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Bericht der

ständerätlichen Kommission betreffend Gründung einer schweizerischen Landesbibliothek.

(Vom 4. Dezember 1893.)

Tit.

Dem Sprecheaden ward genau vor vier Jahren die Aufgabe zu teil, Ihnen über die Vorlage betreffend Gründung eines schweizerischen Landesmuseums Bericht zu erstatten. Viel besprochen und viel umworben, hat dieses Projekt seither eine gedeihliche und sicherlich jedermann befriedigende Lösung gefunden. Ein stilvoller, seines Zweckes würdiger Bau erhebt sich bereits und binnen kurzem wird er seine Thore erschließen, um den Eidgenossen wertvolle Schätze aus entschwundenen, ruhmvollen und kunstsinnigen Zeiten in geschmackvoller Aufstellung vor Augen zu führen. Heute liegt mir wiederum ob,, ein Seitenstück zum Landesmuseum bei Ihnen einzuführen, nämlich die L a n d e s b i b l i o t h e k , ein Werk, das nicht minder getragen ist von idealen Beweggründen, von vaterländischem Sinne und vom Bestreben, auch die Denkmäler der schweizerischen Litteratur zu sammeln und zum Gemeingute des Volkes zu machen.

I.

Die Anfänge einer Landesbibliothek reichen allerdings nicht so weit zurück, wie diejenigen des Landesmuseums. Wohl hat Gottlieb Emanuel von Haller schon im Jahre 1785 mit der Publikation einer Bibliothek der Schweizer Geschichte" begonnen und

439 der Idee einer Schweizer Bibliothek eine wissenschaftliche Begründung gegeben, aber als Vorläufer des heutigen Projektes kann sein bibliographisches Werk dennoch nicht aufgefaßt werden. Doch bald nach Haller entwarf der helvetische Minister Philipp Albert Stapfer zielbewußt den Plan für Errichtung einer Nationalbibliothek.

Aus seinem Berichte vom 26. August 1800 über die Zahl, den Wert und den Zustand der verschiedenen Bibliotheken geht hervor, daß es bloß eines Federzuges des Ministeriums bedurft hätte, um die vorhandenen kantonalen, städtischen und Klosterbibliotheken in ,,Nationalbibliotheken11 umzuwandeln, und daß ohne ängstliche Erdauerung des Mein und Dein auch eine centrale National bibliothek geschaffen worden wäre. Die Verfügung war schon in Aussicht genommen, ihr dann die wichtigsten und ,,bestkonserviertena Werke einzuverleiben. Politische und kriegerische Wirren vereitelten das Vorhaben. Immerhin besitzen die gemachten Erhebungen einen bleibenden Wert, indem sie erkennen lassen, wie manche großen Bücherschätze damals in Helvetien vorhanden gewesen waren, zumal auch in den Klöstern und in den Bibliotheken der aufgehobenen Klöster. Gewiß, den fleißigen, kunstfertigen und gelehrten Mönchen darf hier ein Wort verdienter Anerkennung gesprochen werden.

Sie sammelten und schützten nicht bloß fremde litterarische Erzeugnisse, sondern schufen selbst die schönsten und wertvollsten handschriflichen Codices und hüteten die Incunabula mit verständnisvoller Sorgfalt. Was von diesen Stiften auf uns gekommen, bildet immer das Juwel einer jeden Bibliothek von Ruf und Bedeutung.

Unseren schweizerischen Bibliotheken hat die französische Invasion empfindlichen Schaden gethan. Gar manches alte Schriftwerk von außergewöhnlichem Werte ist auf fränkischen Boden entführt worden. Selbst Generäle sammelten für ihren ,,Privatbedarf a seltene Manuskripte. So z. B. erzählt der erwähnte helvetische Ministerialbericht, daß ein französischer Bataillonskommandant der Engelberger Klosterbibliothek Unica enthoben habe, um sie Lecourbe, der ,,solche Altertümer sammele", zu ,,schenken11.

Seit den sturmbewegten Tagen der Helvetik hat der Gedanke einer Nationalbibliothek keine energischen und berufenen Vertreter mehr gehabt. Erst die Gründung des Landesmuseums hat dessen Zwillingsschwester wieder zur Geltung
gebracht. Wissenschaftliche Gesellschaften, Fachkommissionen und Litteraten sind initiativ vorgegangen. Eine Anregung des Bundesrates, durch einen Budgetposten die Mittel für die Gründung einer Landesbibliothek zu gewähren, wurde ÌQ dem Sinne abgelehnt, daß den Räten über das Projekt eine specielle Vorlage zu unterbreiten sei. Bald hernach wurden die Bibliotheken in der Schweiz um ihre Meinung befragt.

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Die Antworten liegen gedruckt in Ihren Händen. Gerade vou Bedeutung ist der bezügliche Enquetebericht nicht. Befriedigung bietet er hauptsächlich darin, daß er die Beweise über die vorhandene, allseitige Sympathie für das Projekt erbringt. Mittlerweilen ist aber die Botschaft des Bundesrates, samt dem Besohlussesentwurfe, erschienen, und sind auch einzelne Erörterungen über bestimmte Bibliotheken und lokale Verhältnisse zum Drucke befördert worden, ihre Kommission vermißte bei all diesen Kundgebungen die Gutachten der Männer vom Fache, der berufensten Bibliothekare. In verdankenswerter Weise leistete das Tit. Departement des Innern unserm Wunsche für Einberufung einer Expertenkommission Folge.

Das Protokoll derselben ist ein Aktenstück von großem Belang und liefert gleichzeitig für die Kate und deren Kommissionen einen schätzbaren Leitfaden zur Beurteilung der sich aufdrängenden, verschiedenartigen, grundsätzlichen und organisatorischen Fragen. Der Kommission stund, somit ein gereiftes Material zur Verfügung. Und dennoch erachtete sie es als sehr nützlich, einzelne bedeutende Bibliotheken der Central-, West- und Ostschweiz noch in Augenschein zu nehmen, so die Bürgerbibliothek in Luzern, die Stadtbibliotheken von Bern, Zürich und Genf, sowie die vaterländische, Falkeisen'sche und öffentliche Bibliothek in Basel. Mit dieser Besichtigung konnte die Kommission einen Einblick in die vorhandenen Bücherbestände, in die Organisation und Administration unserer schweizerischen Bibliotheken und durch mündlichen Verkehr mit den betreffenden Bibliothekaren, welche gleichzeitig hervorragende Vertreter ihres Berufes sind, manche Aufklärung, eine Wegleitung und selbst Beruhigung sich verschaffen. Die Früchte dieser Wahrnehmungen und Erörterungen sind im Beschlussesentwurfe der Kommission niedergelegt. Ich erachte mich pflichtig, an dieser Stelle sowohl den Herren Bibliothekaren, als auch den Präsidenten der Bibliothekkommissionen für ihre Zuvorkommenkeit der Kommission gegenüber im Namen derselben verbindlich zu danken. Die Stadtbibliotheken von Zürich, Bern und Genf, sowie die öffentliche Bibliothek von Basel sind universelle Büchersarnmlungen, deren Bethätigung das ganze Gebiet der Litteratur umfaßt, ohne Rücksicht auf die Landesgrenzen zu nehmen. Immerhin besitzt die Stadtbibliothek von Zürich einen
außergewöhnlich reichen Bestand an Helvetika. Anders verhält es sich mit der Bürgerbibliothek in Luzern, sowie mit der Falkeisen'sehen und vaterländischen Bibliothek in Basel. Diese Bibliotheken sammeln ausschließlich schweizerische Druckwerke; indessen übertrifft die erstere an Umfang und Wert die beiden letzteren ganz beträchtlich.

441 IL Für Ihre Kommission steht, trotz den trefflichen Bibliotheken in der Schweiz, außer Zweifel, daß die Gründung einer eidgenössischen Landesbibliothek nicht bloß als wünschenswert, sondern auch als ein wissenschaftlich notwendiges und die litterarische Forschung wesentlich förderndes Ziel erscheint. Dabei soll die Aufgabe der künftigen Landesbibliothek allerdings eine k l a r b e g r e n z t e und e r f ü l l b a r e sein. In diesem Punkte divergieren die Ansichten glücklicherweise nicht. Alle Stimmen, die sich darüber vernehmen lassen, sind einig, daß eine rein vaterländische Bibliothek ins Leben gerufen werden solle, eine Sammelstätte der schweizerischen litterarischen Erzeugnisse; nur für e i n e s o l c h e liegt ein Bedürfnis vor, keineswegs aber für eine universelle, kosmopolitische Bibliothek. Wohl bestehen in der Schweiz Anstalten, welche mit Fleiß, Geschick und Ausdauer Hei vetika sammeln, aber-keiner von ihnen gelingt es, vollzählig oder umfassend zu sammeln. Zu einem solchen Resultate können sie schon deshalb nicht gelangen, weil ihre Mittel durchwegs recht bescheidene sind und ihr Gesichtskreis mehr ein lokaler denn ein allgemeiner ist. Aus diesen Gründen wandern alljährlich zahlreiche Drucksachen von bleibender Bedeutung unbeachtet in das Ausland, in die Papiermühle oder gehen sonstwie verloren. In den bestehenden Bibliotheken, so trefflich sie auch verwaltet werden, kommt nur ein relativ kleiner Teil der Druckschriftenproduktion zusammen. Erlasse des Bundes und der Kantone, selbst aus der neuern Zeit, sind nicht mehr erhältlich.

Nur eine mit hinlänglichen Mitteln ausgestattete, das ganze Gebiet der schweizerischen Litteratur und alle Teile des Landes mit der nämlichen Sorgfalt berücksichtigende, eine allseitig anerkannte Autorität besitzende Centralsammelstelle kann dasjenige erwerben, was ein getreues Bild unserer Zeit zu geben im stände ist, was verdient, den kommenden Generationen überliefert zu werden, was die Pflege der vaterländischen Studien und Forschungen anzueifern und zu befriedigen vermag, was die wissenschaftlichen Bestrebungen unter das Volk zu tragen berufen ist. Eine Landesbibliothek wird die volle Gewähr bieten, daß jede erschienene Druckschrift, die aufbewahrt zu werden verdient, wirklich auch aufbewahrt wird und vorhanden bleibt. Deshalb müßte sich die
Landesbibliothek zur Sammelstätte für alles ausgestalten, was Land und Leute, Geschichte und Natur, Sitten und Gebräuche, die kirchlichen, politischen, wirtschaftlichen und socialen Verhältnisse, die Verwaltung des Ganzen und seiner Teile, sowie die Männer beschlägt, welche berufen waren oder sind, in die Geschicke der Schweiz oder in das gesamte Kulturleben der Menschheit einzugreifen.

Bnndesblatt. 45. Jahrg. Bd. V.

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442 Eine derartige Wirksamkeit der Landesbibliothek hat auch ihre patriotische Seite. Und diese finde ich darin, daß die Erzeugnisse des Schweizergeistes nicht mehr in alle Windrichtungen zerstreut werden, und daß die geistigen Produkte des Volkes, in ihren Lioht- und Schattenseiten, in möglichster Vollständigkeit sich zusammenfinden.

Damit habe ich bereits angedeutet, daß der Begriff ,,Helvetika"' weit gefaßt werden soll. Eine Beschränkung desselben auf die übliche Definition kann nicht Platz greifen. Die Landesbibliothek soll nicht bloß Schriften über das Land und das Volk, sondern auch die Werke jener Landessöhne in sich aufnehmen, welche in der Fremde sich wissenschaftlich oder kulturell bethätigen oder bemerkbar gemacht haben. Für die Heimat ist es stetsfort von Wert und gewiß häufig auch rühmlich, den Anteil zu kennen, der ihren Angehörigen am Schaffen und Wirken aller Völker zu teil geworden ist. Klan wird einstmals diese Werke auch in einer schweizerischen Landesbibliothek suchen, und es wäre fast beschämend, sie darin nicht zu finden.

Es tritt nun die Frage an uns heran, von welchem Zeitpunkte an soll die Landesbibliothek ihre Sammelthätigkeit beginnen? Ein Haupterfordernis einer jeden Bibliothek besteht darin, ihre Bestände möglichst v o l l s t ä n d i g zu gestalten. Diese Errungenschaft allein bietet Gewähr für die Erfüllung des Zweckes, entspricht den wissenschaftlichen Forderungen, sichert den Rang, den eine Landesbibliothek ehrenhalber einnehmen soll, und kann diejenigen befriedigen, welche sie benutzen wollen. Aber gerade in dieser Abgreuzungsfrage zeigen sieh Gegensätze. Ihre Kommission, übereinstimmend mit den meisten Experten, spricht sich dahin aus, daß die Landesbibliothek mit E r f o l g n u r v o r w ä r t s i n d i e Zukunft u n d n i c h t r ü c k w ä r t s in die Vergangenheit sammeln könne. Ein planmäßiges, systematisches Kollektionieren von alten Helvetika wäre eine nutzlose Anstrengung. Was auf diesem Gebiete erhältlich gemacht werden könnte, wären bloße Fragmente und würde sich niemals über die Bedeutung eines unbefriedigenden Stückwerkes zu erheben vermögen. Und selbst dieses würde nur durch eine Konkurrenz gegen Anstalten zusammen zu bringen sein, die seit langem mit pietätsvoller Hingebung die antiken Bücherschätze nach Kräften zu sammeln trachteten. Die neu
gegründete Landesbibliothek kann den Krieg mit den bisherigen Sammelstätten schweizerischer Litteratur nicht herbeiführen wollen, vielmehr soll sie, als die Stärkere, denselben die Hand zum Bunde reichen, und zwar in einem analogen Verhältnis, wie es zwischen dem Landesmuseum und den öffentlichen Altertümersammlungen in den Kantonen besteht, durch angemessene Bundesbeiträge. Vergesse man übrigens auch nicht, daß eine unbegrenzte Sammelthätig-

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keit der Landesbibliothek ganz andere Geldsummen beanspruchen müßte, als in Aussicht genommen sind, und daß erstere doch allzusehr dem Spiel des Zufalles überantwortet bliebe. Warum sollte sich der Bund überhaupt veranlaßt sehen, grundsätzlich zu erwerben, was die einzelnen Kantons- oder Stadtbibliotheken bereits besitzen? Unbedingt richtiger ist es, daß er mit seiner Kraft da einsetzt, wo jene nicht mehr nachzukommen im Falle sind, daß er fürs eine die neue Litteratur vollständig erwerbe und sodann für die ältere die Lücken in den öffentlichen Bibliotheken auszufüllen wirksam sich bestrebe, teils durch direkten Anschluß an eine bestehende Helvetikabibliothek, teils durch Unterstützung von sachbezüglichen Ankäufen.

Die Scheidelinie zwischen der neuern und altern Litteratur ist eine ziemlich gegebene. Ihre Kommission zieht sie beim neuen Bunde, im Jahre 1848. Die meisten und gewichtigsten Gründe sprechen hierfür. Das Jahr 1848 bezeichnet einen politischen Wendepunkt in der Eidgenossenschaft. Vom Staatenbunde zum Bundesstaate übergegangen, haben sich seither nicht nur im Leben des Bundes, sondern auch in den Kantonen neue Verhältnisse eingebürgert, sind neue Organisationen und öffentlichrechtliche Gebilde entstanden. Die offiziellen periodischen Publikationen und die Serienpublikationeu der Gesellschaften und Vereine haben mehrteils in den vierziger Jahren dieses Jahrhunderts ihren Anfang genommen. Ungemein bestimmend wirkt endlich der Umstand, daß wohl nur vom Jahre 1848 an noch mit der Aussicht und Hoffnung auf Vol I s t ä n d i g k e i t gesammelt werden kann. Gewiß werden der Schwierigkeiten noch übergenug sich zeigen und wird es großer Anstrengungen und gut entwickelten Spürsinnes bedürfen, um selbst von diesem Zeitpunkte an die Bestände kompletteren zu können. Vergegenwärtige man sich einmal das Material, das aus allen Ecken und Enden hervorgesucht werden muß: die Rechenschaftsberichte und sonstigen Veröffentlichungen von Behörden, Gesellschaften, Unternehmungen und Anstalten, die wissenschaftlichen, unterhaltenden und politischen Zeitschriften und Zeitungen, die Imprimate religiöser, politischer, socialer, finanzieller und merkantiler Natur, Aufrufe, Flugblätter und ähnliche Drucksachen, die gar oft eine über den Tag ihrer Entstehung weit hinausreichende Bedeutung haben. Diese Aufzählung ist
keineswegs erschöpfend, aber immerhin groß genug, um sich vergewissern zu können, daß der Landesbibliothek, bei einem Anfangsdatum, wie die Kommission es vorschlägt, eine ebenso schwierige als weit verzweigte Aufgabe wartet. Zu einer gedeihliehen Erfüllung derselben werden die von uns angeregten Korrespondenten in den verschiedenen Kantonen, bei denen ein genauer Einblick in die litterarische Pro-

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duktion ihrer Gegend vorausgesetzt werden darf, die schätzbarsten Beiträge liefern. Ja, ohne diese Hülfsorgane würde die Landesbibliothek die Schwierigkeit ihrer Mission kaum zu bewältigen vermögen.

Trotz alledern geht Ihre Kommission nicht von der Meinung aus, die alten Helvetika als -Aschenbrödel einsam verkümmern oder unbeachtet ihrem Schicksale anheim geben zu lassen. Nein; der historische, antike Teil der schweizerischen Litteratur verdient vollste Beachtung, ist er doch die ausgiebigste Quelle für die Forscher und eine Fundgrube vaterländischen Wissens, ohne in anderen Gebieten ein ebenbürtiges Seitenstück zu haben. · Gerade deshalb, meine Herren, legt Ihre Kommission Gewicht darauf, daß auch die Frage der Sammlung und Nutzbarmachung der alten Helvetika in r i c h t i g e r und durchaus f r u c h t b r i n g e n d e r Weise gelöst werde. Um dieses Ziel zu erreichen, ist schlechterdings der A n s c h l u ß an e i n e b e s t eh e n d e H e l v e t i k ab i b i i o t h e k von nöten. Ihre Kommission hat diesen Antrag aufgestellt, nachdem sie sich von dessen Zweckmäßigkeit in reiflichen Erwägungen überzeugt hatte, und nachdem sie in dieser Ansicht von den Fachmännern , mit denen sie in Verbindung zu treten Veranlassung nahm, bestärkt worden war. Bibliotheken, .welche sich für einen solchen Anschluß eignen, bestehen. Die Zürcher Stadtbibliothek verfügt über einen sehr großen Bestand an schweizerischer Litteratur.

Derselbe bildet indessen einen Teil der allgemeinen Büchersanimlung und ist daher mit heterogenen Büchermassen vermengt. Den Vorzug verdient eine reine Helvetika-Bibliothek, die bisher ihre Thätigkeit danach einrichtete und auf Helvetika konzentrierte, die ihre ganze Kraft für dieselben einsetzte und darin ein selbständiges, systematisches und imponierendes Ganzes zu stände gebracht hat. Diese Vorbedingungen erfüllt z. B. die Luzerner Bürgerbibliothek so vollständig wie keine andere, und ihren Charakter als ausschließliche Helvetika-Bibliothek hat sie seit bald einhundert Jahren ängstlich und allen gegenteiligen Versuchungen zum Trotze gewahrt. Ihr großer und wertvoller Bücherschatz macht sie entwicklungsfähig und ihre vortreffliche Verwaltung sichert die volle Rechtfertigung eines entgegengebrachten Vertrauens. Durch den Anschluß an eine Bibliothek von dem Range und der Bedeutung der
erwähnten werden dem Forscher, dem Wissensdurstigen und dem Volke s o f o r t Bücherbestände erschlossen und benutzbar gemacht, die bislang mehr lokalen Interessen dienten, nicht im ganzen Vaterlande bekannt waren und in mancher Beziehung ein totes, geistiges Kapital repräsentierten. Mit relativ bescheidener Bundesunterstützung wird eine solche Bibliothek zu einer wirkungsvollen Ergänzung gelangen, während andernfalls g r o ß e O p f e r f ü r u n z u l ä n g -

445 l i e h e E r f o l g e gebracht werden müssen. Mehr als all diese Erwägungen fällt die nicht, zu leugnende Thatsache in die Wagschale, daß mit einer solchen Sammelstätte die Bestrebungen des Bundes im Bibliothekfache von S t u n d e an ihren Nutzen bringen, während andernfalls e r s t die s p ä t e r n G e n e r a t i o n e n die Früchte unserer heutigen Schöpfung zu ernten in der Lage sein werden.

Es mag eingewendet werden, die Ausscheidung dessen, was in die Landesbibliothek gehöre oder der Sammelstelle für die alten Helvetika zu überweisen sei, stoße auf schwer zu beseitigende Hindernisse. Selbstredend läßt sich dieses Dilemma weder im Gesetze noch im Kommissionalberichte auflösen. Aber es ist doch lösbar, selbst ohne nennenswerten Hemmnissen zu begegnen. Die Erfahrung und eine einsichtige Bibliothekkommission werden das Richtige schon ausfindig machen. Bloß andeutungsweise will ich bemerken, daß Werke, die nach dem Jahre 1848 erschienen sind, dagegen frühere Ereignisse behandeln, schon von Gesetzes wegen an beiden Orten ihren Platz einzunehmen haben, daß Zeitschriften, deren Anfangsdatum hinter das Jahr 1848 zurückreicht und die noch forterscheinen, in die Landesbibliothek aufgenommen werden müssen, damit diese das Serienwerk vollständig besitzt, und daß endlich die Landesbibliothek auch die nötigen alten Nachschlagebücher, als Handbibliothek für ihr Personal, sich ohne weiteres verschaffen darf. In keinem Palle soll die Landesbibliothek aber Sammlungen aus Perioden vor dem Jahre 1848 anlegen. Dieser allgemeine Umriß dürfte Bedenken stillen und die Erwartung rechtfertigen, daß die Kante, welche die Landesbibliothek von der Sammelstelle für die altern Helvetika scheidet, keineswegs so scharf sei, um die trennende Linie zerschneiden zu können.

Die Bestrebungen des Bundes für die Sammlung und Nutzbarmachung der Helvetikalitteratur erreichen ihren ganzen Wert und eine gewisse Vollkommenheit erst durch die Beifügung eines Dritten, nämlich eines a l l g e m e i n e n N a c h w e i s e k a t a l o g e s.

Wie viele schweizerische Druckschriften sind überhaupt nicht mehr erhältlich für die Sammlungen des Bundes, weil sie, zerstreut in vielen Bibliotheken des In- und Auslandes, wahre Fixpunkte geworden sind? Dieses Material soll ausfindig gemacht und soll darüber ein systematischer Nachweis
erstellt werden. Manchem Forscher und strebsamem Bücherfreunde wird ein solcher Nachweisekatalog die ersehnte Gelegenheit bieten, sich zu vergewissern, was an Helvetikalitteratur überhaupt vorhanden ist und unter Umständen zum Studium erhältlich gemacht werden könnte, und der Landesbibliothek wird ein solcher Katalog die Möglichkeit gewähren, die Frager an die richtige Stelle zu weisen.

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Diese Dreigliederung der bibliothekarischen Bestrebungen des Bundes würde eine große und erschöpfende Sammlung der vorhandenen Helvetika aller Zeiten, sowie etwas Ganzes und beneidenswert Nützliches schaffen, ebenbürtig den schönsten Erfolgen, die irgend ein Staat der Welt auf dem Gebiete der Landeskunde und Landesgeschichte zu verzeichnen hat.

Unser Beschlussesentwurf nimmt letztlich in Aussicht, der Landesbibliothek noch anderweitige, ihrem Wesen sich anpassende Aufgaben zuzuweisen. Es soll diese Bestimmung aber bloß ein Fingerzeig für die Zukunft sein, denn für ein Jahrzehnt hat die Landesbibliothek Arbeit genug an der Bewältigung des präcisierten Pensums. Unter diesem Weitern verstehen wir hauptsächlich eine bibliographische Bethätigung, wie die Erstellung von Jahresregistern zu schweizerischen und ausländischen Zeitschriften, sofern sie die Schweiz berühren; ein Verzeichnis der alljährlich verstorbenen schweizerischen Schriftsteller, mit Angabe ihrer Werke und deren Verlages, und endlich die Sammlung von schweizerischen Bildern, Portraits und Stichen.

Mit diesen Ausführungen habe ich sämtliche Zielpunkte der Landesbibliothek und ihrer Appendices kurz erörtert. Nicht das Sammeln in e i n e m Gebäude und an e i n e m Orte darf als Axiom hingestellt werden, sondern die E r f o r s c h u n g , E r h ä l t l i c h m a c h u n g und Fr u k t i f i z i er u ng der alten und n e u e n litterarischen Produktion der Eidgenossenschaft, und wenn dafür auch verschiedene Wege eingeschlagen und die Mitwirkung mehrerer Anstalten erstrebt werden müssen.

III.

Von diesen Hauptfragen wende ich mich nun zu einigen wichtigen Nebenfragen. Der bundesrätliche Beschlussesentwurf stellt in knapper Form einige allgemeine Grundsätze auf, will aber den Entscheid aller Ausführungs- und der meisten organisatorischen Bestimmungen der Vollziehung überlassen. Der Kommissionalentwurf geht weiter und erledigt einzelne Fragen, denen die Kommission Belang beimißt und deren Lösung für das Volk wissenswert ist, ja selbst dessen Stellung zum Projekte zu beeinflussen im Falle sind. Ich meine damit vor allen Dingen die Feststellung der B e n ü t z u n g s w e i s e unserer künftigen Landesbibliothek und der Sammelstelle für die alten Helvetika. Vieles steht mit ihr in Verbindung und ihre günstige Erledigung vermag das neue Werk, welches sicherlich auch seine Gegner und seine Mißtrauenden hat, am ehesten zu popularisieren. Für die Benützung einer Bibliothek stehen sich zwei Systeme gegenüber: das romanische, gipfelnd in

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dem Satze : Tout entre, rien ne sort, und das deutsche, welches seine Bücher mögliehst ungehemmt aushingiebt, ausleiht. Meine Herren! Wir alle sind wohl einig, keine toten Schätze sammeln und in vier Wände einschließen zu wollen, sondern vielmehr das Gesammelte dem ganzen Lande dienstbar zu machen, es möglichst praktisch zu verwerten. Wir wollen in Bezug auf die Benützung der Bibliothek kein Vorrecht eines Ortes statuieren, aber auch zu keinen Reisekosten und zu keiner Zeitversäumnis veranlassen ; wir wollen die Studien und die vaterländische Forschung fördern im gesamten Lande, möglichst ledig von Fesseln; wir wollen die Bibliothek zugänglich machen auch dem strebsamen Jünger der Geschichtsforschung und dem stillen Wissensdurstigen in der entlegensten Thalschaft unseres Vaterlandes; wir wollen die Resultate geistiger Arbeit, niedergelegt in den Druckwerken, möglichst frei und unbelästigt verwerten lassen; erst dann wird das neue Werk «ine L a n d e s b i b l i o t h e k in des Wortes voller und wahrer Bedeutung sein und Nutzen verbreiten über alle Teile des Landes !

Kautelen zur Sicherung der Bücher sind deshalb keineswegs ausgeschlossen, so wenig als ein Lesesaal für diejenigen, welche ihre Studien im Bibliothekgebäude selbst zu machen gedenken. Das System des Ausleihens hat sich übrigens in der deutsehen Schweiz und im deutschen Reiche längst eingebürgert und bewährt. Die Zahl der Bücher, welche von den großen Bibliotheken des In- und Auslandes alljährlich durch die Post verschickt oder sonstwie aushingegeben wird, beziffert sich dergestalt ' hoch, daß sie die gewöhnlichen Mutmaßungen bei weitem übersteigt.

In Hinsicht auf die Administration der Landesbibliothek ist wenig zu sagen. Was die Kommission darüber vorschlägt, gliedert sich an die Organisation, welche für die ^esondern Anstalten des Bundes Übung geworden, einfach an. Eine beträchtliche Arbeit harrt der Bibliothekkommission. Eine glückliche Hand in ihrer Komposition sichert das Gedeihen des Institutes. Neben den hervorragendsten Vertretern der Bibliothekwissenschaft werden auch Laien Platz darin nehmen, damit die Wahrung der Fachinteressen in Harmonie oder doch in Kontakt trete mit den allgemeinen Bedürfnissen !

Eine Besprechung gebührt endlich noch der K o s t e n f r a g e .

Einverstanden, daß die Landesbibliothek in einem Flügel
des neuen Archivgebäudes in Bern untergebracht werde, darf diese bauliche Vergrößerung des Gebäudes als die einzige Kapitalauslage bezeichnet werden, deren Höhe immerhin Fr. 275,000 erreichen wird. Größer werden die jährlich wiederkehrenden Geldbedürfnisse sein. Und von diesen entfällt der bedeutendste Teil auf die An-

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Schaffungen und deren Unterhalt Die Enquete hat zwar dargethan, daß die schweizerischen Buchdruckereien und Bücherverlage inentgegenkommender Weise die Bibliothek nach Kräften zu alimentieren gesonnen sind. Von einem ausgiebigeren Erfolge würde ein& Änderung des Gesetzes über den Autorschulz begleitet sein, daß fürderhin Pflichtexemplare der geschützten Werke an die Landesbibliothek abgetreten werden müssen. Eine solche Bestimmung hat in der Gesetzgebung verschiedener Länder und sogar einzelner Kantone schon vor Zeiten Eingang gefunden, und sie bildet im Grunde genommen nichts anderes, denn ein recht mäßiges Honorar für die gewährte amtliche Protektion. Zweifellos werden sich die Behörden der Kantone, viele Verbände, Anstalten und Privatpersonen eine Ehre daraus machen, ihre Publikationen unentgeltlich der Landesbibliothek zu überlassen, und den Grundstock zu derselben können ohnehin das statistische Bureau und die bestehende Centralbibliothek von Anfang an schon liefern. Diese wird ihre Helvetikabeständeausscheiden und sich dann begnügen, in Zukunft bloß eine Verwaltungsbibliothek zu sein. Trotz diesen günstigen Vorbedingungen, wird die Landesbibliothek jedes Jahr noch zahlreiche Einkäufe machen müssen, insbesondere aa kostspieligen Werken, für welche Donatoren kaum in erheblicher Anzahl sich zeigen dürften. Neben den Bedürfnissen der Landesbibliothek geht die Unterstützung der Sammelstelle für die alten Helvetika. Ziehen wir diese Verhältnisse, und die gemachten Wahrnehmungen in den besichtigten Bibliotheken, in Erwägung, beachten wir die bezüglichen Ausführungen in der Botschaft und in dem Expertenberichte, so wird ein Kredit von Fr. 15,000 für die Anschaffungen, einschließlich die Buchbinderarbeiten und Bureaubedürfnisse, nicht unangemessen erscheinen.

Immerhin wird er ausreichen und darf zuversichtlich als für langeZeit genügend betrachtet werden. Für die Erstellung des Nachweisekatalogs und für die Unterstützung der öffentlichen ßibliothekea hinsichtlich Ankauf von schweizerischer Litteratur nimmt die Kommission Specialkredite in Aussicht. Mit Grund ! Eine Berechnung dieser Ansätze liaße sich dermalen nicht einmal mutmaßen. Der erstere ist der Zukunft vorbehalten und kann in den nächsten, Jahren überhaupt nicht in Angriff genommen werden. Die Subventionen aber bemessen sich von Fall zu Fall
und werden von Jahr zu Jahr einem starken Wechsel ausgesetzt sein. Von tiefgehender Wichtigkeit ist die Wahl des Bibliothekars und seines Adjunkten. Jener muß ein gründlich gebildeter und im Fache erfahrener Mann sein. Ihm wartet nicht die Weiterfuhrung einer geordneten Bibliothek, sondern die Neuschaffung einer solchen; er kann seine Bücher nicht anreihen und einschalten, sondern muß in das Wirrsal gewaltiger Massen Ordnung und System .bringen und

449 soll dies alles so vollkommen zu thun im stände sein, daß die Landesbibliothek zu einer Musteranstalt sich erheben wird. Der Adjunkt wird auch kein mechanischer Gehülfe sein können. Unser polyglottes Land bedingt für das Bibliothekpersonal die Beherrschung der Landessprachen. Bibliothekar und Adjunkt werden sich also in der Sprachenkenntnis gegenseitig ergänzen müssen, und dieser Umstand führt naturnotwendig- zu etwelcher Teilung der hauptsächlichsten Arbeiten. Die Kommission trägt in ihren Besoldungsansätzen diesen Verhältnissen billig Rechnung und will gleichwohl den Vorwurf, über einen geziemenden Maßstab hinausgegangen zu sein, sich nicht aufladen. Schließlich ist auf ein ausreichendes Hilfspersonal Bedacht zu nehmen, doch dürfte es an einem Abwart und einem Packer genügen. Sind also die Geldopfer, welche der Landesbibliothek gebracht werden müssen, auch nicht unwesentliche, so ist deren Anlage doch eine gute, und das auri sacra famés kann dieser idealen Bestrebung nicht zum Vorwurf gemacht werden.

Ich habe in möglichst gedrängten Zügen die Motive für den Beschlussesentwurf' der Kommission und für das Projekt überhaupt darzulegen versucht. Es steht mir nicht zu, die Kommissionalvorlage zu loben auf Kosten des bundesrätlichen Entwurfes, indessen darf ihr doch das Zeugnis auf den Weg in die Ratsverhandlungen mitgegeben werden, daß sie vollständiger ist und daher auch aufklärender wirkt als dieser, daß sie die Hauptfragen aufzuhellen sich bestrebt und daß bei ihr der Wille, das Halbe und Unvollständige zu vermeiden, seinen Ausdruck gefunden hat.

Meine Herren ! Wie das Landesmuseum zum stolzen Denkmal schweizerischen Gewerbe- und Handwerkfleißes sich zu erheben anschickt, so möge dereinst auch die Landesbibliothek mit ihrer Zweiganstalt ein Ehrentempel der Geistesthätigkeit der Eidgenossen werden. Aus ihren Bücherschätzen wird alsdann zu ersehen sein : eine nüchterne und solide Verwaltung der öffentlichen Angelegenheiten, die Intelligenz und Bravheit des Volkes, dessen hohe und nicht selten bahnbrechende Bethätigung in den Kulturbestrebungen des Abendlandes und dessen beispielloses Solidari!ätsbewußtsein in den Tagen von Not und Bedrängnis. Heftige Fehden, bittere Zerwürfnisse und manches harte Unrecht werden nicht wenig Blätter der verschiedenen Bände unserer Landesbibliothek füllen. Aber
dieser Hader und diese Kränkungen werden überstrahlt werden von den hehren und unerschöpflichen Gefühlen der Liebe zum Vaterlande und zur Heimat, welche Gesinnung von jeher ein Gemeingut a l l e r Eidgenossen, ohne Unterschied ihres religiösen oder politischen Bekenntnisses, bildet, überstrahlt endlich von einer patriotischen Hochherzigkeit, welche der größten Opfer für das gemeine Wohl

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stetsfort sich fähig gezeigt hat, und welche nimmer erlöschen möge, solange unser Schweizerland besteht.

Ich empfehle Ihnen somit das Eintreten auf die Vorlage der Kommission.

B e r n , den 4. Dezember 1893.

Der B e r i c h t e r s t a t t e r der K o m m i s s i o n : Gustav Muheim.

Kommissionsmitglieder: M u h e i m , Dr. G ö t t i s h e i m , R e i c h l i n , B u c h e t , Dr. Sch o eh.

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Bericht der ständerätlichen Kommission betreffend Gründung einer schweizerischen Landesbibliothek. (Vom 4. Dezember 1893.)

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13.12.1893

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