1022

# S T #

Zu 6631

II. Bericht des

Bundesrates an die Bundesversammlung über Begnadigungsgesuche (Jünisession 1954) (Vom 9. Juni 1954)

Herr Präsident !

Hochgeehrte Herren!

Wir beehren uns, Ihnen unter Vorlage der Akten über ein weiteres Begnadigungsgesuch Bericht zu erstatten und über die Erledigung Antrag zu stellen.

44. Martin Zogg, 1919, Photoreporter, zur Zeit im Kriminalgefängnis St. Gallen, verurteilt durch Strafverfügungen des Eidgenössischen Finanz- und Zolldepartementes vom 27. August 1947 und 4. September 1947 wegen Ausfuhrbannbruchs, bzw. Zollübertretung in -Verbindung mit Bannbruch und Hinterziehung der Warenumsatzsteuer zu Bussen von 6320 und 10 910 Franken; ferner durch Strafverfügungen der Oberzolldirektion vom 5. November 1948 und 28. April 1949 wegen Zollhehlerei, bzw. wegen Ausfuhrbannbruchs zu Bussen von 1620 und 1655 Franken. Dem bereits rückfälligen Verurteilten konnte kein Nachlass gewährt werden. An die vier Bussen hat Zogg zunächst in Teilzahlungen 420 Franken bezahlt, hat sich aber dann um die Tilgung seiner Schuld nicht mehr gekümmert. Dem Umwandlungsbegehren der Vollzugsbehörde wurde entsprochen und die Umwandlung der Bussenln viermal 90 Tage Haft von der Strafkammer des Kantonsgerichts des Kantons St. Gallen bestätigt. Zogg hat die Haftstrafen erstmals am 6. September 1951 angetreten, floh jedoch bereits nach Verbüssung von 14 Tagen, anlässlich der Überführung ins Krankenhaus, über die 'Grenze nach Österreich. Die österreichischen Behörden sollen gegen ihn ein Strafverfahren wegen früher begangener Devisenverfehlungen eingeleitet haben. Inzwischen erging schweizerischerseits ein Auslieferungsbegehren gegen Zogg wegen gemeinrechtlicher Vergehen. Die öster-

1023 reichischen Behörden haben Zogg jedoch ausserhalb des Auslieferungsverfahrens weggewiesen und nach der Schweiz übergestellt. Am 11. Februar 1954 wurde Zogg zur Verbüssung der sich noch auf 346 Tage belaufenden1 Haftstrafe in das Kriminalgefängnis St. Gallen eingeliefert, wo er sich heute noch befindet.

Für den Verurteilten ersucht ein Bechtsanwalt uni Begnadigung. In der Gesuchsbegründung wird zunächst Kritik geübt an den gegen Zogg anlässlich seiner Aufenthalte in Italien und Österreich wegen gemeinrechtlicher Vergehen durchgeführten Ausheferungsverfahren. Er habe in Mailand und Feldkirch insgesamt 268 Tage Auslieferungshaft erstanden! Ferner wird auf die Nachteile hingewiesen, die der Haftvollzug für die vier Kinder zählende Familie des Verurteilten mit sich bringe. Zogg, so wird weiter ausgeführt, habe sich durch die hinter ihm liegenden schweren Erlebnisse völlig gewandelt. Es sei mit Sicherheit zu erwarten, dass er inskünftig ein redliches Leben im Kreise seiner Familie führen werde. Auch über das Verhalten in der Strafhaft lägen gute Berichte vor. Endlich wird festgestellt, Zogg sei, entgegen den Ausführungen im Urteil der Strafkammer des Kantonsgerichts St. Gallen, im Ausland bisher nie verurteilt worden.

Im Gesuch des Martin Zogg werden keine für die Gewährung eines Gnadenaktes zwingenden Gründe angeführt. Was zunächst die Auslieferungsfrage anbetrifft, so steht diese mit den Zollstrafen in keinem Zusammenhang. Dass Zogg von den österreichischen Behörden nicht ausgeliefert, sondern polizeilich ausgeschafft worden ist, hat die Strafkammer des Kantonsgerichts St. Gallen einlässlich dargelegt. Der Vollzug der viermal 90 Tage Umwaiidlungshaft für die eingangs aufgeführten Zollbussen lässt sich darnach nicht beanstanden, und es besteht deshalb gar kein Anlass, im Gnadenweg die ini Ausland verbrachte Auslieferungshaft an die Umwandlungstrafe irgendwie anzurechnen. Der mit der Auslieferung verbundene Freiheitsentzug wird vielmehr durch den Eichter bèi der Strafzumessung zu berücksichtigen sein. - Wenn die Familie des Verurteilten unter dem Hàftvollzug leidet, so hat dieser sich das in erster Linie selbst zuzuschreiben. Er hätte eben vorher daran denken und sein Verhalten danach richten müssen. Im übrigen handelt es sich hier um Folgen, die mit dem Vollzug fast jeder Freiheitsstrafe gegenüber
Familienvätern verbunden sein dürften und die, sollten sie jeweils im Gnadenweg berücksichtigt werden, zu ganz unmöglichen Zuständen führen müssten. Der gute Führungsbericht der. Strafanstalt und die guten Vorsätze bilden ebenso keine Kommiserationsgründe, sondern wirken sich lediglich bei der Beurteilung der Würdigkeit des Gesuchstellers aus.

.

Was die Begnadigungswürdigkeit anbetrifft, so fällt zunächst der während Jahren fehlende Sühnewille nachteilig in Betracht. Seit seiner Verurteilung hat der Verurteilte lediglich 420 Franken an die vier Bussen bezahlt. Wenn im Gesuch durch Beilage eines Handschreibens dargetan werden will, Zogg habe der Zollkreisdirektion Chur im Januar 1950 von Italien aus die Tilgung seiner Bussenschuld aus einem ansehnlichen Schillingguthaben anerboten, so ist dem

1024 Mitbericht der Oberzolldirektion zu entnehmen, dass besagtes Schreiben nie in den Besitz der Zollbehörden gelangt ist. Als, Zogg die Umwandlungsstrafe verbüssen sollte, floh er unter Missbrauch des ihm entgegengebrachten Vertrauens ins Ausland. Die Art der Gesuchsbegründung lässt auch heute noch erkennen, dass der Verurteilte die Haftstrafe offenbar nicht aus innerer Überzeugung, als Sühne für seine Verfehlungen verbüsst. Die Kritik an den österreichischen Behörden wegen der Umgehung des Auslieferungsrechtes weist darauf hin, dass es Zogg vorgezogen hätte, im Ausland die Verjährung dieser Umwandlungshaft abzuwarten. Es darf endlich auch nicht übersehen werden, dass Zogg seinerzeit aus dem Schmuggel ein eigentliches Gewerbe gemacht hat und dass er gemeinrechtlich vorbestraft ist. Nach dem bei den Akten liegenden Erhebungsbericht der Zollkreisdirektion Ohur ist überdies ein weiteres umfangreiches Strafverfahren betreffend Vermögensdelikte im Gang. Angesichts dieser Umstände lässt sich die Begnadigungswürdigkeit nicht bejahen. Wenn wir trotzdem ein teilweises Entgegenkommen befürworten, so erfolgt dies aus den gleichen Erwägungen, die in einem ganz ähnlich gelagerten Fall in der Wintersession 1953 von der Vereinigten Bundesversammlung gebilligt wurden. Im Antrag zu jenem Gesuch haben wir u. a. ausgeführt: «Es ist ohne weiteres zuzugeben, dass 590 Tage Umwandlungshaft eine ganz erhebliche Strafe darstellen. S. muss sich aber an die hemmungslose Tatbegehung erinnern, die zu nicht weniger als 10 Strafverfügungen führte. Er muss sich ferner daran erinnern, dass er sich nicht etwa bemüht hat, seinen aus diesen Urteilen entstandenen Pflichten auch nur teilweise und soweit in seiner Macht stehend nachzukommen, sondern dass erErau und Kinder im Stich gelassen hat und ins Ausland geflüchtet ist. Der Auslandsaufenthalt brachte nichts ein als eine neue gemeinrechtliche Strafe. Wir erachten unter den gegebenen Umständen S. eines Gnadenaktes nicht als würdig. Dagegen muss man sich fragen, ob angesichts der langen Dauer dieser Haftstrafe nicht die Bestimmungen über die bedingte Entlassung zur analogen Anwendung gelangen sollen. Würde es sich bei den 590 Tagen um eine Gefängnisstrafe handeln, so wäre dem Gesuchsteller bei der Beurteilung, die seine Führung durch die Vollzugsbehörde bisher erfährt, die bedingte
Entlassung nach Verbüssung von zwei Dritteln der Strafe sicher.» (Vgl. Bericht des Bundesrates vom 10. November 1953; BB1 III, 627.)

Der Bundesrat hat auf Grund der oben wiedergegebenen Erwägungen und unter Hinweis auf ein weiteres Präjudiz im Falle S. die Gewährung der bedingten Entlassung mit einer Probezeit von 4 Jahren beantragt. Begnadigungskommission und Vereinigte Bundesversammlung folgten dieser Würdigung. Im ähnlich gelagerten Fall Zogg lässt es sich angesichts des guten Führungsberichtes rechtfertigen, in gleicher Weise vorzugehen. Wir beantragen deshalb, es sei Martin Zogg nach Verbüssung von zwei Dritteln der ihm insgesamt auferlegten Haftstrafe von 360 Tagen, somit am 27. September 1954 bedingt zu entlassen, unter Auferlegung einer Probezeit von 4 Jahren und unter der

1025 Voraussetzung, dass er in jenem Zeitpunkt nach A u f f a s s u n g des Eidgenössischen Justiz- und Polizeidepartementes die Bedingungen, die Artikel 38 S t G B an die bedingte Entlassung k n ü p f t , erfüllt.

Genehmigen Sie, Herr Präsident, hochgeehrte Herren, die Versicherung unserer vollkommenen Hochachtung.

Bern, den 9. Juni 1954.

Im Namen des Schweizerischen Bundesrates, Der B u n d e s p r ä s i d e n t : Rabatte!

1657

Der Bundeskanzler: Ch. Oser

Schweizerisches Bundesarchiv, Digitale Amtsdruckschriften Archives fédérales suisses, Publications officielles numérisées Archivio federale svizzero, Pubblicazioni ufficiali digitali

II. Bericht des Bundesrates an die Bundesversammlung über Begnadigungsgesuche (Junisession 1954) (Vom 9. Juni 1954)

In

Bundesblatt

Dans

Feuille fédérale

In

Foglio federale

Jahr

1954

Année Anno Band

1

Volume Volume Heft

24

Cahier Numero Geschäftsnummer

6631

Numéro d'affaire Numero dell'oggetto Datum

17.06.1954

Date Data Seite

1022-1025

Page Pagina Ref. No

10 038 669

Das Dokument wurde durch das Schweizerische Bundesarchiv digitalisiert.

Le document a été digitalisé par les. Archives Fédérales Suisses.

Il documento è stato digitalizzato dell'Archivio federale svizzero.