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Bericht des

Bundesrates an die Bundesversammlung, betreffend das Begnadigungsgesuch des wegen Übertretung des Alkoholgesetzes bestraften Arthur Boffa, von Campione (Italien), wohnhaft in Lugano.

(Vom 22. Juni 1893.)

Tit.

Nach den von der Alkoholverwaltung eingezogenen Erkundigungen ist der Petent Arthur Boffa im Herbste des Jahres 1887 mit einer zur Destillation von Trestern, Drusen etc. dienlichen Brennereieinrichtung von Campione (Italien) nach Caprino, Gemeinde Castagnola, gezogen. Von Caprino übersiedelte er im Jahre 1890 nach Lugano, wo er zuerst den Bäckerberuf ausübte., aber etwa ein Jahr später das Brennereigewerbe wieder aufnahm. Die in Lugano in Betrieb gesetzte Brennerei umfaßt zwei Apparate, wovon der eine, seither rekonstruiert, schon in Caprino in Verwendunggestanden haben soll, während der zweite neueren Datums ist.

Laut Eintragung im Gemeindeprotokoll von Castagnola ist Boffa anfangs 1888 bei der Hunicipalität dieser Gemeinde mit dem zur Weiterleitung an die eidgenössischen Behörden bestimmten Gesuche eingekommen, entweder entschädigt zu werden oder seine Brennerei fortbetreiben zu dürfen, welche Eingabe am 18. Januar gleichen Jahres an den Regierungskommissär von Lugano abgesandt worden sein soll. Von jener Überweisung hinweg geht indessen die Spur dieses Schriftstückes vollständig verloren ; weder der Regierungskommissär noch die Kantonsregierung selbst wollen vom Erhalte eines solchen etwas wissen; bei der Alkoholverwaltung ist dasselbe nie eingelangt.

Im Oktober 1892 nun konstatierte ein Beamter der Alkoholverwaltung bei dem Gesuchsteller Boffa die in Übertretung des Alkoholgesetzes vollzogene Destillation von l Va Kesselwagen ausländischen Weins, sowie den Versuch zur Destillation weiterer

632 Mengen gleichen Weins. Der Beamte nahm über seine Wahrnehmungen ein Strafprotokoll auf, in dessen Folge das Finanzdeparternent in Anwendung von Art. 14 des Reglements zur Vollziehung der Strafbestimmungeu des Alkoholgesetzes und gemäß Art. 14, AI. l und 4, desselben Gesetzes in die Lage kam, über den Genannten eine Buße von Fr. 16,800, gleich dem sechsfachen Betrag der umgangenen Monopolgebühr, sowie die Verpflichtung zur Bezahlung der einfachen Steuer von Fr. 2800 zu verhängen.

Vom Fehlbaren nicht anerkannt, wurde dieser Entscheid vor das Bezirksgericht von Lugano gezogen, welches denselben durch Urteil vom 24. März d. J. in seinem ganzen Umfange bestätigte.

Da von keiner Seite Berufung wider dieses Urteil erklärt wurde, ist dasselbe in Rechtskraft erwachsen.

Gegen die Vollziehung des Urteils rekurrierte Arthur Boffa an das eidgenössische Finanzdepartement und sodann, nach Abweisung des Begehrens durch das letztere, an Ihre hohe Behörde, indem er das Gesuch stellte, es möchte angesichts seiner Mittellosigkeit bei der Verwertung der sequestrierten Gegenstände sein Bewenden haben, und es sei von einem Rückgriff auf seine übrige geringe Habe, sowie von einer Umwandlung des ungedeckt bleibenden Bußenbetrages in Gefängnisstrafe Umgang zu nehmen.

Nach Maßgabe der geltenden Gesetzgebung (Bundesgesetz betreffend das Verfahren bei Übertretungen fiskalischer und polizeilicher Bundesgesetze vom 30. Juni 1849) erachtete das Finanzdepartement weder sich selbst noch den Bundesrat für kompetent, das Urteil des kantonalen Gerichts im Wege der Begnadigung aufzuheben, und lehnte es daher ab, auf das Gesuch des Petenteu einzutreten. Der Bundesrat, der sich heute erst mit der Angelegenheit befaßt, teilt diese Ansieht seines Departements; es erscheint ihm auch f r a g l i c h , ob ein Begnadigungsrecht gegenüber Strafentscheiden kantonaler Gerichte wegen Übertretung von Fiskalgesetzen in die Hände der Bundesversammlung gelegt sei, und zwar deshalb, weil in dem citierten Gesetze von 1849 selbst die Begnadigung geregelt und ausdrucklich bestimmt ist, bis zu welchem Betrage und unter welchen Voraussetzungen ein Nachlaß gestattet werden könne. Aus den bezüglichen Vorschriften ist zu schließen, daß da, wo die gedachten Voraussetzungen nicht zutreffen, eine Begnadigung überhaupt nicht Platz greifen kann.

Im Gesetzentwurf
vom März 1849 (Bundesbl. 1849, I, 10) hatte nämlich der Bundesrat in Art. 11, lemma 3, folgenden Passus aufgenommen: ,,Es ist kein Nachlaß der Strafe gestattet, wenn der Übertreter das Geschäft vor Gericht kommen ließ, oder wenn es sich um einen Fall handelt, der die Einsperrungsstrafe nach sich

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zieht", und in der bezüglichen Botschaft vom 22. Mai 1849 heiße es: .,,Was die Übertreter betrifft, welche sich nicht eher unterzieheu, als wenn sie den Prozeß verloren oder die Gefangenschaft sich zugezogen haben, so ist es klar, daß sie kein Recht auf einen Nachlaß haben, und daß man sich hüten muß, zu solchen Berechnungen zu ermutigen.* Der erwähnte Passus wurde allerdings bei der Beratung vom Ständerate gestrichen und fand auch im Gesetze selbst keine Aufnahme; aus welchen Gründen dies geschehen, ist aus den Verhandlungen nicht ersichtlich -- man darf annehmen, es sei ala selbstverständlich betrachtet worden, daß die G e s t a t t u n g eines N a c h l a s s e s ü b e r h a u p t n u r u n t e r den in Art. 12 angeführten Voraussetzungen der freiwilligen Unterz i e h u n g u n t e r d e n E n t s c h e i d der A d m i n i s t r a t i v b e h ö r d e u z u l ä s s i g sei, und daß man demnach das sonst allgemeine Begnadigungsrecht der Bundesbehörden mit Bezug auf die Übertretungen der Fiskalgesetze im angedeuteten Sinne b e s c h r ä n k e n wollte.

Sollten Sie indessen entgegen diesen Ausführungen die Kompetenzfrage zu bejahen geneigt sein, so beantragen wir Ihnen, es sei der Eingabe des bestraften B offa zu entsprechen, aus Rucksicht einmal auf die mißliche Lage des Petenten, sowie in Würdigungo des Umstandos, daß in Behandlung des Entschädigungsbegehrens Boffas, wäre dasselbe an seine Bestimmung gelangt, möglicherweise eine Vergütung verabfolgt worden wäre. In Bezug auf den letztern Punkt müssen wir freilich hervorheben, daß auch bei rechtzeitiger Einhändigung des Entschädigungsgesuchs an die zuständige Behörde die Rechtsfrage offen gestanden hätte, ob die Alkoholverwaltung zur Ausrichtung einer Vergütung für eine erst im Jahr 1887, beziehungsweise 1891 entstandene Brennereianlage verpflichtet gewesen wäre.

Genehmigen Sie, Tit., die Versicherung unserer ausgezeichneten Hochachtung.

B e r n , den 22. Juni

1893.

Im Namen des Schweiz. Bundesratea, Der Bundespräsident:

Schenk.

Der Kanzler der Eidgenossenschaft: Ringier.

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Bericht des Bundesrates an die Bundesversammlung, betreffend das Begnadigungsgesuch des wegen Übertretung des Alkoholgesetzes bestraften Arthur Boffa, von Campione (Italien), wohnhaft in Lugano. (Vom 22. Juni 1893.)

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28.06.1893

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