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Botschaft des

Bundesrates an die Bundesversammlung, betreffend die fernere Gewährung eines Zuckerrückzolles beim Export von kondensierter Milch.

(Vom 26. Mai 1893.)

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Tit.

Am 23. Dezember 1892 hat der Nationalrat folgende Motion der Herren Berger und Mitunterzeichner erheblich erklärt: ,,Der Bundesrat ist eingeladen, Bericht und Antrag zu stellen, ob nicht die durch Bundesbeschluß vom 27. Juni 1889*) bewilligte teilweise Rückvergütung des Eingangszolles für Zucker, soweit derselbe bei der Erzeugung kondensierter Milch zur Verwendung gelangt, um höchstens drei Jahre zu verlängern sei."

Dieser Einladung nachkommend, beehren wir uns, Ihnen hiernach das Resultat unserer Untersuchung bekannt zu geben und gleichzeitig den Entwurf eines Bundesbeschlusses vorzulegen.

I. Die Beziehungen des Zuckerrückzolles zur Landwirtschaft.

Schon bei ändern Anlässen ist hervorgehoben worden, daß die Verhältnisse und natürlichen Produktionsbedingungen unsere Landwirtschaft auf die Erzeugung von Futter, in günstigen Lagen ver*) A. S. n. P. XI, 249.

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bunden mit Obstbau, hinweisen, indem alle anderen Kulturen entweder stationär bleiben oder zurückgehen, wie z. B. der Weinbau, der Getreidebau und die Kultur der Handelspflanzen.

Eine intensiver betriebene Landwirtschaft ist heute gleichbedeutend mit vermehrtem und verbessertem Futterbau.

Die Verwertung des in fortwährend steigender Menge gewonnenen Futters erfolgt unter unsern Verhältnissen vorwiegend durch das Rindvieh, denn die Pferdezucht wird bei uns kaum wieder die Ausdehnung erlangen, die sie früher und bis fast in die Mitte des gegenwärtigen Jahrhunderts hatte, und das Schaf ist heute der schlechteste Futterverwerter. Beim Rindvieh sind es wiederum die Kühe, denen hierbei die Hauptrolle zufällt, indem zufolge der letzten Viehzählung auf 100 Kühe nur 8,7 Ochsen fallen; die übrigen Tiere des Rindviehgeschlechts mit Ausnahme der Schlachtkälber sind dazu bestimmt, den Bestand an Kühen im gleichen Verhältnis zu ergänzen.

U n s e r e L a n d w i r t s c h a f t ist d a h e r g l e i c h b e d e u t e n d mit K u h h a l t u n g und K u h h a l t u n g gleichbedeutend mit Milchwirtschaft.

Keine Exportindustrie führt so viel Erzeugnisse des eigenen Landes aus, wie diese, indem bei Industrien mit höhern Exportzifiern stets der Wert der Roh- und Hülfsstoffe, die aus dem Auslande eingeführt werden mußten, in Abzug zu bringen ist. Man darf deshalb behaupten, daß von der Gestaltung des Exportes unserer Milchprodukte das Gedeihen unserer Landwirtschaft abhängt.

Man hat häufig -- so auch bei Anlaß der Erhöhung der Viehzölle in den Jahren 1887 und 1891 -- der Landwirtschaft den Vorwurf gemacht, sie begünstige zu sehr die Milchproduktion, anstatt sich mehr und mehr auf die Aufzucht und den Export von Rassenvieh und die Frühmast zu verlegen. Nun aber verlangt das Ausland von uns nur Zuchtstiere, Kühe und weibliches Jungvieh vorzüglichster Qualität; erstere mangeln uns jedoch selbst, da wir sonst deren Aufzucht und Haltung nicht durch schwere Summen unterstützen würden; mit Bezug auf die weiblichen Tiereist im VI. Band des vom eidgenössischen Landwirtschaftsdepartement herausgegebenen landwirtschaftlichen Jahrbuches, S. 260 u. ff., der Nachweis versucht worden, daß 88 °/o oder wahrscheinlich fast alle lebensfähigen weiblichen Tiere jetzt schon aufgezogen werden, daß sich somit diese Aufzucht nur aus den
Berggegenden in die Thäler und in die Hochebene verlegen, aber nicht wesentlich vermehren lasse. Ob diese Verschiebung nutzlich und ob es gut sei, den Bergbewohner, der sich seither mit der Aufzucht der in der Ebene geworfenen Kälber befaßte, wieder zur Milchwirtschaft und Alpkäserei zu nötigen, ist

89 hier nicht näher zu untersuchen ; es mag genügen, darauf hinzuweisen, daß dadurch weder die Aufzucht vermehrt, noch die Milchproduktion wesentlich vermindert, wahrscheinlich aber beide Betriebe durchschnittlich schlechtere Erzeugnisse liefern würden, als bisher.

Die Frühmast für die Schlachtbank bildet allerdings eine nicht zu verachtende Futterverwertung. Unser Markt ist jedoch nur während der Fremdensaison und für den Bedarf größerer Ortschaften für diese hauptsächlich Bratenfleisch liefernde Fleischqualität aufnahmsfähig; für den Export fetter, junger Tiere könnte nur Frankreich in Frage kommen, das uns seine Thore verschlossen hat. Eine wesentliche Beschränkung der Milcherzeugung durch die Frühmast ist deshalb nicht zu erwarten.

Es könnte endlich noch die Aufzucht von Ochsen zu Arbeitszwecken mit nachfolgender Mast in Frage kommen. Allein abgesehen davon, daß der Staat kein Interesse daran hat, die Ersetzung der Pferde durch Ochsen zu befürworten, so wäre der Landwirtschaft dadurch wenig geholfen; denn ob das Futter durch Pferde oder Rindvieh in Arbeit umgewandelt werde, beeinflußt die Milchwirtschaft nicht wesentlich. Überdies kann die Schweiz bezüglich der Aufzucht und Mästung von Arbeitsochsen mit den ändern auf Ackerbau, verbunden mit technischen Gewerben (Brennereien, Zucker- und Stärkefabriken), angewiesenen oder extensive Weidewirtschaft treibenden Ländern niemals konkurrieren, während sie auf dem Gebiete der Milchwirtschaft jedem Wettbewerb gewachsen ist, wenn ihr keine künstlichen Hindernisse entgegengesetzt werden.

Ein solches Hindernis dürfte die Zollbelastung des bei der Milchkondensieruug verwendeten Zuckers bilden.

Nach den Zusammenstellungen unserer Zollverwaltung betrug das Nettogewicht der ausgeführten kondensierten im Jahr Milch, für welche der Rückzoll beansprucht wurde

der Zuckergehalt in kg. netto

kg-

1890

1891 1892 Total

13,167,752,9 15,078,493 15,349,265,6 43,595,511,4

5,094,824,!

5,812,981,3 5,974,929,1

der Zuckerzoll

der Betrag der Zollrückvergütung, Fr. 5 per J 00 kg.

netto Zucker

Fr.

Fr.

382,111. 71 254,741. 19 435,973. 60 290,649. 06 448,119.68 298,746. 46

16,882,734,6 1,266,204.99 844,136. 71

90

Die durchschnittliche Ausfuhr während der letzten drei Jahre betrug somit jährlich netto 14,531,837 kg. kondensierte Milch, entsprechend rund 667,400 Kisten zu 48 je ein englisches Pfuqd wiegenden Büchsen. Rechnet man, daß 61,5 kg. frische Milch durchschnittlich l Kiste kondensierte Milch geben, so wären im Jahre durchschnittlich etwa 41 Millionen kg. Milch entsprechend dem Ertrag von 13--16,000 Milchkühen kondensiert und exportiert worden.

An diesem Export ist die Société farine lactée Henri Nestlé in Vivis mit 60 °/o und die Anglo-Swiss Condensed Milk Co. in Cham mit 33 % beteiligt; auf die übrigen drei Fabriken entfallen somit nur 7 °/o.

Der Zuckergehalt berechnet sich nach vorstehender Tabelle auf annähernd 40 °/o, und der Zuckerzoll belastet das kg. netto mit 3 Rp. oder mit ungefähr 3 °/o des Wertes.

Der inländische Gebrauch an eingedickter Milch ist unbedeutend. Von den 155,226 q. im Werte von Fr. 15,075,641, die im Jahre 1892 exportiert wurden, gingen 133,029 q. im Werte von Fr. 12,716,341, d. h. 85,7 °/o, nach England; die Vereinigten Staaten waren Abnehmer von 4060 q. im Werte von Fr. 431,079, Australien von 5294 q. im Werte von Fr. 570,320 u. s. w.

Die Schweizermilch besitzt kein Monopol auf dem Weltmarkt.

Schon in der sogenannten Rilckzollbotschaft des Bundesrates vom 20. November 1888 (Bundesbl. 1888, IV, 733 und ff.) heißt es: ,,Die Preise lassen sich nicht mehr von der Schweiz aus beherrschen ,,oder beeinflussen; sie werden von dem billiger fabrizierenden Aus,,land gemacht, und der schweizerische Produzent hat seine Ver,,käufe denselben anzupassen. Gegen eine solche Konkurrenz ist ,,um so schwieriger aufzukommen, als bereits auch diese Industrie, ,,trotz der kurzen Zeit ihres Bestandes, an Überproduktion zu ,,leiden hat."

In dieser Beziehung ist seither nicht nur keine Besserung eingetreten, sondern alle schweizerischen Fabriken erklären übereinstimmend, daß sich die Konkurrenz verschärft und daß sich in den letzten Jahren namentlich der Mitbewerb Norwegens, Englands und Irlands stärker fühlbar gemacht habe. Die schweizerischen Fabriken seien auch, abgesehen vom Zuckerzoll, ungünstiger situiert, als ihre Konkurrenten, denen dieser Zoll rückvergütet werde, weil sie Blech, Zinn, Holz, Kohlen u. s. w. aus dem Ausland beziehen und verzollen müßten, ferner weil ihnen sehr hohe
Frachtauslagen erwachsen, während ihre Konkurrenten meist den billigen Transport zu Wasser benutzen können oder -- wie die englischen -- sich im bedeutendsten Konsumlande befinden, das ihnen auch sämtliche Rohstoffe liefere.

In der erwähnten Botschaft ist angeführt, daß nach Angabe der Anglo-Swiss Condensed Milk Co. in Cham = die Kiste Milch in der Schweiz um Fr. 1. 60 höher zu stehen komme als in England, wovon über 60 Rp. auf den Zuckerzoll fallen.

Über die Totalausfuhr an kondensierter Milch, die ungezuckerte inbegriffen, enthalten unsere statistischen Tabellen für die letzten 8 Jahre folgende Ziffern: 1885. . . . 118,304 q- netto im Werte von Fr. 13,591,000 1886. . . . 131,066 q- TI T> 13,344,000 T) r T) 1887. . . . 111,312 q- VI T) 10,807,000 ·fl n n 1888. . . . 118,971 q- TI ·n T) T) 11,306,000 T) 10,202,000 1889. . . . 109,192 q- T) n T) T) T) 13,245,000 1890. . . . 134,340 q- T) T) n T) T) 1891. . . . 152,110 q- ï) T) 14,856,000 T) T) T) 1892. . . . 155,226 q- T) TI T) 15,076,000 T) T) Die schweizerische Produktion der Ghanaer Gesellschaft betrug im Jahre 1887 noch 50,446 q. netto ; sie ging dann im Jahre 1888 auf 39,667 q. und im Jahre 1889 auf 38,224 q. netto exportierte kondensierte Milch zurück, um im Jahre 1890 wieder auf 47,280 q.

zu steigen; 1891 betrug sie 47,501 q. und 1892 44,974 q. netto.

Noch viel bedeutender war die Zunahme der Produktion der Société farine lactée Henri Nestlé in Vivis, die wir zwar nicht gesondert angeben können, die aber aus den Zahlen für die Gesamtausfuhr ersichtlich ist.

Aus obiger Zusammenstellung ergiebt sich nun, daß in den drei letzten Jahren, während welcher die Rückvergütung von 2/a des bezahlten Zuckerzolles stattfand, jährlich im Durchschnitt 3,406,700 kg. kondensierte Milch mehr zur Ausfuhr gelangten als in den drei vorhergehenden Jahren.

Diese Produktionsvermehrung, die dem Ertrag von ungefähr 3600 guten, schweren Milchkühen entspricht, dürfte in der Hauptsache der Rückvergütung des Zuckerzolles zuzuschreiben sein, denn es ist uns nicht erfindlich, was sonst die Anglo-Swiss Condensed Milk Co. bewogen haben könnte, ihre vorher in stetem Zurückgehen begriffene inländische Fabrikation wieder einen neuen Aufschwung nehmen zu lassen.

Ist diese Annahme richtig, so würde sich die weitere Folgerung ergeben, d a ß E r z e u g u n g u n d E x p o r t v o n k o n d e n sierter M i l c h w i e d e r a b n e h m e n m ü s s e n , w e n n d i e teilweise R ü c k v e r g ü t u n g des Zuokerzolles aufhört.

Bereits hat die eine der beiden größten schweizerischen Unternehmungen, die Anglo-Swiss Condensed Milk Co., ihre Hauptpro-

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duktion ins Ausland verlegt; neben den beiden schweizerischen Fabriken in Cham und Düdingen besitzt sie eine solche in Bayern, drei in England und zwei in Nordamerika. Daß die Chamer Gesellschaft sich auch im Auslande ansiedelte, war jedenfalls von grossem Nachteil für die schweizerischen Milchproduzenten, und es würden sich die Verhältnisse noch weit mehr verschlimmern, wenn die Unternehmung in Vivis diesem Beispiele folgen sollte.

Allerdings bleibt Thatsache, daß die Schweizermilch zufolge ihres höhern Buttergehaltes von besserer Qualität ist, als diejenige der ausländischen Konkurrenz, und dieser Umstand hat es ermöglicht, daß unsere Fabriken die Konkurrenz aushalten konnten.

Wenn aber eine Gesellschaft einen Teil ihrer Fabrikation ins Ausland verlegt, so hat sie weniger Interesse mehr daran, den guten Ruf der Schweizerware aufrecht zu erhalten und weiter zu verbreiten, als derjenigen Milch größern Absatz zu verschaffen, deren Herstellung billiger zu stehen kommt, die ihr folglich die höchsten Aktiendividenden sichert.

Die Bedeutung der Milchsiederei für unsere Landwirtschaft beruht nicht auf den höhern Einheitspreisen, welche für die Milch bezahlt werden. Wie andere Geschäfte sucht sie ihren Bedarf so billig wie möglich zu beziehen, und nicht selten konnte wahrgenommen werden, daß sie bei kritischen Zeiten der Käsereien versucht hat, einen Druck auf die Milchpreise auszuüben.

Die Milchsiedereien in der Schweiz wirken nicht direkt preisbestimmend auf die Milch; es richtet sich vielmehr der Milchpreis, ob dieselbe für den direkten Konsum, für die Käserei, für die Milchsiederei oder für einen ändern Zweck bestimmt sei, stets nach den Preisen der Exportkäse. Steigt der Käsepreis, so steigen auf der ganzen Linie die Milchpreise und umgekehrt.

Der Preis der Exportkäse hinwieder richtet sich, wie bei allen ändern Artikeln, nach Angebot und Nachfrage. Das Angebot von Käse wird aber vermindert oder wenigstens in gewissen Schranken gehalten, wenn durch die Siedereien etwa 40 Millionen Kilogramm Milch, entsprechend etwa 36,000 Metercentnern Käse oder einem Siebentel (14 °/o) der durchschnittlichen jährlichen Käseausfuhr der Käserei entzogen und in anderer Form exportiert wird.

In der V e r m i n d e r u n g des A n g e b o t e s von Käse und in der dadurch b e w i r k t e n E r h ö h u n g der
Käsepreise, die überall im ganzen Lande eine entsprec h e n d e E r h ö h u n g des M i l c h p r e i s e s , d. h. der h a u p t s ä c h l i c h s t e n , in sehr v i e l e n F ä l l e n e i n z i g e n Einn a h m s q u e l l e u n s e r e r L a n d w i r t e z u r F o l g e hat, liegt die hohe Bedeutung der Milchsiederei für unsere Landwirtschaft.

93 Dieser Grundsatz wird kaum angefochten werden können, weil keine andere Industrie bekannt ist, die im stände wäre, ein so bedeutendes Quantum Milch der Käserei zu entziehen, wie die Fabrikation gezuckerter kondensierter Milch. Die ungezuckerte kondensierte Milch hat sich noch kein nennenswertes Produktions- und Absatzgebiet erringen können und gegenüber der sterilisierten Milch hat die kondensierte den Vorteil, daß Gewicht und Volumen auf einen Drittel vermindert wird, was auf die Exportfähigkeit im großen von bedeutendem Einfluß ist.

Höhere Milchpreise stärken die Kaufkraft der Landwirte, heben somit indirekt Gewerbe und Industrie, sichern dem Züchter der Berggegenden höhere Preise für die Erzeugnisse seiner Aufzucht, erhöhen die Löhne der Dienstboten, verlangsamen den Rückgang der Güterpreise und garantieren dem auf Hypotheken angelegten Kapital die Verzinsung.

Die Einwendung, daß unter den höhern Milchpreisen die Volksernährung leide, erscheint bei näherer Betrachtung nicht haltbar.

Höhere Einnahmen bewirken in allen Erwerbskreisen auch eine bessere Ernährung, niedrige Einnahmen eine sparsamere Verwendung derselben.

Milch ist und bleibt stets ein mit Rücksicht auf den Gehalt sehr billiges Nahrungsmittel ; auch ist bei frühern Erhebungen konstatiert worden, daß die Milch nirgends so billig an die Konsumenten abgegeben wurde, als im Bezugsgebiet der Chamer Milchsiederei.

Aus dem Vorstehenden ergiebt sich der natürliche Schluß, daß ein Zuckerrückzoll für den Export der mit Zucker kondensierten Milch eine für unsere Landwirtschaft unter den gegebenen Verhältnissen doppelt notwendige Industrie unterstützen und erhalten wird, deren Zurückgehen oder Dislozierung ins Ausland andernfalls befürchtet werden müßte.

Die Sachlage scheint nun allerdings gegenüber früher infolge der Einführung der Zuckerindustrie in der Schweiz in einem Punkte eine Änderung erfahren zu haben.

Wie bekannt, ist zu Anfang des Jahres 1892 unter der Firma ,,Helvetia, fabrique de sucre suisse à Monthey" mit Sitz in Monthey (Wallis) eine Aktiengesellschaft mit l Million Aktienkapital bei 20 °/o Einzahlung gegründet worden, welche die Herstellung von Rohzucker und von raffiniertem Zucker jeder Art bezweckt.

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Das Gelingen dieser Unternehmung wird wesentlich davon abhangen, ob die landwirtschaftlichen Kreise der nähern und weitern Umgebung sich entschließen können und ihren Nutzen darin finden, der Zuckerrübenkultur eine solche Ausdehnung zu geben, daß die Fabrik ihren Bedarf auf die Dauer decken kann.

Wie bei jeder ändern Neuerung im Landwirtschaftsbetrieb, so ist der Anfang auch hier mit großen Schwierigkeiten verbunden, und nach seinen eigenen Angaben wird das Unternehmen in den nächsten Jahren noch nicht in der Lage sein, die Fabriken von kondensierter Milch mit dem von ihnen benötigten Zucker zu versorgen.

Letztere werden somit vor der Hand auf den Bezug aus dem Auslande angewiesen bleiben, und deshalb kann diese in ihren ersten Anfangen liegende Industrie, der es ohnehin an einem sehr aufnahmsfähigeu Absatzgebiet für innern Konsum nicht mangelt, einstweilen kein Hindernis bilden, den Zuckerrückzoll für die infolge des letztern zu neuem Aufschwünge gelangte Exportindustrie, mit welcher die vitalen Interessen unserer Landwirtschaft in ungleich höherm Maße verknüpft sind, neuerdings einzuräumen.

II. Die Wirkungen des Zuckerrückzolles anf die Bundesflnanzen.

Nachdem im ersten Abschnitt dieser Botschaft die volkswirtschaftliche Seite der in der Motion Berger aufgeworfenen Frage beleuchtet worden, erübrigt uns noch, diese Frage vom Standpunkte der Bundesfinanzen, sowie vom Standpunkte des Zolldienstes aus zu begutachten. Zu diesem Behufe ist es notwendig, sich die wesentlichen Momente vor Augen zu halten, welche den Bundesrat im Jahr 1888/89 bewogen haben, die Gewährung einer teilweisen Zollrückvergütung für den in Form von kondensierter Milch wiederausgeführten Zucker zu beantragen (Botschaft vom 20. November 1888 und Nachtrag vom 24. Mai 1889).

In Anbetracht der Unwahrscheinlichkeit, daß die Viehaufzucht beim landwirtschaftlichen Kleinbetrieb an Stelle der Milchproduktion treten werde, indem der kleine Landwirt auf die unmittelbare Verwertung des Milchertrages seines Viehstandes werde angewiesen bleiben, bezeichnete die bundesrätliche Botschaft von 1888 es als Pflicht des Staates, die bestehenden Milchverwertungs-Industrien dem Lande zu erhalten.

Es wurde dabei anerkannt, daß, so gerechtfertigt auch die Zuckerbesteuerung für den innern Konsum erscheine, die Belastung

95 des Exportproduktes der kondensierten Milch mit dem 3 °/o des Warenwertes repräsentierenden Zuckerzoll in Anbetracht der enormen Konkurrenz des Auslandes zu schwer auf dieser Industrie laste ; daß daher hier, wenn überhaupt irgendwo, die Voraussetzungen vorhanden seien, welche die Gewährung einer teilweisen Zollrückerstattung rechtfertigen. Bestimmend waren hierbei insbesondere die günstigem Produktions- und Transportverhältnisse der ausländischen Unternehmungen, welche bewirken, daß die Verkaufspreise sich nicht mehr von der Schweiz aus beeinflussen lassen.

Nicht die totale, sondern nur eine partielle Zollentlastung hat der Bundesrat dann befürwortet, im Verhältnis einer Reduktion um 2/8, d. h. einer Rückrergütungsquote von Fr. 5 per q. für den zu Fr. 7. 50 verzollbaren Zucker. Wie jede andere Industrie, so sollen auch die Milchverwertungsfabriken für ihre aus dem Auslande eingeführten Roh- und Hülfsmaterialien einen angemessenen Zoll zu entrichten haben.

Auf Grund der Ausfuhrziffer von 1887 hatten wir das Jahres quantum des in Form von kondensierter Milch exportierten Zuckers auf rund 40,000 q. veranschlagt, entsprechend einem Zollbetrage von Fr. 300,000, von welchem, nach Abzug des Rückzolles im Verhältnis von 2/a, noch Fr. 100,000 dem Fiskus verbleiben; es wurde sodann bemerkt, daß diese Einnahme dem Bunde verloren ginge, wenn infolge der Unmöglichkeit dieser Industrie die Zuckereinfuhr in gleichem Maße vermindert würde.

Über die Durchführbarkeit des Rückzolles, vom zolldienstlichen Standpunkte aus, ließ sich der Bundesrat in seiner Botschaft dahin vernehmen, daß dem Projekte in dieser Hinsicht ein Hindernis nicht entgegenstehe, indem es sich bei der daherigen Kontrolle lediglich um Zucker ausländischer Erzeugung handle und die Einführung der Zuckerproduktion in der Schweiz infolge des durch die rücksichtslose Konkurrenz der Produktioasländer bewirkten Preisrückschlages auf Jahre hinaus sich als unwahrscheinlich erweise.

Auf die vom Ständerat beschlossene Zwischenfrage, ob nicht vorzuziehen sei, ,,den Export von kondensierter Milch statt durch einen Rückzoll durch Herabsetzung des Zolles auf der bei der Milchsiederei zur Verwendung kommenden Zuckerart zu begünstigen", war der Buudesrat im Falle, nach der in der Nachtragsbotschaft vom 24. Mai 1889 dargelegten Begründung verneinend zu
antworten, da er sich hatte überzeugen müssen, daß die Kontrolle für die Rückzollvergütung sich für die Verwaltung einfacher gestalte und mehr Sicherheit biete als bei Gewährung der Zollermäßigung, welche auch die Überwachung des Verbrauches im

96 Fabrikbetriebe erfordert haben würde, um eine anderweitige Verwertung des mit ermäßigtem Zolle eingeführten Zuckers unmöglich zu machen.

Unter diesen allgemeinen Gesichtspunkten proponierte der Bundesrat die bereits erwähnte Rückzollquote von Fr. 5 per 100 kg.

netto ausgeführten Zucker, mit Beschränkung dieser Vergütung auf die Dauer von drei Jahren, um während dieser Zeit die nötigen Erfahrungen zu sammeln, welche für das fernere Verhalten in dieser präjudizierlichen Frage entscheidend sein würden.

In dem den Räten unterbreiteten Beschlußentwurfe war vorgesehen, daß der Bundesrat vor Ablauf der dreijährigen Frist über die Verlängerung der Gültigkeitsdauer der Bundesversammlung Bericht und Antrag hinterbringen werde.

Durch Beschluß des Nationalrates vom 7. Juni 1889, dem der Ständerat am 27. gleichen Monats beipflichtete, wurde jedoch dieser Vorbehalt fallen gelassen und dein betreffenden Artikel folgeude Fassung gegeben : ,,Die Gültigkeit dieses Beschlusses wird vorbehaltlich der Be,,stimmungen eines neuen Zolltarifgesetzes auf die Dauer von drei ,,Jahren festgesetzt."

Das neue Zolltarifgesetz vom 10. April 1891, in Kraft getreten am 1. Februar 1892, bewirkte keine Änderung des Rückzollbeschlusses. Letzterer war am 1. Januar 1890 vollziehbar geworden und dauerte bis Ende des Jahres 1892. Anläßlich der Tarifrévision hatten sich aus den zunächst interessierten Kreisen keine Stimmen für allfällige Reduktion des Zolles auf deu beim Kondensierungsverfahren verwendeten Zuckerarten vernehmen lassen, und der Bundesrat hielt es seinerseits nicht für opportun, in einem Momente die Initiative zu ergreifen und bezügliche Auträge zu stellen, wo kurz vorher erst die RuckzollvergUtuog ihren Anfang genommen hatte und über deren Wirkung eine Schlußfolgerung noch nicht gezogen werden konnte.

Ebenso hatte auch der Bundesrat kein Mandat, der Bundesversammlung über eventuelle Verlängerung der dreijährigen Frist Bericht und Antrag zu unterbreiten. Er durfte übrigens annehmen, daß die Interessenten und speciell die landwirtschaftlichen Kreise sich rechtzeitig rühren werden, wenn sie auf fernere Gewährung des Rückzolles Anspruch erheben wollten.

Erst durch die vorliegende Motion wurde dem Bundesrate Veranlassung gegeben, sich neuerdings mit der Angelegenheit zu befassen.

97

Der Standpunkt der Staatsfinanzen und des Zolldienstes hat sich in dieser Hinsicht gegenüber früher nicht wesentlich verändert.

Nachdem wir glauben, im I. Abschnitt den Nachweis der volkswirtschaftlichen Notwendigkeit der angeregten Maßnahme in so einläßlicher Auseinandersetzung der maßgebenden Faktoren, wie dies wegen des zu schaffenden Ausnahmezustandes notwendig erschien, erbracht zu haben, kann es sich hier nur darum handeln, zu konstatieren, daß mit dieser Maßnahme effektive Nachteile weder nach der einen noch nach der ändern Richtung verbunden sind und daß auch keine Interessen anderer schweizerischer Industrien geschädigt werden.

Wenn der Jahresverbrauch an Zucker für die Exportware der schweizerischen Milchsiedereien anstatt der 1888 veranschlagten 40,000 q. auf rund 60,000 q. im Jahre 1892 gestiegen ist, so vermögen diese Ziffern beredter als Worte darzuthun, wie kräftig die im Jahre 1889 getroffene Schlußnahme der Räte ihre Rückwirkung auf eine Industrie ausgeübt hat, deren Existenz damals faktisch gefährdet war.

Jene 60,000 q. Zucker -- wir lassen die Tara, weil unerheblich, außer Betracht -- repräsentieren einen Zollbetrag von Fr. 7. 50 X 60,000 = . . . Fr. 450,000 wovon 2/a Rückzoll = ,, 300,000 verbleiben für den Fiskus Fr. 150,000 anstatt der früher veranschlagten Fr. 100,000.

Zur Wahrung der fiskalen Interessen halten wir eine Kontrolle wie in den Jahren 1890 bis 1892 für genügend, in der Meinung, daß die Vergütung jedenfalls nicht für eine größere Menge Zucker beansprucht werden könne, als von den betreffenden Etablissements thatsächlich zur Einfuhr verzollt wurde, und daß der Zollverwaltung überdies jederzeit freistehe, von den Geschäftsbüchern Einsicht zu nehmen, soweit es den Import und die Verwendung von Zucker betrifft.

Damit bleiben zugleich *uch die Interessen der schweizerischen Zuckerindustrie gewahrt. Erweist sich dieselbe als lebensfähig und kann dieselbe einmal so erstarken, daß die schweizerischen Milchsiedereien nicht mehr auf den ausländischen Zucker angewiesen sind, so ist es dannzumal immer noch an der Zeit, zu erwägen, ob unter diesen veränderten Verhältnissen die Gewährung eines Ruckzolles sieh fernerhin rechtfertigen lasse.

98

Nach diesen Auseinandersetzungen kommen wir zum Schlüsse, es sei die Vergütung des Rückzolles im bisherigen Verhältnis von 2 /s des Zuckerzolles resp. einer Quote von Fr. 5 per q. netto exportierten Zucker auch fernerhin zu bewilligen, und zwar ohne Beschränkung auf eine zum voraus festzusetzende Frist, sondern auf unbestimmte Zeit, resp. ,,bis auf w e i t e r e s " , damit je nach den eintretenden Umständen auf diese Bewilligung zurückgekommen werden kann.

Mit der vorgeschlagenen Maßnahme soll grundsätzlich eine Anerkennung des Rückzolles als gesetzliche Institution nicht ausgesprochen sein \ sie wird nach wie vor den transitovischen Charakter beibehalten und die Bedeutung einer auf dem Wege der Rückvergütung zu gewährenden Zollerleichterung für das Rohmaterial eiuer Exportindustrie, für welches, weil einen innern Konsumartikel und geeignetes Besteuerungsobjekt betreffend, die Herabsetzung der gesetzlichen Zollangätze nicht beantragt werden könnte.

Die Aufstellung verschiedener Ansätze für Zucker, je nach Art der Verwendung desselben, ist, wie wir bereits früher hervorgehoben haben, wegen Mangels geeigneter Mittel, diese Verwendung bei dem in den freien Verkehr getretenen Zucker auf zuverlässige Weise zu kontrollieren, nicht zu empfehlen.

Die Vollziehung eines bezüglichen Beschlusses haben wir auf 1. Januar 1894 in Aussicht genommen. Rückwirkung auf 1. Januar 1893 können wir deshalb nicht beantragen, weil zu der Zeit, wo ein Bundesbeschluß in Kraft treten könnte, die Milchkäufe für das laufende Jahr bereits abgeschlossen sind, eine Änderung von Quantum und Preis somit nicht mehr thunlich wäre. Die Rückwirkung würde andernfalls einzig den Milchsiedereien und nicht der Landwirtschaft zu gute kommen.

Wir empfehlen Ihnen daher die Annahme des nachfolgenden Beschlußentwurfes.

Genehmigen Sie, Tit., die Versicherung unserer vollkommenen Hochachtung.

B e r n , den 26. Mai 1893.

*

Im Namen des Schweiz. Bundesrates, Der B u n d e s p r ä s i d e n t :

Schenk.

Der Kanzler der Eidgenossenschaft: Bingier.

(Entwurf.)

Bundesbeschlnß betreffend

die fernere Gewährung eines ZuckerrUckzolles beim Export von kondensierter Milch.

Die Bundesversammlung der schweizerischen Eidgenossenschaft, im Hinblick auf ihren Beschluß betreffend Gewährung eines Ruckzolles auf Zucker beim Export von kondensierter Milch, vom 27. Juni 1889; nach Einsicht einer Botschaft des Bundesrates vom 26. Mai 1893, beschließt: Art. 1. Für die in schweizerischen Fabriken mit Zuckerzusatz kondensierte und in ein fremdes Zollgebiet ausgeführte Milch wird bis auf weiteres per 100 Kilogramm netto Zucker eine Rückzollvergütung von Fr. 5 geleistet.

Anspruch auf diese Vergütung haben jedoch nur solche inländische Fabriken, welche ausschließlich Milch schweizerischer Produktion verwenden, und nur insoweit, als sich solche über direkte Einfuhr des entsprechenden Quantums Zucker durch Vorlage bezüglicher, seit 1. Juli 1893 ausgefertigter Verzollungsbelege ausweisen können. Sie beschränkt sich überdies auf solche Zuckerarten, die unter Nr. 282 bis 284 des Zolltarifgesetzes vom 10. April 1891 aufgeführt sind.

SÌA.' ì£fcC*4k.x

100

Art. 2. Alle Handlungen, welche die Erlangung einer unrechtmäßigen Zollrückvergütung bezwecken, werden als Zollübertretungen nach Art. 51 des Zollgesetzes bestraft.

Im Wiederholungsfall wird dem Schuldigen^die Berechtigung zum fernem Bezug des Rückzolles entzogen.

Art. 3. Der Bundesrat ist beauftragt, auf Grundlage der Bestimmungen des Buadesgesetzes vom 17. Juni 1874 betreffend die Volksabstimmung über Bundesgesetze und Bundesbeschlüsse die Bekanntmachung dieses Beschlusses zu veranstalten, den Beginn der Wirksamkeit desselben festzusetzen und die erforderlichen Vollziehungsanordnungen zu erlassen.

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Botschaft des Bundesrates an die Bundesversammlung, betreffend die fernere Gewährung eines Zuckerrückzolles beim Export von kondensierter Milch. (Vom 26. Mai 1893.)

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