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Schweizerisches

ndesblatt.

Band III.

Nro.

60.

Donnerstag, den 22. November 1849.

Man abonnirt ausschließlich beim nächstgelegenen Posiamt. Preis sür

das Jahr 1849 im ganzen Umfange der Schweiz portofrei Frkn. 3.

Inferate sind frankirt an die Expedition einznfenden.

per Zeile oder deren Raum.

Gebühr 1 Batzex.

Verhandlnngen der Bundesversammlung, des National- und Ständerathes.

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des

Herrn Amtsbürgermeisters Dr. Esche r, Präsidenten des Nationalrathes, gehalten beim Wiederzusammentritt desselben, den 12. November 1849.

Meine Herren!

Gemäß Ihrem wiederholt gefaßten Befchlusse treteu Sie heute neuerdings zusammen, namentlich auch um das schwierige Werk der gesetzgeberischen Ausführung der Bundesverfassung Behufs ihrer vollständigen Einsührung in das Leben weiter fortzufetzen.

Es ist nun gerade ungefähr ein Jahr verstrichen, seit die neue Bundesverfassung dadurch , daß die von ihr aufgestellten Bundesbehörden ihre Wirkfamkeit begannen, das Grundgefetz der Eidgenossenfchaft geworden ist.

Bundesblatt I. Bd. III.

12

150 Unwilltuhrlich muß fich da den Stellvertretern des schweizerischen Volkes die Frage aufdrängen, w i e sich die neuen Bundeseinrichtungen b e w ä h r t haben. Es braucht aber diese Frage in der That nur aufgestellt zu werden, damit man fich sofort davon überzeuge, daß sie gegenwärtig noch nicht beantwortet werden kann. Die einen der durch die neue Bundesverfassung hervorgerufenen Veränderungen find eben erst ins Leben getreten, und wenn auch die Gründe, welche zu denselben bewogen , nach wie vor mit demselben Gewichte für sie sprechen, so kann doch jetzt schon von einer E r s a h r u n g , welche nebst diesen Gründen für .ihre Zweck-

mäßigkeit Zengniß ablegen würde, die Rede nicht sein.

Die andern Verändernngen aber, welche die neue Bundesverfassung bedingt, und unter diesen sehr eingreifende , find bis zu diesem Augenblicke auf dent Papiere geblieben und dürften vielleicht noch eine Zeit lang ans demselben bleiben. Das Schweizervolk hat sie also bis zur Stunde noch nicht einmal zu k o s t e n bekommen, geschweige denn, daß es fie schon zu v e r d a u e n Gelegenheit gehabt hätte.

Ist es aber zur Zeit noch nicht möglich, die Frage zu beantworten, wie die neue Bundesverfassung sich bewährt habe , so kann doch gegenwärtig schon von dem Eindruck e gesprochen werden , den die neuen Bundeseinrichtungen, so weit sie bis anhin ins Leben getreten sind, auf das Schweizervolk gemacht haben: es kann nach der S t i m m u n g gefragt werden, welche fich in unserm Volke in Betreff der umgestalteten Bundesverhältnisse kund gebe. Und obschon solchen Eindrücken und solchen Stimmungen um der ihnen notwendiger Weise inwohnenden Wandelbarkeit und Oberflächlichkeit willen weniger Bedeutung beigemessen werden darf, als

151 Ueberzeugungen , die auf einem aus längerer und darum reifer Erfahrung hervorgegangenen ruhigen und klaren Selbstbewußtsein beruhen, so verdienen doch auch jene Stimmungen alle Beachtung, sind sie ja so oft die Keime, aus denen die Ueberzeugung des Volkes , die größte Macht in dem demokratischen Freistaate , hervorgeht. Welches sind aber die Stimmungen, welche wir in dem V o l k e mit Beziehung aus die neue B u n d e s v e r f a s s u n g e t w a w a h r n e h men können? .Auf die Beantwortung diefer Frage wünschte ich Ihre Aufmerksamkeit nunmehr hinzurichten.

. Wir begegnen hier vor allem einer Behauptung, die man oft aufstellen hört und die dahingeht, es lassen die n e u e n B un d e s e i n r i c h t u n g e n u n s e r

V o l k g a n z k a l t , es e m p f i n d e n icht die m ind e st e Th e i l n a h m e für d i e s e l b e n , das ein-

z ig e G e fü h l , w e lch e s es e t w a für si e habe, sei das der u n b e d i n g t e s t e n Gleichgültigkeit. Das Wahre, das in dieser Behauptung liegt, dürfte darin bestehen, daß sich gegenwärtig in dem Volke allerdings eine gewisse A b s p a n n u n g in politischen Dingen bemerkbar macht. Es zeigt sich aber diese nicht etwa bloß dann, wenn es um Angelegenheiten des .B u ndes zu thun ist, sondern gleich sehr , anch wenn es sich um k a n t o n a l e Verhältnisse handelt. Sie äußert sich in unserm g e s a m m t e n ö f f e n t l i c h e n .Leben.

Sobald dieß aber zugegeben ist - und offen vor uns liegende Thatfachen lassen keinen Widerfpruch zu - verliert fie ihre besondere Beziehung auf die Bundesverhältnisse und wir könnten darum hier füglich darüber hinweggehen , wenn nicht mitunter aus ihr eine ungerechte Anklage gegen unsere Zeit abgeleitet werden wollte, eine Anklage, welche die Bedeutung der Gegenwart für

152 'oie Entwickelung des Bundeslebens mißachtet und .infosern zur Anklage gegen die neue Bundesverfassung selbst wird. Man gefällt sich nämlich oft in dem V o r w u r f e , es g e b r e c h e der Gegen war t an jeglicher schöpferischen Kraft indem Gebieted.es ö f f e n t l i c h e n L e b e n s , und man liebt es, sich etwa dahin auszudrücken, die Lebensfrische, welche sich in dieser .Beziehung in dent letzten Iahrzehend gezeigt habe, sei in diesem Iahrzehend einem Erstarrungstode erlegen.

.Wir sind weit entfernt davon, den schöpferischen Schwung, welcher das letzte Iahrzehend vor den ihm vorangehenden so vortheilhaft auszeichnete, herabsetzen zu wollen.

.Aber indem wir anerkennen, daß das letzte Jahrzehend die Periode der Wiedergeburt des k a n t o n a l e n Lebens in der Eidgenossenschast gewesen, behaupten wir hinwieder ebenso entschieden , das gegenwärtige Jahrzehend und gerade der letzte Zeitraum desselben verdiene die Periode der Wiedergeburt des e i d g e n ö s s i s c h e n Lebens genannt zu werden. Ia, wir behaupten serner, daß die Reform unserer Bundesverhältnisse, wie sie in der letzten Zeit zu Stande gekommen ist , weit größere Kraftanftrengungen erheifcht habe, als dieß bei den Kantonalreformen in dem verflossenen Iahrzeheud der Fall.

war. Oder welches Ereigniß ließe sich aus der 30ger Periode anführen , das fo große Opfer von jedem im Volke fast ohne Ausnahme gefordert hätte, wie die Auf-

lösung des Sonderbundes durch die Tagsatzung? Und daß diese gewaltsame Auflösung die Brücke war, über die allein zu einer Bundesreform , die diefen Namen auch wirklich verdiente, gelangt werden konnte, wer wollte dieß in Abrede stellen? Die Abfpannung im politifchen .Leben , die sich mitunter zeigt , ist also nicht etwa ein Z e i ch e n o h n m ä c h t i g e r E r st a r r u n g u n s e r e r

153 Z e i t , sondern gerade eine F o l g e der m ächt i g e n s c h ö p f e r i s c h e n K r a f t , die in d i e s e n Tage.n in unserm Vaterlande so Großes gewirkt hat. Die Abspannung im politischen Gebiete , die wir hie und da wahrnehmen, darf auch nicht als ein B e w e i s der Gleichgültigkeit unsers Volkes für die wichtigen Umgestaltungen in den Bundesverhältnissen, die uns .die Neuzeit gebracht hat, angesehen werden: sie ist im Gegentheil das n a t ü r l i c h e Ergebniß der a u ß e r o r d e u t l i c h e n Theilnahme, welche das Schweizervolk für die Erstrebung einer verbesserten Bundesverfassung in so erhebender Weise bewährt hat.

Aber, meine Herren, wenn wir mitunter auch in unsernt Volke eine solche Abspannung mit Beziehung auf politische Fragen überhaupt und so auch in Betreff der Bundesangelegenheiten wahrnehmen und uns ans den eben angeführten Gründen leicht erklären können, so zeigt sich doch nicht überall eine solche Theilnahmlosigkeit.

Wir finden fürs erste auch recht viele unter unfern Mitbürgern, die, obschon ihre Theilnahme für die Herbeiführnng verbesserter Bundeszuftände schon feit geraumer Zeit auf das Lebhafteste in Anspruch genommen worden ist, doch deswegen ihr I n t e r e s s e auch für die weit e r e E n t w i c k lnng u n s e r e r Bu nd e s v e r h ä l t - .

nisse nicht im mindesten e r k a l t e n ließen, die nicht etwa bloß an jenem Tage, an dem die neue Bundesverfassung als Grundgesetz der Eidgenossenschaft verkündet wurde, ein Strohfeüer der Freude in sich auflodern ließen , das mit diesem festlichen Tage dann auch wieder erlosch, sondern die vielmehr das an dem unerschütterlichen Glauben an eine bessere Gestaltung des Gesammtvaterlandes entzündete ruhige Feuer der Ueberzeügungsfreudigkeit den Jubel des Verkündungstages

154 der neuen Bundesverfassung überdauern ließen, wie jenes Feuer. schon lange vor diesem Tage ihre vaterländifche Brust entflammt hatte, Kernmänner, die, ruhigen, aber desto geläutertern und festern Sinnes, die neue .Bundesverfassung nie für ein Werk der Vollkommenheit, sür ein Fleisch gewordenes Ideal hielten , diesichnun aber auch nicht durch jede Schwierigkeit, welche bei der Einführung der neuen Bundesverfassung ins Leben zu Tage tritt und bei der Einführung jeder Verfassung, welche immer sie auch sein möchte, zu Tage treten müßte, irre machen, mißstimmen oder entmnthigen lassen. Ia, meine Herren ! solcher Kernmänner gibt es unter unsern Mitbürgern noch viele!

Sodann haben aber unsere neuen Bundeseinrichtungen - warum sollte ich, der ich die Wahrheit und die ganze Wahrheit sagen will und sagen soll, ein Hehl daraus machen? - auch ihre erklärten, offenen und uuversöhnlichen Feinde. Es find diejenigen, die von .jeher jeglichem. Fortschritte im kantonalen wie im Bundesleben gram waren ; es sind . diejenigen , welche die .Furien des konfessionellen Hasses herausbeschworen haben, damit dieselben die Saat einer gesunden Entwicklung des schweizerischen politischen .Lebens mit ihren versengenden Fackeln im Keime zerstören; es find diejenigen, die .vor Kurzem erst unser Vaterland an den Rand des Verderbens gebracht haben und die nicht davor zurückzuschrecken scheinen , es jeden Augenblick wieder demselben Abgrunde entgegen zu . sühren. Wir .kennen sie alle, diese eingefleischten Feinde nnsers wiedergebornen Gesammtvaterlandes : . mögen wir nie vergessen, meine Herren! daß wir sie kennen l .

.

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Und was soll ich nun. von denen. sagen, welche unsere neue Bundesverfassung annahmt,. weil es besser

155 sei, eine Verfassung zu haben, die man halte, als eine, die man nicht halte , welche nur , weil fie irgend eine Verfassung der Anarchie , der sie die Schweiz in Folge der Aufhebung der aargauifchen Klöster , der Ausweisung des Jesuitenordens und der Auflösung des Sonderbundes verfallen glaubten , vorzogen , zu der neueu Bundesverfassung sich herbeiließen , von denen, welche diese nur darum annahmen , weil sie befürchteten , es könnte, falls fie verworfen würde, eine noch schlimmere Verfassung , wie siesichausdrückten , nachfolgen , von denen somit, die nicht e t w a ans U e b e r z e u g u n g von der Z w e c k m ä ß i g k e i t der in der neueu B und e s v e r f a s s u n g liegenden o d e r durch sie angebahnten Reformen, sondern vielmehr trotz ihrer U e b e r z e u g u n g von der U n z w e c k m ä ß i g k e i t derselben, eben bloß der Gewalt der Umstände weichend

und in die unabweisliche Notwendigkeit fich fügend, der neuen Bundesverfassung beitraten? Kann man annehmen, daß diese, wenn die Gewalt der Umstände nicht mehr wirken und die Notwendigkeit aufhören würde, eine unabweisliche zu sein, noch für die neue BundesVerfassung einstehen würden , die ihren Sinn nicht be-

friedigt und ihr Herz kalt gelassen hat? Jch will es Jhnen überlassen, meine Herren ! diese Fragen zu beantworten und sodann zu entscheiden, ob, die so denken, . F r e u n d e oder G e g n e r unserer Bundesverfassung seien. Zu den Freunden , welche fich auch dann noch als Freunde bewähren, wenn man ihrer Freundschaft b e d a r f - und diese , meine ich , seien die einzigen w a h r e n Freunde vermag ich sie nicht zu zählen !

Es gibt nun aber auch noch solche , die weder zu den offenen oder verdeckten Gegnern der neuen Bundes-

156 verfassung, noch auch zu den entschiedenen Freunden derselben gehören, solche, die in politischen Dingen

geradezu zu den gleichgültigen gezählt werden können. Diese und dann auch so manche derjenigen, welche unter dem Einfluffe j e n e r politischen Abspannung stehen, von der wir schon gesprochen und zu der wir den Schlüssel in den an Ueberreizung grenzenden politischen Anstrengungen der letzten Jahre gefunden haben, sind bei Beurtheilung der durch die neue Bundesverfassung begründeten Zustände nur zu geneigt, es gänzlich zu übersehen, daß alle und auch die besten neuen Einrichtungen in der Zeit, da sie ins Werk gesetzt werden, gewisse vorübergehende Unbequemlichkeiten, gewisse Störungen der hergebrachten Gewohnheiten, die, wenn sie auch oft ein Schlendrian genannt werden dürften, doch darum nicht minder manchem werth gewordensind, ja anch gewisse wirkliche Uebelftände wir geben dieß unbedenklich zu - nach sich ziehen und nach fich ziehen müssen. Sie sind nur zu geneigt, die neuen Bundeseinrichtungen nicht in ihrem harmonischen Zusammenhange, sondern nur in ihrer Vereinzelung, nicht etwa in ihrer voraussichtlichen Gestaltung in einer länger andanernden Zukunft, fondern nur in ihrer veränderlichen Erfcheinung in der eine bloße Uebergangsperiode bildenden Gegenwart ins Auge zu fassen. Sie überfehen in Folge dessen die großen politifchen Vortheile, welche die neue Bundesverfassung unserm Lande gebracht hat. Und was die m a t e r i e l l e n Umgestaltungen , die wir ihr zu verdanken haben , anbetrifft, so haben sie über die Centralisation des Postwesens nur zu bemerken, daß die Postta.ren in einigen Kantonen größer geworden seien. Die Zentralifation der Zölle., klagen sie, werde die Grenzgegenden in hohem Grade belästigen,

157 und die Konsumenten unter ihnen meinen, fie werden durch zu hohe Zölle gedrückt, während dann freilich die.

Produzenten diese hinwieder viel zu niedrig finden. Und soll nun vollends Ein Münzfuß in der Schweiz eingeführt werden, so glauben sie nur hervorheben zu sollen, daß, wie derselbe auch festgesetzt werden möge, die unter allen Umständen damit verbundene Neuerung, welche sich bis in die kleinsten Falten des Verkehrs hinein spürbar machen müsse, im Anfange und wohl während einer ziemlich geraunten Zeit viele Unbequemlichkeit und große Störungen hervorrufen werde. Wer wollte läugnen, daß dieß die Sprache e i n e s g e w i s s e n M i ß b e h a g e n s , ja e i n e r g ewi s s e n M i ß s t i m m u n g ist?

Und w i e so l l en sich nun di e . B u u d e s b e h ö r d e n , w i e s o l l e n w i r , d i e S t e l l v e r t r et e r d e s s c h w e i z e r i s c h e n V o l k e s , i n sb e so nd ers uns d i e s e n v er schi ed en en St i mm un-

gen im V o l k e gegenüber, die ich zu schildern v e r s ucht h a b e , v e r ha l t e n ? Erlanben Sie mir, für die Beantwortung dieser zweiten Frage Ihre Aufmerkfamkeit noch einige Augenblicke in Anspruch zu nehmen.

Vor allem möchte ich Ihnen, meine Herren! muthiges und entschlossenes f o r t s c h r e i t e n auf der durch die Bundesverfassung v o r g e z e i c h n e t e n und v o n uns bisanhin b e f o l g t e n Bahn angelegentlichst, empfehlen. Die Grundsätze, auf welche die Bundesverfassung gebaut ist, find jetzt noch so wahr, die Ent-

wicklungskeime, die in sie gelegt sind, jetzt noch so gesund als zu der Zeit, da sie unter dem Iubel der großen Mehrheit des Schweizervolkes für das Grundgesetz unsers schönen Vaterlandes erklärt worden ist. Und wenn

158 auch da und dort diefer Iubel verhallt ist, ja wenn jetzt hie und da eine Klage gehört wird , wo früher eher freudige Zufriedenheit sich kund gab, lassen wir uns durch solche vorübergehende Erscheinungen nicht beirren in unserm treuen Ringen nach dem erhabenen Ziele, das uns das Volk selbst vorgesteckt hat und das, weil es aus den höchsten und heiligsten Interessen der Nation mit Notwendigkeit hervorgeht, keiner Wandelbarkeit unterworfen fein kann. Wir find, meine Herren! die Priester, denen das Volk das Feuer, welches in seinen Weihestunden in ihm aufgegangen ist, zur sorgsamen Wartung anvertraut hat. Unsere Pflicht ist es, dieses Feuer zu hegen und zu pflegen, und wir dürfen es durch keinen Sturm auslöfchen lassen, auch wenn er aus der Mitte derer einherbrausen sollte, von denen uns die heilige Flamme znr Aufbewahrung übergeben worden ist. Es kann Augenblicke geben, in denen dieses Feuer für manche seinen Reiz verliert, ja, in denen sein Licht sie blendet und seine Wärme sie brennt. Aber sicher kommt dann die Stunde wieder, in der alles Volk sich an dem Feuer erleuchten und erquicken will, und wenn dann diejenigen, denen die Flamme anvertraut worden, sie in der Zwischenzeit hätten auslöschen lassen, so würde ihnen die Verantwortung schwer werden, sogar bei denen, welche vielleicht kurz vorher selbst das Feuer würden ausgelöscht haben. Also, meine Herren! wenn etwa in einem Augenblicke, da die Strömung des öffentlichen Lebens vielleicht einseitig mehr aus die materiellen als auf die höhern Interessen hingerichtet ist, die nationalen und politischen Güter, welche uns durch die Bundesverfassung zu Theil geworden oder in Ansficht gestellt find, gering angeschlagen werden wollten, halten wir wenigstens fest au ihnen und zählen wir darauf, daß

159 der Richterstuhl einer sichern Zukunft uns dafür .wird Gerechtigkeit zu Theil werden .lassen ... Und wenn über den einen oder andern Uebelftand, den die auf dem. materiellen Gebiete in Folge der neuen Bundesverfassung durchgeführten oder erst noch durchzuführenden Centralifationen zufälliger oder notwendiger. Weise in ihrem Gefolge hatten oder haben werden,. geklagt wird, gerade als wären auf diefem Gebiete eher Rückschritte als Fortschritte gemacht worden, lassen wir uns auch dadurch nicht beirren oder gar entmuthigen! Es ist dem Kriege der Kantone im Postwesen,. einem. Kriege, der oft eine über das Postwesen hinausreichende Bedeutung gewann, Friede geboten worden und als schöner Preis dieses Friedens ist das stattliche Gebäude einer schweizerischen Postorganisation erstanden, ein Gebäude , das nun in seinem innern Ausbaue einer fortwährenden , ungehemmten Entwickelung fähig ift und das sich auch gegen außen ansehnlicher und darum Achtung gebietender ausnimmt. Im Zollwesen sind die Schlagbäume zwischen den Kantonen gesunken und an die Grenze der Schweiz gegen das Ausland versetzt worden, wohin fie wohl eher gehören, wenn doch einmal Schlagbäume bestehen müssen. Im Münzwesen soll die babylonische Verwirrung, die bis anhin darin geherrscht, diese neue Scheidewand zwischen den einzelnen Theilen unsers Gesammtvaterlandes , diese fortdauernde Gefährdung der wichtigsten materiellen Interessen der Nation, diese unerfchöpfliche Ouelle gegenfeitiger Uebervortheilungen aufhören und an ihre Stelle ein einheitliches Münzsystem treten. Ist es anders möglich, als daß das Volk, wenn es auch gegenwärtig diese Fortschritte, an denen fich die Vergangenheit so lange vergeblich abgemüht, noch nicht in ihrer ganzen Bedeutung zu ermessen ver-

160 mag, fie binnen kurzer Zeit in ihrem vollen Umfange zu würdigen wissen werdet llnd wir sollten in dem Helldunkel der Gegenwart, die eine düstere Vergangenheit von einer lichten Zukunft scheidet, nicht sesten und unverwandten Blickes vorwärts schauen?

Sodann aber beweisen wir, meine Herren! dadurch, daß wir jene Schöpfungen, welche dringende Bedürfnifse unserer Z e i t g e b i e t e r i s c h f o r d e r n , von Bundeswegen in's Leben rufen o d e r untere stützen, die L e b e n s s ä h i g k e i t der neuen Bundesv e r s a s s u n g : machen wir aus diesem Wege die Vortheile, welche der Umschwung in den Bundesverhältnissen unserm V a t e r l a n d e g e b r a c h t h a t ,

männiglich augenscheinlich und handgreiflich.

Und hier komme ich zuerst auf die Eifenbahnange-

legenheit zu sprechen. Es ist ein ziemlich allgemein verbreitetes Gefühl, daß in der Schweiz bisher hanptsächlich darum so wenig besriedigendes in diesem Gebiete geleistet worden sei, weil es nach dem Bundesvertrage von 1815 einzig den Kantonen, die dann sosort in einen unerquicklichen Kampf von wohl oder übel verstandenen Sonderinteressen geriethen, und nicht dem Bunde zustand, den Eisenbahnbauten jene Unterstützung von Regierungswegen angedeihen zu lassen, deren sie, wenn sie zu Stande kommen sollen, durchaus bedürfen. Ietzt ist es aber in diefer Beziehung anders geworden, meine Herren! Die neue Bundesverfassung enthält Bestimmungen, gemäß denen den Bundesbehörden das Recht zusteht, der Entstehung von Eisenbahnen den wirksamsten Vorschub zu leisten. Wohlan, mögen die Bundesbehörden von diesem hochwichtigen Rechte, das ihnen eingeräumt worden ist, nun auch Gebrauch machen!

Mögen sie auch in dieser Richtung den schönen, aber

161 bis zur Stunde noch todt gebliebenen Buchstabender Bundesverfassung dadurch, daß sie ihn anwenden, zum Leben erwecken! Mögen sie aber auch nicht vergessen, daß hier rasches Handeln Noth thut! Von allen Seiten nähern sich die Schienenwege immer mehr der Schweiz. Bereits wird die Frage, wie fie mit einander in Verbindung gebracht werden sollen, eifrig verhandelt.

Es tauchen Pläne auf, gemäß denen die Bahnen um die Schweiz herumgeführt werden sollen. Der Schweiz droht somit die Gefahr, gänzlich umgangen zu werden und in Folge dessen in der Zukunft das traurige Bild einer europäischen Einsiedelei darbieten zu müssen. Und diese Gefahr droht ihr mit Beziehung auf Schöpfungen, die man als die schönen Werke des Friedens zu betrachten gewohnt ist, gerade in einem Augenblicke, da sie sich

selbstgefällig das Eiland des Friedens und der Ruhe in dem fturmbewegten Meere Europa's nennt ! Ich hege die feste Ueberzengung, meine Herren ! daß Sie die ganze

Bedeutung des gegenwärtigen Augenblickes mit Beziehung auf diese Frage, welche ohne Uebertreibung eine .Lebensfrage der Schweiz genannt werden darf, wohl erwägen werden und ich zweifle nicht daran, daß die Entschlüsse, zu denen diefe Erwägung Sie veranlassen dürfte, Ihnen die Verantwortlichkeit leicht machen werden, welche Sie durch diefelben Ihren Zeitgenossen und kommenden Generationen gegenüber zu übernehmen haben. - Wenn ich aber von den Schöpfungen spreche, durch welche die Bundesbehörden die Lebensfähigkeit der neuen Bundesverfassuug bewahren sollen, so muß ich auch der schweiz eri scheu Hochschule noch gedenken.. Ich weiß es wohl, daß in diesem Augenblicke kaum wird dazu Hand geboten werden können, dem Vaterlande und der Wissenschaft diesen herrlichen Tempel aufzuführen. Ich rede

1^62 aber doch davon, weil es mir Pflicht scheint, es bei jedem sich darbietenden Anlasse zu sagen und laut zu verkünden, daß der durch die neue Bundesverfassung angestrebten innigern Verbrüderung der schweizerischen Nation noch das wesentlichste Verwirklichungsmittel fehlt, so lange die schweizerische Hochschule nicht in's Leben gerufen ist. Ich rede doch davon, weil ich keine Verfammlung der Vertreter des Schweizervolkes, in welcher die Gründung der schweizerischen Hochschule noch nicht beschlossen werden kann, vorbeigehen sehen möchte, .in der nicht ausgesprochen würde, daß die Schöpfung .einer schweizerischen Universität eine Ehrenschuld sei, welche die aus der neuen Bundesverfassung hervorgegangenen Behörden der schweizerischen Jugend so bald als möglich abzutragen haben. Ich rede doch davon, damit die fchweizerifche Studentenschaft, die sich so warm für die Gründung Einer höhern schweizerischen Bildungsstätte bei uns verwandt hat, sich davon überzeuge,

daß die schönen Gefühle, die fie an den Tag gelegt, einen lebhasten Wiederhall in uns gefunden haben, und daß, wenn wir diefe Gefühle nicht gegenwärtig schon zur That werden lassen können, dieß sicherlich niemanden schmerzlicher als uns selbst berühren müsse.

Endlich möchte ich, meine Herren ! wenn ich von der Stellung spreche, welche die Bundesbehörden den verschiedenen Stimmungen gegenüber, die sich in Betreff der neuen Bundesverfassung int Volke kund geben einzunehmen haben, alle Freunde des Fortschrittes in denselben anf's dringendste zur Eintracht unter sich ermahnt haben. Ich weiß es wohl, daß es Zeiten gibt, wo es durchaus ungefährlich , ja förderlich ist, wenn jede und auch die kleinste Meinungsnüanee sich geltend macht, wenn die verschiedenen Färbungen einer und der-

163 selben politischen Grundanschauung sich ebenso lebhaft bekämpfen, wie wenn fie einander entgegenstehende Grundanschauungen wären. Aber hinwieder gibt es Zeiten, in denen es geradezu zu einer politischen Nothwendigkeit wird, daß alle diejenigen, welche sich zu derfelbeu Hauptanficht bekennen, von den unbedeutenden Meinungsverfchiedenheiten , die etwa unter ihnen bestehen mögen, absehen, unter die ihnen allen gemeinschaftliche Fahne fich reihen und durch die so bewährte Kraft der Selbftverläugnung, sowie durch die Wucht ihrer Zahl theils an Zuverficht zu fich selbst gewinnen, theils ihren Gegnern Achtung einflößen. Ein solcher Zeitpunkt scheint mir, meine Herren ! für die Freunde des Fortschrittes vorhanden zu sein. Ich überzeuge mich davon , ob ich meine Blicke nach außen oder nach innen richte. Befürchten Sie jedoch nicht, daß ich mich nun in eine Beweisführung für die Begründetheit diefer Ueberzengung einlassen werde. Ich würde eine folche mit Ihnen für ungeeignet halten. Aber nicht für ungeeignet, wohl aber für eine heilige Pflicht halte ich es, von dieser Stelle aus und das Panner der neuen Bundesverfassung, der wichtigsten politischen Errungenschaft der Neuzeit, in der Hand, den Ruf ergehen zu lassen: Ihr Männer des F o r t s c h r i t t e s , zur Sammlung! Wer Ohren hat zu h o r e n , der h ö r e ! Und wer Augen hat zu s e h e n , der s e h e ! Ich erkläre die auf den heutigen Tag vertagte dießjährige ordentliche Sitzung des fchweizerifchen Nationalrathes für w i e d e r e r ö f f n e t .

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Rede des Herrn Amtsbürger Dr. Escher, Präsident des Nationalrathes, gehalten beim Wiederzusammentritte desselben, den 12.November 1849.

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22.11.1849

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149-163

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