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Bundeâblatl 106. Jahrgang

Bern, den 15. Juli 1954

Bandii

Erscheint wöchentlich. Preis SO Franken im Jahr, Iß Franken im Halbjahr zuzüglich Nachnahme- und, Poiibestellungsgebühr EinrückungSgebühr: 50 Eappen die Petitzeile oder deren Kaum. -- Inserate franko an StämpfK & Oie, in Bern

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Botschaft des

Bundesrates an die Bundesversammlung zum Beschlussesentwurf über die Genehmigung des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchdinge vom 28. Juli 1951 (Vom 9. Juli 1954) Herr Präsident!

Hochgeehrte Herren!

Die Erfahrungen der letzten Jahre haben gezeigt, dass das Flüchtlingsproblem im Ausland ohne organisierte internationale Hilfe auf breiter Basis nicht gelöst werden kann. Die dafür notwendigen gewaltigen Mittel verlangen die solidarische Mithilfe aller Staaten, die zur Hilfeleistung bereit sind. Die Schweiz hat sich der Verpflichtung zur Mithilfe nie entzogen und nach Kräften zur Linderung der materiellen Not der Flüchtlinge beigesteuert.

Materielle Unterstützung genügt indessen nicht zu einer Lösung des Flüchtlingsproblems, und sie sollte in der Eegel auch nur vorübergehenden Charakter haben. Aufbauende Hilfe muss dem Flüchtling ermöglichen, irgendwo wiederum festen FUSS zu fassen, im Bahmen einer vernünftigen Ordnung sein Leben selber zu gestalten. Deshalb ist eine angemessene Begelung seiner Bechte und Pflichten im Aufenthaltsstaat von ausschlaggebender Bedeutung.

In erster Linie ist es Sache des Asyllandes, die Bedingungen für den Aufenthalt der Flüchtlinge festzulegen. Gleich wie es frei darüber entscheidet, ob es einem verfolgten Ausländer Asyl gewähren will oder nicht, kann es auch die Bedingungen festlegen, unter denen es den anbegehrten Schutz gewährt.

Die Bechtsstellung der Flüchtlinge in den verschiedenen Staaten war bis jetzt abhängig von der grundsätzlichen Einstellung, aber auch ebenso sehr von der wirtschaftlichen Lage und der bestehenden Bechtsordnung. Allerdings sind oft auch liberale: Staaten, die den Flüchtlingen wohlwollen, eher zurückhaltend in der gesetzlichen Fixierung der den Flüchtlingen zustehenden Buchte. Vielerorts fehlen überhaupt Bestimmungen, die sich im besonderen auf Flüchtlinge beziehen. Es besteht zweifellos ein allgemeines Bedürfnis nach positiven Vorschriften, die die Bechtsstellung des Flüchtlings umschreiben.

Bundesblatt. 106. Jahrg. Bd. II.

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Eine befriedigende Regelung erfordert internationale Vereinbarungen, durch die sich die Staaten verpflichten, den Flüchtlingen gewisse Minimalrechte einzuräumen. Eine grundsätzlich verschiedene Behandlung der Flüchtlinge in den verschiedenen Staaten kann zu einer unverhältnismässig grossen Belastung desjenigen Staates führen, der besonders aufgeschlossen ist, und verhindert eine gleichmässige Verteilung auf verschiedene Staaten. Im übrigen wird für die Flüchtlinge der Anreiz geringer sein, von einem Land, in dem sie hätten bleiben dürfen, in ein anderes zu wechseln, wenn ihre Eechtsstellung überall ungefähr gleich ist.

Die Bestrebungen, die Eechtsstellung der Flüchtlinge durch internationale Vereinbarungen zu regeln, gehen auf die Zeit unmittelbar nach dem ersten Weltkrieg zurück. Vorerst waren es Übereinkommen über die Schaffung und Anerkennung von Ausweispapieren, die den Flüchtlingen die Weiterreise ermöglichen sollten. Aber auch umfassendere Abkommen wurden ausgearbeitet, in denen versucht wurde, die Eechtsstellung der Flüchtlinge mehr oder weniger weitgehend festzulegen.

All diese Empfehlungen und Vereinbarungen aus den Jahren 1922-1938 waren jedoch auf bestimmte Flüchtlingsgruppen zugeschnitten, mit denen sich die Weltöffentlichkeit gerade zu befassen hatte. Keines dieser Abkommen regelte einigermassen umfassend Eechte und Pflichten aller Flüchtlinge. Das Abkommen vom 10.Februar 1938 für die Flüchtlinge aus Deutschland, die wohl am weitesten ging, wurde nur von 7 Staaten unterzeichnet und von 8 ratifiziert.

Nach dem Krieg zeigte sich wiederum als erstes dringendes Bedürfnis, den Flüchtlingen ein Eeisepapier in die Hand zu geben, das ihnen Eeisen und vor allem die Weiterwanderung aus den Ländern des ersten Asyls nach Übersee gestattete. Auf Initiative des damaligen Direktors des Intergouvernementalen Komitees für die Flüchtlinge wurde am 15. Oktober 1946 in London ein Abkommen abgeschlossen über die Ausstellung eines Eeiseausweises an die Flüchtlinge.

Das Abkommen von London vermeidet wohl gewisse Mängel, die die früheren Vereinbarungen aufwiesen. Aber auch dieser Ausweis kam nur den dem Mandat des Intergouvernementalen Komitees für die Flüchtlinge und später der Internationalen Flüchtlingsorganisation unterstehenden Flüchtlingen.zugute. Trotz des wesentlichen Fortschrittes, den das Abkommen
bedeutete und der überraschend grossen Verbreitung und Anerkennung, die der Ausweis gefunden hat, konnte auch diese Eegelung nicht genügen. Vor allem aber beschränkte sich das Abkommen bloss auf die Ausstellung und Anerkennung eines Eeiseausweises. Eine umfassendere Eegelung der Eechtsstellung der Flüchtlinge fehlte noch.

Die Generalversammlung der Vereinten Nationen beauftragte den Wirtschafts- und Sozialrat mit dem Studium der Frage. Dieser setzte ein kleines Komitee von Experten ein, das mit Hilfe der Abteilung der Internationalen Flüchtlingsorganisation, die sich mit dem rechtlichen und politischen Schutz der Flüchtlinge befasste, in wochenlangen Beratungen in Lake Success einen

70 ersten Entwurf ausarbeitete. Das Expertenkomitee kam im Sommer 1950 zu einer zweiten Tagung in Genf zusammen und prüfte vor allem die Bemerkungen der einzelnen Regierungen zum Entwurf des Komitees. Die Schweiz war durch einen Beobachter an der Konferenz vertreten. Die Generalversammlung der Vereinten Nationen beschloss hierauf, den bereinigten Entwurf einer nach Genf einzuberufenden diplomatischen Konferenz zu unterbreiten, an der alle Staaten, die sich ^um das Flüchtlingsproblem interessierten, gleichgültig ob Mitglieder der Vereinten Nationen oder nicht, teilnehmen sollten.

Die diplomatische Konferenz tagte vom 2.-2S. Juli 1951 in Genf. 26 Staaten waren durch bevollmächtigte Delegierte und 2 weitere durch Beobachter vertreten. An den Verhandlungen nahmen ferner der Hochkommissar für die Flüchtlinge der Vereinten Nationen, sowie eine grosse Zahl internationaler privater Organisationen, die sich mit Flüchtlingsfragen befassen, teil. Der vom Expertenkomitee vorgelegte Entwurf wurde eingehend diskutiert und in manchen Punkten noch geändert. Er wurde schliesslich einstimmig von den anwesenden Delegierten angenommen. Bisher haben 20 Staaten die Konvention unterzeichnet, nämlich: Österreich, Belgien, Kolumbien, Dänemark, Israel, Liechtenstein, : Luxemburg, Niederlande, Norwegen, Schweden, , Schweiz, Vereinigtes Königreich Grossbritannien und Nordirland, Jugoslavien, Türkei, Griechenland, Deutsche Bundesrepublik, Brasilien, Frankreich, Italien und der Vatikan.

Das Abkommen bedarf der Eatifikation. Die Urkunden über die erfolgte Ratifikation sind dem Generalsekretariat der Vereinten Nationen einzureichen.

Nach Artikel 43 tritt- das Abkommen 90 Tage nach dem Datum in Kraft, an dem die 6. Ratifikations- oder Beitrittsurkunde beim Generalsekretariat hinterlegt worden ist. Da inzwischen die 6 Staaten Belgien, Dänemark, Bundesrepublik Deutschland, Luxemburg, Norwegen und Australien diese Urkunde hinterlegt haben, ist das Abkommen am 22. April 1954 in Kraft getreten.

Wir halten, dafür, dass die Schweiz das Abkommen unter gewissen Vorbehalten ebenfalls ratifizieren sollte und gestatten uns, Ihnen in diesem Sinne Antrag zu stellen.

Mit der Eatifikation des Abkommens durch die Schweiz wird sich allerdings die Rechtsstellung der Flüchtlinge in unserem Land nicht wesentlich ändern. Die Rechte, die das Abkommen
den Flüchtlingen einräumt, gemessen die Flüchtlinge ;in der Schweiz bisher schon in weitgehendem Masse. Das gilt insbesondere für die Flüchtlinge, die zu dauerndem Verbleiben zugelassen worden sind und eine Niederlassungsbewilligung besitzen. Anderseits werden doch einzelne wenige Bestimmungen des Abkommens den Flüchtlingen gewisse Schwierigkeiten aus dem Weg räumen. So erleichtern vor allem die Bestimmungen über das persönliche Statut der Flüchtlinge (Art. 12) und über die Prozessverfahren (Art. 16) den Abschluss gewisser Rechtsakte oder deren gerichtliche Verfolgung. Den Flüchtlingen wird damit eine Rechtsstellung gewährt, deren Fehlen wiederholt als Mangel empfunden worden ist, aber nicht leicht durch positive Vorschriften geändert werden konnte.

72 Wohl kann nicht allen Bestimmungen vorbehaltlos zugestimmt werden.

Artikel 42 räumt die Möglichkeit ein, zu einzelnen Bestimmungen, ausgenommen die dort ausdrücklich erwähnten, Vorbehalte anzubringen. Davon rnuss Gebrauch gemacht werden. Wir werden bei der Besprechung der materiellen Vorschriften der Konvention darauf zurückkommen. Dabei soll vom Becht, solche Vorbehalte zu machen, nur sehr zurückhaltend Gebrauch gemacht werden und nur dort, wo andernfalls eine Bestimmung unüberwindbare Schwierigkeiten schaffen würde. Es ist klar, dass wir uns durch die Bindungen eines solchen Abkommens nicht zum Beispiel die Einflussnahme auf den Arbeitsmarkt aus der Hand nehmen lassen können, und dass wir ebenso die Möglichkeit behalten müssen, nötigenfalls die im Interesse der Sicherheit unseres Staates notwendigen Massnahmen zu ergreifen. Aber selbst dort, wo solche Vorbehalte unvermeidlich sind, will das nicht heissen, dass nicht doch nach Möglichkeit dem Sinn und Geist der Bestimmungen nachgelebt wird, und dass der Vorbehalt nur insoweit in der Praxis sich auswirkt, als dies unbedingt notwendig ist. Wenn wir z.B. die Flüchtlinge in bezug auf den Stellenantritt den anderen Ausländern gleichstellen müssen, heisst das nicht, dass nicht trotzdem im Einzelfall dem Flüchtling eine bevorzugte Stellung eingeräumt werden kann, wie das heute ja bereits vielfach der Fall ist. Aber wir dürfen uns nicht binden, weil bei einem allfälligen neuen grossen Zustrom bei veränderten Zeiten die Arbeitsannahme den Flüchtlingen nicht einfach freigestellt bleiben könnte.

Nach Eatifikation des Abkommens kann sich der Flüchtling auf dessen Bestimmungen berufen. Er kann nötigenfalls die Bechtsmittel anrufen, die ihm das schweizerische Becht zur Verfolgung seiner Bechtsansprüche bietet.

Da dem Flüchtling keine diplomatische oder konsularische Vertretung des Heimatstaates zur Verfügung steht, räumt Artikel 35 dem von den Vereinten Nationen eingesetzten Hochkommissär für die Flüchtlinge die Möglichkeit ein, sich für den Flücntling einzusetzen. Dem Flüchtling soweit als möglich rechtlichen und politischen Schutz zu gewähren, ist ja an sich die Hauptaufgabe des Hochkommissärs. Damit allerdings verpflichten sich die vertragschliessenden Staaten, einer internationalen Körperschaft die Möglichkeit zu geben, sich in interne Belange über
die Behandlung der Ausländer einzuschalten, ähnlich wie das auch die ausländischen diplomatischen Vertretungen für ihre Landsleute tun können. Irgend ein Zwangsmittel, auf die Entscheidung des Vertragsstaates einzuwirken, steht dem Hochkommissär allerdings nicht zu. Es steht ihm auch keine Befugnis zu, darüber zu. entscheiden, ob in concreto die Bestimmungen des Abkommens richtig -oder falsch angewandt worden sind.

Artikel 38 des Abkommens sieht bloss bei Differenzen zwischen den vertragschliessenden Staaten in der Auslegung oder Anwendung des Abkommens die Anrufung des Haager Gerichtshofs vor, eine Bestimmung, die aber wohl mehr theoretische Bedeutung hat, da nicht leicht anzunehmen ist, dass ein Vertragsstaat wegen der Behandlung der Flüchtlinge in einem anderen Staat sich an den Haager Gerichtshof wenden würde. Trotzdem also der Hochkommissär selbst weder an den Haager Gerichtshof gelangen kann, noch sonst die Möglich-

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keit hat, die Anwendung, des Abkommens im Einzelfall durchzusetzen, ist seine in Artikel 35 vorgesehene Mitwirkung doch bedeutungsvoll. Auch der Verwaltung, die das Flüchtlingsproblem als Ganzes und die einzelnen Flüchtlingsangelegenheiten mit aller Sorgfallt und unter Würdigung besonders auch der humanitären Gesichtspunkte bearbeitet, kann es nur recht sein, zu dieser oder jener Frage die Auffassung des .Hochkommissars kennenzulernen. Bei solcher Fühlungnahme bietet sich gleichzeitig Gelegenheit, den Hochkommissär, und durch ihn einen weiteren internationalen Kreis, zu unterrichten über die besonderen Verhältnisse im Lande, über das, was getan wird und das, was getan werden kann. Schliesslich wird der Hochkommissär - wie erfahrungsgemäss auch die privaten Hilfswerke - dann und wann einen Flüchtling, der sich in die durch seine Flucht geschaffene neue Lage nicht leicht hineinzufinden vermag, eher als eine Behörde dazu bringen, diese Lage zu erkennen und sich einzuordnen. Die vertrauensvolle Zusammenarbeit mit dem Hochkommissariat dürfte also der Sache dienen. Wir glauben deshalb keinen Anlass zu haben, zu Artikel 35 einen Vorbehalt anzubringen.

Nach diesen allgemeinen Erwägungen sei kurz auf die einzelnen Bestimmungen eingegangen; gleichzeitig seien die allenfalls zu machenden Vorbehalte erörtert.

Die einzelnen Bestimmungen des Abkommens Artikel 1. Die Definition des Flüchtlings ist umfassender als die früherer Abkommen. Insbesondere geht sie über die Umschreibung' des Flüchtlings hinaus, die die Internationale Flüchtlingsorganisation ihrer Arbeit zugrunde gelegt hatte. Sie stimmt im wesentlichen mit dem überein, was wir nach schweizerischem Becht unter einem Flüchtling verstehen (vgl. Art. 21 der Vollziehungsverordnung vom 1. März 1949 zum Bundesgesetz über Aufenthalt und Niederlassung der Ausländer). Allerdings enthält sie eine zeitliche Beschränkung, indem nur als Flüchtling betrachtet wird, wer auf Grund von Ereignissen hat flüchten'müssen, die sich vor dem I.Januar 1951 ereignet haben. Wenn also infolge neuer politischer Veränderungen in irgend einem Land wiederum Menschen zur Flucht gezwungen wären, würden sie nicht unter das Abkommen fallen. Dagegen sind jene nicht ausgeschlossen, die zwar erst heute in einem Vertragsstaat Asyl suchen, aber als Folge politischer Ereignisse flüchten, die
sich vor dem I.Januar 1951 abgespielt haben.

Bei der .Unterzeichnung oder Batifikation des Abkommens haben die Vertragsstaaten eine Erklärung abzugeben, ob sie unter solchen Ereignissen1 nur jene verstehen, die sich in Europa abgespielt haben oder aber alle auf der: ganzen Welt. Das entspricht einem Kompromiss zwischen den Ländern,, die das Abkommen1 ausdrücklich nur auf die europäischen Flüchtlinge angewendet ' wissen wollten, und jenen - an der Konferenz Universalisten genannten - die dem Abkommen grundsätzlich eine weitere Geltung verschaffen wollten. Für unser Land hat die Streitfrage mehr theoretische Bedeutung, da kaum anzunehmen ist, dass zahlreiche nicht europäische Flüchtlinge auf Grund von Ereig-

74 nissen, die sich vor dem 1. Januar 1951 abgespielt haben, heute bei uns Zuflucht suchen werden. Selbst wenn das aber ausnahmsweise doch einmal vorkommen sollte, bestände wohl kein Anlass, solche Flüchtlinge anders zu behandeln und ihnen nicht die im Abkommen umschriebene Eechtsstellung einzuräumen.

Wir bitten Sie deshalb, den Bundesrat zu ermächtigen, bei der Hinterlegung der Eatifikationsurkunde die Erklärung abzugeben, dass für die Schweiz die weitere Passung gelte.

Die Umschreibung in Artikel l ist reichlich kompliziert. Sie hat vor allem auch längeren Diskussionen in der Generalversammlung der Vereinten Nationen gerufen, die sich materiell nur gerade mit dieser Definition befasst hat. An der diplomatischen Konferenz in Genf wurde der an der Generalversammlung gefundene Kompromiss im wesentlichen übernommen. Immerhin fanden einige Abänderungsanträge Berücksichtigung. Die schweizerische Delegation konnte sich mit der Feststellung begnügen, dass unser Land von jeher für eine weite Umschreibung eingestanden sei und vor allem die Diskriminierung einzelner Flüchtlingsgruppen nicht billigen könne. So wie die Definition heute lautet, umfasst sie in der Tat die meisten Flüchtlingsgruppen, die zur Eegelung ihrer Eechtsstellung eines internationalen Abkommens bedürfen.

Die Artikel 2-6 enthalten Selbstverständlichkeiten oder definieren Ausdrücke, die im Abkommen gebraucht werden. Von besonderer Bedeutung ist Artikel 2, der das Gegengewicht zu den im übrigen in der Konvention den Flüchtlingen eingeräumten Eechten bringt. Er erinnert- die Flüchtlinge daran, dass sie sich im Gastland an die Gesetze und Verordnungen halten und alle anderen im Interesse der öffentlichen Ordnung ergriffenen Massnahmen beachten müssen.

Artikel 7. Der Flüchtling ist gegenüber anderen Ausländern oft im Nachteil, weil Verträge des Gaststaates mit andern Staaten den Grundsatz der Beziprozität aufstellen (vertragliche Eeziprozität) oder weil Gesetze des Aufenthaltstaates vorschreiben, dass Ausländer von den darin eingeräumten Vorteilen nur insoweit profitieren können, als deren Heimatstaat den Angehörigen des Aufenthaltsstaates die gleichen oder ähnliche Vorteile einräumt (gesetzliche Eeziprozität). Für die Flüchtlinge, die kein Heimatland mehr haben, kann die Eeziprozität nicht spielen. Es ist deshalb verständlich, dass aus
ihren Kreisen der Wunsch geäussert wurde, es möchte für sie die Einschränkung der Eeziprozität nicht gelten. Die Konferenz ist diesen Überlegungen nur in bezug auf die gesetzliche Eeziprozität, nicht aber die vertragliche Eeziprozität, gefolgt. Wenn also zwei Staaten, die dem Abkommen angehören, einen Vertrag abschliessen über die Behandlung der beiderseitigen Staatsangehörigen und darin die Eeziprozitätsklausel aufnehmen, können die Flüchtlinge im einen oder anderen Staat sich nicht darauf berufen und die Eechte geltend machen, die den Angehörigen der Vertragsstaaten zustehen.

Für unser Land spielt die Frage der gesetzlichen Eeziprozität keine grosse Eolle. Sie ist nur in wenigen gesetzlichen Bestimmungen enthalten. Die ver-

75 tragliche Eeziprozität, die für uns eine gewisse Eolle gespielt hätte, ist ohnehin ausgenommen, so dass der Vorschrift ohne Bedenken zugestimmt werden kann.

Artikels. Die Bestimmung stützt sich auf die Erfahrungen des letzten Krieges.

So wurden in vielen kriegführenden Ländern die Flüchtlinge, die bei Kriegsausbruch ihre Staatsangehörigkeit formell noch nicht verloren hatten, gleich behandelt wie Feindangehörige. Das führte zu grossen Härten und Ungerechtigkeiten. Es wurde deshalb schon im Genfer-Abkómmen über den Schutz der Zivilpersonen-in Kriegszeiten, vom 12. August 1949, verlangt, dass gegenüber Flüchtlingen nicht allein aus dern Grund Massnahmen ergriffen werden sollen, weil sie formell
Artikel 9 erinnert daran, dass die Bestimmungen des Abkommens Vertragsstaaten nicht daran hindern können, unter schwierigen Verhältnissen ausnahmsweise provisorische Massnahmen im Interesse des : Staatsschutzes zu ergreifen. Damit kommt vor allem zum Ausdruck, dass es keinem Land verwehrt werden kann, bei einem plötzlichen Massenzustrom Flüchtlinge in Lagern und Heimen unterzubringen, bis; der Einzelfall geprüft und eine andere Lösung gefunden oder erwiesen ist, dass solche Massnahmen weiterhin in Kraft bleiben müssen, Es ist klar, dass die Schweiz bei einem neuen Massenzustrom ähnlich wie im letzten Krieg ohne Schaffung von Sammelunterkünften zur Unterbringung der Flüchtlinge für kürzere oder längere Frist nicht auskäme und auch sonst zum mindesten vorübergehend oder solange, als die Situation es erfordert, besondere Kontrollmassnahmen ergreifen müsste.

Artikel 10 und Jl sind für unser Land kaum von grosser praktischer Bedeutung.

Artikel 12 dagegen bringt eine
wichtige Änderung der geltenden zivilrechtlichen Bestimmungen. Wir haben schon eingangs daraufhingewiesen. Nach Absatz l hat die Eegelung, die nach Artikel 7 et des Bundesgesetzes betreffend die zivilrechtlichen Verhältnisse der Niedergelassenen und Aufenthalter (NAG) nur für Staatenlose gilt, für Flüchtlinge auch dann Geltung, wenn sie nicht staatenlos^ sind.

Das Abkommen unterwirft somit die personenrechtliche Stellung, jedes Flüchtlings, gleichgültig ob er staatenlos ist oder nicht, dem Eecht des Wohnsitzstaates oder, wenn er keinen ;Wohnsitz hat, dem Eecht des Aufenthaltsstaates; sie weicht daher für Flüchtlinge, die eine Staatsangehörigkeit besitzen, von den Begeln unseres internationalen Privatrechtes ab, soweit diese die Anwendung des heimatlichen Bechts des Ausländers vorsehen. Da Artikel 12, wie

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aus dessen Absatz 2 hervorgeht, sich auf die personenrechtliche Stellung im weitesten Sinne bezieht, betrifft die Abweichung namentlich das Personenrecht, z.B. die persönliche Handlungsfähigkeit und die Verschollenerklärung, sowie das Familienrecht, insbesondere die Frage der Geburt, der Eheschliessung und der Scheidung. Die persönliche Handlungsfähigkeit richtet sich nach Artikel 76 NAG für Ausländer, die in der Schweiz wohnhaft sind und eine Staatsbürgerschaft besitzen, nach heimatlichem Eecht. Nach Artikel 12 des Abkommens wird sich jedoch die persönliche Handlungsfähigkeit der in der Schweiz wohnhaften Flüchtlinge, auch wenn sie nicht staatenlos sind, nach dem schweizerischen Eecht bestimmen. Laut den Artikeln 8 und 32 NAG unterliegt die Verschollenerklärung von in der Schweiz wohnhaften Ausländern dem heimatlichen Eecht und der Gerichtsbarkeit der Heimat. Für Flüchtlinge, die ihren letzten Wohnsitz in der Schweiz hatten, wird auf Grund von Artikel 12 des Abkommens die Verschollenerklärung in der Schweiz und nach schweizerischem Eecht ausgesprochen werden können, selbst wenn sie ihre ausländische Staatsangehörigkeit beibehalten hatten. Was: die Frage der Geburt, die Frage einer freiwilligen Anerkennung oder einer durch die Behörden erfolgten Zusprechung Unehelicher und die Frage der Adoption anbelangt, unterwerfen Artikel 8 und 82 NAG die in der Schweiz wohnhaften Ausländer dem heimatlichen Eecht. Von dieser Eegel geht die Konvention ebenfalls ab und sieht die Anwendung schweizerischen Eechts auch auf nichtstaatenlose Flüchtlinge^ vor, die ihren Wohnsitz in der Schweiz haben. Bei der Eheschliessung ändert die Konvention die Eegelung von Artikel 7c NAG, indem die Gültigkeit einer von einem nicht staatenlosen Flüchtling geschlossenen Ehe in bezug auf diesen nach schweizerischem Eecht und nicht nach dem heimatlichen Eecht zu beurteilen ist.

Sie weicht ebenfalls von Artikel le, Absatz 2 und 3 NAG ab, da der Flüchtling von der Beibringung einer Erklärung der Heimatbehörde, dass die Ehe in der Heimat anerkannt werde, befreit ist. Schliesslich wird der in unserem Land wohnhafte Flüchtling bei der Scheidung in der Schweiz nicht nachzuweisen haben, dass das Eecht oder die Gerichtspraxis des Heimatstaates den geltend gemachten Scheidungsgrund und die schweizerische Gerichtsbarkeit anerkennt, auch wenn
er seine Staatsangehörigkeit nicht verloren hat. Die Eegelung der Konvention weicht somit auch von Artikel 7h NAG ab.

Nach Absatz 2 werden die wohlerworbenen Eechte anerkannt. Der schweizerische Delegierte erklärte, nur insoweit zustimmen zu können, als die Eechte nicht gegen den ordre public verstossen. Da aber der Begriff des ordre public im angelsächsischen Eecht eine andere Bedeutung hat ala im schweizerischen, wurde eine andere Lösung gewählt. Es sollen die Eechte eines Flüchtlings als wohlerworben anerkannt werden, die es auch dann wären, wenn er nicht Flüchtling geworden wäre.

Die Artikel 13 und là entsprechen in ihrer Wirkung der heute schon in der Schweiz geltenden Ordnung. In der Tat sind heute schon die Flüchtlinge in bezug auf den Erwerb von Fährnis und Grundstücken, sowie den Schutz des geistigen Eigentums jedenfalls nicht schlechter gestellt als andere Ausländer. .

77 In Artikel 15 wurde auf Antrag der schweizerischen Delegation ausdrücklich das ßecht der Flüchtlinge, sich in politischen Vereinigungen zu betätigen, ausgeschlossen; denn nach Artikel 21, Absatz 3 der Verordnung zum Bundesgesetz über Aufenthalt und Niederlassung der Ausländer ist den Flüchtlingen grundsätzlich jede politische Tätigkeit in der Schweiz untersagt.

Artikel 16, Absatz l, stellt den Grundsatz auf, dass die Flüchtlinge vor den Gerichten der Vertragsstaaten zugelassen werden sollen. Absatz 2 und 3 regeln die praktische Anwendung dieses Grundsatzes je nach dem, ob .der Flüchtling vor den Gerichten seines Aufenthaltsstaates oder vor den Gerichten eines anderen Mitgliedstaates Prozess führt. Im Aufenthaltsstaat wird der Flüchtling namentlich in bezug auf das Armenrecht und die Befreiung von der cautio judicatum solvi den Angehörigen dieses Staates gleichgestellt. In der Schweiz werden somit hier lebende Flüchtlinge wie Schweizerbürger und Flüchtlinge, die sich in einem andern Staat aufhalten, wie Angehörige dieses Staates behandelt.

Wenn z.B. der Aufenthaltsstaat der internationalen Übereinkunft über Zivilprozessrecht vom 17. Juli 1905 angeschlossen ist, wird sich der Flüchtling, der vor Gericht als Kläger auftritt, auf diese Übereinkunft berufen können und ist gleich wie ein Angehöriger des Aufenthaltsstaates von der cautio judicatum solvi befreit.

Von besonderer Bedeutung für die Flüchtlinge ist Artikel 17. Nur wenn sie arbeiten und sich betätigen dürfen, können sie ein einigermassen normales Leben führen. Es rnuss deshalb eine der wichtigsten Aufgaben, der Behörden des Asyllandes sein, den Flüchtlingen Arbeit und Beschäftigung zu verschaffen.

Das ist aber oft nicht oder nur beschränkt möglich. Ein kleines Land, dessen Hilfsmittel beschränkt sind, und dessen Wirtschaft in hohem Masse vom internationalen' Markt abhängig ist, ' kann nicht beliebig Arbeitsmöglichkeiten Schaffen und Flüchtlingen Arbeitsstellen zuhalten. Bei allem Verständnis für die besondere Lage der Flüchtlinge wird versucht werden müssen, in erster Linie der einheimischen Bevölkerung den Arbeitsplatz zu sichern. Die Flüchtlinge dürfen nicht einfach zum Nachteil der einheimischen Arbeitskräfte berücksichtigt werden.

Wir sehen uns deshalb veranlasst, zu Artikel 17 einen Vorbehalt anzubringen, wonach die Flüchtlinge
grundsätzlich in bezug auf die Ausübung einer Erwerbstätigkeit den übrigen in der Schweiz beschäftigten ausländischen Arbeitskräften gleichgestellt sind. Die Flüchtlinge können damit rechtlich unter den gleichen Voraussetzungen erwerbstätig sein wie andere Ausländer unter den gleichen Bedingungen. Sofern den Behörden die Hände gebunden wären, musate sich das unter Umständen verhängnisvoll auswirken, wenn wiederum grössere Gruppen von Flüchtlingen in der Schweiz Asyl suchten.

Zur Zeit hat die Frage allerdings keine sehr grosse Bedeutung, da praktisch alle Flüchtlinge Arbeit finden können. Die Flüchtlinge aus der Vorkriegsund Kriegszeit haben zumeist die Niederlassungsbewilligung erhalten, so dass sie auf dem Gebiet des Kantons, der die Niederlassung erteilt hat, ohne Einschränkung jede Erwerbstätigkeit ausüben können. Den Flüchtlingen, die später,

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zumeist nach 1948, in der Schweiz Asyl gesucht haben, ist in der Eegel im Eahmen der fremdenpolizeilichen Bewilligung der Stellenantritt bewilligt worden.

Die verlangten Bewilligungen zur Erwerbstätigkeit werden in weitherziger Weise erteilt, oft auch ungeachtet der damit einheimischen Arbeitskräften erwachsenden Konkurrenz. Es wird weiterhin das Bestreben der zuständigen Behörden des Bundes und der Kantone sein, den Flüchtlingen in dieser Beziehung möglichst entgegenzukommen und den Bestimmungen von Artikel 17 auch ohne rechtliche Verpflichtung nach Möglichkeit zu entsprechen. Nur kann keine Bindung für die Zukunft und für Flüchtlinge eingegangen werden, die nicht dauernd in der Schweiz bleiben können.

Gegen die Bestimmungen der Ârtiltél 18 und 19 über die Ausübung einer liberalen Berufstätigkeit ist nichts einzuwenden. Die Bestimmungen entsprechen der geltenden schweizerischen Ordnung.

Ebenso geben die Bestimmungen der Artikel 20 und 21 über die Stellung der Flüchtlinge in bezug auf eine allenfalls bestehende Rationierung gewisser Produkte und in Bezug auf das Mieten von Wohnungen zu keinen Bemerkungen Anlass. Insbesondere haben während des Krieges die Flüchtlinge die genau gleichen Eationen erhalten wie die schweizerische 'Zivilbevölkerung.

Dass den Flüchtlingen ebenfalls die gleiche Primarschulbildung gegeben werden soll wie der einheimischen Jugend, wie es Artikel 22 vorschreibt, ist sicher unbestritten. Auch können wir uns ohne weiteres verpflichten, den Flüchtlingen die Möglichkeit zu geben, sich gleich wie andere Ausländer weiterzubilden.

Eine Verpflichtung, die entsprechenden Kosten zu übernehmen, oder den Flüchtlingen die von den anderen Ausländern geforderten Gebühren zu erlassen, besteht dabei nicht. In der Praxis sind wir den Flüchtlingen bisher schon weit entgegengekommen. Insbesondere wurden vielen Flüchtlingen mit Hilfe der privaten Hilfswerke und der Polizeiabteüung Studien an den schweizerischen Hochschulen ermöglicht. Die schweizerische Praxis geht also weiter, als Absatz 2 es vorsieht.

Artikel 23 will nicht sagen, dass die Flüchtlinge in der gleichen Art und Weise unterstützt werden müssten, wie einheimische Bedürftige. Das System, wonach die Flüchtlinge in der Eegel von privaten Hilfswerken unterstützt werden und der Bund den Hilfswerken eine entsprechende Subvention
ausbezahlt (vgl. Bundesbeschluss vom 26. April 1951 über Beiträge des Bundes an die Unterstützung von Flüchtlingen) entspricht durchaus diesem Artikel.

,Die Zentralstelle für Flüchtlingshilfe und die ihr angeschlossenen Hilfswerke haben ausdrücklich bestätigt, dass sie sich auch in Zukunft im Eahmen ihrer Kräfte an der Betreuung und der Unterstützung der Flüchtlinge im Eahmen des zitierten Bundesbeschlusses beteiligen werden.

Zu Artikel 24 müssen drei Vorbehalte angebracht werden. Das Abkommen verpflichtet die vertragschliessenden Staaten, den Flüchtlingen in bezug auf Lehrzeit und Berufsausbildung dieselbe Behandlung zu gewähren wie ihren Staatsangehörigen. Eine solche Verpflichtung können wir nicht eingehen

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im Hinblick auf die beschränkte Zahl von Lehrstellen in wirtschaftlich ungünstigeren Zeiten. Es können den Flüchtlingen nur die gleichen Eechte eingeräumt werden, die für Ausländer im allgemeinen gelten.

Ein weiterer Vorbehalt bezieht sich auf die Alters- und HinterbliebenenVersicherung. Die Flüchtlinge können den Schweizerbürgern nicht gleichgestellt werden, weil das Bundesgesetz über die Alters- und Hinterbliebenenversicherung für Schweizerbürger praktisch keine Karenzfrist kennt, so dass der Flüchtling' schon nach einem einzigen Beitragsjahr und mit einem Minimalbeitrag von 12 Franken Anspruch auf eine ordentliche Mindestrente unserer Alters- und Hinterlassenenversicherung hätte. Dagegen ist es möglich, den Flüchtlingen im' Eahmen der Konzessionen, die von der Schweiz beim Abschluss von zwischenstaatlichen Gegenseitigkeitsabkommen über die Alters- und Hinterlassenenversicherung zugunsten der Angehörigen der Vertragspartner gemacht werden, entgegenzukommen. So sollen Flüchtlinge, bzw. ihre Hinterlassenen, soweit diese ebenfalls als Flüchtlinge gelten, die ordentlichen Eenten der Alters- und Hinterbliebenenversicherung erhalten, wenn sie beim Eintritt des Versicherungsfalles a. während insgesamt wenigstens 10 vollen Jahren Beiträge an die schweizerische Versicherung bezahlt haben oder b. insgesamt mindestens 10 Jahre - davon 5 Jahre unmittelbar und ununterbrochen vor Eintritt des Versicherungsfalles - in der Schweiz gewohnt und in dieser Zeit während insgesamt mindestens eines vollen Jahres Beiträge an die schweizerische Versicherung bezahlt haben.

Dabei soll die Vorschrift von Artikel 40 des Bundesgesetzes über die Alters und Hinterlassenenversicherung, wonach die ordentlichen :Eenten der Ausländer und Staatenlosen um ein Drittel zu kürzen sind, auf Flüchtlinge keine Anwendung finden.

Steht den Flüchtlingen im Versicherungsfall kein Anspruch auf ordentliche Eenten zu, so werden ihnen, falls sie in der Schweiz wohnen, über die Beitragsrückvergütung gemäss Artikel 5 der bundesrätlichen Verordnung vom 14.März 1952 hinaus auch die allfälligen Arbeitgeberbeiträge zurückerstattet.

Vom Bezug der Übergangsrenten bleiben die Flüchtlinge anderseits ausgeschlossen. Es sei in diesem Zusammenhang jedoch erwähnt, dass nicht rentenberechtigte Flüchtlinge, wenn sie seit mindestens 10 Jahren in der Schweiz
ansässig sind, gegebenenfalls auch der Leistungen gemäss den Bundesbeschlüssen vom S.Oktober 1948 und S.Oktober 1950 betreffend die zusätzliche Altersund Hinterlassenenfürsorge teilhaftig werden können.

. Auch in bezug auf die Arbeitslosenversicherung ist ein Vorbehalt notwendig. Flüchtlinge sind, wie andere Ausländer, nur dann versicherungsfähig, wenn keine fremdenpolizeilichen Vorschriften der Arbeitsvermittlung entgegenstehen. Das ist in der Eegel nur bei den niedergelassenen Ausländern der Fall.

Soweit also Flüchtlinge eine Niederlassungsbewilligung besitzen, was für

80 jene aus der Vorkriegs- und Kriegszeit meistens der Fall ist, sind sie versicherungsfällig. Für die übrigen gelten die gleichen Eegeln, wie für die Ausländer im allgemeinen.

Die in Artikel 25 erwähnte administrative Hilfe wird den Flüchtlingen im wesentlichen heute schon gewährt. Es besteht kaum ein Interesse, diese Aufgabe einer internationalen Organisation zu übertragen, wie das zum Beispiel bis vor kurzem in Frankreich der Fall war.

Artikel 26 kann die Vertragsstaaten nicht daran hindern, die in Artikel 9 vorgesehenen provisorischen Massnahmen zu ergreifen, womit in Wirklichkeit die Freizügigkeit der Flüchtlinge eingeschränkt wird. Diese Bestimmung kann auch nicht etwa gegen eine Internierungsmassnahme angerufen werden, womit wiederum die Bewegungsmöglichkeit des Flüchtlings beschränkt wird, sofern die Massnahme auch gegenüber einem anderen Ausländer, der nicht dem Flüchtlingsstatut untersteht, hätte ergriffen werden können. Artikel 14, Absatz 2 des Bundesgesetzes über Aufenthalt und Niederlassung der Ausländer wird somit von dieser Bestimmung des Abkommens nicht berührt.

Dagegen steht der Artikel in einem gewissen Widerspruch zu Artikel 21, Absatz 4 der Vollziehungsverordnung vom I.März 1949 zum Bundesgesetz über Aufenthalt und Niederlassung der Ausländer. Nach dieser Bestimmung kann die Schweizerische Bundesanwaltschaft für die ihrer Kontrolle unterstellten Flüchtlinge Einschränkungen in der Bewegungsfreiheit verfügen, soweit das zum Schutz der innern oder äussern Sicherheit des Landes notwendig erscheint. Auch wenn solche Einschränkungen nur in ganz seltenen Fällen notwendig sind, kann doch nicht ohne weiteres darauf verzichtet werden.

Es scheint deshalb ein Vorbehalt zu dieser Bestimmung nötig, der aber die grosse Zahl der Flüchtlinge nicht treffen wird. Wenn auf den Vorbehalt verzichtet würde, rnüsste in den Fällen, in denen die Bundesanwaltschaft eine Einschränkung der Bewegungsfreiheit für erforderlich hält, eine fremdenpolizeiliche Internierungsverfügung getroffen werden, was Artikel 26 nicht ausschliesst, da sie unter den gleichen Bedingungen auch für Ausländer im allgemeinen zulässig ist. Damit wäre aber den Flüchtlingen, für die ausnahmsweise einmal die Sonderbestimmung von Artikel 21, Absatz 4 der Verordnung angewandt werden muss, nicht gedient. Es liegt im Gegenteil in ihrem
Interesse, wenn sie weiterhin im Besitz einer ordentlichen fremdenpolizeilichen Bewilligung bleiben können.

Die Artikel 27 und 28 entsprechen der geltenden Eegelung. Allerdings wird der Eeiseausweis, der auf Grund des Abkommens von London (vom 15. Oktober 1946) Flüchtlingen ausgestellt wird, im Sinne des dem Abkommen beigefügten Schemas leicht abgeändert werden müssen. Die Eegelung hat sich im übrigen bewährt. Ihr kann ohne Bedenken zugestimmt werden.

Die Bestimmungen in Artikel 29 und 30 entsprechen der in der Schweiz geltenden Eechtsordnung; Die Steuerbelastung ist für Schweizerbürger und Ausländer nicht unterschiedlich, und in bezug auf die Überweisung von Guthaben bestehen für Flüchtlinge in der Schweiz keine besonderen Einschränkungen.

81 Absatz l von Artikel 31 schreibt vor, dass Flüchtlinge unter gewissen Voraussetzungen wegen illegalen Grenzübertritts nicht bestraft werden sollen.

Die Bestimmung deckt sich im wesentlichen mit Artikel 23, Absatz2, des Bundesgesetzes über Aufenthalt und Niederlassung der Ausländer. Das Abkommen geht aber weiter, indem es auch Straffreiheit vorschreibt für Flüchtlinge, die sich illegal im Lande aufhalten, sofern sie sich den zuständigen Behörden sofort melden. Die Behörden haben darüber zu befinden, ob die vom Flüchtling gegebenen Erklärungen für seinen illegalen Aufenthalt annehmbar sind. Obschön damit eine wesentliche Einschränkung verbunden ist, geht diese Bestimmung über das geltende schweizerische Recht hinaus, da der illegale Aufenthalt von Flüchtlingen an sich nicht straffrei ist. Die Konsequenzen dieser Bestimmung sind aber nicht sehr weittragend, weil sie nur gerade beim Inkrafttreten des Abkommens wirksam ist. Nur wer sich dannzumal unverzüglich den Behörden meldet, kann sich auf Artikel 81 berufen. Es dürften sich übrigens kaum noch Flüchtlinge, die der Definition entsprechen, unangemeldet in der Schweiz aufhalten.

Absatz 2 soll verhindern, dass Flüchtlinge, die sich den zuständigen Behörden melden, über Gebühr lange in ihrer Bewegungsfreiheit eingeschränkt werden. Die Prüfung der Angaben eines neu eingereisten Flüchtlings erfordert allerdings eine gewisse Zeit. Während dieser Prüfungszeit ist es oft unerlässlich, den Flüchtling in seiner Bewegungsfreiheit mehr oder weniger einzuschränken.

Solche einschränkenden Massnahmen sollen aber möglichst kurze Zeit dauern 'und jedenfalls aufgehoben werden; wenn der Flüchtling anerkannt und sein Anwesenheitsverhältnis geregelt ist. In diesem Fall gilt dann Artikel 26, zu dem allerdings für wenige seltene Fälle ein Vorbehalt angebracht werden muss.

Artikel 32 soll die Möglichkeit zur Ausweisung von Flüchtlingen auf schwerwiegende Tatbestände beschränken. Da die Ausweisung aus Gründen der Staatssicherheit und des ordre public zulässig ist, und da dieser zweite Begriff nach déni Recht der verschiedenen Staaten eine sehr verschiedene Interpretation zülässt, betrachten wir die Möglichkeit zur Ausweisung nach den Bestimmungen des Bundesgesetzes über Aufenthalt und Niederlassung der Ausländer als gewahrt. - Die Vorschriften in bezug auf das Ausweisungs-
und Rekursverfahren entsprechen den schweizerischen Bestimmungen.

: Von besonderer Bedeutung ist Artikel 33. Es ist das erste Mal, dass in einem internationalen Abkommen die Verpflichtung festgesetzt wird, dass kein Flüchtling in ein Land zurückgewiesen werden darf, in dem er wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, seiner Zugehörigkeit zu einer sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Einstellung an Leib und Leben gefährdet ist.

Allerdings wurde von der Konferenz allseitig als selbstverständlich erklärt, dass dieser Artikel nur auf normale Verhältnisse zugeschnitten sei, und dass bei einem Massenzustrom jedes Land die Massnahmen treffen könne, die sich aufdrängen. Ferner enthält der Absatz 2 eine Einschränkung für Flüchtlinge, die die Sicherheit des Landes gefährden oder die: wegen eines besonders schweren Deliktes verurteilt worden sind. Die schweizerischen Behörden werden sich

82 allerdings wohl auch dann nicht zur Ausschaffung entschliessen, wenn der Tatbestand von Absatz 2 erfüllt und die Ausschaffung nach dem Abkommen an ·sich möglich wäre.

Artikel 34 enthält ein Postulat, das die Bundesbehörden nur sehr beschränkt befolgen können. In erster Linie sind die Kantone und Gemeinden zuständig.

Immerhin werden die Bundesbehörden, soweit an ihnen, nichts in den Weg legen, dass Flüchtlinge, die in der Schweiz bleiben können, sich hier assimilieren.

Wenn der ' Flüchtling genügend assimiliert ist, kann die Erteilung einer eidgenössischen Einbürgerungsbewilligung in Frage kommen. Ob aber eine Einbürgerung im Einzelfall tatsächlich möglich ist, und ob dem Flüchtling in bezug auf die Gebühren entgegengekommen werden kann, hängt vom Entscheid der Gemeinde und des Kantons ab. Da aber der Artikel 84 keine konkrete Verpflichtung für die Staaten mit sich bringt, sondern lediglich die allgemeine, Assimilation und Naturalisation im Eahmen des Möglichen zu erleichtern, und damit den Staaten einen weitgehenden Ermessensspielraum gewährt, ist ein Vorbehalt nicht notwendig.

Auf die in Artikel 35 festgelegte Zusammenarbeit mit dem Hochkommissär für die Flüchtlinge der Vereinten Nationen oder einer allfälligen Nachfolgeorganisation ist bereits in der Einleitung aufmerksam gemacht worden. Die Schweiz hat keinen Anlass, diese Zusammenarbeit abzulehnen und dem Hochkommissär nicht die Möglichkeit zu geben, bei den schweizerischen Behörden die Flüchtlingssache zu vertreten. Wir sind auch durchaus bereit, dem Hochkommissär im Sinne von Ziffer 2 alle Angaben zu machen, die er benötigt, wobei bloss erneut darauf aufmerksam gemacht werden muss, dass zur Zeit eine umfassende Statistik über die in der Schweiz lebenden Flüchtlinge nicht besteht. Die Flüchtlinge unterstehen, gleich wie die andern Ausländer, der Kontrolle der Kantone. Die eidgenössischen Behörden haben sich mit ihnen in der Eegel nur noch insoweit zu befassen, als sie zur Weiterreise verpflichtet sind oder unterstützt werden müssen. Die Kantone haben ihre Kontrolle nicht nach dem Gesichtspunkt ausgestaltet, ob ein Ausländer Flüchtling ist oder nicht, sondern nach der Art der ihm erteilten Anwesenheitsbewilligung. Es könnte also auch durch eine Rückfrage bei den Kantonen keine genaue Zahl über die noch in der Schweiz lebenden Flüchtlinge
erhalten werden. Das ist dem Hochkormnissariat früher schon mitgeteilt worden.

Die in Artikel 41 enthaltene Klausel schliesslich ist für uns nicht von Bedeutung. Sie wurde auf Wunsch der kanadischen Delegation aufgenommen.

Die amerikanische Delegation unterstützte den Vorschlag, obschon die Vereinigten Staaten von Amerika kaum die Absicht haben, das Abkommen zu unterzeichnen und zu ratifizieren. Die deutsche und die österreichische Delegation, die vielleicht hätten interessiert sein können, haben aber erklärt, dass sie eine solche Klausel nicht benötigten. Nach schweizerischem Eecht gelten staatsvertraglich eingegangene Verpflichtungen von Bundes wegen, ohne dass die Kantone ihrerseits dem Staatsvertrag zustimmen oder besondere gesetzliche Massnahmen verfügen müssten.

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Die übrigen Bestimmungen geben mit Ausnahme der bereits in der Einleitung hervorgehobenen Artikel 42 und 43 zu keinen besonderen Bemerkungen Anlass.

Zusammenfassend kann gesagt werden, dass die Bestimmungen des Abkommens weitgehend dem geltenden schweizerischen Becht entsprechen.

Einzelne Vorschriften werden es ändern, ohne dass dadurch Schwierigkeiten entständen; zu andern sind Vorbehalte nötig, weil andernfalls wichtige staatliche Interessen verletzt würden. Die Annahme des Abkommens liegt in der Bichtung der vom Bundesrat befolgten und von den eidgenössischen Bäten gebilligten Asylpolitik. Wir beehren uns deshalb, Ihnen zu empfehlen, dem vorgelegten Beschlussesentwurf zuzustimmen und den Bundesrat zu ermächtigen, dem Generalsekretär der Vereinten Nationen die Batifikation des Abkommens unter den ausdrücklich vorgesehenen Vorbehalten mitzuteilen.

Nach Artikel 44 kann das Abkommen jederzeit gekündigt werden. Die Kündigung wird ein Jahr nach Mitteilung an das Generalsekretariat der Vereinten Nationen wirksam. Da das Abkommen auf unbestimmte Zeit abgeschlossen ist, aber jederzeit gekündigt werden, kann, untersteht seine Genehmigung nicht dem Beferendum.

Genehmigen Sie, Herr Präsident, hochgeehrte Herren, den Ausdruck unserer vorzüglichen Hochachtung.

Bern, den 9. Juli 1954.

Im Namen des Schweizerischen Bundesrates,

1677

Der Bundespräsident: Rubatici Der Vizekanzler: F.Weber

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Botschaft des Bundesrates an die Bundesversammlung zum Beschlussesentwurf über die Genehmigung des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge vom 28. Juli 1951 (Vom 9. Juli 1954)

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1954

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28

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6654

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15.07.1954

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69-83

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