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Bundesratsbeschluß über

den Rekurs des Lucien Bise in Montborget bei Murist, Kantons Freiburg, und Genossen gegen den Beschluß des Staatsrates des Kantons Freiburg vom 7. April 1893, betreffend die Kirchgemeinderatswahlen in Murist vom 26. Februar 1893.

(Vom 14. November 1893.)

Der schweizerische Bundesrat

hat über den Rekurs des Lucien Bise in Montborget bei Murist, Kantons Freiburg, und Genossen, gegen den Beschluß des Staatsrates des Kantons Freiburg vom 7. April 1893, betreffend die Kirchgemeinderatswahlen in Murist vom 26. Februar 1893, auf den Bericht des Justiz- und Polizeidepartements folgenden Beschluß gefaßt: A.

I n t h a t s ä c h l i eh e r B e z i e h u n g w i r d f e s t g e s t e l l t : I.

Am 26. Februar 1893 fanden in der freiburgischen Kirchgemeinde Murist (Bezirk Broye) die ordentlichen Kirchgemeinderatswahlen statt. Es beteiligten sich dabei 144 stimmfähige Bürger, 80 daß das absolute Mehr 73 betrug. Als fünftes und letztes Mitglied des Kirchgemeinderates ist vom Bureau als gewählt erklärt worden Antonin Bise, Sohn des verstorbenen Nestor, in Murist, dem 81 Stimmen zugerechnet wurden ; 11 Stimmen waren als auf Vincent Burgisser, Großrat in Murist; gefallen im Protokolle verzeichnet.

149 II.

Auf die Beschwerde des Ortspfarrers, Herrn Dekan L'Homme in Murist, dahin lautend, daß bei dieser Wahl Unregelmäßigkeiten vorgekommen seien, indem 42 Wahlzettel einfach auf den Namen ,, Antonin Bise", ohne irgend eine andere Bezeichnung, lauteten und diese Zettel zu gunsten des Antonin Bise, Wirt, gültig erklärt wurden, obgleich es in Murist zwei Bürger gebe, die den gleichen Geschlechts- und Taufnamen führen, nämlich Antonin Bise, Sohn des verstorbenen Nestor, Wirt, und Antonin Bise, Sohn des Theophil, Knecht, beschloß der Staatsrat des Kantons Freiburg am 7. April 1893 Kassation der Wahl des Antonin Bise, Wirt, zum Mitglied des Kirchgemeinderates und erklärte Vincent Buvgisser, Großrat in Murist, als gewählt.

IU.

Gegen diesen Beschluß des Staatsrates ergriffen Lucien Bise und 20 Mitunterzeichner den staatsrechtlichen Rekurs an den Bundesrat.

In der vom 28. April 1893 datierten Eingabe machen die Rekurrenten im wesentlichen geltend : Zur Zeit, als die Wahlen in der Pfarrei Murist stattfanden, gab es in Murist nur e i n e n stimm- und wahlfähigen Bürger namens Antonin Bise. Ein Knecht, namens Antonin Bise, ist wegen Krankheit 4 Tage vor den Wahlen nach Murist gekommen, wo er sich jedoch nur einige Tage aufgehalten hat und dann in das Krankenhaus des Broyebezirkes eingetreten ist. Dieser Knecht hatte seinen ordentlichen Wohnsitz in Yvonand, Kantons Waadt, wo er bei dem Syndic der Gemeinde im Dienste stand. Laut einer Bescheinigung dieses Beamten hatte sich Antonin Bise bei ihm für die Zeit vom 25. Dezember 1892 bis 25. Dezember 1893 als Dienstbote verpflichtet, mußte aber den Dienst krankheitshalber schon am 22. ]?ebruar 1893 verlassen. Sein vorübergehender Aufenthalt in Murist berechtigte ihn weder zur Stimm- noch zur Wahlfähigkeit.

Übrigens hatte die Wählerschaft, man kann wohl sagen in ihrer Gesamtheit, von dem zufälligen Aufenthalte dieses Knechtes in einer der vier Ortschaften der Kirchgemeinde zur Zeit der Wahlvornahme keine Kenntnis. In der ganzen Pfarrei herrschte darüber kein Zweifel, daß einzig der Kandidat Antonin Bise, welcher in der abgelaufenen Amtsperiode Mitglied des Kirchgemeinderates war, in Betracht kam und die, inzwischen vernichteten, 42 Wahlzettel nur für diesen Kandidaten in die Urne gelegt worden waren. Jedermann war sich bewußt, daß man mit dem Schreiben des Namens Antonin Bise die Absicht kundgab, für Antonin Bise, Wirt, in Murist, zu stimmen und nicht für Antonin Bise, Knecht in Yvonand.

150 Die Rekurrenten führen die Thatsache an, daß es in Murist auch noch einen zweiten Vincent Burgisser giebt, der aber ebenfalls nicht wählbar ist. Nun haben bei den Wahl Verhandlungen eine Anzahl Wahlzettel, wenigstens zehn, auch nur die Worte ,,Vincent Burgisser" getragen und keine andere Bezeichnung enthalten. Diese Zettel sind aber dem vom Staatsvate als gewählt bezeichneten Vincent Burgisser, Großrat, angerechnet worden, und nur so konnte es gelingen, dem Letztgenannten die Mehrheit mit 77 Stimmen zuzuzählen. Über diesen Punkt, sagen die Rekurrenten, schweigt sich der Staatsrat vollständig aus; wir aber heben denselben hervor und fragen: Soll nicht in beiden Fällen die gleiche Regel Anwendung finden, soll nicht Gleichheit vor dem .Gesetze bestehen ?

Die Rekurrenten fügen bei, daß der Präsident des Wahlbureaus, Herr Isidore Losey, sich zu dem Präfekten des Broyebezirkes begeben und ihn gefragt hat, ob die Wahlzettel vom 26. Februar noch vorhanden seien, und daß ihm hierauf eine bejahende Antwort gegeben worden sei. Drei Tage später habe sich dann aber der Präfekt eines anderen besonnen, indem er dem Kirchgemeinderat ein Schreiben zugehen ließ, worin gesagt war, daß die Wahlzettel vernichtet worden und daß irgendwelche, auf die Wahlen Bezug habende Reklamationen unzulässig seien. Indem dieser Beamte das Rekursrecht der Wähler derart unterdrückte, habe er sich thatsächlich eines Amtsmißbrauches schuldig gemacht.

Der Staatsrat seinerseits hat bei Fällung seines Entscheides vom 7. April 1893 sich auf den Art. 44, Ziff. 4, des Gesetzes vom 22. Mai 1861 gestützt. Nun ist aber dieses Gesetz nur anwendbar bei Wahlen in den Großen Rat. Der Regierungsbeschluß vom 10. Januar 1893, welcher alle Anordnungen für die Wahlverhandlungen der Kirchgemeinden vom 26. Februar 1893 umfaßt, enthielt keinerlei Erwähnung der Anwendbarkeit jenes Gesetzes, sondern bezog sich lediglich auf die Bestimmungen des Gesetzes über die Gemeinden und Pfarreien vom 26. Mai 1879. Der Staatsrat befindet sich daher im Irrtum, wenn er seinen Beschluß auf Grund des Gesetzes vom Jahre 1861 rechtfertigen will.

Die Rekurrenten erachten als verletzt durch den staatsrätlichen Beschluß den Grundsatz der Gleichheit vor dem Gesetze, gewährleistet durch Art. 9 der kantonalen Verfassung und Art. 4 der Bundesverfassung, sowie die Art. 286, 275,
270, 271, 14, 15 und 36 des freiburgischen Gesetzes über die Gemeinden und Pfarreien.

Sie verlangen Aufhebung des Staatsratsbeschlusses und Validierung der Wahl des Antonin Bise, Wirt in Murist, als Kirchgemeinderat.

151 Im weitern verlangen dieselben die nachträgliche Anordnung «einer Untersuchung in Bezug auf die dem Vincent Burgisser angerechneten, eine weitere Bezeichnung nicht enthaltenden Wahlzettel, Gleichstellung dieser Wahlzettel mit denjenigen, welche die Namen Antonin Bise, ebenfalls ohne jede andere Bezeichnung, trugen, und Ungültigkeitserklärung der Wahl des Vincent Burgisser für den Fall, daß der Beschluß gegen Antonin Bise aufrechterhalten werden sollte.

IV.

In seinem Vernehmlassungsschreiben vom 17. Juni 1893 bestreitet der Staatsrat des Kantons Freiburg zunächst die Kompetenz des Bundesrates, im vorliegenden Falle einen Entscheid zu fällen.

Es sagt, daß es sich hier um die innere Organisation eines Kultus, des römisch-katholischen Kultus, im Kanton Freiburg und um eine Abstimmung handle, die wegen dieses Kultus angeordnet worden sei. Der Bundesrat habe sich mit daraus entstehenden Streitigkeiten nicht zu befassen und habe dies, soviel dem Staatsrate bekannt sei, auch nie gethan. Die Bundesverfassung proklamiere die Kultusfreiheit, ohne sich um die Organisation und die Verrichtungen der verschiedenen Kultusorgane zu bekümmern. Diesen Standpunkt nehme auch die kantonale Verfassung ein. Die Kultusorganisation sei ein Attribut der kantonalen Souveränität und die Bundesbehörden seien schon mehrmals in den Fall gekommen, diesen Standpunkt bei Behandlung verschiedener Rekurse (Trennung des Jura vom Bistum Basel etc.) einzunehmen.

Zur Sache selbst übergehend, bemerkt der Staatsrat im wesentlichen, daß die in Art. 23 des Regierungsbeschlusses vom 10. Januar 1893 angerufenen Artikel 271 und 36, litt. 6, des Gesetzes vom 26. Mai 1879 über die Gemeinden und Pfarreien bestimmen, es habe das Wahlbureau jeden Wahlzettel als ungültig zu erklären, welcher nicht den Namen und die zur genauen Bezeichnung dienende Eigenschaft der mit der Stimme bedachten Person enthält.

Diese Bestimmung sei eine Wiedergabe derjenigen, welche in Art. 44 des Wahlgesetzes vom 22. Mai 1861 vorgesehen ist, und es sei die letztere nur deshalb noch speciell angeführt worden, um, was sich Übrigens von selbst verstehe, klar festzustellen, daß bei allen Wahlen nur diejenigen Wahlzettel gültig sind, auf denen der Name der Person mit der .für die Bezeichnung derselben notwendigen Eigenschaften geschrieben ist.

Im Rekursfalle ist zu untersuchen, ob die bloß auf den Namen 1 r Antonio Bise" lautenden 42 Wahlzettel geeignet waren, zu einer Verwechslung Anlaß zu geben. Dem Staatsrate scheint dies der

152 Fall zu sein. Es spricht dafür, sagt er, die Thatsache, daß 39 Wähler es für ungenügend erachtet haben, bloß ,,Antonin Bisea zu schreiben, indem sie noch die folgenden Eigenschaften beigefügt haben : ,,Wirt", ,,Alt-Pfarreirat." oder ,,Sohn des verstorbenen Nestor", um ja genau kund zu thun, daß sie nicht eine andere Persönlichkeit gleichen Namens im Auge hatten. Ein weiterer Umstand, der diese Absicht erkennen läßt, ist der, daß 39 Wahlzettel die Namen und Vornamen ,,Antonin Bisett mit T i n t e geschrieben trugen, während die Eigenschaften ,,Wirt" oder ,,Sohn des verstorbenen Nestor* mit B l e i s t i f t , offenbar kurz vor der Wahlversammlung, gesehrieben waren.

Aus der eingeleiteten Untersuchung geht sodann hervor, daß die von den Rekurrenten produzierte Erklärung des Syndic von Tvonand nicht genau ist. Antonin Bise, Sohn des verstorbenen Theophil, ist d e f i n i t i v 8 T a g e vor der Abstimmung, nämlich a m 18. F e b r u a r , in Murist eingetroffen. Erst nachdem die Wahlen vorüber waren, hat er sich für einige Tage in das Bezirkskrankenhaus aufnehmen lassen. Weit entfernt davon, nur ein einfacher Knecht zu sein, wie ihn die Rekurrenten zu schildern belieben, gehört Antonin Bise, Sohn des verstorbenen Theophil, einer sehr achtbaren Familie an. Er selbst genießt allgemeine Achtung, was der Umstand am besten beweist, daß er in den Jahren 1889, 1890 und 1891 zur besten Zufriedenheit die Funktionen eines Gemeindekassiers in Murist besorgte. Der im weitern von den Rekurrenten vorgebrachte Grund, daß er weder stimm- noch wahlfähig gewesen sei, ist nicht stichhaltig, in Anbetracht, daß es den Wählern frei steht, ihre Stimmen auch einem nicht wahlfähigen Bürger zu geben, selbst wenn vorauszusehen ist, daß in einem solchen Falle die abgegebenen Stimmen ungültig erklärt werden.

Von einer Verletzung der Art. 271 und 36 des Gesetzes über die Gemeinden und Pfarreien kann somit nicht die Rede sein; gegenteils ist von dem Gesetze eine richtige Anwendung gemacht worden, indem der Staatsrat mit seinem Entscheide vom 7. April die Wahl des Antonin Bise, welcher nur 39 gültige Stimmen auf sich vereinigte, kassierte.

Da Vincent Burgisser bei der Abstimmung vom 26. Februar das absolute Mehr erhielt, so lag nach der Ansicht des Staatsrate» kein Grund vor, eine nachträgliche Wahlversammlung anzuordnen.
Der Staatsrat hat daher diesen Bürger als Mitglied des Kirchgemeinderates erklärt. Der Gewählte ist in dieser Eigenschaft am 26. April 1893 beeidigt worden.

Der Staatsrat protestiert dagegen, daß er die von den Rekurrenten angeführte Thatsache betreffend das Vorhandensein eines

153 zweiten, den Namen Vincent Burgisser führenden Bürgers in Murist absichtlich übergangen habe. Diese Thatsache und die Stimmabgabe in Murist zu gunsten von 2 Bürgern namens Vincent Burgisser -- ohne weitere Bezeichnung -- sei dem Staatsrat vollständig unbekannt geblieben. Hätte er aber auch davon Kenntnis gehabt, so wäre er dennoch nicht im Falle gewesen, die nur den Namen ,,Vincent Burgisser"1 tragenden Wahlzettel als ungültig zu erklären, und zwar aus dem einfachen Grunde, weil ein Rekurs hinsichtlich der Stimmen, welche Großrat Vincent Burgisser erhalten, niemals anhängig gemacht worden ist. Aus dem gleichen Grunde werde sich daher auch der Bundesrat nicht mit dem eventuellen Begehren der Rekurrenten befassen können, daß diese Wahl zu kassieren sei.

Schließlich protestiert der Staatsrat gegen den seitens der Rekurrenten dem Präfekten des Broyebezirkes gemachten Vorwurf betreffend Amtsmißbrauch, indem er bemerkt, daß ein Amtsvergehen gar nicht vorliege. Es sei ja in der That ganz natürlich, daß, nachdem der Staatsratsbeschluß vom 7. April den Rekursbeteiligten mitgeteilt worden war und damit die Angelegenheit endgültig als erledigt betrachtet werden konnte, die Präfektur die Stimmzettel vernichtet habe.

Aus den angeführten Gründen beantragt der Staatsrat Abweisung der Rekursbeschwerde.

B.

In rechtlioher Beziehung fällt in Betracht: a. In betreff

der

Kompetenzfrage.

Wie der Bundesrat bereits in der Rekurssache Rosset und Konsorten, betr. die Kirchgemeinderatswahlen von Aumont vom 26. Februar!893, dem Staatsrate des Kantons Freiburg gegenüber des Nähern ausgeführt hat, kann dem vom Bundesrate auf Veranlassung und Antrag des Staatsrates in Vollziehung der Vorschrift des Art. 43, Absatz 6, der Bundesverfassung am 10. Februar 1880 in globo genehmigten freiburgischen Gesetze über die Gemeinden und Pfarreien vom 26. Mai 1879 in seinen auf diese letzteren Bezug habenden Bestimm ungeu keineswegs der Charakter eines nur die Organisation des römisch-katholischen Kultus betreffenden, ausschließlich dem Gebiete der · Kantonalsouveränität angehörenden Statutes zugeschrieben werden. Das erwähnte Gesetz regelt vielmehr im engsten Anschluß an die Bestimmungen, welche für die politischen Gemeinden gelten, das Stimmrecht der Bürger in den katholischen

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und protestantischen Kirchgemeinden, und zwar für beide Konfessionsteile in durchaus gleichmäßiger Weise.

Demgemäß sind auch Beschwerden betreffend Wahlen und Abstimmungen der Kirchgemeinden des Kantons Freiburg von den politischen Bundesbehörden zu behandeln, wie dies übrigens schon durch Bundesratsbeschluß vom 4. November 1881 und Bundesbeschluß vom 19. April 1882 ausdrucklich anerkannt und geübt worden ist. (Vgl. Bundesbl. 1882, I, 33, deutsche und S. 25 französische Ausgabe; II, 708, deutsche und S. 490 französische Ausgabe.)

b. In betreff

der Sache selbst,

1. Nach feststehender bundesrechtlicher Praxis, welche sich auf Grund des Organisationsgesetzes über die Bundesrechtspflege, vom 27. Juni 1874 (Art. 59, Ziff. 9), ausgebildet und die in dem neuen Organisationsgesetze vom 22. März 1893 (Art. 189, Absatz 3) ihre ausdrückliche Bestätigung gefunden hat, sind die politischen Bundesbehörden zuständig, Beschwerden betreffend kantonale Wahlen und Abstimmungen auf Grundlage sämtlicher einschlägigen Bestimmungen des kantonalen Verfassungsrechtes und des Bundesrechtes zu beurteilen.

2. Es ist den Rekurrenten zuzugeben, daß die Erwägung des Staatsrates, aus welcher diese Behörde 42 den Namen ,,Antonin Bise" ohne weitere Bezeichnung tragende Stimmzettel für ungültig erklärt hat, materiell mit guten Gründen angefochten werden kann.

Es haben an der Wahl vom 26. Februar 1893 laut dem Verhandlungsprotokoll 144 Wähler teilgenommen. Antonin Bise, Wirt und alt Kirchenrat, Sohn des verstorbenen Nestor, und Vincent Burgisser, Großrat, beide in Murist, waren allgemein bekannte Kandidaten der Wählerschaft; diesen zwei Kandidaten wollten die Wähler, je nach ihrem Standpunkte, die Stimme zuwenden. Das Wahlbureau war denn auch darüber nicht im geringsten Zweifel, daß die Wähler ihre Stimmen dem einen oder dem ändern dieser zwei Kandidaten erteilt hatten; der Präsident machte das Ergebnis des Wahlganges der Versammlung in diesem Sinne bekannt, die Mitglieder des Bureaus unterzeichneten das Wahlverbal, das die gleichen Angaben enthielt, als richtig.

Bei dieser Sachlage hält es in der That schwer, anzunehmen, 42 Wähler, die auf ihre Stimmzettel bloß ,,Antonin Bisea schrieben, hätten ihren Willen, dem K a n d i d a t e n Antonin Bise zu stimmen, nicht deutlich genug zu erkennen gegeben, und dies deßhalb, weil einige Tage vor der Wahl ein in einer Gemeinde des Kantons Waadt

155 wohnender, am 26. Februar 1893 in Murist weder aktiv noch passiv wahlfähiger Anton Bise, gegenwärtig von Beruf Knecht (,,domestique1*, wie es im staatsrätlichen Entscheide vom 7. April 1893 heißt), wegen Krankheit nach Murist gekommen war und sich ins dortige Bezirkskrankenhaus aufnehmen ließ.

Das freiburgische Gesetz über Gemeinden und Pfarreien, vom 26. Mai 1879, schreibt in Art. 36, litt, b, allerdings mit Recht vor, daß vom Bureau als ungültig erklärt werden solle: jeder Zettel, der nebst dem N a m e n und den zur B e z e i c h n u n g der P e r s o n n o t w e n d i g e n E i g e n s c h a f t e n noch irgend welche unanständige oder nicht zur Sache gehörige Zusätze enthält. Es soll über die Person des vom Bürger mit seiner Stimme Bedachten kein Zweifel herrschen können. Zu diesem Zwecke kann die Beifügung einer Eigenschaft zur Bezeichnung der Person n o t w e n d i g sein, und dann verlangt das Gesetz diese Beifügung. Wenn aber die Beifügung einer Eigenschaft zur Bezeichnung der Person n i c h t notwendig ist, so verlangt sie das Gesetz nicht. Denn das Gesetz will nur, daß die wahre Stimmgebung des Bürgers zur Geltung komme.

Offenbar haben die Mitglieder des Wahlbureaus eine weitere Bezeichnung der Kandidaten Autonin Bise und Vincent Burgisser für überflüssig gehalten, indem sie den beiden diejenigen Stimmzettel zuzählten, die bloß auf die Namen Antonin Bise und Vincent Burgisser lauteten, welche Namen von keinem ändern, zur Zeit als Kirchgemeinderat in Murist wählbaren Bürger getragen werden.

Der Staatsrat aber hat durch seinen Entscheid vom 7. April 1893 das Verfahren des Wahlbureaus als ein dem Gesetze nicht entsprechendes, unrichtiges erklärt.

Es läßt sich, wie dargethan worden ist, sehr wohl bestreiten, daß dies aus zwingenden Gründen geschehen sei. Immerhin kann jedoch der Staatsrat sich darauf berufen, daß zur Zeit der Wahl noch ein zweiter Bürger, der den Namen Antonin Bise trägt, in der Gemeinde Murisi anwesend war und daß 39 Wähler es doch nicht für überflüssig gehalten haben, ihrem Kandidaten Antonin Bise eine nähere Bezeichnung beizufügen.

Angesichts dieses Sachverhalts kann doch nicht gesagt werden, die Stimmgebung der 42 Wähler, die unterlassen haben, dem Namen Antonin Bise eine weitere Bezeichnung beizufügen, sei vom Staatsrat in geradezu willkürlicher, der gesetzlichen
Grundlage entbehrender Weise vernichtet worden.

Daß der Staatsrat sonst in gleichartigen Fällen anders zu entscheiden pflege, ist von den Rekurrenten nicht behauptet worden.

156 Wenn aber dies sich so verhält, so fehlt der Bundesbehörde eine genügende Veranlassung, aus dem Gesichtspunkte des Art. 9 der Kantonsverfassung und der Art. 4 und 5 der Bundesverfassung (Gleichheit der Bürger vor dem Gesetze und Stimmrechtsanspruch der Bürger) die Ungültigkeitserklärung der Wahl des Antonin Bise aufzuheben.

3. Hat somit der Staatsrat, ohne sich eines Einbruchs in verfassungsrechtliche Grundsätze schuldig zu machen, die Kassation der Wahl des Antonin Bise aussprechen können, so fragt es sich, ob sich dies ebenso verhalte in Hinsicht auf den zweiten Teil des staatsrätlichen Beschlusses, der die Erklärung enthält, es sei Herr Vincent Burgisser, Großrat, zum Mitglied des Kirchgemeinderates in Murist gewählt.

In dieser Beziehung ist zu beachten was folgt: Nach dem kantonalen Gesetze (Art. 36 ff.) stellt das Bureau der Wahlversammlung das Resultat eines Wahlganges fest, und der Präsident macht dasselbe der Versammlung bekannt.

Innerhalb der sechs auf den Abstimmungstag folgenden Tage kann durch Beschwerde beim Staatsrat die Nichtigkeit der Gemeindeverhandlung verlangt werden.

Da Antonin Bise vom Wahlpräsidenten als mit 81 Stimmen gewählt erklärt worden war, lag für die Anhänger der Kandidatur Bise keinerlei Veranlassung, ja nicht einmal die rechtliche Möglichkeit vor, wegen der Zurechnung von Stimmzetteln, welche ohne weitere Bezeichnung auf ,,Vincent Burgissertt lauteten, beim Staalsrat Beschwerde zu führen, obschon die Thatsache feststand, daß zwei Bürger dieses Namens in Murist wohnen. Es lag zu einer diesfälligen Beschwerde um so weniger Veranlassung vor, als ja da» Bureau keinen Anstand genommen hatte, den beiden Kandidaten Bise und Burgisser alle mit der einfachen Namensbezeichnung versehenen Stimmzettel zuzurechnen.

Wenn nun aber der Staatsrat 42 auf Antonin Bise lautende Zettel für ungültig und gleichzeitig den Gegenkandidaten des Antoniu Bise als gewählt erklärt, ohne der Wählerschaft die Möglichkeit zu eröffnen, nach Maßgabe des Gesetzes (Art. 43) gegen dieses neu verkündete Wahlresultat Beschwerde einzulegen, so entsteht dadurch zum Nachteil eines Teiles der Wählerschaft und ihres Kandidaten eine ungleiche Behandlung vor dem Gesetze. Denn es ist nicht zu übersehen, daß die Anhänger der Kandidatur Bise erst durch den Staatsratsbeschluß, nicht aber durch das Vorgehen des Wahlbureau, einen Beschwerdegrund erhalten haben. Das Gleiche gilt für den Kandidaten Bise selbst. Wenn die Behauptung der Rekurrenten,

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·daß der Stirnmgebung für Burgisser die gleichen Mängel anhaften, wie derjenigen für Bise, richtig ist -- und der Staatsrat setzt ihr durchaus kein formelles Dementi entgegen -- so ist unter t h a t s ä c h l i c h g l e i c h e n Verhältnissen die Wahl Burgissers anerkannt, diejenige des Bise aber vernichtet worden.

Die Rekurrenten und überhaupt sämtliche Bürger, die für den Kandidaten Bise ihre Stimme abgaben, sowie auch dieser selbst, haben daher in doppelter Beziehung Grund, sich über Rechtsverweigerung, ungleiche Behandlung vor dem Gesetze, zu beschweren. Nicht nur sind sie um ein Recht verkürzt, das ein Freund der Kandidatur Burgisser, Herr Pfarrer L'Homme, in Bezug auf die Wahlverhandlung vom 26. Februar 1893 ausüben konnte, sondern ·es ist auch materiell gegenüber dem Kandidaten Bise ein anderes Verfahren eingeschlagen worden, als gegenüber dem Kandidaten Burgisser.

Demnach wird beschlossen: 1. Der Rekurs ist unbegründet in Hinsicht auf Dispositiv I des âtaatsratsbeschlusses vom 7. April 1893.

2. Der Rekurs ist dagegen begründet in Hinsicht auf Dispositiv II des genannten Beschlusses; es wird daher dieses Dispositiv aufgehoben und die Wahl des Herrn Vincent Burgisser zum Mitglied des Kirchgemeinderates von Murist als ungültig erklärt.

3. Infolgedessen ergeht an den Staatsrat des Kantons Freiburg die Einladung, die Einberufung der Wähler der Kirchgemeinde Murist zur Wahl eines fünften Mitgliedes des dortigen Kirchgemeinderates .anzuordnen.

4. Dieser Beschluß ist dem Staatsrate des Kantons Freiburg, sowie den Rekurrenten schriftlich mitzuteilen.

B e r n , den 14. November 1893.

Im Namen des Schweiz. Bundesrates, Der Bundespräsident:

Schenk.

Der Kanzler der Eidgenossenschaft: Bingier.

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29.11.1893

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148-157

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