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Schweizerisches Bundesblatt.

45. Jahrgang. I.

Nr. 4.

25. Januar 1893.

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Bundesratsbeschluß über

den Rekurs des Albert Steck, Großrat, von und in Bern, betreffend die Ableistung eines religiösen Eides bei dem Amtsantritte.

(Vom 20. Januar 1893.)

Der schweizerische B u n d e s r a t hat über den Rekurs des Albert S t e c k , - G r o ß r a t , von und in Bern, gegen den Beschluß des Großen Rates des Kantons Bern vom 17. November 1892, betreffend die Ableistung eines religiösen Eides bei dem Amtsantritte, auf den Bericht des Justiz- und Polizeidepartements folgenden Beschluß gefaßt:

A.

In thatsächlicher Beziehung wird festgestellt: I.

Die Staatsverfassung des Kantons Bern vom 31. Juli 1846 «enthält in § 99 folgende Vorschrift: "Die Mitglieder der Staatsbehörden, die Beamten und Angestellten leisten bei dem Antritte ihres Amtes folgenden Eid : ,,,,Ich gelobe und schwöre: die Rechte und Freiheiten des Volkes und der Bürger zu achten, die Verfassung und verfassungsmäßigen Gesetze streng zu befolgen und die Pflichten meines Amtes getreu und gewissenhaft zu erfüllen.

,,,,So wahr mir Gott helfe, ohne Gefährde!""

Bundesblatt. 45. Jahrg. Bd. I.

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138 II.

Der Rekurrent, am 25. September 1892 in einer Ersatzwahl von der obern Gemeinde der Stadt Bern zum Mitglied des heroischen Großen Rates gewählt, wollte am 17. November seinen Sitz im Großen Rate einnehmen. Er stellte bei diesem Anlasse das Begehren, es möge ihm gestattet werden, den Amtseid in bürgerlicher Form, d. h. unter Weglassung der Worte ,,So wahr mir Gott helfe*, zu leisten, da es wider sein Gewissen gehe, einen Eid mit feierlicher Anrufung Gottes als Zeugen der Wahrheit seines Versprechens abzulegen. Nach dem amtlichen Stenogramm der Verhandlungen des Großen ßates drückte sich Herr Steck wörtlich folgendermaßen aus: ,,Nach meiner Ansicht setzt der Eid eine ganz bestimmte religiöse Überzeugung voraus. Die Formel ,,so wahr mir Gott helfe a weist darauf hin, daß der Eid nur von demjenigen recht und ernst geleistet werden kann, welcher an einen persönlichen Gott, der in das Schicksal jedes einzelnen beliebig eingreift, glaubt. Ich habediesen Glauben nicht."

Mit 136 gegen 40 Stimmen verweigerte jedoch der Große Rat des Kantons Bern die Ableistung eines der verfassungsmäßigen Form nicht entsprechenden Eides.

Daraufhin verließ Herr Steck den Großratssaal mit der Erklärung, daß er gegen den Beschluß des Rates den Schutz seiner Glaubens- und Gewissensfreiheit bei den Bundesbehörden suchen werde.

in.

In einem vom 23. November 1892 datierten ßekursmemoriai stellt Herr Fürsprecher Alexander Reiehel in Bern namens des Herrn Albert Steck das Begehren, an den Bundesrat: ,,Es sei der Beschluß des Großen Rates des Kantons Bern vom 17. November 1892, wodurch Herrn Steck die Ableistung eines Eides ohne Anrufung Gottes verweigert wird, aufzuheben.11 Der Rekurrent führt aus: Die Mehrheit des Großen Rates hat sich offenbar nur durch, ihre Voreingenommenheit gegen Herrn Steck als Angehörigen der socialdemokratischen Partei verleiten lassen, einen so wenig überlegten Beschluß zu fassen.

Nach Art. 49, Abs. 4, der Bundesverfassung darf die Ausübung bürgerlicher oder politischer Rechte durch keinerlei Vorschriften oder Bedingungen kirchlicher oder religiöser Natur beschränkt werden. Die Mitgliedschaft im Großen Rate des Kantons

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Bern ist ein politisches Recht im eminentesten Sinne " des Wortes.

Die Teilnahme an den Verhandlungen dieser Behörde darf daher nicht von der Erfüllung einer Bedingung religiöser Natur abhängig gemacht werden. Daß aber die Anrufung Gottes in einer Eidesformel ein religiöser Akt ist, kann nicht bezweifelt werden und ist übrigens durch die bundesrätliche Praxis in Rekurssachen mit Bezug auf den gerichtlichen Eid bereits festgestellt (vergi, v. Salis, Bundesrecht, II, Nr. 694).

Allerdings ist § 99 der bernischen Kantonsverfassung nicht formell aufgehoben. Allein Bundesrecht geht kantonalem Recht in allen Dingen vor und eines besondern Aufhebungsdekretes bedurfte es nicht, um der Bundesverfassung widersprechendes kantonales Recht zu beseitigen (vergi. Art. 2 der Übergangsbestimmungen zur Bundesverfassung).

Die bernische Verfassung von 1846 ist auch niemals vom Bunde genehmigt worden. Übrigens enthält die Aufstellung einer religiösen Eidesformel an sich noch nicht einen Widerspruch mit der Bundesverfassung, sondern erst der gegen jemand geübte Zwang in der Anwendung derselben.

IV.

Von der Bundesbehörde zur Vernehmlassung über diesen Rekurs eingeladen, hat der Große Rat des Kantons Bern derselben mit Zuschrift vom 12. Januar 1893 folgende Antwort unterbreitet: ,,1. Es war nicht Voreingenommenheit gegen Herrn Steck oder dessen Partei, welche uns bestimmte, den in der bernischen Staatsverfassung vorgeschriebenen Amtseid zu fordern, sondern der Große Rat war nach § 99 unserer Staatsverfassung gezwungen, diesen Eid zu verlangen.

.,,Dieser § 99 bildet einen integrierenden Teil unserer Staatsverfassung, und indem die Mitglieder des Großen Rates geschworen haben, diese Verfassung streng zu befolgen, müssen sie an der vorgeschriebenen Eidesformel festhalten, solange die Verfassung ein anderes Verfahren nicht gestattet.

,,2. Der Art. 49 der Bundesverfassung, in Verbindung mit Art. 2 der Übergangsbestimmungen zu derselben, hat nach Ansicht des Herrn Steck den § 99 der bernischen Verfassung aufgehoben.

,,Ein Verbot des Eides ist in jenem Artikel jedoch nicht ausgesprochen, und die Beeidigung der Mitglieder der Staatsbehörden und Beamten fand im Kanton Bern auch seit dem Inkrafttreten der Bundesverfassung von 1874 fortwährend und ohne Anstand statt.

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,,3. Der, Rekurrent, Herr Albert Steck, hat seit 1874 selber diesen Eid mehrmals und ohne Widersetzung geleistet als Großrat, als Advokat, als Civilstandsbeamter.

,,Der Große Rat mußte daher annehmen, daß seine jetzige Eidesverweigerung weniger wegen Verletzung seiner Gewissensfreiheit erfolgte, als in der Absicht, durch seine Erklärung,, er glaube nicht an Gott, eine socialistisch-atheistische Demonstration in Scene zu setzen. Gegen diese Demonstration hat der Große Rat in seiner übergroßen Mehrheit protestiert, und er weiß, daß er damit der Meinung des ganzen Bernervolkes (eine verschwindende Minderheit ausgenommen) Ausdruck gab. Ein gegenteiliger Beschluß des Großen Rates hätte im Volke große Entrüstung hervorgerufen.

,,Der Begriff Gott, so wie er in § 99 der Staatsverfassung steht, ist zudem ein so allgemeiner, daß daraus kaum ein persönlicher Gott, den sich alle ganz gleich vorzustellen haben, abgeleitet werden kann. Die eidgenössische Formel ist darin viel knapper, indem der Eid lautet : ,,Ich schwöre vor Gott dem Allmächtigen"1 etc., und die eidgenössische Staatsverfassung selbst, unter der wir alle stehen, beginnt mit den Worten: ,,Im Namen Gottes des Allmächtigen. a ,,Es konnte also aus den angeführten Gründen der Große Rat nicht anders entscheiden, als er entschieden hat, und kann es auch heute noch nicht, indem die Mitglieder geschworen haben, die noch zu Recht bestehende Verfassung und also auch den § 99 streng zu befolgen.

,,Im Entwurf unserer neuen Staatsverfassung ist nun in Art. 113 vorgesehen, daß Personen, denen ihre Überzeugung die Ablegung eines Eides nicht gestattet, an Stelle desselben ein entsprechendes Gelübde ablegen können.

,,Diese Verfassung ist aber vom Volke noch nicht angenommen.

Möge nun der hohe Bundesrat entscheiden, ob fraglicher Art. 113 oder ähnliches gleichwohl im vorliegenden Fall in Anwendung gebracht werden soll."1 B.

In rechtlicher Beziehung fällt in Betracht: 1. Die Bundesverfassung vom 29. Mai 1874 hat in Art. 49 den Grundsatz der Glaubens- und Gewissensfreiheit ausgesprochen; sie erklärt, daß in Glaubens- und Gewissenssachen keinerlei Zwang geübt werden dürfe, und führt in dem genannten Artikel die aus diesem Grundsatz fließenden Konsequenzen in Hinsicht auf die verschiedenen Gebiete staatlichen, korporativen und individuellen

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Lebens näher aus; in Absatz 4 desselben bestimmt sie insbesondere, daß die Ausübung bürgerlicher oder politischer Rechte durch keinerlei Vorschriften oder Bedingungen kirchlicher oder religiöser Natur beschränkt werden dürfe.

2. Um dieser Verfassungsbestimmung gerecht zu werden, hat die schweizerische Bundesversammlung in dem Organisationsgesetze über die Bundesrechtspflege vom 27. Juni 1874 (Art. 19, Abs. 5) bestimmt: ,,Diejenigen Gerichtspersonen, denen ihre Überzeugung die Leistung eines Eides nicht gestattet, können an Stelle desselben ein Handgelübde ablegen.tt Und der Bundesrat erklärte in wiederholten Rekursentscheidungen, die eidliche Bestätigung einer Zeugenaussage im Civilprozesse, wobei die Schlußworte der Schwurformel lauten : ,,So wahr mir Gptt helfe und alle Heiligen"1, wie auch die gerichtliche Eidesleistung nach der Formel: ,,Bei Gott dem Allwissenden11 oder ,,So wahr ich bitte, daß mir Gott helfea stellen ·sich unzweifelhaft als eine religiöse Handlung dar; nach der Bundesverfassung könne jeder Bürger ohne Rechtsnachteil eine solche Eidesleistung verweigern (vergi, v. Salis, Bundesrecht, II, Nr. 693 und 694).

3. Nicht anders als mit dem gerichtlichen (prozessualen) Eid verhält es sich mit dem Amtseide. Denn das individuelle Recht der Glaubens- und Gewissensfreiheit ist auf allen Gebieten des menschlichen Lebens dasselbe und des gleichen Schutzes würdig.

Es kann daher auch nicht die Bekleidung eines öffentlichen Amtes, die Ausübung amtlicher Funktionen an die Vorbedingung der Ableistung eines religiösen Eides geknüpft werden. Dies würde dem Art. 49 der Bundesverfassung und speciell dem Absatz 4 dieses Artikels geradeswegs zuwiderlaufen.

4. Der in § 99 der bernischen Staatsverfassung vom 31. Juli 1846 für die Mitglieder der Staatsbehörden, die Beamten und Angestellten vorgeschriebene Amtseid weist das Merkmal religiösen Charakters in den Schlußworten ,,So wahr mir Gott helfe"- auf.

In diesen Worten ist jene lebendige Beziehung des menschlichen Selbstbewußtseins auf Gott ausgesprochen, welcher ein Verhältnis des Menschen zu einer höhern Macht, der Gottheit, zu Grunde liegt, und die wir im allgemeinen als Religion bezeichnen. Allerdings gestaltet sich der Charakter dieses Verhältnisses, der Inhalt des religiösen Glaubens, bei den einzelnen Menschen je nach ihrem individuellen
Geistesleben verschieden. Allein jede positive Beziehung des menschlichen Geistes auf den göttlichen Geist ist ein Ausfluß der Religion.

In Be/Aig Ruf diesen Glauben an eine höhere göttliche Macht und die Beurteilung ihres Verhältnisses zum Menschen will nun

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aber die schweizerische Bundesverfassung jedem Bürger die unbeschränkteste individuelle Freiheit gewahrt-wissen, davon ausgehend, daß die Religion dem Gebiete des unmittelbaren Selbstbewußtseins angehört, Gewissenssache ist; und sie gewährt diese Religionsfreiheit nicht bloß in positiver Richtung, d. h. nicht nur dem gottesgläubigen Bürger, sondern auch in negativer Richtung, d. h. auch demjenigen, der für sich j e d e Beziehung zu einer Gottheit leugnet, dem religionslosen Bürger.

Der Große Rat des Kantons Bern geht daher unrichtig vor, wenn er den Begriff Gott, ,,so wie er in § 99 der Staatsverfassung steht", zu bestimmen unternimmt, und darin ,,kaum einen persönlichen Gott, den sich alle ganz gleich vorzustellen haben", er- · blickend, dahin urteilt, es könne ohne Verletzung der Glaubensund Gewissensfreiheit einem jeden Mitgliede füglich zugemutet werden, sich bei seinem Amtsgelöbnis auf diesen Gott zu beziehen.

Denn über sein Verhältnis zu Gott hat jedes Mitglied ausschließlich selbst zu entscheiden, und der Beweggrund, aus welchem ein Mitglied sich weigert, den Amtseid unter Anrufung des Beistandes Gottes, als des Zeugen der Wahrheit und Festigkeit seines Gelöbnisses, zu leisten, entzieht sich durchaus der Kontrolle und Prüfung der Behörde.

Aus dem gleichen Grunde kann die Berufung des Großen Rates auf die Thatsache, daß Herr Albert Steck seit dem Inkrafttreten der Bundesverfassung von 1874 wiederholt, als Großrat, als Advokat, als Civilstaudsbeamter, ohne Widersetzung den vorgeschriebenen Amtseid geleistet hat, nicht als rechtserheblich angesehen werden. Was der Bundesrat bei seiner Entscheidung vom 25. März 1887 im Rekursfalle Sudler (vergi, v. Salis, II, Nr. 698 und 692 in fine) in Hinsicht auf den durch Art. 49 der Bundesverfassung ausgeschlossenen Zwang zur Teilnahme an einem religiösen Unterrichte gesagt hat, gilt voll und ganz auch im vorliegenden Falle: ,,Es kommt dem Staate nicht zu, an eine bestimmte Erklärung oder Handlung einer Person die Rechtsfolge zu knüpfen, daß dieselbe damit für die Zukunft in unwiderruflicher Weise über ihren Glauben, ihre religiöse Meinung entschieden habe. Die Freiheit, seine Ansichten zu ändern, ist ja gleichbedeutend mit geistiger Freiheit überhaupt. Es steht dem Staate ferner nicht zu, nach den innern Motiven eines religiösen Meinungswechsels zu
forschen und, wenn jene etwa nicht logisch befunden werden sollten, demselben die Berechtigung abzusprechen, ihn rechtlich nicht zu beachten, nicht zu schützen"1 . : . . .

Der Bundesrat schloß seine Erwägungen in jenem Rekursfalle mit den Worten: ,,Die Pflicht zur Teilnahme an einem religiösen

143 Unterricht darf gegenüber der einfachen Weigerung des Individuums auch nicht einen Moment aufrecht erhalten oder gar zwangsweise geltend gemacht werden, wenn nicht das garantierte Freiheitsrecht selbst darunter leiden, ja zu Grunde gehen soli". Dies trifft auch im Falle einer Eidesverweigerung zu.

5. Was die rechtliche Einwirkung von Art. 49 der Bundesverfassung auf die in Frage stehende Vorschrift der Berner Verfassung anlangt, so bedarf auch in diesem Punkte die Auffassung der Kantonsbehörde einer Berichtigung. Ein Verbot des Eides ist in Art. 49 der Bundesverfassung nicht ausgesprochen, dies kann dem Großen Rate zugegeben werden ; allein die Leistung des Eides nach der von der V erf assung'des Kantons Bern aufg e s t e l l t e n F o r m e l darf nicht mehr o b l i g a t o r i s c h erklärt, als Bedingung der Teilnahme an den Verhandlungen des Großen Rates gesetzt werden ; sie ist in das freie Ermessen jedes Mitgliedes gestellt, fakultativ geworden. Diese Folge ergiebt sich mit zwingender Notwendigkeit aus Absatz 4 des Art. 49 der Bundesverfassung.

Zufolge Art. 2 der Übergangsbestimmungen der Bundesverfassung vom 29. Mai 1874 ist § 99 der Berner Kantonsverfassung seit dem Inkrafttreten des eidgenössischen Grundgesetzes insoweit außer Kraft getreten, als derselbe den Mitgliedern der Staatsbehörden, den Beamten und Angestellten des Kantons die Ablegung eines Gelöbnisses (Eides) mit Einschluß der einen religiösen Charakter tragenden Worte v o r s c h r e i b t ; im übrigen ist er in Kraft verblieben. Es kann von Bundes wegen nichts dagegen eingewendet werden, wenn der Amtseid im Kanton Bern nach wie vor 1874 ganz der in § 99 der Verfassung enthaltenen Formel gemäß geleistet wird; nur darf der einzelne Bürger hierzu nicht verpflichtet werden.

Ebenso fällt es für die Bundesbehörde rechtlich nicht in Betracht, ob die Kantonsbehörden gegebenen Falles die Worte ,,So wahr mir Gott helfett oder ähnliche Worte einfach aus der Eidesformel weglassen, oder ob und wie sie dieselben durch Worte nichtreligiöser Art ersetzen. Es ist dies ganz und gar Sache der zuständigen kantonalen Organe. Bekanntlich haben die Bundesbehörden, sowie die Behörden mehrerer Kantone, u. a. Luzerns, den zuletzt angedeuteten Weg eingeschlagen.

6. Ohne rechtlichen Belang ist der Hinweis des Großen Rates auf die Eingangsworte
der schweizerischen Bundesverfassung: ,,Im Namen Gottes des Allmächtigen!" Denn durch diese Worte wird gegenüber keinem Bürger irgend welche Verbindlichkeit ausgesprochen, durch die er sich in seinem Gewissen beschwert finden könnte.

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7. Wenn endlich der Große Rat erwähnt, daß in den Entwurf einer neuen Kantonsverfassung ein Artikel aufgenommen worden sei, der Personen, die es verlangen, an Stelle des Eides die Ablegung eines entsprechenden Gelübdes gestattet, und wenn er dem Bundesrate anheimstellt, angesichts dieses vom Volke noch nicht angenommenen Verfassungsentwurfes im vorliegenden Falle die geeignete Schlußnahme zu treffen, so kann nach dem unter Ziffer 4 und 5 Gesagten nicht zweifelhaft sein, daß dem als Mitglied des Großen Rates des Kantons Bern gewählten Rekurrenten trotz seiner Eidesverweigerung die Ausübung seines Rechtes und damit zugleich die Erfüllung seiner Pflicht, an den .Verhandlungen dieser Behörde teilzunehmen, s o f o r t ermöglicht werden muß und daß dessen Amtsantritt nicht auf einen künftigen Zeitpunkt hinausgeschoben werden darf, wo vielleicht durch die kantonale Verfassung die Ablegung eines Gelübdes an Stelle des religiösen Eides vorgesehen sein wird.

Der Rekurrent ist ohne Aufschub zu den Verhandlungen des Großen Rates, dessen Mitglied er ist, zuzulassen ; Form und Inhalt eines von ihm abzulegenden, des religiösen Charakters entkleideten Gelübdes hat, wie schon gesagt, die kantonale Behörde zu bestimmen.

D e m n a c h wird beschlossen: 1. Der Rekurs ist begründet.

2. Infolgedessen wird der Große Rat des Kantons Bern eingeladen, auf seinen Beschluß vom 17. November 1892 betreffend den Amtsantritt des Herrn A. Steck im Sinne vorstehender Erwägungen zurückzukommen.

3. Dieser Beschluß ist der h. Regierung des Kantons Bern, für sie und zu Händen des Großen Rates, sowie dem Herrn Fürsprecher A. Reichel zu Händen des Rekurrenten mitzuteilen.

B e r n , den 20. Januar 1893.

Im Namen des Schweiz. Bundesrates, Der Bundespräsident:

Schenk.

Der Stellvertreter des eidg. Kanzlers: Scbatzmann.

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Bundesratsbeschluß über den Rekurs des Albert Steck, Großrat, von und in Bern, betreffend die Ableistung eines religiösen Eides bei dem Amtsantritte. (Vom 20. Januar 1893.)

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1893

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25.01.1893

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137-144

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