Bundesgesetz Entwurf über die Anwendung von polizeilichem Zwang und polizeilichen Massnahmen im Zuständigkeitsbereich des Bundes (Zwangsanwendungsgesetz, ZAG) vom ...

Die Bundesversammlung der Schweizerischen Eidgenossenschaft, gestützt auf die Artikel 57 Absatz 2, 121 und 123 Absatz 1 der Bundesverfassung1, nach Einsicht in die Botschaft des Bundesrates vom 18. Januar 20062, beschliesst:

1. Abschnitt: Gegenstand und Geltungsbereich Art. 1

Gegenstand

Dieses Gesetz regelt die Grundsätze der Anwendung polizeilichen Zwangs und polizeilicher Massnahmen im Zuständigkeitsbereich des Bundes.

Art. 2 1

Verpflichtete Behörden und Personen

Dieses Gesetz gilt: a.

für alle Bundesbehörden, die bei der Erfüllung ihrer Aufgaben polizeilichen Zwang oder polizeiliche Massnahmen anwenden müssen;

b.

für alle kantonalen Behörden, die im Bereich der Ausländer- und der Asylgesetzgebung polizeilichen Zwang oder polizeiliche Massnahmen anwenden müssen;

c.

für alle kantonalen Behörden, die im Zusammenwirken mit Polizeiorganen des Bundes Aufgaben der gerichtlichen Polizei des Bundes wahrnehmen;

d.

für alle Behörden, die im Auftrag einer Bundesbehörde Personen mit Freiheitsbeschränkungen transportieren;

e.

für Private, die von diesen Behörden für die Erfüllung ihrer Aufgaben beigezogen werden.

Für die Armee gilt das Gesetz nur, soweit sie im Inland Assistenzdienst für zivile Behörden des Bundes leistet.

2

1 2

SR 101 BBl 2006 2489

2004-2005

2519

Zwangsanwendungsgesetz

Art. 3

Verhältnis zum Verfahrensrecht des Bundes

Dieses Gesetz gilt für die Anwendung von polizeilichem Zwang und von polizeilichen Massnahmen im Bereich der Verfahrensgesetze des Bundes, soweit diese dafür keine besonderen Regelungen enthalten.

Art. 4

Notwehr und Notstand

Das Gesetz ist nicht anwendbar bei Handlungen in Notwehr oder Notstand.

2. Abschnitt: Allgemeine Bestimmungen Art. 5

Polizeilicher Zwang

Als Anwendung polizeilichen Zwangs gegen Personen gilt der Einsatz von: a.

körperlicher Gewalt;

b.

Hilfsmitteln;

c.

Waffen.

Art. 6

Polizeiliche Massnahmen

Als polizeiliche Massnahmen gelten: a.

das kurzfristige Festhalten von Personen;

b.

die Durchsuchung von Personen und ihrer persönlichen Effekten;

c.

die Durchsuchung von Räumen und Fahrzeugen;

d.

die Sicherstellung von Gegenständen.

Art. 7

Zur Anwendung polizeilichen Zwangs und polizeilicher Massnahmen berechtigte Behörden

Die Spezialgesetze bezeichnen die Behörden, die zur Anwendung polizeilichen Zwangs und polizeilicher Massnahmen berechtigt sind.

Art. 8

Besondere Ausbildung

Personen, die zur Anwendung polizeilichen Zwangs und polizeilicher Massnahmen eingesetzt werden, müssen dazu ausgebildet sein.

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Zwangsanwendungsgesetz

Art. 9

Grundsätze

Polizeilicher Zwang und polizeiliche Massnahmen dürfen nur zur Aufrechterhaltung oder Herstellung eines rechtmässigen Zustandes angewendet werden, insbesondere:

1

a.

zur Abwehr einer Gefahr;

b.

zum Schutz von Behörden, Gebäuden und Einrichtungen des Bundes;

c.

zur Durchführung des Transportes von Personen, die Freiheitsbeschränkungen unterstehen;

d.

zur Verhinderung der Flucht von Personen, die Freiheitsbeschränkungen unterstehen;

e.

zur Identifizierung von Personen;

f.

zur Sicherstellung von Gegenständen, wenn ein Gesetz dies vorsieht.

Die Anwendung muss den Umständen angemessen sein; insbesondere müssen das Alter, das Geschlecht und der Gesundheitszustand der betroffenen Personen berücksichtigt werden.

2

Sie darf keine Eingriffe oder Beeinträchtigungen nach sich ziehen, die zum angestrebten Ziel in einem Missverhältnis stehen.

3

4

Grausame, erniedrigende oder beleidigende Behandlungen sind verboten.

Art. 10

Ankündigung

Soweit die Umstände und der Zweck des Einsatzes es zulassen, muss die Anwendung polizeilichen Zwangs und polizeilicher Massnahmen angekündigt werden.

Art. 11 1

Einsatz von Waffen

Der Einsatz von Waffen darf nur als letztes Mittel erfolgen.

Schusswaffen dürfen nur eingesetzt werden, um Personen festzunehmen oder ihre Flucht zu verhindern, wenn sie:

2

a.

eine schwere Straftat begangen haben;

b.

der dringende Verdacht besteht, dass sie eine schwere Straftat begangen haben.

Ein Warnschuss darf nur abgegeben werden, wenn die Umstände die Wirkung eines Warnrufes vereiteln.

3

4

Über jeden Waffeneinsatz ist der zuständigen Behörde Bericht zu erstatten.

Art. 12

Identifizierbarkeit

Personen, die zur Anwendung polizeilichen Zwangs und polizeilicher Massnahmen eingesetzt werden, müssen identifizierbar sein.

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Zwangsanwendungsgesetz

3. Abschnitt: Besondere Bestimmungen zum polizeilichen Zwang Art. 13

Körperliche Gewalt

Techniken körperlicher Gewalt, welche die Gesundheit der betroffenen Person erheblich beeinträchtigen können, insbesondere durch die Behinderung der Atemwege, sind verboten.

Art. 14

Hilfsmittel

Bei der Anwendung polizeilichen Zwangs dürfen folgende Hilfsmittel eingesetzt werden:

1

a.

Handschellen und andere Fesselungsmittel;

b.

Diensthunde.

Verboten ist der Einsatz von Hilfsmitteln, welche die Atemwege beeinträchtigen können, insbesondere von Integralhelmen und Mundknebeln.

2

Der Bundesrat erlässt eine Liste der einzelnen zulässigen und verbotenen Hilfsmittel.

3

Art. 15

Waffen

Bei der Anwendung polizeilichen Zwangs dürfen folgende Waffen eingesetzt werden: a.

Schlag- und Abwehrstöcke;

b.

Reizstoffe;

c.

Schusswaffen.

Art. 16

Aufgabenbezogener Einsatz von Hilfsmitteln und Waffen

Der Bundesrat erlässt eine Liste der Hilfsmittel und Waffen, die zur Erfüllung der jeweiligen Aufgaben eingesetzt werden dürfen.

Art. 17

Ausrüstung

Der Bundesrat kann die technischen Anforderungen an die Ausrüstung (Hilfsmittel, Waffen) der Bundesbehörden regeln.

1

2

Die Ausrüstung kantonaler Behörden richtet sich nach kantonalem Recht.

Art. 18

Anhörung der Kantone

Der Bundesrat hört die Kantone an, bevor er: a.

die Liste der Hilfsmittel nach Artikel 14 Absatz 3 erlässt;

b.

die Liste der Hilfsmittel und Waffen nach Artikel 16 erlässt.

2522

Zwangsanwendungsgesetz

4. Abschnitt: Besondere Bestimmungen zu den polizeilichen Massnahmen Art. 19 1

Kurzfristiges Festhalten

Wird eine Person kurzfristig festgehalten, muss sie: a.

über den Grund ihrer Festhaltung informiert werden;

b.

die Möglichkeit haben, mit den bewachenden Personen Kontakt aufzunehmen, wenn sie Hilfe benötigt.

Eine Person darf nur solange festgehalten werden, als die Umstände dies erfordern, höchstens aber 24 Stunden.

2

Art. 20

Durchsuchen und Abtasten von Personen

Eine Durchsuchung, die mit Körperkontakten verbunden ist, darf nur von Personen vorgenommen werden, die das gleiche Geschlecht wie die durchsuchte Person haben.

1

2

Solche Durchsuchungen müssen unter Ausschluss der Öffentlichkeit erfolgen.

Die Absätze 1 und 2 gelten nicht für das Abtasten von Personen, bei denen der Verdacht besteht, dass sie Waffen oder gefährliche Gegenstände mit sich führen.

3

Untersuchungen im Intimbereich von Personen dürfen nur von einem Arzt oder einer Ärztin vorgenommen werden.

4

Art. 21

Sicherstellung von Gegenständen

Soweit für das Verfahren zur Sicherstellung von Gegenständen und den Umgang mit ihnen keine spezialgesetzliche Regelung gilt, ist Artikel 47 des Bundesgesetzes vom 22. März 19743 über das Verwaltungsstrafrecht anwendbar.

5. Abschnitt: Medizinische Versorgung und Einsatz von Arzneimitteln Art. 22

Erste Hilfe

Erleiden Personen durch polizeilichen Zwang eine gesundheitliche Beeinträchtigung, leisten die ausführenden Personen erste Hilfe und sorgen wenn nötig für ärztlichen Beistand.

Art. 23

Medizinische Untersuchung

Eine Person, gegen die polizeilicher Zwang angewendet worden ist oder die festgehalten wird, ist medizinisch zu untersuchen, wenn eine erhebliche gesundheitliche Beeinträchtigung nicht ausgeschlossen werden kann.

3

SR 313.0

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Zwangsanwendungsgesetz

Art. 24

Medizinische Überwachung

Eine festgehaltene oder transportierte Person muss durch eine medizinisch geschulte Person überwacht werden, wenn: a.

sie aus medizinischen Gründen mit Arzneimitteln ruhig gestellt wird; oder

b.

eine ärztliche Beurteilung ergibt, dass mit gesundheitlichen Komplikationen zu rechnen ist.

Art. 25 1

Einsatz von Arzneimitteln

Arzneimittel dürfen nicht an Stelle von Hilfsmitteln verwendet werden.

Sie dürfen nur gestützt auf eine medizinische Indikation und von den nach der Heilmittelgesetzgebung zuständigen Personen verschrieben, abgegeben oder verabreicht werden.

2

6. Abschnitt: Transport von Personen, die Freiheitsbeschränkungen unterstehen Art. 26

Vorschriften des Bundesrats

Der Bundesrat erlässt die erforderlichen Vorschriften für den Transport von Personen, die Freiheitsbeschränkungen unterstehen.

1

2

Er regelt insbesondere: a.

wie der Transport vorzubereiten und durchzuführen ist;

b.

unter welchen Umständen die transportierten Personen zu fesseln sind;

c.

die Anforderungen an die Transportmittel;

d.

welche Bedürfnisse der transportierten Personen bei länger dauernden Transporten zu berücksichtigen sind.

Art. 27

Vorbereitung von Rückführungen auf dem Luftweg

Die zwangsweise Rückführung von Personen auf dem Luftwege ist von den zuständigen Behörden jeweils auf Grund der konkreten Umstände vorzubereiten.

1

Die betroffenen Personen sind vorgängig zu orientieren und anzuhören, soweit der Vollzug selbst dadurch nicht in Frage gestellt wird; es ist ihnen insbesondere Gelegenheit zu geben, dringliche persönliche Angelegenheiten vor der Rückführung zu erledigen oder erledigen zu lassen.

2

Eine betroffene Person ist vor Beginn des Transportes ärztlich zu untersuchen, wenn:

3

a.

die betroffene Person dies verlangt;

b.

Anzeichen für gesundheitliche Probleme feststellbar sind.

2524

Zwangsanwendungsgesetz

Art. 28

Begleitpersonen

Personen, die auf dem Luftwege zwangsweise rückgeführt werden, müssen durch besonders ausgebildete Personen begleitet werden.

1

Während des Fluges unterstehen die rückzuführenden Personen und die Begleitpersonen der Bordgewalt des Kommandanten oder der Kommandantin des Luftfahrzeugs.

2

7. Abschnitt: Aus- und Weiterbildung Art. 29

Programme und Koordination

Der Bundesrat regelt die Aus- und Weiterbildungsprogramme für Personen, deren Aufgaben mit der Anwendung polizeilichen Zwangs und polizeilicher Massnahmen im Geltungsbereich dieses Gesetzes verbunden sein können. Er hört dazu die Kantone an und sorgt für die erforderliche Koordination unter den beteiligten Bundesstellen und den kantonalen Behörden.

1

2

Er trägt dabei den Erkenntnissen der Wissenschaft und der Technik Rechnung.

Der Bund unterstützt besondere Aus- und Weiterbildungsprogramme für Personen, die mit der zwangsweisen Rückführung von Personen auf dem Luftweg beauftragt sind.

3

Art. 30

Inhalt

In der Aus- und Weiterbildung werden insbesondere folgende Themen behandelt: a.

Umgang mit widerstandwilligen und gewaltbereiten Personen;

b.

Einsatz körperlicher Gewalt;

c.

Einsatz von zulässigen Hilfsmitteln und Waffen;

d.

Beurteilung gesundheitlicher Risiken der Gewaltanwendung und Leistung erster Hilfe;

e.

Grundrechte, Persönlichkeitsschutz und Verfahrensrecht;

f.

Umgang mit Personen aus anderen Kulturkreisen.

8. Abschnitt: Haftung für Schäden Art. 31 Der Bund haftet nach dem Bundesgesetz vom 14. März 19584 über die Verantwortlichkeit des Bundes sowie seiner Behördemitglieder und Beamten (Verantwortlichkeitsgesetz) für Schäden, die:

1

4

SR 170.32

2525

Zwangsanwendungsgesetz

a.

Organe des Bundes bei der Anwendung polizeilichen Zwangs widerrechtlich verursacht haben;

b.

Organe der Kantone oder Private, die im Auftrag oder unter Leitung der Bundesbehörden tätig gewesen sind, widerrechtlich verursacht haben.

Hat der Bund Ersatz geleistet, so steht ihm der Rückgriff auf den Kanton zu, in dessen Dienst die Person steht, die den Schaden verursacht hat. Das Verfahren richtet sich nach Artikel 10 Absatz 1 Verantwortlichkeitsgesetz.

2

9. Abschnitt: Schlussbestimmungen Art. 32

Änderung bisherigen Rechts

Die Änderung bisherigen Rechts wird im Anhang geregelt.

Art. 33

Referendum und Inkrafttreten

1

Dieses Gesetz untersteht dem fakultativen Referendum.

2

Der Bundesrat bestimmt das Inkrafttreten.

2526

Zwangsanwendungsgesetz

Anhang (Art. 32)

Änderung bisherigen Rechts Die nachstehenden Bundesgesetze werden wir folgt geändert:

1. Bundesgesetz vom 21. März 19975 über Massnahmen zur Wahrung der inneren Sicherheit Art. 22 Abs. 4 (neu) Das nach diesem Gesetz zum Schutz von Personen, Gebäuden und Einrichtungen eingesetzte Personal darf zur Erfüllung seines Auftrags und, soweit die zu schützenden Rechtsgüter es rechtfertigen, polizeilichen Zwang und polizeiliche Massnahmen anwenden. Das Zwangsanwendungsgesetz vom ...6 ist anwendbar.

4

2. Bundesgesetz vom 26. März 19317 über Aufenthalt und Niederlassung der Ausländer Art. 22abis (neu) Das mit dem Vollzug dieses Gesetzes beauftragte Personal darf zur Erfüllung seines Auftrags und, soweit die zu schützenden Rechtsgüter es rechtfertigen, polizeilichen Zwang und polizeiliche Massnahmen anwenden. Das Zwangsanwendungsgesetz vom ...8 ist anwendbar.

3. Bundesgesetz vom 15. Juni 19349 über die Bundesstrafrechtspflege Art. 103 Abs. 3 (neu) Die gerichtliche Polizei darf zur Erfüllung ihres Auftrags und, soweit die schützenden Rechtsgüter es rechtfertigen, polizeilichen Zwang und polizeiliche Massnahmen anwenden. Soweit das vorliegende Gesetz keine besonderen Bestimmungen enthält, ist das Zwangsanwendungsgesetz vom ...10 anwendbar.

3

5 6 7 8 9 10

SR 120 SR ...; AS ... (BBl 2006 2519) SR 142.20 SR ...; AS ... (BBl 2006 2519) SR 312.0 SR ...; AS ... (BBl 2006 2519)

2527

Zwangsanwendungsgesetz

4. Militärgesetz vom 3. Februar 199511 Art. 92 Abs. 3bis (neu) 3bis Soweit die Truppe Assistenzdienst im Inland für zivile Behörden des Bundes leistet, ist das Zwangsanwendungsgesetz vom ...12 anwendbar.

5. Zollgesetz vom 18. März 200513 Art. 100 Abs. 1bis (neu) und Abs. 2 1bis Soweit das vorliegende Gesetz keine besonderen Bestimmungen enthält, ist das Zwangsanwendungsgesetz vom ...14 anwendbar.

Die Zollverwaltung bezeichnet im einzelnen das Personal, das polizeilichen Zwang und polizeiliche Massnahmen anwenden darf und dem die Befugnisse nach den Artikeln 101­105 im Einzelnen zustehen.

2

6. Bundesgesetz vom 21. Dezember 194815 über die Luftfahrt Art. 21 Abs. 1bis (neu) 1bis Personal, das an Bord von Luftfahrzeugen zur Aufrechterhaltung der Sicherheit eingesetzt wird, darf zur Erfüllung seines Auftrags und soweit die zu schützenden Rechtsgüter es rechtfertigen, polizeilichen Zwang und polizeiliche Massnahmen anwenden. Das Zwangsanwendungsgesetz vom ...16 ist anwendbar.

11 12 13 14 15 16

SR 510.10 SR ...; AS ... (BBl 2006 2519) BBl 2005 2285 SR ...; AS ... (BBl 2006 2519) SR 748.0 SR ...; AS ... (BBl 2006 2519)

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