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Schweizerische Bundesversammlung,

Die am 13. März 1893 gehaltene Eröffnungsrede des Herrn Nationalrats-Vizepräsidenten For r e r lautete: Meine Herren!

Wie vor und während der letzten Session, so haben wir auch heute wieder den Verlust von drei Mitgliedern unseres Rates zu beklagen. Gestatten Sie mir, den verstorbenen Kollegen Paschoud ßoth und Sturzenegger einige Worte der Erinnerung zu widmen.

Louis P a s c h o u d aus dem Kanton Waadt, geboren 1849, studierte erst an der Rechtsschule in Lausanne und vollendete seine Studien in Deutschland. Er widmete sich dem Berufe eines Rechtsanwalts und verblieb in demselben bis zu seinem Hinscheide. Mit ungewöhnlichem Talente, mit vorzüglichem juristischem Sinn, mit großer Schlagfertigkeit ausgerüstet, erzielte er in seinem Beruf schnell großen Erfolg, und sein Bureau in Lausanne wurde bald und blieb eines der meistbeschäftigten der welschen Schweiz Paschoud war ein sehr gesuchter Anwalt, erfreute sich großen Ansehens vor den Gerichten und erfüllte das ihm anvertraute Mandat stets gewissenhaft und sehr fleißig. Seinem Beruf gemäß gehörte er dem Justizstab an und war zuletzt Großrichter der I. Division.

Paschoud zählte zur radikal - demokratischen Partei seines Heimatkantons. Es ist beinahe selbstverständlich, daß dieselbe den so talentvollen und so viel versprechenden jungen Advokaten sehr bald hervorzog und daß er sich schon in jungen Jahren lebhaft am öffentlichen Leben beteiligte.

Seit zwölf Jahren saß er im Großen ßat von Waadt, für zwei Amtsperioden, 1883 und 1891, war er dessen Präsident. Freunde und Gegner bezeugen, daß er diesem Ehrenamt in ausgezeichneter Weise vorstand, durchaus unparteiisch, klar, auch das Schwierigste mit Leichtigkeit bewältigend.

1070 Im Jahre 1883 beriefen ihn seine Mitbürger in den Nationalrat, in welchem er seither ununterbrochen verblieben ist und der radikal-demokratischen Fraktion angehört hat.

Ich brauche es Ihnen, meine Herren, nicht zu sagen, daß er eines der angesehensten Mitglieder des Rates war. Er nahm, wie am öffentlichen Leben überhaupt, so insbesondere auch an unseren Beratungen thätigsten Anteil. Er sprach zwar nicht gerade häufig, allein wenn er sprach, so war es eine Freude, ein Genuß, ihn anzuhören. Sein fließend, schneidig vorgetragenes Votum bildete stets ein streng logisches Gebäude. Paschoud war kühn im Angriff, stark in der Verteidigung, er hatte seine entschiedene, manchmal schroffe Meinung und aus jedem Worte loderte die tiefe Überzeugung. Er besaß eine hervorragende, beneidenswerte Begabung zum parlamentarischen Redner.

Letzten Herbst überfiel ihn eine heftige Endokarditis. Die Krankheit vergiftete den so rüstigen Körper und am 8. Januar war unser junger Freund nicht mehr.

Adolf R o t h von Wangen, Kanton Bern, wurde daselbst geboren im Jahre 1834, besuchte von 1853 an nach guten Vorstudien die Ingenieurabteilung der polytechnischen Schule in Karlsruhe , war nach vollendetem Studium beim Bau der Vereinigten Schweizerbahnen beschäftigt und trat alsdann, noch in jungen Jahren, in die blühende Rotfärberei seines Vaters ein, welche er nach des letztern Tod fortan gemeinsam mit seinem Bruder weiter betrieb.

Er war eifriger Militär, zuletzt Oberstlieutenant der Artillerie, quittierte jedoch Ende der siebziger Jahre den Dienst, weil das Fabrikationsgeschäft damals den ganzen Mann in Anspruch nahm.

Im öffentlichen Leben war er vielfach thätig. Nach dem Rücktritt seines Vaters von dem Amte eines Gemeindepräsidenten, das derselbe 25 Jahre lang innegehabt, wurde er dessen Nachfolger und versah das gleiche Amt in uneigennützigster Weise bis zu seinem Tode, 23 Jahre lang. Besondere Aufmerksamkeit schenkte er dem Schulwesen seines Heimatortes, besonders der dortigen Sekundärschule.

Seit 1878 gehörte er dem. Großen Rat von Bern, seit 1890 dem Nationalrat an.

Roth war ein Mann strenger, pflichtgetreuer Arbeit, früher eifriger Turner und stets ein unermüdlicher Wanderer durch Berg und Thal.

1071 In unserm Rat und im politischen Parteileben -- er zählte zu der liberalen Partei -- spielte er keine hervorragende Rolle.

Er war einfach, schlicht, bescheiden.

Schon seit einiger Zeit hatte ihn eine schwere Gehirnkrankheit ergriffen. Er konnte der Dezembersession nicht beiwohnen.

Atn 9. Januar wurde er von seinen Leiden erlöst.

Johann Jakob S t u r z e n egge r von Reute, Kanton Appenzell A.-Rh., im Jahre 1836 als Sohn des dortigen Gemeindehauptmanns geboren, erhielt nach durchlaufener Primarschule seine Erziehung in der Kantonsschule zu Trogen und in einem Institut der welschen Schweiz.

Seit 1854 trat der allzeit fröhliche geweckte Jüngling in seines Yaters Geschäft ein und betrieb die Vorhangfabrikation, nachdem ·er sie. inzwischen auf eigene Rechnung übernommen, bis zu seinem Tode mit Geschick und Erfolg, daneben, zuletzt als Schützenhauptmann, seinen Militärdienst getreulich erfüllend.

In den verschiedensten öffentlichen Stellungen hat er seiner Heimatgemeinde und seinem Heimatkanton wesentliche Dienste geleistet. Früh Mitglied des Gemeinderates, war er von 1865 bis 1876 Gemeindehauptmann, sodann zwei Jahre lang Mitglied des Obergerichts, worauf ihn die Landsgemeinde in die Kantonsregierung berief. In dieser Stellung wirkte er elf Jahre lang und bekleidete die letzten drei dieser elf Jahre das höchste Ehrenamt seines Heimatkantons. Er war der rechte Appenzeller Landammann, ganz so, wie wir ihn uns gerne vorstellen : eine kurze, gedrungene und doch stämmige Erscheinung, voller Kraft und Gesundheit, imponierend im Amt, leutselig und witzig im Verkehr, ein schlichter Bürger, «in Ehrenmann durch und durch.

Seit 1883 hat er unserm Rat angehört. Er war, obgleich sich selten zum Wort meldend, ein sehr aufmerksames Mitglied desselben und ungemein geschätzt wegen der Selbständigkeit seines Urteils.

Politisch zählte er bis in die letzte Zeit zu der Centrumsfraktion.

Sturzenegger erfreute sich noch in der letzten Session einer sehr guten Gesundheit. Am 15. vorigen Monats ereilte den robusten Mann auf dem Marktplatz in St. Gallen ein Schlaganfall, der tags darauf seinem überaus thätigen Leben ein Ende setzte.

Meine Herren ! Der Tod hält reichlich Ernte unter unserer kleinen Schar. Innerhalb weniger Monate sind sechs Mitglieder des Rates weggerafft worden. Wem von uns steigt dabei nicht unwillkürlich der Gedanke auf: Wann wirst du zum letztenmal aus diesem Saale schreiten?

1072 Ein jeder von uns kommt, legt sein Scherflein auf den Altar der Republik, und gai oft ist es, ohne daß man es ahnt, bereits mit dem eigenen Herzblut durchtränkt. Ein jeder geht und bald wird eines jeden Spur verwischt sein. Unser Vaterland aber wird ein s e l b s t ä n d i g e r F r e i s t a a t b l e i b e n , solange Männer von der Überzeugungstreue eines Paschoud, von der Rechtschafienheit eines Roth, von der Unabhängigkeit eines Sturzenegger an dieser Stelle wirken.

Ich spreche hiermit in Ihrem Namen den tiefgebeugten Hiaterlassenen der drei treubesorgten Familienväter das herzliche Beileid aus.

Ich danke hiermit denjenigen Herren, welche, bereitwillig dem Rufe Ihres Vorsitzenden folgend, an die Stätten der Trauer geeilt sind, um als Abgeordnete des Rates den Verstorbenen die letzte Ehre zu erweisen.

Ich lade Sie alle ein, sich zum pietätsvollen Andenken an die Verstorbenen von Ihren Sitzen zu erheben.

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22.03.1893

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1069-1072

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