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Ans den Verhandlungen des Bundesrathes.

Angelegenheit der deutschen Flüchtlinge.

Kreisschreiben des Justiz- und Polizeidepartementes der schweizerischen Eidgenossenschaft an die Regierungen der hohen eidgenössischen Stände.

Bern, den 17. --18. Juli 1849.

Tit.

Jn Fortsetzung der Mittheilungen in Betreff der deutschen Flüchtlinge, welche ich Jhnen zu machen im Falle bin, habe ich die Ehre, Jhnen Folgendes zu berichten: 1) Der eidgenössische Kommissär ist beaustragt worden, unmittelbar zu einer vorläufigen Verkeilung der Fluchtlinge auf die Kantone nach den allgemeinen Materialien, welche er besitzt und ohne die umständlichen Namensregister diefer Ausländer abzuwarten, zu schreiten. Obschon er dieselbe auf das Verhältniß der Bevölkerung basiren soll, soll er sich gleichwohl an diese Zahlen nicht wie an eine abfolute und unabänderliche Regel binden, sondern dabei auch andere Umstände in Erwägung ziehen , wie z. B. die Entfernung mehrerer Kantone von der deutschen Grenze, die Wahrscheinlichkeit einer nahen Amnestie, die Uebelstände , welche zu häufige Märsche und Kontremärsche darbieten, die Armuth einiger Gegenden. Der Bundeskommissär beeilte sich, diesen Weisungen Folge zu geben und

284 hat in Folge mit einem Delegirten des hohen Standes Zürich getroffener Beratungen, vorläufig eine billige Vertheilung festgesetzt, die er den zum Empfang von Fluchtlingen berufenen Kantonen zur Kunde gebracht hat.

Aus den bisdahin erhaltenen Nachweisen ergibt sich, daß in die Schweiz , in Kolonnen oder Abtheilungen , über

9000 deutsche Flüchtlinge eingetreten sind, ungerechnet 150 Polen und eine sehr beträchtliche Zahl einzeln oder in kleinen Abtheilungen angelangter Individuen.

2) Jn Modifizierung des bundesräthlichen Kreisschreibens vom 5. d. Mts. soll der Kanton Graubünden ebenfalls den ihn treffenden Antheil von Flüchtlingen erhalten, unter Einladung, sie nicht zu nahe an die österreichische oder lombardische Grenze zu verlegen.

3) Das nämliche oder ein demselben vorhergegangenes Kreisschreiben hat noch eine andere Modifikation erhalten.

Der eidgenössische Kommissär ist bevollmächtigt worden , da überall, wo keine^Konflikte mit den sremden Truppen befürchtet werden müssen und wo überhaupt keine Gefahr für die internationalen Verhältnisse der Eidgenossenschaft droht, die Flüchtlinge auf eine Entfernung unter 8 Stunden von der Grenze zwischen Basel und Konstanz zu verlegen.

Aus dieser Abänderung ergibt sich und würde sich schon ans dem Kreisschreiben des Bundesrathes vom 12. d. Mts.

ergeben, daß der Kanton Thurgau, der Breite des großen Bodensees willen, eben so wie die andern eidgenössischen Stände, Flüchtlinge aufnehmen soll.

4) Ein wesentlicher Punkt, auf welchen das Departement Jhre ernste Aufmerksamkeit richten mnß, sind die Uebelstände aller Art, die daraus hervorgehen, daß einige Kantone im Jnnern der Schweiz nach Bafel hin eine gewisse Zahl von Flüchtlingen instradiren, welche in ihr

285 Heimatland zurückkehren wollen oder glauben es thun zu dürfen. Da diese Flüchtlinge jetzt noch weder in Frankreich , noch im Großherzogthum Baden aufgenommen werden, häufen sie sich in der Stadt Bafel und finden sich somit viel zu nahe au der Grenze.

Daher werden Sie eingeladen, Tit., die nöthigen Befehle zu ertheilen, damit diefe Rückinstradirung von Flüchtlingen, welche nach Hanfe zurückkehren wollen oder können, eingestellt werde, bis daß Sie vom eidgenössischen Justizund Polizeidepartemente oder durch Herrn Oberst Kurz, welcher den eidgenössischen Kommissär in Basel vertritt, die Nachricht erhalten, daß die an der Grenze anlangenden Flüchtlinge den Durchpaß frei finden werden.

Bei einem abweichenden Verfahren würde man dem Kreisfchreiben des Bundesrathes vom 12. dieß entgegenhandeln, und die Kantone, welche diefe Fremden dahin hätten abgehen lassen, würden sich dem ausfetzen, daß sie ihnen auf^s Neue zugefchickt würden.

Genehmigen Sie, Tit., die Versicherung meiner vollkommenen^ Hochachtnng.

(Folgt die Unterschrift.)

P. S. Die in Nr. 4 des gegenwärtigen Kreisfchreibens enthaltene Einladnng hat, wie es sich von selbst versteht, keinen Bezug auf die durch bnndesräthlichen

Beschluß vom 16. l. Mts. ausgewiesenen Flüchtlinge.

Bnndesblatt I. Bd. II.

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286 Kreisschreiben des Bundesrathes an alle

eidgenöffischen Stände.

Bern, den 20. Juli 1849.

Tit..

Der Beschluß, welchen wir am 16. d. M. in Fluchtlingssachen gefaßt und nebst einem Kreisschreiben Euch

mitgetheilt haben, ist von einigen h. Ständen nicht mit Befriedigung angenommen worden, indem sie darin eine

Mißkennung der bisherigen Grundsätze über Asyl zu sinden glanben und überdieß im Zweifel sind, ob das Schick-^ sal der Ausgewiesenen nicht in hohem Grade gesährdet werde.

Dieses veranlaßt uns, durch gegenwärtiges Kreisschreiben, Euch die Motive, die uns geleitet haben, näher zu entwickeln, als es in der gedrängten Form des Beschlusses

möglich war.^ Vor Allem aus müssen wir den erwähnten Zweisel beseitigen , als ob es sich um eine Ausweisung handeln könnte, welche in ihren Wirkungen einer Anlieferung gleich komme. Diefe Auffassung der Sache ist aber unrichtig und wir glaubten, in den Motiven des Beschlusses hinreichend angedeutet zu haben, daß wir einen andern Zufluchtsort, der die Sicherheit der auszuweisenden Flüchtlinge nicht gefährdet, vorausfetzen. Wir verwenden uns in dieser Hinsicht aus's Thätigste und werden den Beschluß nur in diesem Sinn vollziehen.

Was nun die Ansicht betrifft, als ob durch den frag..

lichen Beschluß die bisherigen Grundsätze über das Asyl beseitigt werden, so geben wir uns die Ehre, Euch auf folgende Momente aufmerksam zu machen.

Die Angelegenheit des Asyls hat in neuerer Zeit für die Schweiz einen Umfang und eine Bedeutung erlangt, welche sie in früherer Zeit nie hatte. Taufende von Flücht-

287 lingen sind letztes Jahr in die Schweiz gekommen und noch mehr Taufende diefes Jahr. Die Folge davon waren

Verpflegung und Unterstützung derfelben und militärische Okkupationen, welche außerordentliche Opfer von dem Lande verlangt haben und gegenwärtig in nie gehörtem Umfange verlangen. Wir glauben uns daher kaum zu täuschen, wenn wir annehmen, daß das fchweizerifche

Volk, so hoch es auch mit Recht den Grundsatz des Afyles ehrt, ein Maß und Ziel verlange, und daß es die Anwendung aller Mittel fordere, welche geeignet sind, den enormen Lasten und der Gefahr für die Sicherheit und

Ordnung Einhalt zu thun. Unter diefe Mittel gehört die Entfernung der Führer, wenn es gelingt, denfelben ein anderes Asyl zu verschaffen. Denn wir haben hinreichenden Grund anzunehmen, daß viele der übrigen Fluchtlinge auch desto eher einen Ausweg suchen und finden, sowie daß die benachbarten Staaten bereitwilliger zu Maßregeln sind , welche die Entfernung der großen Masse

möglich machen.

Es kommt aber vor Allem in Frage, ist die gefaßte Schlnßnahme der Ehre der Schweiz und den bisherigen Grundsätzen zuwiderlaufend..' Wir glauben, daß trotz derselben das Asyl in ausgedehntem Maße gewährt werde, so weit es immer mit den höchsten Jnteressen des Landes vereinbar ist, und daß namentlich die Ehre des Landes in keiner Weise gefährdet sei. Wir haben alle von einer zahlreichen Armee Verfolgten aufgenommen und sie dadurch einem schweren Schicksal und viele derselben einem sichern Tode entzogen; wir geben der ganzen großen Masse Aufenthalt und Unterstützung; wir werden viele derfelben längere Zeit behalten müssen und wir trachten endlich den Führern des Aufstandes ein anderes Asyl zu verschaffen.

Mehr kann man .doch unmöglich von der Schweiz verlangen.

288 Wenn wir die Führer unter der erwähnten Voraus..

setzung ausweifen, und zwar ohne Unterfchied, ob Einzelne derselben schon jetzt das Asyl mißbraucht haben oder nicht, so sind es die außerordentlichen Verhältnisse, welche diese Maßregel nothwendig machen. Wenn je der Artikel 57 der Bundesverfassung, welcher, beiläufig bemerkt, keineswegs die Bedingung enthält, daß ein Fremder unter allen Umständen das ...lfyl mißbraucht haben müsse, eine Bedentung haben kann und eine Anwendung finden muß, so ist es gegenwärtig. Wir wollen nicht näher eintreten auf das Benehmen vieler der betressenden Personen in der Vergangenheit und auf alle Erfahrungen, welche die Schweiz gemacht hat; aber fo viel ist auch ohne diefe Erinnerungen klar, daß diefelbe sich zu einem Herd der Agitation gestalten müßte, der die innere Ordnung uud die äußere Sicherheit in hohem Grade gefährden würde, wenn die politischen und militärischen Führer dieses letzten, nun zum drittenmal erneuerten Ausstandes mit einer großen Menge ihrer Gesinnungsgenossen einen längern Aufenthalt in der Schweiz haben würden. Alle Folgen davon und namentlich die außerordentlichen und kostspieligen Anstrengungen unsers Landes zu erwägen, überlassen wir Jhrex Einsicht.

Wir schließen mit der Erklärung, daß wir das Dekret vom 16. Juli ohne den mindesten fremden Einfluß mit Einstimmigkeit gefaßt haben, und mit dem tiefsten Gefühl der Notwendigkeit. Sollte es hie und da mißdeutet werden, fo tragen wir das ruhige Bewußtsein in uns, daß wir das Wohl des Vaterlandes in dieser wichtigen Zeit mit der vollsten Ueberzeugung angestrebt haben.

Wir benutzen überdieß diefen Anlaß ..c.

(Folgen die Unterschriften).

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21.07.1849

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