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Bundesratsbeschluss über

den Rekurs des Ludwig Krummenacher, zum ,,Hirschen" in Samen, gegen eine Schlußnahme des Regierungsrates des Kantons Unterwaiden ob dem Wald vom 30. Juni 1892 betreffend Entzug des Wirtschaftspatentes.

(Vom 30. Dezember 1892.)

D e r s c h w e i z e r i s c h e Bundesrat hat über den Rekurs des Ludwig K r u m m e n a c h e r , zum ,,Hirschen" in Samen, gegen eine Schlußnahme des Regierungsrats des Kantons Unterwaiden ob dem Wald vom 30. Juni 1892 betreffend Entzug des Wirtschaftspatentes, auf den Bericht des Justiz- und Polizeidepartements, folgenden Beschluß gefaßt: A.

In thatsächlich B e z i e h u n g w i r d festgestellt}: I.

Unterm 30. Juni 1892 hat der Regierungsrat des Kantons Ohwalde in betreff der Wirtschaft des Ludwig Krummenacher zum ,,Hirschen" in Samen, in Erwägung: 1. daß von Seiten des Gemeinderates Samen schon pro 1891/92 und auch jetzt wieder aus Gründen des öffentlichen Wohles Schließung dieser Wirtschaft beantragt worden ist, und daß eine eigentliche Konzessionierung auch pro 1892/93 nicht mehr erfolgte;

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2. daß von einem thatsächlichen Bedürfnis für den Fortbestand dieser Wirtschaft angesichts der noch zahlreichen übrigen Wirtschaften im Flecken Samen nicht die Hede sein kann ; 3. daß sich sodann fragliche Wirtschaft in unmittelbarer Nähe des Kantonsspital es befindet und, wie die Erfahrung gezeigt, die Nähe einer Wirtschaft einen verderblichen Einfluß auf die Pfründner äußert; daß thatsächlich nach dieser Richtung auch schon behördliches Einschreiten veranlaßt worden ist; 4. daß schließlich der eigentliche Konzessionsinhaber vermöge seines beruflichen Geschäftes als Fuhrmann und Kutscher eine große Zeit des Jahres hindurch dauernd und auch sonst vielfach abwesend ist und infolgedessen für eine gehörige Handhabung der Wirtschaftspolizei die nötigen Garantien fehlen, -- erkannt: Die Wirtschaft zum ,,Hirschen" wird grundsätzlich nicht mehr konzessioniert. Dem bisherigen Konzessionär wird indessen gestattet, bis 15. Oktober nächsthin zum Verbrauche des vorrätigen Getränkes fortzuwirten gegen Entrichtung eines Dritteiis der Jahrestaxe pro 1892/93 (Fr. 85) = Fr. 28. 33.

II.

Mit Angabe vom 12. Oktober 1892 ergreift Herr Fürsprech Dr. Weibel in Luzern namens des Ludwig Krummenacher gegen die Schlußnahme der Obwaldner Regierung vom 30. Juni den Rekurs an den Bundesrat.

Die Beschwerdeschrift bestreitet in erster Linie, daß sich die Schließung der fraglichen Wirtschaft aus Grtlnden des öffentlichen Wohls rechtfertige. Außerhalb des Fleckens, mit schönem Garten am See gelegen, werde sie sowohl von Spaziergängern, als auch von Fuhrleuten und Schiffern sehr stark frequentiert. Die Höhe des Zinses (Fr. 1000), welchen der gegenwärtige Pächter bezahle, sei ein Beweis dafür, daß diese Wirtschaft rentiere und sogar ein Bedürfnis bilde. Der Wunsch der Obrigkeit, allen Verkehr in den Flecken einzufangen, rechtfertige die Behauptung nicht, es gebe außerhalb des Fleckens kein Bedürfnis des Verkehrs. Zur weitern Erhärtung hierfür liegen der Rekursschrift eine Anzahl Unterschriften von Fuhrleuten und Schiffern bei, welche die Fortführung der Wirtschaft zum ,,Hirschen" wünschen. Der dazu gehörende große Platz eigne sich namentlich zur Aufstellung der Fahrwerke.

Was die Nähe des Kantonsspitals und Pfrundhauses betrifft, macht Kekurrent darauf aufmerksam, daß dieses Verhältnis nun schon seit 23 Jahren bestanden habe, daß ihm aber kein Fall zur Kenntnis gelangt sei, wo behördliches Einschreiten wegen des Wirt-

1064 schaftsbesuches der Pfriindner im ,,Hirschen" nötig ward. Der Hirschenwirt habe den Pfründnern nie Unterschlupf gegeben, und der Rekurrent sei überhaupt noch gar nie bestraft worden. Es möge ja sein, daß der Wirtschaftsbesuch der Pfründner zu Klagen Anlaß gegeben habe, was übrigens in allen Pfrundhäusern vorkommen könne, daran sei aber die Nabe des ,,Hirschen" nicht schuld.

Bezüglich des letzten abweisenden Motivs der Regierung giebt Eekurrent zu, daß er im höchsten Sommer während etwa 2 Monaten von Samen abwesend sei, weist aber darauf hin, daß in Obwalden eine Anzahl Wirtschaften bestehen, wo gar kein Mann zur Handhabung der Polizei da sei, oder wo derselbe für längere Zeit fortgehe. Abgesehen hiervon sei die Frau des Rekurrenten, welche nach dem Tode ihres ersten Mannes die Wirtschaft zum ,,Hirschen" selbständig fortgeführt habe, wohl im stände, während der kurzen Abwesenheiten des Patentinhabers die Polizei im Hause zu handhaben. Hierfür spreche auch die Thatsache, daß in dem Zeitraum von 23 Jahren, während dessen die jetzige Frau Krummenacher auf dem ,,Hirschen" abgewirtschaftet habe, nie eine Buße gegen den Wirt ausgefällt worden sei.

Dieses Motiv betreffend die Wirtschaftspolizei falle übrigens in vorliegender Rekurssache nicht in Betracht, weil der ,,Hirschen" schon vor dem 30. Juni 1892 mit Wissen der hohen Regierung verpachtet worden sei und der Pächter die Polizei in seiner Wirtschaft seiher handhaben müsse.

Endlich verweist der Rekurrent auf die materiellen Polgen, welche für ihn aus dem Vollzug der regierungsrätlichen Schlußnahme entstehen würden, indem die Liegenschaft zum ,,Hirschen" mit Sälen, Kellern und Stallungen eigens zum Wirtschaftsbetrieb eingerichtet sei und sein ganzes Vermögen darin stecke. Er hofft, daß es gegen einen solchen Willkürakt, durch welchen Leute, die während mehr als 20 Jahren das Wirtschaftsgewerbe unklagbar und unbescholten geführt haben, ruiniert würden, noch Recht im Schweizerlande geben werde. Die Rekursschrift citiert zwei weitere Fälle von ungerechtfertigter Verweigerung der nachgesuchten Wirtschaftspatente (J. Wyß im Melchthal und L. Lustenherger) seitens der Obwaldner Regierung und. findet es sonderbar, daß man zwei Wirtschaften zur ,,Sonne" in Samen und zum ,,Giren" in Kägiswyl, welche heide Jüngern Datums seien als der ,,Hirschen", neu
konzessioniert, dagegen aber diejenige des Luzerners Krummenacher schließen will.

Rekurrent schließt mit dem Gesuche, der Bundesrat möohte den Entscheid der Regierung von Obwalden vom 30. Juni 1892 aufhehen und dieselbe anweisen, dem Rekurrenten die Wirtschaftstonzession auch fortan zu erteilen.

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in.

Der Kegierungsrat des Kantons Obwalden betont in seiner Vernehmlassung vom 30. November vorerst, daß sich der rekurrierte Entscheid auf Art. 31, litt, c, der Bundesverfassung und auf Art. 2 des Landsgemeindebeschlusses vom 24. April 1887 betreffend Abänderung und Ergänzung des kantonalen Wirtschaftsgesetzes vom 22. Januar 1876 stütze. Dieser Art. 2 lautet: ,,Die Erteilung, bezw. die Erneuerung von Wirtschaftskonzessionen kann aus Gründen des öffentlichen Wohles verweigert, bezw. beschränkt werden".

Sodann verweist die Eekursantwort auf eine Anzahl Bundesratsbeschlüsse, in welchen die erwähnte Novelle zum Wirtschaftsgesetz ausdrücklich als mit Art. 31 der Bundesverfassung verträglich anerkannt und ausgeführt wird, daß nur in jedem gegebenen Falle vom Regierungsrat, bezw. vom Bundesrat als Kekursinstanz geprüft werden müsse, ob GrUnde des öffentlichen Wohles vorhanden seien, welche die Verweigerung oder den Entzug einer Wirtschaftskonzession rechtfertigen (Anton Bucher und Johann Zumstein, beide in Giswyl, Bundesratsbeschluß vom 31. März 1891, und A. Studier in Giswyl, Bundesratsbeschluß vom 21. April 1891). Es könne sich also im vorliegenden Rekurse nur fragen, ob der Entzug der Wirtschaftskonzession auf Willkür, wie vom Eekurrenten behauptet wird, oder aber auf Gründen der öffentlichen Wohlfahrt beruhe.

Die Regierung konstatiert in erster Linie, daß ihr Bestreben stets dahin ging, die Wirtschaften, für welche kein eigentliches Bedürfnis nachgewiesen war, möglichst einzuschränken. In den oben citierten Eekursfällen aus Giswyl ist namentlich betont worden, daß .auch in andern Gemeinden gegen die überflüssigen und schädlichen Wirtschaften mit gleicher Strenge vorgegangen werden solle. Dies ist denn auch geschehen, indem man in der Gemeinde Samen einzelnen Wirtschaften die Konzession gänzlich verweigert und sie für andere wesentlich eingeschränkt hat. Es unterliegt keinem Zweifel, daß durch diese Maßregel andere Wirte ökonomisch weit empfindlicher betroffen wurden, als dies beim Rekurrenten der Fall ist. Von einer Willkür gegenüber diesem letzteren kann gar nicht die Eede sein, weil, abgesehen von seiner Wirtschaft, in den letzten Jahren in der {remeinde Samen nicht weniger als 5 Wirtschaftskonzessionen entweder ganz aufgehoben oder doch sehr wesentlich beschränkt worden sind. Die Nähe des
Kantonsspitals war allerdings mit ein Grund, welcher den Fortbestand dieser Wirtschaft als unzweckmäßig erscheinen ließ, für sich allein ausschlaggebend war dieser Grund nicht. Zu erwähnen ist ferner, daß sich ganz nahe bei dieser Wirtschaft das kantonale Strafhaus befindet und ebenso in anderer Richtung das in jüngster Zeit neuerbaute Kantonsschulgebäude.

Bandesblatt. 45. Jahrg. Bd. I.

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1066 Es wird seitens der Regierung entschieden bestritten, daß aus dem Verkehr auf der Brünigroute ein Bedürfnis des Fortbestandes fraglicher Wirtschaft resultiere. Ein solches Bedürfnis wäre schon an und für sich dadurch ausgeschlossen, daß der ,,Hirschen" in unmittelbarer Nähe des Fleckens Samen sich befindet (2--3 Minuten) und daß dort dem Bedürfnis nach Wirtschaften mehr als genügend Rechnung getragen ist. Daß die Wirtschaft zum ,,Hirschen" von fremden Durchreisenden in irgend erheblicher Weise frequentiert werde, könne wohl der Eekurrent im Ernste selbst nicht behaupten.

Ebensowenig bestehe ein solches Bedürfnis für die Schiffleute, welcheden Sarner See befahren, weil ein Schiff auf diesem See Überhaupt eine seltene Erscheinung sei. Dadurch werde denn auch der Einwand entkräftet, der Fortbestand des ,,Hirschen" rechtfertige sich aus Rücksicht der Bequemlichkeit für Spaziergänger. Bei der großen räumlichen Ausdehnung der Gemeinde Sarnen mit nur 3928 Einwohnern und 21 Wirtschaften ist nach der Ansicht der Regierungfür die Bedürfnisse des einheimischen und durchreisenden Publikums mehr als hinreichend gesorgt, namentlich wenn man in Betracht zieht, daß nur etwa die Hälfte der obigen Bevölkerungszahl auf den Flecken Sarnen und dessen nähere Umgebung fällt, im gleichen Rayon sich aber von obigen 21 Wirtschaften 15 befinden (auf 130 Köpfe eine).

Gegenüber der Behauptung des Rekurrenten, sein Wirtschaftsbetrieb habe keine Unzukömmlichkeiten mit sich gebracht, wird von der Regierung entgegengehalten, daß dies leider nicht wahr sei, weshalb denn auch der Einwohnergemeinderat von Sarnen sich veranlaßt gefunden, den Entzug der Wirtschaftskonzession schon früher zu beantragen. Zudem wurde darauf gedrungen, daß Kekurrent Krummenacher persönlich die Wirtschaft führe und diese Aufgabe nicht seiner Frau überlasse. Derselbe hielt sich aber dessenungeachtet während der Saison in Engelberg auf. Seine Frau bietet keine Garantie für gehörige Handhabung der Wirtschaftspolizei, sie ist notorisch dem Trunke ergeben.

Im Laufe dieses Jahres wollte Rekurrent seine Wirtschaft an 2 Frauenzimmer verpachten, gegen deren Ehrenhaftigkeit sich allerdings nichts einwenden ließ, die aber immerhin für eine den polizeilichen Vorschriften entsprechende Wirtschaftsführung keine ausreichende Gewähr boten. Dieser Grund, sowie
namentlich das Bestreben, die Zahl der Wirtschaften zu vermindern, veranlaßten sowohl den Einwohnergemeinderat von Sarnen als auch den Regierungsrat,, die Konzession nicht mehr zu erteilen.

Den vom Rekurrenten eingesandten Zeugnissen und Unterschriften legt die Regierung keine große Bedeutung bei, und die Andeutungen-

1067 betreffend Verweigerung von Wirtschaftspatenten an J. Wyß im Melchthal und L. Lustenberger veranlassen sie zu der Vermutung, daß der Verfasser der Rekursschrift mit den thatsächlich obwaltenden Verhältnissen sehr wenig vertraut ist. Das Gesuch des J. Wyß, sowie dessen Rekurse an den Bundesrat und an die Bundesversammlung sind allerdings abschlägig beschieden worden, während man seither im Melchthal eine neue Wirtscbaftskonzession, jedoch nur für eine Fremdenpension während der Sommersaison, erteilt hat. Von dem Konzessionsgesuch eines L. Lustenberger ist der Eegierung nichts bekannt.

Auch i die Annahme des rekurrentischen Anwaltes, L. Krummenacher sei Luzerner Bürger, führt die Rekursantwort auf ein Mißverständnis zurück, welches seine Begründung einzig in dem äußerst oberflächlichen Studium des Rekurses finden dürfte. Krummenacher ist Obwaldner und Bürger der Gemeinde Sächseln.

All' diese Vorhalte haben fUr die Beurteilung des Kekurses freilich nur eine untergeordnete Bedeutung, immerhin dienen sie dazu, den Wert der thatsächlichen Angaben, auf welchen die Reknrseingabe fußt, zu illustrieren und darzuthun, welches Gewicht den Anbringen der Rekurapartei überhaupt beizumessen ist.

Die Regierung schließt ihre Vernehmlassung mit dem Antrage auf Abweisung des Rekurses.

B.

In rechtlicher B e z i e h u n g fällt in Betracht: 1. Der Bundesrat hat bereits in mehreren Fällen anerkannt, daß die Behörden von Obwalden befugt sind, auf Grund des kantonalen Wirtschaftsgesetzes von 1887 Wirtschaftskonzessionen aus Gründen des öffentlichen Wohles zu verweigern, bezw. nicht zu erneuern.

2. Diç vom Rekurrenten gegen die Anwendung des Gesetzes in seinem Falle erhobenen Einwendungen erscheinen nicht als stichhaltig. Es i ist ihm nicht gelungen, durch thatsächliche Nachweise darzuthun, daß die regierungsrätliche Schlußnahme einen Akt der Willkür, der Verletzung der Kechtsgleichheit ihm gegenüber bedeute.

Die Kantonsbehörde ist gegen eine Reihe von Wirtschaften in Samen in ähnlicher1 Weise vorgegangen, wie gegen die Wirtschaft des Rekurrenten.

3. Dazu kommt, daß die Kegierung von Obwalden in den lokalen und persönlichen Verhältnissen liegende Gründe namhaft zu

1068 machen im stände ist, die nach konstanter bundesrechtlicher Praxis als hinreichend angesehen werden müssen, um eine Patentverweigerung, bezw. einen Patententzug zu rechtfertigen.

Demnach wird beschlossen: .1. Der Eekurs ist unbegründet und wird daher abgewiesen.

2. Dieser Beschluß ist der hohen Regierung von Obwalden, sowie dem Vertreter des Rekurrenten schriftlich mitzuteilen.

B e r n , den 30. Dezember 1892.

Im Namen des Schweiz. Bundesrates, Der Bundespräsident:

Hanser.

Der Kanzler der Eidgenossenschaft: Bingier.

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Bundesratsbeschluss über den Rekurs des Ludwig Krummenacher, zum ,,Hirschen" in Samen, gegen eine Schlußnahme des Regierungsrates des Kantons Unterwalden ob dem Wald vom 30. Juni 1892 betreffend Entzug des Wirtschaftspatentes. (Vom 30. Dezember 1892.)

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22.03.1893

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