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Schweizerisches Bundesblatt.

45. Jahrgang. I.

Nr. 5.

1. Februar 1893.

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Druck und Expedition der Buchdruckerei Karl Stämpfli &Cie.. in Bern.

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Bericht des

Bundesrates an die Bundesversammlung, betreffend die Erstellung einer Telephonverbindung zwischen den Hauptorten des Kantons Tessin und der Innerschweiz.

(Vom 24. Januar 1893.)

Tit.

Im Monat Dezember letzten Jahres ist die Società dei commercianti in Lugano mit dem Gesuche um Erstellung einer Telephonverhindung zwischen den Hauptorten des Kantons Tessin und der Innerschweiz an die Telegraphenverwaltung gelangt. Ferner nahm Herr Ständerat Balli bei Beratung des Voranschlages für das Jahr 1893 während der letzten Session der Bundesversammlung Veranlassung, den Wunsch auszusprechen, daß das tessinische Telephonnetz, welches die Städte Bellenz, Lugano und Loca no miteinander verbindet, mit der übrigen Schweiz und mit Italien in Verbindung gebracht werde. Die letztere Anregung wurde vom Vorsteher des Post- und Eisenbahndepartementes dahin beantworte:, daß in II allen das Telephonwesen nicht staatlich organisiert sei und nur einen lokalen Charakter habe, daß somit das Hindernis auf italienischer Seite liege. In Bezug auf die Verbindung mit der Centralschweiz wurde auf die sehr bedeutenden Kosten derselben und die daher auch sehr hohe Garantieleistung, die von deo Interessenten verlangt werden müßte, hingewiesen, gleichzeitig aber auch auf die ungenügende Rendite der im Kanton Tessin bestehenden Telephon Verbindungen, wobei jedoch die Zusicherung gegeben wurde, daß die verlangte Verbindung erstellt werde, sobald die Beteiligten sich zur Übernahme der nötigen Garantie bereit erklären. Gleichzeitig wurde ein Bericht Bandesblatt. 45. Jahrg. Bd. I.

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206 an die Bundesversammlung über diese Angelegenheit in Aus'sicht gestellt, da dieselbe wichtig genug schien, um einer eingehendereu Prüfung unterzogen zu werden.

Indem wir uns beehren, Ihnen hiermit diesen Bericht zu erstatten, bestätigen wir vorerst die Richtigkeit der hiervor erwähnten Auskunft über die Verhältnisse des Telephonwesens in Italien, welche vorderhand und wohl auf so lange, als dort das Telephonwesen, wenigstens hinsichtlich der interurbanen Verbindungen, nicht verstaatlicht ist, telephonisclie Anschlüsse mit diesem Lande zur Unmöglichkeit machen. Laut der neuesten vom internationalen Telegraphen bureau herausgegebenen Telephonstatistik bestehen in Italien nur von Privatgesellschaften betriebene lokale Telephonnetze, und zwar auf Ende 1890 33 an der Zahl, welche unter sich nicht verbunden sind. Soviel uns zwar bekannt, ist auch dort das Bestreben nach Verstaatlichung vorhanden, doch stößt dasselbe auf großen Widerstand. Es ist nun kaum anzunehmen, daß die italienische Verwaltung sich unter solchen Umständen auf die Erstellung internationaler Telephonanschlüsse einlassen oder gar Privatgesellschaften solche Anschlüsse gestatten würde, und es wäre daher jedenfalls ein diesbezüglicher von der Schweiz ausgehender Vorschlag vou.

vorneherein als aussichlslos zu betrachten. Daß daherige Verhandlungen nicht mit einer Privatgesellschaft, sondern nur mit den Staatsbehörden geführt werden könnten, ist selbstverständlich. Man wird daher die fernere Entwicklung des Telephonwesens in Italien abwarten müssen, bevor daran -zu denken ist, die nach dieser Richtung laut gewordenen Wünsche ihrer Verwirklichung entgegenzuführen.

Die Verbindung der tessinischeri Telephonnetze mit der Centralschweiz, das heißt mit Luzern, ist lediglich eine finanzielle Frage, wobei zu bemerken ist, daß die Kosten einer solchen Verbindung bei genauerer Berechnung sich noch erheblich höher stellen, als anfänglich auf Grund einer oberflächlichen Schätzung angenommen wurde. Die Entfernung von Bellenz nach Luzern, dei- Bahnlinie nach gemessen, beträgt 170 km., wovon 16 km. auf den Gotthardtunnel füllen. Der Kilometer Linie, mit Doppelbronzedraht à 3 mm.

stellt sich auf Fr. 600, somit kosten 154 km. Linie Fr. 92,400 und ein 16 km. langes Kabel (Legung inbegriffen') cirka Fr. 60,000, so daß die Gesamtkosten die Summe von
cirka Fr. 152,000 erreichen würden. Bei der ersten Schätzung, welche auf Fr. 80,000 bis Fr. 100,000 ging, wurde über den Gotthard eine Luftlinie angenommen, von welcher aber im Interesse der Sicherheit des Betriebes, auch zur Winterszeit, abgesehen werden muß.

Bei gewöhnlichen Linien müssen für Unterhalt, sowie für Verzinsung und Amortisation der Anlagekosten wenigstens 15 °/o der

207 Bausumme gerechnet werden (Art. 29 der bundesrätliehen Verordnung vom 10. Januar 1890), was auf den vorliegenden Fall angewendet eine jährliche Einnahme von Fr. 22,800 erfordern würde. Abgesehen von der kostspieligen Kabelanlage, würde nun aber eine Telephonlinie Bellenz-Luzern sowohl für den Bau als für den Unterhalt gtmz besondern Schwierigkeiten begegnen, weil die ohnehin schon stark mit Drähten besetzte Telegraphenlinie wegen der Induktion möglichst vermieden und daher die Telephonlinie, mit Ausnahme des Gotthardtunnels, längs der Landstraße geführt werden müßte.

Ob es auf diese Weise gelänge, die störende Einwirkung der Telegraphenleitungen auf die Telephonschleife ganz aufzuheben oder so zu vermindern, daß die telephonische Korrespondenz nicht allzusehr gestört würde, könnte freilich erst die Erfahrung zeigen.

Die Bedingungen für den Unterhalt, an welchen die höchsten Anforderungen gestellt werden müßten, wären die denkbar ungünstigsten, wenn man bedenkt, wie zahlreichen Störungen durch Lawinen, Steinschläge, Gewitter, Stürme u, s. w. die Linie ausgesetzt wäre. Ohne ständige Aufseher wäre es unmöglich, die Leitung auch nur kürzere Zeit in betriebsfähigem Stande zu erhalten, nicht nur wegen der häufigen und unvermeidlichen Unterbrechungen, sondern auch, weil eine so lange Telephonleitung in tadelloser Weise isoliert bleiben muß, wenn dieselbe befriedigend funktionieren soll.

Wir gehen daher gewiß nicht zu weit, wenn wir für Unterhalt, sowie für Verzinsung und Amortisation dei' Anlagekosten, statt 15 °/o, 20 % annehmen und so zu einer jährlichen Ausgabe von Fr. 30,000 gelangen. Diese Ausgabe durch die Einnahmen zu decken wäre bei der nach dem bestehenden Gesetze anzuwendenden Taxe von 75 Cts. per Gespräch eine Unmöglichkeit, weil die Leistungsfähigkeit der Leitung eine bestimmte, ziemlich enggezogene Grenze hat. Die äußerste Grenze liegt bei einer täglichen Gesprächszahl von 65--70; dagegen finden schön bei einer Zahl von 50--60 Gesprächen so lästige Stauungen statt, daß die Vorwaltung genötigt ist, die Zahl der Leitungen zu vermehren, um den Abonnenten gerecht zu werden, weil eben die weitaus größte Zahl der Gespräche sich auf gewisse Stunden zusammendrängt.

Nehmen wir daher eine tägliche Durchschnittszahl von 6.0 oder per Jahr 21,900 Gespräche zu 75 Cts. an, so ersieht sich eine
Jiihreseinnahme von Fr. 16,425, welche nach obigem um rund Fr. 14,000 unter den Kosten steht. Es beweist dies, daß so kostspielige Linien auch beim höchstmöglichen Verkehr bei den in der Schweiz angenommenen Gesprächstaxen nicht rentieren können und daß die Taxe in solchen Fällen bedeutend höher gestellt

208 werden müßte, wenn die Verwaltung nicht eine empfindliche Einbuße erleiden oder die von den Interessenten zu verlangende Garantie nicht auf eine unerschwingbare Höhe festgesetzt werden soll.

Nun ist aber ein Verkehr, wie^wir ihn soeben angenommen haben, und wie er den bestbenutzten schweizerischen Telephonlinien entspricht, für die in Frage stehende Verbindung undenkbar, zumal bei der geringen Entwicklung, die das Telephonwesen im Kanton Tessin gegenwärtig und wohl noch auf geraume Zeit zeigt.

Die drei Netze Bellenz, Lugano und Locamo zählen auf Ende 1892 zusammen 87 Abonnenten mit 14,366 Lokalgesprächen und 5627 interurbanen Gesprächen in dem genannten Jahr, was per Abonnement und per Jahr durchschnittlich 165 Lokalgespräche und 65 interurbane Gespräche ergiebt. Dabei ist zu bemerken, daß Lugano seit 1886, Bellenz und Locamo seit 1890 Telephonnetze besitzen und daß die Verbindungen Bellenz-Lugano und Bellenz-Locarno seit 20. September 1891 bestehen. Da die drei Gemeinden. für diese beiden Verbindungen eine Garantie von Fr. 2550 leisten, der Ertrag im Jahre 1892 aber nur Fr. 1688 beträgt, so haben dieselben für das genannte Jahr eine Garantiezahlung von Fr. 862 zu leisten.

Wenn nun auch zu erwarten steht, daß mit der Zeit eine größere Ausdehnung der Telephonverbindungen und somit eine Vermehrung der Abonnentenzahl im Kanton Tessin eintreten werde, was durch eine Verbindung mit der Centralschweiz allerdings begünstigt würde, so darf doch ernstlich bezweifelt werden, daß jene Vermehrung für sich allein in absehbarer Zeit jener Verbindung einen Verkehr zuführen könnte, wie er auch nur der mittleren Leistungsfähigkeit derselben entspricht, geschweige denn eine Gesprächszahl, wie wir sie oben als maximale Leistung bezeichnet haben.

Um diesfalls einen gewissen Maßstab zu gewinnen, dürfte ein kurzer Hinweis auf den Telegraphenverkehr des Kantons Tessin am Platze sein, dessen 68 Bureaux im Jahre 1891 eine Telegrammsahl von zusammen 147,878 lieferten, d. h. nicht ganz so viel, als eines der Bureaux Luzern und St. Gallen. Davon fallen 105,936 Telegramme oder mehr als 2ls auf die fünf großem Ortschaften Bellenz, Chiasso, Locamo, Lugano und Mendrisio, während die übrigen 63 Bureaux einen jährlichen Durchschnitt von bloß 665 Telegrammen liefern und daher durchschnittlich weit unter derjenigen Zahl stehen,
die erforderlich ist, um nur die Kosten zu decken. Wir finden dabei die Bureaux zahlreich vertreten, die nur l--2 Telegramme per Tag und noch weniger aufweisen.

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Es liegt übrigens in der Natur der Sache, daß das Telephon hauptsächlich für größere Verkehrscentren Wert hat, und so müßte auch die Alimentation der angestrebten Verbindung vorzugsweise von den größern Ortschaften ausgehen, die bereits Telephonnetze besitzen, ohne daß jedoch deren Abonnenten- und Gesprächszahl zur Hoffnung berechtigte, daß dieselben im stände wären, durch ihren Verkehr mit der übrigen Schweiz einen namhaften Teil der Kosten zu decken. Um die mutmaßliche Zahl der zu wechselnden Gespräche zu bestimmen, fehlt natürlich jeder Anhaltspunkt; wir glauben aber, eher zu hoch zu gehen, wenn wir nach Analogie andrer Linien annehmen, es würden zwischen dem Tessin und der Centralschweiz im Durchschnitt täglich etwa 25 Gespräche geführt, was per Jahr eine Zahl von 9125, und zu 75 Cts. per Gespräch eine Jahreseinnahme von Fr. 6843 ergiebt, welch letzterer eine jährliche Ausgabe von Fr. 30,000 entgegensteht.

Damit soll nun keineswegs gesagt sein, daß die in Frage stehende Verbindung für Handel, Industrie und Verkehrsleben nicht nur des Kantons Tessin, sondern auch der übrigen Schweiz nicht von großem Werte wäre, obwohl deren Benutzung mit Rücksicht auf die geringe Zahl der angeschlossenen Abonnenten, wie auch auf die in der Verschiedenheit der Sprache liegenden Schwierigkeiten, auf verhältnismäßig enge Kreise beschränkt bliebe. Dagegen darf wohl die Frage aufgeworfen werden, ob diesa Vorteile erheblich genug seien, beziehungsweise ob schon jetzt ein wirkliches Bedürfnis vorhanden sei, um ein so großes finanzielles Opfer des Bundes, wie die Erstellung dieser Verbindung es erfordern w.ürde, genügend zu rechtfertigen. Die obigen Verkehrsziflern seheinen uns nur eine verneinende Antwort zuzulassen.

Die von den Tessiner Abonnenten laut Art. 5 des Gesetzes zu verlangende Garantie könnte laut Art. 29 der bundesrätliehen Verordnung nicht höher als auf 16 °/o der Erstellungskosten gestellt werden; allein schon dieser Ansatz würde sine Summe von Fr. 24,000 ausmachen, von deren Aufbringung durch die 83 Abonnenten keine Rede sein kann. Nun wäre es aber auch nicht billig, von diesen Abonnenten eine höhere Garantie als die im allergünstigsten Falle überhaupt mögliche Jahreseinnahne zu verlangen, und diese würde sich bei voller Ausnützung dei 1 Linie auf cirka Fr. 16,000 stellen, was auf einen Abonnenten
immerhin noch Fr. 184 treffen würde. Da aber der wirkliehe Ertrag, wie wir oben gesehen haben, kaum Fr. 7000 per Jahr betragen würde, so läßt sich mit ziemlicher Sicherheit voraussagen, daß den Abonnenten jährlich cii-ka Fr. 9000--10,000 wirklich zu bezah en blieben, falls sich nicht etwa auch die Gemeinde- und Kantonsbehörden zu einer

210 namhaften Leistung verstehen könnten. Dem Bunde würde dabei gleichwohl noch ein jährlicher Ausfall von Fr. 16,000 erwachsen.

In Anbetracht dieser nach allen Seiten ungünstigen Verhältnisse und der zur Zeit noch in den Anfängen liegenden Entwicklung des Telephonwesens im Kauton Tessin scheint uns der Moment für die Erstellung einer so kostspieligen Telephonleitung noch nicht gekommen zu sein; vielmehr erachten wir es für zweckmäßig, den Zeitpunkt abzuwarten, wo die Umstände einen Anschluß an Como und Mailand ermöglichen, da alsdann. eine Linie Bellenz-Luzern eine ungleich größere Bedeutung erhielte, als dies jetzt der Fall sein kann. Die Erstellung könnte unter weit günstigem Bedingungen für die Tessiner Abonnenten erfolgen, und wenn auch der Ertrag selbst dann noch die Kosten nicht zu decken vermöchte, so würden sich doch die vom Bunde zu bringenden finanziellen Opfer durch die allgemeinen Verkehrsinteressen und namentlich durch die dem schweizerischen Handel erwachsenden Vorteile vollauf rechtfertigen.

Genehmigen Sie, Tit., die Versicherung unserer vollkommenen Hochachtung.

B e r n , den 24.'Januar 1893.

Im Namen des Schweiz. Bundesrates, Der Bundespräsident:'

Schenk.

Der Kanzler der Eidgenossenschaft:

ßingier.

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