119

# S T #

Botschaft des

Bundesrates an die Bundesversammlung, betreffend die Errichtung einer Artillerie-Versuchsstation in Thun.

(Vom 30. Mai 1893.)

Tit.

Durch Bundesbeschluß vom 7. Dezember 1880 wurde die Stelle eines Schießoffiziers für den Waffenplatz Thun gesetzlich kreiert.

Denn trotz der Erweiterung des Waffenplatzes im Frühjahr 1878 waren fortwährend Klagen und Beschwerden der Bewohner von Thierachern und Umgebung wegen Gefährdung durch die Schießübungen eingelaufen, so daß es angezeigt erschien, für konstante und genaue Überwachung aller Schießübungen, insbesondere mit Bezug auf das Einhalten der Vorsichtsmaßregeln .und die richtige Aufstellung von Scheiben und Geschützen, umfassende Vorsorge zu treffen.

Ursprünglich waren die Funktionen des Schießoffiziers einem Instruktionsoffizier der Artillerie übertragen worden und man hatte diesem folgende Obliegenheiten zugewiesen : ,,Der Schießoffizier führt die Aufsicht über alle das Schießwesen betreffenden Einrichtungen des Waffenplatzes. Im besondern liegt demselben ob : Sorge für gute Instandhaltung der Signaleinrichtungen ; Kontrolle über den Signaldienst und über die für die Schießübungen mit Geschützen bestellten Leute; Handhabung der Polizei auf dem Schießplatze; Erteilung der notwendigen Belehrung zur Orientierung an die mit der Leitung der Schießübungen betrauten Offiziere; Erlaß aller für die Sicherung und Benachrichtigung der Umgebung und der Anwohner des Schießplatzes vorgeschriebenen Bekanntmachungen und Anzeigen; Kontrolle über die Aufstellung der Scheiben; Sorge für

Ppr-^-,

120 die Einsammlung und Ablieferung der blind gegangenen oder blind geladenen Geschosse; Führung eines Journals über alle in Thun stattfindenden Schießübungen und Schießversuche. Im fernem hat der Schießoffizier stetsfort mögliehst genaue Erhebungen über die Gefährdung der Umgebung bei den verschiedenen Schießübungen entweder selbst, oder durch geeignete Drittpersonen machen zu lassen, alle wegen Gefährdung der Umgebung einlaufenden Reklamationen entgegen zu nehmen, weiter zu untersuchen und zu begutachten. Soweit ihm neben diesen Dienstverrichtungen noch Zeit bleibt, hat der Schießoffizier auch bei der Instruktion mitzuwirken.11 Die Absicht war also die, einem Instruktionsoffizier, der mit dem Schießen der Artillerie vollständig vertraut sein mußte, auch die Vorsorge für die Sicherung der Anwohner des Schießplatzes zu übertragen.

Bald jedoch gelangte man zur Einsicht, daß der Schießoffizier bei strikter Erfüllung der ihm übertragenen wichtigen Obliegenheiten zu wenig Zeit erübrigen könne, um noch bei der Instruktion der Artillerie wesentlich thätig zu sein. Es erfolgte deshalb die Ausscheidung des Schießoffiziers aus dem Instruktionscorps und die Kreierung der selbständigen Militärbeamtung.

Als dann im Jahre 1884 die Stelle des Schießoffiziers definitiv besetzt wurde, wurde gleichzeitig auch dessen Arbeitsfeld bedeutend erweitert, indem ihm folgende Aufgaben zugewiesen wurden : 1. Schießplatzkommando. Aufsicht über das Schießen der Artillerie auf dem Waffenplatz Thun; 2. Vorbereitung, Durchführung und Bearbeitung der artilleristischen Schießversuche; 3. Besorgung des Aktuariats der Artilleriekommission; 4. Beteiligung an der Instruktion in Specialkursen aller Waffen auf dem Waffenplatz Thun, mit Beschränkung auf technische Disciplinen und soweit neben den Aufgaben l--3 Zeit bleibt.

Auch hier wollte man also dem Schießoffizier den Charakter des außerordentlichen Instruktionsoffiziers noch belassen, indem man ihn zum Unterricht in Specialkursen verpflichtete. Daneben aber überwies man ihm in den artilleristischen Schießversuchen eine Reihe von Aufgaben, die naturgemäß mehr und mehr die volle Zeit und Arbeitskraft des Schießplatzkommandanten in Anspruch nehmen mußten. Doch erreichte man dadurch einen doppelten Zweck. Denn einerseits ergaben diese Schießversuche das Material, das sonst durch die
Arbeit eines eigenen Ballistikers für unsere Artillerie hätte gewonnen werden müssen; anderseits wurde durch die aus den Schießversuchen sich ergebende genaue Kenntnis der Artilleriemunition

^TTW- ' "JTt ·VM.-W ^JWW

121

erreicht, daß das Schießen der Artillerie für die Bewohner der an den Schießplatz angrenzenden Ortschaften je länger je gefahrloser wurde, daß die gefährdete Zone sich wesentlich beschränkte und daß Beschädigungen an Privateigentum beinahe ganz vermieden werden konnten.

Die Thatsache, daß durch zahlreiche und sorgfältig durchgeführte artilleristische Schießversuche und durch die daraus resultierende genaue Kenntnis der zur Verwendung gelangenden Geschütze, der Pulverladung und der Geschosse, am ehesten die Gefahr des Schießens der Artillerie auf ein Minimum eingeschränkt werden konnte, führte naturgemäß dazu, daß der Schießoffizier oder Schießplatzkommandant mehr und mehr in den Hintergrund trat gegenüber dem höhern Artillerieoffizier, der jene Schießversuche leitete. Daß dabei auch die Beteiligung an der Instruktion zur Nebensache wurde, war wohl selbstverständlich.

Mehr mußte dies noch der Fall sein in der Folge, als mit der Einführung neuer Geschützarten, mit den Fortschritten der Waffentechnik überhaupt, mit der notwendig werdenden Erprobung neuerfundener Pulver und neukonstruierter Geschosse, die Vorbereitung, Durchführung und Bearbeitung artilleristischer Schießversuche eine erhöhte Bedeutung gewann und vermehrte Arbeit erforderte.

Schon im Dezember 1888 sah sich deshalb idas eidgenössische Militärdepartement veranlaßt, ein besonderes Regulativ zu erlassen über die Erprobung der Artilleriemunitioa durch Schießversuche, und seither bildet faktisch das Versuchswesen die Hauptaufgabe des Schießoffiziers. Er hat die Übernahmsversuche neuer Geschütze zu leiten und später die ballistischen Versuche vorzunehmen zur Berechnung und Aufstellung der Schußtafeln. Ihm sind auch alle anderweitigen artilleristischen Versuche übertragen, wie Sprengversuche, Fahrversuche etc., soweit sie Artilleriematerial betreffen.

Alle Vorschläge betreffend Neuerungen im Geschütz-, Munitionsund Pulverwesen hat er zu begutachten und auch eventuelle daherige Versuche vorzunehmen. Er erstattet Bericht über technische Fragen der Artillerie und wirkt mit bei Geschützbestellungen und bei der Geschützkontrolle.

Die Ausübung des Schießplatzkommandos ist eine Aufgabe sekundärer Art geworden, die ihm nur deshalb noch überlassen werden muß, weil er als der Leiter zahlreicher Schieß versuche die genaueste Kenntnis der
Schießplatzverhältnisse besitzt.

Mit dem zur Durchführung der Versuche und zur Lösung der Aufgaben zeitweise ihm zur Verfügung gestellten Personal an Offizieren, Mannschaften und Beamten, mit dem zur Erprobung gezogenen

122

Material und den vorhandenen technischen Einrichtungen, bildet thatsächlich der Schießoffizier schon jetzt gewissermaßen eine Artillerie-Versuchsstation zur Disposition der Artilleriekommission, des Waffenchefs der Artillerie, der eidgenössischen Kriegsmaterial Verwaltung, der Laudesbefestigungskommission etc., und es handelt sich nur darum, ihm eine seine Stellung und seine Hauptthätigkeit genauer bezeichnende Benennung zu geben und die ihm übertragenen Aufgaben der Wirklichkeit entsprechend zu präcisieren.

Keineswegs ist mit der Errichtung der Artillerie-Versuchsstation eine Vermehrung des ständigen Beamteupersonals beabsichtigt. Wie jetzt schon dem Sehießoffizier, soll auch dem Chef der ArtillerieVersuchsstation zeitweise und nach Bedarf zur Durchführung der Aufgaben Personal aus dem Instruktionscorps, aus dem Artilleriebureau, der Munitionsfabrik und der Munitionskontrolle zur Verfügung gestellt werden.

Als Aufgaben werden dem Chef der Artillerie-Versuchsstation zugewiesen : 1. Die Vorbereitung, Durchführung und Bearbeitung sämtlicher notwendiger Schieß versuche mit Geschützen, und zwar: a. Der ballistischen Versuche zur Aufstellung der Schußtafeln ; b. der technischen Versuche zur Erprobung von Geschützmaterial und Munition ; c. der Übernahmsversuehe von Geschützlieferungen, Munitionsund Pulverlieferungen (letztere beide in Verbindung mit der Munitionsfabrik und Muoitionskontrolle, laut Regulativ über die Erprobung von Artilleriemunition, vom 10. Dezember 1888).

2. Vorbereitung, Durchführung und Bearbeitung anderweitiger artilleristischer Versuche.

3. Berechnung und Aufstellung von Schußtafeln.

4. Begutachtungen betreffend Neuerungen im Geschütz-, Munitions- und Pulverwesen. Vornahme daheriger Versuche.

5. Berichterstattung über technische Fragen der Artillerie.

6. Untersuchung von Reklamationen bezüglich Geschützmaterial und Artilleriemunition. Berichterstattung hierüber.

7. Mitwirkung bei den Geschützbestellungen und Geschützübernahmen (wie bei \ b, l c, 2, 4, 5 und 6, in Verbindung mit der technischen Abteilung der Kriegsmaterial ver waltung).

8. Kommando des Schießplatzes in Thun.

123

Von der Verpflichtung, bei der Instruktion der Artillerie mitzuwirken, soll der Chef der Artillerie-Versuchsstation endgültig entbunden werden.

Als Schießplatzkommandant soll er dem Waffenchef der Artillerie unterstellt sein; als Chef der Versuchsstation arbeitet er für die Artilleriekommission und die technische Abteilung. Gemäß Art. 252 der Militärorganisation ist der Chef der technischen Abteilung der Kriegsmaterialverwaltung mit allen Arbeiten, welche auf die Herstellung und Reparatur des Kriegsmaterials Bezug haben, betraut. Die hierauf bezüglichen Arbeiten der Versuchsstation, welche eine Hauptthätigkeit derselben bilden, fallen daher in das Ressort dieser Verwaltung.

Um komplizierte Verrechnungen zu vermeiden, werden die Kompetenzen des Chefs der.Versuchsstation im Budget der Kriegsmaterialverwaltung eingestellt, statt wie bisher bei der Instruktion.

Zur gedeihlichen Lösung der dem Chef der Versuchsstation zugewiesenen Aufgaben ist es notwendig, daß derselbe von Amtes wegen Mitglied der Artilleriekommission ist. Auch soll ihm der jährliche Kredit für Versuche mit Geschützen nach Verständigung mit dem Waffenchef der Artillerie zur Verfügung gestellt werden.

Indem wir Ihnen gestützt auf diese Ausführungen den nachfolgenden Entwurf eines Bundesbeschlusses zur Annahme empfehlen, benützen wir gerne die Gelegenheit, Sie, Tit., unserer vollkommensten Hochachtung zu versichern.

B e r n , den 30. Mai 1893.

Im Namen des Schweiz. Bundesrates, Der Bundjespräsident:

Schenk.

Der Kanzler der Eidgenossenschaft: Ringier.

124

(Entwurf.)

Bundeslbeschluß betreffend

die Errichtung einer Artillerie-Versuchsstation in Thun.

Die Bundesversammlung der schweizerischen Eidgenossenschaft, nach Einsicht einer Botschaft des Bundesrates vom 30. Mai 1893, beschließt: Art. 1. Die Beamtung, die bisher unter der Benennung ,,Schießoffizier für den Wafifenplatz Thun" bestanden hat, wird aufgehoben und an deren Stelle eine Artillerie-Versuchsstation errichtet.

Art. 2. Der Chef der Artillerie-Versuchsstation ist zugleich Schießplatzkommandant in Thun. In dieser Eigenschaft steht er unter dem Waffenchef der Artillerie. Als Chef der Versuchsstation verkehrt er direkt mit dem Präsidenten der Artilleriekommission einerseits und dem Chef der technischen Abteilung der Kriegsmaterialverwaltung anderseits. Er bezieht eine Jahresbesoldung von Fr. 5000--6500 nebst Pferderation und Wartungsgebühr. Die Kompetenzen desselben werden im Budget der Kriegsmaterial ver waltung eingestellt.

'ÜB»-

*~ 125

Art. 3. Der Chef der Versuchsstation ist von Amtes wegen Mitglied der Artilleriekommission.

Art. 4. Der Bundesrat ist beauftragt, auf Grundlage der Bestimmungen des Bundesgesetzes vom 17. Juni 1874, betreffend die Volksabstimmung über Bundesgesetze und Bundesbeschlüsse, die Bekanntmachung dieses Beschlusses zu veranstalten und den Beginn der Wirksamkeit desselben festzustellen.

Schweizerisches Bundesarchiv, Digitale Amtsdruckschriften Archives fédérales suisses, Publications officielles numérisées Archivio federale svizzero, Pubblicazioni ufficiali digitali

Botschaft des Bundesrates an die Bundesversammlung, betreffend die Errichtung einer Artillerie-Versuchsstation in Thun. (Vom 30. Mai 1893.)

In

Bundesblatt

Dans

Feuille fédérale

In

Foglio federale

Jahr

1893

Année Anno Band

3

Volume Volume Heft

23

Cahier Numero Geschäftsnummer

---

Numéro d'affaire Numero dell'oggetto Datum

31.05.1893

Date Data Seite

119-125

Page Pagina Ref. No

10 016 179

Das Dokument wurde durch das Schweizerische Bundesarchiv digitalisiert.

Le document a été digitalisé par les. Archives Fédérales Suisses.

Il documento è stato digitalizzato dell'Archivio federale svizzero.