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Bundesratsbeschluß über

den Rekurs des Sigmund Berger, aus Zürich, gegen die Schlußnahme der Regierung von Nidwalden vom 23.

und 30. Januar 1893, betreffend Entzug des Gewerbepatentes.

(Vom 17. Oktober 1893.)

Der schweizerische Bundesrat hat über den Rekurs des Sigmund B e r g e r , aus Zürich, gegen die Schlußnahme der Regierung von Nidwaiden vom 23. und 30. Januar 1893, betreffend Entzug des Gewerbepatentes, auf den Bericht des Justiz- und Polizeidepartements f o l g e n d e n B e s c h l u ß gefaßt: A.

In thatsächlicher Beziehung wird festgestellt: I.

Unterm 18. Januar 1893 erteilte die Polizeidirektion des Kantons Nidwaiden dem Sigmund Berger, aus Außersihl, ein Hausieroder Gewerbepatent Nr. 1740 zum Ausverkauf von Woll- und Baumwollwaren, gültig für den 23., 24., 25., 26., 27. und 28. Januar 1893. Die bezahlte Taxe betrug Fr. 30.

431 II.

Auf Beschwerde einiger Kaufleute in Stans beschloß der Regierungsrat von Nidwaiden am 23. Januar, es sei der im Amtsblatt und Volksblatt durch Sigmund Berger, aus Zürich, inserierte Ausverkauf sofort einzustellen, und falls auf der Fortsetzung desselben bestanden werde, sei durch Fachexperten zu prüfen, ob die auszuverkaufende Ware der öffentlichen Anpreisung in Qualität und Preis entspreche, oder ob der Ausverkauf in Prellerei des Publikums ausarte und daher nach Art. 7 der Hausierverordnung zu behandeln sei.

Am 30. Januar sodann hat der Regierungsrat von einer Mitteilung des Polizeiamtes Vormerk am Protokoll genommen, wonach Sigmund Berger trotz des unterm 23. Januar gefaßten und ihm zugestellten Beschlusses seine Ware weiter verkauft hat und ihm das Patent entzogen und der Ausverkauf im Kanton Nidwaiden gänzlich verboten worden ist. Auf das von Berger mündlich gestellte Gesuch, es möchte ihm der Weiterverkauf bis zur Vornahme der Expertise gestattet werden, ist die Regierung nicht eingetreten.

III.

Mit Eingabe d. d. Zürich, 31. Juli 1893, rekurriert Sigmund Berger gegen die Schlußnahmen der Nidwaldner Regierung an den Bundesrat. Er macht im wesentlichen geltend : Nachdem er bei der Polizeidirektion Nidwaiden ein Hausier- oder Gewerbepatent für die Zeit vom 23. bis 28. Januar 1893 gelöst habe, sei er zum Ausverkaufe in Stans berechtigt gewesen. Er habe daher seine Waren im Werte von cirka Fr. 9000 von Zürich, wo er seinen ordentlichen Wohnsitz habe, nach Stans spedieren lassen und sich alsdann selbst mit seinem Sohne dorthin begeben. Selbstverständlich habe er den Ausverkauf zur geeigneten Zeit in einigen Blättern, so auch im nidwaldischen Amtsblatt, publizieren lassen. Diese Publikationen hätten in Bezug auf die Qualität der Ware oder die Art des Vertriebes derselben durchaus nichts Unrichtiges enthalten ; ebenso wenig die mündlichen Aussagen des Rekurrenten und seines Sohnes. Nachdem nun der Ausverkauf am 23. Januar eröffnet worden sei, hätten sich zahlreiche Käufer eingefunden, und es sei auf der Hand gelegen, daß die Ware gut und prompt abgesetzt werde. Dieser Umstand habe den Neid der Konkurrenten erweckt, und einige derselben scheinen ihren Einfluß bei der Behörde geltend gemacht und diese bestimmt zu haben, den Erfolg des Rekurrentea durch einen Gewaltstreich zu vereiteln. In der That habe schon am 23. Januar die Polizeidirektion den Ausverkauf verbieten und dem Rekurrent das Patent entziehen lassen. Eine beim Regierungsrate gegen diese Verfügung erhobene Beschwerde sei von dieser

432 Behörde abgewiesen worden, und spätere persönliche Verwendungen hätten keinen bessern Erfolg gehabt. Es sei ihm alsdann nichts Weiteres übrig geblieben, als alle Waren wieder zu verladen und von Stans, von wo er von Zeit zu Zeit Bestellbriefe empfange, nach all den großen Auslagen fortzunehmen.

In diesem gegen einen Schweizerbürger eingeschlagenen Verfahren erblickt der Rekurrent eine Verletzung der in Art. 31 der Bundesverfassung garantierten Handels- und Gewerbefreiheit.

Er führt aus, daß die Art, wie er den Handel in Zürich betreibe und denselben in Stans während einigen Stunden betrieb, bei keinem vorurteilsfreien Manne Zweifel bezüglich seiner Ehrenhaftigkeit aufkommen lasse. Es sei einfach die Betreibung des Handels, wie sie der angeführte Art. 31 der Bundesverfassung auffasse und geschützt wissen wolle. Es habe auch niemand Über die Ware des Rekurrenten mit Grund geklagt. Der Regierungsrat und die Polizeidirektion von Nidwaiden haben ihm nicht nur das Handeln verboten, sondern ihm auch noch eine Expertise von einigen Konkurrenten in Stans auf den Hals geschickt, wodurch sich diese Behörden auch eines Aktes der Willkür schuldig gemacht haben.

Aus den angeführten Gründen verlangt der Rekurrent, es seien die angefochtenen Schlußnahmen aufzuheben, und es habe die Regierung von Nidwaiden ihre Polizeidirektion anzuhalten, ihm für die später zu bezeichnende Zeit zur Ermöglichung des Ausverkaufes ein neues Patent zu verabfolgen.

IV.

Zur Vernehmlassung eingeladen, bemerkte die Regierung von Nidvealden in ihrer Zuschrift an den Bundesrat vom 21. August 1893, was folgt: Sigmuud Berger erließ im Amtsblatte und Nidwaldner Volksblatte eine Einladung zu seinem Ausverkaufe und bot u. a. 3 m. 30 acht englischen Cheviot zu einem vollständigen Anzüge für Fr. 13. 50 und ebenso 3m. 30 Kammgarn zu einem Anzüge für Fr. 13. 50 an.

Mit Zuschrift vom 22. Januar beschwerten sich zehn Handelsfirmen von Stans gegen die Polizeidirektion wegen Erteilung des Patentes, und betonten namentlich, daß durch die Inserate Offerten gestellt worden, die mit dem wirklichen Werte der angebotenen Waren in absolut keinem Verhältnisse stehen und als schwindelhaft beurteilt werden müssen. Es trete somit der Fall ein, daß Art. 7 der nidwaldnerischen Hausierverordnung zur Anwendung zu kommen

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habe, der die Polizeidirektion und die Gemeindepräsidenten verpflichtet, gegen solche auf Patent betriebene, zur Prellerei des Publikums ausartende Gewerbe einzuschreiten.

Diese Beschwerde lag dem Regierungsrate am 23. Januar vor, und er fand sich veranlaßt, derselben vorderhand nur insoweit Rechnung zu tragen, als er eine Expertise von Fachmännern anordnete, welche zu prüfen und zu begutachten hatten, ob es Thatsache sei, daß die inserierten Offerten in absolut keinem Verhältnisse zum Werte von ächter Ware stehen. Sigmund Berger ersuchte die Regierung dann mündlich, ihm den Verkauf seiner Waren bis zur vorzunehmenden Expertise zu gestatten. Es wurde aber hierauf nicht eingetreten, und Berger hatte zu weiterem Verkaufe die regierungsrätliche Erlaubnis abzuwarten. Zu Experten waren keineswegs Konkurrenten, sondern Männer, die in gleichen Artikeln gehandelt, aber ihre Geschäfte aufgegeben hatten, und nachdem diese ablehnten, zwei Schneider ohne Tuchwarengeschäft bezeichnet worden.

Die Polizeidirektion ließ nun die sofortige Einstellung des Ausverkaufes und die Anhebung einer Expertise Herrn Berger anzeigen für den Fall, daß er auf Fortsetzung des Ausverkaufes bestehen wolle. Es geschah das am 23. Januar, cirka 11 Uhr vormittags, durch den Polizeiwachtmeister.

Nicht lange nach dieser Anzeige wurde der Polizeidirektion angezeigt, daß Berger den Ausverkauf fortsetze, und es wurden hierfür Zeugen angegeben.

Berger wurde sofort zu einem Verhöre berufen und erklärte, daß er nach Empfang der regierungsrätlichen Schlußnahme keine Waren mehr verkauft habe. Durch die Aussagen zweier gutbeleumdeter Zeugen ging nun aber hervor, daß Berger jedenfalls nachmittags, ob l oder 2 Uhr ist unbestimmt, und noch halb 3 Uhr am 23. Januar Waren verkauft und Gelder dafür einkassiert hatte.

Die unwahre Angabe Bergers im polizeiamtlichen Verhöre, verbunden mit der Nichtbeachtung der regierungsrätlichen Schlußnahme, gab nun der Polizeidirektion Veranlassung, Herrn Berger das Verkaufspatent zu entziehen und die angeordnete Expertise abzubestellen. Es geschah dies aber mit der Zusage, Berger sei berechtigt, beim Landammannamte die Einberufung eines Extraregierungsrates zu verlangen und gegen diese Verfügung Rekurs anzuheben.

Berger erhob diesen Rekurs nicht, reiste mit seinen Waren ab und der Gegenstand blieb liegen, bis er nun durch den staatsrechtlichen Rekurs vom 31. Juli wieder aufgegriffen wird.

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Art. 31 der Bundesverfassung gewährleistet allerdings die Freiheit des Handels und der Gewerbe, behält aber Verfügungen über die Ausübung derselben vor und sagt, diese Verfügungen dürfen den Grundsatz der Handels- und Gewerbefreiheit selbst nicht beeinträchtigen. Eine solche Verfügung über die Ausübung des Handels und der Gewerbe ist die nidwaldnerische Hausierverordnung vom 29. Januar 1879.

Wenn Art. 7 derselben die Polizeidirektion und die Gemeindepräsidenten verpflichtet, gegen solche, auf Patent betriebene Gewerbe, welche zum Bettel oder zur Prellerei ausarten, oder die guten Sitten untergraben, einzusehreiten, so liegt hierin nicht eine Verletzung der gewährleisteten Freiheit des Handels und der Gewerbe, sondern sie sind ein Einschreiten gegen verderbliche Auswüchse des Handels und der Gewerbe.

Es ist nun allerdings bis zur Stunde nicht konstatiert, daß der Ausverkauf Bergers zur Prellerei des Publikums ausartete.

Wer aber nur einigermaßen die gewohnten Preise von echt englischen Cheviots und Kammgarnartikeln kennt, bei dem muß sofort der Verdacht entstehen, die Offerten seien keine reellen, sondern auf Prellerei des Publikums berechnet. Der Preis von Fr. 4 für einen Meter echt englischen Cheviots oder Kammgarns muß den Verdacht erwecken, die Ware sei nicht das, für was sie ausgegeben und angepriesen wird.

Wenn ein solcher Verdacht entsteht, so hat eine Landesbehörde die Pflicht, durch eine Untersuchung festzustellen, ob der Verdacht auch wirklich begründet sei oder nicht, und das hat die Regierung durch ihre Schlußnahme vom 23. Januar gethan und mehr nicht.

Also ist auch diese Verfügung nicht eine Beeinträchtigung des Grundsatzes der Handels- und G-ewerbefreiheit.

Berger machte sich durch unwahre Angaben im Verhöre des Ungehorsams gegen den Beschluß vom 23. Januar schuldig, und da war der Entzug des Patentes ganz das richtige Mittel, um der Fortsetzung dieses Ungehorsams entgegenzutreten.

Übrigens handelte die Polizeidirektion mit der gebotenen Vorsicht, als sie Herrn Berger anheimstellte, vor einem extra einzuberufenden Regierungsrat Rekurs gegen diese Verfügung anzuheben.

Hätte Berger das gethan, so würde die Regierung Veranlassung gehabt haben, zur Verfügung der Polizeidirektion Stellung zu nehmen, selbe zu prüfen und dann aufzuheben oder zu bestätigen. Herr Berger ergriff dieses
Rechtsmittel nicht, sondern reiste mit seinen Waren ab. Nach dem Dafürhalten der Regierung wäre diese Unterlassung Bergers und das Aufgreifen des Falles erst nach acht

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Monaten ganz allein dazu angethan, den Rekurs als unbegründet und verspätet abzuweisen, um so mehr, als die angebrachten Entschuldigungen nichtssagende sind.

Sie schließt deshalb mit dem Antrage, der Bundesrat wolle den vorliegenden Rekurs als unbegründet erklären.

B.

In rechtlicher Beziehung fällt in Betracht: 1. Die Gesetzgebung über das Hausierwesen ist Sache der Kantone geblieben, und bezügliche Beschwerden sind vom Bundesrate unter dem Gesichtspunkte des Art. 31 der Bundesverfassung zu prüfen.

Danach haben die Kantone das Recht, über die Ausübung des Hausiergewerbes Verfügungen zu. treffen ; diese Verfügungen dürfen jedoch nicht den Grundsatz der Handels- und Gewerbefreiheit an sich beeinträchtigen.

2. Zu den in Art. 31, litt, e, der Bundesverfassung gegenüber der Handels- und Gewerbefreiheit vorbehaltenen Verfügungen gehören unzweifelhaft solche Gesetzesbestimmungen, Verordnungen oder administrativen Erlasse, welche den Zweck haben, das Publikum im Handelsverkehr vor Prellerei zu schützen.

Als eine solche zulässige Verfügung ist Art. 7 der nidwaldnerischen Verordnung über das Hausierwesen vom 29. Januar 1879 anzusehen, welche keinen andern Zweck als den Schutz des Publikums vor Prellerei im Auge hat.

3. Nach den vom Rekurrenten für seine Waren angesetzten und ausgekündigten Preisen und nach seinem Gebahren gegenüber den nidwaldnerischen Behörden waren diese vollauf berechtigt, anzunehmen, sie haben es mit einem Händler zu thun, auf den der besagte Art. 7 anwendbar ist; sie haben dem Rekurrenten daher mit Recht das Hausierpatent entzogen.

Es liegt mithin für die Bundesbehörde kein Grund vor, das Verfahren der Kantonsbehörde vom bundesrechtlichen Standpunkte aus zu beanstanden.

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Demnach wird beschlossen: 1. Der Rekurs ist unbegründet und wird daher abgewiesen.

2. Dieser Beschluß ist der Regierung von Nidwaiden, sowie dem Rekurrenten schriftlich mitzuteilen.

B e r n , den 17. Oktober 1893.

Im Namen des Schweiz. Bundesrates, Der Bundespräsident:

Schenk.

Der Kanzler der Eidgenossenschaft: Bingier.

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Bundesratsbeschluß über den Rekurs des Sigmund Berger, aus Zürich, gegen die Schlußnahme der Regierung von Nidwalden vom 23. und 30. Januar 1893, betreffend Entzug des Gewerbepatentes. (Vom 17. Oktober 1893.)

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1893

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4

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45

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25.10.1893

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430-436

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