02.415 Parlamentarische Initiative Änderung von Artikel 186 des Bundesgesetzes über das Internationale Privatrecht Bericht der Kommission für Rechtsfragen des Nationalrates vom 17. Februar 2006

Sehr geehrter Herr Präsident Sehr geehrte Damen und Herren Mit diesem Bericht unterbreiten wir Ihnen den Entwurf zu einer Änderung des Bundesgesetzes vom 18. Dezember 1987 über das Internationale Privatrecht.

Gleichzeitig erhält der Bundesrat Gelegenheit zur Stellungnahme.

Die Kommission beantragt, dem beiliegenden Entwurf zuzustimmen.

17. Februar 2006

Im Namen der Kommission Der Präsident: Daniel Vischer

2006-0698

4677

Übersicht Ein Urteil des Bundesgerichts vom Mai 2001 (Urteil in der Rechtssache Fomento, BGE 127 III 279) hat im schweizerischen Recht der internationalen Schiedsgerichtsbarkeit Unsicherheit hervorgerufen. Gemäss der darin enthaltenen Auslegung könnte eine Partei, die einer schiedsgerichtlichen Streitbeilegung in der Schweiz wirksam zugestimmt hat, diese Streitbeilegung lähmen, indem sie ihrem Widersacher zuvorkommt mit der Einreichung einer gerichtlichen Klage im Ausland vor dem Schiedsverfahren.

Diese Situation fügt der Effizienz der internationalen Schiedsgerichtsbarkeit in der Schweiz Schaden zu und könnte die Akteure des grenzüberschreitenden Handels davor abschrecken, auf die Schiedsgerichtsbarkeit in unserem Land zurückzugreifen.

Da eine vom Nationalrat angenommene parlamentarische Initiative von Nationalrat Claude Frey eine Revision des Bundesgesetzes über das Internationale Privatrecht (IPRG) verlangt, um diese Unsicherheit zu beseitigen, beantragt die Kommission für Rechtsfragen des Nationalrates, das IPRG so zu ergänzen, dass das Schiedsgericht unabhängig von einer zum gleichen Streitgegenstand zwischen den gleichen Parteien vor einem anderen Gericht hängigen Klage über seine Zuständigkeit entscheidet. Mit dem vorliegenden Entwurf wird den Schiedsgerichten eine positive und klare Verhaltensregel zur Verfügung gestellt.

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Bericht 1

Entstehungsgeschichte

1.1

Parlamentarische Initiative

Am 21. März 2002 reichte Nationalrat Claude Frey eine parlamentarische Initiative ein, die verlangt, dass Schiedsgerichte mit Sitz in der Schweiz auch über ihre Zuständigkeit entscheiden, wenn zuvor ein staatliches Gericht im Ausland angerufen wurde.

Am 20. Januar 2003 prüfte die Kommission für Rechtsfragen des Nationalrates die Initiative vor und beantragte, ihr Folge zu geben. Der Nationalrat folgte dem Antrag seiner Kommission und gab der Initiative am 23. September 20031 ohne Gegenstimme Folge.

Gestützt auf Artikel 21quater Abastz 1 des Geschäftsverkehrsgesetzes (GVG)2 beauftragte der Nationalrat seine Kommission für Rechtsfragen mit der Ausarbeitung einer Vorlage.

1.2

Arbeiten der Kommission

Die Kommission für Rechtsfragen des Nationalrates befasste sich in insgesamt vier Sitzungen zwischen Mai 2005 und Februar 2006 mit dieser Initiative. Im Laufe ihrer Arbeiten hörte die Kommission einen auf internationales Recht spezialisierten Rechtsprofessor sowie ein Mitglied des Vorstands der Schweizerischen Vereinigung für Schiedsgerichtsbarkeit (ASA) an. Am 12. Januar 2006 verabschiedete die Kommission den beiliegenden Gesetzesentwurf mit 19 zu 0 Stimmen.

Die Kommission wurde bei ihrer Arbeit gemäss Artikel 21quater Absatz 2 GVG vom Eidgenössischen Justiz- und Polizeidepartement unterstützt.

2

Grundzüge der Vorlage

Die Gesetzgebungsvorlage ist vor dem Hintergrund zweier Entscheide des Schweizerischen Bundesgerichts zu sehen. Diese Entscheide handeln von der Situation, in der ein schweizerisches Schiedsverfahren und ein ausländisches staatliches Verfahren mit gleichem Streitgegenstand und zwischen den gleichen Parteien parallel rechtshängig sind. Davon ausgehend, dass ein Verfahren im Ausland manchmal eingeleitet wird, um das Schiedsverfahren in der Schweiz zu blockieren oder zu verhindern, prüfte die Kommission die geltenden Rechtsgrundlagen und die bundesgerichtliche Rechtsprechung, um zu erfahren, unter welchen Umständen das Schiedsverfahren in der Schweiz bei paralleler Rechtshängigkeit ausgesetzt wird.

Sie prüfte dabei die Auswirkungen auf den Schiedsgerichtsstandort Schweiz.

1 2

AB 2003 N 1451 SR 171.11; siehe Art. 173 Ziff. 3 des Bundesgesetzes über die Bundesversammlung (Parlamentsgesetz, ParlG; SR 171.10).

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2.1

Geltendes Recht und Rechtsprechung

2.1.1

Schiedsgerichtliche Zuständigkeit: Das Prinzip der Kompetenz-Kompetenz

Die internationale Schiedsgerichtsbarkeit ist im 12. Kapitel (Art. 176 ff.) des Bundesgesetzes über das internationale Privatrecht (IPRG)3 geregelt. Wenn die Zuständigkeit des Schiedsgerichts bestritten wird, so kann dieses, wie jedes staatliche Gericht, grundsätzlich selber über seine Zuständigkeit entscheiden (Prinzip der Kompentenz-Kompetenz). Um über seine Zuständigkeit zu entscheiden, prüft das Schiedsgericht, ob der Streitgegenstand schiedsfähig ist (Art. 177 IPRG) sowie ob die Schiedsvereinbarung formwirksam (Art. 178 Abs. 1 IPRG) und materiell wirksam ist (Art. 178 Abs. 2 IPRG). Die Entscheidung des Schiedsgerichts über seine Zuständigkeit unterliegt der sofortigen Beschwerde ans Bundesgericht (Art. 190 Abs. 2 Bst. b und Abs. 3, 191 Abs. 1 IPRG). Das Bundesgericht prüft diesen schiedsrichterlichen Entscheid mit voller Kognition.

2.1.2

Zuständigkeitsprüfung des Schiedsgerichts und parallele Rechtshängigkeit im Ausland nach Artikel 9 IPRG

Artikel 9 IPRG regelt bei der parallelen Rechtshängigkeit von in- und ausländischen Verfahren die Frage, welches der beiden Verfahren Vorrang hat. Es folgt dem Grundsatz der zeitlichen Priorität.

Ist das Verfahren in der Schweiz zeitlich zuerst anhängig gemacht worden, so setzt das schweizerische Gericht sein Verfahren fort, ohne das hängige ausländische Verfahren zu beachten. Ein danach aus dem späteren ausländischen Verfahren hervorgehendes Urteil ist in der Schweiz zudem nicht anerkennbar (Art. 27 Abs. 2 Bst. c IPRG).

Ist hingegen das ausländische Verfahren zuerst anhängig gemacht werden, so ordnet Artikel 9 Absatz 1 IPRG an, dass das schweizerische Gericht das Verfahren auszusetzen hat, «... wenn zu erwarten ist, dass das ausländische Gericht in angemessener Frist eine Entscheidung fällt, die in der Schweiz anerkennbar ist.» Im Zentrum der Prüfung steht also die sogenannte «Anerkennungsprognose» (siehe hinten Ziff. 2.1.4.1.1). Artikel 9 Absatz 3 IPRG bestimmt sodann: «Das schweizerische Gericht weist die Klage zurück, sobald ihm eine ausländische Entscheidung vorgelegt wird, die in der Schweiz anerkannt werden kann».

Artikel 9 IPRG ist auf die Situation paralleler staatlicher Gerichtsverfahren zugeschnitten. Die Anwendung des Artikels 9 IPRG auf die Situation eines schweizerischen Schiedsverfahrens ist in zweifacher Hinsicht problematisch. Sie ist problematisch, weil die Rechtsprechung des Bundesgerichts im Bereich des IPRG die Anerkennbarkeit der ausländischen Entscheidung annimmt, ohne die Frage zu prüfen, ob das Schiedsgericht aus schweizerischer Sicht zuständig ist (FomentoEntscheid4). Sie ist zudem vor allem problematisch im Bereich des LuganoÜbereinkommens über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gericht3 4

SR 291 BGE 127 III 279

4680

licher Entscheidungen in Zivil- und Handelsachen (LugÜ)5, weil dort ­ anders als im IPRG ­ die Anerkennbarkeit der ausländischen Entscheidung in der Regel ohne weitergehende Möglichkeit der Prüfung anzunehmen ist.

2.1.3

Die Entscheide Condesa und Fomento des Bundesgerichts

In einem Entscheid vom 19. Dezember 1997 in der Sache Compañìa Minera Condesa SA und Compañía de Minas Buenaventura SA gegen BRGM-Pérou S.A.S. und Tribunal Arbitral CIA (Condesa-Entscheid6), liess das Bundesgericht noch offen, ob auch das Verhältnis von staatlichen und Schiedsgerichten von Artikel 9 IPRG erfasst werde. Es hielt aber fest, dass die Rechtshängigkeit der Klage vor einem ausländischen staatlichen Gericht Ausschlusswirkung für ein schiedsgerichtliches Verfahren in der Schweiz haben könne, wenn der ausländische Entscheid in der Schweiz anerkennungsfähig sei. In einem Entscheid vom 14. Mai 2001 in der Sache Fomento de Construcciones y Contratas SA gegen Colon Container Terminal SA (FomentoEntscheid) entschied das Bundesgericht grundsätzlich, dass ein schweizerisches Schiedsgericht Artikel 9 IPRG anzuwenden habe, wenn in der gleichen Sache bereits ein früheres Verfahren vor einem ausländischen staatlichen Gericht hängig ist. Das Bundesgericht hielt in casu fest, dass das schweizerische Schiedsgericht sein Verfahren nur hätte fortsetzen dürfen, wenn es festgestellt hätte, dass es nicht in der gleichen Sache angerufen worden sei oder dass das ausländische Gericht nicht in der Lage sei, innert angemessener Frist einen in der Schweiz anerkennungsfähigen Entscheid zu treffen.

Die Frage, ob der ausländische Entscheid anerkennungsfähig sei, überlässt das Bundesgericht dabei der ausländischen Perspektive: «Savoir si l'exception d'arbitrage a été soulevée en temps utile ne relève ni de la Convention de New York ni de la LDIP, mais de la lex fori (...). La question litigieuse ressortit donc en définitive au droit panaméen, que les autorités de ce pays sont mieux placées pour connaître et appliquer correctement.»7. Während im Entscheid Condesa das Bundesgericht tendenziell die Frage der Gültigkeit der Schiedsvereinbarung noch selber in die Hand hat nehmen wollen und aus schweizerischer Perspektive bzw. aus der Perspektive des Übereinkommens über die Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Schiedssprüche (Art. II; New Yorker-Übereinkommen)8 beantwortet hat, überlässt es im Entscheid Fomento diese Frage völlig dem ausländischen Gericht.

Diese Art und Weise, Artikel 9 IPRG anzuwenden, ist problematisch. Eine ausländische Rechtsordnung, die schiedsfeindlich ausgestaltet ist (z.B. weil nur wenige
Rechtsgebiete schiedsfähig sind oder übertriebene Formvorschriften für die Schiedsvereinbarung gelten), kann so von der schiedsunwilligen Partei zum Nachteil des schweizerischen Schiedsverfahrens instrumentalisiert werden.

5 6 7 8

SR 0.275.11 BGE 124 III 83 BGE 127 III 279 287 SR 0.277.12

4681

2.1.4

Anwendung des Artikels 9 IPRG auf Schiedsverfahren in der Schweiz

Ist das schweizerische Schiedsverfahren vor dem ausländischen staatlichen Verfahren anhängig gemacht worden, so wird das schweizerische Verfahren ungeachtet der ausländischen Verfahrenseröffnung weitergeführt.

Ist das ausländische Verfahren zuerst anhängig gemacht worden, so wird der dortige Beklagte in der Regel sogleich die Existenz einer Schiedsvereinbarung einwenden.

Ein ausländisches Gericht in einer schiedsfreundlichen Rechtsordnung sollte dann das Verfahren aussetzen oder die Klage zurückweisen, so wie dies ein schweizerischer Richter in derselben Situation tun würde (Art. 7 IPRG). Damit wäre die Bahn für das schweizerische Schiedsverfahren frei. Weist das ausländische Gericht das Verfahren jedoch nicht sogleich zurück, so hat das schweizerische Schiedsgericht eine Prüfung nach Artikel 9 Absatz 1 IPRG vorzunehmen. Diese Prüfung erfolgt unterschiedlich, je nachdem, ob das ausländische Verfahren in einem Vertragsstaat des LugÜ anhängig gemacht wurde oder nicht.

2.1.4.1

Staatliches Verfahren ausserhalb des LugÜ

2.1.4.1.1

Anerkennungsprognose

Im Zentrum der Prüfung nach Artikel 9 IPRG steht die Anerkennungsprognose. Um zu erfahren, ob der aus dem ausländischen Verfahren hervorgehende Entscheid in der Schweiz anerkannt werden kann, ist erstens zu prüfen, ob die indirekte Zuständigkeit des ausländischen Gerichts im Sinne des Artikels 25 Buchstabe a i.V.m.

Artikel 26 IPRG gegeben ist. Die indirekte Zuständigkeit für ein ausländisches Verfahren nach IPRG ist gegeben, wenn sie dort ausdrücklich vorgesehen ist oder wenn der Beklagte seinen Wohnsitz im Urteilsstaat hatte (Art. 26 Bst. a IPRG; Situation im Fomento-Entscheid). Richtet sich das ausländische Verfahren gegen eine Partei mit Wohnsitz oder Sitz in der Schweiz, so ist ­ nach dem System des IPRG ­ oft die indirekte Zuständigkeit nicht gegeben und damit die Anerkennbarkeit der ausländischen Entscheidung ausgeschlossen. Unter dem Aspekt der indirekten Zuständigkeit bleibt so im Wesentlichen der Fall problematisch, in dem beide Schiedsparteien ihren Wohnsitz oder Sitz im Ausland haben.

Abgesehen von dieser räumlichen Betrachtung der indirekten Zuständigkeit hat das Bundesgericht im Condesa-Entscheid vertreten, dass einem ausländischen staatlichen Gericht, das die Streitsache trotz Vorliegen einer gültigen Schiedsvereinbarung im Sinne von Artikel II des New Yorker-Übereinkommens an die Hand nimmt, ebenfalls die indirekte Zuständigkeit im Sinne von Artikel 25 IPRG abgehe.

Im Entscheid Fomento hat das Gericht diese Aussage jedoch stark relativiert; insbesondere legt es die Frage der gültigen Schiedsvereinbarung völlig in die Perspektive des ausländischen Rechts. Deshalb sind zukünftige Fälle nicht auszuschliessen, in welchen das Bundesgericht trotz gültiger Schiedsvereinbarung eine positive Anerkennungsprognose stellen würde.

Wenn eine Klage an einem indirekt zuständigen Gericht im Ausland erhoben wurde, ist die Frage der Anerkennungsprognose vom Schiedsgericht weiter zu verfolgen. In diesem Fall könnte die im ausländischen Verfahren beklagte Partei vor dem Schiedsgericht zudem Anerkennungs-Verweigerungsgründe einwenden, nämlich dass sie im 4682

Ausland nicht gehörig geladen wurde; oder eventuell der materielle oder verfahrensrechtliche «ordre public» der Schweiz verletzt werde (Art. 27 Abs. 1 und 2 IPRG)9.

2.1.4.1.2

Ausländische Entscheidung innert angemessener Frist

Verläuft die Anerkennungsprognose in den vorstehend geschilderten Fällen positiv, so hat das Schiedsgericht weiter zu prüfen, ob das ausländische Verfahren innert angemessener Frist in eine Entscheidung ausmünden wird. Bei der Beurteilung dieser Frage hat sich das schweizerische Schiedsgericht Zurückhaltung aufzuerlegen10. Immerhin kann die Frage verneint werden, wenn die zeitintensive Beurteilung durch gewisse ausländische Gerichte gerichtsnotorisch ist11.

2.1.4.2

Staatliches Verfahren in einem Vertragsstaat des LugÜ

Wird ein staatliches Verfahren in einem der 18 übrigen Mitgliedstaaten des LugÜ angehoben, so stellt sich die Frage der Anerkennungsprognose nach Artikel 9 IPRG anders. Eine Überprüfung der indirekten Zuständigkeit ist unter dem LugÜ in den meisten Fällen nicht möglich (Art. 28 Abs. 4 LugÜ). Die Gründe zur Verweigerung der Anerkennung gerichtlicher Entscheidungen aus dem Ausland sind in einem geschlossenen Katalog aufgeführt (Art. 27 f. LugÜ). Darunter figuriert die im Anerkennungsstaat gültige Schiedsvereinbarung nicht. Die Schiedsgerichtsbarkeit ist aus dem Anwendungsbereich des LugÜ zwar ausgenommen (Art. 1 Abs. 2 Ziff. 4 LugÜ). Trotzdem geht die herrschende Lehre zum LugÜ davon aus, dass eine gültige Schiedsvereinbarung oder ein hängiges Schiedsverfahren keine AnerkennungsVerweigerungsgründe darstellen12. Auch wenn diese Meinung mit guten Gründen angezweifelt wird, so ist doch zu befürchten, dass die Anerkennungsprognose in vielen Fällen positiv ausfallen wird.

2.1.5

Revisionsbedarf

Wenn eine Partei in der Absicht, die Schiedsvereinbarung auszuschalten oder zu behindern, eine Klage vor dem Gericht eines Vertragsstaats des LugÜ anstrengt, und dieses Gericht die Schiedsvereinbarung nicht beachtet, dann wird das schweizerische Schiedsgericht häufig verpflichtet sein, das Schiedsverfahren auszusetzen, obwohl die Schiedsvereinbarung nach Schweizer Recht vollkommen wirksam wäre.

Im Vergleich dazu dürften ausländische Verfahren ausserhalb des LugÜ in einer geringeren Anzahl von Fällen eine vorläufig blockierende oder gar verhindernde Wirkung auf das schweizerische Schiedsverfahren ausüben. Jedoch ist auch dort die Frage der Anerkennungsfähigkeit nicht immer einfach zu beantworten.

9 10 11 12

Vgl. IPRG-Kommentar Volken, Zürich 2004, Art. 9 N 87.

Vgl. IPRG-Kommentar Volken, Art. 9 N 79.

Vgl. IPRG-Kommentar Volken, Art. 9 N 80.

Vgl. Kropholler, Europäisches Zivilprozessrecht, 7. Aufl., Heidelberg 2002, Art. 1 N 46, m.w.h. auch auf die Rechtsprechung.

4683

Diese Situation fügt der Effizienz der internationalen Schiedsgerichtsbarkeit in der Schweiz Schaden zu und könnte die Akteure des grenzüberschreitenden Handels davor abschrecken, die Schweiz als Schiedsgerichtsstandort auszuwählen, weil sie befürchten, dass die Gegenpartei das Schiedsverfahren lähmen könnte, indem sie vor einem staatlichen ausländischen Gericht eine Klage einreicht. Dabei hat die internationale Schiedsgerichtsbarkeit in der Schweiz eine lange Tradition. Gemäss der Statistiken des Gerichtshofs der Internationalen Handelskammer (ICC) wurden in der Schweiz 78 ICC-Schiedsverfahren im Jahr 2004 und 74 im Jahr 2003 eröffnet.

Zudem arbeiteten 2004 120 Schiedsrichterinnen und -richter mit Schweizer Nationalität für die ICC, dies entspricht einem Anteil von 12,6 Prozent der ICC-Schiedsrichterinnen und -richter, womit die Schweiz gemeinsam mit Grossbritannien den grössten Anteil stellt13. Im Jahr 2004 wurden vor der Zürcher Handelskammer sowie vor jener in Genf jeweils 25 Schiedsverfahren eingeleitet14. Hinzu kommen die Ad hoc-Schiedsverfahren in der Schweiz. Gemäss einer Schätzung der ASA gibt es in der Schweiz jährlich rund 400 Handelsschiedsverfahren. Dazu kommen die Verfahren, die vor dem Sportsschiedsgericht in Lausanne eingeleitet werden15.

Die Kommission beantragt deshalb, die Bestimmungen zur internationalen Schiedsgerichtsbarkeit im IPRG mit dem Grundsatz zu ergänzen, wonach das Schiedsgericht mit Sitz in der Schweiz ein bei ihm eingeleitetes Verfahren nicht aussetzt, wenn eine Klage zum gleichen Streitgegenstand zwischen den gleichen Parteien bei einem anderen Gericht hängig ist, sondern vielmehr über seine Zuständigkeit entscheidet. Dieser Grundsatz findet Anwendung auf das Verhältnis zwischen schweizerischen Schiedsverfahren und anderen Schiedsverfahren oder staatlichen Verfahren, die zuvor in einem Staat inner- oder ausserhalb des LugÜ eingeleitet worden sind.

3

Erläuterungen zu den einzelnen Bestimmungen

3.1

Vorrang des schweizerischen Schiedsverfahrens vor dem ausländischen Gericht

Mit der vorgeschlagenen Revision ist gewährleistet, dass das Schiedsgericht mit Sitz in der Schweiz das Verfahren ungeachtet der ausländischen Klage fortsetzen kann.

Das Schiedsgericht untersucht die Gültigkeit der Schiedsvereinbarung nach dem 12. Kapitel des IPRG und fällt eine Entscheidung über seine Zuständigkeit. Dieser Entscheid unterliegt der sofortigen Beschwerde vor dem Bundesgericht (Art. 190 Abs. 2 Bst. b IPRG). Diese Lösung hat den Vorteil, dass sie die Kontrolle des Bundesgerichts über die Wirksamkeit einer Schiedsvereinbarung erlaubt, die einen Sitz in der Schweiz vorsieht und vom schweizerischen Recht beherrscht wird. Dies ist umso wichtiger, als die Parteien die Schweiz in der Regel aufgrund der Neutralität und der Vertrauenswürdigkeit des Schiedsplatzes Schweiz als Sitz ihres Schiedsverfahrens gewählt haben. Der vorgeschlagene Text macht die Einreichung von Klagen in einer ausländischen schiedsfeindlichen Rechtsordnung wirkungslos, die zuweilen

13 14 15

Bulletin des Gerichtshofs der CCI, Bd. 16, Nr. 1, S. 5 ff.

Jahresbericht der Zürcher Handelskammer 2004, S. 8; Geschäftsbericht 2005 der Genfer Handelskammer, S. 36.

Das Sportschiedsgericht hat 2004 271 Gesuche verzeichnet und 77 Schiedssprüche erlassen (www.tas-cas.org).

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einzig mit dem Zweck eingereicht werden, das schweizerische Schiedsverfahren zu behindern oder zu blockieren.

In gleicher Weise wird die Situation paralleler Schiedsverfahren im In- und Ausland geregelt. Obwohl dieser Fall nicht oft eintreten dürfte, ist aus denselben Gründen eine Vorrangregelung zugunsten des schweizerischen Schiedsverfahrens sinnvoll.

Die Vorlage schwächt das Prinzip des Vorrangs des Schweizer Schiedsgerichts ab, indem er ausdrücklich vorsieht, das Schiedsgericht könne das Verfahren aussetzen, wenn «beachtenswerte Gründe» dies erfordern. In der Mehrzahl der Fälle wird der Vorrang des Schiedsgerichts mit Sitz in der Schweiz die sachgerechteste Lösung sein. Man kann jedoch nicht ausschliessen, dass es in einigen Ausnahmesituationen im Dienst einer geordneten Rechtspflege vorzugswürdig wäre, das Verfahren auszusetzen. Das Verfahren könnte z.B. ausgesetzt werden, wenn die Schiedsvereinbarung eine Frist zur Anrufung des Schiedsgerichts vorsieht, und eine Partei das Schiedsgericht nur zur Wahrung dieser Frist anruft, während aber ein staatliches Verfahren im Ausland bereits hängig ist. Das Bedürfnis nach Aussetzung kann sich auch ergeben, wenn das Schweizer Schiedsgericht später angerufen wurde als ein Schiedsgericht mit Sitz im Ausland. Ein weiteres Beispiel wäre etwa der Fall, in dem die Schiedseinrede im ausländischen staatlichen Verfahren überhaupt nicht aufgebracht wird und die Schiedsvereinbarung deswegen hinfällig werden könnte.

Der neue Artikel 186 Absatz 1bis IPRG stellt dem Schiedsgericht mit Sitz in der Schweiz eine positive Verhaltensregel zur Verfügung, was der Ausschluss von Artikel 9 IPRG nicht (oder nur implizit) machen würde. Ersteres hat den Vorteil der Klarheit und damit der Sicherheit. Zudem wird so eine rechtliche Einbruchstelle in das autonome System, das das 12. Kapitel innerhalb des IPRG darstellt, vermieden.

Die anderen Kapitel des IPRG sind nämlich auf ein Schiedsverfahren in der Schweiz grundsätzlich nicht anwendbar. Das 12. Kapitel bietet einen klaren, vollständigen und übersichtlichen Rechtsrahmen für alle internationalen Schiedsverfahren, die in der Schweiz geführt werden. Dies ist auch von Bedeutung, wenn man bedenkt, dass die Anwälte und Schiedsrichter in Schiedsverfahren mit Sitz in der Schweiz oft Juristen aus dem Ausland sind.

3.2

Internationale Entscheidungskoordination und Anerkennungsvorrang

Die Kommission befasste sich ausserdem mit dem Problem der Entscheidungskoordination auf internationaler Ebene. Die Rechtshängigkeitsregel des IPRG (Art. 9) will parallele Verfahren im In- und Ausland koordinieren und damit bewirken, dass die Gefahr widersprechender Entscheidungen verringert wird. Die Ausschaltung des Artikels 9 IPRG vergrössert dieses Risiko. Idealerweise sollte der Fall der parallelen Rechtshängigkeit vor einem staatlichen und einem Schiedsgericht durch ein internationales Übereinkommen gelöst werden, das die parallelen Verfahren in einer befriedigenden Weise miteinander koordiniert, so wie dies z.B. Artikel 21 LugÜ betreffend in- und ausländischer staatlicher Gerichtsverfahren tut. Ein solches Instrument ist zur Zeit nicht in Sicht und erscheint angesichts der Schwierigkeit des Themas mittelfristig schwer realisierbar. Angesichts der geschilderten Probleme für die schweizerische Schiedsgerichtsbarkeit schlägt die Kommission eine punktuellere Lösung, den «unkoordinierten» Vorrang des schweizerischen Schiedsgerichts, vor,

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und verzichtet auf eine Koordination im Sinne des zeitlichen Prioritätsgrundsatzes nach Artikel 9 IPRG.

4

Rechtsvergleichung und Verhältnis zum europäischen Recht

Wie die Schweiz folgen die Rechtsordnungen Deutschlands, des Vereinigten Königreichs und Frankreichs alle dem erwähnten Prinzip der «Kompetenz-Kompetenz», wonach ein Schiedsgericht über seine eigene Zuständigkeit zum Sachentscheid bestimmen kann. Dasselbe gilt für das Modellgesetz über die Internationale Handelsgerichtsbarkeit vom 11. Dezember 1985 der UNO-Kommission für internationales Handelsrecht (UNCITRAL), das von 44 Staaten sowie einer Reihe von Gliedstaaten der USA übernommen worden ist.

Artikel 8 Absatz 2 des UNCITRAL-Modellgesetzes lässt die Möglichkeit des Schiedsgerichts zu, ein Verfahren an die Hand zu nehmen, obwohl Klage vor einem ausländischen Staatsgericht erhoben wurde. Deutschland hat die Regelung des Modellgesetzes im Grundsatz übernommen. Auch im Vereinigten Königreich sind parallele Verfahren möglich. In Frankreich geniesst das Schiedsgericht sogar Priorität vor französischen Staatsgerichten: Ist ein Schiedsgericht mit einer Streitsache befasst, oder wird eine Schiedsvereinbarung geltend gemacht, so hat das staatliche Gericht seine Zuständigkeit in der Regel ohne weiteres abzulehnen.

Was das Verhältnis zum europäischen Recht betrifft, so regeln weder die Brüsseler Verordnung 44/2001 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen noch ein anderes Instrument der Europäischen Union die Zuständigkeit der Schiedsgerichte oder die parallele Rechtshängigkeit zwischen Verfahren vor staatlichen Gerichten und Schiedsverfahren.

5

Vereinbarkeit mit den internationalen Verpflichtungen der Schweiz

Allfällige staatsvertragliche Bestimmungen gehen dem IPRG vor (Art. 1 Abs. 2 IPRG). Im Bereich der parallelen Rechtshängigkeit von Schiedsverfahren und Verfahren staatlicher Gerichte sind keine multilateralen Staatsverträge in Sicht, die in Konflikt mit der Vorlage stehen könnten. In einer Reihe von bilateralen Staatsverträgen über die Anerkennung und Vollstreckbarerklärung von gerichtlichen Entscheidungen, welche auch Regeln über die Schiedsgerichtsbarkeit enthalten, finden sich Bestimmungen über die parallele Rechtshängigkeit16. Sie gehen vom Grundsatz der zeitlichen Priorität aus, ähnlich wie Artikel 9 IPRG. Angesichts der Tatsache, dass in den Abkommen nur vereinzelte und isolierte Sondernormen über die Schiedsgerichtsbarkeit enthalten sind, scheinen sich diese Regeln über die Rechtshängigkeit indessen auf die Situation paralleler staatlicher Gerichtsverfahren zu beschränken17.

16

17

Staatsverträge mit Belgien (SR 0.276.191.721; Art. 10), Liechtenstein (SR 0.276.195.141; Art. 9 Abs. 1), Österreich (SR 0.276.191.632; Art. 8), Italien (SR 0.276.194.541; Art. 8), Schweden (SR 0.276.197.141; Art. 7).

Vgl. Art. 7 Abs. 1 Liechtenstein, Art. 9 Belgien, Art. 7 Österreich und Art. 13 Schweden.

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6

Finanzielle und personelle Auswirkungen

Die Vorlage hat keine finanziellen oder personellen Auswirkungen für Bund und Kantone.

7

Verfassungsmässigkeit der Vorlage

Die Vorlage stützt sich auf Artikel 54 Absatz 1 und Artikel 122 Absatz 1 der Bundesverfassung18.

18

SR 101

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