#ST#

Schweizerisches

Nro.

6.

Samstag, den 17. März 1849.

Man abonnirt ausschließlich beim nächstgelegenen Postamt. Preis für bas Jahr 1849 im ganzen Umfange der Schweiz p o r t o f r e i Frkn. 3.

Jnserate find f r a n f i r t an die Expedition einzusenden, Gebühr 1 Batzen per Zeile ober deren Raum.

# S T #

Verhandlungen der Bundesversammlung, des

national- und Ständerathes.

(Fortsetzung.)

Angelegenheit der

italienischen Flüchtlinge im Kanton Tessin Jn einer Zuschrift vom 12. Wintermonat 1848 hat der eidgenössische Vorort sich veranlaßt gesehen, die Aufmerkfamkeit der Bundesverfammlung auf die Angelegenheiten des Kantons Tessin zu lenken, und insbesondere aus Anstände hinzuweisen, welche zwischen der Regierung des Kantons Tessin einerseits und den eidgenössischen Re-Präsentanten, sowie dem eidgenössischen Vorort anderseits sich erhoben haben. Besonders wurde angeführt, daß der Staatsrath des Kantons Tessin der vorörtlichen Weifung vom 4. November, nach welcher, einzelne Ansnahmen abgerechnet, die sämmtlichen italienischen Flüchtlinge ans dem Kanton Tessin fortgewiesen und nach dem Jnneru der Bunbesblatt I.

13

152 Schweiz gebracht werden sollen, die verlangte Darnachachtung versage und dagegen an die Bundesversammlung Berusung einlege. Der eidgenössische Vorort sehe sich in den Fall versetzt, die hierauf bezüglichen Aktenstücke zur Einsichtnahme auf den Kanzleitisch zu legen.

Gemäß einem in der Versammlung gestellten Antrage wurde diese Angelegenheit am 14. Wintermonat an eine Kommission, bestehend aus den Herren Es cher, P i oda, Kasimir P f y f f e r , Kern und Michel, gewiesen.

Mit Zuschrift vom 19. November machte nachher der eidgenössifche Vorort in der vereinigten Bnndesverfammlnng am 20. Wintermonat die Anzeige, daß aus dem nenlichen Berichte der Herren eidgenössischen Repräsentanten im Kanton Tessin, vom 17. November hervorzugehen scheine, daß die Regiernng des Kantons Tessin, in Beziehung auf die gegen die italienifchen Flüchtlinge zu treffenden Maßnahmen, sich dem von dem Vororte und den Repräfentanten aufgestellten Gesichtspunkte mehr und mehr annähern wolle, und daß feit dem 5. November, der Bestand der italienifchen Emigration, welcher damals noch 4014 Perfonen betragen, sich stark um die Hälfte verringert habe.

Jm Hinblicke auf diefe Thatsachen finde es daher der eidgenössifche Vorort angemessen, eine Truppenverminderung eintreten zu lassen, und zwar in der Weife, daß diejenigen Truppenkorps, welche feit Ende Septembers im Kanton Tessin sich befinden, durch diejenigen abgelöst werden, welche laut Schlußnahme vom 12. November dahin instradirt worden sind, und daß im Weitern anch die

Batterie Artillerie zur Rückkehr befehligt werde.

Jm Weitern dürften dann die eidgenössifchen Repräfentanten ermächtigt werden, je nach Maßgabe der Umstände fernere Truppenreduktionen eintreten zu lassen.

153 Nach Verfügurg des Präsidiums sollte diese Zuschrift derjenigen Kommission übermittelt werden, welche in den Angelegenheiten des Kantons Tessin ihr Gutachten abzugeben hatte.

Am 21. Wintermonat erstattete die Kommission, die sich in eine Mehrheits- und Minderheitsansicht spaltete, ihren Bericht und Antrag.

Bericht der M e h r h e i t der K o m m i f f i o n . (Berichterstatter Dr. Kas. Pfyffer.) -- "Die in der Angelegenheit der italienifchen Flüchtlinge im Kanton Tefsin niedergefetzte Kommission hat die Ehre Jhnen hiemit Bericht zu erstatten.

"Diese Berichterstattung wird sich rein an den vorliegenden Akten halten.

,,Nachdem bekanntlich der in der Lombardei komman-

dirende k. k. Feldmarschall Radetzky gegen den Kanton Tessin Sperrmaßregeln verhängt hatte, faßte die eidgenössifche Tagfatzung unter'm 21. September letztverflossen nachstehende Schlußnahrne : ,,,,Art. 1. Der eidgenössische Vorort wird beauftragt,

durch das Mittel des fchweizerischen Geschäftsträgers in Wien bei der k. k. österreichifchen Regierung gegen die von Herrn Feldmarschall Radetzky in der angesührten Note angedrohten und amtlichen Mittheilungen zusolge schon unter'm 17. Herbstmonat wirklich in Vollziehung gesetzten Maßregeln nachdrncksamst Beschwerde zu erheben und auf unverzügliche Aushebung derselben zu dringen. Dabei wird der Vorort, mit Benutzung sämmtlicher hieraus bezüglichen Akten, daraus hinweisen, daß die Schweiz, selbst mit bedeutenden Aufopferungen und entgegengefetzte Erlebnisse vergessend, sich bestrebt habe, während der kriegerifchen Vorgänge in der Lombardei, fo wie immer und nach allen Seiten hin ihre völkerrechtlichen Verpflichtungen

154 zu erfüllen, und daß die -.Anerkennung dieses Bestreben-..; selbst von der k. k. österreichischen Regierung durch Zuschrift ihres Gesandten bei der Eidgenossenschaft noch unter'm 16. Herbstmonat unzweideutig ausgesprochen worden sei ; daß auch die Beschwerden des Herrn Feldmarschatt Radetzky, betreffend Umtriebe lombardischer Flüchtlinge im Kanton Tessin, welche zu jenen Maßregeln Veranlassung gegeben haben sollen, nicht als begründet anerkannt werden können; daß aber endlich selbst dann, wenn jene Beschwerden gegründet wären, diese Maßregeln dadurch keineswegs gerechtfertigt würden.

,,,/Art. 2. Von der an die f. k. österreichische Regierung in Folge obigen Austrags erlassenen Note wird der Vorort seiner Zeit dem k. k. Gesandten bei der Eidgenossenschast Kenntniß geben.

,,,,Art. 3. Zur Wahrung der schweizerischen Jnteressen sendet die Tagsatzung zwei eidgenössische Repräsentanten in den Kanton Tessin ab.

,,,,Slrt. 4. Denselben wird eine Brigade eidgenössischer Truppen, unter eidgenöfsischem Kommando, für einstweilen bestehend ans zwei Bataillonen Jnfanterie und zwei Kompagnicn Scharfschützen, durch welche die gegenwärtig im Tessin aufgestellten Truppen abgelöst werden, zur Ver-

fügung gestellt.

,,,,Die Repräfentanten sind ermächtigt, diese Truppen theilweife oder ganz zu entlassen, in dringenden Fällen aber auch diefelben zu verstärken.

,,,,Art. 5. Für die Zeit einer allfälligen Vertagung der Tagfatznng wird der Vorort bevollmächtigt, im Sinne diefer Beschlüsse die im Jnteresse der Eidgenossenschast allfällig weiter erforderlichen Schritte zu thun. -- Jin Falle, jedoch von der österreichischen Regierung den gestellten Reklamationen nicht entsprochen würde, wird der

155

...ßorort die Tagsatzung, wenn diese vertagt fein sollte,, unverzüglich wieder einberufen."

,,Den nach dem Kanton Tefsin ientsendeten Repräsentanten gelang es bald, die Aushebung der obgedachten Sperrmaßregeln theilweise, wenn auch nicht gänzlich, zu .bewirken.

,,Die Repräsentanten, im Verein mit der Regierung von Tessin, bemühten sich inzwifchen zu verhüten, daß die Flüchtlinge keine die Neutralität der Schweiz kompromittirende Schritte unternähmen. Unter anderm wurde verfügt, daß die in Lugano befindlichen Militärflüchtlinge (fo genannt im Gegenfatz von Eivilflüchtlingen, welche letztern ohne Unterstützung leben) sich auf die andere Seite dee Monte Cenere begeben sollten, und wirklich wurden dieselben nach Bellenz und Lokarno verlegt.

,,So viel aus den Akten ersichtlich ist, befanden sich die eidgenössischen Repräsentanten und die Regierung von Tefsin anfänglich in gutem Einverständnisse. Mit einem Berichte der Repräsentanten an den Vorort vorn 23. Oktober traten nun aber Differenzen zwischen ihnen und der Regierung in Vorschein, welche von da an sich stets mehrten. Wir können, ohne äußerst weitläusig zu werden, diese Differenzen nicht näher erörtern, sondern wenn eine nähere Kenntniß davon verlangt wird, so muß diese mittelst Ablefung derldießfälligen Korrespondenz gegeben werden.

,,Gegen Ende Oktobers brach ein [Aufstand in dem Jntelvithal und im Veltlin aus, wodurch die italienischen Flüchtlinge im Kanton Tefsin in Bewegung geriethen» Die Repräfentanten in Verbindung mit dem eidgenöfsifchen Truppenkommando ergriffen die ihnen zu Gebote stehenden ..Borsichtsmaßregeln, um einen Einfall der Flüchtlinge in die Lombardei zu verhüten. Allein bei der großen Aus*

156

dehnung der Gränze war es nicht möglich, die Verbindung der Flüchtlinge mit den Anfständifchen in der Lombardei selbst gänzlich zu hindern, und fo kam es, daß wirklich »on den Flüchtlingen an jenen Auftritten in der Lombardei Antheil nahmen, und als das Unternehmen gescheitert war, wieder zurückkehrten. Die obgedachten Militärpchtlinge, welche von Lugano weg rückwärts nach Bellinzona und Lokarno verlegt worden waren, hatten sia> heimlich von dem ihnen angewiesenen Ausenthaltsorte entfernt, und es ist anzunehmen, daß sich dieselben bei denjenigen befanden, welche auf der Höhe des Soriopaffes, wo man es der Steilheit des Berges wegen am wenigsten .hätte erwarten follen, die Gränze mit Umgehung der eidgenössischen Truppen überschritten haben.

,,Am 30. Oktober bemächtigten sich sodann italienische Flüchtlinge auf fchweizerifchem Gebiete gewaltthätig eines der beiden Dampffchiffe auf dem Langenfee und dasselbe soll bis zur Stunde noch nicht zurückgestellt worden sein.

,,Jn Folge der stattgehabten Vorfälle mußte natürlich die Frage entstehen, welche Maßregeln nun gegenüber den italienifchen Flüchtlingen ergriffen werden follten. Au..;: dieser Frage entwickelte sich diejenige Differenz zwischen den eidgenössischen Repräsentanten und der Regierung des .Kantons Tessin, um welcher willen eigentlich die Angelegenheit an die oberste Bundesbehörde gelangt. Wir beschränken uns darum auch in unserem Bericht hauptsächlich auf diefen Punkt, ohne des übrigen Jnhalts der weitläufigen Akten Erwähnung zu thun.

"Der Staatsrath von Tessin faßte am 1. November einen Befchluß, gemäß welchem die politischen Flüchtlinge, welche an dem Aufstand im Jntelvithal, bei dem Ueberfatt des ...Dampfschiffes aus dem Lago maggiore je. einen

157 direkten Antheil genommen haben, sich binnen eines kurzen Termins aus dem Kanton entfernen follen.

,,Die Repräfentanten richteten hingegen am 2. November, Bevor ihnen der Befchluß des Staatsraths mitgetheilt worden war, ein Schreiben an den letztern, in welchem sie forderten, daß die Maßnahme eine allgemeine fein foll, die sich auf alle Flüchtlinge und nicht bloß auf diejenigen, welche einen direkten Anthetì genommen, da eine solche Ausmittlung unter den obwaltenden Verhältnissen nicht möglich fei, erstrecken soll. Dabei wurde ausgesprochen, es verstehe sich von selbst, daß bei Ausführung der Maßregel Humanitätsrücksichten, wie z. B. gegen das Alter, Gefchlecht, Jnsirmität n. s. w. nicht aus den Augen gesetzt Werden soll. Das Schreiben der Repräsentanten, welches bei den Akten liegt und verlesen werden mag, entwickelt die Gründe der gestellten Forderung näher.

,,Jn einem Schreiben vom 3. November machte der Staatsrath von Tessin Vorstellungen gegen die Forderung der Repräsentanten, welche aber daraus beharrten und fceineben bemerkten, daß die im Kanton stationirte Brigade

eidgenössischer Truppen nicht genüge, so lange die Emigration im Lande sich befinde, und die Truppen also verstärkt werden müssen, sosern Tessin die gestellte Forderung nicht ersülle. Der Staatsrath ertheilte eine etwas ausweichende Antwort. Am 6. November sorderten die Repräsentanten bestimmte Annahme oder Verwersung des von ihnen gestellten Verlangens.

,,Ans die inzwifchen von den Repräfentanten erstatteten Berichte über die Vorfälle im Kanton Tefsin hatte der Vorort bereits am 4. November eine Schlußnahme gefaßt, gemäß welcher die italienischen Flüchtlinge ans den an die Lombardei gränzenden Kantonen Graubünden und Tessin entfernt und in die Schweiz internirt werden sollten.

158 ,,Nach Erhalt dieser Schlußnahme erklärte der Staat.,.'rath von Tessin in einem Schreiben vom 8. November an die eidgenössischen Repräsentanten, nicht Folge leisten, sondern es auf den Ausfpruch der obersten Bnndesbehörde ankommen lassen zu wollen.

,,Jndem die Repräfentanten diefe Weigerung und Berufung dem Vororte mittheilteu, verlangten sie, weil die militärischen Kräste nicht ausreichen, den Ereignissen mit Ruhe entgegenzusehen, und wegen Strenge des Dienstes bei der geringen Truppenzahl, Verstärkung der Truppen mit zwei Bataillonen Jnsanterie, einer Batterie Artillerie, einer Kompagnie Scharfschützen und einer halben Kompagnie Kavallerie, mit beigefügter Bemerkung, daß wenn

die Ausweifung der Flüchtlinge nicht wolle genehm geBalten werden, fo könnte man zur Sicherung der Gränzen sich nicht hierauf beschränken, sondern die Repräsentanten wären im Falle, eine zweite Brigade von gleicher Stärke, mit Ausnahme einer zweiten Batterie Artillerie, zu verlangen. Die Verstärkung mit zwei Bataillonen n. s. w.

sand dann, gestützt anf den Art. 4 des Tagfaiznngsbeschlnsses vom 21. September letztverflossen, wirklich statt.

"Wir machen anfmerkfam, daß außer dem Schreiben des Staatsrathes von Tefsin vom 8. November 1848 an die Repräfentanten, worin sich derfelbe auf die oberste

Bundesbehörde in Betreff der Ausweisung der Flüchtlinge

beruft, keine weitere Beschwerdeschrift oder Memorial der Regierung von Tefsin vorliegt.

,, Wir besassen also uns lediglich mit dieser Ausweifung und es wäre zu wünschen, daß auch im Schoße der h. Verfammlung keine weitern fremdartigen Punkte in die Diskufsion gezogen würden.

,,Was die Ausweifung der Flüchtlinge betrifft, so stehen, sich die Ansichten des Staatsratheö von Tessin

159 einerseits, des Vorortes und der Repräsentanten andererseits gegenüber.

,,Der Staatsrath von Tessin will nur diejenigen, welche an dem letzten Unternehmen gegen die Lombardei direkten Antheil nahmen, ausweisen, oder wenigstens diejenigen Flüchtlinge, gegen welche nichts vorliegt, von der Ausweisung ausgenommen wissen.

"Der Vorort und die Repräsentanten wollen hingegen der Regel nach die Maßnahme der Ausweisung auf alle italienifchen Flüchtlinge ausdehnen, und nur Ausnahmen aus Rücksichten, vorzüglich der Humanität, eintreten lassen.

"Eine Minderheit der Kommission, bestehend aus Herrn Staatsrath Pioda, pflichtet der Ansicht der Regierung von Tessin bei, und wird ihre Meinung und die darauf gefußten Anträge selbst entwickeln.

"Die Majorität der Kommission hingegen, bestehend aus allen übrigen Mitgliedern, theilt die Ansicht des Vorortes und der eidgenössischen Repräsentanten.

,, ...Dieselbe schreitet in gedrängter Kürze -- das Mehrere der mündlichen Diskussion, welche nicht ausbleiben wird, überlassend -- zur Begründung ihrer Meinung.

"Was vorerst die Kompetenz der Bundesversammlung betrifft, so kann dieselbe ernstlich nicht wohl in Zweifel

gezogen werden. Es handelt sich nicht ausfchließlich um Jnteressen . des Kantons Tefsin, sondern um Jnteresseu gesammter Eidgenossenschast, und schon deßwegen ist die Kompetenz begründet. Es kömmt hinzu, daß der §. 57 der Bundesverfassung fpeziell bestimmt: "Dem Bunde ,,steht das Recht zu. Fremde, welche die innere oder ,,äußere Sicherheit der Eidgenossenschaft gefährden, aus ,,dem fchweizerischen Gebiete wegzuweisen." Endlich hat die Regierung von Tessin selbst die Kompetenz der Bundes-.oersammlung anerkannt, indem sie in ihrem Schreiben an

160 die Repräsentanten vom 8. November sagt : " Wir können "nicht beipflichten, ausgenommen im äußersten Falle eines ,,ausdrücklichen Beschlusses der obersten Bundesbehörde."

,, Nach festgestelltem Kompetenzpunkt entscheidet sich die Majorität der Kommission sür die Ansicht des Vorortes und der Repräsentanten, somit für Billigung der von diefen getroffenen Anordnungen aus denjenigen Gründen, welche die Repräsentanten in ihrem Schreiben an den Staatsrath von Tessin geltend machten.

,,Es handelt sich keineswegs darum, die italienischen Flüchtlinge nach der Lombardei zu schaffen und sie ihren

Verfolgern in die Hände zu liefern; es handelt sich nicht einmal darum, sie aus dem Gebiete der Eidgenossenschaft wegzuweifen. Nein! ihnen steht das Jnnere der Schweiz, steht Frankreich und Piemont offen. Nur den Kanton Tessin sollen sie verlassen. Dabei wird ausgesprochen, daß Berücksichtigung besonderer Verhältnisse vielmöglichst eintreten soll. Ueberzeugt man sich, daß einer gar feinen Antheil nahm an den letzten Unternehmungen, so kann er immerhin aus Berücksichtigung hoffen, aber von einem mehr oder weniger strengen Beweife, der gegen den Be* treffenden vorliegen müßte, kann unter den obwaltenden Verhältnissen die Anwendung der Maßregel nicht abhängig gemacht werden, wenn dieselbe nicht nnwirksam gemacht werden will. Die Schweiz soll gastfreundlich ihre Thore den politisch Versolgten, wie sie von jeher gethan hat, öffnen, aber man kann ihr nicht zumnthen, daß sie, um der Gastsreundschast willen, Armeen aufstellen nnd unterhalten und dadurch die Söhne des Landes belästigen und ihre Nothpfenninge ausgeben foll. Dieß aber wäre, wie am Tage liegt, nöthig, wenn man den Flüchtlingen den ·Aufenthalt im Kanton Tefsin ferner gestattete.

,, Wenn man dann, womit die Kommifsion vollkommen

161 einverstanden ist, Ausnahmen von der allgemeinen Maßregel gestatten will, so entsteht die Frage: wer soll die Ausnahmsfälle bestimmen. Die Kommission glaubt, daß dieses den eidgenössischen Repräsentanten zu übertragen

fei; dieselben sind die geeignete Behörde zu Vollziehung von Beschlüssen der Bundesversammlung. Da der Staatsrath von Tessin der Anordnung widerstrebte und abweichende Ansichten hegt, so dürfte hierin ein Grund mehr liegen,

ihm die Vollziehung nicht zu übergeben.

,,Die Kommission ging von der Ansicht ans, daß die bisanhin erlaufenen Kosten dem Kanton Tefsin nicht aufgebürdet werden follen. Allein wenn derselbe der getroffenen Anordnung ferner widerstreben follte, so müßte dann solche Nachsicht aufhören. Die Kommifsion hält daher dafür, daß Tefsin unter Verantwortlichkeit aufzufordern fei, der Anordnung nachzukommen.

"Allein, wenn die Verfügung vollzogen ist, und die Repräsentanten nebst den Truppen heimkehren, so muß vorgesorgt werden, daß nicht auch die Flüchtlinge in den Kanton Tessin wiederkehren, und die .Kommission nimmt daher in ihren Antrag eine entsprechende Bestimmung auf.

,,Der Kommissionalvovschlag nimmt ferner darauf Bedacht, wie es, wenn die oberste Bundesbehörde nicht versammelt ist, mit Entlassung und Ersetzung der Repräsen* tanten gehalten werden foll.

"Betreffend die Verminderung oder Vermehrung der

Truppen hat die Kommission die hinsichtlich dieses Punktes in dem Tagsatzungsbefchlusse vom 21. September enthaltene Bestimmung reproduzirt.

,, Jn diesem Beschlüsse hatte dann aber die Tagsatzung auch bestimmt, daß der ...ßorort auf Aufhebung derjenigen Maßnahmen dringen foll, welche der k. k. Feldmarfchall Radetzki gegen den Kanton Tessin verhängt hatte, indem diese

162 Maßnahmen in keinem Falle, selbst wenn die von dem Feldmarschall geführten Befchwerden gegründet wären, gerechtfertigt fein würden.

"Seither wurden diese Maßregeln zum Theil, nicht aber ganz, zurückgezogen. Es ist daher der Auftrag an den Bundesrath zu erneuern, daß derfelbe auf vollständige Aufhebung jener Maßnahmen dringe.

" Die Kommifsion glaubt noch bemerken zu sollen, daß, wenn die Schlußnahme des Vorortes vom 4. November letzthin auch G r a u b ü n d e n s Erwähnung thut, dieses nur darum geschah, weil Graubünden, gleich Tessin, an die Lombardei angrenzt, und man glaubte, die Flüchtlinge könnten sich dorthin ziehen. Die Akten enthalten sonst nicht die geringste Anzeige einer Betheiligung des Kantons Graubünden bei der vorwaltenden Angelegenheit.

,,Jndem wir Jhnen also einen Befchlnssesantrag *) beigefügt vorlegen, in welchem die in gegenwärtigem Berichte berührten Punkte sich zusammengestellt befinden' haben wir gleichzeitig die Ehre, Sie unserer vollkommenen Hochachtung' zu veïsicheru."

Bericht der Minderheit der Kommiffion.

(Berichterstatter Herr Pioda.) -- "Jhre Kommission hat sich in eine Mehrheit und eine Minderheit getheilt. Die letztere

bildet allein das unterzeichnete Mitglied.

,,Der Jhnen vorgelegte Antrag der Mehrheit .wurde »on derfelben angenommen, in der Absicht, das Afylrecht .jwar auszuüben, aber dessen Mißbrauch zu heben.

,,Die Minderheit hegt die nämliche Absicht, kann sich aber nicht zu den nämlichen Mitteln verstehen.

·) ..Da d« Sfntrag der 3Rehrheit ber .fiommiffton wörtlich mit dem später gefaßten BunbetSbefchluffe übereinstimmt, so wirb er hier }ur Btcmcibung von äBitberhotungen auagelafsen.

163 "Flüchtlingen vorzugsweise einen .Aufenthaltsort an der Stelle eines andern anzuweifen, ist keine gleichgültige Sache. Oft hängt es von diefem Umstand ab, ob die Gastfreundfchaft eine wahre oder nur eine scheinbare sei.

"Wenn auch die Gastfreundschaft keine strenge Pflicht ist, so ist sie denn doch eine Pflicht in Beziehung auf denjenigen, der sie ausübt.

,,Sie muß demnach wahrhaft und nicht bloß scheinbar ausgeübt werden; dem Flüchtling muß die Wahl seines Ausenthaltes überlassen bleiben, es sei denn, daß Umstände J)esonderer Art zum Gegentheil zwingen, was hier nicht der Fall ist. Es handelt sich um die ruhigen Flüchtlinge, und das Verfahren, um dieselben auszumitteln, ist nicht so ungemein schwierig. Wenn es ans rechtliche Formen und Prozesse ankäme, würde sich die Schwierigkeit des

Unterscheidens zeigen, allein das Urtheil über Betheilignng oder Nichtbetheilignng ist den Administrativbeamten überlassen, deren geübtes Auge den ruhigen Mann von dem unruhigen leicht zu unterscheiden wissen wird. Wenn die kantonale Behörde den durch die Umstände gebotenen Anforderungen nicht entsprechen sollte, so hat die Bundesbehörde einzutreten, um denselben kraft aller ihrer Befug' nisse Geltung zu verfchaffen.

"Sich von Antipathien verleiten zu lassen ist ebenfogut ein Fehler, als sich von Sympathien hinreißen zu lassen.

Ein Staatsmann foll beides vermeiden. Offenbar neigt man sich gegenwärtig nach der Seite der Antipathien. Es herrscht Antipathie gegen eine politische Bewegung, welche keine andere Folge gehabt,0 als die völkerrechtlichen Ver.hältnisse mit nnsern Nachbarn zu stören. Diese Antipathie ist eine gerechte, insofern sie in ihren Gränzen bleibt, aber

sie überschreitet das Maß und wird zur Ungerechtigkeit, wenn sie mit dem, Schuldigen auch den Unschuldigen trifft.

164 Man scheint zu besorgen, daß die Jndividuen, welche sich bei einer Gelegenheit ruhig verhielten, es bei einer andern nicht bleiben würden. Diese Besorgniß ist nicht begründet.

Diejenigen, welche an den letzten Bewegungen keinen Theil genommen, haben dieß ans irgend einem Grunde gethan, welcher in den meisten Fällen fortbestehen wird; so sind z. B. ein vorsichtiger oder rascher Charakter, die Eigenschast eines Familienvaters u. s. w., allgemein gesprochen, keine vorübergehenden Urfachen. Dann wird aber auch im Fernern das Beispiel nicht sruchtlos bleiben: da nunmehr die Thatsache feststeht, daß die Verletzung der völkerrecht-

lichen Pflichten den Verlust des Asylrechts zur Folge hat, wird man sich nicht mehr leichtsinnig dieser Gefahr ausfetzen. Drohungen sind nur dann unwirkfam, wenn man nicht an deren Ausführung glaubt.

"Es ist wahr, daß die von der Mehrheit angenommenen Ausnahmen sich thatfächlich dem Systeme nähern, welches von derfelben in der Theorie verworfen wird.

Ein Grund mehr, den Grundfatz nicht zu verwerfen; denn warum will man nicht einen Grundfatz annehmen, zu dessen Anwendung nian ans Gerechtigkeits- nnd Hmnani-

tätsgefühl sich wider Willen hingerissen fühlt? Ehrenhafte Grundsätze verlängnen sich nicht: sie wollen anerkannt werden. Die Unschuldigen mit dem Schuldigen leiden

lassen, kann nicht die Absicht des hochherzigen Schweizervolkes fein.

"Wenn die Zeiten gefährlich sind, ist das nicht eben ein Grund, mehr Festigkeit zn zeigen? denn was wäre dieß für ein Verdienst, wenn gar keine Schwierigkeiten da wären?

"Wenn wir thnn, was gerecht ist, so können wir nns mit lauter Stimme an unsere Nachbarn wenden, gegenüber welchen wir unsere völkerrechtlichen Verpflichtungen ersüllt

165 haben, indem wir diejenigen, welche sie angegriffen, entfernten; wie denn auch an die öffentliche Meinung und die Gefchichte, welche bezeugen werden, daß die Schweiz die Schwachen und Unschuldigen unter ihren Schutz genommen hat.

,,Die Achtung einer Nation hängt von ihrer Gerechtigkeit und Festigkeit ab, und von der Achtung einer Nation hängen oft deren Erfolge und Mißgefchicke ab.

,,3n gegenwärtiger Zeit darf, weniger als je, die Meinung der andern Staaten ohne Gefahr verachtet oder mit Gleichgültigkeit betrachtet werden.

"Wir wissen nicht, welche Kämpfe uns in der Zukunft bevorstehen. Da uns die Neutralität verbietet, Bündnisse zu fchließen, so sollen wir uns in der Achtung der Nationen vermehrte Stärke suchen.

"Haben endlich die Kantone nicht das Recht, das Asyl zn gewähren? Jst das Recht der Eidgenossenschast nicht darauf befchränkt, gegen diejenigen, welche das Asyl mißbrauchen, einznfchreiten?

,, War dieses nicht das sortwährend und neuerlich eingehaltene Verfahren der Eidgenossenfchaft ?

"Doch genug der Betrachtungen; ich komme nun zum Schlüsse: es möchte an die Stelle der Art. I und II des Mehrheitsantrages folgender Artikel gefetzt werden : ,,,, Diejenigen im Kanton Tefsin wohnenden italienifchen ,,Flüchtlinge, welche an den letzten, den benachbarten , ,,Staaten feindlichen, Vorfällen Theil genommen, follen "internirt werden.

,,,,..Diese Maßregel wird durch die kantonale Admini,,strativbehörde vollzogen, wobei es keiner Beweise und "rechtlichen Formen bedarf.

",,Falls Schwierigkeiten entstehen, so hat, nach Art. 57

166 ,,der Bundesverfassung, die Bundesbehörde zuletzt darüber ,,zu entscheiden.

,," Die Art. 3, 4 und 5 des Mehrheitsantrages werden ,, beibehalten.""

Die Berathung über die verfchiedenen Anträge fand im Nationalrathe am 21. Wintermonat statt; sie dauerte auf den 22. fort und endete mit gänzlicher Annähme des Majoritätsantrages der Kommifsion. Es wurden dabei noch weitere wesentliche Anträge gestellt:

1) Den Kanton Tefsin, bezüglich der Kosten des Truppenaufgebotes, in Mitleidenfchaft zu ziehen -- (diefer Antrag blieb in entfchiedener Minderheit).

2) Den eidgenössischen Repräsentanten den. Dank der Versammlung sür ihre Pflichtersüllung auszudrücken (was mit großer Mehrheit angenommen wurde).

3) Den nördlichen Kantonen, welche Flüchtlinge bei sich ausgenommen hätten, die fernere Gewährung des Asyls zu untersagen -- welcher Antrag darum beseitigt ward, weil er jedenfalls an eine eigene Tagesord-

nung gehört hätte.

*»*>«·>

Schweizerisches Bundesarchiv, Digitale Amtsdruckschriften Archives fédérales suisses, Publications officielles numérisées Archivio federale svizzero, Pubblicazioni ufficiali digitali

Verhandlungen der Bundesversammlung, des National- und Ständerathes. (Fortsetzung.)

In

Bundesblatt

Dans

Feuille fédérale

In

Foglio federale

Jahr

1849

Année Anno Band

1

Volume Volume Heft

06

Cahier Numero Geschäftsnummer

---

Numéro d'affaire Numero dell'oggetto Datum

17.03.1849

Date Data Seite

151-166

Page Pagina Ref. No

10 000 023

Das Dokument wurde durch das Schweizerische Bundesarchiv digitalisiert.

Le document a été digitalisé par les. Archives Fédérales Suisses.

Il documento è stato digitalizzato dell'Archivio federale svizzero.