119

# S T #

Kreisschreiben des

Bundesrates an sämtliche eidgenössische Stände, betreffend die Wahl der eidgenössischen Geschwornen.

(Vom 28. September 1893.)

Getreue, liebe Eidgenossen!

Die sechsjährige Amtsdauer der im Herbste 1887 gewählten eidgenössischen Geschwornen läuft mit dem 31. Dezember dieses Jahres zu Ende, und wir sehen uns infolgedessen in der Lage, Sie einzuladen, gleichzeitig mit den Mitgliedern des Nationalrates auch diese Geschwornen für eine neue Amtsdauer wählen zu lassen.

Die Wahl hat aber auf Grundlage des neuen, auf 1. Oktober laufenden Jahres in Kraft tretenden Bundesgesetzes über die Organisation der Bundesrechtspflege, vom 22. März 1893 (A. 8. n. F.

XIII, 455), zu geschehen, welches ebenfalls eine sechsjährige Amtsdauer der Geschwornen vorsieht, jedoch in Abweichung vom bisherigen Gesetz die Assisenbezirke auf drei reduziert und das Repräsentationsverhältnis für alle Bezirke gleichmäßig auf 1000 festsetzt.

Zur leichtern Orientierung erlauben wir uns, Ihnen die auf die Wahl bezüglichen Artikel 109 bis 114 des neuen Gesetzes hier zu reproduzieren.

Art. 109. Das Gebiet der Eidgenossenschaft wird in folgende drei Assisenbezirke eingeteilt : Der erste Bezirk umfaßt die Kantone Genf, Waadt, Freiburg (mit Ausnahme der Gemeinden, in denen die deutsche Sprache vorherrscht), Neuenburg, diejenigen Gemeinden der Kantone Bern und Wallis, in denen die französische Sprache das Übergewicht hat, Tessin und die italienisch redenden Gemeinden des Kantons Graubünden.

120

Der zweite Bezirk besteht aus den Kantonen Bern (mit Ausnahme der dem ersten Bezirk zugewiesenen Gemeinden), den deutsch sprechenden Gemeinden der Kantone Freiburg und Wallis, den Kantonen Solothurn, Basel (Stadt und Landschaft), Aargau, Luzern, Uri, Schwyz und Unterwaiden (Ob- und Nidwaiden).

Der dritte Bezirk enthält die Kantone Zürich, Glarus, Zug, Schaffhausen, Thurgau, St. Gallen, Appenzell (Außer- und Innerrhoden), Graubünden (mit Ausnahme der Gemeinden, in denen die italienische Sprache vorherrscht).

Art. 110. Die Geschwornen werden vom Volke in Wahlkreisen, welche die Kantone feststellen, auf die Dauer von sechs Jahren mit der relativen Mehrheit der Stimmenden gewählt.

Auf je tausend Einwohner wird ein Geschworner gewählt.

Wählbar ist jeder nach Art. 74 der Bundesverfassung stimmberechtigte Schweizerbürger.

Nicht wählbar sind die Mitglieder der obersten eidgenössischen und kantonalen Verwaltungs- und Gerichtsbehörden, die Gerichtspräsidenten, Verhörrichter und Staatsanwälte, sowie die Beamten und Angestellten aller eidgenössischen und kantonalen Verwaltungen, mit Ausnahme der Gemeindebeamten, und die Geistlichen.

Art. 111.

Die Kantonsregierungen veröffentlichen das Wahlergebnis in den kantonalen Amtsblättern.

Art. 112. Jeder Bürger ist zur Annahme der Wahl verpflichtet.

Ausgenommen sind diejenigen, welche das 60. Altersjahr zurückgelegt haben oder wegen dauernder Krankheit oder wegen eines andern bleibenden Gebrechens außer stände sind, die Pflichten eines Geschwornen zu erfüllen.

Die Ablehnung der Wahl ist binnen zehn Tagen seit der öffentlichen Bekanntmachung des Wahlergebnisses der Kantonsregierung anzuzeigen.

Art. 113. Die Kantonsregierungen entscheiden, ob jemand als Geschworner wählbar und zur Annahme der Wahl verpflichtet sei; sie übersenden die bereinigten Listen der Gewählten dem Bundesgerichte.

Das Bundesgericht stellt aus diesen Listen für jeden Bezirk eine Geschwornenliste zusammen.

Die^Geschwornenlisten werden im Bundesblatte veröffentlicht.

Art. 114. Wenn Geschworne aus irgend einem Grunde in Wegfall kommen, so hat die Kantonsregierung hiervon dem Bundesgerichte Anzeige zu machen, damit sie aus der Liste gestrichen werden.

121 Mit Bezug auf Art. 110, Absatz 2, sehen wir uns veranlaßt, beizufügen, daß nach allgemeiner Übung und im Sinne des Art. 72 der Bundesverfassung die Bruchteile von 500 Seelen und darüber für 1000 Einwohner zu zählen sind. Jedoch darf, abgesehen von der hiernach bezeichneten Ausnahme, die Bruchzahl für die runde Zahl im nämlichen Kanton selbstverständlich nur einmal gezählt werden. Es wird daher jeder Kanton seine Maßnahmen so zu treffen haben, daß als Bndresultat das Verhältnis von einem Geschwornen auf 1000 Einwohner für den ganzen Kanton erzielt wird.

In den Kantonen Freiburg, Bern, Wallis und Graubünden, die zu zwei Bezirken gehören (Art. 109 cit.), ist darauf Bedacht zu nehmen, daß die Verteilung je des einen Geschwornen auf 1000 Einwohner in der Weise berechnet werde, daß der Bevölkerung jeder Sprache ihre Anzahl Geschworner nach Verhältnis so genau wie möglich zukomme. Zu diesem Zwecke und zu leichterer Hebung allfälliger Schwierigkeiten kann in Abänderung der obenerwähnten Bestimmung in den genannten vier Kantonen eine Bruchzahl von 500 Seelen und darüber auf 1000 Einwohner zweimal gezählt werden, d. h. einmal für die Bevölkerung deutscher und einmal für die Bevölkerung französischer oder italienischer Zunge. Bei der Répartition der Zahl der von jedem Kanton, bezw. von jedem Kantonsteil zu wählenden Geschwornen ist selbstverständlich die eidgenössische Volkszählung von 1888 zur Grundlage zu nehmen.

Wir benutzen auch diesen Anlaß, Sie, getreue, liebe Eidgenossen, samt uns in Gottes Machtschutz zu empfehlen.

B e r n , den 28. September

1893.

Im Namen des Schweiz. Bundesrates, Der Bundespräsident:

Schenk.

Der Kauzler der Eidgenossenschaft: Riiigier.

Schweizerisches Bundesarchiv, Digitale Amtsdruckschriften Archives fédérales suisses, Publications officielles numérisées Archivio federale svizzero, Pubblicazioni ufficiali digitali

Kreisschreiben des Bundesrates an sämtliche eidgenössische Stände, betreffend die Wahl der eidgenössischen Geschwornen. (Vom 28. September 1893.)

In

Bundesblatt

Dans

Feuille fédérale

In

Foglio federale

Jahr

1893

Année Anno Band

4

Volume Volume Heft

42

Cahier Numero Geschäftsnummer

---

Numéro d'affaire Numero dell'oggetto Datum

04.10.1893

Date Data Seite

119-121

Page Pagina Ref. No

10 016 310

Das Dokument wurde durch das Schweizerische Bundesarchiv digitalisiert.

Le document a été digitalisé par les. Archives Fédérales Suisses.

Il documento è stato digitalizzato dell'Archivio federale svizzero.