Bericht über die Evaluation der Wirksamkeit des Gleichstellungsgesetzes in Erfüllung der Motion Vreni Hubmann 02.3142, die der Nationalrat am 21. Juni 2002 als Postulat überwiesen hat vom 15. Februar 2006

Sehr geehrte Herren Präsidenten Sehr geehrte Damen und Herren In Erfüllung der am 21. Juni 2002 vom Nationalrat als Postulat überwiesenen Motion Vreni Hubmann 02.3142 vom 22. März 2002 mit dem Titel «Keine Rachekündigung gegen Frauen, die sich wehren» unterbreiten wir Ihnen den vorliegenden Bericht zur Kenntnisnahme.

Wir versichern Sie, sehr geehrte Herren Präsidenten, sehr geehrte Damen und Herren, unserer vorzüglichen Hochachtung.

15. Februar 2006

Im Namen des Schweizerischen Bundesrates Der Bundespräsident: Moritz Leuenberger Die Bundeskanzlerin: Annemarie Huber-Hotz

2005-3134

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Übersicht Auslöser dieses Berichts ist eine von Nationalrätin Vreni Hubmann am 22. März 2002 eingereichte Motion (02.3142). Diese fordert die Verlängerung des Kündigungsschutzes und die Nichtigkeit von Rachekündigungen gegen Frauen, die sich gegen geschlechtsbezogene Diskriminierungen am Arbeitsplatz zur Wehr setzen. In seiner Stellungnahme vom 22. Mai 2002 äusserte der Bundesrat seine Vorbehalte gegenüber einem Ausbau des Kündigungsschutzes. Er zeigte sich jedoch bereit, das Anliegen der Motionärin im Rahmen einer umfassenden Evaluation der Wirksamkeit des Gleichstellungsgesetzes zu prüfen, und beantragte, die Motion als Postulat zu überweisen. Der Nationalrat ist ihm gefolgt.

Im Dezember 2003 beauftragte das Bundesamt für Justiz in Zusammenarbeit mit dem Eidgenössischen Büro für die Gleichstellung von Frau und Mann eine verwaltungsexterne Arbeitsgemeinschaft mit der Durchführung der Evaluation. Ziel der Untersuchung war die breit abgestützte Erfassung der Wirksamkeit des Gleichstellungsgesetzes und die Prüfung eines allfälligen Reformbedarfs. Zwischen Januar 2004 und dem Frühjahr 2005 wurden vier verschiedene schriftliche Befragungen durchgeführt (bei Gerichten, Schlichtungsstellen, Organisationen, die sich in besonderem Masse mit der Gleichstellung befassen oder den Arbeitnehmenden nahe stehen, und bei Personalverantwortlichen verschiedener Arbeitgeberinnen und Arbeitgebern). In einer mündlichen Befragung wurden ausgewählte Vertreterinnen und Vertreter von Gewerkschaften, Berufsverbänden, Frauenorganisationen, spezialisierten Beratungsstellen, Gleichstellungsbüros sowie Anwältinnen und Anwälte, die Erfahrungen mit konkreten Diskriminierungsfällen haben, erfasst. Schliesslich wurden sämtliche die Gleichstellung betreffenden Urteile des Bundesgerichts sowie ausgewählter Kantone (Zürich, Waadt, Schwyz und Graubünden) inhaltsanalytisch ausgewertet. Die Ergebnisse dieser Untersuchungen wurden im April 2005 in einem Synthesebericht zusammengefasst.

Mit dem Synthesebericht liegt eine umfassende qualitative und quantitative Analyse der Wirksamkeit des Gleichstellungsgesetzes aus unterschiedlichen Perspektiven vor, die eine Bilanzierung dieses Gesetzes und damit eine Prüfung der Durchsetzbarkeit des Anspruchs auf Gleichstellung im Erwerbsleben erlaubt. Auf dieser Basis kann eine fundierte Diskussion
darüber geführt werden, ob und gegebenenfalls welche Massnahmen oder Anpassungen des Gleichstellungsgesetzes sinnvoll sein könnten, um die Verwirklichung der verfassungsrechtlich garantierten Gleichstellung der Geschlechter im Erwerbsleben voranzubringen.

Der Bundesrat kommt auf Grund der Evaluation zum Schluss, dass das Gleichstellungsgesetz grundsätzlich positive Wirkungen entfaltet. Es stellt für die von Diskriminierung betroffenen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer nützliche Instrumente zur Verfügung, mit denen sich diese zur Wehr setzen können. Es sind keine gravierenden Nachteile sichtbar geworden und ein dringender Revisionsbedarf konnte nicht festgestellt werden. Allerdings kann das Gleichstellungsgesetz die Durchsetzung der Gleichstellung im Erwerbsleben nicht alleine bewirken. Einerseits müssen sich die Rahmenbedingungen in verschiedener Hinsicht ändern. Anderseits sind

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auch die Unternehmen massgeblich in die Verantwortung einzubeziehen. Als wichtigste Massnahmen stehen für den Bundesrat die Information und die Sensibilisierung zum Thema der Gleichstellung sowie die Schaffung von Anreizen für Unternehmen im Vordergrund. Einen Ausbau des Kündigungsschutzes, wie in der Motion Hubmann gefordert, lehnt der Bundesrat hingegen ab.

3163

Inhaltsverzeichnis Übersicht

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1 Ausgangslage 1.1 Motion Hubmann 1.2 Legislaturplanung 1.3 Evaluationsauftrag 1.4 Umfang der Evaluation

3166 3166 3166 3166 3167

2 Ziele der Evaluation 2.1 Fragestellungen 2.2 Methodisches Vorgehen

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3 Ergebnisse der Untersuchungen und Befragungen 3.1 Gerichtsentscheide 3.2 Schlichtungsstellen 3.3 Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern nahe stehende Organisationen 3.4 Personalverantwortliche 3.5 Inhaltsanalyse der Gerichtsurteile in den Kantonen Graubünden, Schwyz, Waadt und Zürich 3.6 Mündliche Befragung von Gewerkschaften, Berufsverbänden, Frauenorganisationen, spezialisierten Beratungsstellen, Gleichstellungsbüros sowie Anwältinnen und Anwälten

3170 3170 3171 3172 3173

4 Evaluation der wichtigsten Instrumente des Gleichstellungsgesetzes 4.1 Beweisverfahren 4.2 Verbandsklagerecht 4.3 Sexuelle Belästigung 4.4 Diskriminierende Kündigung und Rachekündigung 4.5 Lohnanalyse

3175 3175 3176 3176 3177 3178

5 Sicht der Befragten 5.1 Bekanntheitsgrad des Gleichstellungsgesetzes bei den Befragten 5.2 Allgemeine Einschätzungen durch die Befragten 5.3 Handlungsbedarf aus Sicht der Befragten

3179 3179 3180 3180

6 Beurteilung der Ergebnisse durch die Arbeitsgemeinschaft und ihre Empfehlungen 6.1 Angst vor Arbeitsplatzverlust 6.2 Nichterkennen von Diskriminierungen und mangelndes Wissen 6.3 Mangelnde Lohntransparenz und schwieriger Zugang zu Daten 6.4 Fehlende Gleichstellungsmassnahmen 6.5 Uneinheitliche und zum Teil ungenügende Nutzung des Potenzials der Schlichtungsstellen 6.6 Lange Verfahrensdauer

3164

3174

3175

3181 3181 3182 3182 3183 3183 3185

6.7 Ungenügende Möglichkeiten, effizient gegen strukturelle Diskriminierungen vorzugehen

3185

7 Rechtsvergleich

3185

8 Haltung des Bundesrates 8.1 Allgemeine Einschätzung 8.2 Prüfung der Empfehlungen der Arbeitsgemeinschaft 8.2.1 Ausbau des Kündigungsschutzes 8.2.2 Ausdehnung des Verbandsklagerechts 8.2.3 Verschärfung der Sanktionen 8.2.4 Behörden mit Untersuchungs- und Durchsetzungskompetenzen 8.2.5 Information, Sensibilisierung und Weiterbildung 8.2.6 Lohntransparenz, Beweislasterleichterung und Expertisen 8.2.7 Anreize 8.2.7.1 Finanzhilfen nach Gleichstellungsgesetz 8.2.7.2 Gleichstellungslabel 8.2.7.3 Öffentliches Beschaffungswesen 8.2.8 Gesetzliche Pflicht für die Unternehmen zur Ergreifung von Förderungsmassnahmen 8.2.9 Bessere Nutzung des Potenzials der Schlichtungsstellen 8.3 Übersicht über die vom Bundesrat vorgeschlagenen Massnahmen

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3165

Bericht 1

Ausgangslage

1.1

Motion Hubmann

Das Bundesgesetz vom 24. März 1995 über die Gleichstellung von Frau und Mann (Gleichstellungsgesetz, GlG, SR 151.1) ist seit dem 1. Juli 1996 in Kraft. Es soll die Durchsetzung des verfassungsmässigen Rechts auf gleichen Lohn für gleichwertige Arbeit erleichtern und verbietet Diskriminierungen auf Grund des Geschlechts im Erwerbsleben generell. So wird u.a. auch der Schutz vor Rachekündigungen, d.h.

vor Kündigungen, die wegen einer Beschwerde über eine Diskriminierung ausgesprochen werden, in privatrechtlichen Arbeitsverhältnissen verbessert, indem diese Kündigungen für anfechtbar erklärt werden (Art. 10 GlG).

Mit einer Motion 02.3142 «Keine Rachekündigungen gegen Frauen, die sich wehren» vom 22. März 2002 verlangte Nationalrätin Vreni Hubmann, dass Rachekündigungen in privatrechtlichen Arbeitsverhältnissen nichtig statt anfechtbar sein sollen und dass die Dauer des Kündigungsschutzes angemessen verlängert werden soll (Änderung von Art. 10 GlG). Nationalrätin Hubmann sieht in Rachekündigungen einen wichtigen Grund dafür, dass Frauen sich nicht stärker für ihre Rechte am Arbeitsplatz wehren. In seiner Stellungnahme vom 22. Mai 2002 hielt der Bundesrat fest, die Anfechtbarkeit der Kündigung sei für die Arbeitnehmenden vorteilhafter als die Nichtigkeit, da durch die Anfechtung gerichtlich geklärt werde, ob die Kündigung aus Rache wegen der Geltendmachung einer Diskriminierung erfolgte oder ob andere Gründe ausschlaggebend waren. Er verwies auf das im Gleichstellungsgesetz verankerte Instrument der Verbandsklage, das den Betroffenen erlaube, sich weniger stark zu exponieren. Zudem sei fraglich, ob ein verlängerter Kündigungsschutz das angestrebte Ziel erreichen würde, wenn das Arbeitsverhältnis bereits zerrüttet ist.

Der Bundesrat zeigte sich jedoch bereit, das Anliegen der Motionärin im Rahmen einer Evaluation der Wirksamkeit des Gleichstellungsgesetzes zu prüfen. Der Nationalrat überwies die Motion Hubmann am 21. Juni 2002 als Postulat.

1.2

Legislaturplanung

Die Evaluation der Wirksamkeit des Gleichstellungsgesetzes ist im Bericht über die Legislaturplanung 2003-2007 als Richtliniengeschäft angekündigt (BBl 2004 1163).

1.3

Evaluationsauftrag

In Absprache mit dem Eidgenössischen Büro für die Gleichstellung von Frau und Mann (EBG) wurde das Bundesamt für Justiz (BJ) mit der Federführung dieses Evaluationsprojekts betraut. In der interdepartementalen Arbeitsgruppe, welche die Arbeiten begleitete, war neben dem EBG auch das Staatssekretariat für Wirtschaft (seco) und das Bundesamt für Statistik (BFS) vertreten. Im Sommer 2003 erstellte das BJ ein Evaluationskonzept, das verschiedenen Universitäten, Instituten und Evaluationsbüros zur Offertstellung unterbreitet wurde. Bis zum Ablauf der Aus3166

schreibungszeit gingen sieben Offerten ein. Nach gründlicher Prüfung der verschiedenen Projektvorschläge schloss das BJ Ende Dezember 2003 mit der Arbeitsgemeinschaft «Büro für arbeits- und sozialpolitische Studien (Büro BASS), Büro für arbeits- und organisationspsychologische Forschung und Beratung (büro a&o) und Elisabeth Freivogel, Advokatin» (kurz: Arbeitsgemeinschaft) einen Evaluationsvertrag ab. Die Arbeitsgemeinschaft führte ihre Untersuchungen zwischen Januar 2004 und dem Frühjahr 2005 durch. Im April 2005 lieferte sie dem BJ ihren Synthesebericht1 ab.

Gestützt auf die im Synthesebericht festgehaltenen Untersuchungsergebnisse wurde der vorliegende Bericht verfasst.

1.4

Umfang der Evaluation

Der Evaluationsauftrag des BJ stützte sich auf die oben genannte Motion Hubmann.

Da die Problematik der Rachekündigung nur im Zusammenhang mit weiteren Aspekten des Gleichstellungsgesetzes verständlich wird, befürwortete der Bundesrat eine umfassende Evaluation der Wirkungen dieses Erlasses. Damit sollten potenzielle Schwachstellen des Gleichstellungsgesetzes aufgezeigt und ein allfälliger Reformbedarf geprüft werden.

Die Aktivitäten und Tätigkeitsfelder des Eidgenössischen Büros für die Gleichstellung von Frau und Mann (EBG) sowie die Finanzhilfen nach Gleichstellungsgesetz waren allerdings nicht Evaluationsgegenstand, da beide Bereiche bereits in früheren

1

Evaluation der Wirksamkeit des Gleichstellungsgesetzes. Synthesebericht der Arbeitsgemeinschaft Büro BASS, büro a&o und Elisabeth Freivogel, Advokatin, Bern und Binningen, April 2005. Dieser Synthesebericht beruht auf sechs Teilberichten zu einzelnen Erhebungen und Analysen: ­ Befragung der zuständigen Gerichte und statistische Grobauswertung der Gerichtsurteile, Heidi Stutz, Büro BASS, Bern, Januar 2005 ­ Schriftliche Befragung der Schlichtungsstellen, Heidi Stutz, Büro BASS, Bern, November 2004 ­ Schriftliche Befragung von Gewerkschaften, Berufsverbänden, Frauen- und Männerorganisationen, spezialisierten Beratungsstellen sowie Gleichstellungsbüros, Marianne Schär Moser/Jürg Baillod, büro a&o, Bern, September 2004 ­ Schriftliche Befragung privat- und öffentlichrechtlicher Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber in der Schweiz, Heidi Stutz/Jürg Guggisberg, Büro BASS, Bern, Januar 2005 ­ Inhaltsanalytische Auswertung der Gerichtsfälle in den Kantonen Graubünden, Schwyz, Waadt und Zürich, Elisabeth Freivogel, Advokaturbüro, Basel/Binningen, unter Mitarbeit von Judith Wissmann-Lukesch, Zürich, Februar 2005 ­ Mündliche Befragung von Gewerkschaften, Berufsverbänden, Frauenorganisationen, spezialisierten Beratungsstellen, Gleichstellungsbüros sowie Anwält/innen, Marianne Schär Moser, büro a&o, Bern, Januar 2005 Sämtliche Dokumente unter: www.bj.admin.ch

3167

Evaluationen untersucht worden waren2. Eine weitere Evaluation der Finanzhilfen wird zudem im Herbst 2006 vorliegen.

Die als Indikator für den Stand der Gleichstellung wichtige statistische Auswertung der Entwicklungen bei den Löhnen und der beruflichen Stellung von Frauen und Männern wurde vom Bundesamt für Statistik und dem EBG im Frühjahr 2004 separat ausgeschrieben.3 Die Ergebnisse dieser Untersuchungen wurden im vorliegenden Bericht ebenfalls berücksichtigt (vgl. Ziff. 4.5).

2

Ziele der Evaluation

2.1

Fragestellungen

Die Evaluation sollte zunächst der Frage nachgehen, welche Wirkungen das Gleichstellungsgesetz generell hat. Dabei war abzuklären, wie bekannt das Gleichstellungsgesetz bei Arbeitnehmenden, Arbeitgebern, Personalbeauftragten und Gewerkschaften überhaupt ist und welchen Einfluss es auf GAV-Verhandlungen und die interne Personalpolitik der Betriebe hat.

Bei der Frage nach der Durchsetzbarkeit des Gleichstellungsanspruchs wollte man herausfinden, wie viele Prozesse es seit dem Inkrafttreten des Gleichstellungsgesetzes gab, differenziert nach Entscheiden, Instanzen, Prozessdauer und Diskriminierungstatbeständen.

Weiter interessierte die Frage nach den Gründen, warum es nicht mehr Klagen gab.

Zudem sollte untersucht werden, ob die Arbeitsverhältnisse nach Einreichen der Klagen weitergeführt wurden und welchen Stellenwert die Rachekündigung bei der Geltendmachung von Diskriminierung am Arbeitsplatz hat.

Sodann sollte geprüft werden, ob die im Gleichstellungsgesetz vorgesehene Möglichkeit des Schlichtungsverfahrens die gewünschten Wirkungen erzielt.

Weitere Evaluationsbereiche betrafen die Themen Beweisverfahren, Verbandsklage, sexuelle Belästigung und Kündigungsschutz im Allgemeinen.

2

3

Bericht der Geschäftsprüfungskommission des Nationalrats (GPK-N) vom 18.11.1999: Das Eidgenössische Büro für die Gleichstellung von Frau und Mann ­ Eine Wirkungsbeurteilung nach zehnjähriger Tätigkeit, BBl 2000 1530; Stellungnahme des Bundesrates vom 28.6.2000 zu den Empfehlungen der GPK-N.

Quantitative und qualitative Evaluationen der Finanzhilfen (1999 und 2000): ­ Finanzhilfen nach dem Gleichstellungsgesetz ­ Bericht zur quantitativen Evaluation der ersten Vergabeperiode 1996-1998. Social Insight, Zürich 1999.

­ Finanzhilfen nach dem Gleichstellungsgesetz ­ Bericht zur qualitativen Analyse der 1999 abgeschlossenen Projekte. Social Insight, Zürich 2000.

Vergleichende Analyse der Löhne von Frauen und Männern anhand der Lohnstrukturerhebungen 1998, 2000 und 2002. Untersuchung im Rahmen der Evaluation der Wirksamkeit des Gleichstellungsgesetzes. Bericht der Arbeitsgemeinschaft Büro für arbeits- und sozialpolitische Studien BASS AG und Volkswirtschaftliches Institut der Universität Bern, Prof. Michael Gerfin, vom 22. August 2005.

3168

2.2

Methodisches Vorgehen

Die Arbeitsgemeinschaft wählte für die Evaluation der Wirksamkeit des Gleichstellungsgesetzes ein Vorgehen mit verschiedenen Bausteinen, um möglichst breite Informationen zu erheben und die verschiedenen Blickwinkel der beteiligten Akteurinnen und Akteure einzubeziehen. Qualitative, quantitative und inhaltsanalytische Auswertungsverfahren wurden kombiniert. Insgesamt wurden sechs Erhebungen und Analysen durchgeführt.

In einer ersten Vollerhebung wurden bei den zuständigen ca. 200 öffentlich-rechtlichen und zivilen Gerichten in der Schweiz sämtliche Entscheide zum Gleichstellungsgesetz (Stand Frühjahr 2004) erhoben, systematisch erfasst und ausgewertet.

In einer weiteren Vollerhebung wurden bei den zuständigen ca. 60 kantonalen Schlichtungsstellen sämtliche Schlichtungsfälle (Stand Frühjahr 2004) erfasst.

Zusätzlich wurden die Erfahrungen der Schlichtungsstellen als Akteurinnen im Bereich des Gleichstellungsgesetzes sowie deren institutionelle Regelungen erhoben.

Die Perspektive der Arbeitnehmenden wurde indirekt durch eine breit angelegte schriftliche Befragung von ca. 1500 ihnen nahe stehenden Akteuren in verschiedenen Organisationen (Gewerkschaften, Berufsverbände, Frauen- und Männerorganisationen, spezialisierte Beratungsstellen, Gleichstellungsbüros) erfasst. Auf eine direkte Befragung der Arbeitnehmenden wurde verzichtet, da der Aufwand hierfür in finanzieller und organisatorischer Hinsicht zu gross gewesen wäre.

Die Perspektive der Arbeitgebenden in der Privatwirtschaft und im öffentlichen Sektor wurde mittels einer repräsentativen schriftlichen Befragung von ca. 5700 Privatbetrieben und öffentlich-rechtlichen Einrichtungen (Personalverantwortliche) erfasst. Die Fragen an die Personalverantwortlichen entsprachen den Fragen an die den Arbeitnehmenden nahe stehenden Akteuren.

Die Anwendungsrealität des Gleichstellungsgesetzes wurde durch eine detaillierte inhaltsanalytische Auswertung von Gerichtsurteilen der Kantone Zürich, Waadt, Graubünden und Schwyz über die verschiedenen Instanzen hinweg juristisch untersucht.

In einer mündlichen Befragung wurde schliesslich die Perspektive der arbeitnehmernahen Akteure anhand konkreter Diskriminierungsfälle vertieft. Dazu wurden 20 ausgewählte Personen aus Gewerkschaften, Berufsverbänden, Frauenorganisationen, spezialisierten Beratungsstellen, Gleichstellungsbüros sowie spezialisierte Anwältinnen und Anwälte detailliert über ihre Erfahrungen mit der Gleichstellung im Erwerbsleben befragt.

3169

3

Ergebnisse der Untersuchungen und Befragungen

3.1

Gerichtsentscheide

Die Vollerhebung aller Gleichstellungsentscheide bis Frühjahr 2004 bei den öffentlich-rechtlichen und zivilen Gerichten, die Klagen aus dem Gleichstellungsgesetz behandeln, brachte 269 auswertbare Gerichtsentscheide. Davon waren 245 Urteile und 21 Abschreibungen. Die Gerichtsentscheide konnten 176 einzelnen Fällen, welche teilweise über mehrere Instanzen gingen, zugeordnet werden4.

Die Verteilung der Gerichtsentscheide über die Kantone war sehr ungleich. Fast ein Drittel der Fälle stammte aus dem Kanton Zürich. Auch in den Kantonen Genf, Waadt und Solothurn gab es verhältnismässig viele Fälle. In sechs Kantonen (AI, AR, GL, NW, SH, UR) gab es kein einziges Gleichstellungsurteil.

Gut die Hälfte der Gerichtsentscheide (54 %) betrafen öffentlich-rechtliche Arbeitsverhältnisse, die restlichen (46 %) privatrechtliche Arbeitsverhältnisse. Bei 32 Gerichtsentscheiden ging es um Verbandsklagen. Diese betrafen mit zwei Westschweizer Ausnahmen ausschliesslich den öffentlich-rechtlichen Bereich.

Bei den meisten Gerichtsentscheiden ging es um die Lohngleichheitsproblematik (153 von 269 Entscheiden, d.h. 57 %). An zweiter Stelle folgten die sexuelle Belästigung (57 Entscheide, d.h. 21 %), an dritter Stelle die diskriminierende Kündigung (50 Entscheide, d.h. 19 %). Die Rachekündigung spielte in 14 Entscheiden (5 %) eine Rolle.

Im öffentlichen Bereich betrafen fast 80 Prozent der geltend gemachten Diskriminierungen den Lohn, gefolgt von der diskriminierenden Kündigung (8 %). Sexuelle Belästigung wurde in vier Prozent der Fälle geltend gemacht. Nur ein einziger Entscheid handelte von der Rachekündigung.

Im privatrechtlichen Bereich war die sexuelle Belästigung die am häufigsten vor Gericht geltend gemachte Diskriminierungsart (40 %). Danach folgten die Lohnungleichheit (34 %) und die diskriminierende Kündigung (31 %). Rachekündigungen betrafen 11 Prozent der Entscheide.

In der deutschen Schweiz dominierten Lohnklagen, während in der Romandie das Thema der sexuellen Belästigung die wichtigste Rolle spielte.

Gut jeder fünfte Entscheid betraf Pflegeberufe, fast jeder fünfte Lehrkräfte (Kindergärtnerinnen, Handarbeits- und Hauswirtschaftslehrerinnen, Berufsschullehrerinnen im Krankenpflegebereich). Personen aus Pflege- und Lehrberufen, Kader und Hochqualifizierte sowie Medienleute klagten am häufigsten wegen
Lohndiskriminierung.

Personen aus den Büro- und Verkaufsberufen sowie aus dem Gastgewerbe machten vor allem sexuelle Belästigung geltend.

Der Männeranteil an den Klagen aus Gleichstellungsgesetz betrug weniger als 5 Prozent.

Nur 40 Prozent der Arbeitsverhältnisse blieben nach der Klageinreichung bestehen.

Mindestens die Hälfte der Arbeitnehmenden zog erst nach Beendigung des Arbeits-

4

Eine detaillierte Darstellung der Ergebnisse findet sich im Einzelbericht «Befragung der zuständigen Gerichte und statistische Grobauswertung der Gerichtsurteile» (Heidi Stutz, Büro BASS, Bern, Januar 2005).

3170

verhältnisses vor Gericht. Im Zeitpunkt des Gerichtsentscheids existierten die Hälfte bis zwei Drittel der Arbeitsverhältnisse nicht mehr.

Zum Ausgang der Verfahren lässt sich feststellen, dass die Urteile für die betroffenen Arbeitnehmerinnen mehrheitlich negativ ausfielen. 44 Prozent waren voll zu ihren Ungunsten, 14 Prozent waren mehrheitlich negativ für sie. Voll zu Gunsten der Arbeitnehmerinnen waren lediglich 16 Prozent, mehrheitlich positiv 26 Prozent.

3.2

Schlichtungsstellen

Auf Grund der Vollerhebung sämtlicher Schlichtungsfälle bis Frühjahr 2004 bei den kantonalen Schlichtungsstellen lagen Angaben zu 355 Schlichtungsverfahren vor5.

Die Anzahl Schlichtungsverfahren pro Jahr hat sich seit 1999 nur geringfügig erhöht. In einigen Kantonen nahmen die Fallzahlen sogar ab (BS, TI), während sie in anderen Kantonen stagnierten (BE, ZH) und im Kanton Genf dafür stark zulegten.

Im öffentlich-rechtlichen Bereich bewegten sich die Fallzahlen sprunghaft, was mit Beschwerdezunahmen auf Grund einzelner politischer Entscheide zusammenhängen könnte. Im privatrechtlichen Bereich nahmen die Fallzahlen hingegen kontinuierlich zu, stagnieren aber seit dem Jahr 2000 ausser in Genf.

Am häufigsten hatten die Schlichtungsstellen Lohndiskriminierungen zu behandeln (37 % der Fälle). An zweiter Stelle folgten die sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz (26 %) und an dritter Stelle die diskriminierende Kündigung (17 %). Mit Rachekündigungen hatten die Schlichtungsstellen in nur 5 Prozent der Fälle zu tun.

Im öffentlich-rechtlichen Bereich ging es in den meisten Fällen um den Lohn (59 %), während im privatrechtlichen Bereich sexuelle Belästigung (31 %) an erster Stelle rangierte. Lohnstreitigkeiten betrafen im privatrechtlichen Bereich lediglich 29 Prozent der Schlichtungsfälle.

Die meisten Schlichtungsbegehren wurden von Einzelpersonen eingereicht (95 %).

Davon waren lediglich fünf Prozent Männer.

In 40 Prozent der Schlichtungsverfahren konnte eine Einigung erzielt werden. In 53 Prozent der Fälle kam es zu keiner Einigung. Zum Teil konnten aber Empfehlungen oder Weisungen erteilt werden. Etwas mehr als die Hälfte der Fälle, in denen keine Einigung erzielt werden konnte, wurden vor Gericht gebracht (54 %). 8 Prozent der Schlichtungsverfahren endeten mit einem Rückzug. Die durchschnittliche Verfahrensdauer lag bei 4,8 Monaten.

28 Prozent der Arbeitnehmenden, die eine Schlichtung beantragten, stammten aus Büroberufen. Die typischen Berufe des öffentlichen Sektors (Pflegeberufe, Lehrpersonen und Berufe des Sozialwesens) dominierten hier nicht.

Lehrpersonen, Kader und Hochqualifizierte machten mehrheitlich Lohndiskriminierung geltend. Für Arbeiterinnen, weniger Qualifizierte und Personen aus dem Gastgewerbe war die sexuelle Belästigung von grösserer Bedeutung. Die diskriminierende Kündigung und die Rachekündigung spielten sowohl bei Kaderleuten und

5

Eine detaillierte Darstellung der Ergebnisse findet sich im Einzelbericht «Befragung der Schlichtungsstellen nach Gleichstellungsgesetz und Auswertung der Schlichtungsfälle» (Heidi Stutz, Büro BASS, Bern, November 2004).

3171

Hochqualifizierten als auch bei Personen aus Büroberufen und dem Gastgewerbe eine wichtige Rolle.

Zu Beginn der Schlichtungsverfahren bestanden noch 37 Prozent der Arbeitsverhältnisse, im Zeitpunkt der Erledigung nur noch 29 Prozent. Dabei gibt es eine markante Differenz zwischen öffentlich-rechtlichen und privaten Arbeitsverhältnissen: Die ersteren bestanden nach der Schlichtung zu 60 Prozent weiter, während bei den letzteren dieser Wert lediglich noch bei 15 Prozent lag.

3.3

Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern nahe stehende Organisationen

In einer breit angelegten schriftlichen Erhebung wurden 1510 Gewerkschaften, Berufsverbände, Frauen- und Männerorganisationen, spezialisierte Beratungsstellen sowie Gleichstellungsbüros (kurz: Arbeitnehmerorganisationen) zu ihren Kenntnissen und Erfahrungen in Bezug auf das Gleichstellungsgesetz befragt. Der Rücklauf betrug 32,6 Prozent6.

Ihren eigenen Wissensstand schätzen die Befragten als mittel bis gut ein. Am bekanntesten ist, dass das Gleichstellungsgesetz die Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber verpflichtet, ihre Mitarbeitenden vor sexueller Belästigung zu schützen. Die Kostenlosigkeit eines Verfahrens nach Gleichstellungsgesetz ist am wenigsten bekannt. Wenig bekannt ist auch der Kündigungsschutz.

Die Entwicklung der Gleichstellung im Erwerbsleben wird eher positiv eingeschätzt.

Im Vergleich zur Situation vor zehn Jahren, also vor dem Inkrafttreten des Gleichstellungsgesetzes, wird nirgends eine Verschlechterung gesehen. Als positivste Veränderung gilt die Verhinderung von sexueller Belästigung am Arbeitsplatz. Wirkungen des Gesetzes werden auch bei der Lohngleichheit und der Sensibilität für das Thema gesehen.

Bei der Lohngleichheit sehen die Befragten einen grossen Handlungsbedarf, im Gegensatz zur sexuellen Belästigung am Arbeitsplatz, wo nur noch ein Achtel der Befragten einen Handlungsbedarf ausmacht.

Als wichtigstes Hindernis bei der Umsetzung der tatsächlichen Gleichstellung in den Unternehmen betrachtet eine deutliche Mehrheit der Befragten den Umstand, dass Diskriminierungen nicht als solche erkannt werden. Als Hindernisse gelten auch der zu geringe Nutzen bzw. die zu hohen Kosten für die Unternehmen sowie das geringe Interesse der Arbeitnehmenden. Ein Fünftel der Befragten ist der Meinung, die Regelungen des Gleichstellungsgesetzes seien zu wenig griffig.

Rund die Hälfte der Befragten hatte mit konkreten Diskriminierungsfällen zu tun. Dabei ging es primär um Frauen, die Lohngleichheit forderten. Häufig waren auch Erfahrungen mit Beförderungsdiskriminierungen, sexuellen Belästigungen am Arbeitsplatz und diskriminierenden Aufgabenzuteilungen. Erfahrungen mit Rachekündigungen waren sehr selten.

6

Eine detaillierte Darstellung der Ergebnisse findet sich im Einzelbericht «Schriftliche Befragung von Gewerkschaften, Berufsverbänden, Frauen- und Männerorganisationen, spezialisierten Beratungsstellen sowie Gleichstellungsbüros» (Marianne Schär Moser/ Jürg Baillod, büro a&o, Bern, September 2004).

3172

Gegen geltend gemachte Diskriminierungen wurde nach Einschätzung der Befragten in den meisten Fällen gar nichts unternommen (knapp 50 %). An zweiter und dritter Stelle wurden eine betriebsinterne Thematisierung ohne konkrete Veränderung bzw.

die Kündigung durch die Betroffenen genannt (je ca. 40 %), danach erst konstruktive Lösungen, wie innerbetriebliche Massnahmen, fast gleichauf mit der Kündigung des Arbeitsverhältnisses mit der belästigenden Person (beide um die 25 %).

Bei der Beurteilung des Gleichstellungsgesetzes sahen die Befragten die Möglichkeit der Verbandsklage als Chance. Den im Gesetz vorgesehenen Kündigungsschutz hielten sie insgesamt für ausreichend. Bei der Beweislasterleichterung war die Mehrheit der Meinung, dass es trotz dieses Instruments fast unmöglich sei, Diskriminierungen nachzuweisen.

Als wichtigstes Hindernis für das Einreichen einer Gleichstellungsklage bezeichneten die Befragten die Angst vor der Kündigung sowie die Angst vor Exponierung.

Danach folgten die mangelnde Lohntransparenz und die Angst vor Mobbing.

Für eine wirksamere Umsetzung des Gleichstellungsgesetzes steht für die Befragten eine bessere Information und Sensibilisierung im Vordergrund. An zweiter Stelle folgen Forderungen nach veränderten Rahmenbedingungen in Gesellschaft und Unternehmen (Lohntransparenz, Förderung der Teilzeitarbeit, verbesserte Kinderbetreuungsmöglichkeiten usw.) und an dritter Stelle Vorschläge zur Veränderung des Gleichstellungsgesetzes und seiner Anwendung.

3.4

Personalverantwortliche

In einer repräsentativen schriftlichen Erhebung wurden über 5700 Personalverantwortliche von privat- und öffentlich-rechtlichen Arbeitgeberinnen und Arbeitgebern zu ihren Erfahrungen mit dem Gleichstellungsgesetz befragt. Der Rücklauf betrug 36 Prozent7.

Das Gleichstellungsgesetz ist bei den befragten Personalverantwortlichen mittel bis gut bekannt. Die meisten wissen, dass Firmen verpflichtet sind, ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter vor sexueller Belästigung am Arbeitsplatz zu schützen (97 %).

Anderseits wissen nur 38 Prozent, dass Klagende bis sechs Monate nach Abschluss eines Verfahrens nach Gleichstellungsgesetz unter Kündigungsschutz stehen.

Eine Mehrheit der Personalverantwortlichen beurteilt eine aktive Gleichstellungspolitik als Wettbewerbsvorteil auf dem Arbeitsmarkt. Trotzdem geben 57 Prozent der Personalverantwortlichen an, dass in ihrem Betrieb keine aktive Gleichstellungspolitik betrieben wird. Im öffentlichen Sektor und bei Grossunternehmen ist der Anteil derjenigen, die eine aktive Gleichstellungspolitik betreiben, etwas grösser als in der Privatwirtschaft allgemein und bei kleineren Unternehmen.

Zwei Drittel der Unternehmen treffen laut den Befragten keine präventiven Massnahmen gegen sexuelle Belästigung. Massnahmen haben vor allem Grossunternehmen getroffen, von denen rund die Hälfte ein spezielles Reglement zur sexuellen Belästigung erlassen hat.

7

Eine detaillierte Darstellung der Ergebnisse findet sich im Einzelbericht «Schriftliche Befragung privat- und öffentlichrechtlicher Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber» (Heidi Stutz/Jürg Guggisberg, Büro BASS, Bern, Januar 2005).

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Nach Ansicht der befragten Personalverantwortlichen hat sich die Situation in Bezug auf die Gleichstellung in den letzten zehn Jahren nicht verschlechtert. Die Entwicklung bei der Teilzeitarbeit wurde am positivsten bewertet. In den Bereichen Sensibilität für das Thema Gleichstellung, Verhinderung von sexueller Belästigung und familienergänzende Kinderbetreuung kam es nach Ansicht der Mehrheit der Befragten zu gar keinen Verbesserungen. Das Gleichstellungsgesetz hatte ihrer Ansicht nach eher einen geringen Einfluss auf die realen Entwicklungen.

Für fast zwei Drittel der befragten Personalverantwortlichen besteht kein Handlungsbedarf. Die restlichen Befragten erkennen in den Bereichen Sensibilität für das Thema Gleichstellung, Unterstützung bei der familienexternen Kinderbetreuung und der familienfreundlichen Arbeitszeitregelung (je 11 %) grossen Handlungsbedarf.

Nach Ansicht einer grossen Mehrheit der Befragten bestehen keinerlei Hindernisse für die tatsächliche Gleichstellung in ihrem Betrieb, da die Gleichstellung bereits verwirklicht sei. Ansonsten werden als Hindernisse erwähnt, dass Diskriminierungen als solche nicht erkannt werden und Frauen nicht mehr Verantwortung übernehmen wollen.

Die wenigen Personalverantwortlichen, die bisher mit konkreten Diskriminierungsfällen konfrontiert worden waren, gaben Lohndiskriminierung als häufigste Diskriminierungsform an (43 %), gefolgt von Aufgabenzuteilung (36 %), sexueller Belästigung (30 %) und Beförderung (18 %). Als häufigste Reaktion kam es laut den Befragten zu einer betriebsinternen Aussprache.

40 Prozent der befragten Personalverantwortlichen machten in einer offenen Frage Vorschläge, welche Massnahmen zum Erreichen der Ziele des Gleichstellungsgesetzes beitragen könnten. 24 Prozent der Vorschläge betreffen den Bereich Information und Sensibilisierung. 32 Prozent der vorgeschlagenen Massnahmen setzen bei den Rahmenbedingungen an (Verbesserung der Vereinbarkeit von Familie und Beruf, Ausbau der Möglichkeiten zur Teilzeitarbeit für Männer und Kader). Weiterer Handlungsbedarf wurde im Bereich von Lohngleichheit und Lohntransparenz geortet.

3.5

Inhaltsanalyse der Gerichtsurteile in den Kantonen Graubünden, Schwyz, Waadt und Zürich

Die vorgenommene Inhaltsanalyse umfasste 71 der gesamtschweizerisch erhobenen Gerichtsentscheide (42 %). Die Analyse gibt Auskunft über die Umsetzung und Anwendung des Gleichstellungsgesetzes insbesondere in den Bereichen Lohngleichheit, Beweislasterleichterung, Kündigungsschutz, Verbandsklage- und beschwerderecht, sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz, Instanzenzug, Verfahrensdauer, sowie über den Erfolg oder Misserfolg von Gleichstellungsbeschwerden und die möglichen Gründe dafür8. Die Ergebnisse sind in der nachfolgenden Ziffer 4 integriert.

8

Eine detaillierte Darstellung der Ergebnisse findet sich im Einzelbericht «Inhaltsanalytische Auswertung der Gerichtsfälle in den Kantonen Graubünden, Schwyz, Waadt und Zürich» (Elisabeth Freivogel, Advokaturbüro, Basel/Binningen, unter Mitarbeit von Judith Wissmann-Lukesch, Zürich, Februar 2005).

3174

3.6

Mündliche Befragung von Gewerkschaften, Berufsverbänden, Frauenorganisationen, spezialisierten Beratungsstellen, Gleichstellungsbüros sowie Anwältinnen und Anwälten

In mündlichen Befragungen wurden ausgewählte Vertreterinnen und Vertreter von Gewerkschaften, Berufsverbänden, Frauenorganisationen, spezialisierten Beratungsstellen, Gleichstellungsbüros sowie Anwaltskanzleien, die Erfahrung mit konkreten Diskriminierungsfällen haben, erfasst. Die inhaltsanalytische Auswertung der zwanzig geführten Interviews ermöglicht, die Zusammenhänge und Hintergründe von Diskriminierungen zu veranschaulichen und die Problemlagen plastisch und nachvollziehbar aufzuzeigen. Die Ergebnisse sind in Ziffer 5 integriert.

4

Evaluation der wichtigsten Instrumente des Gleichstellungsgesetzes

4.1

Beweisverfahren

Das Gleichstellungsgesetz kennt die Untersuchungsmaxime (Art. 12 Abs. 2 GlG): Das Gericht hat den Sachverhalt von Amtes wegen abzuklären und nicht nur auf Grund von Beweisanträgen der Parteien. Die Inhaltsanalyse der ausgewählten kantonalen Gerichtsfälle hat gezeigt, dass die Untersuchungsmaxime kaum zur Geltung gelangt. Dies gilt vor allem in den Bereichen Lohn und Kündigung. Zudem scheint den Gerichten teilweise nicht klar zu sein, dass die Untersuchungsmaxime auch dort gilt, wo die Beweislasterleichterung nicht gegeben ist, also bei der Anstellung und bei der sexuellen Belästigung.

Dem Problem der schwierigen Beweisführung stellt das Gleichstellungsgesetz das Instrument der Beweislasterleichterung (Art. 6 GlG) entgegen9. Dieses Instrument ist Arbeitnehmerorganisationen und Personalverantwortlichen grundsätzlich bekannt. Die Mehrheit der Vertreterinnen und Vertreter von Arbeitnehmerorganisationen findet es nützlich, hält aber gleichzeitig kritisch fest, dass trotz Beweislasterleichterung der Nachweis von Diskriminierungen fast unmöglich sei.

Die Inhaltsanalyse der Gerichtsurteile macht deutlich, dass die von der betroffenen Person zu leistende Glaubhaftmachung der Diskriminierung und der vom Arbeitgebenden vollumfänglich zu erbringende Entlastungs- bzw. Rechtfertigungsbeweis selten getrennt wurden. Zudem haben die Gerichte kaum je Beweismittel von sich aus angeordnet. Die Anforderungen an die Glaubhaftmachung wurden in den untersuchten Urteilen höchst unterschiedlich definiert. Auch bezüglich der Anforderungen an die Rechtfertigungsgründe herrscht, wie die Analyse der Gerichtsfälle ergeben hat, noch wenig Klarheit. Insbesondere die erstinstanzlichen Zivilgerichte neigen dazu, jeden auf den ersten Blick sachlichen Grund als Rechtfertigung zu akzeptieren, während die Rechtsprechung der oberen Instanzen mittlerweile oft die 9

Eine Diskriminierung muss lediglich glaubhaft gemacht werden. Falls die Glaubhaftmachung der Diskriminierung nicht gelingt, ist die Klage direkt abzuweisen. Sonst kommt die zweite Stufe des Beweisverfahrens zum Tragen: Der eingeklagte Betrieb muss beweisen können, dass er nicht diskriminiert, wobei für ihn keine Beweislasterleichterung gilt.

3175

zusätzliche Anforderung stellt, dass von Arbeitgeberseite auch nachzuweisen ist, dass die objektiven Gründe konkret tatsächlich wichtig sind und konsequent für alle gleich zum Tragen kommen.

4.2

Verbandsklagerecht

Das Gleichstellungsgesetz enthält ein Verbandsklagerecht, damit Personen, die sich gegen eine Diskriminierung wehren wollen, sich nicht selber exponieren müssen (Art. 7 GlG). Von diesem Instrument wurde bisher nur zurückhaltend Gebrauch gemacht. Die Evaluation hat ergeben, dass der Anteil der Verbandsklagen oder -beschwerden an den 269 Gerichtsentscheiden zum Gleichstellungsgesetz mit 32 Fällen relativ tief war. 29 der 32 Verbandsklagen betrafen den öffentlich-rechtlichen, nur drei den privatrechtlichen Bereich. Mit vier Ausnahmen ging es bei allen Entscheiden um Lohngleichheit.

Das Instrument der Verbandsklage wurde bis jetzt hauptsächlich als Verstärkung von Individualbeschwerden in Gruppenverfahren im öffentlichen Bereich eingesetzt.

Die mit Verbandsklagen oder -beschwerden verbundenen Urteile gingen insgesamt gesehen seltener positiv für die Arbeitnehmerseite aus als Urteile auf Grund von Individualklagen oder -beschwerden (25 % positiv, 53 % negativ). Sie wurden jedoch sehr oft weitergezogen. Es handelte sich meist um komplexe Lohngleichheitsverfahren mit breiten Auswirkungen. Die Gruppen- und Massenklagen sowie kombinierte Verbands- und Individualklagen von Beschäftigten in typischen Frauenberufen bewirkten breite Veränderungen im Lohngefüge vorab der Kantone.

Den Vertretern der Arbeitnehmerorganisationen ist das Instrument der Verbandsklage bekannt. Sie beurteilen es grundsätzlich positiv. Sie sind allerdings auch der Meinung, dass es vor allem dann sinnvoll einsetzbar ist, wenn die Betroffenen mitkämpfen. Dies ist für sie ein Erklärungsansatz für die bisher geringe Nutzung, weil dieses Engagement eine gewisse Exponierung bedingt und damit einen Vorteil der Verbandsklage aufhebt. Auch bei den Personalverantwortlichen ist das Verbandsklagerecht relativ gut bekannt.

4.3

Sexuelle Belästigung

Das Verbot der sexuellen Belästigung am Arbeitsplatz ist die am besten bekannte Bestimmung des Gleichstellungsgesetzes. Zwei Drittel der Unternehmen haben laut den Befragten allerdings keine präventiven Massnahmen zur Verhinderung von sexueller Belästigung am Arbeitsplatz getroffen.

Der Tatbestand der sexuellen Belästigung hat sich in allen Erhebungen als zweithäufigster Diskriminierungstatbestand nach der Lohngleichheit erwiesen. Die Tatsache, dass die Beweislasterleichterung bei sexueller Belästigung nicht gilt, wirkt sich statistisch nicht aus. Zwar fielen die Gerichtsentscheide bei sexueller Belästigung etwas seltener zu Gunsten der Arbeitnehmenden aus. Die Unterschiede waren allerdings zwischen den Tatbeständen mit gleicher Beweisregelung grösser. Von Seiten der Vertreterinnen und Vertreter von Arbeitnehmerorganisationen wird das Fehlen der Beweislasterleichterung hingegen als Problem erachtet.

3176

Aus der Inhaltsanalyse der Gerichtsurteile geht hervor, dass die volle Beweislast auf Seiten der klagenden Partei bezüglich der Tat in den Urteilen immer klargestellt wurde. Hingegen tauchte die Frage nach präventiven Massnahmen der Arbeitgebenden nur in einer Minderheit der Urteile auf und selbst aus diesen geht nicht hervor, ob überhaupt ein Nachweis und, wenn ja, welcher abverlangt wurde.

Ein Angehen gegen sexuelle Belästigung bedeutet in der Regel den Verlust des Arbeitsplatzes. Bei sexueller Belästigung existierte das Arbeitsverhältnis sowohl im öffentlich-rechtlichen als auch im privatrechtlichen Bereich in 90 Prozent der vorliegenden Gerichtsfälle nicht mehr. Die qualitativen Analysen bestätigen, dass eine Weiterbeschäftigung bei einem Vorgehen gegen sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz nur in Ausnahmefällen erfolgt und häufig von den Betroffenen auch nicht gewünscht wird. Weiter wird deutlich, dass oft ernsthafte gesundheitliche Beeinträchtigungen auftreten, aber auch, dass viele Frauen nicht gegen sexuelle Belästigung angehen, weil sie Angst haben, ihre Stelle zu verlieren.

4.4

Diskriminierende Kündigung und Rachekündigung

Die Inhaltsanalyse der Gerichtsurteile zum Gleichstellungsgesetz macht deutlich, dass sowohl bei Anwältinnen und Anwälten als auch bei den Gerichten grosse Unklarheit bezüglich diskriminierender Kündigung und Rachekündigung herrscht10.

Oft werden sie nicht als solche erkannt, mit der Folge, dass ausschliesslich das Obligationenrecht zur Anwendung gelangt (missbräuchliche Kündigung). Dadurch werden ganz andere (strengere) Anforderungen an den Beweis gestellt und der im Gleichstellungsgesetz speziell geschaffene Kündigungsschutz bei Rachekündigung kann von Vornherein nicht greifen, da er gar nicht ins Blickfeld gerät.

Der Kündigungsschutz erweist sich als eine bei den Arbeitnehmerorganisationen und Personalverantwortlichen nicht sehr bekannte Regelung des Gleichstellungsgesetzes. Nur gut der Hälfte der Vertreterinnen und Vertreter von Arbeitnehmerorganisationen und sogar nur zwei Fünfteln der Personalverantwortlichen war bekannt, dass Klagende bis sechs Monate nach Abschluss des Verfahrens einen Kündigungsschutz geniessen.

Die Angst vor Kündigung ist aus Sicht von Vertretern von Arbeitnehmerorganisationen und Schlichtungsstellen einer der wichtigsten Gründe, welcher ein Vorgehen gegen Diskriminierung verhindert. Dennoch wird der Kündigungsschutz insgesamt knapp als ausreichend und nützlich erachtet. Gleichzeitig wird von den Befragten problematisiert, dass der vorhandene Kündigungsschutz das Problem des Stellenverlusts nicht löst.

Für öffentlich-rechtlich Angestellte ist es bedeutend einfacher, gegen Diskriminierungen anzugehen, ohne den Arbeitsplatz zu verlieren, als für privatrechtlich angestellte Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Die für die Gerichtsverfahren vorliegenden Daten zeigen, dass viele Arbeitnehmende erst nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses gerichtlich vorgehen. Bis zum Gerichtsentscheid sinkt der Anteil bestehender Arbeitsverhältnisse weiter: Bei den privatrechtlichen Arbeits10

Bei einer diskriminierende Kündigung wird eine Person auf Grund ihres Geschlechts entlassen (Art. 9 GlG). Bei der Rachekündigung ergeht die Kündigung ohne begründeten Anlass nach einer innerbetrieblichen Beschwerde über eine Diskriminierung (Art. 10 GlG).

3177

verhältnissen ist nicht einmal jedes Vierzehnte mehr existent, bei den öffentlichrechtlichen besteht immerhin beinahe noch die Hälfte. Die Erfahrungen der Vertreterinnen und Vertreter von Arbeitnehmerorganisationen decken sich mit diesem Bild.

Sie folgern daraus, dass die Weiterführung des Arbeitsverhältnisses für Personen, die sich gegen eine Diskriminierung zur Wehr setzen, in der Privatwirtschaft kaum möglich sei.

4.5

Lohnanalyse

Lohnunterschiede zwischen Frauen und Männern können auf verschiedene Ursachen zurückgeführt werden. Ein Anteil der Lohndifferenz kann durch objektive Faktoren erklärt werden (erklärter Anteil). Der andere Anteil ist nicht erklärbar und deshalb auf diskriminierendes Verhalten zurückzuführen.

Gemäss der Studie, die das Bundesamt für Statistik (BFS) zusammen mit dem Eidgenössischen Büro für die Gleichstellung von Frau und Mann in Auftrag gegeben hat11, zeichnet sich ab, dass sich die durchschnittliche Lohndifferenz (ohne Berücksichtigung der individuellen Merkmale wie Ausbildung, Tätigkeitsbereich usw.)

zwischen Frauen und Männern im privaten Sektor in den letzten Jahren kaum verändert hat (25,9 % im Jahre 1996 gegenüber 25,1 % im Jahre 2002)12. Die Entwicklung in Richtung Angleichung der Löhne schreitet nur sehr langsam voran. Rund 60 Prozent des Lohnunterschieds kann durch objektive Faktoren erklärt werden: Frauen auf dem Arbeitsmarkt sind im Durchschnitt jünger, weisen weniger betriebsspezifische Erfahrung auf (Dienstalter), sind weniger ausgebildet, arbeiten in Niedriglohnbranchen und sind in höheren Positionen sowie in anspruchsvolleren Stellen untervertreten. Rund 40 Prozent des Lohnunterschieds kann allerdings nicht durch solche objektive Faktoren erklärt werden und ist als Lohndiskriminierung zu werten.

Bezüglich Lohndiskriminierung zeigen sich keine wesentlichen Veränderungen gegenüber 1998. Der diskriminierende Anteil lag schon 1998 bei rund 41 Prozent und bewegt sich noch immer in dieser Grössenordnung (42 % im Jahre 2002). Dies bedeutet, dass die Verringerung der Lohnungleichheit vor allem der Verringerung der Qualifikationsunterschiede (verbesserte Ausbildung, zunehmende Erwerbserfahrung der Frauen) zu verdanken ist.

11

12

Vergleichende Analyse der Löhne von Frauen und Männern anhand der Lohnstrukturerhebungen 1998, 2000 und 2002. Untersuchung im Rahmen der Evaluation der Wirksamkeit des Gleichstellungsgesetzes. Bericht der Arbeitsgemeinschaft Büro für arbeits- und sozialpolitische Studien BASS AG und Volkswirtschaftliches Institut der Universität Bern, Prof. Michael Gerfin vom 22. August 2005.

In dieser Studie werden die Lohnunterschiede in einen durch objektive Faktoren erklärten und einen nicht erklärten (diskriminierenden) Anteil zerlegt. Dafür wird die mittlere Lohndifferenz zwischen Frauen und Männern, d.h. die Differenz der logarithmierten Durchschnittslöhne, verwendet (vgl. S. 4 f. und 52 der Studie). Die vom BFS publizierten Zahlen zum Lohnunterschied von Frauen und Männern werden auf Grund des standardisierten monatlichen Bruttolohnes (Median) berechnet: Teilzeitstellen werden auf Vollzeit umgerechnet, basierend auf 4 1/3 Wochen pro Monat zu 40 Arbeitsstunden.

Auch in der Europäischen Union (EU) hat sich der Lohnunterschied zwischen Frauen und Männern kaum verringert. In der EU-15 verdienten Frauen grundsätzlich 16 % weniger (Quelle: Eurostat, Schätzung 2003). Es wird davon ausgegangen, dass der Lohnunterschied zwischen Frauen und Männern in der EU-25 mit ungefähr 15 % leicht darunter liegt (vgl. Bericht der Europäischen Kommission vom Februar 2005 über die Gleichstellung von Frauen und Männern 2005, S. 10).

3178

Werden einzelne Branchen betrachtet, zeigen sich grosse Unterschiede sowohl bezüglich der Lohndifferenzen wie auch hinsichtlich der Diskriminierungsanteile.

Die Lohndiskriminierung ist am kleinsten in den privaten Institutionen des Gesundheits- und Sozialwesens und am grössten in der Textil- und Lederindustrie. Es lässt sich feststellen, dass es im Dienstleistungssektor das Phänomen der «gläsernen Decke» gibt, d.h. dass Frauen auf dem Weg nach oben in der Lohnhierarchie an einen Punkt gelangen, von dem es nicht (oder nur sehr schwierig) weiter geht. Denn dort gilt: Je höher die Löhne sind, desto grösser ist die Lohndifferenz zwischen Frauen und Männern. In den Tieflohnbranchen Detailhandel und Gastgewerbe sind die Lohnunterschiede im unteren Lohnbereich praktisch ausschliesslich auf Diskriminierung zurückzuführen. Im Gegensatz dazu ist in anderen Branchen (Banken und Versicherungen, Post und Telekommunikation, Informatik) Diskriminierung primär ein Problem in der oberen Lohnhierarchie.

Zwar hat sich das Ausmass der Lohndiskriminierung im Durchschnitt zwischen 1998 und 2002 kaum verändert. Im unteren Lohnbereich haben aber sowohl der Lohnunterschied wie auch die Lohndiskriminierung abgenommen, während im oberen Lohnbereich die Lohndifferenz zugenommen hat, der Diskriminierungsanteil jedoch unverändert geblieben ist. Dies dürfte mit der zunehmenden Verbreitung von erfolgsabhängigen Lohnbestandteilen zusammenhängen, die vor allem Beschäftigten in Kaderpositionen (und damit besonders Männern) zu Gute kommen.

Bei der Bundesverwaltung und den Institutionen mit Bundesbeteiligung ist die durchschnittliche Lohndifferenz mit rund 13 Prozent deutlich geringer als im privaten Sektor und kann zu einem grossen Teil durch Unterschiede in der Qualifikation der Beschäftigen (insbesondere dem Dienstalter) erklärt werden.

Der von Lohnklagen auf Grund des Gleichstellungsgesetzes besonders betroffene Bereich des kantonalen öffentlichen Sektors konnte aus Datenschutz- und erhebungstechnischen Gründen leider nicht untersucht werden.

5

Sicht der Befragten13

5.1

Bekanntheitsgrad des Gleichstellungsgesetzes bei den Befragten

Insgesamt erscheint der Bekanntheitsgrad des Gleichstellungsgesetzes zufrieden stellend. In allen Befragungen resultieren die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die eigentlich das Zielpublikum des Gesetzes sind, jedoch als die am schlechtesten informierte Personengruppe. Das Gleichstellungsgesetz selber wird von Seiten der Arbeitnehmerorganisationen mehrheitlich als nicht zu kompliziert erachtet und erhält auch in Bezug auf die inhaltlichen und verfahrensmässigen Regelungen gute Noten. In der Unternehmensbefragung werden Klarheit und Verständlichkeit des Gleichstellungsgesetzes hingegen relativ kritisch beurteilt.

13

Eine detaillierte Darstellung der Ergebnisse findet sich im Einzelbericht «Mündliche Befragung von Gewerkschaften, Berufsverbänden, Frauenorganisationen, spezialisierten Beratungsstellen, Gleichstellungsbüros sowie Anwält/innen», Marianne Schär Moser, büro a&o, Bern, Januar 2005.

3179

5.2

Allgemeine Einschätzungen durch die Befragten

Im Vergleich zur Situation vor der Inkraftsetzung des Gleichstellungsgesetzes wird von den befragten Vertreterinnen und Vertretern von Gewerkschaften, Berufsverbänden, Frauenorganisationen, spezialisierten Beratungsstellen, Gleichstellungsbüros, den Personalverantwortlichen sowie den Anwältinnen und Anwälten, die Erfahrungen mit konkreten Diskriminierungsfällen haben, nirgends eine Verschlechterung gesehen, aber auch nirgends eine herausragende Verbesserung. Die Kontextanalyse zeigt vielfältige gesellschaftliche, wirtschaftliche und unternehmensinterne Trends, die auch unabhängig vom Gleichstellungsgesetz auf den Stand der Gleichstellung einwirken. Die Richtung, in die die verschiedenen Einflüsse streben, ist allerdings nicht eindeutig. In den Augen der Befragten hatte das Gleichstellungsgesetz nur einen geringen Einfluss auf die Entwicklung der tatsächlichen Gleichstellung. Von der Arbeitnehmerseite wird das Gleichstellungsgesetz als nützliches Instrument zur Lösung von einzelnen Konflikten und für die Verhandlung von sozialpartnerschaftlichen Verträgen gesehen.

Eine klare Mehrheit der Personalverantwortlichen und der Vertreterinnen und Vertreter von Arbeitnehmerorganisationen stimmen der Aussage zu, das Gleichstellungsgesetz habe an ihrer Arbeit nichts geändert. Die Mehrheit der Befragten sehen keine kontraproduktiven Wirkungen. Es entspricht aber der Erfahrung der Arbeitnehmerorganisationen, dass die Umsetzung des Gleichstellungsgesetzes zu Spannungen im Unternehmen führen kann. 49 Prozent der Personalverantwortlichen stimmen dieser Aussage ebenfalls zu.

Die Vertreterinnen und Vertreter von Arbeitnehmerorganisationen sind fast eher als die Personalverantwortlichen der Meinung, ein zu geringer Nutzen, beziehungsweise zu hohe Kosten seien Hindernisse für die Umsetzung der tatsächlichen Gleichstellung.

5.3

Handlungsbedarf aus Sicht der Befragten

Die Befragten setzen in erster Linie auf Information und Sensibilisierung und die Veränderung von Rahmenbedingungen in Gesellschaft und Unternehmen (z.B.

Lohntransparenz). Eine klare Mehrheit der Personalverantwortlichen sieht in ihren Unternehmen keinen Handlungsbedarf. Ein gutes Drittel der Personalverantwortlichen, das Handlungsbedarf wahrnimmt, sieht diesen insbesondere im Bereich Sensibilisierung für das Thema Gleichstellung, gefolgt von Massnahmen zur Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Die Vertreterinnen und Vertreter von Arbeitnehmerorganisationen sehen vor allem im Bereich Lohngleichheit und Vereinbarkeit von Familie und Beruf den grössten Handlungsbedarf. Sie machen auch relativ häufig Vorschläge zur Änderung des Gleichstellungsgesetzes und zu seiner Anwendung, namentlich im Zusammenhang mit dem Schutz der Klagenden, der Erleichterung des Zugangs zur Information und der Forderung nach einer Einführung von aktiven Massnahmen.

3180

6

Beurteilung der Ergebnisse durch die Arbeitsgemeinschaft und ihre Empfehlungen

6.1

Angst vor Arbeitsplatzverlust

Die wichtigste Ursache für das Ausbleiben einer Vielzahl von Klagen nach dem Gleichstellungsgesetz ist nach wie vor die Angst vor Kündigung und Exponierung sowie vor Hindernissen für die künftige Berufslaufbahn. Wie die Untersuchungen ergeben haben, sind die meisten Arbeitsverhältnisse bereits zu Beginn eines Prozesses beendet. Die Erhebung bei den Gerichten hat gezeigt, dass der Anteil der Arbeitsverhältnisse, die bei Einreichung einer Beschwerde noch bestehen, lediglich 40 Prozent beträgt. Bis zum Gerichtsentscheid existiert die Hälfte bis zwei Drittel der Arbeitsverhältnisse nicht mehr (im öffentlich-rechtlichen Bereich in 45 % der Fälle, im privatrechtlichen Bereich in 84 % der Fälle). Dennoch wird der Kündigungsschutz aus Sicht der Arbeitnehmerorganisationen und der Schlichtungsstellen insgesamt als ausreichend und nützlich erachtet.

Die Arbeitsgemeinschaft erachtet demgegenüber Verbesserungen beim Kündigungsschutz als wünschenswert. Allerdings würde eine Verlängerung der Schutzfrist das Problem der Angst vor Stellenverlust nicht wirklich lösen. Deshalb müsste eine Verbesserung des Kündigungsschutzes mit zusätzlichen Begleitmassnahmen, wie beispielsweise dem Behördenklagerecht oder einer Verschärfung der Sanktionen (vgl. nachfolgend), gekoppelt werden.

Das Gleichstellungsgesetz ist darauf angelegt, Missstände zu beseitigen, indem es Einzelpersonen erleichtert, gegen Diskriminierungen vorzugehen. Damit wird trotz aller Hilfestellung die Voraussetzung für die Umsetzung der Gleichstellung praktisch ausschliesslich den von Diskriminierungen Betroffenen übertragen. Deshalb könnte nach Ansicht der Arbeitsgemeinschaft ein Ausbau des Verbandsklagerechts in dem Sinne erwogen werden, dass Verbände stellvertretend für Betroffene in eigenem Namen von der beklagten Partei Leistungen an die von Diskriminierung betroffenen Arbeitnehmenden einklagen könnten (Leistungsklage). Auch diese Verbesserung würde jedoch ohne zusätzliche Begleitmassnahmen keine nachhaltige Lösung bringen. Wichtiger wäre, die Durchsetzung der Gleichstellung nicht länger allein den Diskriminierten aufzubürden.

Die Arbeitsgemeinschaft schlägt in ihrem Synthesebericht dementsprechend als mögliche Massnahme vor, Behörden mit adäquaten Untersuchungskompetenzen einzurichten; diese sollen auch aus eigener Initiative Abklärungen treffen und
Untersuchungen durchführen könnten. Sie sollten das Recht haben, zu intervenieren und in Vertretung von Diskriminierungsopfern oder zur Bekämpfung struktureller Diskriminierung selbständig aus eigenem Recht Prozesse vor Gericht zu führen (Behördenklagerecht).

Als weitere Massnahme schlägt die Arbeitsgemeinschaft vor, die Sanktionen bei Verstössen gegen das Gleichstellungsgesetz auszubauen, indem massiv höhere Entschädigungen an Diskriminierungsopfer und Bussen für die diskriminierenden Arbeitgeber ausgesprochen werden könnten.

3181

6.2

Nichterkennen von Diskriminierungen und mangelndes Wissen

Die Untersuchungen haben gezeigt, dass vor allem indirekte Diskriminierungen oftmals nicht als solche erkannt werden14. Dies gilt sowohl für die Betroffenen als auch für ihre Anwältinnen und Anwälte und die Gerichte.

Die Qualität der erstinstanzlichen Urteile ist sehr unterschiedlich. Einige Richterinnen und Richter verkennen die rechtlichen Grundlagen vollkommen. Andere scheuen sich nicht vor aufwändigen Beweisverfahren und eignen sich erkennbar fehlendes Wissen an. Je nach Kanton musste sich ein Drittel bis zwei Drittel der schlussendlich für die Arbeitnehmerseite teilweise erfolgreichen Fälle über mindestens zwei Instanzen kämpfen.

Aber auch die Anwältinnen und Anwälte haben teilweise mangelhafte Kenntnisse.

Die Analyse der Gerichtsurteile zeigt, dass Klagen manchmal falsch aufgegleist und gewisse Ansprüche gar nicht geltend gemacht wurden. Zudem kennen vor allem kleine und mittlere Unternehmen sowie die Beschäftigten selber das Gleichstellungsgesetz zu wenig.

Als mögliche Massnahme empfiehlt die Arbeitsgemeinschaft Information, Schulung und Sensibilisierung. Mit Informations- und Sensibilisierungskampagnen sollten zielgruppenspezifisch Arbeitnehmende, Arbeitgebende (insbes. kleine und mittlere Betriebe), Vertreterinnen und Vertreter von Arbeitnehmerorganisationen, Anwältinnen und Anwälte sowie die Gerichte angesprochen werden. Dabei sollten staatliche Stellen, Arbeitnehmer- und Arbeitgeberverbände, Anwaltskreise sowie Richterinnen und Richtern gemeinsam vorgehen, um eine nachhaltige Wirkung zu erreichen.

6.3

Mangelnde Lohntransparenz und schwieriger Zugang zu Daten

Die mangelnde Lohntransparenz und der schwierige Zugang zu Daten sind wichtige Gründe dafür, dass es nicht mehr Klagen nach Gleichstellungsgesetz gegeben hat.

Nach wie vor lastet die Verantwortung für die Geltendmachung einer (vermuteten) Diskriminierung auf den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern. Die Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber können einer drohenden Lohngleichheitsklage dadurch entgehen, dass sie die massgeblichen Informationen unter Verdeck halten. Damit wird es einer Person, die eine Diskriminierung vermutet, verunmöglicht, ihre Vermutung zu überprüfen. Die Arbeitgeberseite ist meist erst im Rahmen von Gerichtsverfahren verpflichtet, Personen- und Lohndaten bekannt zu geben.

Damit von vermuteter Diskriminierung Betroffene und Verbände bereits für die Begründung ihres Diskriminierungsverdachts an die relevanten Daten kommen, empfiehlt die Arbeitsgemeinschaft, die Lohntransparenz zu fördern. Die Verpflichtung der Unternehmen, ihre Daten bekannt zu geben, sollte bereits in einem früheren Zeitpunkt des Konfliktfalls bestehen. Weiter schlägt sie nach dem Vorbild des Vereinigten Königreichs vor, Regeln zu schaffen, nach denen die Arbeitgeberinnen 14

Eine Diskriminierung gilt als indirekt, wenn sich das verwendete Kriterium zwar auf beide Geschlechter anwenden liesse, die Angehörigen des einen Geschlechts gegenüber denjenigen des anderen jedoch erheblich benachteiligt werden, ohne dass dies sachlich gerechtfertigt wäre.

3182

und Arbeitgeber auf einfache Anfrage obligatorisch einen Fragebogen auszufüllen haben, der es ermöglicht, schnell die relevanten Informationen über die Entlöhnung in einem Betrieb zu erhalten. Zudem sollten einheitliche Standards für Expertisen erarbeitet werden. Schliesslich hält die Arbeitsgemeinschaft die Ausdehnung der Beweislasterleichterung auf die Tatbestände der diskriminierenden Nichtanstellung und der sexuellen Belästigung für sinnvoll, allerdings erst in Kombination mit den anderen vorgeschlagenen Massnahmen, insbesondere jenen, welche der Angst, gegen Diskriminierungen anzugehen, begegnen sollen.

6.4

Fehlende Gleichstellungsmassnahmen

Die Mehrheit der Unternehmen hat bisher keine speziellen Massnahmen zur Förderung der tatsächlichen Gleichstellung getroffen. Vor allem im Bereich der sexuellen Belästigung am Arbeitsplatz haben bislang vorwiegend Grossunternehmen und Verwaltungen präventive Massnahmen getroffen. Der Synthesebericht der Arbeitsgemeinschaft zeigt jedoch, dass fast zwei Drittel der Unternehmen eine aktive betriebliche Gleichstellungspolitik als Wettbewerbsvorteil auf dem Arbeitsmarkt empfinden. Fast 75 Prozent der Unternehmen betrachten das Publikwerden einer Gleichstellungsklage als grossen Imageverlust für den Betrieb.

Die Arbeitsgemeinschaft schlägt deshalb vor, insbesondere die kleinen und mittleren Unternehmen gezielt über die Gleichstellungsproblematik zu informieren und zu sensibilisieren. Für Unternehmen, die sich für die Umsetzung der tatsächlichen Gleichstellung engagieren, sollten Anreize geschaffen werden (z.B. Steuererleichterungen, Gleichstellungslabel). Zudem sollen verstärkte Kontrollen die Einhaltung des Gleichstellungsgesetzes überprüfen (z.B. bei Submissionen) und als Abschreckung höhere Sanktionen eingeführt werden. Weiter könnte nach Ansicht der Arbeitsgemeinschaft im Gleichstellungsgesetz eine positive Pflicht zur Gleichstellungsförderung aufgenommen werden. Schliesslich sollte das Unterstützungs- und Beratungsangebot für Unternehmen ausgebaut werden.

6.5

Uneinheitliche und zum Teil ungenügende Nutzung des Potenzials der Schlichtungsstellen

Die Schlichtungsstellen für Diskriminierungsstreitigkeiten im Erwerbsleben wurden durch das Gleichstellungsgesetz geschaffen. Artikel 11 des Gleichstellungsgesetzes hält fest, dass jeder Kanton eine Schlichtungsstelle bezeichnet, die bei Verdacht auf Verletzung des Gleichstellungsgesetzes die Parteien berät und versucht, eine Einigung herbeizuführen.

Die Schlichtungsstellen sind heute von Kanton zu Kanton sehr unterschiedlich eingerichtet. Es gibt Kantone mit einer zentralen Stelle und solche mit getrennten Stellen für privat- und öffentlich-rechtliche Streitigkeiten, aber auch solche mit einem regional beschränkten Geltungsbereich. In gewissen Kantonen gibt es Schlichtungsstellen nur für den privatrechtlichen Bereich, in anderen regeln sie auch öffentlich-rechtliche Arbeitsverhältnisse. In manchen Kantonen ist das Schlichtungsverfahren im privatrechtlichen Bereich fakultativ, in anderen hingegen obligatorisch. Manchmal sind die Schlichtungsstellen an Gerichten angesiedelt, in anderen Fällen bilden sie separate Gremien.

3183

Ein weiterer Punkt betrifft die Zusammensetzung der Schlichtungsstellen: In einigen Kantonen wird die Schlichtungsfunktion von einer Einzelperson wahrgenommen. In anderen gibt es eine spezielle Schlichtungskommission, in der die Arbeitgeber- und die Arbeitnehmerseite paritätisch vertreten sind.

Auch bezüglich des Verfahrens gibt es grosse Unterschiede: Während in einigen Kantonen ein förmliches Rechtsbegehren einzureichen ist, kann in anderen Kantonen eine Schlichtung formlos, mündlich oder schriftlich, verlangt werden. In Bezug auf die Kompetenzen gehen die Kantone ebenfalls verschiedene Wege: Einige Schlichtungsstellen haben das Recht, in Mischkonflikten, in denen sich auch Fragen des Obligationenrechts stellen, zu vermitteln, während andere ausschliesslich Konflikte gemäss Gleichstellungsgesetz behandeln dürfen. Dasselbe gilt in Bezug auf die Beweismittel: In einigen Kantonen dürfen nur die Parteien selber und nicht Drittpersonen befragt werden, in anderen wiederum können amtliche Akten eingeholt und ein einfacher Schriftenwechsel anordnet werden. Auch der gesetzliche Beratungsauftrag wird von Kanton zu Kanton sehr unterschiedlich interpretiert.

Die Befragung der Schlichtungsstellen und die Auswertung der Schlichtungsverfahren haben ergeben, dass diese Institutionen massgeblich zur Lösung von Konfliktfällen in Gleichstellungsfragen beitragen und die Gerichte durch hohe Einigungsquoten entlastet werden. Das Konzept einer den Gerichten vorgelagerten Schlichtungsstelle, die mit einem niederschwelligen und raschen Verfahren den Ansprüchen auf Nichtdiskriminierung zum Durchbruch verhilft, hat sich folglich bewährt. Die institutionellen und qualitativen Unterschiede zwischen den Kantonen wirken sich jedoch einerseits auf die Nutzung und anderseits auf die Einigungsquote aus. Die Einigungsquote ist je nach Kanton unterschiedlich hoch. Sie liegt in den Kantonen Basel-Stadt, Bern und Zürich bei 60 Prozent, im Kanton Genf dagegen bei 19 Prozent.

Als weiteres Problem erweist sich, dass viele Schlichtungsstellen Mischkonflikte, in denen auch Verletzungen von obligationenrechtlichen Bestimmungen gerügt werden, nicht behandeln dürfen. Wenn von Diskriminierung Betroffene sich an verschiedene Stellen wenden müssen, wirkt sich dies als zusätzliche Hemmschwelle aus.

Bei komplexen Lohnfragen hat sich zudem
gezeigt, dass es für die Ermittlung nützlich sein kann, wenn ein einfacher Schriftenwechsel durchgeführt wird. Stellen, welche sich auf einen einfachen Schriftenwechsel zur Eruierung der Sachlage stützen konnten, erreichten höhere Einigungsquoten. Ein solcher ist jedoch vom Gleichstellungsgesetz nicht vorgeschrieben.

Aus Sicht der Schlichtungsstellen wird die Sachverhaltsermittlung zusätzlich oft dadurch erschwert, dass die Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber kein Interesse daran haben, belastendes Material (z.B. Lohndaten) herauszugeben. Ansonsten würden sich diese in der Regel kooperativ verhalten.

Aus all diesen Gründen empfiehlt die Arbeitsgemeinschaft Mindeststandards für die Schlichtungsstellen (Schlichtungsverfahren auch im öffentlich-rechtlichen Bereich, formloses Einreichen von Schlichtungsbegehren, Kompetenz zur Schlichtung in Mischkonflikten usw.).

3184

6.6

Lange Verfahrensdauer

Die Untersuchung der Gerichtsfälle hat deutlich gemacht, dass die Verfahren insbesondere bei Lohngleichheitsprozessen sehr lange dauern. Dies scheint eine Folge der mangelnden Schulung und Erfahrung sowie der Probleme bei der Informations- und Beweisbeschaffung, der Gutachtenproblematik usw. zu sein. Mit Massnahmen zur Verbesserung der effizienten Datenerhebung und des Verfahrensablaufs sowie der Zunahme der Erfahrung wird sich dieses Problem nach Ansicht der Arbeitsgemeinschaft vermutlich von selbst lösen.

6.7

Ungenügende Möglichkeiten, effizient gegen strukturelle Diskriminierungen vorzugehen

Die Evaluation der Wirkungen des Gleichstellungsgesetzes hat gezeigt, dass die vom Gleichstellungsgesetz vorgesehenen Beratungs- und Schlichtungsangebote sowie die in den Kantonen eingerichteten Gleichstellungsbüros ­ wegen beschränkter Ressourcen und Kompetenzen ­ offensichtlich nicht genügen, um das Diskriminierungsverbot effizient durchzusetzen. Nach Ansicht der Arbeitsgemeinschaft braucht es, wie die Erfahrungen im Ausland zeigten, Behörden mit Untersuchungs- und Durchsetzungskompetenzen (vgl. auch Ziff. 6.1).

7

Rechtsvergleich

Ein Rechtsvergleich zeigt, dass auch in den umliegenden Ländern sowie in Skandinavien, in Irland, dem Vereinigten Königreich, Australien, den USA und in Südafrika die Diskriminierung auf Grund des Geschlechts im Erwerbsleben gesetzlich verboten ist. Die Diskriminierungstatbestände umfassen in der Regel alle Phasen des Arbeitsverhältnisses inklusive Schutz vor sexueller Diskriminierung am Arbeitsplatz. Die dafür vorgesehenen Sanktionen sind entsprechend dem jeweiligen Tatbestand unterschiedlich ausgestaltet und umfassen zunächst meist die Beseitigung der Diskriminierung und schliesslich Schadenersatzansprüche.

Im Zusammenhang mit den Empfehlungen der Arbeitsgemeinschaft interessieren vor allem die ausländischen Erfahrungen mit Gleichstellungsinstitutionen, mit Massnahmen zur Förderung der Lohntransparenz sowie mit verschiedenen Möglichkeiten gleichstellungsfördernder Anreize.

In verschiedenen Ländern wurden Gleichstellungsinstitutionen eingerichtet (z.B. in Frankreich, in den Niederlanden, im Vereinigten Königreich, in Irland, in Schweden). Der Umfang der Befugnisse und der Aufgabenbereich dieser Gleichstellungsinstitutionen variieren allerdings beträchtlich. Im Vereinigten Königreich beispielsweise ist die Equal Opportunities Commission befugt, in Unternehmen Untersuchungen durchzuführen. Sie kann aber nicht wegen Diskriminierung anstelle einer direkt betroffenen Person klagen, wenn diese nicht klagen will. Es ist nun vorgesehen, dass die neu geplante Commission for Equality and Human Rights über Rechtsmittel verfügen soll, die sowohl strategische Veränderungen sichern als auch die Durchsetzung der Gesetze durch gezielte Eingriffe ermöglichen soll (voraussichtlich ab 2007). In Irland sind die Equality Officers mit sehr weit gehenden Untersuchungsbefugnissen ausgestattet. Sie können von den Parteien Informationen 3185

einfordern, wofür ihnen auch Durchsetzungsinstrumente zur Verfügung stehen.

Einige Institutionen haben das Recht, Untersuchungen bezüglich einer möglichen Diskriminierung aus eigener Initiative vorzunehmen, ohne sich dabei auf eine konkrete Beschwerde stützen zu müssen. Die Anregung zur Untersuchung kann beispielsweise ein Medienbericht liefern. Ein Kriterium für eine solche Untersuchung kann sein, dass die Diskriminierung viele Personen trifft und langfristige Wirkungen entfaltet. Über solche Untersuchungsbefugnisse verfügt z.B. die Dutch Equal Treatment Commission oder der schwedische Ombudsman. Die Equal Treatment Commission in Irland kann sogar Ermittlungen ohne eine konkrete Beschwerde einleiten, um die strukturelle Diskriminierung zu bekämpfen. Sie kann dabei von beliebigen Personen schriftliche Informationen verlangen sowie Zeugen vorladen. Ergeben die Ermittlungen, dass eine Diskriminierung vorliegt, so kann die Behörde eine «nondiscrimination notice» erteilen. Diese beschreibt den Tatbestand und fordert die diskriminierende Partei zur Unterlassung der Diskriminierung innerhalb einer gesetzten Frist auf. Die Missachtung einer «non-discrimination notice» wird als Gesetzesverstoss geahndet. In den kanadischen Provinzen Ontario und Quebec müssen seit 1997 alle Betriebe mit über 200 Mitarbeitenden Lohngleichheitskommissionen einrichten, in denen die Arbeitgeber- wie auch die Arbeitnehmerseite vertreten sind. Sie müssen dafür sorgen, dass die Lohngleichheit realisiert wird. Eine vom Parlament gewählte staatliche Kommission ist Anlaufstelle für Missbräuche und sorgt für Kontrollen und Sanktionen15.

In verschiedenen Ländern tragen Berichte über die Entwicklungen im Bereich der Gleichstellung zur Datentransparenz bei, die grundsätzlich jährlich zumeist an Regierungsstellen oder auch an betriebsinterne Stellen zu übermitteln sind. In Südafrika haben Arbeitgebende mit mehr als 50 Beschäftigen ihre Lohnpolitik der Regierung jährlich bekannt zu geben, um etwaigen diskriminierenden Lohnunterschieden entgegenzuwirken. In Frankreich schreibt das Gesetz explizit die Aufschlüsselung von Daten hinsichtlich aller Arbeitsbedingungen sowie Entlöhnung differenziert nach Geschlecht für Privatunternehmen vor, die auch an Gewerkschaften und an das Personal kommuniziert werden müssen. In Schweden ist jährlich von
Betrieben mit mehr als zehn Beschäftigten ein Aktionsplan an die Ombudsperson für Gleichstellung zu richten, welcher auch einen Bericht über Löhne zu enthalten hat. In Australien haben Unternehmen mit mehr als hundert Beschäftigten ähnliche Berichte an die für die Gleichstellung am Arbeitsplatz zuständige Bundesbehörde zu richten. Im Vereinigten Königreich müssen die Angestellten darüber informiert werden, wie sich ihr Lohn zusammensetzt und welche Faktoren sich auf ihren Gesamtverdienst auswirken. Ein Nichtbefolgen dieses Transparenzgebots seitens der Arbeitgeber wirkt sich auf die Beweislast aus: Ist das Lohnsystem nicht transparent, so wird Lohndiskriminierung angenommen, soweit der Arbeitgeber nicht beweist, dass sein Lohnsystem nicht diskriminierend ist. Es konnte festgestellt werden, dass Arbeitgeber zögern, ihre Lohnskala zu überprüfen, aus Angst, dadurch Lohngleichheitsprozesse auszulösen. Die Equal Opportunities Commission schlägt deshalb eine Schonfrist für Arbeitgeber vor, die ihr Lohnsystem überprüfen und antidiskriminierende Anpassungen vornehmen. Während dieser Zeit dürfen gegen sie keine Lohnklagen erhoben werden. Auch gegen rückwirkende Klagen wegen Lohndiskri15

Eine erste Bilanz zeigte offenbar für viele Frauen eine Verbesserung der Löhne: Die typischen Frauenberufe wurden aufgewertet. Als weiteren Schritt ist die Einbindung der Kleinbetriebe geplant. Vgl. Marie-Thérèse Chicha, L'équité salariale: mise en oeuvre et enjeux, Montréal, 2000.

3186

minierungen sollen sie geschützt sein. Mit dem Equal Pay Questionnaire hat das Vereinigte Königreich zudem ein Instrument entwickelt, das es ermöglicht, vom Arbeitgeber relevante Informationen über die Entlöhnung im Betrieb zu gewinnen.

Hat eine Arbeitnehmerin den Verdacht, dass sie für ihre gleichwertige Arbeit einen schlechteren Lohn erhält als ihr männlicher Arbeitskollege, so kann sie vom Arbeitgeber verlangen, dass er den Fragebogen (Equal Pay Questionnaire) ausfüllt, der die Stellung, Aufgaben und Verantwortung der Vergleichspersonen beschreibt. Damit kann festgestellt werden, ob die Betroffene tatsächlich weniger verdient als die männliche Vergleichsperson und ob der Arbeitgeber zugibt, dass beide die gleiche oder eine gleichwertige Arbeit verrichten. Füllt der Arbeitgeber den Fragebogen nicht aus, darf das zuständige Gericht annehmen, dass die Lohndifferenz diskriminierend ist.

Gleichstellungsfördernde Anreize existieren in den meisten Ländern, insbesondere durch staatliche Finanzierung von Projekten zur Geschlechtergleichstellung auf betrieblicher Ebene oder in Form von Informationskampagnen zur Sensibilisierung der Öffentlichkeit als bewusstseinsbildende Massnahmen. In Österreich werden staatliche Förderungen gewährt, wenn die Unternehmen die Bestimmungen der Gleichbehandlungsgebote beachten. Die konkrete Umsetzung erfolgt in verschiedenen Bereichen, z.B. durch Zertifikationen mit Auszeichnungscharakter16. Im Vereinigten Königreich werden in Zusammenarbeit mit dem zuständigen Ministerium immer wieder verschiedene Listen der «besten Unternehmen, für die man arbeiten kann», veröffentlicht. Darunter figuriert jeweils eine Liste der Unternehmen, welche sich im Bereich der Gleichstellung besonders verdient gemacht haben. Ihnen werden «Castle Awards» verliehen. Frankreich hat ein differenziertes Zertifizierungssystem mit verwertbarem Label («label égalité») geschaffen. Das Label wird für die Dauer von drei Jahren Unternehmen zur Verfügung gestellt, die in drei Feldern tätig werden, nämlich bei der Sensibilisierung der Unternehmensführung und der Arbeitnehmenden für die Gleichstellung im Betrieb, beim Ergreifen konkreter Massnahmen für gleiche Chancen beider Geschlechter bei der beruflichen Weiterbildung und der Beförderung sowie beim Ergreifen konkreter Massnahmen zur Förderung familienfreundlicher
Arbeitsbedingungen und Elternurlaube. Die Unternehmen sollen die firmeneigenen Arbeitsbedingungen für Frauen und Männer systematisch untersuchen und sie haben die Möglichkeit, einen Vertrag mit den zuständigen lokalen Behörden oder dem Gleichstellungsministerium abzuschliessen, worin sie sich zu spezifischen Förderungsmassnahmen bei der Ausbildung und der Beschäftigung verpflichten. Im Gegenzug beteiligt sich der Staat mit bis zu 50 Prozent an den entsprechenden Ausbildungskosten und mit bis zu 30 Prozent an den Lohnkosten, welche für zusätzlich ausgebildete Personen entstehen. Bis zum Dezember 2003 wurden 25 solche «contrats d'égalité» mit verschiedenen Firmen, darunter bekannte multinationale Konzerne, abgeschlossen. Zuständig für die Verleihung des «label égalité» ist eine weitgehend geschlechtsparitätisch zusammengesetzte, aus je fünf Vertreterinnen oder Vertretern der Arbeitgeber, der Gewerkschaften und des Staates bestehende Kommission, die ihren Entscheid mindestens alle drei Jahre überprüft.

16

www.taten-statt-worte.at

3187

8

Haltung des Bundesrates

8.1

Allgemeine Einschätzung

Seit Inkraftsetzung des Gleichstellungsgesetzes vor fast zehn Jahren hat sich die Situation in Bezug auf die Chancengleichheit von Frauen und Männern im Erwerbsleben leicht verbessert. Die von der Arbeitsgemeinschaft befragten Personen (aus Gewerkschaften, Berufsverbänden, Frauenorganisationen, spezialisierten Beratungsstellen, Gleichstellungsbüros sowie Anwaltskreisen) beurteilen das Gleichstellungsgesetz grundsätzlich als nützlich, zweckmässig und praktikabel. Sie konnten keine kontraproduktiven Wirkungen beobachten. Im Gegenteil scheint sich das Gleichstellungsgesetz grundsätzlich bewährt zu haben. So konnte insbesondere bei den Löhnen in typischen Frauenberufen im öffentlich-rechtlichen Bereich dank dem Gleichstellungsgesetz eine deutliche Verbesserung erreicht werden. Als einzigen negativen Punkt erwähnten die Befragten das Risiko allfälliger Spannungen innerhalb der Unternehmen.

Im privaten Sektor hat sich die durchschnittliche Lohndifferenz zwischen Frauen und Männern in den letzten Jahren hingegen kaum verändert. Sie beträgt nach wie vor 25 Prozent. Rund 60 Prozent dieses Lohnunterschieds können durch objektive Faktoren wie Alter, Ausbildung, Dienstalter und Untervertretung der Frauen in Kaderpositionen erklärt werden. Die anderen 40 Prozent müssen jedoch als Diskriminierung auf Grund des Geschlechts betrachtet werden. Es bestehen zudem grosse Differenzen innerhalb der verschiedenen Branchen17.

Die Zahl der Fälle, die vor Gericht gebracht worden sind, hat seit dem Inkrafttreten des Gleichstellungsgesetzes deutlich zugenommen. Bis zur Inkraftsetzung des Gleichstellungsgesetzes im Jahre 1996 gab es auf der Grundlage des Lohngleichheitsartikels in der Bundesverfassung (Art. 4 Abs. 2 aBV; Art. 8 Abs. 3 geltende BV) nur etwa 15 Lohngleichheitsklagen, insbesondere im öffentlich-rechtlichen Bereich18.

Die knapp 270 Gerichtsentscheide seit Inkrafttreten des Gleichstellungsgesetzes zeigen, dass dieses Gesetz ein nützliches Instrument darstellt, um eine Diskriminierung geltend zu machen. Zu der in den parlamentarischen Beratungen befürchteten Prozesslawine ist es hingegen nicht gekommen. Wie viel Einfluss das Gleichstellungsgesetz auf die Verwirklichung der beruflichen Gleichstellung der Geschlechter im Allgemeinen hatte, konnte mit der vorliegenden Evaluation nicht beantwortet werden.

Die Evaluation
der Wirkungen des Gleichstellungsgesetzes hat hingegen gezeigt, dass kein dringender Revisionsbedarf besteht. Die Instrumente, die das Gleichstellungsgesetz zur Verfügung stellt, haben sich grundsätzlich bewährt und als nützlich erwiesen. Das Gleichstellungsgesetz weist keine Mängel oder Lücken auf, die unverzüglich behoben werden müssten. Die von der Motion Hubmann geforderten Reformen haben sich nicht als vordringlich erwiesen.

Trotz der grundsätzlichen Erfolge des Gleichstellungsgesetzes bestehen jedoch gewisse Probleme weiter. Nach wie vor hindert die Angst vor Arbeitsplatzverlust davor, sich gegen Diskriminierungen zu wehren. Auch die Schwierigkeit der Informationsbeschaffung bei vermuteter Diskriminierung existiert weiter. Zudem hat sich 17 18

Vgl. Ziffer 4.5, insb. auch die Fussnote 11 zur Berechnung der aufgeführten Zahlen.

Vgl. Botschaft zum Gleichstellungsgesetz, BBl 1993 I 1248, Ziff. 131.

3188

gezeigt, dass das Gleichstellungsgesetz zu wenig angewendet wird. Dies hat einerseits damit zu tun, dass es sich um ein noch relativ junges Gesetz handelt, das zwar bekannt ist, aber noch ungenügend. Insbesondere die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, welche die eigentliche Zielgruppe des Gesetzes sind, kennen die Instrumente des Gleichstellungsgesetzes oft nicht. Anderseits sind die verschiedenen Möglichkeiten des Gleichstellungsgesetzes auch bei den Anwältinnen und Anwälten sowie den Gerichten noch viel zu wenig bekannt, so dass Diskriminierungen, insbesondere indirekte Diskriminierungen, nicht immer als solche erkannt werden. Damit bleibt dem Gleichstellungsgesetz oftmals die Anwendung versagt.

Indem die Verantwortung für die Umsetzung der tatsächlichen Gleichstellung bei den von Diskriminierung Betroffenen liegt, werden Diskriminierungen praktisch nach dem Zufallsprinzip geahndet: Ein Vorgehen dagegen hängt einzig davon ab, ob sich eine diskriminierte Person einem Prozess stellen will. Fehlt es hingegen an einem prozessbereiten Diskriminierungsopfer, bleiben diskriminierende Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber unbehelligt. Diese Situation vermag nicht zu befriedigen.

Es hat sich zudem erwiesen, dass die Rahmenbedingungen verbessert werden müssen. Hindernisse für die Verwirklichung der betrieblichen Gleichstellung werden vor allem bei der Arbeits- und Familienpolitik geortet (Erleichterung von Teilzeitarbeit, Job-Sharing und Heimarbeit, Ausbau der Kinderbetreuungsmöglichkeiten, Eingliederungsprogramme für Wiedereinsteigerinnen). In einigen Bereichen hat der Bund in den letzten Jahren entsprechende Massnahmen ergriffen (Impulsprogramm für familienergänzende Betreuungsplätze, Förderung der Chancengleichheit an den Fachhochschulen und den Universitäten usw.). Weitere Ausführungen zu diesem Thema würden den Rahmen dieses Berichts jedoch sprengen.

Ein Bedarf nach Information, Sensibilisierung und Weiterbildung, um Diskriminierungen auf Grund des Geschlechts im Erwerbsleben vorzubeugen, besteht unbestrittenermassen. Unternehmen müssen sich bewusst werden, dass Diskriminierungen kosten19, während Gleichstellung sich auszahlt. Diskriminierungen bei der Anstellung, dem Lohn und den Beförderungen verhindern den Zugang von qualifizierten Frauen zum Arbeitsmarkt und führen dazu, dass das Potenzial der
weiblichen Arbeitskraft nicht genügend ausgeschöpft wird20. Durch die Beseitigung dieser Diskriminierungen können Unternehmen ihre Personalinvestitionen besser nutzen und die Rekrutierungskosten reduzieren.

Zur Überprüfung der Umsetzung des Gleichstellungsgesetzes und zur Nachverfolgung von dessen Entwicklung stellen Gleichstellungsindikatoren ein wichtiges Arbeitsinstrument dar. Das Bundesamt für Statistik (BFS) liefert seit rund 10 Jahren umfassende Statistiken zur Gleichstellung von Frau und Mann.

19

20

Beispielsweise geht man davon aus, dass im Jahre 2003 im Vereinigten Königreich 2,8 Millionen Pfund an Kompensationen für gesetzeswidrige Diskriminierungen auf Grund des Geschlechts aufgewendet werden mussten. Quelle: Studie der Equal Opportunities Commission vom Oktober 2004: Britain's competitive edge: women unlocking the potential.

Vgl. OECD Economic Studies, Nr. 37, 2003/2: «Labour Force Participation of Women: Empirical Evidence on the Role of Policy and other Determinants in OECD Countries», S. 70 f.

3189

8.2

Prüfung der Empfehlungen der Arbeitsgemeinschaft

8.2.1

Ausbau des Kündigungsschutzes

Der Bundesrat ist wie die Arbeitsgemeinschaft der Ansicht, dass ein Ausbau des Kündigungsschutzes, wie mit der Motion Hubmann gefordert, das Problem der Angst vor Arbeitsplatzverlust nicht lösen würde. Wegen dieser Angst vor Kündigung und weil die Lohngleichheit als Verfassungsgrundsatz verlangt, dass Frauen während der Dauer des Arbeitsverhältnisses nicht diskriminiert werden, wurde im Gleichstellungsgesetz ein Kündigungsschutz festgeschrieben21. Die Evaluation der Wirkungen des Gleichstellungsgesetzes hat jedoch gezeigt, dass diese Angst vor Verlust des Arbeitsplatzes nach wie vor einer der Hauptgründe für die wenigen Diskriminierungsklagen darstellt. Trotzdem wird der vom Gleichstellungsgesetz heute vorgesehene Kündigungsschutz gemäss den Befragungen mehrheitlich als ausreichend erachtet. Eine grosse Mehrheit der Befragten findet aber gleichzeitig, dass der vorhandene Kündigungsschutz das Problem des Stellenverlusts nicht löst.

Auch ein Ausbau des Kündigungsschutzes, wie es die Motion Hubmann anregt, würde dieses Problem nicht beseitigen. Hingegen würde eine solche Massnahme die Flexibilität des Arbeitsmarktes einschränken, da ein Arbeitgeber ein Arbeitsverhältnis praktisch kaum mehr auflösen könnte, sobald eine Arbeitnehmerin oder ein Arbeitnehmer eine Diskriminierung geltend machen würde. Ein Ausbau des Kündigungsschutzes hätte folglich im Vergleich zum gewonnenen Nutzen grössere Nachteile, weil die Vertragsfreiheit der Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber stark zurückgebunden würde. Ein Ausbau des Kündigungsschutzes könnte sich sogar kontraproduktiv für die Frauen auswirken, da die Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber aus Angst, das Arbeitsverhältnis wegen drohender Diskriminierungsklagen nicht mehr auflösen zu können, zögern könnten, Arbeitnehmerinnen anzustellen22.

8.2.2

Ausdehnung des Verbandsklagerechts

Eine Ausdehnung des Verbandsklagerechts auf Leistungsbegehren, wie von der Arbeitsgemeinschaft empfohlen, wäre in verschiedener Hinsicht problematisch.

Einerseits kennt die schweizerische Rechtsordnung heute kein Leistungsklagerecht von Organisationen. Anderseits wären mit der Einführung eines solchen Leistungsklagerechts von Organisationen zahlreiche komplexe Fragen zu klären, wie beispielsweise die Pflicht zur Rückerstattung der erhaltenen Beträge, die Koordination mit bereits einer von einer Arbeitnehmerin oder einem Arbeitnehmer individuell eingereichten Klage, das Recht auf Einreichung einer Klage ohne Information oder gar gegen den Willen des Diskriminierungsopfers. All diese Fragen stehen zudem im Widerspruch zur schweizerischen Auffassung der Einzelklage, welche auf der Autonomie der Parteien aufbaut. Dies kam auch in der parlamentarischen Diskussion zum Verbandsklagerecht im Gleichstellungsgesetz deutlich zum Ausdruck: Das Verbandsklagerecht soll nicht der Durchsetzung individueller Interessen dienen, sondern in erster Linie der Klärung von Grundsatzfragen, die für eine Vielzahl von Arbeitsverhältnissen bedeutsam sind. Das Feststellungsurteil entfaltet seine Wirkungen nur zwischen der Organisation und der beklagten Arbeitgeberin oder dem 21 22

Vgl. Botschaft zum Gleichstellungsgesetz, Kommentar zu Art. 10 GlG.

Vgl. auch Bericht der Kommission für Rechtsfragen des Ständerats vom 14.2.2005 zur 04.2029 Petition «Aktion zum Menschenrechtstag. Kündigungsschutz verbessern.»

3190

beklagten Arbeitgeber und nicht gegenüber den betroffenen Beschäftigten. Diese müssen ihre Rechte individuell geltend machen. Dabei können sie sich jedoch auf das Feststellungsurteil berufen, was ihre Klagesituation stark verbessern würde.

8.2.3

Verschärfung der Sanktionen

Nach Ansicht der Arbeitsgemeinschaft könnte eine Verschärfung der Sanktionen bei Verstössen gegen das Gleichstellungsgesetz verhindern, dass Diskriminierungen überhaupt stattfinden. Die im Gleichstellungsgesetz vorgesehenen Sanktionshöhen bewegen sich im selben Rahmen wie die anderen im Arbeitsrecht enthaltenen Sanktionen. Dies war gewollt und entspricht dem schweizerischen Rechtsempfinden. Der Bundesrat ist deshalb gegen eine Erhöhung der Sanktionen im Gleichstellungsgesetz. Er möchte vielmehr den Akzent auf positive Massnahmen (Information, Sensibilisierung, Anreize) setzen statt auf repressive.

8.2.4

Behörden mit Untersuchungs- und Durchsetzungskompetenzen

Die Befragungen haben klar ergeben, dass die Angst vor Kündigung und Exponierung das grösste Hindernis für die Geltendmachung einer Diskriminierung ist. Die Arbeitsgemeinschaft empfiehlt deshalb, dass staatliche Behörden mit Untersuchungs- und Durchsetzungskompetenzen ausgestattet werden. In einigen, insbesondere angelsächsischen Ländern mit liberaler Tradition gibt es bereits gute Erfahrungen mit solchen Behörden (vgl. Ziff. 7). Eine derart ausgestattete Behörde ist im Übrigen auch im schweizerischen System nicht unbekannt (vgl. beispielsweise den Eidgenössischen Datenschutzbeauftragten).

Das Gleichstellungsgesetz überlässt die Initiative, gegen Diskriminierungen vorzugehen, den einzelnen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern. Ob ein Unternehmen auf Grund eines Gerichtsentscheids sanktioniert wird, hängt demnach von der Toleranzschwelle und der Handlungsmöglichkeit der betroffenen Person ab. Die Kontrolle der Unternehmen ist somit von zufälligen Umständen abhängig. Zudem stellen Diskriminierungen, insbesondere Lohndiskriminierungen, relativ komplexe Probleme dar, was für die Unternehmen eine Quelle der Unsicherheit bedeuten kann, da diese nicht immer genau bewerten können, ob ihr Verhalten als diskriminierend beurteilt würde. Für die Unternehmen besteht dadurch eine gewisse Unvorhersehbarkeit. Hat ein Unternehmen hingegen das «Pech», für sein diskriminierendes Verhalten bestraft zu werden, hat dies finanzielle Folgen und kann sich auch negativ auf das Image des Unternehmens auswirken. Die Schaffung von Behörden, die mit Untersuchungs- und Durchsetzungskompetenzen ausgestattet sind, würde eine systematischere Kontrolle ermöglichen und die Unternehmen könnten vorhandene Diskriminierungsprobleme lösen, bevor es zu Sanktionen käme. So haben im Vereinigten Königreich die Unternehmen demnächst die Möglichkeit, mit der Commission for Equality and Human Rights (welche die heutige Equal Opportunities Commission ersetzen wird) zusammenzuarbeiten und mit ihr eine Vereinbarung abzuschliessen, auf Grund welcher sie sich verpflichten, einen zeitlich gestaffelten Aktionsplan vorzulegen, anstatt auf Befehl reagieren zu müssen.

3191

Die Schaffung einer solchen Behörde in der Schweiz würde eine Überprüfung des heutigen Systems und insbesondere der Rolle des Eidgenössischen Büros für die Gleichstellung von Frau und Mann bedingen. Es bestünde die Möglichkeit, mit den Unternehmen eine Partnerschaft zu entwickeln, indem zum Beispiel die Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber in diesen Behörden ebenfalls vertreten sein könnten und auf diese Weise das Know-how der Wirtschaft einfliessen könnte. Zusätzliche Kosten wären voraussichtlich unvermeidbar. Nach Ansicht des Bundesrates ist die Schaffung solcher Behörden in der Schweiz derzeit politisch nicht opportun, weil ein Ausbau der Verwaltung und zusätzliche Kosten den Sparbemühungen im Bund und in der Bundesverwaltung zuwiderlaufen würden. Der Bundesrat ist jedoch bereit, die Vor- und Nachteile verschiedener Modelle vertieft zu prüfen und dabei die Erfahrungen des Auslands und der Schweiz mit solchen Massnahmen sowie die Situation der Unternehmen zu berücksichtigen.

8.2.5

Information, Sensibilisierung und Weiterbildung

Die Untersuchungen haben gezeigt, dass das Gleichstellungsgesetz insbesondere bei den Arbeitnehmenden, aber auch bei den Arbeitgeberinnen und Arbeitgebern, den Anwältinnen und Anwälten sowie den Gerichten noch zu wenig bekannt ist. Aus diesem Grunde schlägt die Arbeitsgemeinschaft vor, zielgruppenspezifische Informations- und Sensibilisierungskampagnen durchzuführen.

Der Bundesrat hält die Information und Sensibilisierung im Bereich der Gleichstellung von Frau und Mann für wichtig. Das Eidgenössische Büro für die Gleichstellung von Frau und Mann (EBG) hat die gesetzliche Aufgabe, die Öffentlichkeit zu informieren. Angesichts der Bedeutung der Gleichstellung im Erwerbsleben hat das EBG diese zum Schwerpunkt seiner Arbeit gemacht. Die wichtigen Zielgruppen wie Personalverantwortliche, Vorgesetzte, Arbeitnehmende und Beratende werden regelmässig informiert und sensibilisiert mit Tagungen, Studien, Broschüren und Leitfäden insbesondere zu den Themen Lohngleichheit, diskriminierungsfreie Mitarbeiterbeurteilung bei Leistungslohn, sexuelle Belästigung und Vereinbarkeit von Erwerbsarbeit und Familie. Zudem wurden mit Finanzhilfen nach dem Gleichstellungsgesetz (gestützt auf Art. 14 und 15 GlG) mehrere Projekte von externen Gesuchstellenden unterstützt, die das Gleichstellungsgesetz unterschiedlichen Zielgruppen in geeigneter Form bekannt machen23. Im Jahr 2005 hat das EBG zudem das Impulsprogramm zur Durchsetzung des Gleichstellungsgesetzes im Bereich der sexuellen Belästigung lanciert. Dieses dauert 3 Jahre und richtet sich an kleinere und mittlere Unternehmen. Für das Jahr 2007 ist dafür eine enge Zusammenarbeit mit dem Staatssekretariat für Wirtschaft (seco) geplant. Im Jahr 2006 wird das EBG zudem für ein juristisches Fachpublikum eine Informationsbroschüre zur Problematik der Gutachten in Lohnklagen herausgeben. Und dem breiten Publikum wird in einem Faltblatt eine Übersicht der Wirkungsfelder des Gleichstellungsgesetzes geboten. In Zusammenarbeit mit der Schweizerischen Konferenz der Gleichstellungsbeauftragten und der Universität St. Gallen ist sodann eine juristische Tagung geplant, in welcher die bisherigen Knackpunkte des Gesetzes zur Sprache kommen sollen. Bei der Vergabe der Fördermittel könnte der Akzent noch vermehrt auf eine gezielte Information und Sensibilisierung zum Gleichstellungsgesetz, insbesondere 23

Projektdatenbank: www.topbox.ch

3192

auch bei den Finanzhilfen, gelegt werden. Aber auch an den Universitäten, in Anwaltskreisen und an den Gerichten sollten regelmässig Weiterbildungsveranstaltungen im Bereich der Gleichstellungsproblematik stattfinden.

Schliesslich gilt es auch das Bewusstsein der Unternehmen dahingehend zu stärken, dass die Förderung von Frauen den Pool an qualifizierten Arbeitskräften vergrössert.

Dies gilt insbesondere auch im Hinblick auf die Überalterung der Gesellschaft24. Die Überalterung der Bevölkerung wird den Druck auf den Arbeitsmarkt verstärken und negative Konsequenzen auf den Lebensstandard und die öffentlichen Finanzen mit sich bringen. Eine Steigerung der Partizipation der Frauen am Erwerbsleben könnte zur Lösung dieser Probleme massgeblich beitragen. Die Unternehmen können mit der Verwirklichung der Chancengleichheit auch mehr von der Ausbildung der Frauen, in die sie investiert haben, profitieren. Zudem sparen sie, weil Diskriminierungen im Endeffekt Kosten verursachen (Lohnnachzahlungspflicht, Zeitaufwand, Imageverlust usw.)25. Gesamthaft kann deshalb davon ausgegangen werden, dass eine gezielte Berücksichtigung von Frauen im Erwerbsleben aus ökonomischer Sicht im Interesse der Unternehmen liegt26.

8.2.6

Lohntransparenz, Beweislasterleichterung und Expertisen

Um die Schwierigkeiten beim Nachweis einer vermuteten Diskriminierung zu beseitigen, schlägt die Arbeitsgemeinschaft vor, die Löhne transparent zu machen und die Unternehmen dazu zu verpflichten, wichtige Daten bereits in einem früheren Stadium, beispielsweise in einem Schlichtungsverfahren, offen zu legen. Gleichzeitig sollen die Regeln für die Erstellung von Expertisen vereinheitlicht, die Beweislasterleichterung konsequenter angewendet und auf alle Diskriminierungsarten ausgedehnt werden.

Der Bundesrat hält die Transparenz der Löhne im Zusammenhang mit der Lohngleichheit für wichtig. Die Durchsetzung der Lohntransparenz bei den Arbeitnehmenden ist jedoch vorab die Aufgabe der Sozialpartner und der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Im Rahmen der Vereinheitlichung des Zivilprozessrechts soll dem Parlament aber auch vorgeschlagen werden, dass die Schlichtungsstellen Beweis führen und damit beispielsweise auch die Herausgabe der Lohnbuchhaltung verlangen können.

Der Bundesrat sieht keine Möglichkeit für eine Ausdehnung der Beweislasterleichterung auf die Tatbestände der Anstellung und der sexuellen Belästigung. Das Parlament hatte damals bei der Beratung des Gleichstellungsgesetzes die Anstellung und die sexuelle Belästigung explizit vom Anwendungsbereich der Beweislasterleichterung ausgeschlossen. Es befürchtete, dass die Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber zu grosse Schwierigkeiten hätten, in diesen Fällen eine Nichtdiskriminierung zu bewei24

25 26

Vgl. auch OECD Economic Studies, Nr. 37, 2003/2, S. 51 ff.: «Labour Force Participation of Women: Empirical Evidence on the Role of Policy and other Determinants in OECD Countries».

«Discrimination costs. Equality pays.» Vgl. Studie der Equal Opportunities Commission vom Oktober 2004: Britain's competitive edge: women ­ Unlocking the potential.

Vgl. auch die Studie «Familienfreundliche Unternehmenspolitik ­ Eine Kosten-NutzenAnalyse für die Wirtschaftsregion Basel», Prognos AG, Hrsg.: Gleichstellungsbüro Basel-Stadt, Basel, Oktober 2005.

3193

sen. Diese Befürchtung besteht heute nach wie vor, insbesondere im Bereich der sexuellen Belästigung.

Hinsichtlich der Art und Weise, wie Lohnexpertisen zu verfassen sind, gibt es unterschiedliche Ansichten. Dies führte in vielen Fällen zu Zweitgutachten und liess zusätzliche Kosten entstehen, die zu Lasten der Staatskasse gingen. Die Gerichtsverfahren wurden damit in die Länge gezogen. Deshalb erachtet es der Bundesrat als sinnvoll, wenn das Eidgenössische Büro für die Gleichstellung von Frau und Mann die Erarbeitung von Empfehlungen für die Erstellung von Lohngutachten in Zusammenarbeit mit Vertreterinnen und Vertretern aus Wissenschaft, Gerichten und Anwaltschaft initiiert. Diese Massnahme könnte dazu beitragen, dass die Vorgehensweise verbessert würde, ohne die Unabhängigkeit der Expertinnen und Experten einzuschränken.

8.2.7

Anreize

Die Untersuchungen haben ergeben, dass die Mehrheit der Unternehmen bisher keine speziellen Massnahmen zur Förderung der Gleichstellung ergriffen hat. Die Arbeitsgemeinschaft schlägt deshalb vor, Anreize oder ein eigentliches Gleichstellungslabel zu schaffen sowie die Kontrollen bei Submissionen zu verstärken.

8.2.7.1

Finanzhilfen nach Gleichstellungsgesetz

Die Evaluation zeigt, dass die Mehrheit der Betriebe bisher keine Gleichstellungsmassnahmen getroffen hat. Die Gewährung von Subventionen kann einen finanziellen Anreiz für die Realisierung solcher Massnahmen schaffen. Das Gleichstellungsgesetz sieht vor, dass der Bund öffentlichen oder privaten Institutionen, die Programme zur Förderung der Gleichstellung von Frau und Mann im Erwerbsleben durchführen, Finanzhilfen gewähren kann (Art. 14 GlG). Die direkte Finanzierung von betriebseigenen Förderungsprogrammen durch Finanzhilfen nach Gleichstellungsgesetz wurde in der Botschaft explizit ausgeschlossen27. Es wurde insbesondere eine Wettbewerbsverzerrung befürchtet. Deshalb wurde verlangt, dass Projekte, die in Unternehmen umgesetzt werden sollen, immer in enger Zusammenarbeit mit einer aussenstehenden Organisation (meist Gewerkschaft oder Berufsverband), welche die Verantwortung dafür trägt, geführt werden. Diese Haltung hatte zur Folge, dass mit Finanzhilfen nur wenige Chancengleichheitsprogramme in Unternehmen unterstützt wurden. Betriebsinterne Projekte haben aber den Vorteil, dass sie unmittelbare Wirkung auf die Gleichstellung zeigen und einen engen Bezug zur Praxis haben. Deshalb würde es der Bundesrat begrüssen, wenn in Zukunft zeitlich limitierte betriebsinterne Projekte vermehrt unterstützt werden könnten. Allfällige für eine solche Praxisänderung notwendige Massnahmen sollten in naher Zukunft in Angriff genommen werden. Diese Praxisänderung würde keine Mehrkosten verursachen, sondern wäre mit dem vom Parlament jeweils gesprochenen Betrag für Finanzhilfen gedeckt. Den Bedenken betreffend allfälligen Wettbewerbsverzerrungen könnte anderweitig Rechnung getragen werden: beispielsweise mit einer gezielten Ausschreibung der Chancengleichheitsprogramme, die zu unterstützen der Bund 27

BBl 1993 I 1314

3194

bereit wäre, damit eine faire Konkurrenz unter den Betrieben entsteht. Auch die schon heute geltende Verpflichtung für alle, die Finanzhilfen erhalten, die in unterstützten Projekten gewonnenen Erkenntnisse und erarbeiteten Instrumente der Öffentlichkeit und damit auch anderen Unternehmen zur Verfügung zu stellen, machen den ursprünglichen Vorteil wett und wirken den erwähnten Befürchtungen entgegen.

8.2.7.2

Gleichstellungslabel

Anreize können ein geeignetes Mittel sein, um Unternehmen zu motivieren, in einer gewünschten Richtung Massnahmen zu treffen. Speziell könnte die Einführung eines Zertifizierungssystems und die Schaffung eines Gleichstellungslabels bei Erfüllung bestimmter Qualitätsstandards geprüft werden (vgl. Rechtsvergleich, Ziff. 7). Die Zertifizierung schafft mit positiven Anreizen statt mit Vorschriften oder Verboten. Mit dem Gleichstellungslabel hätten Unternehmen eine stärkere Stellung, um qualifizierte Frauen zu rekrutieren, die sie dank fairer Arbeitsbedingungen und interessanten Entwicklungsmöglichkeiten motivieren und an sich binden könnten.

Ein standardisiertes Qualitätsmanagement im Bereich der Gleichstellung im Erwerbsleben gibt es heute noch nicht. Das Eidgenössische Büro für die Gleichstellung von Frau und Mann unterstützt aktuell im Rahmen der Finanzhilfen nach dem Gleichstellungsgesetz (Art. 14 GlG) zwei Initiativen, die in diese Richtung gehen: Eine Machbarkeitsstudie über die Einführung eines Gleichstellungslabels für Unternehmen (Projekt «Total E-Quality CH Label») und ein Vorprojekt über die Einführung eines Zertifizierungsprozesses für Unternehmen zum Nachweisen der Lohngleichheit (Projekt «equal-salary»).

Interessant ist auch die Initiative des Kaufmännischen Verbandes der Schweiz, der 2005 bereits zum zweiten Mal den «Prix Egalité» an private und öffentlichrechtliche Unternehmen verlieh, deren Gleichstellungspolitik durch eine unabhängige Jury aus Personalverantwortlichen, Mitgliedern von Unternehmensführungen, Organisationsberatungsfirmen, Hochschulen und Gleichstellungsbüros als besonders fortschrittlich, innovativ und im Ergebnis effektiv ausgezeichnet wurde. Mit dem «Prix Egalité» sollen nachhaltige Veränderungen honoriert werden, indem darauf geachtet wird, dass die betriebliche Gleichstellungspolitik nicht ausschliesslich von bestimmten Personen abhängt, deren Weggang das Erreichte wieder in Frage stellt.

Die Unternehmen könnten durch ein Zertifizierungsverfahren eventuell auch dazu veranlasst werden, strukturelle Massnahmen zu ergreifen und beispielsweise ihre Lohnskala zu überprüfen und damit allfällige Lohndiskriminierungen bereits vor einem eventuellen Gerichtsurteil zu korrigieren. Eine solche Zertifizierung könnte beispielsweise auch im Zusammenhang mit dem öffentlichen
Beschaffungswesen von grossem Interesse sein (vgl. Ziff. 8.2.7.3).

Der Bundesrat ist bereit, in Zusammenarbeit mit den Sozialpartnern zu untersuchen, ob Anreize, wie beispielsweise ein Label für Unternehmen, welche die Förderung der Gleichstellung vorantreiben, praktikabel sind. Es wäre auch vorstellbar, dass solche Anreize nicht nur in Bezug auf das Kriterium des Geschlechts entwickelt würden, sondern auch für andere Diskriminierungsmerkmale, wie die Herkunft oder das Alter, um die Verschiedenartigkeit (Diversity) in den Unternehmen zu fördern.

3195

8.2.7.3

Öffentliches Beschaffungswesen

Das Bundesgesetz vom 16. Dezember 1994 über das öffentliche Beschaffungswesen (BoeB, SR 172.056.1) verpflichtet Unternehmen, die öffentliche Aufträge erhalten, den Grundsatz der Lohngleichheit zwischen Frau und Mann zu gewährleisten. Mit einer Selbstdeklaration und durch Unterzeichnung der allgemeinen Geschäftsbedingungen des Bundes erklären Anbieterinnen und Anbieter, dass sie den Grundsatz der Lohngleichheit einhalten. Bisher konnten die Unternehmen mangels eines geeigneten Instrumentariums und eines adäquaten Verfahrens jedoch nicht kontrolliert werden. Seit 2004 liegt ein vom Eidgenössischen Büro für die Gleichstellung von Frau und Mann (EBG) zusammen mit der Beschaffungskommission des Bundes entwickeltes Lohnprüfungsinstrument vor. Dieses hat sich in einer Pilotphase als praxistauglich erwiesen. Interessierten Unternehmen wird das EBG ein Selbsttestinstrument zur Verfügung stellen. Im Rahmen der geplanten Revision des Beschaffungsrechts28 sollen nun auch die Grundlagen für einen effizienteren Vollzug des Grundsatzes der Lohngleichheit geschaffen werden.

8.2.8

Gesetzliche Pflicht für die Unternehmen zur Ergreifung von Förderungsmassnahmen

Eine gesetzliche Pflicht der Unternehmen zur Förderung der Gleichstellung hält der Bundesrat nicht für sinnvoll. Die Durchsetzung einer solchen Verpflichtung wäre sehr schwierig. Für die Kontrolle wäre zusätzliches Personal erforderlich (vgl.

hierzu Ziff. 8.2.4). Deshalb setzt der Bundesrat vielmehr auf freiwillige Massnahmen.

8.2.9

Bessere Nutzung des Potenzials der Schlichtungsstellen

Die zahlreichen kantonalen Unterschiede hinsichtlich der Organisation und der Ausgestaltung der Aufgaben der Schlichtungsstellen sind einer effizienten Wahrnehmung der Beratungs- und Vermittlungsfunktion der Schlichtungsstellen abträglich.

Geeignete Rahmenbedingungen in institutioneller und verfahrenstechnischer Hinsicht sind deshalb auch nach Ansicht des Bundesrates wünschbar.

Im Zusammenhang mit der Vereinheitlichung des Zivilprozessrechts (Botschaft voraussichtlich in der ersten Hälfte 2006) soll auch das Schlichtungsverfahren gesamtschweizerisch geregelt werden. Der Vorentwurf der Schweizerischen Zivilprozessordnung sieht für Streitigkeiten nach Gleichstellungsgesetz ein fakultatives und kostenloses Schlichtungsverfahren vor. Die Schlichtungsbehörden sollen nach wie vor durch das kantonale Recht geregelt werden. In organisatorischer Hinsicht soll jedoch von Bundesrechts wegen vorgeschrieben werden, dass die Schlichtungsbehörde nach Gleichstellungsgesetz paritätisch durch eine gleichmässige Vertretung von Arbeitgeber- und Arbeitnehmerseite, des öffentlichen und privaten Bereichs sowie von Frauen und Männern zusammengesetzt werden soll. In Bezug auf die Aufgaben sieht der Vorentwurf vor, dass die Schlichtungsbehörde neben der Ver28

Das Vernehmlassungsverfahren ist für das erste Quartal 2006 geplant. Mehr dazu unter www.beschaffung.admin.ch

3196

mittlung in Gleichstellungsfällen auch eine Beratungsfunktion hat. Bei Schlichtungen nach Gleichstellungsgesetz wird sodann ein Schriftenwechsel vorgesehen. In den Schlichtungsverhandlungen sollen allfällige Urkunden vorgelegt, Augenscheine durchgeführt und übrige Beweismittel beigebracht werden können. Damit sollen die Schlichtungsstellen neu die Möglichkeit erhalten, sich von den Arbeitgeberinnen und Arbeitgebern Lohn- und Personendaten herausgeben zu lassen (vgl. Ziff. 8.2.6).

Artikel 11 des Gleichstellungsgesetzes über das Schlichtungsverfahren soll mit der neuen Schweizerischen Zivilprozessordnung aufgehoben werden.

Die Vereinheitlichung des Zivilprozessrechts nimmt einige wichtige Anliegen, die im Rahmen der Befragung der Schlichtungsbehörden und der Untersuchung der Schlichtungsfälle sichtbar geworden sind, auf. In Bezug auf die Schlichtungsstellen bleibt damit im Gleichstellungsgesetz kaum mehr gesetzgeberischer Spielraum übrig.

Allerdings bleibt den Kantonen nach wie vor die Möglichkeit, das Schlichtungsverfahren auch für öffentlich-rechtliche Arbeitsverhältnisse vorzusehen und die Schlichtungsbehörden zu verpflichten, die Öffentlichkeit über ihr Angebot zu informieren. In zahlreichen Kantonen ist dies bereits geschehen. Zudem könnten sie ihren Schlichtungsbehörden die Kompetenz erteilen, auch in Mischkonflikten, d.h. in Konflikten, die sowohl das Gleichstellungsgesetz als auch das Obligationenrecht betreffen, zu schlichten.

Auf Bundesebene wurde gestützt auf die Motion Hubmann (98.3463) vom 8. Oktober 1998 auch für Bundesangestellte ein Schlichtungsverfahren gemäss Gleichstellungsgesetz geschaffen29. Die neue Schlichtungskommission Bund ist doppelt paritätisch zusammengesetzt (Arbeitgeberseite/Arbeitnehmerseite, Frauen/Männer).

8.3

Übersicht über die vom Bundesrat vorgeschlagenen Massnahmen

Der Bundesrat sorgt dafür,

29

­

dass der Akzent noch vermehrt auf eine gezielte Information und Sensibilisierung zum Gleichstellungsgesetz, insbesondere auch bei den Finanzhilfen, gelegt wird;

­

dass auch die Universitäten, die Anwaltschaft und die Gerichte eingeladen werden, die fachliche Information und Weiterbildung in Bezug auf das Gleichstellungsgesetz zu fördern;

­

dass die Erarbeitung von Empfehlungen für die Erstellung von Gutachten in Zusammenarbeit mit Vertreterinnen und Vertretern aus Wissenschaft, Gerichten und Anwaltschaft initiiert wird, damit die Gerichtsverfahren im Bereich der Lohngleichheit rationalisiert werden können;

­

dass in Zusammenarbeit mit den Sozialpartnern geprüft wird, ob Anreize, wie beispielsweise ein Label für Unternehmen, welche die Förderung der Gleichstellung vorantreiben, praktikabel sind;

Änderung vom 8. Oktober 2004 des Gleichstellungsgesetzes (Art. 13 Abs. 3 GlG), BBl 2004 5451; AS 2005 1023.

3197

­

dass im Rahmen der Revision des Bundesgesetzes über das öffentliche Beschaffungswesen das Verfahren definiert wird, um die Einhaltung der gesetzlichen Vorgaben überprüfen zu können;

­

dass im Rahmen der Vereinheitlichung des Zivilprozessrechts vorgeschlagen wird, den Schlichtungsstellen die Möglichkeit einzuräumen, sich Urkunden vorlegen und einen Augenschein durchführen zu lassen, und dass diese in Angelegenheiten nach Gleichstellungsgesetz auch die übrigen Beweismittel abnehmen können, wenn dies das Verfahren nicht wesentlich verzögert;

­

dass bei der nächsten Gelegenheit die für eine Praxisänderung bei den Finanzhilfen nach Gleichstellungsgesetz notwendigen Massnahmen getroffen werden;

­

dass die Vor- und Nachteile verschiedener Modelle von Behörden mit Untersuchungs- und Durchsetzungskompetenzen vertiefter geprüft werden und dabei die Erfahrungen des Auslands und der Schweiz mit solchen Massnahmen sowie die Situation der Unternehmen berücksichtigt werden.

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