06.086 Botschaft zur Eidgenössischen Volksinitiative «für demokratische Einbürgerungen» vom 25. Oktober 2006

Sehr geehrte Herren Präsidenten Sehr geehrte Damen und Herren Wir unterbreiten Ihnen hiermit die Botschaft und den Beschlussentwurf zur Eidgenössischen Volksinitiative «für demokratische Einbürgerungen». Wir beantragen Ihnen, die Initiative Volk und Ständen mit der Empfehlung auf Ablehnung zu unterbreiten. Sofern Sie die ständerätliche Gesetzesvorlage zur Parlamentarischen Initiative 03.454s Bürgerrechtsgesetz. Änderung (Thomas Pfisterer) der Volksinitiative als indirekten Gegenentwurf auf der Ebene des Gesetzes gegenüberstellen, so können wir dieses Vorgehen unterstützen.

Wir versichern Sie, sehr geehrte Herren Präsidenten, sehr geehrte Damen und Herren, unserer vorzüglichen Hochachtung.

25. Oktober 2006

Im Namen des Schweizerischen Bundesrates Der Bundespräsident: Moritz Leuenberger Die Bundeskanzlerin: Annemarie Huber-Hotz

2006-1829

8953

Übersicht Am 13. September 2003 hat die Schweizerische Volkspartei (SVP) im Anschluss an den Beschluss ihrer Delegiertenversammlung die Eidgenössische Volksinitiative «für demokratische Einbürgerungen» lanciert. Der Start zur Unterschriftensammlung erfolgte am 18. Mai 20041. Innert der Sammelfrist, welche am 18. November 2005 ablief, überreichten die Initianten die Unterschriften der Bundeskanzlei. Mit ihrer Verfügung vom 9. Januar 2006 stellte die Bundeskanzlei fest, dass von insgesamt 102 326 eingereichten Unterschriften 100 038 gültig waren, womit die Volksinitiative formell zustande gekommen war.2 Die Volksinitiative beinhaltet in der Form eines ausgearbeiteten Entwurfs folgende Forderungen: ­

Die Gemeinden sollen autonom entscheiden können, welches Organ das Gemeindebürgerrecht erteilen darf.

­

Ein erfolgter Einbürgerungsentscheid dieses zuständigen Organs soll endgültig sein, das heisst, nicht mehr durch eine weitere Instanz überprüft werden können.

Zu diesem Zweck verlangt die Volksinitiative, dass der geltende Artikel 38 der Bundesverfassung durch einen vierten Absatz ergänzt wird.

Mit ihrem Anliegen wollen die Urheber des Volksbegehrens die Rechtslage, die durch zwei Urteile des Bundesgerichts vom 9. Juli 2003 entstanden ist, rückgängig machen. Ausgehend von der Annahme, dass ein Einbürgerungsentscheid nicht rein politischer Natur, sondern auch ein Akt der Rechtsanwendung ist, hatte das Bundesgericht in einem ersten Urteil einen als diskriminierend eingestuften Einbürgerungsentscheid einer Gemeinde kassiert; mit dem zweiten Urteil hatte es Urnenabstimmungen bei Einbürgerungsentscheiden für verfassungswidrig erklärt. Durch die neue bundesgerichtliche Praxis wurde der verfahrensmässige Spielraum bei Einbürgerungen grundsätzlich eingeengt, und es sind in der Folge in der Schweiz keine Einbürgerungen mehr auf dem Weg der Urnenabstimmung vorgenommen worden.

Im Nachgang zur bundesgerichtlichen Rechtsprechung vom 9. Juli 2003 befassten sich mehrere parlamentarische Vorstösse mit den neu aufgeworfenen Fragen zum Thema der Einbürgerung. So reichte am 3. Oktober 2003 Ständerat Thomas Pfisterer eine parlamentarische Initiative zum Bürgerrechtsgesetz (03.454s Bürgerrechtsgesetz. Änderung) in Form einer allgemeinen Anregung ein. Mit Blick auf die Volksinitiative kam die Staatspolitische Kommission des Ständerates (SPK-S) zum Schluss, dass möglichst rasch ein konkreter Vorschlag auszuarbeiten sei, welcher im Sinne eines indirekten Gegenentwurfes der Volksinitiative gegenübergestellt werden könne. Am 27. Oktober 2005 hat die SPK-S ihren Erlass- und Berichtsentwurf zuhanden des Ständerates verabschiedet3. In seiner Stellungnahme vom 2. Dezember 1 2 3

BBl 2004 2425 BBl 2006 843 BBl 2005 6941

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2005 stimmte der Bundesrat dieser Vorlage der SPK-S zu4. Mit seiner Stellungnahme brachte der Bundesrat zum Ausdruck, dass er wie das Bundesgericht die Einbürgerung nicht als politischen Akt, sondern als einen Rechtsanwendungsakt versteht.

Diese Haltung entspricht der neuen Rechtsauffassung, die den bundesgerichtlichen Entscheiden vom 9. Juli 2003 zugrunde liegt. Zuvor hatte in Lehre und Praxis mehrheitlich die Auffassung vorgeherrscht, die Einbürgerung sei ein politischer Akt, der keiner weiteren Begründung bedürfe und mangels eines Rechtsanspruchs auch nicht gerichtlich anfechtbar sei. Daher konnten zu dieser Zeit die Gemeinden ­ je nach Ausgestaltung des kantonalen Rechts ­ weitgehend selbständig über die Erteilung ihrer Bürgerrechte befinden. Mit seiner Praxisänderung von 2003 und der seither wiederholt bestätigten Praxis qualifizierte das Bundesgericht die Einbürgerungen als Rechtsanwendungsakte und erklärte namentlich die Urnenabstimmung über Einbürgerungsgesuche mit den mit dem neuen Rechtsverständnis verbundenen rechtsstaatlichen Vorgaben für unvereinbar. Die Vorlage der SPK-S hatte bezüglich der Frage der Rechtsnatur von Einbürgerungen demgegenüber eine Mittelstellung eingenommen, indem im Einbürgerungsakt eine Mischform gesehen wurde, welche sowohl Anteile eines politischen Aktes wie auch eines Rechtsanwendungsaktes enthält. Dementsprechend wurde auch die Urnenabstimmung über Einbürgerungsgesuche unter gewissen Voraussetzungen für zulässig angesehen. Am 14. Dezember 2005 nahm der Ständerat mit 31 gegen 6 Stimmen den Entwurf der SPK-S an. Zur Zeit befindet sich der Gesetzesentwurf in der Beratung der SPK des Nationalrates.

Diese beschloss an ihrer Sitzung vom 27. April 2006, aus arbeitsökonomischen Gründen die Botschaft zur SVP-Initiative abzuwarten. In der Folge ist die Behandlung der vom Ständerat ausgearbeiteten Bürgerrechtsrevision auf das Jahr 2007 verschoben worden.

Nach Ansicht des Bundesrates hat der Gesetzesentwurf der SPK-S vom 27. Oktober 2005 in inhaltlicher Hinsicht den Vorteil, dass er auf der Linie der bundesgerichtlichen Rechtsprechung und damit der bestehenden Verfassung liegt. Zudem sind die Vorschläge zur Gesetzesrevision in den wesentlichen Punkten anlässlich des bei den Kantonen, den politischen Parteien und weiteren interessierten Organisationen durchgeführten
Vernehmlassungsverfahrens auf grosse Zustimmung gestossen.

Inhaltlich sieht die Vorlage der SPK-S vor, die Hoheit über die Einbürgerungsverfahren im Kanton und in den Gemeinden explizit den Kantonen zuzuweisen.

Zudem hält sie an der Begründungspflicht für ablehnende Einbürgerungsentscheide fest und verankert zugleich ein Beschwerderecht gegen ablehnende Entscheide auf kantonaler Ebene. Sodann werden die Kantone verpflichtet, die Privatsphäre der Einbürgerungswilligen so zu schützen, dass nur die für die Beurteilung der Einbürgerungsvoraussetzungen notwendigen Daten bekannt gegeben werden dürfen und bei deren Auswahl der Adressatenkreis zu berücksichtigen ist.

Demgegenüber stellen sich die Urheber und Urheberinnen der Volksinitiative auf den Standpunkt, dass politisch umstrittene Rechtsfragen nicht allein durch eine Verfassungsauslegung des Bundesgerichts, sondern durch den Verfassungsgeber selbst geklärt werden müssen. Durch die angestrebte Verfassungsreform sollen die 4

BBl 2005 7125

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Gemeinden ermächtigt werden, auf kommunaler Ebene das Verfahren und die für die Einbürgerung zuständigen Organe festzulegen. Allerdings vermag die vorliegende Verfassungsvorlage das offen zutage getretene Spannungsverhältnis zwischen der Einbürgerungsdemokratie und den zeitgemässen Anforderungen an einen Rechtsstaat nicht zu überwinden. Für den Fall einer Annahme der Volksinitiative wären die eingespielten Verfahrensabläufe zahlreicher Kantone obsolet. Schliesslich könnten mit der angestrebten Aufhebung rechtsstaatlicher Regelungen bei der Erteilung des Gemeindebürgerrechts zusätzliche Konflikte mit dem internationalen Recht entstehen.

Da die Volksinitiative «für demokratische Einbürgerungen» bezweckt, mit den rechtsstaatlichen Vorgaben zu brechen und die kantonalen Zuständigkeiten durch eine Verabsolutierung der Gemeindeautonomie zu beschneiden, empfiehlt der Bundesrat, diese abzulehnen. Sofern die eidgenössischen Räte die ständerätliche Gesetzesvorlage zur Parlamentarischen Initiative 03.454s Bürgerrechtsgesetz. Änderung (Thomas Pfisterer) der Volksinitiative als indirekten Gegenentwurf auf der Ebene des Gesetzes gegenüberstellen, wird der Bundesrat ein solches Vorgehen unterstützen.

8956

Botschaft 1

Allgemeiner Teil

1.1

Formelles

1.1.1

Wortlaut der Initiative

Die Eidgenössische Volksinitiative «für demokratische Einbürgerungen» wurde am 18. November 2005 mit 100 038 gültigen Unterschriften in der Form eines ausgearbeiteten Entwurfs bei der Bundeskanzlei eingereicht. Die Initiative hat folgenden Wortlaut: Die Bundesverfassung vom 18. April 1999 wird wie folgt geändert: Art. 38 Abs. 4 (neu) Die Stimmberechtigten jeder Gemeinde legen in der Gemeindeordnung fest, welches Organ das Gemeindebürgerrecht erteilt. Der Entscheid dieses Organs über die Erteilung des Gemeindebürgerrechts ist endgültig.

4

1.1.2

Zustandekommen

Mit Verfügung vom 9. Januar 2006 stellte die Bundeskanzlei fest, dass die Volksinitiative «für demokratische Einbürgerungen» formell zustandegekommen ist.5

1.1.3

Behandlungsfrist

Gemäss Artikel 97 des Bundesgesetzes über die Bundesversammlung (Parlamentsgesetz, SR 171.10) unterbreitet der Bundesrat der Bundesversammlung spätestens ein Jahr nach Einreichen einer zu Stande gekommenen Volksinitiative eine Botschaft und den Entwurf eines Bundesbeschlusses für eine Stellungnahme der Bundesversammlung. Der Bundesrat hat somit die vorliegende Botschaft bis spätestens 18. November 2006 dem Parlament zu unterbreiten.

1.2

Gültigkeit

1.2.1

Einheit der Form

Nach den Artikeln 139 (alt) Absätze 2 und 3 sowie 194 Absatz 3 der Bundesverfassung vom 18. April 1999 (BV; SR 101) ist eine Volksinitiative auf Teilrevision der Bundesverfassung nur in der Form der allgemeinen Anregung oder des ausgearbeiteten Entwurfs zulässig; Mischformen sind nicht gestattet. Die Volksinitiative

5

BBl 2006 843

8957

«für demokratische Einbürgerungen» ist ausschliesslich in der Form des ausgearbeiteten Entwurfs gehalten. Die Einheit der Form ist somit gewahrt.

1.2.2

Einheit der Materie

Das Gebot der Einheit der Materie nach den Artikeln 139 (alt) Absatz 3 und 194 Absatz 2 BV will sicherstellen, dass mit einem Volksbegehren nicht mehrere, sachlich nicht zusammenhängende Fragen zur Abstimmung gelangen. Damit soll der freie und unverfälschte Wille bei der Abstimmung gewährleistet werden. Das Volksbegehren will die Einbürgerungsdemokratie auf Stufe Gemeinde sicherstellen, indem es die Entscheide des kommunal zuständigen Organs im Bereich von Einbürgerungen für endgültig erklärt. Inhaltlich beschlägt die Volksinitiative einen einzigen Themenbereich, jenen der Staatsbürgerschaft. Die zwei neuen Verfassungsbestimmungen regeln sodann beide das Verfahren der ordentlichen Einbürgerung auf Gemeindeebene. Damit besteht zwischen den beiden Bestimmungen der Volksinitiative ein sachlicher Zusammenhang im Sinne von Artikel 75 Absatz 2 des Bundesgesetzes über die politischen Rechte6, womit das Gebot der Einheit der Materie eingehalten ist.

1.2.3

Durchführbarkeit

Volksbegehren sind auch auf ihre faktische Durchführbarkeit zu überprüfen.7 Nach konstanter Praxis müssen zweifelsfrei und faktisch unmöglich durchführbare Volksinitiativen der Volksabstimmung entzogen werden. Die Initiative beinhaltet eine Ermächtigung der Gemeinden zur Festlegung des zuständigen Einbürgerungsorgans.

Diese Forderung der Volksinitiative ist sowohl in rechtlicher als auch in faktischer Hinsicht realisierbar. Die Durchführbarkeit ist somit gegeben.

1.2.4

Vereinbarkeit mit dem Völkerrecht

Nach Artikel 139 (alt) Absatz 3 BV muss die Bundesversammlung eine Volksinitiative, welche zwingende Bestimmungen des Völkerrechts verletzt, ganz oder teilweise für ungültig erklären. Es gilt daher zu prüfen, ob die Initiative oder Teile davon zwingende Normen des Völkerrechts verletzen.

Bei Annahme der Volksinitiative «für demokratische Einbürgerungen» wäre insbesondere ein allfälliger Ausschluss jeglicher gerichtlicher Überprüfung kommunaler Einbürgerungsentscheide nicht mit dem konventionellen Völkerrecht vereinbar. Der Bundesrat ist der Meinung, dass diese zentrale Regelung der Volksinitiative mehrere wichtige internationale Übereinkommen verletzt.

6 7

SR 161.1 BBl 1997 I 445, 1998 274

8958

1.2.4.1

Internationales Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Rassendiskriminierung8

Das Internationale Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Rassendiskriminierung (RDÜ) ist für die Schweiz am 29. November 1994 in Kraft getreten. Mit gegenwärtig 171 Vertragsstaaten handelt es sich um ein international breit abgestütztes Übereinkommen. Als Rassendiskriminierung wird im Übereinkommen jede auf der Rasse, der Hautfarbe, der Abstammung, dem nationalen Ursprung oder dem Volkstum beruhende Unterscheidung, Ausschliessung, Beschränkung oder Bevorzugung bezeichnet, die zum Ziel oder zur Folge hat, dass dadurch ein gleichberechtigtes Anerkennen, Geniessen oder Ausüben von Menschenrechten und Grundfreiheiten im politischen, wirtschaftlichen, sozialen, kulturellen oder jedem sonstigen Bereich des öffentlichen Lebens vereitelt oder beeinträchtigt wird (Art. 1 Abs. 1).

Das Übereinkommen findet keine Anwendung auf Unterscheidungen, Ausschliessungen, Beschränkungen oder Bevorzugungen, die ein Vertragsstaat zwischen eigenen und fremden Staatsangehörigen vornimmt. Hingegen ist das Übereinkommen anwendbar auf Unterscheidungen, die in einem Vertragsstaat zwischen fremden Staatsangehörigen, beispielsweise zwischen Einbürgerungsbewerbern unterschiedlicher nationaler Herkunft, Rasse usw. getroffen werden (Art. 1 Abs. 2).

Gemäss Abkommen verurteilen die Vertragsstaaten die Rassendiskriminierung und verpflichten sich, mit allen geeigneten Mitteln unverzüglich eine Politik der Beseitigung der Rassendiskriminierung in jeder Form und der Förderung des Verständnisses unter allen Rassen zu verfolgen (Art. 2 Abs. 1). Insbesondere verpflichten sie sich, Handlungen oder Praktiken der Rassendiskriminierung gegenüber Personen, Personengruppen oder Einrichtungen zu unterlassen und dafür zu sorgen, dass alle staatlichen und örtlichen Behörden und öffentlichen Einrichtungen im Einklang mit dieser Verpflichtung handeln (Art. 2 Abs. 1 Bst. a), und treffen wirksame Massnahmen, um das Vorgehen seiner staatlichen und örtlichen Behörden zu überprüfen und alle Gesetze und sonstigen Vorschriften zu ändern, aufzuheben oder für nichtig zu erklären, die eine Rassendiskriminierung bewirken (Art. 2 Abs. 1 Bst. c).

Die Vertragsstaaten gewähren jeder Person in ihrem Hoheitsgebiet einen wirksamen Schutz und wirksame Rechtsbehelfe durch die zuständigen nationalen Gerichte (Art. 6).

Das Übereinkommen verpflichtet die
Vertragsstaaten, periodisch über die Handhabung des Abkommens vor einem Ausschuss Bericht zu erstatten. Der erste Bericht der Schweiz an den UNO-Ausschuss zur Beseitigung jeder Form von Rassendiskriminierung (Committee on the Elimination of Racial Discrimination [CERD]) vom 18. Dezember 1996 wurde vom Ausschuss in seiner Märzsession 1998 geprüft.

In den Schlussbemerkungen vom 20. März 1998 brachte der Ausschuss seine Besorgnis zu Einbürgerungspolitik und Verfahren, welche als zu langwierig und zu selektiv erachtet wurden, zum Ausdruck.

Im zweiten und dritten periodischen Bericht der Schweiz an den UNO-Ausschuss zur Beseitigung jeder Form von Rassendiskriminierung vom Dezember 2002 wurde im Zusammenhang mit der vom UNO-Ausschuss geäusserten Besorgnis auf die damals laufende, umfangreiche Revision des Bürgerrechtsgesetzes, welche unter anderem die Einführung eines Beschwerderechts gegen diskriminierende Einbür8

SR 0.104

8959

gerungsentscheide vorsah, verwiesen. In der Sommersession 2003 hat der Ständerat das Beschwerderecht jedoch ausdrücklich aus der Revision des Bürgerrechtsgesetzes ausgeschlossen. Der Nationalrat schloss sich in der Herbstsession 2003 mit Blick auf zwei Urteile des schweizerischen Bundesgerichts vom 9. Juli 2003 dem Ständerat an. Während ein Teil des Nationalrats sich grundsätzlich gegen die Einführung eines Beschwerderechts aussprach, begrüsste ein anderer Teil die vom Bundesgericht neu angewandte Praxis ausdrücklich und verzichtete deshalb auf ein gesetzlich verankertes Beschwerderecht.9 Die Volksinitiative sieht vor, dass der Entscheid des gemäss der Gemeindeordnung zuständigen Gemeindeorgans über die Erteilung des Gemeindebürgerrechts endgültig ist. Soweit damit jede Überprüfung von Einbürgerungsentscheiden, selbst wenn diese gegen das Diskriminierungsverbot verstossen sollten, ausgeschlossen wäre, könnte die Schweiz ihrer völkerrechtlichen Verpflichtung, wirksame Rechtsbehelfe gegen alle rassisch diskriminierenden Handlungen durch die zuständigen nationalen Gerichte zu gewährleisten, nicht nachleben. Die Volksinitiative stünde damit in einem unauflösbaren Widerspruch zum Übereinkommen.

1.2.4.2

Internationaler Pakt über bürgerliche und politische Rechte10

Der Internationale Pakt über bürgerliche und politische Rechte (so genannter Pakt II) ist für die Schweiz am 18. September 1992 in Kraft getreten. Mit 169 Vertragsstaaten ist der Pakt international ähnlich breit abgestützt wie das Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Rassendiskriminierung.

Die Vertragsstaaten verpflichten sich, dafür Sorge zu tragen, dass jede Person, die in ihren im Pakt anerkannten Rechten oder Freiheiten verletzt worden ist, das Recht hat, eine wirksame Beschwerde einzulegen und dass die zuständigen Stellen Beschwerden, denen stattgegeben wurden, Geltung verschaffen (Art. 2 Abs. 3).

Gemäss Pakt II sind alle Menschen vor dem Gesetz gleich und haben ohne Diskriminierung Anspruch auf gleichen Schutz durch das Gesetz. In dieser Hinsicht hat das Gesetz jede Diskriminierung zu verbieten und allen Menschen gegen jede Diskriminierung, wie insbesondere wegen der Rasse, der Hautfarbe, des Geschlechts, der Sprache, der Religion, der politischen oder sonstigen Anschauungen, der nationalen oder sozialen Herkunft, des Vermögens, der Geburt oder des sonstigen Status, gleichen und wirksamen Schutz zu gewährleisten (Art. 26). Die Schweiz hat allerdings beim Beitritt zum Pakt II verschiedene Vorbehalte und Erklärungen abgegeben. So gewährleistet sie den Anspruch der Menschen auf gleichen Schutz durch das Gesetz ohne Diskriminierung nur in Verbindung mit anderen im Pakt enthaltenen Rechten. Ein Recht auf Einbürgerung oder auf ein bestimmtes Verfahren in diesem Zusammenhang ist im Pakt II aber nicht enthalten. Allerdings werden im Entscheidverfahren über ein Einbürgerungsgesuch ­ je nach Zuständigkeit der Behörde ­ persönliche Daten von einbürgerungswilligen Personen einem mehr oder weniger grossen Adressatenkreis zugänglich gemacht.11 Dieser Umstand kann dazu führen,

9 10 11

Vgl. Ziff. 2.3 SR 0.103.2 Vgl. auch Fn. 14

8960

dass der Schutz der Privatsphäre im Sinne von Artikel 17 des Paktes II12 verletzt wird. Die betroffenen Personen besitzen daher gestützt auf Artikel 2 Absatz 3 Buchstabe a des Paktes II ein wirksames Beschwerderecht, um die Beachtung von Artikel 17 dieses Paktes überprüfen zu lassen. Hinsichtlich des Diskriminierungsverbots kann selbst der angebrachte Vorbehalt der Schweiz nicht dazu führen, dass Artikel 26 nur bei einem Rechtsanspruch auf Einbürgerung Anwendung finden würde.

Weil das Verbot in Verbindung mit Artikel 17 des Paktes gilt, haben die Einbürgerungsbewerber und -bewerberinnen mit Bezug auf die Verbreitung ihrer persönlichen Daten im Rahmen des Einbürgerungsverfahrens ein Recht, nicht diskriminiert zu werden. Der Ausschluss jeglichen Beschwerderechts gegen einen kommunalen Einbürgerungsentscheid würde letztlich Artikel 2 Absatz 3 Buchstabe a des Paktes verletzen.

1.2.4.3

Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten13

Die Europäische Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten hält in Artikel 8 fest, dass jede Person das Recht auf Achtung ihres Privat- und Familienlebens, ihrer Wohnung und ihrer Korrespondenz hat. Dementsprechend haben die einbürgerungswilligen Personen einen Anspruch darauf, dass ihre Privatsphäre auch im Rahmen des Einbürgerungsverfahrens geschützt bleibt.14 Je nach Grösse des Empfängerkreises und Umfang der für das Einbürgerungsverfahren zugänglich gemachten Daten einbürgerungswilliger Personen kann der Schutzbereich der Privatsphäre im Sinne von Artikel 8 tangiert sein. Gestützt auf Artikel 13 EMRK muss betroffenen Personen eine wirksame Beschwerde zur innerstaatlichen Geltendmachung allfälliger Konventionsverletzungen (in casu von Art. 8 EMRK) möglich sein. Bei Ausschluss jeglichen Beschwerderechts gegen einen kommunalen Einbürgerungsentscheid würde das in Artikel 13 EMRK garantierte Recht auf wirksame Beschwerde verletzt.

1.2.4.4

Schlussfolgerungen

Nach Artikel 139 (alt) Absatz 3 BV erklärt die Bundesversammlung die Volksinitiative, welche zwingende Bestimmungen des Völkerrechts verletzt, für ganz oder teilweise ungültig. Allerdings wird nur ein kleiner Teil internationaler Bestimmungen dem «zwingenden Völkerrecht» (ius cogens) zugerechnet: Eine zwingende Norm des allgemeinen Völkerrechts ist gemäss Artikel 53 der Wiener Vertragsrechtskonvention «eine Norm, die von der internationalen Staatengemeinschaft in ihrer Gesamtheit angenommen und anerkannt wird als eine Norm,

12

13 14

W. Kälin/G. Malinverni/M. Nowak, Die Schweiz und die UNO-Menschenrechtspakte, 2. Ausgabe, Basel 1997, S. 379; W. Kälin/M. Künzli, Universeller Menschenrechtsschutz, Basel 2005, S. 378.

SR 0.101 Zur Problematik des Schutzes der Privatsphäre im Rahmen von Einbürgerungsverfahren vgl. BGE 129 I 232 Erwägung 4 sowie BBl 2005 6951 und 6953.

8961

von der nicht abgewichen werden darf und die nur durch eine spätere Norm des allgemeinen Völkerrechts derselben Rechtsnatur geändert werden kann»15.

Der Bundesrat hat in verschiedenen Botschaften Beispiele von zwingendem Völkerrecht erwähnt; darunter fallen namentlich die Verbote von Folter, Genozid, Sklaverei und die notstandsfesten Garantien der EMRK16 wie auch des Paktes II17. Wenn solche Normen staatsvertraglich verankert sind, kann sich der einzelne Staat aufgrund ihres zwingenden Charakters selbst durch Kündigung nicht von ihrer Berücksichtigung entbinden.18 Die Rechtsweggarantie gemäss Artikel 6 der Konvention zur Beseitigung jeder Form von Rassendiskriminierung sowie das Recht auf wirksame Beschwerde gemäss Artikel 13 EMRK und Artikel 2 Absatz 3 des Paktes II sind hingegen nicht Bestandteil des zwingenden Völkerrechts im Sinne der vorstehenden Ausführungen.

Diesbezüglich hat sich der Bundesrat in seiner Botschaft vom 7. Juni 2004 zur Volksinitiative «Für einen zeitgemässen Tierschutz (Tierschutz-Ja!)»19 ausdrücklich dagegen ausgesprochen, dass Normen aus völkerrechtlichen Verpflichtungen, selbst wenn sie für die Schweiz von so überragender Bedeutung sind, dass deren Aufkündigung nicht in Frage kommt, mit zwingendem Völkerrecht gleichgestellt werden.

Dies führt dazu, dass trotz der Unkündbarkeit des Pakts II und trotz des hohen Ranges der EMRK in der Hierarchie der Übereinkommen, beide Abkommen kein zwingendes Völkerrecht im Sinne von Artikel 139 (alt) Absatz 3 BV darstellen.

Die vorliegende Initiative verletzt daher die Bestimmungen des zwingenden Völkerrechts nicht.

2

Ausgangslage

2.1

Verfassungsrecht

Die geltende Bundesverfassung regelt den Erwerb des Bürgerrechts in zwei Artikeln: Art. 37

Bürgerrechte

Schweizerbürgerin oder Schweizerbürger ist, wer das Bürgerrecht einer Gemeinde und das Bürgerrecht des Kantons besitzt.

1

Niemand darf wegen seiner Bürgerrechte bevorzugt oder benachteiligt werden.

Ausgenommen sind Vorschriften über die politischen Rechte in Bürgergemeinden und Korporationen sowie über die Beteiligung an deren Vermögen, es sei denn, die kantonale Gesetzgebung sehe etwas anderes vor.

2

15 16 17 18 19

Wiener Übereinkommen vom 23. Mai 1969 über das Recht der Verträge; SR 0.111.

SR 0.101 SR 0.103.2 BBl 1997 I 433; BBl 2001 3438; BBl 2005 4751 f.

BBl 2004 3292

8962

Art. 38

Erwerb und Verlust der Bürgerrechte

Der Bund regelt Erwerb und Verlust der Bürgerrechte durch Abstammung, Heirat und Adoption. Er regelt zudem den Verlust des Schweizer Bürgerrechts aus anderen Gründen sowie die Wiedereinbürgerung.

1

Er erlässt Mindestvorschriften über die Einbürgerung von Ausländerinnen und Ausländern durch die Kantone und erteilt die Einbürgerungsbewilligung.

2

3

Er erleichtert die Einbürgerung staatenloser Kinder.

2.2

Die Praxis des Bundesgerichts zur Einbürgerung ab 2003

Am 9. Juli 2003 hat das Bundesgericht mit zwei Leitentscheiden in der eidgenössischen und kantonalen Politik zahlreiche Vorstösse provoziert und in der schweizerischen Rechtswissenschaft heftige Diskussionen ausgelöst. In einem Fall (BGE 129 I 217) wurde ein als diskriminierend eingestufter Einbürgerungsentscheid der Gemeinde Emmen auf eine Beschwerde hin kassiert. Im zweiten Fall (BGE 129 I 232) wurde der Entscheid des Regierungsrates des Kantons Zürich geschützt, der eine Stadtzürcher Volksinitiative, die Einbürgerungen auf dem Wege von Urnenabstimmungen einführen wollte, für ungültig erklärt hatte. Das Bundesgericht war zur Auffassung gelangt, dass in Urnenabstimmungen gefällte ablehnende Einbürgerungsentscheide rechtswidrig seien, da diese systembedingt nicht begründbar seien.

In einem weiteren Urteil vom 12. Mai 2004 (BGE 130 I 140) wies das Bundesgericht sodann zwei Stimmrechtsbeschwerden gegen eine in der Folge seiner Urteile vom Juli 2003 erlassene Verordnung des Regierungsrates des Kantons Schwyz ab.

In seiner Begründung führte es aus, dass die Verordnung, die an der Zuständigkeit der Gemeindeversammlung festhält, nicht von vornherein als ungeeignet erscheine, verfassungskonforme Einbürgerungsentscheide der Schwyzer Gemeinden zu ermöglichen. Laut Verordnung gilt der Antrag des Gemeinderates zu einem Einbürgerungsgesuch als angenommen, wenn aus der Versammlungsmitte nicht ein begründeter Gegenantrag gestellt wird. Die Beschwerdeführer machten in diesem Fall geltend, die angefochtene vorläufige Verordnung hätte nicht in dieser Form erlassen werden dürfen, sondern das ordentliche Gesetzgebungsverfahren durchlaufen müssen. Das Bundesgericht entschied hingegen, dass der Regierungsrat keine Kompetenzüberschreitung begangen habe. Denn die angefochtene Verordnung beschränke sich darauf, das geltende Schwyzer Recht in verfassungsrechtlich haltbarer Weise umzusetzen. Zudem handle es sich um eine vorläufige Regelung bis zum Erlass von definitiven Bestimmungen auf dem ordentlichen Gesetzgebungsweg durch den Kantonsrat.

Am 10. Mai 2006 führte das Bundesgericht in zwei weiteren Entscheiden20 seine Praxis zur Frage der Einbürgerung fort, indem es die Anforderungen an die Begründungspflicht näher konkretisierte. So schützte im Fall einer muslimischen Religionslehrerin aus dem Baselland die zuständige
bundesgerichtliche Kammer den ablehnenden Entscheid des Kantonsparlaments (Landrat). Die Gesuchstellerin habe sich bewusst gegen eine Integration gewehrt, was eine Ablehnung der Einbürgerung 20

BGE 132 I 167 und BGE 132 I 196

8963

rechtfertige. Da der fehlende Integrationswille bereits anlässlich der ausführlichen Diskussion im Kantonsparlament als Einbürgerungshindernis erwähnt worden war, sei die Ablehnung der Einbürgerung hinreichend klar und eindeutig begründet worden. Im Weiteren befand das Bundesgericht, dass sich eine Zurückhaltung bei der Überprüfung aufdränge, da der lokalen Einbürgerungsbehörde ein weiter Ermessensspielraum zukomme. Anders lag der Fall einer Aargauer Gemeinde, welche ein Einbürgerungsgesuch abgelehnt hatte, ohne dass die zuständige Gemeindeversammlung über das zu befindende Einbürgerungsgesuch eine vorgängige Diskussion geführt hatte. Einzig zwei Stimmberechtigte hatten sich negativ über das Verhalten der einbürgerungswilligen Person geäussert, ohne diese Wortmeldung mit einem formellen Ablehnungsantrag zu verbinden. Das Bundesgericht hiess in der Folge die Beschwerde gegen den ablehnenden Entscheid gut, da die beiden Meinungsäusserungen nicht ausreichten, die Anforderungen an eine rechtsgenügliche Begründung zu erfüllen.

2.2.1

Zur Rechtswirkung der Urteile des Bundesgerichts vom 9. Juli 2003 und vom 12. Mai 2004

Die Urteile vom 9. Juli 2003 haben den verfahrensmässigen Spielraum bei Einbürgerungen grundsätzlich eingeengt. Grundlage bildete dabei die Äusserung des Bundesgerichts zur Rechtsnatur von Einbürgerungsentscheiden. Erstmals hatte dieses verbindlich festgelegt, dass das Einbürgerungsverfahren materiell als ein Rechtsanwendungsakt zu verstehen ist. Dies führe dazu, dass den Einbürgerungswilligen fortan auch im Einbürgerungsverfahren die gemäss Artikel 29 BV im Rahmen von Verwaltungs- oder Gerichtsverfahren gewährten Verfahrensgarantien zustehen.

Nach dieser bundesgerichtlichen Praxis hat eine einbürgerungswillige Person Anspruch auf rechtliches Gehör, woraus sich wiederum die Begründungspflicht herleitet. Diese Verfahrensgarantien stehen den beschwerdeführenden Parteien unabhängig davon zu, ob sie einen Rechtsanspruch in der Sache, nämlich auf Gutheissung des Einbürgerungsgesuchs, haben oder nicht. In den erwähnten Entscheiden wird ebenfalls festgehalten, dass die über Einbürgerungsgesuche entscheidende Stimmbürgerschaft als Organ der Gemeinde handeln und somit staatliche Verwaltungsaufgaben wahrnehmen. Sie sind deshalb gemäss Artikel 35 Absatz 2 BV an die Grundrechte gebunden und müssen den Grundsatz des Diskriminierungsverbots beachten. Ungleiche Behandlungen unterstehen dementsprechend einer besonders qualifizierten Begründungspflicht. Im Weiteren war das Bundesgericht der Ansicht, dass die Beschaffenheit der geheimen Urnenabstimmung eine Begründung verunmögliche, weshalb diese im Bereich der Einbürgerung für rechtswidrig erklärt wurde.

Diese Haltung hat das Bundesgericht in seinem Urteil vom 12. Mai 2004 bekräftigt.

So wird darin erneut ausgeführt, dass die Begründungspflicht negativer Einbürgerungsentscheide keine bloss formelle Anforderung sei. Vielmehr sei sie unabdingbare Voraussetzung für die Überprüfung von Einbürgerungsentscheiden unter dem Blickwinkel des Diskriminierungsverbotes. Dadurch diene sie der Verhinderung von Herabsetzungen und Ausgrenzungen wegen der Herkunft, der Sprache, der Religion, usw., und gewährleiste damit letztlich den Schutz der Menschenwürde.

Ausdrücklich offengelassen wurde zunächst noch die Frage, ob ein verfassungskonformer Einbürgerungsentscheid im Rahmen von Gemeindeversammlungen möglich sei oder nicht. Immerhin wird der Fall erwähnt, wo an der Gemeindever8964

sammlung selbst Gründe für die Ablehnung einer konkreten Einbürgerung genannt werden und darüber unmittelbar im Anschluss an die Diskussion abgestimmt wird.

Diesfalls könne angenommen werden, dass die ablehnenden Gründe von der Mehrheit der Abstimmenden mitgetragen werden. Im Weiteren wird allerdings eingeräumt, dass auch unter dem Blickwinkel des Schutzes der Privatsphäre die Verfassungsmässigkeit von Gemeindeversammlungsbeschlüssen nicht von vornherein in Frage gestellt werden könne.

2.2.2

Zur Rechtsnatur des Einbürgerungsentscheids

Mit Urteil vom 9. Juli 2003 hat das Bundesgericht entgegen der bisher vorherrschenden Auffassung entschieden, dass Einbürgerungsentscheide Teil eines rechtsstaatlichen Verfahrens seien, welche analog den öffentlichrechtlichen Verfügungen einer besonderen Begründung bedürften und ebenso einer gerichtlichen Überprüfung unterstünden. Demgegenüber wurde in früheren Jahren in Lehre und Praxis überwiegend die Auffassung vertreten, dass eine Einbürgerung ein politischer Akt sei, der keiner weiteren Begründung bedürfe und mangels eines Rechtsanspruchs auch nicht anfechtbar sei.

Eine vermittelnde Position liegt hingegen dem Entwurf der SPK-S vom 27. Oktober 2005 (Pa.Iv. Pfisterer)21 zugrunde. Er geht von einer Mischform aus, wonach dem Einbürgerungentscheid sowohl Anteile eines Verwaltungsaktes als auch eines politischen Aktes zukommen.

Gleichzeitig mit der Verabschiedung ihres Entwurfs vom 27. Oktober 2005 lud die SPK-S den Bundesrat zu einer Stellungnahme ein. In seiner Stellungnahme zur Pa.Iv. Pfisterer vom 2. Dezember 200522 vertrat der Bundesrat in Anlehnung an die bundesgerichtliche Praxis die Meinung, dass der Einbürgerung überwiegend die Merkmale eines Rechtsanwendungsaktes zukommen.

Diese Rechtsauffassung deckt sich im Übrigen auch mit den in Europa vorherrschenden Ansichten. Sämtliche Mitgliedstaaten des Europarates erkennen mittlerweile im Einbürgerungsentscheid einen Rechtsanwendungsakt. Einzig Belgien23, Dänemark24 und Polen25 erblicken darin noch gewisse Anteile eines politischen Aktes.

21 22 23

24

25

Vgl. Ziff. 2.4.1 BBl 2005 7125 Vgl. Loseblattsammlung Bergmann/Ferid/Henrich, Internationales Ehe- und Kindschaftsrecht, Frankfurt a.M., 1976; ad Belgien S. 6; gem. Art. 9 der Verfassung wird die Einbürgerung vom föderalen Parlament verliehen.

Fn. 23 a.a.O., ad Dänemark S. 11; nebst der Exekutive wird die Einbürgerung auch aufgrund von Spezialgesetzen zu Gunsten bestimmter Personen vorgenommen, wobei diese Art im freien Ermessen des Gesetzgebers steht.

Fn. 23 a.a.O., ad Polen S. 10 f.; Die Staatsangehörigkeitssachen sind Angelegenheiten im Zuständigkeitsbereich der Regierungsverwaltung; die Entscheide sind, mit Ausnahme derjenigen des Staatspräsidenten, auf gerichtlichem Weg anfechtbar.

8965

2.3

Zur Problematik des Beschwerderechts gegen Einbürgerungsentscheide

Der Bundesrat hatte schon anlässlich früherer Gesetzesrevisionen Gelegenheit, sich mit der Problematik des Beschwerderechts gegen Einbürgerungsentscheide auseinanderzusetzen. So enthielt der Entwurf des Bundesrates und die Fassung des Nationalrates für eine Revision des Bürgerrechtsgesetzes26 ursprünglich eine Regelung des Beschwerderechtes gegen Einbürgerungsentscheide (Art. 51 Abs. 3, 51a, 58d sowie Ziff. II). Seinerzeit hatte der Nationalrat schon im Vorfeld der bundesrätlichen Botschaft eine parlamentarische Initiative für ein Beschwerderecht (01.455 SPK-NR. Beschwerderecht gegen diskriminierende Einbürgerungsentscheide) mit identischem Wortlaut zur Vorlage des Bundesrates vorbereitet und diese in der Frühjahrssession 2002 gutgeheissen.

In der Sommersession 2003 klammerte jedoch der Ständerat das Beschwerderecht explizit aus der Gesetzesrevision aus. Während sich ein Teil der Mehrheit grundsätzlich gegen ein Beschwerderecht aussprach, wollte ein anderer Teil die von der Bundesversammlung mehrheitlich begrüssten Reformen im Bürgerrecht mit dieser kontroversen Frage nicht belasten.

In der Folge der Bundesgerichtsurteile zur Einbürgerung schloss sich der Nationalrat in der Herbstsession 2003 dem Streichungsbeschluss des Ständerates an. Indem er das Beschwerderecht ebenfalls aus der Vorlage strich und dadurch die zum Ständerat entstandene Differenz ausräumte, fasste er jedoch lediglich einen formal identischen Beschluss. Während sich ein Teil der Ratsmehrheit grundsätzlich gegen die Verankerung eines Beschwerderechtes aussprach, begrüsste ein anderer Teil explizit die vom Bundesgericht neu angewandte Praxis und verzichtete aus diesem Grund auf eine Verankerung des Beschwerderechtes im Bürgerrechtsgesetz.

Vor der Schlussabstimmung vom 3. Oktober 2003 zur Revision der Bürgerrechtsregelung wurde im Ständerat von verschiedener Seite auf die Problematik der divergierenden Motive und Begründungen beider Räte und auf den dringenden gesetzgeberischen Handlungsbedarf hingewiesen. Im Rahmen der Absichtserklärungen, als Gesetzgeber die Rechtslage klären zu wollen, wurde die parlamentarische Initiative Pfisterer27 angekündigt und die Revision des Bürgerrechtsgesetzes mit 22 zu 16 Stimmen angenommen.

2.4

Drei Parlamentarische Vorstösse und drei Standesinitiativen

Im Nachgang zu den Urteilen des Bundesgerichtes vom 9. Juli 2003 wurden sowohl im Ständerat als auch im Nationalrat parlamentarische Initiativen zum Thema Einbürgerung auf Gemeindeebene eingereicht. Zusätzlich reichten auch der Kanton Schwyz, der Kanton Luzern sowie der Kanton Aargau eine Standesinitiative zu dieser Problematik ein.

26 27

Vgl. 01.076 Botschaft zum Bürgerrecht für junge Ausländerinnen und Ausländer und zur Revision des Bürgerrechtsgesetzes, BBl 2002 1911.

Vgl. Ziff. 2.4.1

8966

2.4.1

Die Pa.Iv. Pfisterer (03.454s Bürgerrechtsgesetz.

Änderung)

Bereits am 3. Oktober 2003 reichte Ständerat Thomas Pfisterer eine parlamentarische Initiative zum Bürgerrechtsgesetz (03.454s Pa.Iv. Pfisterer. Bürgerrechtsgesetz.

Änderung) in Form einer allgemeinen Anregung ein. Die Initiative fordert, dass das Bürgerrechtsgesetz für die ordentliche Einbürgerung in dem Sinne zu ändern sei, dass erstens die Kantone selbständig entscheiden können, ob Einbürgerungen dem Volk im Rahmen von Gemeindeversammlungen oder Urnenabstimmungen oder der Volksvertretung (Parlament) unterbreitet werden. Zweitens soll die Gesetzgebung so angepasst werden, dass das Bundesgericht keinen Entscheid auf eine ordentliche Einbürgerung fällen, sondern lediglich Rügen auf Verletzung verfassungsmässiger Verfahrensgarantien prüfen kann. Der Vorstoss wurde von 31 Ständerätinnen und Ständeräten mitunterzeichnet. Am 9. Dezember 2003 beschloss der Ständerat mit 25 gegen 9 Stimmen, dem Geschäft Folge zu geben. Am 27. Oktober 2005 konnte die Staatspolitische Kommission des Ständerates (SPK-S) einstimmig einen Erlassund Berichtsentwurf zuhanden des Ständerates verabschieden. Inhaltlich geht der Entwurf der SPK-S davon aus, dass der Einbürgerungsentscheid sowohl Teil eines politischen Aktes als auch ein individueller konkreter Akt der Rechtsanwendung ist.

Vor diesem Hintergrund wird im Sinne der Rechtsstaatlichkeit eine möglichst weit reichende Gleichbehandlung von schweizerischen und ausländischen Bürgerinnen und Bürgern vor dem schweizerischen Recht angestrebt. Zu diesem Zweck beinhaltet die Vorlage eine generelle Begründungspflicht für ablehnende Einbürgerungsentscheide, die Gewährung eines Rechtsschutzes sowie den Schutz der Privatsphäre von Einbürgerungswilligen.

Mit Stellungnahme vom 2. Dezember 2005 hat der Bundesrat dem Erlass- und Berichtsentwurf der SPK-S vom 27. Oktober 2005 zugestimmt. Der Ständerat hat die Vorlage in der Wintersession 2005, am 14. Dezember 2005, mit 31 gegen 6 Stimmen angenommen. Zunächst war vorgesehen, die Vorlage Ende April 2006 in der Staatspolitischen Kommission des Nationalrates zu behandeln. An ihrer Sitzung vom 27. April 2006 beschloss diese aber, die vorliegende Botschaft zur SVPInitiative abzuwarten, damit später beide Geschäfte gleichzeitig behandelt werden können. Dementsprechend wurde die Behandlung der vom Ständerat ausgearbeiteten Bürgerrechtsrevision ins Jahr 2007 verschoben.

2.4.2

Die Pa.Iv. Joder (03.455n Einbürgerung.

Mehr Freiheit für Gemeinden und Kantone)

Die am 3. Oktober 2003 eingereichte Initiative verlangt, dass Gemeinden und Kantone ihr eigenes Bürgerrecht autonom erteilen und sowohl das zuständige Einbürgerungsorgan als auch das entsprechende Verfahren selbst festlegen können. Im Gegensatz zur Pa.Iv. Pfisterer soll hingegen eine inhaltliche Überprüfung durch gerichtliche Instanzen ausgeschlossen sein.

Am 3. Oktober 2005 entschied der Nationalrat entgegen dem zustimmenden Antrag seiner SPK-N mit 104 zu 73 Stimmen, der Pa.Iv. Joder keine Folge zu geben.

8967

2.4.3

Die Pa.Iv. Markwalder Bär (04.471n Bürgerrechtsgesetz. Teilrevision)

Die am 8. Oktober 2004 eingereichte Initiative Markwalder Bär will den Kantonen bei der Ausgestaltung des Einbürgerungsverfahrens freie Hand gewähren. Allerdings soll der Handlungsspielraum insofern eingeschränkt werden, als Einbürgerungen mittels Volksabstimmungen grundsätzlich nicht zulässig sein sollen und entsprechende Entscheide im Rahmen von Gemeindeversammlungen nur gefällt werden dürfen, wenn im Falle einer Ablehnung eine Begründung sichergestellt ist. Zudem soll das Beschwerderecht beim Bundesgericht wegen Verletzung verfassungsmässiger Rechte erhalten bleiben.

Vor dem Hintergrund der bevorstehenden Beratung der Pa.Iv. Pfisterer hat Frau Markwalder Bär ihre Initiative im Anschluss an die Sitzung der SPK-N vom 30. März 2006 zurückgezogen, da ihr Anliegen als Antrag in die Gesetzesvorlage des Ständerates eingebracht werden kann.

2.4.4

Standesinitiative Kanton Schwyz (03.317s Einbürgerungsverfahren)

Gemäss der am 10. November 2003 eingereichten Standesinitiative soll die Erteilung des Bürgerrechts ein politischer Akt bleiben und nicht gerichtlich erzwungen werden können. Das Verfahren soll die Gebote der Fairness und die Persönlichkeitsrechte der Einbürgerungswilligen wie auch die kantonale Verfahrenshoheit gewährleisten.

Da sich die Anliegen der Standesinitiative weitgehend mit der Stossrichtung der Pa.Iv. Pfisterer decken, hat der Ständerat in der Vorberatung vom 13. Dezember 2004 der Standesinitiative Folge gegeben. Die Vorprüfung durch die SPK-N ist gleichzeitig mit der weiteren Beratung der Pa.Iv. Pfisterer vorgesehen.

2.4.5

Standesinitiative Kanton Luzern (04.306s Anpassung der gesetzlichen Grundlagen betreffend Einbürgerung)

Die am 28. Juni 2004 eingereichte Initiative verlangt, dass Kantone einheitliche, faire und transparente Verfahren garantieren, Einbürgerungsentscheide durch Gemeindeversammlungen und Gemeindeparlamente weiterhin möglich bleiben und das Schweizer Bürgerrecht nicht gerichtlich erzwungen werden kann.

Mit Blick auf die Behandlung der Pa.Iv. Pfisterer wurde die Vorprüfung durch die SPK-S vorläufig ausgesetzt.

8968

2.4.6

Standesinitiative Kanton Aargau (04.309s Einbürgerungen)

Die am 10. November 2004 eingereichte Standesinitiative des Kantons Aargau fordert eine Neuregelung auf Stufe Bundesverfassung. Inhaltlich entspricht sie der Volksinitiative. So soll Artikel 38 BV durch einen neuen Absatz 4 ergänzt werden, der es jeder Gemeinde erlaubt, in ihrer Gemeindeordnung festzulegen, welches Organ das Gemeindebürgerrecht erteilt. Der Entscheid dieses Organs soll endgültig sein, d.h. weder auf kantonaler noch auf eidgenössischer Ebene mit einer Beschwerde angefochten werden können.

Mit Blick auf die Behandlung der Pa.Iv. Pfisterer wurde die Vorprüfung durch die SPK-S vorläufig ausgesetzt.

3

Ziel und Inhalt der Volksinitiative «für demokratische Einbürgerungen»

3.1

Zur Zielsetzung der Initiative

Gemäss eigenem Bekunden der Initiantinnen und Initianten haben die Bundesgerichtsentscheide vom 9. Juli 2003 die Gemeindeautonomie und Gewaltentrennung durchbrochen und den Souverän als oberstes Organ in der direkten Demokratie abgesetzt. Denn das Bundesgericht habe Urnenabstimmungen über Einbürgerungen verboten, da es für ablehnende Einbürgerungsentscheide eine Begründung verlange, damit seine rechtliche Anfechtung mittels Rekurs möglich sei. Ein Rekursrecht gegen negative Einbürgerungsentscheide erachte das Bundesgericht für zwingend erforderlich, weshalb ein Entscheid ohne Begründung willkürlichen Charakter habe.

Das Bundesgericht habe auf diese Weise den Einbürgerungsentscheid ­ entgegen aller schweizerischen Tradition, entgegen aller in der Bundesverfassung sowie in den Kantonsverfassungen festgehaltenen Grundsätze ­ faktisch kurzerhand zu einer blossen Verwaltungsverfügung abgewertet, der jede politische Dimension fehle.

Damit habe das Bundesgericht in der ganzen Schweiz heillose Verwirrung angerichtet und die Rechtssicherheit zerstört.

Zur Überwindung dieser unbefriedigenden Situation soll die Volksinitiative sicherstellen, dass der Einbürgerungsentscheid weiterhin ein demokratischer und politischer Akt bleibt. Die Gemeinden sollen entscheiden, wie und wen sie einbürgern wollen. Ist der Einbürgerungsentscheid gefallen, soll er abschliessend sein.

Der Regelungsvorschlag deckt sich mit jenem der Standesinitiative des Kantons Aargau.28 So soll Artikel 38 der Bundesverfassung betreffend Erwerb und Verlust der Bürgerrechte durch einen vierten Absatz ergänzt werden. Dieser legt fest, dass es den Stimmberechtigten jeder Gemeinde obliegt, in der Gemeindeordnung festzulegen, welches Organ das Gemeindebürgerrecht erteilt. Der Entscheid dieses Organs über die Erteilung des Gemeindebürgerrechts ist endgültig.

Nach Ansicht der Urheber und Urheberinnen der Volksinitiative vermag die Vorlage der SPK-S vom 27. Oktober 200529 trotz Zulassung der Urnenabstimmung die Ziele der Volksinitiative nur zu einem geringen Teil zu erfüllen. Sie lehnen namentlich die 28 29

Vgl. Ziff. 2.4.6 Vgl. Ziff. 2.4.1

8969

im ständerätlichen Entwurf vorgesehene Begründungspflicht sowie die Verankerung eines Beschwerderechts ab.

3.2

Interpretation und Auswirkungen der Initiative

Wie jeder andere normative Akt muss eine Volksinitiative in erster Linie auf der Grundlage ihres Inhalts selbst interpretiert werden.

3.2.1

Artikel 38 Absatz 4 erster Satz

Der mit der Volksinitiative vorgeschlagene erste Satz des neuen Absatzes 4 von Artikel 38 hat folgenden Inhalt: «Die Stimmberechtigten jeder Gemeinde legen in der Gemeindeordnung fest, welches Organ das Gemeindebürgerrecht erteilt.» Diese Bestimmung stellt in erster Linie eine legislative Kompetenzzuteilung an die Gemeinden dar. Diese werden ausdrücklich ermächtigt, selbständig festzulegen, wer das Gemeindebürgerrecht erteilt. Die geltenden kantonalen Regeln, welche die Entscheidkompetenz einem spezifisch bezeichneten Gemeindeorgan zuweisen, wären daher bundesrechtswidrig. Allerdings legt die Initiative nicht fest, welches Gemeinwesen das Gemeindebürgerrecht gemäss Artikel 37 Absatz 1 BV erteilt.

Diese Kompetenz kann entweder der politischen Gemeinde oder der Bürgergemeinde zukommen. Wie schon heute bliebe es dem kantonalen Recht überlassen, das zuständige Gemeinwesen zu bestimmen. Mit Blick auf die Erteilung des Gemeindebürgerrechts durch das zuständige Organ innerhalb eines Gemeinwesens enthält die Initiative sodann eine klare Kompetenzregelung: Es sind die Stimmberechtigten der Gemeinde, die festlegen, welches Organ das Gemeindebürgerrecht erteilt. Da weder die Initiative noch das geltende Bundesrecht definieren, wer in der Gemeinde die Stimmberechtigten sind, wird deren Kreis weiterhin durch das kantonale Recht geregelt. Die Initiative bestimmt ferner, dass die Stimmberechtigten die Entscheidkompetenz in einer «Gemeindeordnung» festlegen. Abgesehen vom Erfordernis der Zuständigkeitsregelung durch einen normativen kommunalen Akt überlässt es die Initiative dem kantonalen Recht, den Typus dieses kommunalen Akts und das hiefür durch die Stimmberechtigten einzuhaltende Verfahren festzulegen.

Theoretisch kämen das obligatorische Referendum, das fakultative Referendum oder eine Abstimmung anlässlich der Gemeindeversammlung in Frage.

Die Initiative schränkt die Einbürgerungsfälle, auf welche die neuen Regelungen anzuwenden sind, nicht ein. Vielmehr überlässt sie es den Gemeinden, für sämtliche Einbürgerungsfälle das für die Erteilung des Gemeindebürgerrechts zuständige Organ festzulegen. Dadurch gerät die Initiative in Konflikt mit bestehendem Bundes- und Kantonsrecht, soweit diese den Erwerb des Gemeindebürgerrechts vorsehen. Entsprechende Bestimmungen finden sich sowohl im Bereich des Schweizer
Bürgerrechts wie auch in jenem des Kantonsbürgerrechts; sie kommen vor bei der Erlangung von Gesetzes wegen (Einbürgerung durch Abstammung) wie auch beim Erwerb durch Entscheid einer Bundesbehörde (Wiedereinbürgerung oder erleichterte Einbürgerung auf Bundesebene) oder einer kantonalen Behörde (z. B. erleichterte Einbürgerung auf kantonaler Ebene). In allen diesen Fällen wird das Gemeindebürgerrecht ohne formellen Entscheid der Gemeinde erteilt. Auf dem Weg der Auslegung ist daher der neue Absatz 4 der Initiative mit dem restlichen Teil von 8970

Artikel 38 in Einklang zu bringen. Dabei ist zu beachten, dass die mit der Initiative zugewiesene Gesetzgebungskompetenz nur in jenen Fällen Anwendung finden kann, in welchen das Bundesrecht oder das kantonale Recht den Gemeinden die Entscheidungskompetenz über die Erteilung des Gemeindebürgerrechts zugewiesen hat.

Gemäss den Initiantinnen und Initianten beabsichtigt die Initiative, die Gemeinden zu ermächtigen, die Entscheidkompetenz über die Einbürgerungsgesuche an ihre Stimmberechtigten zu übertragen. Der erste Satz des vorgeschlagenen Absatzes 4 beschränkt diese Ermächtigung jedoch bloss auf die Zuweisung einer Gesetzgebungskompetenz. Sie enthält weder eine direkte Zuweisung der Entscheidkompetenz noch eine materielle Regelung über die Ausübungsmodalitäten dieser Entscheidkompetenz durch das gewählte Gemeindeorgan. Mangels solcher expliziter Bestimmungen im neuen Text bleiben die Regelungen, welche aus dem Rest der Verfassung abgeleitet werden, weiterhin anwendbar. Da der neue Text der Initiative nicht genügend klar von den übrigen Verfassungsbestimmungen abweicht, muss er auf kohärente Art auf das bestehende Verfassungsrecht abgestimmt werden. Der Wille der Initiantinnen und Initianten, mit ihrer Initiative davon abweichen zu wollen, ist nicht massgebend, soweit dieser nicht durch den Initiativtext selbst abgestützt ist. In Anwendung dieser Vorgaben muss daher sowohl bei der Wahl des für den Entscheid von Einbürgerungsgesuchen zuständigen Organs wie auch bei der Regelung des massgebenden Entscheidverfahrens berücksichtigt werden, dass die Erfordernisse im Zusammenhang mit dem Schutz der Privatsphäre (Art. 13 Abs. 2 BV) weiterhin gewährleistet werden können. Desgleichen bleiben auch der Anspruch auf rechtliches Gehör und die darauf beruhende Begründungspflicht (Art. 29 Abs. 2 BV) weiterhin anwendbar, da sie auch für Entscheide, die nicht mit Beschwerde angefochten werden können, gelten.

3.2.2

Artikel 38 Absatz 4 zweiter Satz

Der zweite Satz des in der Initiative vorgeschlagenen neuen Absatzes 4 von Artikel 38 der Bundesverfassung lautet wie folgt: «Der Entscheid dieses Organs über die Erteilung des Gemeindebürgerrechts ist endgültig.» Der Terminus «endgültig» kann verschiedene Bedeutungen haben. Im aktuellen Bundesrecht wird er vor allem verwendet im Sinne der Unwiderruflichkeit (z.B. in Artikel 39 der allgemeinen Medizinalprüfungsverordnung, SR 811.112.1), der Rechtskraft (z.B. Art. 259i Abs. 2 OR, SR 220; Art. 14 Abs. 1 EntG, SR 711), des Ausschlusses einer Intervention einer anderen Bundesbehörde (Art. 18 Abs. 1 ANAG, SR 142.20) oder des Ausschlusses einer Beschwerde (zum Beispiel Art. 15 Abs. 4 VG, SR 170.32; Art. 1 Abs. 3, 46 Bst. d, 47 Abs. 2, 47a Bst. d, 74 Bst. e VwVG, SR 172.021; Art. 30 Abs. 2 DSG, SR 235.1; Art. 190 Abs. 1 IPRG, SR 291; Art. 80 Abs. 4 MG, SR 510.10; Art. 66 BZG, SR 520.1).

Im geltenden Recht sind die Entscheide über den Erwerb des Gemeindebürgerrechts in keiner dieser Bedeutungen endgültig. So können positive Entscheide der Gemeinden gegenstandslos werden, sofern eine kantonale oder die Bundesbehörde anders entscheidet. Dies ist der Fall bei einer Verweigerung des kantonalen Bürgerrechts oder der Nichterteilung der eidgenössischen Einbürgerungsbewilligung, der Nichtigerklärung der Einbürgerung, der Entlassung aus dem Schweizer Bürgerrecht oder dem Entzug des Schweizer Bürgerrechts. Was die negativen Entscheide anbelangt, sind sie insofern nicht endgültig, als der Einreichung eines neuen Gesuches zu einem 8971

späteren Zeitpunkt in derselben Gemeinde kein Hindernis entgegensteht. Darüberhinaus kann auch nach geltendem Recht dagegen rekurriert werden, zumindest soweit es sich um die staatsrechtliche Beschwerde vor dem Bundesgericht handelt.

Nach den Erklärungen der Initiantinnen und Initianten bezieht sich der definitive Charakter auf den Ausschluss einer Beschwerdemöglichkeit. Dies bedeutet, dass die Initiative eine Ausnahme von der Rechtsweggarantie gemäss Artikel 29a BV vorsieht. Doch auch unter Berücksichtigung nur dieses Aspekts wäre der Begriff der Endgültigkeit interpretationsbedürftig. Bis heute gilt, dass ein endgültiger kantonaler Entscheid im Sinne des Bundesrechts ein Entscheid ist, welcher den bundesrechtlichen Rechtsmitteln, die eine volle Kontrolle der Anwendung von Bundesrecht erlauben (Verwaltungsgerichtsbeschwerde oder Verwaltungsbeschwerde), entzogen ist (z.B. Art. 1 Abs. 3, 46 Bst. d, 47a Bst. d, 74 Bst. e VwVG, SR 172.021; Art. 66 BZG, SR 520.1). Dementsprechend tangiert der endgültige Charakter eines Entscheids die Möglichkeit zur Anfechtung nicht, wenn es um die Einreichung einer staatsrechtlichen Beschwerde beim Bundesgericht oder um die Eingabe eines individuellen Begehrens vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte geht.

Denn bei beiden handelt es sich um «ausserordentliche» Rechtswege, deren Beanspruchung an die Verletzung von Grundrechten geknüpft ist.

Angesichts der Doppeldeutigkeit des Begriffs «endgültig», wie er durch die Initiative verwendet wird, besteht für den Gesetzgeber des Bundes bei Umsetzung der Initiative ein Gestaltungsspielraum. Im Falle der Annahme der Initiative wird der Gesetzgeber darüber entscheiden müssen, ob er den endgültigen Charakter des kommunalen Entscheides extensiv, d.h. im Sinne der Ziele der Initiantinnen und Initianten, oder restriktiv, d.h. gemäss dem bisher verwendeten Verständnis der «endgültigen kantonalen Entscheide», konkretisieren will. Sollte sich der Bundesgesetzgeber für die extensive Interpretation entscheiden und durch Änderung des Bundesgerichtsgesetzes30 die subsidiäre Verfassungsbeschwerde gegen kommunale Entscheide im Bereich des Bürgerrechts ausschliessen, hätte dies Auswirkungen auf die internationalen Verpflichtungen der Schweiz (vgl. Ziff. 4.3).

4

Würdigung der Volksinitiative «für demokratische Einbürgerungen»

4.1

Auswirkungen auf die Einbürgerungswilligen

Die Volksinitiative beschlägt einzig den Bereich der ordentlichen Einbürgerung auf Gemeindeebene. Sollte sich der Gesetzgeber des Bundes für die extensive Interpretation (Ziff. 3.2.2) und damit für den Ausschluss jeglichen Rekurses gegen einen kommunalen Entscheid in Angelegenheiten des Bürgerrechts ans Bundesgericht aussprechen, so hätte die einbürgerungswillige Person keinerlei Möglichkeit, Verfahrensfehler oder diskriminierende Entscheide zu rügen und auf ihre Rechtmässigkeit überprüfen zu lassen. Die betroffenen Personen hätten keine rechtlich erzwingbare Möglichkeit, Aufschluss über die Ablehnungsgründe zu erhalten.

Anders läge der Fall bei einer restriktiven Auslegung der «Endgültigkeit» durch den Bundesgesetzgeber. Diesfalls bestünde weiterhin die Möglichkeit zur Anfechtung eines ablehnenden Einbürgerungsentscheids durch Einreichung einer subsidiären 30

SR 173.110

8972

Verfassungsbeschwerde beim Bundesgericht sowie durch Einreichung einer Individualbeschwerde vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte.

In beiden Fällen könnten vorübergehend grössere Unklarheiten und Rechtsunsicherheiten über Umfang und Anwendbarkeit der Rechtsweggarantie entstehen.

4.2

Auswirkungen auf die Kantone

Gemäss geltendem Recht hat die Gemeindeautonomie nur Bestand im Rahmen des kantonalen Rechts. Die Initiative entzieht nun aber dem Kanton die Kompetenz, das Gemeindeorgan festzulegen, welches für die Erteilung des Gemeindebürgerrechts zuständig ist. Allerdings sind die Gemeinden nicht gänzlich frei in ihrer Wahl der zuständigen Einbürgerungsorgane. Sie können diese nur im Rahmen des übrigen kantonalen Rechts einsetzen. So kann beispielsweise der Gemeindeversammlung die Entscheidkompetenz nur zugewiesen werden, sofern der Bestand dieser Organe vom kantonalen Recht den Gemeinden grundsätzlich zugestanden wird.

Aktuell haben die Kantone Appenzell Ausserrhoden, Basel, Genf, Glarus, Graubünden, Solothurn, Tessin, Waadt, Zürich und Zug ihren Einbürgerungswilligen bei Vorliegen bestimmter Voraussetzungen im Sinne der Integrationsförderung in ihren kantonalen Bürgerrechtsregelungen Rechtsansprüche zuerkannt. Diese Erleichterungen könnten unter dem Regime der vorliegenden Verfassungsrevision allerdings nicht mehr in vollem Umfang gewährleistet werden. Zwar kann das Gemeinderecht juristisch die durch kantonales Recht eingeräumten Rechtsansprüche nicht aufheben.

Aber im Fall eines umgesetzten Ausschlusses kantonaler Beschwerderechte wären die Rechtsansprüche doch in wesentlichen Teilen ihres praktischen Gehalts beraubt.

4.3

Auswirkungen auf den Bund

Sollte sich der Gesetzgeber des Bundes für eine extensive Interpretation des zweiten Satzes der Initiative (vgl. Ziff. 3.3.2) aussprechen und jegliche Rekursmöglichkeit gegen einen kommunalen Entscheid ausschliessen, so würde dies mit der Rassismuskonvention kollidieren. Denn die Schweiz könnte das in Artikel 6 dieses Vertrages vorgesehene Beschwerderecht im Bereiche der Einbürgerungen nicht mehr gewährleisten. In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass die Schweiz mit Wirkung vom 19. Juni 2003 die Zuständigkeit des Ausschusses nach Artikel 14 ICERD31 anerkannt hat. Demnach haben Opfer von rassendiskriminierenden oder fremdenfeindlichen Akten die Möglichkeit, die Angelegenheit mit einer «Mitteilung» dem Vertrags-Ausschuss zur Kenntnis zu bringen. Im Falle einer Verletzung der Rassismuskonvention durch die Schweiz würde diese entsprechend durch den Ausschuss gerügt werden. Hingegen wäre es a priori möglich, den Konflikt mit dem Recht auf eine wirksame Beschwerde gemäss Artikel 13 EMRK und Artikel 2 des Paktes II auf andere Weise zu lösen, wenn eine Verletzung des Persönlichkeitsschutzes anlässlich eines Einbürgerungsverfahrens zur Debatte stünde. Tatsächlich könnte eine Lösung darin bestehen, ein Beschwerderecht nicht gegen den endgültigen Entscheid über die Verleihung des kantonalen Bürgerrechts, sondern bereits gegen die vorbereitenden Handlungen, welche die Weitergabe von persönlichen 31

SR 0.104

8973

Daten betreffen, zuzulassen. Die Einführung eines solchen Rechtsweges würde jedoch vielfältige Probleme mit sich bringen. Dies namentlich mit Blick auf den besonderen Gegenstand der Beschwerde sowie auf die Schwierigkeiten, welche sich im Umgang mit der Absicherung der Wirksamkeit des Rechtsmittels stellten. In diesem Zusammenhang sei noch erwähnt, dass der internationale Pakt II nicht kündbar ist, so dass sich die Schweiz weiterhin darum bemühen müsste, das Notwendige vorzukehren, um ihren internationalen Verpflichtungen nachzukommen. Zugleich müsste der Bund auch die Einhaltung der Initiative garantieren.

5

Personelle, finanzielle und wirtschaftliche Auswirkungen

Die Verfassungsänderung im Falle einer Annahme der Volksinitiative hat keine personellen, finanziellen oder wirtschaftlichen Auswirkungen auf den Bund.

6

Schlussfolgerungen

Nach Ansicht des Bundesrates ist für den Bürgerrechtsbereich eine Rückkehr zu einer vor den bundesgerichtlichen Urteilen von 2003 herrschenden Praxis nicht angezeigt. Dieser Rechtszustand wäre selbst mit der vorliegenden Initiative auch nur schwer zu verwirklichen. Zudem wären bei Annahme der Volksinitiative schwerwiegende Konflikte mit dem internationalen Recht programmiert. Hingegen ist der Bundesrat der Ansicht, dass bereits heute unter Einhaltung der rechtsstaatlichen Vorgaben genügend Spielraum besteht, um die Urnenabstimmungen wieder zuzulassen. Diese Möglichkeit lässt denn auch der ständerätliche Gesetzesentwurf vom 27. Oktober 2005 (Pa.Iv. Pfisterer) offen. Auf diese Weise gelingt es besser, das offen zutage getretene Spannungsverhältnis zwischen Einbürgerungsdemokratie und Rechtsstaatlichkeit zu überbrücken. Es hat sich in der Einbürgerungspraxis auch gezeigt, dass die im Gefolge der bundesgerichtlichen Rechtsprechung vorgenommenen Anpassungen der kantonalen Abläufe und Zuständigkeiten gut funktionieren und zu keinen grösseren Problemen geführt haben. Erwähnenswert ist sodann insbesondere der Entscheid des Berner Souveräns vom 25. September 2005, der sein Einbürgerungsrecht reformiert und auf Gemeindeebene nicht mehr die Gemeindeversammlungen, sondern die Exekutive (Gemeinderäte) für Einbürgerungen zuständig erklärt hat. Im Sinne einer Anpassung des kantonalen Bürgerrechts an die rechtstaatlichen Vorgaben fiel sodann das Resultat der Abstimmung über das revidierte Bürgerrechtsgesetz des Kantons Obwalden aus, welches neu eine Begründungspflicht sowie eine gerichtliche Anfechtbarkeit ablehnender Entscheide vorsieht.32 Der Bundesrat beantragt den eidgenössischen Räten, die Volksinitiative «für demokratische Einbürgerungen» Volk und Ständen zur Ablehnung zu empfehlen. Er hält den ständerätlichen Gesetzesentwurf zur Parlamentarischen Initiative Pfisterer für einen geeigneten indirekten Gegenentwurf. Sofern die eidgenössischen Räte diese Gesetzesvorlage der Volksinitiative als indirekten Gegenentwurf auf der Ebene des Gesetzes gegenüberstellen, wird der Bundesrat ein solches Vorgehen unterstützen.

32

Gemäss Amtsblatt des Kantons Obwalden Nr. 21 vom 24. Mai 2006, S. 780, erfolgte die Annahme mit 4180 Ja gegen 2391 Nein.

8974