgrund seines Regelungsinhalts und seiner Verbindlichkeit nicht als Vertrag von beschränkter Tragweite gilt.

6.3

Referendum

Nach Artikel 141 Absatz 1 Buchstabe d BV unterliegen völkerrechtliche Verträge dem fakultativen Referendum, wenn sie unbefristet und unkündbar sind, den Beitritt zu einer internationalen Organisation vorsehen oder wichtige rechtsetzende Bestimmungen enthalten oder deren Umsetzung den Erlass von Bundesgesetzen erfordert.

In Anlehnung an Artikel 22 Absatz 4 des Parlamentgesetzes vom 13. Dezember 2002 (SR 171.10) gilt eine Bestimmung dann als rechtsetzend, wenn sie auf unmittelbar verbindliche und generell-abstrakte Weise Pflichten auferlegt, Rechte verleiht oder Zuständigkeiten festlegt. Wichtig ist eine rechtsetzende Bestimmung dann, wenn ihr Gegenstand nach Artikel 164 Absatz 1 BV auf formell-gesetzlicher Stufe normiert werden müsste. Dies trifft beim vorliegenden Abkommen zu, weil es die Schweiz zum Austausch der vorgesehenen Daten verpflichtet und diese neue Verpflichtung intern in einem formellen Gesetz geregelt werden müsste (Art. 164 Abs. 1 BV). Der Bundesbeschluss zur Genehmigung des Abkommens unterliegt deshalb dem Staatsvertragsreferendum.

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