zu 05.471 Parlamentarische Initiative Steuerbefreiung des Existenzminimums im StHG Bericht vom 5. Mai 2006 der Kommission für soziale Sicherheit und Gesundheit des Nationalrates Stellungnahme des Bundesrates vom 30. August 2006

Sehr geehrter Herr Präsident Sehr geehrte Damen und Herren Zum Bericht vom 5. Mai 2006 der Kommission für soziale Sicherheit und Gesundheit des Nationalrates betreffend Steuerbefreiung des Existenzminimums im StHG nehmen wir nach Artikel 112 Absatz 3 des Parlamentsgesetzes (ParlG) nachfolgend Stellung.

Wir versichern Sie, sehr geehrter Herr Präsident, sehr geehrte Damen und Herren, unserer vorzüglichen Hochachtung.

30. August 2006

Im Namen des Schweizerischen Bundesrates Der Bundespräsident: Moritz Leuenberger Die Bundeskanzlerin: Annemarie Huber-Hotz

2006-1736

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Stellungnahme 1

Ausgangslage

Eine Subkommission der Kommission für soziale Sicherheit und Gesundheit des Nationalrates (SGK-N) befasst sich seit längerer Zeit eingehend mit der Existenzsicherung durch Bildung, Arbeit und das System der sozialen Sicherung mit dem Ziel, die Armut in der Schweiz zu bekämpfen. Im Rahmen dieser Arbeiten verfasste die Subkommission eine Kommissionsinitiative, in welcher die explizite Steuerbefreiung des Existenzminimums im Bundesgesetz vom 14. Dezember 1990 über die Harmonisierung der direkten Steuern der Kantone und Gemeinden (StHG) gefordert wird. Am 21. Oktober 2005 stimmte die SGK-N dem Antrag der Subkommission zu. Am 25. Januar 2006 gab die Kommission für soziale Sicherheit und Gesundheit des Ständerates (SGK-S) Folge. Am 5. Mai 2006 wurde die Vorlage von der SGK-N definitiv zuhanden des Nationalrates verabschiedet.

2

Stellungnahme des Bundesrates

2.1

Allgemeines

Die SGK-N beantragt in ihrer Initative, neu in Artikel 11 Absatz 1 StHG das Existenzminimum jeder steuerpflichtigen Person für steuerfrei zu erklären. Eine entsprechende Änderung des StHG war bereits im Steuerpaket 2001 vorgesehen, das jedoch vom Volk in der Abstimmung vom 16. Mai 2004 abgelehnt wurde.

Der Bundesrat anerkennt das Anliegen der parlamentarischen Initiative mit dem Ziel der Armutsbekämpfung. Indessen ist darauf hinzuweisen, dass die Armutsbekämpfung über die steuerliche Freistellung des Existenzminimums ein nur wenig wirksames Instrument darstellt. Im Weiteren gilt es neben dem Leistungsfähigkeitsprinzip auch das Prinzip der Allgemeinheit der Besteuerung zu berücksichtigen.

Der Bundesrat sah in seiner Botschaft zum Steuerpaket 2001 (BBl 2001 2983 ff.)

noch keine explizite Freistellung des Existenzminimums vor. Er wies darauf hin, dass bereits heute das Existenzminimum durch das Zusammenwirken von Tarifen und Abzügen im Bundesgesetz vom 14. Dezember 1990 über die direkte Bundessteuer (DBG) faktisch freigestellt wird. Eine explizite Steuerbefreiung bei der direkten Bundessteuer erachtete er deshalb nicht als notwendig. Zudem sah er von einer entsprechenden Vorschrift im StHG ab, weil sich die Mehrheit der Kantone im Rahmen der Vernehmlassung zum Steuerpaket 2001 ablehnend gegenüber einer zwingenden steuerlichen Freistellung und einer einheitlichen Festschreibung des Begriffs des Existenzminimums im Gesetz geäussert hatten.

Im Rahmen der parlamentarischen Beratungen des Steuerpakets 2001 stimmte der Nationalrat allerdings einem Minderheitsantrag seiner Kommission für Wirtschaft und Abgaben (WAK-N) zu, im StHG das Existenzminimum jeder steuerpflichtigen Person für steuerfrei zu erklären. Im weiteren Verlauf der parlamentarischen Beratungen war die vorgeschlagene Gesetzesänderung auch im Ständerat unbestritten.

Solange den Kantonen nicht vorgeschrieben wird, wie das Existenzminimum zu definieren ist und auf welche Weise der kantonale Gesetzgeber die Freistellung zu 7552

erreichen hat, konnten sich auch Vertreter der Finanzdirektorenkonferenz im damaligen Kontext der Steuerbefreiung des Existenzminimums im StHG einverstanden erklären. Die offene Formulierung im Steuerpaket 2001, die mit derjenigen der vorliegenden parlamentarischen Initiative übereinstimmt, hätte den Kantonen einen erheblichen Gestaltungsspielraum erlaubt, so dass aus der damaligen Sicht der Vertreter der Finanzdirektorenkonferenz die in Artikel 129 Absatz 2 der Bundesverfassung verankerte Tarifautonomie der Kantone, wonach die Regelung der Steuertarife, der Steuersätze sowie der Steuerfreibeträge in den ausschliesslichen Zuständigkeitsbereich der Kantone fällt, gewahrt geblieben wäre.

Bezüglich der Mitwirkung der Kantone weist der Bundesrat darauf hin, dass gemäss Artikel 147 der Bundesverfassung die Kantone bei der Vorbereitung wichtiger Erlasse und anderer Vorhaben von grosser Tragweite zur Stellungnahme einzuladen sind. Zwar haben die Vertreter der Finanzdirektorenkonferenz bei der Beratung des Steuerpakets 2001 einer gleichlautenden Bestimmung zugestimmt, im Rahmen der Erarbeitung der parlamentarischen Initiative wurde die Meinung der Kantone jedoch nicht mehr eingeholt. Aus der Sicht des Bundesrates ist ein solches Geschäft, das in den Kantonen unter Umständen zu weitreichenden Gesetzesänderungen führt, von so grosser Tragweite, dass auf eine formelle Anhörung der Kantone nicht verzichtet werden kann. Zumal sämtliche Kantone in der im Jahr 2000 durchgeführten Vernehmlassung zum Steuerpaket 2001 zwar nicht den Grundsatz der Freistellung des Existenzminimums an sich, aber die zwingende und einheitliche Festschreibung im Gesetz ablehnten.

Die Meinung der Kantone wäre vor allem auch deshalb interessant, weil die Einräumung eines weiten Gestaltungsspielraums für die Kantone dazu führt, dass die vorgesehene Bestimmung sehr allgemein formuliert ist und daher eher deklaratorischen Charakter hat. Die Bundesverfassung gibt bereits in Artikel 127 Absatz 2 vor, dass jeder und jede Steuerpflichtige nach der eigenen wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit zu besteuern ist. Bei sehr niedrigen Einkommen kann davon ausgegangen werden, dass die Fähigkeit zur Abgabe von Steuern nicht vorhanden ist. Damit stellt sich die Frage, ob es die vorgeschlagene Gesetzesrevision überhaupt braucht. Falls die Definition des
Existenzminimums weiterhin in der ausschliesslichen Kompetenz der kantonalen Gesetzgeber liegt, könnte die Wirkung eingeschränkt bleiben. Würde der Bundesgesetzgeber bei der Definition des Existenzminimums hingegen von klaren Mindestanforderungen ausgehen, handelte es sich um einen Eingriff in die steuerliche Tarifhoheit der Kantone (materielle Steuerharmonisierung).

Im Weiteren ist es nicht unproblematisch, wenn der Bundesgesetzgeber die steuerliche Freistellung des Existenzminimums im StHG für die Kantone fordert, aber keine solche Bestimmung bei sich selbst im Falle der direkten Bundessteuer vorsieht.

Allerdings wird das Existenzminimum heute bei der direkten Bundessteuer faktisch nicht besteuert.

2.2

Antrag

Solange die Mitwirkung der Kantone nach Artikel 147 der Bundesverfassung nicht sichergestellt ist, kann der Bundesrat der parlamentarischen Initiative nicht zustimmen. Der Bundesrat beantragt deshalb, die Kantone formell einzuladen, zur vorgeschlagenen Gesetzesänderung Stellung zu nehmen. Gestützt auf die Ergebnisse der

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formellen Konsultation bei den Kantonen nimmt der Bundesrat eine neue Beurteilung vor.

Im Weiteren ist noch ein gesetzestechnischer Hinweis anzubringen. Der vorgesehene Artikel 72f StHG regelt die Anpassung der kantonalen Gesetzgebung an die vorgeschlagenen Gesetzesänderungen im Steuerharmonisierungsgesetz. Innert drei Jahren nach Inkraftsetzung der Änderungen müssen die Kantone ihre Gesetzgebung anpassen. Nach Ablauf dieser Frist finden die Änderungen im StHG direkt Anwendung, wenn ihnen das kantonale Recht widerspricht. Im Rahmen der Unternehmenssteuerreform II hat nun die Parlamentarische Redaktionskommission eine neue Formulierung betreffend Anpassung der kantonalen Gesetzgebung an die Änderung des bisherigen Rechts eingebracht. Der bisher stets aufgeführte Verweis auf Artikel 72 Absatz 2 StHG wird nicht mehr als sachgerecht empfunden und sollte durch eine direktere Formulierung ersetzt werden. In der Schlussabstimmung zur Unternehmenssteuerreform II am 23. Juni 2006 hat die Bundesversammlung den entsprechenden Vorschlag übernommen. Künftig sind daher sämtliche Bestimmungen, welche die Anpassung der kantonalen Gesetzgebung betreffen, analog zu derjenigen der Unternehmenssteuerreform II zu formulieren.

Für die vorgeschlagene Gesetzesrevision hat dies folgende Konsequenzen: Artikel 72f StHG ist bereits durch die Unternehmenssteuerreform II besetzt. Der Artikel müsste in 72g bzw. je nach Stand weiterer Revisionsvorlagen in 72h etc.

umnummeriert werden.

Der neue Artikel sollte folgendermassen lauten: 1

(wie vorgeschlagen)

2

Nach Ablauf dieser Frist findet Artikel 11 direkt Anwendung, wenn ihm das kantonale Steuerrecht widerspricht.

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