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Schweizerisches Bundesblatt.

45. Jahrgang. II.

Nr. 14.

29. März 1893.

Einrückungsgebühr per Zeile 15 Bp. -- Inserate sind franko an die Expedition einzusenden.

Jahresabonnement (portofrei in der ganzen Schweiz): 5 Franken.

Druck und Expedition der Buchdruckerei Karl Stämpfli & die. in Bern.

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Bericht des

Bundesrates an die Bundesversammlung über

seine Geschäftsführung im Jahre

1892

D, Geschäftskreis des Justiz-und Polizeidepartements, A. Justizverwaltung.

I. Organisatorisches.

Schon lange haben die gesteigerten Anforderungen, welche an die Bundesverwaltung, speciell an diejenige des Justiz- und Polizeidepartements gestellt werden, die in dem Bundesgesetze vom 2. August 1873 vorgesehene Organisation dieses Departements durchbrochen und thatsächlich eine den unabweisbaren Bedürfnissen entsprechende neue Organisation geschaffen. Es ist an der Zeit, daß an die Stelle eines bloß thatsächlichen Zustandes eine auf legislativer Grundlage ruhende zweckentsprechende Organisation trete. Die Ausführung des Postulates der gesetzgebenden Räte vom 23. Juni 1892, betreffend die Reform der Bundesverwaltung, wird diesem Bedürfnisse Genüge zu leisten haben.

Bundesblatt. 45. Jahrg. Bd. II.

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IT. Gesetzgebung.

1. Die Hauptthätigkeit des Departements auf gesetzgeberischem Gebiete war dem O r g a n i s a t i o n s g e s e t z e ü b e r die B u n d e s r e c h t s p f l e g e gewidmet.

Der bundesrätliche Entwurf und die denselben begleitende Botschaft datieren vom 5. April 1892. Der Ständerat, dem die Erstbehandlung zuerkannt worden, vollendete die Beratung am 15. Juni, der Nationalrat am 14. Dezember 1892. Die beiden Räte weichen in mehreren Punkten voneinander ab. Der Ständerat hat die weitere Beratung des Gesetzes auf die Frühlingstagung von 1893 verschoben. Nach Bereinigung der Differenzen soll das Ganze . vom Bundesrate einer nochmaligen redaktionellen Durchsicht unterworfen und sodann den gesetzgebenden Räten zu definitiver Genehmigung vorgelegt werden.

2. Das Gesetz über die P a t e n t t a x e n der H a n d e l s r e i s e n d e n ist am 24. Juni 1892 zu stände gekommen. Dasselbe wurde am 13. Juli im Bundesblatt veröffentlicht. Am 11. Oktober lief die Einspruchsfrist unbenutzt ab. Wir setzten durch Beschluß vom 1. November 1892 das Inkrafttreten des Gesetzes auf 1. Januar 1893 fest. Gleichzeitig trafen wir eine Reihe von Verfügungen zu dessen Ausführung und teilten dieselben in einem Kreisschreiben sämtlichen Kantonsregierungen zur Nachachtung mit. (Vergi. Bundesbl. 1892, IV, 710.)

Wir haben beschlossen, die Überwachung der Vollziehung des Gesetzes und die Besorgung der einschlägigen Geschäfte dem Departemet des Auswärtigen (Handelsabteilung) zu übertragen. Die Vorarbeiten zum Gesetze waren dem Justiz- und Polizeidepartement zugefallen, da dieses Departement die bisher von den Kantonen festgesetzten Patenttaxen der Handelsreisenden unter dem Gesichtspunkte der Handels- und Gewerbefreiheit (Art. 31 der Bundesverfassung) zu prüfen und über bezügliche Beschwerden dem Bundesrate Bericht und Antrag einzubringen hatte. Nun aber tritt dieser Gesichtspunkt in den Hintergrund. Es handelt sich um die gleichmäßige Anwendung eines im Interesse des schweizerischen Handelsstandes erlassenen Bundesgesetzes, und da ist der Natur der Sache gemäß die mit, der Wahrnehmung der kommerziellen Interessen des Landes betraute eidgenössische Verwaltungsstelle in erster Linie zur Leitung der Geschäfte berufen.

Das Justiz- und Polizeidepartement hat dagegen auch ferner Beschwerden betreffend das H a u s i e r w e s e n zu prüfen und zu begutachten. Denn die Gesetzgebung über das Hausierwesen ist Sache der Kantone geblieben und bezügliche Beschwerden sind

gemäß dem Organisationsgesetze über die Bundesrechtspflege vom Bundesrate als Rekursinstanz unter dem Gesichtspunkte des Art. 31 der Bundesverfassung zu beurteilen.

3. Unserer Einladung Folge leistend, die wir mit Kreisschreiben vom 20. November 1891 an sie hatten ergehen lassen, haben sämtliche Kantonsregierungen uns vor dem 1. Juni 1892 die Anordnungen bekannt gegeben, welche von ihnen zur Vollziehung des Bundesgesetzes über die c i v i l r e c h t l i c h e n V e r h ä l t n i s s e d e r N i e d e r g e l a s s e n e n u n d A u f e n t h a l t e r getroffen worden sind.

Auf Grund der Angaben der Kantonsregierungen hat unser Justiz- und Polizeidepartement ein Verzeichnis der zur Vollziehung des Gesetzes von den Kantonen bezeichneten Behörden angefertigt und im Druck vervielfältigen lassen, das in einer angemessenen Zahl von Exemplaren allen Regierungen zugestellt und überdies dem Bundesblatte (Nr. 35 des Jahrganges 1892) beigelegt wurde.

'In Würdigung aller durch die Antworten der Kantonsregierungen dargelegten Verhältnisse, haben wir den 1. J u l i 1893 als Schlußtermin für den Ü b e r g a n g der V o r m u n d s e h a f t s v e r w a l t u n g e n vom Heimatkanton auf den Wohnsitzkanton festgesetzt.

Es wird unsere Sorge sein, streng darüber zu wachen, daß dieser Termin eingehalten werde.

In Bezug auf die übrigen einschlagenden Fragen vergleiche man unser Kreisschreiben vom 28. Juni 1892, aufgenommen im Bundesbl. 1892, IV, 25.

4. Die Revision des Bundesgesetzes über C i v i l s t a n d und Ehe, mit deren Begutachtung wir seit mehreren Jahren beauftragt sind, hat im Berichtsjahre den Gegenstand eingehender Prüfung seitens des Justiz- und Polizeidepartements gebildet. Die Vorarbeiten sind indessen noch nicht abgeschlossen. Das Gesetz ist in technischer, namentlich in redaktioneller Hinsicht der Verbesserung vielfach bedürftig. Eine veränderte Fassung, insbesondere des Art. 43 und des Art. 56, erscheint als besonders wünschenswert; des Art. 43, um die nicht zur Ruhe kommende Kontroverse betreffend die Zulässigkeit der Scheidung schweizerischer Eheleute im Auslande ein für allemal zu beseitigen; des Art. 56, um in unserm Gebiete wohnenden ausländischen Ehegatten die Scheidung durch das Gericht ihres Wohnsitzes nicht in Wirklichkeit zu verunmöglichen, wie es durch die gegenwärtige Redaktion des Artikels geschieht. Auch die Einteilung des Stoffes im allgemeinen, die Ökonomie des Gesetzes, entspricht nicht den Anforderungen einer strengen Logik.

Stellt sieh in dieser mehr formellen Richtung das Postulat der Revision als ein begründetes dar, so verhält es sich dagegen umgekehrt in Beziehung auf die materiellen Grundsätze des Gesetzes, und es muß zum mindesten als sehr fraglich bezeichnet werden, ob die Revision den Erwartungen derer, die ihr am nachdrücklichsten und beharrlichsten rufen, entsprechen würde. Die vom Departemente um ihr Gutachten angegangenen Experten, die Herren Professoren König und Mentha, haben sich übereinstimmend dahin ausgesprochen, daß sie eine tiefgreifende Änderung der Grundlagen des Gesetzes nicht zu befürworten vermöchten.

Wir werden im Falle sein, noch im Laufe des Jahres 1893 über diese legislative Angelegenheit Bericht und Antrag Ihnen vorzulegen, 5. Die gegen das Bundesgesetz betreffend die A u sii e f e r u n g g e g e n ü b e r dem A u s l a n d angehobene Bewegung hat binnen der Referendumsfrist vom 27. Januar bis 26. April 1892 (vergi.

Bundesbl. 1892, I, 402) die zur wirksamen Unterstützung des Referendumbegehrens notwendige Anzahl von Unterschriften nicht vereinigt. (Bundesbl. 1892, II, 757.) Der Bundesrat hat daher das Gesetz am 19. Mai 1892 als sofort vollzieh bar erklärt (Bundesbl.

1892, III, 160) und dessen Aufnahme in die amtliche Sammlung angeordnet. (A. 8. n. F. XII, 870.)

Die Vollziehung dieses Gesetzes hat der Bundesrat durch K r e i s s c h r e i b e n vom 28. Juni 1892 (Bundesbl. 1892, IV, 31 ff.)

geregelt.

6. In dem Abschnitte betreifend die Gesetzgebung ist auch eine Petition des schweizerischen Bäcker- und Konditorenverbandes vom 1. Februar 1893 um Erlaß eines Bundesgesetzes über den B r o t v e r k a u f zu erwähnen. Die Absicht der Petitionäre war auf Herbeiführung einheitlicher Bestimmungen gerichtet, die es dem Verkäufer gestatten würden, das Brot nach dem vom Käufer verlangten reellen Gewichte, statt bloß in gesetzlich oder reglementarisch vorgeschriebenen Gewichtsgrößen, abzugeben.

Bekanntlich hatte der Bundesrat von 1874 bis 1883 in seiner Rekurspraxis den Satz festgehalten, daß ein Verbot, das Brot in beliebigem, vom Käufer bestimmten Gewichte zu verkaufen, angesichts des Art. 31 der Bundesverfassung nicht zulässig sei. Am 9. April 1883 hat die Bundesversammlung durch Aufhebung zweier einschlägigen Bundesratsbeschlüsse den gegenteiligen Standpunkt gutgeheißen und den Anspruch einzelner Kantone, auf dem Wege der Vorordnung ein bestimmtes Brotgewicht als obligatorisch zu erklären, gebilligt.

Sie haben, der Nationalrat am 15. Juni, der Ständerat am 9. Dezember 1892, beschlossen, der Petition keine weitere Folge zu geben.

Unser Bericht vom 1. März 1892 (Bundesbl. I, 845) beschränkte sich darauf, der Bundesversammlung die Entwicklung des Rechts in dieser Frage vorzuführen und ihr anheimzugeben, ob sie von der im Jahre 1883 inaugurierten Praxis abgehen wolle oder nicht. Sie hat es nicht gethan und die Kompetenz der Kantone, für den Brotverkauf ein obligatorisches Gewicht festzusetzen, unangetastet gelassen.

7. Wenn wir im vorjährigen Berichte gesagt haben, daß wir als zur Gesetzgebung gehörig auch die Studien und Vorarbeiten betrachten, welche die E i n h e i t des s c h w e i z e r i s c h e n S t r a f r e c h t s anzubahnen bestimmt sind, so können wir dieses Jahr in gleichem Sinne auch von den Studien und Vorarbeiten für eine e i n h e i t l i c h e C i v i l r e c h t s g e s e t z g e b u n g sprechen.

Seit dem Jahre 1885 waren wir in der Lage, Ihnen von dem Werden eines der schönsten Denkmale der Wissenschaft im Gebiete des schweizerischen Rechts, von der durch Herrn Professor Dr.

E u g e n H u b e r unternommenen Darstellung des S y s t e m s und der Geschichte des s c h w e i z e r i s c h e n P r i v a t rechts, zu berichten. Der IV. und Schlußband dieses dem schweizerischen Juristen unentbehrlich gewordenen nationalen Werkes wird im Laufe des Frühjahres 1893 die Presse verlassen.

Als uns im Sommer 1892 die Mitteilung zukam, Herr Professor Dr. Huber (damals ordentlicher Professor für germanisches Recht an der Universität Halle a/S.) lege die letzte Hand an das Manuskript für den IV. Band seines Werkes, und wir gleichzeitig von der Absicht der Regierung des Kantons Bern verständigt wurden, Herrn Dr. Huber als Professor für vergleichendes schweizerisches Recht an die Berner Hochschule zu berufen, schien uns der Anlaß gegeben zu sein, den Gedanken der Vereinheitlichung des schweizerischen Civilrechts seiner Verwirklichung um einen bedeutenden Schritt näher zu bringen. Wir richteten an Herrn Professor Huber die Frage, ob er geneigt wäre, im Auftrage der Bundesbehörde einen Vorentwurf zu einem einheitlichen schweizerischen Civilgesetzhuche auszuarbeiten, indem wir beifügten, daß die Behörde in diesem Werke den Abschluß und die Vollendung der bisherigen Studien und Leistungen
Hubers im Gebiete des schweizerischen Privatrechts erblicke. Dadurch liehen wir zugleich den Bemühungen der kantonalen Behörde zur Gewinnung einer ausgezeichneten heimischen Lehrkraft wirksame Unterstützung.

6 Mit hoher Befriedigung nahmen wir die Mitteilung des Herrn Huber entgegen, daß er den dargebotenen Auftrag annehme und sich im Hinblick auf denselben entschlossen habe, einem Rufe an die juristische Fakultät zu Bern im Herbste 1892 zu folgen.

Durch Beschluß vom 11. November haben wir das Justiz- und Polizeidepartement zur Vertragsschließung mit diesem Gelehrten ermächtigt. Der Vertrag ist am 14. November unterzeichnet worden.

Es wurde dabei vorgesehen, daß der Redaktor in Verbiüdung nicht bloß mit dem Departemente, sondern mit Fachgenossen aus allen Teilen des Landes arbeiten werde. Vorerst soll ein Fragenschema, die Hauptprobleme der Kodifikation des schweizerischen Privatrechts umfassend, den vom Departement nach Anhörung des Redaktors zu bezeichnenden Ezperten unterbreitet und deren gutachtliche Vernehm lassung über die aufgeworfenen Fragen eingeholt werden. Die Experten können in der Folge um weitere mündliche* oder schriftliehe Begutachtung einzelner Fragen angegangen oder in Gruppen- oder Plenarsitzungen zu gemeinsamer Beratung mit dem Redaktor, unter der Leitung des Justiz- und Polizeidepartements, vereinigt werden.

So wäre denn ein wichtiger, bedeutsamer Schritt auf dem Wege zur Einheit des schweizerischen Civilrechts gethan, der, wie wir zuversichtlich hoflfen, von den hohen gesetzgebenden Räten der Eidgenossenschaft mit einmütiger Zustimmung begrüßt werden wird. Das von uns auf diesem Gebiete in Aussicht genommene Vorgehen ist ganz demjenigen entsprechend, das wir für das strafrechtliche Gebiet als zweckmäßig erachten : Auf wissenschaftlich genau erkannter und dargestellter Grundlage ist der Entwurf eines gemeinsamen Gesetzbuches für die Eidgenossenschaft, unter Mitwirkung der berufenen Fachkreise, herzustellen ; dadurch wird das Interesse an der Sache in das ganze Volk getragen und -- so hoffen wir -- die öffentliche Meinung in dem Maße für das Werk gewonnen werden, daß die Aufnahme eines Artikels in die Bundesverfassung, der dem Bunde die Kompetenz zur Gesetzgebung im Gebiete des Strafrechts und des Civilrechts überträgt, nur noch als eine Formsache erscheint, in Bezug auf welche abweichende Ansichten kaum bestehen.

Der zweite Band der von Herrn Professor Dr. C a r l S t o o ß in Bern in unserm Auftrage darzustellenden ,, G r u n d z ü g e des s c h w e i z e r i s c h e n S t r
a f r e c h t s " , das ßtrafrecht der schweizerischen Strafgesetzbücher in ihrem besondern Teile enthaltend, wird ebenfalls im Frühling 1893 erscheinen. Derselbe soll, wie der erste Band, den Mitgliedern der gesetzgebenden Räte zugestellt werden.

Bereits hat auch Herr Professor Stooß der Aufgabe sich entledigt, ein Schema der bei der Entwerfung eines schweizerischen Strafgesetzbuches in Betracht fallenden Hauptfragen aufzustellen, das einer Expertenkommission noch im Laufe dieses Frühjahres zur Beratung unterstellt wird.

III. Schuldbetreibung und Konkurs.

Das Bundesgesetz über Schuldbetreibung und Konkurs ist am 1. Januar 1892 in Kraft getreten. Die Artikel 15 und 19 des Gesetzes weisen dem Bundesrate die Stellung einer Oberaufsichtsbehörde und obersten Rekursinstanz in diesem Rechtsgebiete zu.

Die zur Bewältigung der neuen Aufgabe geschaffene ,,Abteilung für Schuldbetreibung und Konkurs auf dem eidgenössischen Justizdepartementett, bestehend aus einem A m t und einem Rat (Bundesblatt 1891, IV, 512, 1892, II, 487, A. S. n. F. XII, 361), hatte sich im ersten Jahre namentlich mit der Instruktion und Begutachtung der eingegangenen Rekurse und mit der Beantwortung von Rechtsfragen zu befassen. Diese Geschäfte nahmen die verfügbaren Arbeitskräfte dermaßen in Anspruch, daß die organisatorische und administrative Thätigkeit vorläufig in den Hintergrund treten mußte und auch die Rekurse nicht immer mit der wünschbaren Raschheit erledigt werden konnten. Es ist noch abzuwarten, ob sich diese Geschäftslast mit der Zeit verringern wird, andernfalls müßte auf die Anstellung weiterer Kräfte Bedacht genommen werden.

Die Zahl der im Berichtsjahr eingegangenen Rekurse beträgt 187. Hiervon wurden zurückgezogen oder durch Korrespondenz geschlichtet 27; durch motiviertes Nichteintreten erledigt (wegen Unzuständigkeit, Gegenstandslosigkeit oder Verspätung) wurden 44 Rekurse; von den übrigen 116 wurden ganz oder teilweise begründet erklärt 44, abgewiesen 57 ; noch nicht entschieden sind 15.

In allen Fällen stimmte der Entscheid des Bundesrates mit dem Antrage des Departements und dieser hinwiederum mit dem Gutachten des Amtes oder Rates überein.

Alle wichtigeren Rekursentscheide werden im ,,Archiv für Schuldbetreibung und Konkurs" veröffentlicht, das im Auftrage des eidgenössischen Betreibungsrates in einer deutschen und in einer französischen Ausgabe monatlich erscheint. Diese nützliche Zeitschrift enthält außerdem alle amtlichen Erlasse, die Beschlüsse des Betreibungsrates, die interessanteren Entscheidungen der kantonalen Aufsichts- und Gerichtsbehörden, sowie kritische Aufsätze und Erörterungen der bei der Anwendung des Gesetzes auftauchenden Rechtsfragen.

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Anfragen juristischen Inhaltes von Behörden und Privaten gingen 610 ein, sie wurden vom eidgenössischen Amte im Einverständnis mit dem Betreibungsrat beantwortet. Solche Antworten erfolgen jeweilen in Form unverbindlicher Gutachten; sie greifen der Entscheidung des ßundesrates, der sich in der Regel nur auf Grund konkreter Rekurse zu äußern hat, nicht vor.

Zur Bewältigung dieser verschiedenen Aufgaben hat der BetreibuQgsrat im Berichtsjahre 35 halbtägige Sitzungen abgehalten.

Bei der Wichtigkeit der zu behandelnden Fragen hat es sich von Anbeginn an als notwendig erwiesen, zu allen Sitzungen die beiden Ersatzmänner neben den beiden Mitgliedern einzuberufen.

Die am 18. Dezember 1891 erlassene Verordnung Nr. l des Bundesrates (Reglement über die Forraulare und Register) hat sich im allgemeinen bewährt. Die Revision einzelner Punkte wird vorbereitet.

Auch der Gebührentarif scheint im großen und ganzen das Richtige getroffen zu haben; eine Revision desselben wird wohl erst nach einer längern Probezeit möglich sein.

Am Ende des Berichtsjahres (24. Dezember 1892) wurde eine Verordnung Nr. 2 erlassen betreffend den von den kantonalen Aufsichtsbehörden zu führenden Titel und das Beschwerdeverfahren.

Der Verkehr mit den kantonalen Aufsichtsbehörden hat, abgesehen von der in den Specialfällen gewechselten Korrespondenz, im Erlasse von 14 Kreiaschreiben bestanden. Deren Gegenstand war : 1. Umtausch der bei den Ämtern eingehenden Postmarken gegen Geld.

2. Angabe der kantonalen Feiertage.

3. Naehführung des Verzeichnisses der der Konkursbetreibung unterliegenden Personen.

4. Sammlung der kantonalen Verordnungen.

5. Bekanntmachung der Konkurseröffnungen.

6. Anfertigung des Verzeichnisses der Kreise.

7. Unzulässigkeit der Ausfertigung von Zahlungsbefehlen durch nicht zuständige Betreibungsämter.

8. Sammlung der kantonalen Amtsblätter.

9. Einführung von Formularen für die geschlossene Zustellung von Zahlungsbefehlen und Konkursandrohungen durch die Post.

10. Weisung betreffend die öffentlichen Bekanntmachungen.

11. Anfrage betreffend das Verfahren bei der Pfändung und Verwertung von Fahrhabe, woran ein Vermieter oder Verpächter das Retentionsrecht beansprucht.

12. Behandlung der zur Betreibung überwiesenen Einzugsmandate.

13. Inhalt der Bekanntmachung bei Liegenschaftsteigerungen.

14. Mitteilung der oben erwähnten Verordnung Nr. 2 des Bundesrates.

Von der Möglichkeit, die Betreibungsurlumden durch die Post zuzustellen, scheint ein ausgiebiger Gebrauch gemacht worden zu sein. Die Postverwaltuug verzeichnet die Zahl von 272,142 durch ihre Organe zugestellten Zahlungsbefehlen. Verschiedene Kantoae haben sich darüber beschwert, daß die Post, gestützt auf Artikel 17, Ziffer 11, der Transportordnung, die Zustellung nur nach solchen Orten besorgt, die nicht über eine Stunde von der Ablage des betreffenden Postbedienungsbezirkes entfernt sind. Das Postdepartement hat es bisher abgelehnt, von dieser grundsätzlichen Bestimmung für die Betreibungsurkunden eine Ausnahme zu machen.

In dem Falle jedoch, daß die Zustellung sämtlicher Betreibungsurkunden durch die Post obligatorisch erklärt würde, wäre die Post bereit, von ihrem Standpunkte abzugehen, weil unter solchen Verhältnissen eher tauf eine Ausgleichung der Ausgaben für den Fernverkehr durch die Einnahmen aus dem Lokalverkehr gerechnet werden könnte. -- Ob es sich empfiehlt, der Post ein solches Monopol einzuräumen, vermögen wir zur Zeit noch nicht zu ermessen.

Öffentliche Bekanntmachungen im schweizerischen Handelsamtsblalte (B.-G. 35) sind 2141 erschienen; seit dem 1. Mai 1892 wurde die Kontrolle dieser Bekanntmachungen dem eidgenössischen Amt für SehuldbetreibuQg überbunden.

Die Lieferung der Formulare aus einem Centraldepot an sämtliche Betreibungsämter hat sieh als praktisch bewährt; sie garantiert die Einheitlichkeit in Form und Inhalt und ermöglicht es, jeweilen die von der Erfahrung eingegebenen technischen Verbesserungen allgemein durchzuführen; namentlich aber wird damit eine bedeutende Ersparnis erzielt. Im Jahre 1892 hat unser Amt für Schuldbetreibung und Konkurs im ganzen 4,501,154 Stück Formulare und Registerbogen aller Art zum Selbstkostenpreise abgegeben und dafür Fr. 53,176. 50 bezogen. Die Kosten einer Separatverfertigung in den einzelnen Kantonen oder Kreisen würden mindestens das Doppelte betragen haben.

Inspektionen der Betreibungsämter konnten von Bundes wegen mangels verfügbarer Zeit noch nicht vorgenommen werden, und so war es denn auch nicht möglich, den Kantonen, wie dies von einzelnen gewünscht wurde, über die von ihnen vorzunehmenden Inspektionen Weisungen zu erteilen.

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Die von verschiedenen Seiten angeregte Einrichtung einer Betreibungs- und Konkursstatistik wurde zwar im Berichtsjahre vorbereitet, wird aber erst im Jahre 1893 durchgeführt werden, da wir UDS überzeugt haben, daß eine Statistik für das Übergangsjahr 1892 schwer erhältlich und in ihrer Lückenhaftigkeit ziemlich wertlos wäre.

IV. Schweizerisches Bnndesrecht.

Der dritte Band des von Herrn Professor Dr. L. R. von Salis (Basel) verfaßten Werkes ,, S c h w e i z e r i s c h e s B u n d e s r e c h t " 1 ist erschienen und den Mitgliedern der Bundesversammlung eingehändigt worden. Er behandelt die einzelnen Gebiete der Bundesverwaltung, und zwar im I. Abschnitt das Militärweseo, im II. Abschnitt das Finanz- und Zollwesen, im III. Abschnitt die Errichtung und Unterstützung öffentlicher Werke durch den Bund, im IV. Abschnitt die Bundesmonopole, endlich im V. Abschnitt die Justizverwaltung.

Ein vierter und Schlußband wird noch im Laufe des Jahres 1893 in vier Abschnitten zur Darstellung bringen: die Polizeiverwaltung, die Sorge für das wirtschaftliche Leben, die Sorge für das geistige Leben und die auswärtigen Angelegenheiten. Demselben soll ein ausführliches Sachregister beigegeben werden.

Von der französischen und der italienischen Ausgabe des Werkes ist der erste Band in der Junisession des Berichtsjahres zur Austeilung an Sie gelangt. Der zweite Band folgte ihm im März 1893.

Das Werk des Herrn Prof. von Salis erfreut sich fortwährend der Anerkennung aller derjenigen, die in den Fall kommen, über Fragen aus der Staats- und verwaltungsrechtlichen Praxis der Bundesbehörden Aufschluß sich verschaffen zu müssen.

V. Gewährleistung von Kantonsverfassungen.

Die Bundesversammlung hat im Berichtsjahre die nach Art. 6 der Bundesverfassung erforderliche Bundesgarantie erteilt : 1. Einer Partialrevision der Verfassung des Kantons B a s e l s t a d t , vom 9. November 1891.

Durch dieselbe wurde den stimmberechtigten Bürgern das Recht eingeräumt, die Präsidenten und ständigen Mitglieder der kantonalen Gerichte zu wählen (Erweiterung des § 27 der Kantonsverfassung vom 2. Dezember 1889).

Der Bundesgarantiebeschluß datiert vom 20. Juni 1892. (Vergi.

Bundesbl. 1892, I, 900; A. S. XII, 902.)

11 2. Biner Partialrevision der Verfassung des Kantons A-ppenzell A. Rh., vom 24. April 1892.

Durch dieselbe wurde die Pflicht des Staates ausgesprochen, Gemeinden, deren Vermögens- und Steuerverhältnisse als ungünstig bezeichnet werden müssen, mit einem angemessenen Beitrage zu unterstützen (Art. 16bii der Kantonsverfassung).

Der Bundesgarantiebeschluß datiert vom 20. Juni 1892. (Vergi.

Bundesbl. 1892, II, 1112; A. S. XII, 904.)

3. Einer Partialrevision der Verfassung des Kantons U r i , vom 1. Mai 1892.

Durch dieselbe wurde die Bestimmung von Art. 19 der Kantonsverfassung vom 6. Mai 1888, welche den Gemeinden gestattete, über jedes Geschäft geheim abstimmen zu lassen, aufgehoben und das ofiene Handmehr als die einzig zulässige Abstimmungsavt erklärt.

Der Bundesgarantiebeschluß datiert vom 20. Juni 1892. (Vergi.

Bundesbl. 1892, III, 261; A. S. XII, 900.)

4. Einer Partialrevision der Verfassung des Kantons G l a r u s , vom 8. Mai 1892.

Durch dieselbe erhielt Art. 8 der Kau tons Verfassung vom 22. Mai 1887 betreffend das Expropriationsrecht eine erweiterte Fassung.

Der Bundesgarantiebeschluß datiert vom 25. Juni 1892. (Vergi.

Bundesbl. 1892, HI, 470; A. S. XII, 908.)

5. Der Totalrevision der Verfassung des Kantons B a s e 11 a u d , vom 4. April 1892.

Die bisherige Verfassung datierte vom 6. März 1863. Die Neuerungen sind in den wesentlichen Punkten gekennzeichnet in unserer Botschaft vom 8. Juni 1892. (Vergi. Bundesbl. 1892, HL 640.)

Der Bundesgarantiebeschluß datiert vom 24. Juni 1892. (A. S.

XII, 906.)

6. Einem Verfassungsgesetze des Kantons T es si n, vom 2. Juli 1892.

Die neuen Verfassungsbestimmungen kommen an Umfang und Bedeutung einer Totalrevision der Verfassung vom 23. Juni 1830 gleich. (Vergi, unsere Botschaft vom 18. November 1892 im Bundesblatt 1892, V, 331.)

Der Bundesgarantiebeschluß datiert vom 23. Dezember 1892.

(A. S. XIII, 214.)

12 7. Zwei Verfassungsgesetzen des Kantons G e n f , vom 6. Juli

1892.

Das eine derselben führt für die Wahl der Mitglieder des Großen Rates das Proportionalsystem ein, mit Aufhebung der Artikel 37 und 38 der Kantonsverfassung vom 24. Mai 1847 ; das andere ordnet die Wahl des Konsistoriums der protestantischen Nationalkirche im Sinne der Erleichterung der Stimmgebung der Wähler, in Abänderung des Art. 117 des Verfassungsgesetzes vom 26. April 1874 betreffend den protestantischen Kultus.

Der Bundesgarantiebeschluß datiert vom 23. Dezember 1892.

(Vergi. Bundesbl. 1892, IV, 469; A. S. XIII, 216.)

8. a. Einem Verfassungsgesetze des Kantons S c h a f f h a u s e n , vom 9. November 1891, durch welches auch die Partial Verfassungsrevisionen obligatorisch der Volksabstimmung unterstellt werden, während sie bisher bloß dem fakultativen Referendum unterworfen waren. (Vergi. Kantonsverfassung vom 14. Mai 1876, Art. 107.)

b. Einem Verfassungsgesetz des Kantons S e h a f f h a u s e n , vom 22. August 1892, betreffend die durch das eidgenössische Betreibungs- und Konkursgesetz bedingten Abänderungen der Vorschriften der Kantonsverfassung über den Ausschluß vom Aktivbürgerrecht und die Rehabilitation, sowie betreffend die Festsetzung des Wohnortes der Stimmberechtigten als Abstimmungsort auch für gesetzgeberische Vorlagen. (Art. 5, 6 und 42, Abs. 6, der Kantonsverfassung von 1876.)

Der ßundesgarantiebeschluß datiert vom 23. Dezember 1892.

(Vergi. Bundesbl. 1892, V, 535 ; A. S. XIII, 212.)

Tl. Konkordate.

1. In Ausdehnung des Konkordates betreffend den Schutz junger Leute in der Fremde, vom Mai 1875 (A. S. n. F. l, 867), haben die Kantone Bern, Freiburg, Waadt, Wallis, Neuenburg und Genf am 13. Februar 1892 eine ,, V o l l Z i e h u n g s v e r o r d n u n g ü b e r die Stellenvermittlung für Dienstboten im Inlande" auf dem Konkordatswege vereinbart. Wir haben dieses Konkordat in Anwendung von Art. 7 der Bundesverfassung, da es nichts enthält, was den Rechten des Bundes oder anderer Kantone zuwider wäre, genehmigt und seine Aufnahme in die offizielle Gesetzessammlung (A. S. n. F. XIII, 33) angeordnet.

2. Von den Regierungen der Kantone Freiburg, Waadt und Neuenburg wurde uns ein. neues interkantonales R e g l e m e n t über die Dampfschiffahrtspolizei auf dem Neuen-

13 burger- und Murtensee, sowie dem Kanal der untern B r o y e , durch welches dasjenige vom 29. Januar 1876 aufgehoben werden soll, zur Genehmigung vorgelegt. Wir erteilten diese in dem Sinne, daß die Vergjeiehung des fraglichen Reglements mit der bundesrätlichen Verordnung betreffend die Konzessionen der Dampfbootunternehmungen vom 24. November 1882 weder zu Beanstandungen, noch zu besondern Bemerkungen Veranlassung gebe. Von einer weitergehenden Prüfung in der Richtung, ob die im Reglement enthaltenen Vorschriften betreffend die Ausführung des Dienstes und die Sicherung des Betriebes angemessen und vollständig seien, hat der Bundesrat Umgang nehmen müssen, denn die Bewilligung des Dampfschiffbetriebes an sich und die Vorkehren zur Sicherung desselben kommen den Kantonen zu; dem Bundesrat steht eine bezügliche Einwirkung nicht zu (Bundesbl. 1892, IV, 337).

VII. Verhältnisse zu auswärtigen Staaten, a. Verträge und Konventionen.

1. Nachdem im Laufe des Jahres das Bundesgesetz betreffend die Auslieferung gegenüber dem Auslande in Kraft getreten ist, haben wir uns zur Aufgabe gestellt, die mit verschiedenen Staaten eingeleiteten, aber in Anbetracht der Ausarbeitung jenes Gesetzes unterbrochenen Unterhandlungen über den Abschluß von Auslieferungsverträgen wieder aufzunehmen.

Zunächst prüften wir an der Hand der Bestimmungen des Gesetzes den mit Botschaft vom 30. März 1889 (Bundesbl. 1889, I, 845) Ihnen vorgelegten, aber nicht ratifizierten Entwurf zu einem neuen A u s l i e f e r u n g s v e r t r a g e m i t Ö s t e r r e i c h - U n g a r n .

Es ergab sich, daß dieser Vertragsentwurf vom 17. November 1888 in verschiedener Beziehung mit dem Auslieferungsgesetze nicht vereinbar ist und daher nicht ohne weiteres den eidgenössischen Räten nochmals zur Ratifikation unterbreitet werden kann. Wir stellten die Abänderungen zusammen, die jener Entwurf erfahren muß, um mit den leitenden Grundsätzen des schweizerischen Auslieferungsgesetzes in Übereinstimmung zu kommen, und teilten sie hierauf der k. und k. Regierung mit, damit sie dieselben prüfe und eventuell deren Annahme erkläre. Eine bezügliche Rückäußerung ist bis Ende des Jahres nicht an uns gelangt.

2. Bei der Regierung der Republik von C o l u m h i a haben wir den Abschluß eines F r e u n d s c h a f t s - , N i e d e r l a s s u n g s - ,
H a n d e l s - und K o n s u l a r v e r t r a g e s in Anregung gebracht, ·wobei der gleichartige Vertrag mit Salvador vom 30. Oktober 1883 als Grundlage für die Unterhandlungen vorgeschlagen worden ist.

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3. In Anbetracht von Art. 32 des Bundcsgesetzes über die Auslieferung vom 22. Januar 1892, der sich auf den Transit auszuliefernder Personen durch die Schweiz bezieht, haben wir, als uns von Deutschland und Italien ein neues Vertragsprojekt bezweckend die Abänderung der Erklärung zwischen diesen Staaten und der Schweiz vom 25. Juli 1873 b e t r e f f e n d den T r a n s p o r t der v o n D e u t s c h l a n d n a c h Italien u n d u m g e k e h r t ausz u l i e f e r n d e n I n d i v i d u e n (Bundesbl. 1873, III, 569) zur Einsicht vorgelegt worden, beantragt, es möchte in diese Übereinkunft die Bestimmung aufgenommen werden, daß in Zukunft von Seiten der Regierungen des Deutschen Reiches und Italiens auf diplomatischem Wege bei uns um die Bewilligung der Durchführung der auszuliefernden Verbrecher unter Vorlage eines Haftbefehles oder einer gleichwertigen Urkunde nachgesucht werde.

Gemäß dem bestehenden Abkommen findet eine diplomatische Anzeige der einzelnen Fälle an uns nicht, statt; es ist jedes Individuum, das zwischen Deutschland und Italien ausgeliefert werden soll, an den vereinbarten Grenzstationen zum Durchtransport abzunehmen und unter sicherem Geleite weiter zu führen, sofern ein dem vorgeschriebenen Formulare entsprechender Transportbefehl beigegebeu ist und es sich nicht um einen Angehörigen der Schweiz oder um eine wegen politischer Delikte verfolgte Person handelt. Wir konnten ein solches Verfahren bisher gestatten, da die beteiligten Kantonsre^ierungen im Jahre 1872/73 ihre Zustimmung dazu gegeben haben.

Allein angesichts von Art. 32 des schweizerischen Auslieferungsgesetzes kann dieses Verfahren nicht länger gestattet werden. Wir gewärtigen nun die Vorlage eines abgeänderten bezüglichen Vertragsentwurfes seitens der deutschen und der italienischen Regierung.

b. Specielle Fälle internationaler Natur.

e. Über ein Fabrikgeschäft, das seine H a u p t n i e d e r l a s s u n g i n d e r S c h w e i z u n d e i n e F i l i a l e i n F r a n k r e i c h hatte, war an beiden Orten der K o n k u r s erklärt worden. Das französische Handelsgericht am Sitze der Filiale -wollte das eröffnete Konkursverfahren in selbständiger Weise durchführen und den schweizerischen Gerichtsstand nicht anerkennen. Dies veranlaßte einen Interessenten, an uns das Gesuch zu richten, es möchten, gestützt auf den Staatsvertrag mit Frankreich vom 15. Juni 1869 über den Gerichtsstand auf diplomatischem Wege Schritte gethan werden, damit der Konkurs einzig in der Schweiz, am Hauptsitze des Geschäftes, zum Austrag gebracht werde.

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Wir traten auf dieses Begehren nicht ein, denn es liegt zunächst in der Aufgabe des Konkursverwalters, die vom schweizerischen Gerichte erlassene Fallimentserklärung, durch welche aucli das in Frankreich liegende Vermögen des fraglichen Geschäftes zur Masse gezogen wird, bei dem zuständigen französischen Gerichte auf dem ordentlichen Prozeßwege unter Berufung auf Art. 6 und 16 des genannten Staatsvertrages zur Anerkennung zu bringen. Sollte dann das französische Gericht durch einen form'ellen Beschluß sich der Durchführung des Konkurses über das ganze Vermögen in der Schweiz widersetzen, so wäre erst der Moment gekommen, zu prüfen, ob die schweizerische Gesandtschaft in Paris beauftragt werden kann, sich in der Angelegenheit zu verwenden.

Es bedurfte jedoch keiner diplomatischen Intervention in diesem Falle, indem auf Verwenden des zuständigen schweizerischen Konkursamtes das betreffende französische Handelsgericht erkannte, daß Wohnsitz und Hauptniederlassung des Gemeinschuldners in der Schweiz seien und nicht in Frankreich; es hob daher mit Berufung auf den Staatsvertrag von 1869 das in Frankreich eröffnete Konkursverfahren zu Gunsten des in der Schweiz eröffneten auf, befahl dem französischen Konkursverwalter, die von ihm erhobenen Gelder unter Abzug der bisher ergangenen Kosten an die schweizerische Konkursmasse abzuliefern, und wies die Gläubiger au, ihre Forderungen bei dem zuständigen schweizerischen Konkursamte anzumelden.

5. Auf die Anfrage unseres Konsulates in Amsterdam, ob für die B e e r b u n g e i n e s i n d e n N i e d e r lan.d e n v e r s t o r b e n e n S c h w e i z e r b ü r g e r s und für die Gültigkeit des von demselben hinterlassenen Testamentes das schweizerische oder das holländische Recht maßgebend sei, hat unser Justiz- und Polizeidepartement geantwortet : Nach völkerrechtlichen Grundsätzen werden die Ausländer gemäß der Gesetzgebung ihres Wohnortes behandelt, wenu nicht durch specielle Staatsverträge die Anwendung des am Heimatorte geltenden Rechtes vereinbart ist. Da nun kein bezüglicher Vertrag mit Holland besteht, können die Erben eines in den Niederlanden verstorbenen Schweizers nicht verlangen, daß dessen Verlassenschaft nach Maßgabe der Gesetzgebung des Heimalkantons behandelt werde, es wäre denn, daß die niederländische Gesetzgebung dieses als zulässig erklären
würde, oder daß die niederländischen Behörden die Anwendung des schweizerischen Rechtes freiwillig zulassen.

Bezüglich des Testamentes ist zwischen der Form der Errichtung der Testamentsurkunde und deren Inhalt zu unterscheiden. Nach allgemeinen Grundsätzen muß ein Testament nach den gesetzlichen

16 Formen des Staates, wo dasselbe errichtet wurde, angefertigt sein.

Hinsichtlich des materiellen Inhaltes dagegen kann als Kegel angenommen werden, daß die Gesetzgebung des Heimatlandes angewendet werden muß, indes wird auch öfter das Gesetz des Errichtungsortes als maßgebend anerkannt.

6. Nach dem Tode eines S c h w e i z e r b ü r g e r s , der sein ordentliches Domizil in A l e x a n d r i e n hatte, übernahm das dortige deutsche Konsulat, unter dessen Schutze der Verstorbene zuletzt gestanden, d i e B e r e i n i g u n g d e s N a c h l a s s e s desselben.

Dabei brachte es für die Verteilung dieser Verlassenschaft das französische Recht zur Anwendung, indem es in Betracht zog, daß der Verstorbene nach seiner kirchlichen Trauung in Alexandrien diese Ehe in die Register des dortigen französischen Generalkonsulates hatte eintragen lassen, womit er und seine Familie unter den Schutz dieses Konsulates sich begeben hatten.

Durch die anläßlich dieses Falles auf dem Auswärtigen Amte des Deutschen Reiches gemachten näheren Erhebungen brachten wir in Erfahrung, daß die kaiserlich deutschen Konsuln gegenüber allen Schutzgeuossen ausschließlich deutsches Recht anzuwenden haben und die heimatliche Gesetzgebung der unter deutschem Schutze stehenden Ausländer nicht berücksichtigen können. Nun bestimmt das deutsche Recht, daß in Bezug auf das eheliche Güterrecht das Gesetz des ersten Wohnsitzes des Ehemannes nach abgeschlossener Ehe maßgebend sei. Demgemäß wurde in dem besagten Falle, da die Ehegatten nach vollzogener Ehe in Alexandrien ihren ordentlichen Wohnsitz behielten und dort unter französischem Schutze standen, seitens des deutschen Konsulates, unter dessen Schutz der Ehemann später getreten ist, für die Verteilung der Hinterlassenschaft das französische Recht zur Anwendung gebracht.

7. Die Eltern und Verwandten eines im G r o ß h e r z o g t u b i B a d e n v e r s t o r b e n e n S c h w e i z e r b ü r g e r s waren nicht im stände, die erwachsenen Verpflegungs- und Beerdigungskosten zu übernehmen. Es wurden diese daher von den badischen Behörden aus öffentlichen Mitteln bestritten. Zur (eilweisen Deckung der Auslagen verwerteten sie die wenigen Effekten des Verstorbenen und wiesen das Begehren der Angehörigen desselben in der Schweiz um Herausgabe der hinterlassenen Gegenstände mit der
Begründung ab, es entspreche die Verwertung der Hinterlassenschaft dem allgemeinen Grundsatze, wonach die Kosten der Verpflegung und Beerdigung auf dem Nachlasse haften: daher können die Angehörigen, welche es ablehnen, für die fraglichen Auslagen aufzukommen, einen Anspruch auf die Effekten nicht erheben oder mit Grund sich durch deren Veräußerung beschwert erachten.

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8. Auf die Anfrage einer kantonalen Behörde, ob auf Grund ·des deutsch-schweizerischen Niederlassungsvertrages vom 31. Mai 1890 s c h w e i z e r i s c h e n A n g e h ö r i g e n i n Prozessen v o r d e u t s c h e n G e r i c h t e n d a s A r m e n r e c h t bewilligt werden m ü s s e , antwortete unser Justiz- und Polizeidepartement, daß der besagte Staatsvertrag zur gegenseitigen Gewährung der fraglichen Rechtswohlthal; nicht verpflichte. Auch bestehe kein bezügliches specielles Übereinkommen zwischen der Schweiz und Deutschland, wie dies der Fall sei mit Bezug auf Frankreich, Belgien, Italien und Österreich-Ungarn. Dagegen enthalte § 106, Abs. 2, der deutschen Civilprozeßordnung vom 30. Januar 1877 die Bestimmung, ,,Ausländer haben auf das Avmenrecht nur insoweit Anspruch, als die Gegenseitigkeit verbürgt ist". Auf Grund dieser Vorschrift werde nun in der Regel von dem deutschen Gerichte, vor welchem ein Schweizerbürger einen Prozeß anhängig gemacht und um Bewilligung des Armenreehts nachgesucht habe, von demselben eine amtliche Bescheinigung verlangt, dahingehend, daß auch ia seinem Heimatkanton nach der dortigen Gesetzgebung einem deutschen Staatsangehörigen die Rechtswohlthat des Armenrechts auf Begehren hin gewährt werde.

9. Bei Anlaß der Ausstellung eines Passes für einen im Kanton Tessin niedergelassenen n a t u r a l i s i e r t e n e n g l i s c h e n S t a a t s a n g e h ö r i g e n verweigerte das britische Konsulat in Zürich die Aufnahme des Kindes desselben in den Paß, da nach englischem Rechte die im Ausland geborenen und im Ausland sich aufhaltenden Kinder eines in England naturalisierten Vaters nicht als britische Unterthanen betrachtet werden.

Durch die in London eingezogenen Erkundigungen bestätigte es sich, daß die in Betracht kommende Gesetzesbestimmung (Naturalisation Act 1870, AI. 5 von § 10 dea 10. Kap.) durch die englischen Administrativbehörden in angegebener Weise interpretiert wird. Indessen können solche Kinder schon durch einen kurzen Aufenthalt in England die Anerkennung als britische Unterthanen erwerben.

Es ist uns bedeutet worden, daß jene Gesetzesinterpretation nicht allgemein voa den englischen Juristen als die richtige angesehen werde und daß sie umgestoßen werden dürfte, wenn ein englischer Gerichtshof in die Lage käme, in einem entsprechenden Falle zu
entscheiden, was bis jetzt nicht geschehen sei (Fall Verri).

10. Die k. und k. österreichisch-ungarische Gesandtschaft in Bern brachte uns zur Kenntnis, daß den Begehreu der ausländischen diplomatischen und konsularen Vertreter in Österreich-Ungarn um Bundesblatt. 45. Jahrg. Bd. II.

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18 Fahrpreisermäßigungen oder freie F a h r t zur H e i m r e i s e i h r e r S t a a t s a n g e h ö r i g e n von den ö s t e r r e i c h i s c h e n o d e r u n g a r i s c h e n E i s e n b a h n e n künftig n u r entsprochen werden kann, wenn dein jeweiligen Ansuchen die amtliche Bestätigung beigefügt ist, daß die gleichen Begünstigungen von den Eisenbahnen in dem betreffenden auswärtigen Staate auch den mittellosen österreichischen oder ungarischen, in ihre Heimat zurückkehrenden Staatsangehörigen gewährt sind.

Wir teilten dieses der schweizerischen Gesandtschaft in Wies und den Konsulaten in Triest und Budapest mit und machten sie dabei darauf aufmerksam, daß die ihnen seiner Zeit bekannt gegebenen Bedingungen für deu Heimtransport dürftiger Ausländer vom Jahr 1879 (Bundesbl. 1879, III, 278 ff.) unverändert fortbestehen, wonach auch dürftigen Angehörigen der österreichischungarischen Monarchie auf Empfehlung ihrer Gesandtschaft in der Schweiz für die Reise in die Heimat von den schweizerischen Eisenbahnen eine Taxermäßigung von 50 °/o auf den Billet» III. Klasse gewährt ist. Die Gesandtschaft und die Konsulate seien daher ermächtigt, dem jeweiligen Ansuchen um Taxvergünstigungen bei den österreichisch-ungarischen Eisenbahnen eine Bestätigung in diesem Sinne beizufügen.

11. Ein Schweizerbürger, welcher in New-York eine Amerikanerin geheiratet hatte, klagte bei dem zuständigen schweizerischen Gerichte auf Ehescheidung. Diese wurde ausgesprochen und dabei auf Grund eines Einverständnisses zwischen den Parteien bestimmt, daß das in der Ehe erzeugte Kind der in New-York lebenden Mutter zur Erziehung und Pflege verbleiben soll, während der Vater einen jährlichen Beitrag an die betreffenden Kosten zu> leisten habe.

Als der Vater in der Folge erfuhr, daß das Kind schlecht erzogen werde, nahm er das Kind der Mutter heimlich weg und verbrachte es nach der Schweiz.

Auf Veranlassung der Mutter stellte nun die Regierung der Vereinigten Staaten von Amerika auf dem diplomatischen Wege das Begehren, der Bundesrat möchte anordnen, daß das Kind seiner Mutter zurückgebracht werde. Dabei bemerkte sie, es sei ein völkerrechtlicher Grundsatz, daß Personen, die aus dem Lande, in welchem sie sich aufhalten oder Zuflucht genommen haben, in rechtswidriger Weise weggeführt worden, in dasselbe auf Begehren wieder
zurückgebracht werden. Der Vater des Kindes habe sich nach den Strafgesetzen von New-York des Deliktes der Entführung eines Kindes unter 12 Jahren schuldig gemacht.

19 Nach näherer Feststellung der tbatsächlichen Verhältnisse und Prüfung der Angelegenheit wiesen wir indessen das Begehren der amerikanischen Regierung ab, und zwar aus folgenden Gründen : Nach der schweizerischen Gesetzgebung und unsern juristischenBegriffen kann die Handlung des fraglichen Vaters nicht als ein Delikt betrachtet werden. Ihm steht als Vater, ein gewisses Hecht an sein Kind zu, so gut wie der Mutter ; es ist nur dessen Erziehung auf Grund eines Übereinkommens zwischen den Eltern und eines gerichtlichen Urteils der Mutter übertragen worden, während er, der Vater, einen materiellen Beitrag dazu zu leisten hat. Damit ist ihm aber, wie auf Grund der väterlichen Gewalt, ohne Zweifel die Befugnis eingeräumt, darüber zu wachen, daß für das Wohl des Kindes in geistiger und leiblicher Beziehung gehörig Sorge getragen wird. Durch sein Vorgehen hat er sich einzig der Verletzung des gerichtlich sanktionierten Abkommens zwischen ihm und seiner Frau schuldig gemacht, wegen deren eventuell die verletzte Partei die andere vor dem zuständigen Gerichte belangen kann. Dieses ist auch geschehen, indem die Angelegenheit von den Parteien vor das kompetente schweizerische Bezirksgericht gebracht wurde. Dadurch ist die Entscheidung der Sache in die Hände der Gerichte gelegt und es steht dem Bundesrate als Ad ministrati v behörde nicht zu. sich in den Gang des Prozesses einzumischen.

Dazu kommt, daß für den Aufenthalt des Kindes zur Zeit nicht mehr das angerufene Scheidungsurteil maßgebend ist, sondern eia neuerer Beschluß des gleichen Gerichtes, wonach dem Kinde ein bestimmter Wohnsitz in der Schweiz angewiesen ist bis zur definitiven Entscheidung des Begehrens seines Vaters um teilweise Abänderung des Scheidungsurteils. Daß jenes Gericht eine solche Verfügung treffen kann, durfte kaum in Zweifel gezogen werden, denn es steht jedem Gerichte bei Eintritt neuer Thatsachen zu, hinsichtlich der Aufsicht über ein Kind einen früher gefaßten Entscheid abzuändern.

Die von dem Vater des Kindes angewendete Selbsthülfe kann und will hierseits nicht gebilligt werden, allein nachdem einmal der Akt geschehen und die Sache den ordentlichen Gerichten zur Entscheidung unterbreitet worden, läßt sich an diesem Verhältnisse durch die Administrativbehöi'den nichts ändern. Die Gerichte werden im Interesse des Kindes urteilen,
das nicht wie eine bloße Ware., die hin- und hergeschoben wird, behandelt werden kann.

An diesem Beschlüsse haben wir auch festgehalten, als nach Mitteilung desselben die amerikanische Regierung noch einmal im Sinne ihres abgelehnten Begehrens bei uns vorstellig geworden ist.

20 12. Unser Justiz- und Polizeidepartement hatte während des Berichtsjahres in 137 Fällen (1891 in 112, 1890 in 1281 bei der Vermittlung von R e q u i s i t o r i a l i e n ausländischer Behörden an schweizerische Gerichte und umgekehrt mitzuwirken. 60 derselben bezogen sich auf Civilangelegenheiten, 77 auf Strafsachen.

Von den s c h w e i z e r i s c h e n Rogatorien waren 16 an die Vereinigten Staaten von Amerika, 11 an Belgien, je 9 an Großbritannien und Rußland, 7 an Frankreich, je 3 an Argentinien und Spanien, und je l an Brasilien, Dänemark und die Türkei gerichtet.

Von den a u s l ä n d i s c h e n Rogatorien anderseits sind 38 aus Frankreich, 24 aus Spanien, 5 aus Rußland, 3 aus Holland, je 2 aus Österreich und Bulgarien und je l aus Deutschland und Egypten an uns gelangt.

12 der an ausländische Behörden gerichteten Rogatorien hatten am Schlüsse des Jahres ihre Erledigung noch nicht gefunden, während die aus dem Ausland eingegangenen bis auf l vollzogen waren.

Mehreremal waren wir genötigt, die kantonalen Behörden durch Hinweis auf unsere Kreisschreiben vom 22. Mai 1883, 6. März und 23. April 1885 (Bundesbl. 1883, II, 1031; 1885, I, 584, und II, 851) daran zu erinnern, daß die b e l g i s c h e Regierung den direkten Verkehr zwischen den fremden und inländischen Gerichten nicht gestattet, sondern verlangt, daß die belgischen Behörden auf dem diplomatischen Wege, also durch den Bundesrat, unser Generalkonsulat in Brüssel und das belgische Ministerium, um Rechtshülfe ersucht werden.

Die Vollziehung zweier Requisitorien, welche von deutschen Behörden an schweizerische gerichtet waren und uns zur Einsicht vorgelegt worden sind, mußte abgelehnt werden, da das eine Ersuchsehreiben eine rein politische Angelegenheit, das andere eine Zolldefraudation zum Nachteile Deutschlands betraf. DieWeigerungen der Vollziehung stützten sich im ersteren Falle auf Art. 12 des deutsch-schweizerischen Auslieferungsvertrages vom 24. Januar 1874, im letzteren darauf, daß den schweizerischen Behörden nicht zugemutet werden könne, zum ^Schutze der deutschen Finanzgesetzgebung mitzuhelfen, zumal da auch unsrerseits eine gleiche Hülfe von den deutschen Behörden nicht verlangt werden dürfte.

13. Der Appellationshof des Kantons Bern hatte ein R e q u i sì t o r i a l , das ihm vom Appellhofe zu Venedig zugekommen
und in i t a l i e n i s c h e r Sprache abgefaßt war, der kgl. italienischen Gesandtschaft in Bern zugesandt, damit sie für eine deutsche oder französische Übersetzung der betreffenden Aktenstücke besorgt sein

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möchte. Die Gesandtschaft lehnte aber das Gesuch mit der Erklärung ab, daß nach Mitteilung ihrer Regierung es von jeher in Ermanglung einer bezüglichen Vertragsbestimmung Übung gewesen sei, allen Rogatorialansuchen Folge zu geben, welche in der Sprache des requirierenden Staates abgefaßt waren.

Die bernischen Behörden glaubten nun, wir sollten einen definitiven Entscheid in der Sache fassen und uns dahin verwenden, daß den Requisitorien der italienischen Gerichte an unsere Gerichte eine französische Übersetzung beigegeben werde. Wir antworteten jedoch, daß wir einem solchen Begehren nicht zu entsprechen vermögen, und zwar zunächst, weil die italienische Sprache, so gut wie die deutsche und die französische, durch die Bundesverfassung als eine Nationalsprache in der Schweiz anerkannt ist. Auch würde sich dasselbe aus den Bestimmungen der bestehenden Verträge mit Italien nicht begründen lassen; es ist vielmehr aus der Zulassung des direkten Verkehrs zwischen den schweizerischen und italienischen Gerichten zu folgern, daß die beiderseitigen Behörden befugt sind, sich ihrer Amtssprachen zu bedienen. Die Mitteilung einer französischen Übersetzung der Schriftstücke und Dokumente ist nur in den Auslieferungsverträgen mit Holland und Rußland (Art. 9, beziehungsweise 17J vorgesehen. Der Art. 13 des schweizerisch,italienischen Auslieferungsvertrages bestimmt einzig, daß für die Vollziehung der Requisitorien, nicht aber bezüglich der Form der Ersuchschreiben, die Gesetze des requirierten Staates maligebend sind.

lé. Ein aai'gauisches Bezirksgericht hatte in einer Civilprozeßangelegenheit auf Grund der Übereinkunft zwischen dem Kanton Aargau und dem Großherzogtum Baden, vom 21. Mai 1867, betreffend die gegenseitige Vollstreckbarkeit der Urteile und den Vollzug von Ersuchschreiben in bürgerlichen Rechtssachen (A. 8. IX, 185), die V o r l a d u n g zweier in Baden w o h n h a f t e n Zeugen d i r e k t durch das Bürgermeisteramt des Wohnortes derselben ergehen lassen.

Dies veranlaßte die großherzoglich badische Regierung, sich bei uns zu beschweren und darauf hinzuweisen, daß durch eine für die badischen Bürgermeister und Gemeinderäte als Rechtspolizeibehörden unterm 12. November 1889 erlassene Dienstweisung des Justizministeriums denselben in Rechtspolizeisachen der unmittelbare Schriftenwechsel mit
ausländischen Staats- und Gemeindebehörden nicht gestattet sei, und daß sie verpflichtet seien, die bei ihnen in solchen Angelegenheiten etwa unmittelbar einlaufenden Ersuchschreiben ausländischer Behörden dem vorgesetzten Amtsgerichte zur Entscheidung darüber vorzulegen, ob dem Gesuch entsprochen werden soll. Ausgenommen seien hiervon nur die Bürgermeister

22 (Gemeinderäte) der sogenannten Städteordnungsgemeinden Karlsruhe, Mannheim, Freiburg i. Br., Heidelberg, Pforzheim, Konstanz, Bruchsal und Lahr; diesen sei der unmittelbare Schriften Wechsel mit ausländischen Behörden in gleichem Umfange wie den Gerichtsbehörden gestattet.

Es wurde den aargauischen Behörden hiervon Kenntnis gegeben.

15. Im i n t e r k a n t o n a l e n R e c h t s h ü l f e v e r k ehr hatten wir in folgender Angelegenheit mitzuwirken: In einer vor einem bernischen Gerichte anhängigen Strafsache betreffend Mißhandlung und Ehrverletzung war durch ein thurgauisches Gericht einer in diesem Kanton wohnhaften Person eine Ladung als Zeuge zuzustellen. Für diese Verrichtung erhob die angegangene thurgauische Behörde eine V e r r i c h t u n g s g e b ü h r und erklärte den Bezug einer solchen für zulässig, da es sich im vorliegenden Falle nicht um Offizialdelikte h a n d l e , sondern um solche strafbare Handlungen, die nur auf Antrag des Verletzten zu verfolgen seien.

Mit der reklamierenden bernischen Behörde vermochten wir aber diese Ansicht nicht zu teilen, indem der in Betracht kommende Artikel l des Bundesgesetzes betreffend Ergänzung des Auslieferungsgesetzes vom 2. Februar 1872 (A. 8. X, 672) keinen solchen Unterschied kennt, wie der fragliche thurgauische Richter aufgestellt hat, sondern ganz allgemein ,,in Strafsachen" die unentgeltliche Mithülfe der Behörden des requirierten Kantons normiert.

Die Regierung des Kantons Thurgau stimmte unserer Auffassung bei und es fand damit die Angelegenheit ihre Erledigung.

16. Die Zahl der Fälle von H e i m s c h a f f u n g e n v e r lassener Kinder, Geisteskranker und solcher P e r s o n e n , welche der öffentlichen Wohlthätigkeit a n h e i m g e f a l l e n s i n d , belief sich im Berichtsjahr auf 120 (1891: 118, 1890: 151) und betraf 160 Personen.

Die Schweiz wurde seitens des A u s l a n d e s um die Heimschaffung von 45 Personen (41 Gesuche umfassend") angegangen, nämlich von 7 verlassenen Kindern, 34 Geisteskranken und 4 Hülfsbediirftigen. Aus Frankreich liefen 28 Gesuche ein, aus Österreich 5, aus Deutschland 3, aus Belgien 2 und je l aus Italien, Rumänien und Argentinien. Von den 45 Personen wurden 3 nicht anerkannt, 40 dagegen als schweizerische Angehörige ermittelt und übernommen ; 2 Fälle sind pendent geblieben.

Die S
c h w e i z stellte an das Ausland auf diplomatischem Wege 79 Heimschaffungsbegehren, und zwar 42 an Frankreich, 25 an Italien, 9 an Deutschland und je l an Österreich, Belgien

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23 und Luxemburg. Dieselben betrafen 4-t verwaiste und verlassene Kinder, 39 Geisteskranke und 32 der öffentlichen Wohlthätigkeit Anheimgefallene, zusammen 115 Personen. Davon wurden 74 vom Auslande als Angehörige anerkannt und heimgeschafft, während bezüglich 4 Personen die Heimnahme abgelehnt worden ist; betreffend 27 Individuen standen die Erklärungen der fremden Regierungen am Ende des Jahres noch aus. 6 Begehren (10 Personen umfassend) wurden von den Kantonsregierungen vor Abschluß der Verhandlungen zurückgezogen.

IQ einem Falle wiesen wir das von F r a n k r e i c h gestellte Begehren u m H e i m n a h m e e i n e r g e i s t e s k r a n k e n P e r s o n »b, weil diese, obwohl die Tochter eines Schweizerbürgers, doch als französische Staatsangehörige angesehen werden mußte. Sie war nämlich in Frankreich geboren und hatte unterlassen, zwischen dem 21. und 22. Altersjahre für die schweizerische Nationalität ihres Vaters zu optieren. Daher war sie gemäß dem französischen Gesetze vom 26. Juni 1889 über die Staatsangehörigkeit von Frankreich als Französin zu betrachten, und dieses Land somit verpflichtet, für ihre Verpflegung zu sorgen (Fall Pete).

Häufig kommen wir auf Wunsch der kantonalen Behörden in den Fall, bei Frankreich die Beibehaltung schweizerischer Geisteskranker in den dortigen Asylen auf Kosten der Heimatgemeinde nachzusuchen. Die V e r p f leg u n g s k o s t e n in den verschiedenen A s y l e n z u P a r i s u n d U m g e b u n g , d i e v o r allem i n Frage kommen, sind zur Zeit folgende: in der Irrenanstalt St. Anna Fr. 2. 78, in derjenigen von Vaucluse Fr. 2.10, von Ville Evrard und Bicêtre Fr. 1. 85, von Clermont (.Oise) Fr. 1. 20 per Tag.

1 7 . D e n schweizerischen K o n s u l a t e n i n S c h w e d e n und R u m ä n i e n mußten wir in Erinnerung bringen, daß es nicht ihre Aufgabe ist, der in jenen Ländern sich aufhaltenden und krank gewordenen armen schweizerischen Angehörigen sich in der Art anzunehmen, daß sie für die V e r p f l e g u n g und s p ä t e r e Hei m S c h a f f u n g derselben sorgen und die bezüglichen Kosten tragen. Nach allgemein anerkannten Grundsätzen Hegt diese Püicht und die Tragung der damit verbundenen Kosten den Behörden desjenigen Staates ob, dem die betreffende Person zur Last fällt und daher ihre Heimnahme wünscht. Die Schweiz verfährt in
entsprechender Weise bezüglich aller kranken und dürftigen Ausländer auf ihrem Gebiete und verbringt sie im Heimschaffungsfalle bis an die Grenze des Heimatstaatea. Daher kann sie auch von den auswärtigen Staaten erwarten, daß sie das gleiche Verfahren gegenüber den in ihrem Lande sich aufhaltenden Schweizern beobachten (vergi. Bundesblatt 1887, II, 673, Ziffer 30 und 31; 1888, II, 773, Ziffer 25).

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18. Die irn Kanton Waadt seit langer Zeit niedergelassene M a r i e E m é l i e N e u v e s s e l von Gaillard (Hoch-Savoyeu) litt seit mehreren Jahren an häufig sich wiederholenden epileptischen Anfällen und war vollständig auf die private und öffentliche Wohlthätigkeit angewiesen. Wir suchten daher auf Veranlassung der waadtländischen Behörden die Heimnahme dieser Person bei Frankreich nach. Die französische Regierung verweigerte aber die Heimschaffung, da die Kranke keine unterstützungsfähigen Verwandten in Frankreich habe, und die Gemeinde oder das Departement, wc sie geboren sei, zu ihrer Unterstützung nicht verpflichtet seien.

Dabei lehnte sie auch für den Fall einer Ausweisung der Kranken jede Verantwortlichkeit ab.

Obwohl wir daraufhin erwiderten, daß, wenn nach der französischen Gesetzgebung die Gemeinden oder Departements in einem Falle wie der vorliegende nicht angehalten werden können, die Sorge für ihre kranken Angehörigen zu übernehmen, es doch Pflicht und Aufgabe des S t a a t e s sein dürfte, im entsprechenden Sinne einzutreten, lehnte die französische Regierung die Übernahme der Neuvessel doch ab und erklärte, sie könne auch keinen Beitrag an die Verpflegung derselben verabreichen, da diese Person kein Recht auf Unterstützung in Frankreich habe. Nacli dem französischen Rechte bestehe nur hinsichtlich der Geisteskranken und verlassenen Kinder eine Pflicht zur Unterstützung, nicht dagegen mit Bezug auf die sonstigen Kranken und Dürftigen.

Es sei indessen beabsichtigt, demnächst dem Parlament einen Gesetzesentwurf' vorzulegen, wonach alle armen Kranken auf öffentliche Unterstützung Anspruch haben sollen.

19. Nachdem wir unter Vorlage eines Immatrikulationsscheines, des französischen Generalkonsulates in Genf die H e i m n a h m e einer geisteskranken und von ihrem Manne verl a s s e n e n F r a u bei F r a n k r e i c h nachgesucht hatten, richtete die französische Regierung das Ausinnen an uns, es möchten zur Feststellung der Nationalität der Kranken unsererseits genauere Aufschlüsse über die Angehörigkeit ihres Ehegatten gegeben werden..

Wir wiesen jedoch dieses Begehren ab und erklärten, es könne nicht Aufgabe der schweizerischen Behörden sein, Schritte in der gewünschten Richtung zu thun, da für die Schweiz die französische' Staatsangehörigkeit der fraglichen Person durch
die Immatrikulationsbescheinigung des französischen Generalkonsulates in Genf hinreichend nachgewiesen und daher auch das Heimschaffungsbegehren genügend begründet sei. Zudem halte sich der Ehemann der Kranken in Frankreich auf und könne er daher von den dortigen Behörden, am besten zu näheren Angaben über seine Herkunft angehalten "werden.

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Die französische Regierung machte daraufhin keine weiteren Bedenken geltend und bewilligte die verlangte Heimschaffung. (Fall Bohy.)

20. Eine F a b r i k a r b e i t e r i n a u s F r a n k r e i c h hatte im Kanton Aargau, wo sie wohnte, ihr uneheliches Kind bei einer Familie untergebracht, war aber nicht im stände, das Kostgeld für dasselbe zu bezahlen, da sie kaum ihr eigenes Auskommen hatte.

Das Kind fiel somit der öffentlichen Wohlthätigkeit zur Last Die aargauische Regierung verlangte nun, es möchte die H e i m n a h m e der M u t t e r und des K i n d e s bei Frankreich nachgesucht werden.

Wir konnten jedoch hierauf nicht eintreten, indem ein solches Begehren mit den internationalen Verträgen im Widerspruch stehen würde. Es war wohl möglich, auf Grund der Übereinkunft zwischen der Schweiz und Frankreich vom 27. September 1882 betreffend die Verpflegung der Geisteskranken und verlasseneu Kinder die Heimschaffung des fraglichen Kindes zu beantragen, dagegen der Mutter mußte der Aufenthalt in der Schweiz gewährt werden, solange sie hier ihr Fortkommen bat und nicht sonstige Gründe ihre Ausweisung oder Heimschaffung rechtfertigen würden.

21. Durch Beschluß der Regierung des Kantons Solothuru wurde eine f r a n z ö s i s c h e F a m i l i e , bestehend HUS Vater, Mutter und einem erwachsenen Sohne, auf Grund von Art. 5 des schweizerischfranzösischen NiederlassuDgsvertrages vom 23. Februar 1882 a u s dem K a n t o n S o l o t h u r n a u s g e w i e s e n und bei Delle nach Frankreich abgeschoben, weil die betreffenden Personen arbeitsunfähig geworden und schon seit längerer Zeit der öffentlichen Unterstützung zur Last gefallen waren ; dazu waren Vater und Sohn gänzlich heruntergekommene Leute, denen nirgends mehr ein ordentlicher Aufenthalt gewährt worden ist.

Die französische Regierung beschwerte sich durch ihre hierseitige Botschaft bei uns gegen jene Verfüguug, indem sie geltend machte, daß kein ordentliches Urteil gegen jene Leute vorgelegen sei und sie sich keiner Handlung schuldig gemacht haben, die gemäß den Gesetzen über die Sittenpolizei und den Bettel strafbar gewesen wäre, daher habe auch der Art. 5 des Niederlassuugsvertrages auf sie nicht Anwendung finden können. Vielmehr hätte, wie es gewöhnlich zu geschehen pflege, das diplomatische Begehren um Heimschaffung gestellt werden sollen.
Nach näheren Erhebungen über die thatsächlichen Verhältnisse antworteten wir, daß allerdings die Ausweisung der fraglichen Familie nicht auf Grund eines gerichtlichen Dekretes erfolgt sei; indessen .stehe nach schweizerischem Rechte auch den Verwaltungsbehörden

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das Recht zur Wegweisung Fremder zu. Die solothurnische Regierung habe einea förmlichen bezüglichen Beschluß gefaßt und damit in ihrer Kompetenz gehandelt. Auch rechtfertige sich die Ausweisung jener Leute auf Grund des erwähnten Art. 5, da sie einen höchst inimoralischen Lebenswandel geführt und aus diesem Grunde nirgends mehr haben Unterkunft finden können. Zur Stellung eines Heimschaffungsbegehrens sei keine Veranlassung vorgelegen, da die Personen der Versorgung in einer Anstalt nicht bedurft haben und somit zu entsprechenden Maßnahmen Vorverhandlungen nicht nolig gewesen seien (Fall Bettinger).

22. Einem bernischen Angehörigen hatte seine seit einiger Zeit von ihm getrennt lebende Ehefrau (eine geborene Engländerin) in I r l a n d ein Kind geboren. Der Vater wünschte nun die H e r a u s g a b e d i e s e s K i n d e s u n d dessen V e r b r i n g u n g n a c h d e r Seh w e i z.

Aus den infolgedessen unserseits angestellten Erhebungen ergab es sich, daß iu Großbritannien in einem solchen Falle nicht auf dem administrativen Wege vorgegangen werden kann. Es hat vielmehr der Vater seinen Anspruch bei demjenigen Gerichte geltend zujfmacben, in dessen Bezirk das Kind wohnt, und dabei um Ausstellung eines Befehles auf habeas corpus für Vorweisung des Kindes nachzusuchen. Stellt das Gerieht e einen solchen Befehl aus, so behält es sich damit immerhin noch die Entscheidung betreffend die Verfügung über das Kind vor und wird seinen bezüglichen Beschluß nach freiem Ermessen unter Berücksichtigung der geltenden gesetzlichen Bestimmungen fassen.

Nach dem gerneinen englischen Rechte und vor dern Jahre 1839 stand dem Vater ausschließlich das Aufsichtsrecht über sein Kind zu, sofern nicht nachgewiesen werden konnte, 1. daß er zu der Ausübung dieses Rechtes unfähig sei oder 2. daß er dasselbe mißbrauchen und sein Kind mißhandeln würde.

Diese ausschließliehe Befugnis ist indessen durch drei Parlameatsakte modifiziert worden : 1. Durch Act 2 und 3 Victoria, cap. 59, vom 17. August 1839, wonach der Kanzleihof (Court of Chancery) verfügen kann, nicht nur, daß eine Mutter Anspruch auf ihr minderjähriges Kind habe, sondern auch, daß, wenn dieses noch nicht das 7. Altersjahr erreicht hat, es der Mutter zur Erziehung zu übergeben sei bis zu seinem 7. Jahre.

2. Gemäß Act 36 Victoria, cap. 12, vom 24. April 1873, kann der Kanzleihof in England oder Irland nach freiem Ermessen ein Kind seiner Mutter zur Erziehung zusprechen, bis dasselbe das 16. Altersjahr erreicht hat.

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3. Durch Act 54 Victoria, cap. 3, vom 26. März 1891 ist dem Gerichte die Befugnis eingeräumt, auf Ansuchen eines Teiles der Eltern einen Befehl für Aushingabe des Kindes zu erlassen oder zu verweigern; auch kann es die Bezahlung der Pflegekosten eines Kindes verfügen und je nach dem Verhalten der Eltern sonstige Anordnungen treffen; es kann selbst die Religion bestimmen, in der das Kind auferzogen werden soll.

Soviel uns bekannt, hat der Vater des fraglichen Kindes keine Schritte bei den englischen Gerichten gethan; es würden dieselben auch wegen des zarten Alters des Kindes und in Anbetracht, daß dasselbe sowohl das englische als das schweizerische Bürgerrecht besitzt, kaum Aussicht auf Erfolg gehabt haben (Fall Courvoisier)23. Infolge der in Antwerpen vollzogenen Verhaftung des von den Basler Behörden wegen Unterschlagung verfolgten Gottfried H ü r z e l e r , Angehörigen des Kantons Aargau, und der Beschlagnahme der bei ihm gefundenen Gegenstände befanden sich dessen Frau und Kind, die mit ihm nach Belgien geflohen waren, ohne jegliche Existenzmittel. Die schweizerische Hülfsgesellsohaft iu|Antwerpen nahm sich dieser beiden Personen an und sorgte für ihre Rückreise nach der Schweiz. Als die Hülfsgesellschaft durch Vermitllung des Generalkonsulates in Brüssel die Rückerstattung der ihr dadurch erwachsenen Kosten verlangte, wurde dieselbe von den Behörden von Baselstadt, sowie von denjenigen dos Heitnatkantons des Hürzeler verweigert. Die ersteren erklärten, die fragliehen Kosten seien nicht als Prozeßkosten aufzufassen, indem das Verhafts- und Auslieferungsbegehren sich nur auf den Ehemann Hürzeler und nicht auch auf dessen Frau und Kind bezogen habe.

Die aargauischen Behörden stützten ihre Weigerung darauf, daß Frau Hürzeler arm und zahlungsunfähig sei und daß sie keine privatrechtlich verpflichteten, zahlungsfähigen Verwandten habe; die Armenkasse könne aber höchstens zur Übernahme der Kosten des Transportes von der Schweizergrenze an verhalten werden.

Die Erklärung der Basler Behörden schien uns berechtigt, ebenso mußten wir zugestehen, daß die Heimatgemeinde des Hürzeler nicht zur Bezahlung der ganzen Forderung angehalten werden kaun, indem das schweizerische Konsulat und die Hülfsgesellschaft in Antwerpen die Obsorge für die Frau Hürzeler und ihr Kind, sowie deren Heimbeförderung den
belgischen Behörden hätten überlassen sollen. Allein die Tragung eines Teiles dieser Kosten durfte doch aus Billigkeitsgründen von der betreffenden Gemeinde erwartet werden, so die Auslagen für die Auslösung der Effekten der Frau Hürzeler und die ihr für die Heimreise eingehändigten Barbeträge.

Die aargauischen Behörden traten auf unsere bezüglichen Vorstellungen ein und^übernahmen einen Teil der Kosten.

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24. Infolge unseres Kreisschreibens vom 4. November 1891 betreffend das T r e i b e n der s p a n i s c h e n S c h w i n d l e r , worüber wir bereits im letzten Jahre näher berichtet haben (Bundesblatt 1891, V, 389, und 1892, II, 509, Ziff. 26), sind uns von den kantonalen Polizeidirektionen, sowie von Privaten gegen 200 jener Briefe zugegangen, mittelst welcher Betrugsversuche in der Schweiz geplant wäret). Wir veranlaßten, daß das erwähnte Kreisschreiben im Bundesblatte (1892, IV, 264) reproduziert und der Tagespresse in Separatabzügen zugestellt wurde, um das Publikum vor dem Eingehen auf die Anerbietungen der fraglichen Betrüger eindringlichst zu warnen.

Das sämtliche uns übermachte Material ließen wir den spanischen Untersuchungsbehörden zugehen. Die Bemühungen derselben waren, wie uns unser Generalkonsulat in Madrid berichtet, im Laufe des Jahres nicht ohne Erfolg geblieben, indem sie mehrere jener Schwindler verhaften und den Gerichten überweisen konnten. Die ihnen vom hier aus zugesandten Schriftstücke waren dabei von Nutzen gewesen.

25. Unter anderer Form sind dieses Jahr auch von R i g a a u s ähnliche B e t r u g s v e r s u c h e insceniert worden. Von einem angeblichen B. Pfeiff und Henry Weiß daselbst sind an verschiedene Personen in der Schweiz Briefe gerichtet worden, des Inhalts, sie seien von einem reichen russischen Großindustriellen beauftragt, für die Stelle seines langjährigen, kürzlich verstorbenen Vertreters im Auslande einen Ersatz zu beschaffen. Es handle sich um ein Unternehmen, das die größte Diskretion erfordere, nämlich die Ausfuhr und den Absatz von Gold, dessen Handel in Rußland Privatleuten nicht gestattet sei. Der Vertreter müsse nach Rußland kommen und die Ware gegen sofortige Bezahlung in Empfang nehmen, um sie hierauf im Ausland als amerikanisches Erzeugnis zu verkaufen oder selbst zu verarbeiten.

Die über Pfeiff und Weiß eingezogenen Erkundigungen ergaben, daß solche Personen in Riga nicht bekannt sind.

VIII. Civilstand und Ehe.

1. Die in Artikel 12 des Bundesgesetzes betreffend Feststellung und Beurkundung des Civilstandes und die Ehe vorgeschriebenen B e r i c h t e d e r k a n t o n a l e n A u f s i c h t s b e h ö r d e n über die Inspektion der C i v i l s t a n d s ä m t e r im Jahre 1891 sind, wie wir mit Genugthuung bemerken, gegenüber den Berichten aus früheren Jahren für uns durchschnittlich bedeutend an Wert gestiegen. Mehrere derselben sind geradezu vorzüglich

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zu nennen. Einige wenige mußten allerdings zum Zwecke der Vervollständigung, beziehungsweise Richtigstellung an die aboendenden Behörden zurückgeleitet werden.

Aus der Prüfung der 25 Inspektionsberichte ist unserem Justizund Polizeidepartemente, dem zufolge unseres Beschlusses über die Organisation der Departemente vom 8. Juli 1887 (A. S. n. F. X, 104) die Aufsicht über die Vollziehung des eidgenössischen Civilstandsgesetzes seit dem 1. Januar 1888 übertragen ist, eine sehr umfangreiche Korrespondenz mit den betreffenden kantonalen Behörden erwachsen, die den Zweck hatte, gestellte Eintragen zu beantworten, irrtümliche Auslegungen des Gesetzes und des zudienenden Réglementes zu verhüten, oder auf zu Tage getretene Mißstände hinzuweisen und deren Hebung zu bewerkstelligen.

Von der Anordnung besonderer Inspektionen haben wir Umgang genommen.

2. K l a g e n g e g e n Ci v i l s t a n d s b e a m te wegen Verstößen oder Gesetzesübertretungen in der Ausübung ihrer Amtspflicht sind uns mehrere eingereicht worden. In den meisten Fällen haben wir es dabei bewenden lassen können, daß den in Frage kommenden Beamten eine mehr oder weniger ernste Rüge zu teil wurde. In .zwei Fällen haben wir die Büßung der Fehlbaren um den. Betrag von 5, beziehungsweise 20 Franken und in dein schwersten Falle die Absetzung des Beamten gemäß Art. 59, Ziff. 2, des Civilstandsgesetzes veranlaßt.

3. Eine kantonale Aufsichtsbehörde unterbreitete unserem Justiz- und Polizeidepftrtement den V o r s c h l a g , es möchten in Zukunft v o n den seitens der eidgenössischen Aufsichtsbehörde erlassenen K r e i s s c h r e i b e n j e w e i l e n S e p a r a t a b z ü g e i m Format des ,,Bundesblattes" gemacht und den kantonalen Behörden in einer solchen Anzahl übermittelt werden, daß diese sie allen Civilstandsbeamten zusenden könnten.

Das Ergebnis der infolge dieser Anregung angestellten Erhebungen ist jedoch zu deren Ungunsten ausgefallen.

Abgesehen von den zahlreichen Einwänden, die aus der Natur der fraglichen Kreisschreiben und aus der Art des Verkehres der eidgenössischen Aufsichtsbehörde mit den oberen und unteren kantonalen Civilstandsorganen hergeleitet werden können, spricht gegen den erwähnten Vorschlag hauptsächlich folgende Erwägung: Das eidgenössische Civilstandsgesetz ist nur e i n e s der zahlreichen Bundesgesetze,
die zu Kreisschreiben und anders gearteten Erlassen des Bundesrates oder eines bestimmten Departementes desselben Anlaß geben. Wenn nun auch feststeht, daß das Civil-

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Standsgesetz weit mehr als die meisten anderen Bundesgesetze erläuternden Weisungen und allgemeinen Mahnungen seitens der eidgenössischen Aufsichtsbehörde ruft, und daß deshalb auf dem Gebietedes Civilstandes die kantonalen Behörden hinsichtlich der Vermittlung dieser Weisungen und Anordnungen an die ausführenden Organe etwas stark in Anspruch genommen werden müssen, so darf doch nicht für ein vereinzeltes Bundesgesetz, beziehungsweise mit Bezug auf die Ausführung desselben ein ausnahmsweises Verfahren im Sinne der gemachten Anregung veranlaßt werden, da damit ein Präeedens geschaffen würde, das, einmal da, für die gesamte Bundesverwaltung von ganz bedeutenden und schwerwiegenden Folgen sein müßte.

Immerhin erklärte unser Justiz- und Polizeidepartement bei diesem Anlaß, daß es, wenn diese Frage in p r i n z i p i e l l e r Weise dem Bundesrate vorgelegt werden sollte, wenigstens bezüglich einer bestimmten Klasse der auf dem Gebiete des Civilstandes und der Eheschließung von ihm ausgehenden Kreisschreiben im Sinne des gefallenen Vorschlages sich aussprechen werde.

(K.-Nr. 671.)

4 . M i t Bezug a u f G e b u r t e n , T o d e s f ä l l e u n d E h e s c h l i e ß u n g e n , die v o r dem 1. J a n u a r 1876 (Zeitpunkt des Inkrafttretens des eidgenössischen Civilstandsgesetzes) stattgefunden haben, aber erst nachträglich zur Eintragung in die Civilstandsregister angemeldet werden, hat unser Justiz- und Polizeidepartement, veranlaßt durch die Einfrage einer kantonalen Aufsichtsbehörde, die Weisung erlassen, daß jeweilen zu untersuchen ist, ob die fraglichen Civilstandsvorgänge schon irgendwo in rechtsgültiger Weise verurkundet worden sind oder nicht. Ist ersteres der Fall und liegen glaubwürdige Urkunden vor, so hat der Eintrag ohne weiteres in die Register B zu erfolgen. Sind aber die gemeldeten Civilstandsvorgänge noch nirgends in gesetzlicher Weise festgestellt worden, so ist dies zunächst nach dem einschlägigenkantonalen Rechte nachzuholen. Ist dies geschehen und ein positives Resultat herausgekommen, so erfolgt dessen Eintrag ebenfalls, aber in die alten, den Civilstandsbeamten auf den 1. Januar 1876 übergebenen Register der vor diesem Termin amtierenden Civilstandsbehörden. Dabei ist die Vorschrift des Art. 5, litt, b, ries Civilstandsgesetzes zu beobachten (K.-Nr. 699 und 1370).

5. In Nr. 23
der -Anleitung im ,,Handbuche" wird verlangt, daß ci v i l standsam 11 i c h e M i t t e i l u n g e n , die s i c h a u f schweizerische Angehörige im Auslande beziehen, g e h ö r i g ; b e g l a u b i g t sein sollen.

31 Einige kantonale Behörden gehen nun, wie aus mehreren eingelaugten Beschwerden ersichtlich ist, in dieser Beziehung zu streng vor. Wir haben deshalb bei verschiedenen Gelegenheiten betont, dali die vorerwähnte Instruktion im ,,Handbuche* in ihrer allgemeinen Fassung zu weitgehend ist. Da nämlich unsere Register B, in die solche Mitteilungen einzutragen sind, zu Auszügen nicht dienen können, sondern hauptsächlich nur für die Ortsadministration von Bedeutung sind, so ist es zu viel verlangt, wenn auch in Fällen, wo gegen die Echtheit solcher Urkunden absolut kein Anlaß zum Zweifel vorliegt, dennoch die Légalisation derselben gefordert wird.

Wo ein Betrug nicht z.u vermuten oder zu befürchten ist, kann die Eintragung der in solchen Urkunden enthaltenen Civilstandsmitteilungen auch ohne vorgängige Légalisation stattfinden.

6. Einige Abänderungen des belgischen Eher e c h t e s , die von den belgischen Kammern mit Gesetz vom 26. Dezember 1891 beschlossen worden sind und hauptsächlich das Verkündverfahren betreffen, haben wh- den Regierungen der Kantone durch Kreisschreiben vom 9. Februar 1892 zur Kenntnis gebracht (Bundesbl. 1892, I, 706).

7. Im Juli 1891 meldete uns der Regierungsrat des Kantons B a a e l s t a d t , daß der dorlige f r a n z ö s i s c h e K o n s u l mit Umgehung der kompetenten s c h w e i z e r i s c h e n Organe ein zu Basel wohnhaftes f r a n z ö s i s c h e s B r a u t p a a r g e t r a u t habe.

Wir ließen der französischen Regierung durch die schweizerische Gesandtschaft in Paris von diesem Vorgange Kenntnis geben und gleichzeitig mitteilen, daß die fragliche und alle auf gleiche Weise zu btande gekommenen Ehen in der Schweiz ungültig seien, beziehungsweise gegenüber dem schweizerischen Eherechte keinen Bestand hätten, und daß es sich empfehlen dürfte, die Beteiligten hiervon zu benachrichtigen. (Zu vergleichen ist Nr. 203 im ^Handbuchett und Bundesbl. 1888, II, (593; 1891, II, 557, Z. 26.)

Infolge diesev Mitteilung entspann sich ein lebhafter Meinungsaustausch zwischen den französischen Ministerien der Justiz und der auswärtigen Angelegenheiten einerseits und dem letztgenannten Ministerium und der schweizerischen Gesandtschaft andererseits.

Das französische Justizministerium faßte den Inhalt unserer Mitteilung auf als einen ,,wahrscheinlich zu weit gehenden Eingriff*
(un empiétement peut-être exagéré) in das den französischen Konsuln, die eben Civilstandsbearnte seien, überall zuerkannte Recht, Ehen zwischen französischen Staatsangehörigen (wohlverstanden nicht auch zwischen BYanzosen und Ausländern) abzuschließen. -- Dem gegenüber betonte der schweizerische Gesandte in Ausführung

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unserer Instruktionen, daß die schweizerischen Behörden nicht sowohl beabsichtigen, den französischen Konsuln in der Schweiz Trauungen von in der Schweiz wohnhaften Franzosen zu verbieten, als vielmehr nachdrücklich zu erklären, daß solcheo Eheabschiüssen nach schweizerischem Eherechte keinerlei Gültigkeit zuerkannt werden könne, so daß die so getrauten französischen Angehörigen in der Schweiz den verschiedenartigsten nachteiligen Folgen ausgesetzt seien.

Hierauf erwiderte im April 1892 das französische Ministerium der auswärtigen Angelegenheiten, daß es die französische Botschaft und die französischen Konsulate in der Schweiz auf die durch solche konsularische Trauungen für die Beteiligten hervorgerufenen Mißstände aufmerksam machen und gleichzeitig anweisen werde, ihre Landsleute davor zu warnen.

8. Durch Entscheid vom 23. August 1892 haben wir eine B e s c h w e r d e b e g r ü n d e t e r k l ä r t , die ein Ehepaar erhoben hatte, weil das Civilstandsamt seines Wohnortes infolge bezüglicher Weisungen der kantonalen Aufsichtsorgane die von beiden Gatten gestützt auf den zwischen ihnen erfolgten EheabschlulS verlangte B e u r k u n d u n g der L e g i t i m a t i o n eines v o r e h e l i c h e n Kindes der E h e f r a u mit dem H i n w e i s d a r a u f verw e i g e r t hatte, der E h e m a n n sei n i c h t der Vater des fraglichen Kindes.

Die Erwägungen, die uns zu diesem prinzipiellen Entscheide geführt haben, sind veröffentlicht im Bundeshl. 1892, IV, 334--335.

Dieser Legitimationsfall hat einer gegenwärtig noch pendenten Strafklage gegen die in Frage stehenden Eheleute ,,wegen Beeinträchtigung der Familienrechte" gerufen (K.-Nr. 900).

Wir bemerken bei diesem Anlaß, daß das schweizerische Bundesgericht bezüglieli der Voraussetzungen der legitimatio per subsequens matrimonium unseren Standpunkt teilt. So hat dasselbe z. B. in seinen) Urteil vom 6. Mai 1892 in Sachen Schuhmacher gegen Kistler und Genoßsame Reichenburg ausdrücklich betont, daß die einfache Anerkennung vorehelicher Kinder genüge, um diesen die Rechte ehelicher zu verschaffen, vorbehaltlich einzig der Anfechtung einer erweislich unwahren Anerkennung.

Um einen Vergleich zu ermöglichen, heben wir aus den Erwägungen zu diesem Entscheide des Bundesgerichtes folgendes hervor : Das Anerkanntnis, sagt das Bundesgericht, sei
allerdings nicht Dispositivakt, sondern Beweismittel für die Abstammung des Kindes von den Eheleuten, speciell vom Ehemann, und es sei daher der 'Gegenbeweis zulässig; allein solange dieser nicht erbracht sei,

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müsse die Anerkennung als richtig gelten und sei durch sie die Vaterschaft des Ehemannes rechtlich festgestellt. Wenn die Anerkennung nicht als beweiskräftig erachtet, sondern ein von derselben unabhängiger Beweis der Erzeugung des vorehelichen Kindes durch den Ehemann der Mutter gefordert würde, so würde offenbar das bundesrechtliche Prinzip der Legitimation durch nachfolgende' Ehe in seiner praktischen Durchführung wesentlich gefährdet. Deshalb sei denn auch nach Artikel 41 des Bundesgesetzes über Civilstand und Ehe die Legitimationserklärung der Eltern vom Civilstandsbeamten o h n e v o r g ä n g i g e c a u s a e c o g n i t i o , ohne daß derselbe einen weitern Beweis der Vaterschaft fordern dürfe, einzutragen {B.-G.-E. XVIII, 219--227).

9. Unser Justiz- und Polizeidepartement hat wiederholt darauf aufmerksam machen müssen, daß das Bundesgesetz über Civilstand und E h e bezüglich d e r E h e v e r k ü n d u n g e n a m W o h n o r t e der B r a u t l e u t e -- im Gegensatze zu anderen Gesetzgebungen -- auf Übergangsstadien, die eintreten, wenn ein Wohnort mit einem neuen vertauscht wird, keine Rücksicht nimmt. Wohnort im Sinne des Artikels 29 unseres Civilstandsgesetzes ist der Ort, wo jemand in der Absicht, daselbst dauernd zu bleiben, seinen wirklichen Aufenthalt genommen und zu diesem Zwecke eine NiederlassuBgs- oder Aufenthaltsbewilligung erwirkt hat. Der frühere Wohnort kommt bei der VerkUndung nicht in Betracht.

10. Bin T e s s i n e r im Kanton Genf wollte heiraten. Nach Gesetzesvorschrift erfolgte die Eheverkündung auch in seiner tessinischen Heimatgemeinde, und zwar ohne Einspruch. Die G e m e i n d e b e h ö r d e (municipalità), die im Kanton Tessin gleichzeitig das Amt des Civilstandsbeamten ausübt, w e i g e r t e sich aber, den V e r k ü n d s c h e i n herauszugeben, mit der Begründung, der in Rede stehende Gemeindebürger sei eine G e m e i n d e t e i l e (fuoeatico) für die letzten drei Jahre im Betrage von Fr. 15 schuldig, d i e z u v o r b e z a h l t w e r d e n müsse.

Auf eingereichte Beschwerde hin luden wir den tessinischen Staatsrat ein, die nötigen Anordnungen zu treffen, damit die fragliche Civilstandsbehörde den gesetzlichen Vorschriften unverzüglich nachkomme, sowie auf die ihr gemäß Artikel 58 des eidgenössischen Civilstandsgesetzes auffallende Verantwortlichkeit
aufmerksam gemacht und überdies, gestützt auf Artikel 59, Ziff. 2, des nämlichen Gesetzes, bestraft werde.

In seiner Rückäußerung führte der tessinische Staatsrat aus, daß der eingeklagte Fall keineswegs vereinzelt dastehe, indem die tessinischen Gemeindevorstände ihre Stellung als Civilstandsbehördea Bundesblatt. 45. Jahrg. Bd. II.

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eben hin und wieder dazu benutzen, durch Rückhalt benötigter Civilstandsakte solche rückständige Steuerbeträge erhältlich zu machen. Dies erwägend sehe sich der Staatsrat nicht veranlaßt, der betreffenden Gemeindebehörde eine Buße aufzuerlegen, sondern werde sich damit begnügen, eine solche für künftige Fälle anzudrohen, für diesmal aber bloß einen ernsten Verweis zu erteilen.

Selbstverständlich haben wir dieser Anschauungsweise nicht beipflichten können, sondern den Staatsrat ersucht, sämtliche Civilstandsämter (d. h. Munizipalitäten) des Kantons ohne Verzug und .in nachdrücklicher Weise auf Artikel 54, 2 der Bundesverfassung, der ein Zurückhalten der Verkündscheine und der übrigen zu einer Verehelichung nötigen Schriften wegen Nichtbezahlung von Steuern unbedingt verbiete, aufmerksam zu machen, und zwar unter ausdrücklichem Hinweis auf die Strafbestimmungeo im Abschnitt F des Bundesgesetzes über Civilstand und Ehe. -- Wir gaben dabei der Hoffnung Ausdruck, daß der Staatsrat künftighin auf die Beobachtung des citierten Verfassungsartikels ein wachsames Auge haben und bei Übertretungen von sich aus energisch einschreiten werde. -- Mit dem vom Staatsrate im Specialfalle gegenüber der fehlbaren Behörde in Aussicht genommenen ernsten Verweis haben wir uns mit Rücksicht auf die von derselben an den Tag gelegte Renitenz nicht begnügt, sondern nochmals ausdrücklich Bestrafung nach Art. 59, Ziff. 2, des Civilstandsgesetzes verlangt.

Wir können konstatieren, daß unsere Weisungen nach beiden Richtungen befolgt worden sind. Es ist infolgedessen zu hoffen, daß derartige Beschwerden nicht mehr vorkommen (K.-Nr. 1036).

11. Einsendungen im ,,Luzerner Tagblatt" vom 8. und 20. Mai 1892 forderten die eidgenössische Aufsichtsbehörde unter Hinweis auf Art. 21 des Bundesgesetzes über Civilstand und Ehe zum Einschreiten auf gegenüber dem Pfarrer zu Großwangen, der in dea Jahren 1890 und 1891 m e h r e r e B e e r d i g u n g e n vor E i n t r a g u n g der fraglichen Todesfälle in das Civilstandsr e g i s t e r v o r g e n o m m e n h a b e . Gleichzeitig wurde behauptet, die kantonalen Aufsichtsorgane hätten trotz wiederholter Beschwerden des Civilstandsbeamten von Großwangen den genannten Geistlichen gewähren lassen.

Zur Vernehmlassung eingeladen, bestätigte die Regierung des Kantons Luzern, daß die gemeldeten
ungesetzlichen Beerdigungen in Großwangen vorgekommen seien; dagegen suchte sie den Vorwurf zu entkräften, als ob ihr Militär- und Polizeidepartement, dem die Überwachung des Beerdigungswesens obliege, die vom CivHstandsamt Großwangen gegen das dortige Pfarramt deshalb erhobenen Beschwerden nicht berücksichtigt habe; sie erklärte, diese

Beschwerden seien jedesmal mit der Aufforderung nur Verantwortung dem Gemeinderat von Großwangeu übermittelt worden: da sich aber aus dessen Vernehmlossung ergeben, daß die nötigen Anordnungen zur Verhinderung fernerer Unregelmäßigkeiten getroffen seien, habe kein Grund mehr bestanden, der Angelegenheil, weitere Folge zu geben.

Bei diesem Berichte konnte die eidgenössische Aufsichtsbehörde!

sich nicht beruhigen. Sie verlangte vielmehr bestimmte Auskunft; darüber, weshalb die mehrfachen Beschwerden des Civilstandsamtesi Großwangen nicht ernstlicher berücksichtigt worden seien, bezw.

warum neben dem Gremeinderat von Großwangen nicht auch der fehlbare Pfarrer zur Vernehmlassung und Verantwortung gezoger, worden sei. Die Ruckäußerung der Regierung ging dahin, daß schon nach Eingang der ersten Beschwerde sämtliche Gemeinderäte des Kantons ausdrücklich auf die kantonale Verordnung über das Friedhof- und Begräbniswesen vom 13. März 1878 hingewieser worden seien; wenn man von einem besonderen Einschreiten ir.

Großwangen abgesehen habe, so sei daran die (wie die Regierung1 behauptete, zu wenig positive) Beschwerdeführung selbst schuld gewesen; zudem liege der Fehler in den eingeklagten Fällen nichl, sowohl bei dem Pfarrer von Großwangen, als vielmehr bei den Verwandten der Verstorbenen, die ihrer Anzeigepflicht nicht rechtzeitig nachgekommen ; auch habe nach kantonaler Vorschrift der G e m e i n d e rat die Aufsieht über die Friedhöfe zu führen, weshalb die Regierung bei vorkommenden Beschwerden an diesen sich halte; erst in seiner dritten Eingabe habe das Civilstandsamt Großwangen behauptet, der Pfarrer setze die Zeit der Bestattung vor sich aus fest; die früheren Zuschriften hätten bloß allgemein darüber geklagt, daß der Pfarrer um die c i v i l e Seite des Beerdigungswesens sich nicht mehr kümmere; sollten künftig Übelstände sich zeigen, so werde mit aller Energie gegen die Schuldigen eingeschritten werden.

Gegenüber diesen Ausführungen hat aber unser Justiz- und Polizeidepartement mit Nachdruck betont, daß der Art. 21 des eidgenössischen Civilstandsgesetzes auch für den Pfarrer von Großwangen bestehe, und daß die Erklärung dieses Pfarrers, ,,er bekümmere sich nicht mehr um die c i v i l e Seite des Beerdigungswesens11, haltlos sei und ihn in keiner Weise entschuldige: andererseits habe die Regierung
selbst in ihrem ersten Berichte auseinandergesetzt, daß in den Beschwerden des Civilstandsamtes Großvvangen ,,jeweilen auch gleichzeitig gegen das dortige Pfarrami Klage geführt worden sei, und zwar darüber, daß dasselbe die fraglichen Beerdigungen vorgenommen habe, bevor die Eintragung des Todes erfolgt und die Bestattungsbewilligung ausgestellt gewesen

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seia. Da solche sehr positive Anklagepunkte vorgelegen, wäre ein energischeres Einschreiten der betreffenden kantonalen Aufsichtsbehörde unbedingt angezeigt gewesen. Von der Zusicherung der Regierung, bei vorkommenden weiteren Übelständen mit aller Energie gegen die Schuldigen vorzugehen, haben wir entsprechenden Vormerk genommen.

12. Ein Bürger des Kantons Luzeru, der bei seiner im Jahre 1858 erfolgten Geburt die Vornamen X a v e r I g n a z erhalten hatte, jedoch immer E d u a r d genannt worden war und diesen letzteren Vornamen fortwährend geführt hatte, rekurrierte au den Bundesrat gegen einen Entscheid der Regierung des genannten Kantons, durch den sein Gesuch, es möchte den beiden im Geburtsregister eingetragenen Vornamen noch der Name Eduard beigefügt werden, abgewiesen wurde.

Wir haben jedoch den Entscheid der kantonalen Aufsichtsbehörde, gestützt auf die folgenden Erwägungen, gutgeheißen : a. Bis zum Inkrafttreten des eidgenössischen Civilstandsgesetzes sind im Kanton Ludern die Geburts-, Ehe- und Sterberegister gemäß den Vorschriften der §§ 28 ff. des luzernischen bürgerlichen Gesetzbuches, 1. Teil (vom Jahre 1832), von den Pfarrgeistlichen geführt worden. Seit dem 1. Januar 1876 sind diese Register an die bürgerliehen Behörden übergegangen und den Bestimmungen des vorerwähnten Bundesgesetzes unterstellt.

b. Nach Art. 11 dieses Gesetzes gelten die Civilstandsregister und die von den Civilstandsbeamten ausgestellten und als richtig beglaubigten Auszüge als öffentliche Urkunden, denen volle Beweiskraft zukommt, solange nicht der Nachweis der Fälschung oder der Unrichtigkeit der Anzeigen und Feststellungen, auf Grund deren die Eintragung stattgefunden hat, erbracht ist.

c. Laut dem Geburtsschein des Rekurrenten ist derselbe im Geburtsregister des Civilstandskreises Luzern unter den Vornamen X a v e r I g n a z eingetragen. Eine Fälschung oder Unrichtigkeit bei dieser Geburtsbeurkundung ist nicht nachgewiesen worden.

Eine solche wäre übrigens gemäß Art. 9, Abs. 2, des eidgenössischen Civilstandsgesetzes von dem zuständigen kantonalen Gerichte zu beurteilen.

d. Diesen Thatsachen gegenüber und ganz abgesehen von der durch die Regierung des Kantons Luzern auf vorliegenden Fall per analogiam angewendeten, das Verhältnis der Taufe zu dem Geburtsregister betreffenden Weisung des Bundesrates an die zürcherische Direktion des Innern vom 9. Oktober 1891 (Bundesbl. 1892, II, 514, Z. 8) fällt der Umstand außer Betracht, daß dem Rekurrenten

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nach der amtlichen Beurkundung seiner Geburt auf die Vornamen Xaver Ignaz noch der weitere Vorname Eduard beigelegt worden ist, sowie daß er diesen Namen bis auf den heutigen Tag als Rufnamen beibehalten hat und daß er unter demselben auch in verschiedenen staatlichen Kontrollen und sogar in seinem Heimatschein aufgeführt erscheint. Dieser Umstand kann insbesondere nicht dazu führen, dem Gesuche des Rekurrenten, es sei im Geburtsregister eine Vermehrung seiner Vornamen durch Beifügung des Namens Eduard anzuordnen, zu entsprechen. Eine solche naehträglicbe Vermehrung der eingetragenen Vornamen ist durch das eidgenössische Civilstandsgesetz (Art. 9 und 16) ebenso ausgeschlossen, w:.e überhaupt eine nachträglich (nach dem Geburtseintrag) erfolgende Beilegung der Vornamen.

13. Die Regierung des Kantons Zürich hatte das G e s u c h eines italienischen Deserteurs, es sei die V o r n a h m e der V e r k ü n d u n g der von ihm mit einer Schweizerin beabsichtigten Eheschließung in I t a l i e n im Sinne der Schlußabsäts;e der Artikel 31 und 37 des Bundesgesetzes über Civilstand und Ehe z u er la as e n , abschlägig beschieden, weil eine von ihr wegen Schriftenlosigkeit des Bräutigams verlangte K a u t i o n im B e t r a g e von 3000 Fr. nicht geleistet worden sei.

Gegen diesen Entscheid wurde unter folgender, summarisch wiedergesehener Begründung der Rekurs an den Bundesrat ergriffen : a. Es könne unerörtert bleiben, ob dem (italienischen) Bräuligam in diesem Fall ein Rekursrecht überhaupt zustehe; dasselbe komme jedenfalls der (schweizerischen) Braut zu, indem diese den Artikel 25 des eidgenössischen Civilstandsgesetzes für sich in Anspruch nehme, der ihr das Recht zur Ehe dahin garantiere, dfili ihr dasselbe weder aus kirchlichen oder ökonomischen Rücksichtea, noch wegen bisherigen Verhaltens oder aus anderen polizeilichen Gründen beschränkt werden dürfe.

b. Dieses Recht zur Ehe werde nun aber der Braut gerade aus ökonomischen und polizeilichen Gründen verkürtimert. Es sei daher klar, daß der betreuende Beschluß der Regierung von Zürich in Widerspruch zu genanntem Artikel 25 stehe.

c. Die Artikel 29--37 leg. cit. seien dem Artikel 25 subordiniert. Jedenfalls dürfen sie keine Schmälerung des in Artikel ÏÎ5 garantierten Rechtes zur Ehe bedeuten.

d. Die Voraussetzungen des Schlußsatzes des Artikels 29,
der zwei letzten Absätze des Artikels 31 und des letzten Absatzes des Artikels 37 leg. cit. seien übrigens im vorliegenden Falle voi-handen.

Sie seien erfüllt durch das italienische Gesetz selbst. Wenn im

b8 letzten Absatz von Artikel 31 des eidgenössischen Civilstandsgesetzes stehe: ,,Die Kantonsregierung ist e r m ä c h t i g t etc.", so könne dieses Wort ,,ermächtigt" mit Rücksicht auf Artikel 25 wohl müden Sinn haben, daß der Dispens in allen denjenigen Fällen erteilt werden s o l l e , in denen wirkliche gesetzliche Ehehindernisse nicht vorhanden seien, was hier zutreffe.

e. Ein Gesetz, das in, dem gegenwärtigen ähnlichen Fällen zur Auferlegung von Kautionen in der Höhe von 3000 Fr. oder in irgend einer anderen beliebigen Höhe berechtige, gebe es, soviel Rekurrent wisse, nicht. Sollte aber ein solches bestehen, so würde dasselbe gegen Artikel 25 des Civilstandsgesetzes verstoßen und daher wirkungslos sein. -- Zur Vernehmlassung über diesen Rekurs eingeladen, ließ uns die Regierung des Kantons Zürich vorläufig durch ihre Justiz- und Polizeidirektion mitteilen, daß sie auf dem Wege sei, dem Begehren des Rekurrenten ein gütliches Entgegenkommen zu bereiten. Ihre spätere, definitive Antwort ging sodann dahin : So aussichtslos es erscheinen müsse, für einen fremdländischen Deserteur die hiesige Ehebewilligung auf dem Rekurswege zu erzwingen, habe die Regierung doch durch die Verhältnisse des speciellen Falles sich bestimmen lassen, dem Gesuche zu entsprechen.

Bestimmend sei namentlich die Rücksicht gewesen, daß die Braut vom Bräutigam bereits zwei Kinder besitze, die sonst außerehelichen Standes und der Heimatgemeinde der Mutter zugehörig blieben.

Die Regierung habe demgemäß ihre Justizdirektion ermächtigt, die nachgesuchte Ehebewilligung ohne weiteres zu erteilen. -- Wenn wir nun auch infolgedessen in dieser Angelegenheit keinen Entscheid zu fällen hatten,.so haben wir es doch für angezeigt erachtet, ihrer hier zu erwähnen. Zu bemerken ist dabei folgendes : Insoweit es sich um die Verkündung in Italien (Artikel 29 unseres Civilstandsgesetzes) und einige andere, damit zusammenhängende Fragen handelte, wäre der Buudesrat zum Entscheide jedenfalls kompetent gewesen.

Was aber die in Art. 31, 5, und 37, 4, leg. cit. zum Zwecke der Erleichterung der Eheschließung von Ausländern aufgestellte Dispensationsbefugnis der Kantonsregierungen anbetrifft, so wäre der Bundesrat, seinem in dieser Hinsieht bisher eingenommenen Standpunkte getreu, auf eine Prüfung des ursprünglichen, negativen Entscheides der
Regierung von Zürich nicht eingetreten, da diese Dispensationsbefugnis vom Gesetze den Kantonsregierungen a u s s c h l i e ß l i c h eingeräumt ist und diesen dafür allerdings auch die Verantwortlichkeit auffällt.

Dagegen wäre es den Interessenten auf alle Fälle unbenommen geblieben, wegen der von ihnen behaupteten Verletzung des durch Artikel 54, l und 2, der Bundesverfassung unter den Schutz des Bundes gestellten Rechtes zur Ehe, gestützt auf Artikel 113, Ziff. 3, der Bundesverfassung und auf Artikel 59, litt, a, des Bundesgesetze über die Organisation der Bundesrechtspflege, den R e k u r s an das B u n d e s g e r i c h t zu ergreifen.

lé. In einem Specialfalle ist die Verkündung hei dem Ci vilStandsbeamten des Heimatortes der Braut nachgesucht und voa demselben ordnungsgemäß durchgeführt worden. Auf Wunsch der Brautleute erklärte sich der nämliche Beamte bereit, auch die Trauung vorzunehmen, sobald er hierzu von dem Civilstandsbeamten am Wohnsitze des Bräutigams gemäß Absatz 3 des Artikels 37 des Civilstandsgesetzes schriftlich ermächtigt sei. Die Brautleute wiesen ihm eine solche Ermächtigung vor und die Trauung fand statt. Zu spät merkte der amtierende Beamte, daß die fragliche T r a u e r m ä c h t i g u n g n i c h t a u f i h n , sondern a u f e i n e n a n d e r e n C i v i l s t a n d s b e a m t e n a u s g e s t e l l t w a r . In der Meinung, das begangene Versehen dadurch gutzumachen, veranlaßt er die betreffenden Eheleute, sich ein zweites Mal von demjenigen Civilstandsbeamten, auf den die Trauerniächtiguug in Wirklichkeit lautete, trauen zu lassen. Infolgedessen entstund die Frage, ob die erste oder die zweite Trauung gültig sei.

Da die Unzuständigkeit des trauenden Civilstandsbeamten an sieh nach unserem Eherechte kein Nichtigkeitsgrund ist (zu vergi.

B l u m e r - M o r e l , III. Aufl., I, 492, und B.G.E. VI, 282), »o hat unser Justiz- und Polizeidepartement entschieden, daß die erste Trauung maßgebend sei. -- Gestutzt auf diesen Entscheid und im Einverständnis mit dem genannten Departement hat sodann die kantonale Aufsichtsbehörde die nötigen Maßnahmen zur Verhütung von Komplikationen getroffen. -- Der fehlbare, sonst tüchtige Civilstandsbeamte wurde angemessen bestraft und selbstverständlich gemäß Artikel 58 des Civilstandsgesetzes für allfällige nachteilige Folgen seines Vorgehens verantwortlich erklärt. (K.-Nr. 1281.)

15. Die k. und k. österreichisch-ungarische Gesandtschaft legte uns in einem Specialfalle die Frage vor, wie von einem schweizerischen Civilstandsbeamten die T r
a u u n g e i n e s a u s e r s t u r Ehe g e s c h i e d e n e n r e f o r m i e r t e n S c h w e i z e r s m i t einer k a t h o l i s c h e n Ö s t e r r e i c h e r i n habe vorgenommen werden können, während doch die Verkündung dieser Ehe am Heimatorte der Braut von der kompetenten Bezirkshauptmannschaft mit der Begründung verweigert worden sei, daß nach österreichischem.

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Rechte Ehen von Katholiken mit getrennten akatholischen Gatten bei Lebzeiten des anderen Gatten ungültig seien.

Wir haben der Gesaudtschaft geantwortet, daß nach Art. 54 der schweizerischen Bundesverfassung das Recht zur Ehe unter dem Schutze des Bundes stehe und aus kirchlichen Rücksichten nicht beschränkt werden dürfe, sowie daß die Verkündung nach Art. 29 des eidgenössischen Civilstandsgesetzes in Fällen, wo sie im Auslande mit Berufung auf bestehende Landesgesetze als überflüssig oder unzulässig abgelehnt werde, durch eine diesbezügliche Bescheinigung ersetzt werden könne. Eine solche Bescheinigung habe hier vorgelegen in der die Vornahme der Verkündung abweisenden Zuschrift der betreffenden österreichischen Bezirkshauptmannschaft an den schweizerischen Civilstandsbeamten. (K.-Nr. 779.)

16. Die a u ß e r e h e l i c h e T o c h t e r e i n e r E n g l ä n d e r i n war im Jahre 1873 im Alter von 11 Monaten als Waise in die Schweiz gebracht und von einer mildthätigen Frau auferzogen wordeo. Die kantonalen Vormundschaftsbehörden hatten keinen Anlaß, mit diesem Kinde sich zu befassen. Dessen Aufenthalt war durch einen Paß legitimiert.

Als nun die in Rede stehende Tochter im Jahre 1892 mit einem Schweizerbürger sich verehelichen wollte, wurde uns die Frage vorgelegt, ob die Art. 27 und 30 b des eidgenössischen Civilstandsgesetzes nicht umgangen, d. h. ob von der in diesen Artikeln für Personen unter 20 Jahren zum Zwecke der Verehelichung vorgeschriebenen Z u s t i m m u n g s e r k l ä r u n g des V o r m u n d e s im Specialfalle, wo noch niemals ein solcher geamtet, nicht abgesehen werden könne. -- Wir haben jedoch geantwortet, daß der bestimmte Wortlaut der genannten Gesetzesartikel fordere, daß auch im vorliegenden Falle die Zustimmungserklärung des Vormundes, beziehungsweise der zuständigen Vormundschaftsbehörde beigebracht weide. Die Einsetzung dieser vormundsehaftlichen Behörde ad hoe habe uach dem Rechte des betreffenden Kantons zu erfolgen.

17. Ein b e r n i s c h e s B r a u t p a a r , d a s d u r c h den f r a n z ö s i s c h e n K o n s u l z u B a r r a n q u i l l a (Kolumbien) s i c h t r a u e n l a s s e n w o l l t e , stellte an die kantonale Aufsichtsbehörde über das Civilstandswesen das Gesuch um Verabfolgung einer amtlichen Erklärung darüber, daß die so geschlossene Ehe
in der Heimat als solche werde anerkannt werden.

Um Äußerung seiner bezüglichen Ansicht ersucht, hat unser Justiz- und Polizeidepartement in der Hauptsache folgendes geantwortet :

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Es erscheint -- zur Zeit wenigstens noch -- als richtig, daß in Kolumbien Ausländer, die nicht zum römisch-katholischen Glauben sich bekennen, bei ihrer Verehelichung auf bedeutende Schwierigkeiten stoßen, beziehungsweise hezüglich der Gültigkeit des Eheabschlnsses wegen der Unsicherheit des Bestandes der betreffenden Landesgesetze nicht genügend sichergestellt und deshalb genötigt sind, ihre Ehe, sei es durch den Konsul ihres Heimatlandes oder sei es durch den Konsul eines anderen Staates, unter dessen Schuta sie sich befinden, vollziehen zu lassen.

Nun hat bekanntlich die Schweiz in Kolumbien keine konsularischen Vertreter, denen gemäß Art. 13 des eidgenössischen Civilstandsgesetzes die Ermächtigung erteilt werden könnte, Ehen zwischen Schweizern oder zwischen Schweizern und Ausländern abzuschließen. Die dort dotniziiierten Schweizerbürger müssen deshalb behufs ihrer Verehelichung die Mitwirkung eines konsularischen oder diplomatischen Vertreters eines anderen Staates, unter dessen Schutz sie sich zu begeben haben, in Anspruch nehmen.

Ob nun, wie behauptet wird, alle Schweizer in Kolumbien unter dem Schutze des französischen Konsulates zu Barranquilla stehen oder nicht, ist für die vorwürfige Angelegenheit von geringer Bedeutung. Wichtiger ist, daß bezüglich der Kompetenz der französischen Konsuln zu Eheschließungen aus einem ausführlichen Berichte der schweizerischen Gesandtschaft in Paris vom 9. Oktober 1891 (1891, K.-Nr. 119) sich ergiebt, daß die diplomatischen und konsularischen Vertreter Frankreichs allerdings kompetent sind, Ehen zwischen französischen Staatsangehörigen unter sich abzuschließen (Art. 48 des Code civil). Dagegen ist durch ein Urteil des französischen Kassationshofes vom 10. August 1819 (in Sachen S o m a r i p a ) festgestellt, daß diese Vertreter zu Trauungen nicht befugt sind, wenn bloß der Bräutigam Franzose ist. Ebensowenig können sie Trauungen zwischen französischen Schutzbefohlenen und Angehörigen anderer Staaten vornehmen. Hieraus geht hervor, daß es fraglich ist, ob die genannten Beamten gültige Ehen abschließen können, wenn b e i d e Brautleute französische Schutzbefohlene sind. Nach der Ansieht des französischen Justizministeriums ist diese Frage zu v e r n e i n e n , und zwar gestützt auf den Wortlaut des Art. 48 des Code civil, der ausschließlich von Franzosen
spricht. Allerdings liegt, wenn von französischen Konsuln dennoch solche Ehen abgeschlossen werden, für die französischen Behörden kein Grund vor, von A m t s w e g e n einzuschreiten. Sie überlassen vielmehr eine allfällige Nichtigkeitsklage den Interessenten. Anfechtbar bleiben aber derartige Eheabscblüsse stets.

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Aus diesen Gründen kann den in Frage kommenden Brautleuten, sofern sie an ihrer Trauung durch den französischen Konsul in Barranquilla festhalten, das gewünschte Anerkennungszeugnis nicht ausgestellt werden. Dagegen sind dieselben darauf aufmerksam zu machen, daß seit Jahren zwischen der Schweiz und Deutschland ein Übereinkommen besteht, wonach in Ländern, in denen es keine allseitig geregelte Civilstandsbeurkundung giebt und die Schweiz keine konsularischen Vertreter hat, die deutschen konsularischen und diplomatischen Vertreter ermächtigt sind, den Civilstand von unter ihrem Schutze stehenden Schweizern zu beurkunden und deren Ehen zu trauen. Dies ist auch in Kolumbien der Fall, indem zur Zeit sowohl der deutsche Ministerresident in Bogota, als auch der deutsche Konsul in Barranquilla die fragliche Kompetenz besitzen. Wenn also die betreffenden Brautleute bezüglich der Gültigkeit ihrer Eheschließung in Barranquilla ganz sicher gehen wollen, so mögen sie sich unter den Schutt des dortigen deutschen Konsuls stellen und von diesem sich trauen lassen. (K.-Nr. 1275.)

18. Die b e r n i s c h e und n e u e n b u r g i s c h e K a n t o n s u n g e h ö r i g e M a r i e L o u i s e V., g e b o r e n e H., von Tramelandessus und la Sagne, seit dem 9. Juni 1872 Witwe des Jules V., gebar am 17. Februar 1875 zu B e s a n ç o n a u ß e r e h e l i c h ein K i n d , das in das dortige Geburtsregister i r r i g u n t e r dem F a m i l i e n n a m e n ,,H." s t a t t ,,V." ei n g e t r a g e n wurde. Auch hinsichtlieh des Civilstandes der Mutter erfolgte die Eintragung mangelhaft, da nicht erwähnt wurde, daß dieselbe damals die Witwe des Jules V. war.

üa nun die Gemeinde Tramelan-dessus das fragliche Kind unter dem im Geburtsregister zu Besançon eingetragenen Familiennamen nicht anerkennen wollte, sah sich die bernische Regierung genötigt, die Berichtigung des letzteren zu veranlassen. Die Einleitung des Berichtigungsverfahrens in Frankreich wäre aber mit großen Schwierigkeiten und Kosten verbunden gewesen. Die Regierung zog es daher vor, die betreffende Geburtsvormerkung im Register B zu Tramelan durch Urteil des in Sachen zusländigen Civilgerichtes von Courtelary berichtigen zu lassen, in der Voraussetzung, daß es dann eher möglich sein dürfte, für dieses vom hierseitigen Gerichte ausgegangene Erkenntnis in
Frankreich das Exequatur zu erlangen.

Wir haben in der That das am 25. Juli 1891 in Sachen ergangene Urteil des Civilgerichtes des Amtsbezirkes Courtelary zum Zwecke der Vormerknahme im Geburtsregister zu Besancon durch die schweizerische Gesandtschaft in Paris dem französischen Ministerium der auswärtigen Angelegenheiten zugeleitet. Dieses überwies jedoch die Angelegenheit dem Justizministerium, von dem sie

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an die Staatsanwaltschaft zu Besançon gelangte. Von letzterer wurde sodann das Gutachten und die. Weisung der Generalanwaltschaft eingeholt. -- Schließlich erfolgte (am 28. Januar 1892) ein n e u e s , förmliches Urteil des Civilgerichtes zu Besançon, das die in Rede stehende Eintragung im dortigen Geburtsregister dahin berichtigte, daß die Mutter des Kindes folgendermaßen angegeben wurde: ,,Marie Louise H., von Tramelan-dessus und la Sagne, Witwe des am 9. Juni 1872 verstorbenen Jules V.ct. Ein in der angegebenen Weise berichtigter Geburtsschein für das Kind ist uns vom französischen Departement des Auswärtigen durch Herrn Minister Lardy zu Händen der bernischen Behörden kostenfrei übermittelt worden. (Zu vergleichen sind übrigens die Ausführungen in früheren Geschäftsberichten, Bundesbl. 1880, II., 596, Ziff. 21 ; 1887, II., 663, Ziff. 14; 1889, II., 735, Ziff. 11; auch 1890, IL, 166, Ziff. 17 und 167, Ziff. 18 und 19; 1891, II., 550, Ziff. 10 b.)

19. Durch den Beschluß des Buodesrates vom 17. Mai 1892 (Bundesbl. 1892, III, 153) ist der E i n t r a g im T o t e n r e g i s t e r zu R o m a n s h o r n b e t r e f f e n d d i e a m 2 9 . A p r i l 1890 während der Überfahrt des bayerischen Dampfers ,, P r i n z reg e u t " v o n L i n d a u n a c h R o m a n s h o r n v e r u n g l ü c k t e r u s s i s c h e A n g ehö r ige Moll y M ü l l e r als g ü l t i g e r k l ä r t worden. Dieser Eintrag ist seinerzeit, erfolgt gestützt auf das vom Kapitän des in Rede stehenden Dampfers nach Vorschrift dos deutschen Personenstandsgesetzes über den Unglücksfall aufgenommene und gemäß Art. l der bezüglichen Übereinkunft zwischen der Schweiz und den übrigen Bodenseeuferstaaten vom 16. März 1880 (A. S. n. F. V., 26) dem Civilstandsamte Romanshorn übermittelte Protokoll. Er hat folgenden Wortlaut : ,,Den neuuundzwanzigsten April eintausend achthundert und neunzig, cirka um 5 Uhr 45 Minuten vormittags, ist während der Dienstfahrt des k. bayerischen Dampfbootes ,,Prinzregent" von Lindau nach Romanshorn das als Passagier mitfahrende und unmittelbar vor der Hafeneinfahrt zu Romanshorn noch gesehene Fräulein Mathylde Molly M ü l l e r , Tochter des Johann Georg Müller und der Mathilde geb. Ramler, Civilsland: ledig, von Riga (Rußland), wohnhaft in letzter Zeit in München, geboren den siebenten März eintausend
achthundert dreiundfünfzig, auf unerklärliche Weise verschwunden.

NB.

Diese Angabe wurde von der k. bayerischen Datnpfschiffahrtverwaltung, sowie von dem Bruder der Verschwundenen.

Waldemar Ludwig Müller aus Riga, gemacht."

Mit Zuschrift an den Bundesrat vom 26. Oktober 1892 beschwerte sich nun ein Bruder der Verunglückten darüber, daß ihm

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das Civilstandsamt Romanshorn statt des verlangten Todscheines bloß (allerdings auf einem Todscheinformular) eine mangelhafte Kopie der Eintragung im Totenregister verabfolgt habe, dahin lautend : ,,Fräulein Molly Müller sei am 29. April 1890 während der Dienstfahrt des k. bayerischen Dampf bootes ,,Prinzregent1* von Lindau nach Romanshorn unmittelbar vor der Hafeneinfahrt noch gesehen worden, aber auf unerklärliche Weise verschwunden.11 Nachdem wir die Vernehm lassung der kantonalen Aufsichtsbehörde, die das Vorgehen des Civilstandsamtes Romanshorn guthieß, eingeholt, haben wir folgendes in Erwägung gezogen : Der Bundesrat hat in seinem früheren Beschluß in dieser Angelegenheit (vom 17. Mai 1892) mit aller wünschbaren Deutlichkeit auseinandergesetzt, daß ihm, als der eidgenössischen Aufsichtsbehörde in Civilstandssachen, absolut keine Hindernisse bekannt seien, welche der durch die Übereinkunft zwischen den Bodenseeuferstaaten vom 16. März 1880 vorgeschriebenen und in der That auch erfolgten standesamtlichen Behandlung des von den kompetenten bayerischen Behörden vorschriftsmäßig gemeldeten Ci vilstaodsVorganges betreffend die Fräulein Molly Müller durch das Civilstandsamt Romanshorn entgegengestanden wären. Wenn dabei der Bundesrat in Ziffer 9 seiner damaligen Erwägungen es abgelehnt hat, diesen Todesfall ,,ohne die vom Civilstandsbeamten angebrachten Klauseln" in das Totenregister eintragen zu lassen, so geschah dies deshalb, weil dieser Eintrag von den schweizerischen Behörden so vorzunehmen war, wie er von den Behörden des Kontraktstaates Bayern, denen die Verantwortlichkeit für die Richtigkeit der Mitteilung auffällt, eingemeldet wurde, d. h. weil der Bundesrat nicht kompetent war, an dieser civilstandsamtlichen Mitteilung inhaltlieh etwas zu ändern.

Nachdem nun aber die erfolgte Eintragung der Thatsaehe, die der Fräulein Molly Müller am 29. April 1890 auf dem Bodensee das Leben gekostet, im Totenregister zu Romanshorn durch den Beschluß des Bundesrates vom 17. Mai 1892 gültig erklärt ist, treten selbstredend und logischerweise für die Form, in der an die Interessenten Auszüge über diese Beurkundung (sogenannte Totenscheine) zu verabfolgen sind, die einschlägigen Vorschriften des eidgenössischen Civilstandsgesetzes und des zugehörigen Réglementes in Kraft.

Nun enthält weder dieses Gesetz,
noch das betreffende Reglement eine Vorschrift, nach der in die Totenscheine a u c h die T o d e s u r s a c h e aufgenommen werden müßte. Im Gegenteil hat der Bundesrat bereits mit Kreissehreiben vom 3. März 1876 (Bundesbl.

1876, I., 514) die A u f n a h m e der T o d e s u r s a c h e in d i e s e A u s z ü g e g e r a d e z u v e r b o t e n (zu vergleichen die Instruktionen im ,,Handbuche für die schweizerischen Civilstandsbeamten", Seite

45 261--263; ebenso die Beispielsammlung im gleichen flHandbuchett, Nr. 41--51 und 90--95). -- Diesen Standpunkt hat der Bundesrat stets gewahrt. Er läßt es z. B. auch nicht zu, daß an Lebensversicherungsgesellschaften Totenscheine mit Angabe der Todesursache verabfolgt werden. Einzig und allein in die s t a t i s t i s c h e n Auszüge, die von den Civilstandsbeatnten gemäß Bundesbeschluß vom 17. September 1875 (Bundesbl. 1875, IV., 333) dem eidgenössischen statistischen Bureau einzusenden sind, ist die Todesursache aufzunehmen. (Zu vergleichen ist der Geschäftsbericht unseres Justiz- und Polizeidepartementes für das Jahr 1890, Abteilung Civilstand und Ehe, Ziff. 5, Bundesbl. 1891, II., 548.) Es haben deshalb im vorliegenden Falle die Interessenten mit vollem Rechte die Ausstellung eines gewöhnlichen, vorschriftsgemäßen Totenscheines ohne Angabe der Todesursache (hier also des Verschwindens vom Schiffe auf offener See) verlangt.

Gestützt auf vorstehende Erwägungen haben wir die kantonale Aufsichtsbehörde beauftragt, dafür zu sorgen, daß dem Rekurrenten ein förmlicher Totenschein betreffend Fräulein Molly Müller verabfolgt werde.

20. Die Vorschrift des A r t i k e l s 56 u n s e r e s C i v i l s t a n d s g e s e t z e s hat auch im Jahre 1892 zu zahlreichen Erörterungen Anlaß gegeben. Wir beschränken uns darauf, den folgenden, charakteristischen Fall kurz zu erwähnen : Im August 1876 wurde in e i n e r s c h w e i z e r i s c h e n Ortschaft ein Angehöriger des Großherzogtums Hessen mit einer W ü r t t e m b e r g e r i n getraut. Im Januar 1890 wurde diese Ehe von dem Amtsgerichte, in dessen Kreis die fragliche Ortschaft liegt, geschieden. Die geschiedene Frau ist seither in Stuttgart eine neue Ehe eingegangen. Der abgeschiedene Ehemann wünscht nun ebenfalls, sich wiederzuverheiraten. Die kantonale Aufsichtsbehörde hat ihm aber die Bewilligung hierzu für solange verweigert, bis er den Nachweis erbringe, daß das schweizerische Scheidungsurteil betreffend seine erste Ehe in seinem Heimatstaate die Vollstreckung erlangt habe. Um diesen Nachweis zu beschaffen, wurde die Vermittlung des Bundearates angerufen.

Da aber schweizerische Scheidungsurteile über Deutsche gemäß den bezüglichen Vorschriften des deutschen Civilprozesses in Deutschland zur Zeit nicht vollstreckt werden können und überdies die
in dieser Beziehung gepflogenen Vertragsunterhandlungen zwischen den schweizerischen und den deutschen Behörden an dem Widerstand der letzteren gescheitert sind (Bundesbl. 1883, II, 835; 1888, II, 774; 1892, II, 519), so haben wir diese Vermittlung abgelehnt.

46 Um nicht Mißdeutungen bezüglich dieses Falles zu rufen, fügen wir ergänzend bei, daß das Urteil, durch das die Scheidung der ersten Ehe ausgesprochen wurde, im Hinblick auf Artikel 56 unseres Civilstandsgesetzes von dem betreffenden schweizerischen Gerichte erlassen worden sein soll gestützt auf eine bezügliche, vom preußischen Justizministerium ausgestellte Anerkennungserklärung. Diese Urkunde ist leider nirgends mehr zu finden. Wenn dieselbe aber auch wirklieh vorgelegen hat, woran zu zweifeln kein Grund ist, so wird der Fall nur noch verwickelter: Denn wie kam das p r e u ß i s c h e Justizministerium dazu, eine Erklärung bezüglich der Anerkennung eines ausländischen Urteiles in Ehesachen eines Bürgers des Großherzogtums Hessen auszustellen, und was ist von der Gültigkeit eines Scheidungsurteiles zu halten, das ausgesprochen ist gestützt auf eine von einer inkompetenten Behörde ausgestellte Urkunde?

(K.-Nr. 1276.)

21. In unserem Berichte für das Jahr 1890 haben wir unter Nr. 27 des Abschnittes ,,Civilstand und Ehe" (Bundesbl. 1891, II, 557 ff.) den Beschluß mitgeteilt, den der Bundesrat am 19. Mai 1890 in Bezug auf die Berichtigung von zwei Geburtseintragungen im Civilstandsregister der Stadt L u z e r n gefaßt hat. Unsere Verfügung ging dahin, es sei bei den Geburtseintragungen Nr. 112 von 1861 und Nr. 92 von 1862 der Zustand wiederherzustellen, der bis zum 9. November 1883 bestanden hatte, d. h. es sei bei denselben der Name ,, C o r r a g i o n i d ' O r e 11 i" als Familienname wiederherzustellen (an Stelle des nach dem 9. November 188?

auf Grund einer Verfügung des Gemeindedepartements von jenem Tage, mit regierungsrätlicher Bestätigung vom 21. März 1889, ,,berichtigungsweise1* eingetragenen Namens ,,d'Orelli Corragionia).

Wir konnten noch in jenem Geschäftsberichte erwähnen, daß Herr Professor Dr. Meili im Namen der Familie von Orelli in Zürich dem Bundesrate mit Zuschrift vom 14. März 1891 eine Rechtsverwahrung einreichte, durch welche er dagegen protestierte, daß Herr Emanuel Corragioni d'Orelli in Luzern sich weiter der Sehreibweise ,,d'Orelli Corragioni'1 bediene, indem derselbe hierzu kein Recht habe. Diese Rechtsverwahrung wurde von uns zu Protokoll genommen. Im übrigen stellten wir es den Parteien anheim, allfällige weitere Rechtsansprüche in Bezug auf ihre Namensführung vor
den zuständigen Kantonsbehörden geltend zu machen.

Wie einer Mitteilung des Regierungsrates des Kantons Luzern an den Bundesrat vom 19. Dezember 1892 zu entnehmen ist, erhob Herr Fürsprech Dr. Vincenz Fischer in Luzern namens des Herrn Emanuel Corragioni d'Orelli gegen die vom Regierungsrat angeordnete Vollziehung des bundesrätlichen Entscheides vom 19. Mai 1890

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wiederholt Einsprache, unter dem 14. Oktober 1892 mit dem bestimmten Begehren, der Regierungsrat möge beschließen, daß unter Vorbehalt aller Rechte die Schreibweise Corragioni d'Orelli auf Erlasse beschränkt werden solle, die speciell das Civilstandsregister (Geburt, Ehe, Tod! betreffen.

Der 'luzernische Regierungsrat erkannte am 2. Dezember 1892, es sei auf die Begehren des Herrn Emanuel Corragioni d'Orelli nicht einzutreten. Er lehnte es dabei ausdrücklich ab, sich materiell mit der Namensführung ,,d'Orelli Corragioni" oder ,,Corragioni d'Orelli "· weiter zu beschäftigen. ,,Der Bundesrata, sagt die Kantonsregierung, ,,hat die Voraussetzungen, auf welche sich die Departementalverfügung vom 9. November 1883 und der Regierungsentscheid vom 21. März 1889 stützten, als unzutreffend erklärt, und es kann infolgedessen von einer weitern Verfolgung der Angelegenheit auf a d m i n i s t r a t i v e m Wege keine Rede mehr sein, vielmehr muß die Entscheidung der Frage dem C i v i l r i c h t e r überlassen werden."'

Herr Emanuel Corragioni d'Orelli hatte am 2. März 1891 vom Siatthalteramt Luzern die Ausstellung eines Reisepasses auf den Namen ,,Em. d'Orelli Corragioni tt zu erlangen gewußt. Der Oberbeliörde war der Vorgang unbekannt geblieben. Erst am 13. Oktober 1892 wurde das Gemeindedepartement davon unterrichtet.

Dasselbe ließ dem Statthalteramt sofort die Weisung zugehen, ein Gesuch des Herrn Em. Corragioni d'Orelli um Erneuerung seines auf den Namen d'Orelli Corragioni lautenden Passes abschlägig zu bescheiden.

Der Vertreter des Herrn Corragioni d'Orelli unterbreitete auch die Paßfrage dem Regierangsrat und dieser erledigte dieselbe ebenfalls durch seinen Entscheid vom 2. Dezember 1892. Der Regierungsrat stellte fest, daß auch bezüglich des Passes an der durch den bundesrätlichen Entscheid gegebenen Namensführung festgehalten werden müsse, solange nicht eine gegenteilige Interpretation dieses Entscheides durch den Bundesrat gegeben oder durch richterliches Urteil anders entschieden sei.

Von Herrn Prof. Dr. Meili, als Vertreter der Familie von Orelli in Zürich, war die Frage der Vollziehung des bundesrätliuhen Beschlusses vom 19. Mai 1890, insbesondere auch die Paßfrage, schon vor. dem 2. Dezember 1892 an unsere Instanz gezogen worden. Anderseits hatte Herr Dr. Vincenz Fischer als Vertreter des
Herrn Em. Corragioni d'Orelli beim Bundesrate die Bewilligung zur Einsicht der Akten nachgesucht.

Wir haben unterm 3. Januar 1893 dem Regierungsrate von Luzern unsere Befriedigung über seine Schlußnah me vom 2. De-

48 zember 1892 ausgesprochen, die wir als die logisch und staatsrechtlich notwendige Konsequenz des Bundesratsbeschlusses vom 19. Mai 1890 bezeichneten. Wir luden gleichzeitig den Regierungsrat ein, seine Schlußnahme allen kantonalen Amtsstellen, die in den Fall kommen können, in offiziellen Aktenstücken den Namen des Herrn Emanuel Corragioni d'Orelli oder eines seiner Nachkommen aufzunehmen, zur Nachachtung mitzuteilen, d. h. die kantonalen Amtsstellen dahin zu verständigen, daß staatlicherseits nur die Schreibweise ,,Corragioni d'Orelli"1 als richtig anerkannt werde, solange nicht durch rechtskräftigen Richterspruch eine Änderung der im Civilstandsregister enthaltenen Eintragung dieses Namens verfügt sei.

Wir fügten bei, der Bundesrat gewärtige, daß der unrichtigerweise auf den Namen ,,d'Orelli Corragioni" ausgestellte Reisepaß vom 2. März 1891 von der Regierung als nichtig erklärt werde, damit nicht aus diesem Aktenstücke in der Zukunft falsche Rechtsschlüsse gezogen werden, und bemerkten noch, daß wir die Legitimation eines schweizerischen Staatsangehörigen, der mit einem, auf einen andern als den civilstandsamtlich festgestellten Namen lautenden, Passe reist, gegenüber ausländischen Staaten nicht anerkennen könnten.

Der Inhalt unseres Schreibens an Luzern ist auch den Herren Prof. Dr. Meili in Zürich und Dr. V. Fischer in Luzern bekannt gegeben worden.

Mit Zuschrift vom 15./18. Februar 1893 übermittelte der luzernische Regierungsrat dem Bundesrate den Reisepaß des Herrn Corragioni d'Orelli, auf welchem das Departement des Gemeindewesens bereits die nötige Berichtigung am 22. Oktober 1892 angebracht hatte. ,,Indem wir Ihnen denselben übermitteln11, meint der Regierungsrat in seinem Begleitschreiben, ,,ist die Befürchtung einer mißbräuchlichen Verwendung wohl für jedermann ausgeschlossen."

Im weitem teilte der Regierungsrat mit, daß er das Statthalteramt Luzern von dem Kegierungsbesohlusse vom 2. Dezember 1892 noch besonders unterrichtet habe, so daß die Wiederholung eines ähnlichen Mißgriffes ausgeschlossen sei. Endlich bringt der Regieruugsrat zur Kenntnis, daß im luzernisehen Kantonsblatte eine ,,Bekanntmachung betreffend die Namensführung Corragioni d'Orelli" erscheinen werde, folgenden Inhaltes: ,,Den Amtsstellen des Kantons Luzern, welche in den Fall kommen können, in offiziellen
Aktenstücken den Namen des Herrn Emanuel Corragioni d'Orelli oder eines seiner Nachkommen aufzunehmen, wird unter Berufung auf den bezüglichen Bundesratsbeschluß vom 19. Mai 1890, sowie die hierseitige Schlußnahme vom

49 2. Dezember 1892 zur Nachachtung mitgeteilt, daß staatlicherseits nur die Schreibweise ,, C o r r a g i o n i d ' 0 r e l l i a als richtig anerkannt wird, solange nicht durch rechtskräftigen Richterspruch eine Änderung der im Civilstandsregister enthaltenen Eintragung dieses Namens verfügt ist."

Damit hat die luzernische Regierung unserer Einladung vom 3. Januar 1893 entsprochen, und es steht zu erwarten, daß diese Namensfrage die kantonalen und eidgenössischen Behörden nicht so bald wieder beschäftigen werde. Eine vollkommen beruhigende Gewißheit haben wir freilich nicht. -- IX. Handelsregister.

A. Allgemeines und Statistik.

1. Wie zu erwarten stand, ist die Gesamtzahl der Eintragungen gegenüber dem Vorjahre (16,308) wieder zurückgegangen. Immerhin beträgt sie beinahe das Doppelte des Durchschnittes der Jahre 1884 bis 1890 (6360), nämlich 11,447. Eine Zunahme gegen 1891 ist zu konstatieren bei den Änderungen, herrührend von der Anpassung der vor 1883 entstandenen gesetzwidrigen Firmen an die Vorschriften des Obligationenrechtes (vergi. Ziffer 4 hiernach).

Eingetragen wurden überhaupt: a. Im H a u p t r e g i s t e r (A): 3071 Einzelflrmen (1891: 6678; Durchschnitt von 1884^1890: 1941); 883 Kollektiv- und Kommanditgesellschaften (1891: 885; 1884

bis 1890: 521);

391 Aktiengesellschaften, Kommandit-AktiengeseUschaften und Genossenschaften (1891: 338; 1884--1890: 260); 99 Vereine (1891: 108; 1884--1890: 76); 85 Zweigniederlassungen (1891: 138; 1884--1890: 71); 1037 Bevollmächtigungen.

b . I m b e s o n d e r e n R e g i s t e r (B): 32 Personen (1891: 30; 1884--1890: 36).

Gelöscht wurden: a. Im H a u p t r e g i s t e r : 2822 Einzelßrmen (1891: 3955; 1884--1890: 1327), wovon 384 wegen Konkurses (1891: 258; 1884--1890ü: 239); Bnndesblatt. 45. Jahrg. Bd. II.

4

50

754 Kollektiv- und Kommanditgesellschaften (1891: 624; 1884 bis 1890: 433), wovon 44 wegen Konkurses (1891: 19; 1884--1890: 20); 79 Aktiengesellschaften, Kommandit-Aktiengesellschaften und Genossenschaften (1891: 58; 1884--1890: 52), wovon 7 wegen Konkurses (1891: 10; 1884--1890: 4); 8 Vereine (1891: 57; 1884--1890: 4); 71 Zweigniederlassungen (1891: 109; 1884--1890: 42), wovon l wegen Konkurses (1891: 4; 1884--1890: lì; 825 Bevollmächtigungen (1891: 710).

b. I m b e s o n d e r e n R e g - i s t e r : 177 Personen (1891: 713; 1884--1890: 79).

Veränderungen gelangten zur Eintragung: 775 betreffend Einzelfirmen (.1891: 378; 1884--1890: 80); 394 betreffend Kollektiv- und Kommanditgesellschaften (1891: 195; 1884--1890: 87); 194 betreffend Aktiengesellschaften, Kommandit-Aktiengesellschaften und Genossenschaften (1891: 149; 1884--Ï890: 190); 69 betreffend Vereine (1891: 72; 1884--1890: 22); 179 betreffend das Personal der Vorstände von Genossenschaften C1891: 182); 32 betreffend Zweigniederlassungen (1891:24; 1884--1890:10).

Auf 3i. Dezember Ì892 bleiben im Handelsregister eingetragen : a. Im H a u p t r e g i s t e r : 31,485 Einzelfirmen (gegen 31,043 im gleichen Zeitpunkte des Vorjahres und 24,023 auf 31. Dezember 1883); 4,672 Kollektiv-und Kommanditgesellschaften (1891: 4343; 1883: 3666); 3,546 Aktiengesellschaften, Kommandit-Aktiengesellschaften und Genossenschaften (1891: 3236; 1883: 1497); 782 Vereine (1891: 692; 1883: 134); 610 Zweigniederlassungen (1891: 596; 1883: 368).

b. Im b e s o n d e r e n R e g i s t e r : 1,004 Personen (1891: 1149; 1883: 2052).

Ausnahmsweise war im Jahre 1892 kein Bureau unbeschäftigt.

51

Die Gesamtsumme der für die Eintragungen bezogenen Gebühren beträgt Fr. 57,187. 50, woran der Bund mit einem Fünftel, Fr. 11,437. 50, participiert.

Über die Verteilung der oben genannten Ziffern auf die einzelnen Kantone geben die beiden angefügten Tabellen Aufschluß.

2. In der O r g a n i s a t i o n des Handelsregisterwesens ist nichts geändert worden. Es bestehen nach wie vor 99 Bureaux mit den im ,,Handbuch für die Schweizerischen Handelsregisterführer" genannten kantonalen Aulsichtsbehörden.

3. Wie wir in unserem letzten Berichte bereits in Aussicht gestellt (Ziffer VII, 4 i. f.), ist die französische Übersetzung des sub Ziff. 2 hiervor genannten Werkes, in vorzüglicher Weise besorgt durch Herrn Dr. Henri Le Fort, Advokat, in Genf, Ende 1892 im Buchhandel erschienen. Der Verkaufspreis der französischen Ausgabe ist gleich dem der deutschen, Fr. 8. --.

e. Mit dem 31. Dezember 1892 ging die zehnjährige Frist zu Ende, welche durch Art. 902 des Bundesgesetzes über das Obligationenrecht den Inhabern der am I.Januar 1883 bereits bestehenden, dem genannten Gesetze widersprechenden Firmen gestattet war, um dieselben abzuändern und mit den Vorschriften über die Firmenbildung in Einklang zu bringen.

Nachdem die betreffenden Firmen schon im Laufe des Jahres durch die Registerführer, teils auf Veranlassung der kantonalen Aufsichtsbehörden, teils erst auf solche des Schweizerischen Handelsregister-Bureaus, zur Anpassung an das Gesetz eingeladen worden waren, erließ die Centralstelle im Dezember noch ein direktes Cirkular an alle diejenigen, welche damals mit der Änderung noch im Rückstand waren.

Die meisten dieser Firmen waren dann am 1. Januar 1893 entweder bereits geändert oder deren Änderung wenigstens zum Handelsregister angemeldet.

Die Erledigung der wenigen Rückstände und Renitenzen fällt in das Jahr 1893.

B. Specielles.

5. Die Zahl der R e k u r s e hat gegenüber früheren Jahren eine bedeutende Vermehrung erfahren. Während bisher die höchste Zahl der in einem Jahre anhängig gemachten 12 betrug (1891), wurden im Berichtsjahre deren 17 erledigt. Davon waren 4 noch im Dezember 1891 eingereicht worden.

Zu Seite 51.

i Zürich Bern Luzern Uri

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Schwyz . . . .

Nidwaiden . .

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Appenzell I.-Rh.

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Tessin Waadt . . .

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Total 1892 Total 1891 ,, 1890 ,, 1889 ,, 1888 ,, 1887 ,, 1886 ,, 1885 ,, 1884 ,, 1883

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Taxierte öschunge

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8

Kantone.

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343 207 77 20 60 17 7 17 55 154 37 95 29 61 39 54 605 78 64 56 236 376 9 110 265

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316 122 35 6 3 6 6 15 4 40 11 36 4 34 30 1 28 27 36 29 75 215 6 80 140

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(384) 1,317

6,678 2,184 (258) 1,771 2,453 504 (201) 1,105 1,866 423 (219) 1,105 1,743 343 (212) 1,016 1,891 356 (256) 1,182 2,101 335 (256) 873 1,661 294 (256) 834 1,874 236 (276) 686 122 24,469 ?

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290 195 230 143 105 269 347 96 88 258 83 138 167 87 157 88 45 1,008

34 33 42 23 32 24 17 18 368

14

20 9 10 4 8 7 8 150

31 IG 11 18 23 14 12 9 6

883

236 (44) 518

391

245 112 116 108 113 97 97 86 75

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Gebührenfreie Löschungen.

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379 352 330 325 320 325 332 319 331

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Taxierte Löschungen.

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(19) (19) (14) (13) (25) (16) (30) (22) ?

Eintragungen.

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165 107 31 5 13 3 2 11 12 19 17 56 5 11 11 3 65 24 36 20 44 79 10 56 78

378 885 139 620 545 105 511 105 63 47e 502 68 42 480 512 39 2 3,872

Aktiengesellschaften, Kommanditaktiengesellschaften und Genossenschaften.

16

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Vereine.

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Bevollmächtigungen.

Änderungen.

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Einzelfirmen.

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39 43 23 22 54 29 32 17 5

108 93 57 67 88 65 93 71 134

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Arunerlrangs Die Zahlen in Klammern beziehen sich auf die bei den gebührenfreien Löschungen inbegriffenen Konkurse.

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Filialen.

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TUngen in 1 svorständen. |

Handelsregister-Eintragungen im Jahre 1892.

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24 20 19 12 7 4 4 6 2

30 14 25 31 37 34 58 82 2097

(4) 58 (1) 37

14 19 34 33 19 23 ? 4

(2) (2) (2) (1) (2)

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36

Gebührenanteil des Bundes.

Fr.

Rp.

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87

88

1,831 1,585 395 54 109 31 28 111 179 475 186 608 90 196 123 69 1,080 235 368 243 460 1,265 98 496 1,114

70 50 40 20 20 20 70 60 40 20

-- 177

1,976 1,446 423 46 109 37 33 151 142 457 209 568 95 216 143 70 1,088 274 403 262 531 1,220 58 567 1,253

(436) 11,777

Il,é37

50

713 90 34 186 92.

42 17 40 45

(291) (224) (235) (234) (290) (277) (294) (300) ?

15,056 8,269 7,018 7,118 7,398 6,379 5,667 5,647 49,385

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16,308 7,736 6,599 6,618 6,664 6,181 5,399 5,323 36,526

-- 30 40 80 40 -- 30 50 10 70 -- -- 50 30 10

-- 50 70 ~

02 Auf die Kantone verteilen sie sich folgendermaßen : Schwyz 9, St. Gallen und Aargau je 3, Zürich 2.

Sieben Rekurse wurden gegenstandslos, indem die betreffenden kantonalen Behörden auf ihre Schlußnahmen zurückkamen und dem Begehren der Rekurrenten entsprachen ; einer wurde vor dem Entscheide zurückgezogen.

Von den übrigen neun wurden zwei durch Nichteintreten und zwei durch Abweisung erledigt ; fünf wurden als begründet erklärt.

Die meisten dieser Rekurse betrafen die Eintragspflicht. Soweit sie von allgemeinem Interesse waren, sind sie im Handelsamtsblatt und im Bundesblatt publiziert worden (Schweizerisches Handelsamtsblatt 1892, Nr. 112, S. 448, Nr. 188, S. 758, und Nr. 192, S. 773; Bundesblatt 1892, TI, 935, und IV, 336 und 337).

X. Staatsrechtliche Rekurspraxis.

1. Statistik.

Im Jahre 1892 waren mit Einrechnung der aus dem Vorjahe anhängig gebliebenen Fälle 172 Rekurse (1891: 254; 1890: 148) zu behandeln, von welchen 162 ihre Erledigung fanden und 11 als unerledigt auf das Jahr 1893 übertragen wurdea.

In 126 Rekurse (1891: 81 ; 1890: 64) traten wir materiell nicht ein, teils weil ausschließlich die kantonalen Behörden oder das Bundesgericht für den Entscheid kompetent waren, teils weil da, wo unsere Kompetenz materiell wirklich begründet gewesen wäre, die kantonalen Instanzen noch nicht erschöpft waren.

Die übrigen 36 Rekurse (1891: 165 [mit Einschluß der Tessiner Stimmrechtsrekurse] ; 1890: 74) betrafen dem Gegenstande nach : 24 Beeinträchtigung der Handels- und Gewerbefreiheit; 5 Verweigerung oder Entzug der Niederlassung ; 1 Rückhaltung von Ausweisschriften durch die Behörde am letzten Wohnort; 4 Stimmrecht und Wahlen; 2 Beeinträchtigung der Glaubens- und Gewissensfreiheit.

9 Rekurse wurden begründet erklärt und 26 abgewiesen. Ein Hausierrekurs wurde teilweise begründet erklärt und teilweise abgewiesen.

Die Bundesversammlung hatte sich im Jahre 1892 mit 12 Beschwerden und Rekursen gegen Entscheide aus dem Geschäftskreise des Justiz- und.Polizeidepartements zu befassen (1891: 12; 1890: 7).

Zu Seite 51.

Bestand der

Total am 31. Dezember 1892

31,485

4672

Total am 31. Dezember 1883

24,023

3G66

. .

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. . . .

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. . . .

. . . .

409 836

108 2 20 6 7 26 17 222 97 83 29 37 45 6 133 43 1 22 53 36 794 25 171 219

Vereine.

35 133 31 1 2 1 4 5 56 15 17 10 6 3

Besonderes Register.

575 167 15 69 29 19 96 27 84 104 288 33 54 71 3 326 200 249 109 179 524 73 319 419

640

Zweigniederlassungen.

3,367 3,869 1,313 51 433 121 136 611 188 1,131 546 965 234 564 585 65 1,966 1,073 1,103 820 1,564 5,1 79 342 1,859 3,400

Zürich Bern Luzern Uri Schvvyz . .

Nidwaiden Obvvalden Glarus Zug Freiburg Solothurn .

Basel-Stadt .

Basel-La,nd Schaffhüuseü .

1 Appetiteli A -Rh i Appenxell I.-Kh ! S t Gallen . .

Graubündeu . .

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Thuro'Qu Tessin .

.

Waadt.

Wallis .

Neueuburg Genf

Aktiengesellschaften, Kommanditaktiengesellschaften und Genossenschaften.

Kantone.

Kollektiv- und Kommanditgesellschaften.

Einzelürmen.

am 31. Dezember 1892 im Handelsregister eingetragenen Einzelfirmen, Handelsgesellschaften, Vereine und nicht handeltreibenden Personen.

65

125

89 23 1

375 208

3 2 2 3

Total.

i 2 2 -- 9, 43 101

4,641 5,877 1,850 70 527 160 167 740 239 1 556 872 1,379 311 662 714 76 2,541 1,376 1,517 1,025 1.860 6 767 464 2,485 4 223

8 190

18 1) 2(i 4 J 5 2 75 40 17 40 25 B*

5 65 124

6 39 515

3546

782

610

1004 · 42,009

1497

134

368

2052 , 31,740

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53 In 6 Fällen hat sie unsern Entscheid bestätigt; in einem Falle wurde, gemäß unserm Antrag, Nichteintreten beschlossen. 4 Rekurse wurden zurückgezogen; 2 andere waren am Ende des Jahres noch pendent.

2. Rekursgegenstände.

a. Handels- und Gewerbefreiheit.

aa. Statistik.

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Wirtschaftswesen .

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bb. Einzelne Rekursfälle.

i. Wirtschaftswesen.

1. In dem von uns am 13. September 1889 genehmigten Berichte des Justiz- und Polizeidepartements über die Kompetenz des Bundesrates zur Behandlung von Wirtschaftsrekurssachen (Bundesbl. 1891, I, 145 ff.) ist der Satz enthalten, daß eine Wirtschaftsbewilligung seit der am 22. Dezember 1885 in Kraft getretenen Revision des Artikel 31 der Bundesverfassung, sei es wegen mangelnden Bedürfnisses, sei es aus .andern Gründen des öffentlichen Wohles, nur gestützt auf die Bestimmungen eines kantonalen Gesetzes verweigert werden dürfe.

Wir waren auch im Berichtsjahre im Falle, diesen Standpunkt geltend zu machen. So z. B. durch Schlußnahme vom 8. März 1892 in der Rekurssache des Hermann H a u r y , Tuchhändler und Schneidermeister in Reinach, Kanton A a r g a u , betreffend die vom aar-

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gauischen Regierungsrate am 31. Oktober 1891 ausgesprochene Wirtschaftspatentverweigerung. Die Erwägungen zu unserer Schlußnahme finden sich in extenso abgedruckt im Bundesblatt 1892, I, 906 ff.

Auch die Regierung des Kantons G e n f mußten wir in einem Falle aufmerksam machen, daß eine gesetzliche Bestimmung, wie sie Art. 31, litt, c, der Bundesverfassung nach der Revision von 1885 zur Beschränkung der Zahl der Wirtschaften verlangt, von den dortigen Behörden nicht angeführt werden konnte und sich in der That auch im Genfer Wirtschaftsgesetze vom 4. Juni 1887 nicht findet.

2. Dagegen hat u. a. der Kanton St. G a l l e n in verfassungsrechtlich unanfechtbarer Weise von der durch Art. 31, litt, c, der Bundesverfassung den Kantonen eingeräumten Befugnis Gebrauch gemacht, indem er in Artikel 5 seines Wirtschaftsgesetzes vom 22. November 1888 eine Bestimmung folgenden Inhaltes aufnahm: ,,Wenn an einem Orte die Zahl der Wirtschaften derart zunimmt, daß das öffentliche Wohl dadurch gefährdet erscheint, so kann der Regierungsrat, auf Antrag des betreffenden Gemeinderates und sachbezügliches Gutachten des Bezirksamtes, die Erteilung neuer Wirtschaftspatente bis auf weiteres verweigern."

In drei Rekursfällen haben wir Schlußnahmen der Regierung des Kantons St. Gallen, die sich auf diese Gesetzesstelle stützten, geschützt, indem wir fanden, daß die thatsächlichen Verhältnisse die Anwendung derselben rechtfertigten und daß kein im Bundesrechte wurzelndes Motiv, wie etwa ungleiche Behandlung der Bürger vor dem Gesetze, vorliege, aus welchem dem Regierungsbeschlusse die rechtliche Gültigkeit und Wirksamkeit aberkannt werden könnte (Bundesratsbeschlüsse vom 8. Mai 1892 in Sachen Meier-Seglias in St. Fiden, vom 29. November 1892 in Sachen Gehrig in Degei-sheim, vom 5. Dezember 1892 in Sachen Schlegel-Saxer in Altstätten).

3. Wie in frühern Jahren unterstützten wir auch im Berichtsjahre, soweit es unter Wahrung der maßgebenden Rechtsgrundsätze möglich war, die Bemühungen der kantonalen Behörden, durch Aufstellung strenger Anforderungen in Bezug auf die persönlichen Eigenschaften der Patentbewerber und durch Handhabung einer strengen Kontrolle in Hinsicht auf die Führung der Wirtschaften das Wirtschaftswesen einzudämmen.

Belege hierfür sind unsere Beschlüsse vom 16. Januar 1892 in Sachen Käslin in Stansstad (Nid w a l d en"), vom 22. März in Sachen Maigre in G e n f , vom 1. April in Sachen Marfort in G e n t ' ,

55 vom 19. Mai in Sachen Koller in Herisau (Ap p e n z o l i A.-Rh.), vom 9. Juli in Sachen Portmann in Escholzmatt (Lu z er n), vom 28. Oktober in Sachen Falletto in G e n f , vom 30. Dezember 1892 in Sachen Krummenacher in Samen (0 b w a l d e n) (vergi, auch Bundesbl. 1892, I, 654; II, 926; IV, 16; V, 551).

Sie haben in den vor Ihre Instanz gezogenen Rekursfallen Marfórt, Koller und Falletto unsere Beschlüsse bestätigt.

4. Besonders zu erwähnen ist unser Beschluß vom 28. Juni 1892 in der Kekurssache des J. G a u t s c h i , Geschäftsagent in Reinach ( A a r g a u ) -- man sehe die Erwägungen im Buudesbl. 1892, IV, 44 -- deswegen, weil wir durch denselben anerkannt haben, daß die Kantone befugt sind, den Grundsatz aufzustellen, daß einer und derselben Person nicht zwei oder mehrere Wirtschaftspatente gewährt werden.

5. In unserem Entscheide vom 24. Dezember 1892 über den Rekurs des Oskar W a l t i , Metzger in Staffelbach, Kanton A a r g a u , lag ein dem unter Ziff. 4 erwähnten ähnliches Sach Verhältnis vor. Der Rekurrent besaß ein Wirtschaftspatent, das er einfach auf sein neuerworbenes Haus hätte übertragen lassen können ; er hat aber vorgezogen, beim Verkauf seines alten Hauses das Wirtschaftspatent gegen entsprechend höhern Kaufpreis mit zu veräußern, und will nun die ökonomischen Vorteile des Wirtschaftsrechtes noch einmal sich zu gute kommen lassen, indem er auch für sein neues Haus um eine Wirtschaftsbewilligung sich bewirbt.

'Der Regierungsrat befürchtete, daß der Rekurrent dieses Spekulationsgeschäft auch ferner auszuführen versuchen würde, wenn ihm nicht durch Patentverweigerung Halt geboten werde.

Zu dieser Befürchtung hat der Rekurrent der aargauischen Regierung durch sein eigenes Vorgehen Veranlassung gegeben. Er hat es daher nur sich selbst zuzuschreiben, wenn die Kantonsbehörde aus seiner Handlungsweise rechtliche Konsequenzen zieht, gegen welche die Bundesbehörde vom Standpunkte des Bundesrechtes aus nichts zu bemerken hat, weil der Begriff der Gewerbefreiheit im Gebiete des Wirtschafts weseu s nicht die Befugnis in sich schließt, die staatliche Bewilligung zur Ausübung dieses Gewerbes zu einem Gegenstand der Handelsspekulation zu machen.

6. Das f r e i b u r g i s c h e Wirtschaftsgesetz vom 28. September 1888 enthält in Artikel 2, litt, f, die Bestimmung, daß eine Gesellschaft (Cercle), welche ihren Mitgliedern Speisen und Getränke verabfolgen will, zu diesem Zwecke ein Wirtschaftspatent sich verschaffen müsse.

56 Artikel 12 desselben Gesetzes setzt fest, daß das Patent jeder Gesellschaft ausgestellt werden kann, die mindestens 20 in dem Friedensgerichtskreis ihres Sitzes niedergelassene Aktivbürger zählt und deren Statuten vom Staatsrate genehmigt sind.

Artikel 7 des staatsrätlichen Vollziehungsdekretes vom 29. Mai 1889 verlangt, daß den Mitgliedern der Gesellschaft zwei Lokale zur Verfügung stehen; Artikel 27 besagt, daß diese Cercles nach ihren eigenen Statuten geleitet werden, und beschränkt sich darauf, über den Besuch von Nichtmitgliedern und über die Zahl der zu haltenden Zeitungen Vorschriften aufzustellen.

Der Bundesrat hat in den Jahren 1890, 1891 und 1892 Rekursfälle zu beurteilen gehabt, wo der Staatsrat des Kautons Freiburg solchen Gesellschaften die Wirtschaftsbewilligung verweigerte.

Der Fall aus dem Jahre 1890 betraf den Cercle agricole in Treyvaux, der aus dem Jahre 1891 den Cercle agricole et indépendant von Onnens, derjenige aus dem Jahre 1892 den Cercle agricole von Ursy.

Der bundesrätliche Entscheid im erstem Falle ist in extenso veröffentlicht worden im Bundesbl. 1890, IV, 73 ff.

Die Regierung des Kantons Freiburg ging bei der Rekursbeantwortung in diesen Fällen von dem Standpunkte aus, daß es sich um ein Privilegium handle, von dessen Aufstellung das Gesetz hätte Umgang nehmen können, das nur von einzelnen Bürgern erworben werde und bei welchem das öffentliche Wohl überhaupt nicht in Frage komme.

Aus diesen Vordersätzen zog die Freiburger Regierung den Schluß, daß dem Bundesrate die Kompetenz nicht zustehe, Rekurse solcher Cercles unter dem Gesichtspunkte des Art. 31 der Bundesverfassung zu entscheiden.

Wir konnten eine solche Schlußfolgerung nicht als richtig anerkennen und fanden gegenteils, daß der Grundsatz des Art. 31 auch in diesen Fällen wirksam sein müsse und daß es der Regierung von Freiburg bundesrechtlich nicht verstattet sei, nach Gutfinden das Wirtschaftsrecht den einen Cercles einzuräumen, den anderen zu versagen, um so weniger, als solche Konzessionen hauptsächlich an Gesellschaften erteilt zu werden pflegten, die aus Anhängern einer und derselben politischen Partei bestehen und ihre Gründung einem politischen Zwecke verdanken, indem die Cercles im Kanton Freiburg gewöhnlich den Mittelpunkt für die Vereinigung, die Thätigkeit und Propaganda der politischen Parteien bilden.

Wir haben diese Erwägungen auch im neuesten einschlägigen Rekursfalle, demjenigen des Cercle agricole von Ursy, für zutreffend

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erachtet und daher, vom Standpunkte der Gleichberechtigung der Bürger in Ansehung der Wohlthat der Handels- und Gewerbefreiheit aus, durch Beschluß vorn 19. -Dezember 1892 die Begründetheit des Rekurses anerkannt.

2. Ein unbedingtes, allgemeines Verbot des Verkaufs von Prämienanleihenslosen widerstreitet dem Art. 3i der Bundesverfassung.

7. Im Kanton S c h w y z besteht seit dem 22. März 1870 eine Gesetzesvorschrift, wonach die Lotterien und Hazardspiele, das Kollektieren für solche Anstalten, sowie die öffentlichen Ankündigungen derselben in Zeitungen u. s. w. verboten sind. Der Verkauf von Originallosen aus Staatsanleihen, welche mit Lotterien verbunden sind, sowie die öffentliche Ankündigung derselben bedürfen der Bewilligung des Regierungsrates. Durch Beschluß des Kantonsrates vom 1. Dezember 1891 wurde der Regierungsrat von Schwyz eingeladen, das erwähnte Verbot strengstens zu vollziehen und Bewilligungen für Verlosungen zu gunsten wohlthätiger Anstalten nur in wirklich gerechtfertigten Fällen zu erteilen.

Die Regierung gab dieser Einladung sofort Folge; sie faßte unterm 29. Dezember 1891 und 5. Januar 1892 einschlagende Beschlüsse, zufolge derer an keinerlei außerkantonale oder ausländische Unternehmen irgendwelcher Art, welche Lose von Warenoder Geldlotterien ausgeben, Bewilligungen zu Verkauf, Vertrieb und öffentlicher Ankündigung im Kanton Schwyz mehr erteilt werden sollen.

A l o i s B e r n h a r d , Inhaber eines Bankgeschäfts in Zürich, der bei der Regierung des Kantons Schwyz um die Bewilligung zum Verkauf schweizerischer Anleihenslose im Gebiete des Kantons eingekommen war, ergriff gegen den abschlägigen Regierungsbescheid den staatsrechtlichen Rekurs an den Bundesrat wegen Verletzung des Grundsatzes der Handels- und Gewerbefreiheit.

Der Bundesrat hat in sehr einläßlichen Erwägungen anerkannt, daß der Handel mit Prämienwerten zur Fernhaltung von Mißbräuchen ohne Beeinträchtigung des Grundsatzes der Handels- und Gewerbefreiheit beschränkt werden kann, dagegen gefunden, daß ein absolutes Verbot des Verkaufs von Anleihenslosen, wie es in der Verfügung der Regierung von Schwyz vom 29. Dezember 1891 ausgesprochen ist, über die erlaubten Schranken hinausgeht und dem Art. 31 der Bundesverfassung zuwiderläuft.

Die Bundesrekursbehörde stellte hinwieder ausdrücklich fest, daß der schwyzerische Gesetzgeber mit seinem Erlasse vom 22. März 1870 und der schwyzerische Regierungsrat, wenn er die Bewilligung

58 zum Verkauf von Anleihenslosen wegen ungenügender Garantien gegen Ausbeutung des Publikums verweigert, auf durchaus verfassungsmäßiger Grundlage sich befinden.

Unser Entscheid ist in extenso abgedruckt zu finden im Bundesblatt 1892, HI, 915 ff.

3. Hausier verkehr.

8. Durch zwei Rekursentscheidungen hat der Bundesrat im Berichtsjahre seine staatsrechtliche, auf Art. 31 der Bundesverfassung gegründete Praxis in der Beurteilung der Beschwerden von Handelsreisenden gegen kantonalbehördliche Unterstellung derselben unter die Vorschriften über den Hausierhandel abgeschlossen. Seit dem 1. Januar 1893 wird dieser Gegenstand durch das Bundesgesetz vom 24. Juni 1892, betreffend die Patenttaxen der Handelsreisenden, geregelt, und bezügliche Beschwerden beschlagen nun die Anwendung dieses Gesetzes, dessen Vollziehung der Bundesrat zu leiten hat. Was wir über die beiden Rekursfälle sagen, hat demnach nur noch die einem Rückblicke zukommende Bedeutung.

a. Die erste Entscheidung betrifft den Rekurs des C h a r l e s K r eu t z, Gerber und Lederhändler in O r b e , Kanton Waadt, gegen ein Strafurteil des Bezirksgerichts S c h w y z vom 25. April 1891.

Der Reisende des Rekurrenten hatte am 27. Juli 1890 in Brunnen bei vier Schuhmachern Bestellungen auf Lederartikel entgegengenommen, ohne ein schwyzerisches Hausierpatent zu besitzen. Nach der schwyzerischen Verordnung über den Markt- und Hausierverkehr und die Erteilung von Patenten, vom 27. Juli 1887, fällt unter den Begriff des Hausierverkehrs auch ,,das Aufsuchen von Bestellungen bei Privaten (Nichtgewerbegenossen")a. Und unter ,,Privaten"1 versteht die kantonale Verordnung alle Personen, welche nicht berufsmäßig mit dem betreffenden Artikel H a n d e l t r e i b e n . Ausdrücklich bezeichnet sie als Nichtgewerbegenossen ,,die Handwerksund Gewerbsleute, welche zwar den betreffenden Handelsartikel bei ihren Arbeiten verbrauchen, für den Wiederverkauf desselben in natura aber kein Verkaufsmagazin oder Waarenlager haltena.

Mit dieser Begriffsbestimmung stand Schwyz in der Schweiz einzig da. Alle andern Kantone betrachteten als Gewerbegenossen eines Handelsgeschäftes diejenigen, die den Artikel, unverändert oder verarbeitet, berufsmäßig wiederverkaufen oder ihn in ihrem Gewerbe verwenden.

Der Bundesrat hatte wiederholt in Rekursentscheidungen dem Kanton Schwyz das Zugeständnis gemacht, daß er mit den erwähnten Bestimmungen seiner Verordnung nicht über das den

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Kantonen vorbehaltene Rechtsgebiet hinausgegangen sei. Der Fall Kreutz, in Verbindung mit einer Reihe gleichartiger neuerlicher Fälle, hat uns veranlaßt, das Zugeständnis zurückzunehmen, von der Überzeugung geleitet, daß die schwyzerische Praxis sich in That und Wahrheit mit dem Grundsatze der Handels- und Gewerbefreiheit nicht vereinbaren lasse und in konsequenter Fortbildung zu Folgerungen führen müßte, die für den Handel unerträglich wären.

In diesem Sinne erkannte der Bundesrat in dem zwischen dem Reisenden des Rekurrenten und den Schuhmachern zu Brunnen vereinbarten Kaufgeschäfte den Geschäftsbetrieb von Gewerbsleuten, die zur Ausübung ihres Gewerbes aufeinander angewiesen und daher Gewerbegenossen sind.

Unser Entscheid vom 15. Juni 1892 lautete daher auf Begründetheit des Rekurses ; er ist in extenso erschienen im Bundesbl. 1892, II, 924 ff.

Wie Sie wissen, hat das Bundesgesetz vom 24. Juni 1892 über die Patenttaxen der Handelsreisenden in allseitigem Einverständnis den Begriff der Geschäftsleute, Gewerbsleute, ebenfalls dahin festgestellt, daß dieselben ,,Handelsartikel wiederverkaufen oder in ihrem Gewerbe verwenden'1.

b. Die zweite Entscheidung betrifft den Rekurs des Geschäftsreisenden E d m u n d W i e s e n d a n g e r von Wiesendangen, Kauton Zürich, gegen ein Urteil der Rekurskommission des Obergerichts des Kantons T h u r g a u vom 18. Mai 1892, betreffend Übertretung des thurgauischen Hausiergesetzes vom 11. April 1880 (§ 6, Ziff. 2).

Der Rekurrent hatte den Schneidermeister Sauter in Dietingen zur Bestellung einer Nähmaschine aus dem Geschäfte der Compagnie Singer in Winterthur zu veranlassen gesucht, ohne ein thurgauisches Hausierpatent zu besitzen. Nach § 6, Ziff. 2, des kantonalen Hausiergesetzes fällt allerdings das Aufsuchen von Bestellungen bei Personen, ·welche mit dem betreffenden Artikel Handel treiben oder denselben in ihrem Gewerbe verwenden, nicht unter den Begriff des Hausierverkehrs. Allein die thurgauischen Administrativ- und Gerichtsbehörden erklärten den Rekurrenten trotzdem als bußenfällig, weil in dem bloßen Gebrauch eines Handelsartikels nur dann eine gewerbliche Verwendung zu erblicken sei, wenn der ,,Gebrauch" ein so häufiger und starker ist, daß der Artikel rasch ,,verbraucht" wird und periodisch erneuert werden muß. Das lasse sich von dem Gebrauch einer
Nähmaschine bei Schneider Sauter nicht sagen.

Wir haben diese Unterscheidung nicht als richtig anerkennen können, davon ausgehend, daß es darauf nicht ankomme, ob der Besteller den Artikel in kürzerer oder längerer Zeit ,,verbraucht11 ;

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,,wenn er denselben nur in seinem Gewerbe verwendet" (verbraucht, verarbeitet oder gebraucht), so hat er ihn als Gewerbsmann bestellt.

Wir erklärten daher am 5. Juli 1892 den Rekurs für begründet.

Auch dieser Entscheid ist im Bundesblatte in extenso veröffentlicht worden (1892, IV, 82 ff.).

9. Mit dem von dem Bundesgesetze vom 24. Juni 1892 in keiner Weise berührten Gebiete der kantonalen Hausiergesetzgebung, in Bezug auf welchea eine auf Art. 31 der Bundesverfassung gegründete staatsrechtliche Rekurspraxis der Bundesbehörden fortbestehen wird, hatte sich unsere Entscheidung vom 27. Dezember 1892 in Sachen der Italiener G i o v a n n i B a n f i und Konsorten, betreffend eine Schlußnahme der Regierung des Kantons G r a u b ü n d e n vom 17. August 1892, zu befassen.

Wir haben dabei in rechtliche Erwägung gezogen, daß zwar gegen die Taxbestimmungen des Gesetzes und der Vollziehungsverordnung des Kantons Graubünden über den Markt- und Hausierverkehr, vom 23. Januar 1884, sich grundsätzlich nichts einwenden läßt, daß dagegen in der von den Rekurrenten ganz besonders angefochtenen, vom Kleinen Rate Graubündens gebilligten Verfügung der kantonalen Polizeidirektion vom 26. Juli 1892 in Bezug auf Wanderlager der Vorschrift von Art. 9 des Gesetzes, daß die Taxe eines jeden Patentes nach Maßgabe der Ausdehnung des Verkehrs festzusetzen sei, nicht Rechnung getragen wird.

Diese Verfügung setzt für eine jede der sechs Warenklassen f i x e T a x e n fest, z.B. für die fünfte Klasse (Tuchwaren), iu welche die Rekurrenten einzureihen sind, Fr. 800 jährlich oder Fr. 200 vierteljährlich, wozu dann noch die Gemeindetaxe kommt, die täglich Fr. 50 betragen kann, sowie -- nach der Meinung der Kantonsbehörde -- die gewöhnliche Hausierpatenttaxe, selbst dann, wenn der Händler seine Ware nicht vom Wagen, Stand oder Magazin weg verkauft, sondern sie nur mittelst Herumtragen in den Häusern feilbietet.

Es ist nicht zweifelhaft, daß durch eine solche Häufung von Taxen im einzelnen Falle eine Belastung entstehen kann, die dem Gewerbstnanne die Möglichkeit benimmt, sein Gewerbe mit irgend welchem finanziellen Nutzen zu betreiben. Dies würde aber im gegebenen Falle einer thatsächlichen Aufhebung der Gewerbefreiheit gleichkommen.

Demnach erschien uns eine Einladung an die Regierung von Graubünden zur Abänderung der von der Polizeidirektion festgesetzten Ansätze für Wanderlager, in dem Sinne, daß dieselben

61 der kommerziellen und ökonomischen Bedeutung und Ausdehnung des Geschäftes im konkreten Falle angepaßt werden können, als gerechtfertigt.

Dagegen läßt sich vom bundesrechtlichen Standpunkte aus nichts dagegen einwenden, daß die Inhaber von Wagenladungen, die von Ort zu Ort herumgeführt werden, den Inhabern von Wanderlagern gleichgestellt werden. Nur rechtfertigt es sich hinwieder nicht, dieselben, wenn sie den Verkauf nicht vom Wagen herab, sondern nur durch Herumtragen der Waren in den Häusern bewerkstelligen, noch zur Lösung von gewöhnlichen Hausierpatenten zu verhalten; denn in diesem Falle betreiben sie ihr Verkaufsgeschäft nur auf einem Wege und sind durch die relativ hohe Taxe des Wanderlagers für dasselbe genugsam belastet.

Demnach lautete unser Beschluß: Der Rekurs ist unbegründet, insofern als er gegen die im Gesetze und in der Vollziehungsverordnung Graubündens, vom 23. Januar 1884, enthaltenen Taxansätze und gegen die Verfügung der Regierungsbehörde von Graubünden gerichtet ist, durch welche die mit ganzen Wagenladungen herumfahrenden Hausierer den Besitzern von Wanderlagern gleichgestellt werden.

Begründet erscheint dagegen der Rekurs gegen die Verfügung der kantonalen Polizeidirektion, vom 26. Juli 1892, durch welche das Gewerbe der Rekurrenten, ohne Rücksicht auf seine Ausdehnung, mit der fixen Jahrespatenttaxe von Fr. 800 belastet werden will, und zufolge welcher die Rekurrenten, nebst der Patenttaxe für Wanderlager, gleichzeitig noch mit der gewöhnlichen Hausierpatenttaxe belegt werden, auch wenn sie ihre Waren nur durch Herumtragen und nicht vom Wagen aus feilbieten.

4. Viehhandel.

10. In Übereinstimmung mit einem Bundesratsbeschlusse aus dem Jahre 1878 haben wir am 22. März 1892 im Rekursfalle des Alois S c h ü p f e r , Schweinehändler, im Seehüsli bei Neuenkirch (Luzern), gegenüber einer Entscheidung des Obergerichts des Kantons Z ü r i c h vom 31. Dezember 1891 neuerdings anerkannt, daß das zürcherische Gesetz vom 1. Oktober 1855, speciell in den Bestimmungen, welche die Viehhändler zur Lösung eines Patentes verpflichten, mit Art. 31 der B.-V. vereinbar ist, da die gesetzlich vorgesehene Taxe sich innerhalb mäßiger Schranken hält. (Bundesblatt 1892, II, l ff.)

62 5. Arzneimittel oder Liqueur?

11. Felice B i s 1 e r i ist der Erfinder eines Präparates, das im Handel unter dem Namen ,,Eisen-China-Bisleri" bekannt ist. Der Hauptsitz der Firma befindet sich in Mailand. Um die schweizerische Kundschaft besser bedienen zu können und vom schweizerischen Eingangszolle befreit zu sein, gründete Bisleri in Bellinzona ein Zweiggeschäft, hinterlegte seine Fabrikmarke und ließ sich im schweizerischen Handelsregister eintragen. Hierauf bot er sein Fabrikat in allen größeren Ortschaften der Schweiz zum Kaufe an.

Die b e r n i s c h e Direktion des Innern verfügte, daß der Verkauf des Präparates sich auf die Apotheken beschränken müsse, gestützt auf § 21 der bernischen Verordnung über den Verkauf von Arzneimitteln und Giften, welcher folgendermaßen lautet : Arzneien dürfen nur in den öffentlichen Apotheken und in den vorschriftsgemäß eingerichteten und anerkannten Privatapotheken bereitet und verkauft werden.

,,In Zweifelsfällen entscheidet die Direktion des Gesundheitswesens, ob ein Stoff oder eine Zubereitung als Arznei zu betrachten sei."

Bisleri beschwerte sich über diese Verfügung bei der bernischen Regierung; diese bestätigte dieselbe jedoch durch Beschluß vom 22. Oktober 1891.

Hierauf gelangte Bisleri mit seiner Beschwerde an den Bundesrat, indem er sich auf Art. 31 der B.-V. berief; sein Präparat sei ein Liqueur, wie Wermut, Dennler-Bitter u. a. m., und es dürfe deshalb dem freien Verkaufe desselben kein Hindernis in den Weg gelegt werden.

Wir haben am 25. März 1892 den Rekurs abgewiesen. (Vergi.

Bundesbl. 1892, II, 2.) Der Rekurrent selbst hatte seinem Präparate in öffentlichen Ankündigungen und Anpreisungen den Charakter und die Wirkungen eines Heilmittels zugeschrieben. Wir fanden daher, derselbe könne sich nicht beschweren, wenn die Behörden das Gleiche thun.

6. Zulässigkeit einer Bahnhof-Fuhrwerkordnung.

12. Louis B r u n n er, Besitzer des ,, Hôtel des Alpes" in L e u k e r b a d (Wallis), beanstandete die Rechtsbeständigkeit eines vom Municipalrat von Leuk am 12. Juli 1887 erlassenen Reglements über die Fuhrwerkordnung auf dem Bahnhof zu Leuk unter Berufung auf Artikel 31 und 4 der B.-V.

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Wir wiesen den Rekurs durch Beschluß vom 17. Mai 1892 als unbegründet ab, da wir fanden, die beanstandeten Bestimmungen seien im Interesse der öffentlichen Ordnung erlassen und verunmöglichen keineswegs den Betrieb des Kutschergewerbes und den Verkehr zwischen Reisenden und Kutschern, noch schränken sie denselben in einem den Grundsatz der Handels- und Gewerbefreiheit beeinträchtigenden Maße ein ; auch könne nicht von einer Verletzung des Art. 31 der B.-V. unter dem Gesichtspunkt der Rechtsgleichheit der Bürger die Rede sein, indem die angefochtenen Bestimmungen sämtliche Fuhrwerke, die auf dem Bahnhof Leuk auffahren, in gleicher Weise treffen. Man vergleiche für das weitere Buudesblatt 1892, II, 1124.

7. Zulässigkeit der staatlichen Kontrolle über Lebens* und Genußmittel, 13. Leonhard B ü h l e r, Franz P aj a r o l a, Johann de Silvestre P a j a r o l a , Johann Anton G e r o n i m i , Peter J. G e r o n i m i , Johann de J. B. Paj a r o l à , Barbara C h r i s t o f f e l , T. und A. Ce r I e t t i , Lorenz C e r i et ti, Joh. Baptist P a j a r o l a und Wilhelm P a j a r o l a , alle in Ilanz, beschwerten sich mit Eingabe vom 20. Juli 1892 beim Bundesrat darüber, daß sie mit Bußen belegt worden waren, weil sie amerikanisches Schweinefett nicht in Gefäßen verkauft hatten, welche die Aufschrift ,,Kochfett a trugen, wie dies durch Verordnung des Kleinen Rates von G r a u b ü n d e n vom 31. Juli 1886 vorgeschrieben ist.

Dieser Rekurs war von uns unter dem gleichen Gesichtspunkte zu beurteilen wie derjenige von 10 Taf'elhonigfabrikanten aus dem Jahre 1886, den wir durch Entscheid vom 11. Januar 1887 abgewiesen haben. (Vergi. Bundesbl. 1887, I, 126 ff.)

b. Niederlassungsrecht, aa. Verweigerung von Answeisschriften.

14:. Wir waren veranlaßt, einen Rekurs wegen Verweigerung von Ausweisschriften in einem Falle als begründet zu erklären, wo die Behörden des Kantons Seh wyz eine Reihe von Einwendungen gegen das bezügliche Begehren erhoben hatten, die sich vor dem ßundesrechte sämtlich als unhaltbar darstellten. Der Rekurs ging aus von einer Elisabeth F l e i s c h m a n n von Altendorf (Sehwyz), wohnhaft in Obermeilen (Zürich).

Die rechtlichen Erwägungen zu unserm Beschlüsse vom 6. Mai 1892 sind abgedruckt im Bundesblatt 1892, II, 1115.

64 bb. Verweigerung und Entzug der Niederlassung.

16. Durch Entscheid vom 12. April 1892 haben wir in Festhaltung einer von uns befolgten Regel den Beschluß der Regierung des Kantons B a s e l s t a d t vom 19. März bestätigt, der minderjährigen Kindern einer Mutter, welcher persönlich die Niederlassung verweigert ist, den Aufenthalt in Basel ebenfalls nicht gestattet.

Immerhin haben'wir vom ethischen und erzieherischen Gesichtspunkte aus Abweichungen von dieser Regel vorbehalten. (Vergi.

Bundesbl. 1892, II, 460.)

Es ist wohl zu beachten, daß im Rekursfalle nicht von einem -- persönlich unbelasteten -- Inhaber der elterlichen oder vormundschaftlichen Gewalt ein Niederlassungsbegehren angebracht worden war, sondern von dem nicht als solcher qualifizierten Großvater der Kinder.

17. Am 23. Februar 1892 verweigerte der Regierungsrat des Kantons St. G a l l e n dem Job. Alphons K o p p e l , Sticker, von Widnau, in Wittenbaeh die Niederlassung, gestützt darauf, daß Koppel, infolge eines strafgerichtliehen Urteils der bürgerlichen Rechte und Ehren verlustig geworden, von der zuständigen Kantonsbehörde nur teilweise, d. h. unter Ausschluß von der Wahlfähigkeit für öffentliche Behörden und Beamtungen, rehabilitiert wurde.

Wir schützten den Regierungsbeschluß gegenüber dem Rekurse des Koppel, da die in Art. 45, Abs. 2, der Bundesverfassung enthaltene Voraussetzung der Niederlassungsverweigerung bei ihm immer noch zutraf. (Bundesratsbeschluß vom 27. Mai 1892.)

18. Dem Milian K u r z , älter, Viehhändler von Gailingen, Großherzogtum Baden, war vom Regierungsrat des Kantons Seh a f f li au sen unter dein 9. Dezember 1891 die Niederlassung in Wilchingen entzogen, weil derselbe an diesem Orte nicht eigentlich ,,wohne", sondern bloß eine Räumlichkeit gemietet habe, in welcher er von Zeit zu Zeit vorübergehend sich aufhalte, während er in Wirklichkeit mit seiner Familie in Gailingen (Großherzogtum Baden) wohnhaft sei. Die Niederlassung in Wildlingen diene ihm, meinte die Kantonsregierung, offensichtlich nur zum Betrieb des Viehhandels in der Schweiz. Es fehle ihm demnach die Voraussetzung des Niederlassungsrechtes, der Wohnsitz in Wildlingen.

Wir haben den gegen diesen Regierungsbeschluß ergriffenen Rekurs für begründet erklärt, indem wir die Richtigkeit der regierungsrätlichen Ansicht, wonach die Niederlassung dem Kurz entzogen werden müßte, weil ihm der civilrechtliche Wohnsitz in Wildlingen abgeht, nicht anerkennen konnten.

65 Wir faßten die Begründung unseres Beschlusses in folgendern Satze zusammen: ,,Angesichts des Art. l des schweizerisch - deutschen Niederlassungsvertrages vom 31. Mai 1890, des Art. 45 der schweizerischen Bundesverfassung und der darauf gebauten bundesrätlichen Praxis, ja angesichts der Bestimmungen des schaffhausenschen Gemeindegesetzes selbst, soweit dieselben seit 1874 noch rechtswirksam sein können, steht dem badischen Staatsbürger Milian Kurz das Recht zu. zum Zwecke des Betriebes des Viehhandels in der Schweiz sich persönlich, mit oder ohne Familie, niederzulassen, und es darf ihm diese Niederlassung nicht entzogen werden, solange die in Art. 2 des gedachten Staats Vertrages vorgeschriebenen Requisite von ihm erfüllt sind und solange er von derselben in richtiger Weise Gebrauch macht, indem er unter Erfüllung der ihm obliegenden öffentlichen Pflichten in einer Gemeinde des schweizerischen Gebietes thatsächlich sich aufhält, um sein Handelsgewerbe 2.u betreiben, und an diesem Orte auch für alle von ihm auf schweizerischem Gebiete eingegangenen privatrechtlichen Verpflich tungen sich behaften läßt."

Die Erwägungen zu unserm vom 7. Juni 1892 datierenden Beschlüsse sind in extenso abgedruckt im Bundesbl. 1892, ID, 677 ff.

19. In einem Falle -- Ausweisung des Michael K e i s e r , von Dagmersellen, aus der Gemeinde W y k o n ( L u z e r n ) -- wurde unser den regierungsrätlichen Beschluß bestätigender Entscheid vom 28. Oktober 1892 an die Bundesversammlung weitergezogen. Sie hatten bereits die Kommissionen zur Vorprüfung des Geschäftes bestellt, als die Zurücknahme des Rekurses erfolgte, wir dürfen annehmen wegen der Aussichtslosigkeit desselben.

Es handelte sich um die Ausweisung eines Mannes, der durch sein und seiner Familie fortwährend gesetz- und ordnungswidriges Verhalten der Gemeinde Wykon zur Last fällt, nachdem er vorher anderswo in der Schweiz wiederholt wegen Körperverletzung, Diebstahl, Holzfrevel und Sachbeschädigung gerichtlich bestraft worden war, also wegen Vergehen, die im Sinne des Art. 45, Abs. 3, der Bundesverfassung als schwere anzusehen sind. (Vergi. Bundesbl.

1883, IH, 34.)

Unser Entscheid ist im Bundesblatte erschienen (1892, V, 548).

c. Konfessionelle Verhältnisse.

20. Josef F e l d e r im ,,Badhus" zu Wolhusen, Kanton Luzern, ist durch Urteil des Bezirksgerichtes Ruswyl vom 10. Juni 1891 Bondesblatt. Jahrg. 45. Bd. II.

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auf Antrag des Statthalteramtes Sursee wegen Verletzung der Sittlichkeit (§ 143 des luzernischen Polizeistrafgesetzes) zu einer Geldbuße von Fr. 6 und den Kosten verurteilt worden, weil als erwiesen angenommen wurde, derselbe habe im Dezember 1890 in Gegenwart von Peter Bucher von Wolhusen und Xaxer Gaßmann .

von Römerswyl in seiner eigenen Brennhütte anläßlich eines Disputes sich geäußert: ,,D' Muettergottes ischt ne Huer gsi wie ne anderi Huer."

Ein von Felder gegen das bezirksgerichtliche Urteil beim Obergericht des Kantons Luzern eingereichtes Kassationsgesuch wurde von dieser Behörde am 3. Juli 1891 abgewiesen.

Hierauf beschwerte sich Felder wegen Rechtsverweigerung, ungleicher Behandlung vor dem Gesetze und Verletzung der Glaubensund Gewissensfreiheit beim schweizerischen Bundesgerichte, welchesjedoch am 4. Dezember 1891 den Rekurs abwies.

Mit Eingabe vom 28. Januar 1892 (Verfasser: Herr Fürsprech Dr. Weibel in Luzern) ergriff nun Josef Felder gegen das Urteil des Bezirksgerichts Ruswyl vom 10. Juni 1891 den Rekurs an den Bundesrat, behauptend, dasselbe schließe eine Verletzung der Gewissensfreiheit (Art. 49, Ziffer 2, der Bundesverfassung) in sich.

Der Rekurrent stellt auch hier vorerst in Abrede, den fraglichen Ausdruck gebraucht zu haben, und giebt vor, es handle sich um einen bloßen Racheakt eines der beiden Zeugen; dieser habe ein halbes Jahr .nach dem angeblichen Vorfall ihn beim Landjäger denunziert, flum ihm eine Schmiere anzurichten"1. Für den Fall aber, daß der Beweis gegen ihn als erbracht angesehen werden wollte, bestreitet Felder, daß in dem Gebrauch des Ausdruckes ,,Hure"eine Unsittlichkeit liege, selbst dann, wenn derselbe in Verbindung mit einem Gegenstande religiöser Verehrung angewendet wird. Sollte auch die Anschuldigung richtig sein und er den Ausdruck in Gegenwart von zwei Zeugen in einem geschlossenen Raum gebraucht haben, so könne er gleichwohl nicht wegen Verletzung der Sittlichkeit bestraft werden, indem ein Sittliehkeitsdelikt nicht vorliege und ein Religionsdelikt, das höchstens noch in Betracht kommen könnte, von den beiden Instanzen nicht angenommen worden sei.

Die eingangs erwähnte Äußerung ist in den Augen des Rekurrenten nichts anderes, als eine rohe Kritik einer kirchlichen Glaubenslehre, welche Kritik -- ungeachtet ihrer rohen Form -- straflos bleiben
müsse. Er stellt daher das Gesuch, das Urteil des Bezirksgerichts Ruswyl vom 10. Juni 1891 sei in allen Teilen aufzuheben.

In seiner Vernehmlassung an das eidgenössische Justiz- und Polizeidepartement vom 20. Februar 1892 verweist das Obergericht des Kantons Luzern einfach auf die in Motiv 4 seines Erkenntnisses

67 vom 3. Juli 1891 gegebene Ausführung, also lautend: ,,Auch die Berufung auf Art. 49 der Bundesverfassung muß als unstichhaltig erachtet werden, indem diese Verfassungsbestimmung offenbar nicht dazu geschaffen wurde, jede in irgend welcher beliebigen Form vorgebrachte Äußerung von ,,Glaubensansichten''', nach Art der vorliegenden, vor Strafe zu schützen. Das Obergericht macht sodann noch auf den Umstand aufmerksam, daß die Verurteilung nicht etwa wegen ,,Gotteslästerung"1, sondern unter ausdrücklicher Berufung auf § 143 des Polizeistrafgesetzes erfolgte, welcher die Verletzung der Sittlichkeit behandelt.

Der Buudesrat hat am 14. Oktober 1892 den Rekurs als u n b e g r ü n d e t erklärt, wobei er von folgenden rechtliehen Erwägungen ausging: 1. Nachdem das Bundesgericht durch sein Urteil vom 4. Dezember 1891 die Behauptung des Rekurrenten, es entbehre das gegen ihn vom Bezirksgericht Ruawyl am 10. Juni 1891 gefällte Strafurteil der gesetzlichen Grundlage, als unbegründet erklärt und im übrigen gefunden hat, daß in dieser Sache von offenbar willkürlicher Entscheidung der dem Gerichte vorgelegten Frage nach der Aktenlage nicht gesprochen werden könne, hat der Bundesrat ohne weitere Prüfung davon auszugehen, daß der Rekurrent wegen einer Handlung (Äußerung) zu Strafe verurteilt worden ist, welche von einem luzernischen Strafgesetze mit Strafe bedroht ist.

Demgemäß fragt es ^ich, ob ein kantonales, auf den vorliegenden Thatbestand anwendbares Strafgesetz eine Verletzung der durch Art. 49 der Bundesverfassung gewährleisteten Glaubens- und Gewissensfreiheit in sich schließe, wie der Rekurrent -- allerdings ohne die Richtigkeit der Gesetzesanwendung anzuerkennen -- behauptet.

2. Der Rekurrent erklärt, er habe durch die ihm zugeschriebene Äußerung bloß seine G-laubensansicht ausgesprochen, und.

wegen Glaubensansichten dürfe niemand mit Strafen irgend welcher Art belegt werden (Art. 49, Abs. 2, a. a. 0.)Es ist richtig und vom Bundesrate wiederholt anerkannt wo.vden, daß nicht nur die Aussprache positiver Glaubenssätze, sondern auch die Negation der Glaubenssätze anderer ein Recht ist, das durch den Grundsatz der Glaubens- und Gewissensfreiheit geschützt wird.

,,Jeder kann glauben, was er will, und ein jeder darf seinen Glaube« kundthun; es kann ihm demnach nicht verboten sein, den Glauben anderer als
unwahr zu bekämpfen Nicht nur der religiöse Mensch, auch der religionslose Mensch genießt Religionsfreiheit.'· (Vergi, von Salis, Die Religionsfreiheit in der Praxis. Bern 1892.}

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Das Recht der religiösen Kritik und Negation, des Kampfes gegen die Glaubensansichten anderer, schließt indessen nicht die Befugnis in sich, Kampfesmittel zu wählen, welche die Sehranken eines mit der öffentlichen Ordnung und Sittlichkeit verträgliehen Meinungsstreites durchbrechen. Als solche unerlaubte Mittel sind anzusehen persönliche Verunglimpfung, Beleidigung, Besudelung der Gegenstände der religiösen Verehrung anderer u. a. m. Es kann durch eine Unglaubensäußerung eine Ehr Verletzung verübt, ein grober Unfug begangen werden. (Vergi, von Salis, a. a. 0., S. 35.)

Art. 49 der Bundesverfassung will nicht derartige Thatbestände von der Strafbarkeit ausschließen. Dieser Artikel ist überhaupt nicht in die Bundesverfassung der schweizerischen Eidgenossenschaft aufgenommen worden, um groben Unfug, strafwürdige Gemeinheiten vor Strafe zu schützen.

3. Die dem Rekurrenten zur Last gelegte Äußerung weist die Merkmale einer strafbaren Handlung der zuletzt erwähnten Art auf. Wenn aber dies sich so verhält, so erscheint die Berufung des Rekurrenten auf Art. 49 der Bundesverfassung als grundlos.

21. Der Staatsrat des Kantons G e n f hat durch Beschlußfassung vom 6. Mai 1892 1. die Schlußnahmen der Gemeinderäte von Meinier und Vernier, durch welche die Kirchen und Pfarreigebäulichkeiten dieser Gemeinden dem römisch-katholischen Kultus überlassen worden sind, genehmigt; r 2. die Verwaltung des Kirchengutes der Gemeinden Meinier und Vernier dem Regierungsdepartement des Innern übertragen.

Mittels Eingabe vom 5. Juli 1892 ergriff der ,, C o n s e i l s u p é rieur de l'Eglise catholique-chrétienne suisse de G-enève" 1 durch das Organ seines Präsidenten, Isaac Reverchon, Bürger von Genf, vertreten durch den Advokaten Léon Guinand in Genf, gegen diese Regierungsbeschlüsse den Rekurs an den Bundesrat.

Wir haben durch Schlußnahme vom 12. Dezember 1892 den Rekurs wegen Inkompetenz .abgewiesen.

Unsere Erwägungen waren die folgenden : 1. Der Bundesrat hat nach Maßgabe von Art. 102, Ziff. 2, und Art. 113, Absatz 2, der Bundesverfassung und nach dem mit diesen Verfassungsbestimmungen im Zusammenhang stehenden Art. 59 des Organisationsgesetzes über die Bundesrechtspflege Beschwerden zu beurteilen, welche wegen Verletzung von Rechten erhoben werden, die durch bestimmte Artikel der Bundesverfassung begründet sind,

69 einschließlich der Beschwerden, die sich auf kantonale Wahlen oder Abstimmungen beziehen, und überdies Anstände zu erledigen, welche aus den Bestimmungen der Staatsverträge mit dem Auslande über Handels- und Zollverhältnisse, Patentgebühren, Niederlassung, Befreiung vom Militärpflichtersatz und Freizügigkeit herrühren.

Dagegen sind nach Art. 59 des Organisationsgesetzes Beschwerden wegen Verletzung der durch die Kantonsverfassungen gewährleisteten Rechte ohne Unterschied der Kognitiou des Bundesgerichts unterstellt.

In letzterer Beziehung kann nicht, wie es die Rekurrenteit thun, Art. 102, Ziff. 3, der Bundesverfassung angerufen werden, um, die Zuständigkeit des Bundesrat.es nachzuweisen; denn sonst wäre diese, im Widerspruch mit den oben citierten Verfassungsbestimrnungen und mit dem Organisationsgesetze, überall da anzunehmen, wo eine Verletzung von Bestimmungen einer Kantonsverfassung behauptet wird. Der Bundesrat hat sich hierüber unterm 30. Dezember 1885 in einem Rekursfalle (C. v. Haller und Genossen gegen § 10 der solothurnischen Strafprozeßordnung) in folgendem Sinne ausgesprochen : ,,Der Bundesrat hätte auf Grund seines verfassungsrechtlichen Mandates zur Aufrechthaltung einer kantonalen Verfassungsbestimmung erst dann zu intervenieren, wenn die Wirksamkeit der vom Bunde gewährleisteten Kantonsverfassung überhaupt in Frage gestellt würde, oder wenn die Rechte, welche die Bürger auf Grund derselben auszusprechen haben, von den zuständigen Behörden augenscheinlich mißachtet werden sollten.tt (Vergi. Bundesbl.

1886, I, 965.)

Aus Ziff. 13 des Art. 102 der Bundesverfassung sodann, welche Verfassungsstelle von den Rekurrenten ebenfalls angerufen wird, kann die Kompetenz des Bundesrates hergeleitet werden, wenn ein kantonaler Verwaltungszweig der besondern Aufsicht des Bundesrates unterstellt ist.

Wegen Verletzung kantonalgesetzlicher Bestimmungen endlich, die keinerlei verfassungsrechtlichen Charakter haben, findet eine Beschwerde an die Bundesbehörden überhaupt nicht statt, es wäre denn, daß dabei die Rechtsgleichheit der Bürger (Art. 4 der Bundesverfassung) mißachtet worden ist, beziehungsweise daß eine Rechtsverweigerung vorliegt, worüber das Bundesgericht zu urteilen hätte.

2. Nach diesen bundesrechtlichen Voraussetzungen seiner Kompetenz ist der Bundesrat zur materiellen Entscheidung
der gegenwärtigen Rekursstreitigkeit nicht zuständig.

Der katholische Oberkirchenrat des Kantons Genf beschwert sich in der That nicht wegen Verletzung von Rechten, die durch

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die Bundesverfassung aufgestellt oder anerkannt werden, sondern ausschließlich wegen angeblicher Mißachtung von Bestimmungen des kantonalen Verfassungsrechts oder gewisser kantonaler Gesetze.

Es liegt jedoch kein Fall vor, der die Intervention des Bundesrates zum Schutze der Kantonsverfassung auf Grund des Art. 102, Ziff. 3, der Bundesverfassung rechtfertigen würde, und zur Einmischung in die kantonale Kirchenverwaltung ist der Bundesrat nicht befugt, da diese nicht ein seiner Aufsicht unterstellter Zweig der Kantonalverwaltung ist.

d. Wahlen und Abstimmungen.

22. Die im vorjährigen Berichte erwähnten, bei der Bundesversammlung anhängig gemachten Rekurse des Advokaten T o m maso P a g n a m e n t a und Konsorten in Bellinzona und des Großrats C l a u d i o C a t t o r i in Gordola betreffend unsere Rekursentscheidungen vom Juni 1891, in Ansehung der Großratswahlen vom 3. März 1889 in den tessinischen Kreisen Osogna und San Nazzaro, sind im Berichtsjahre zurückgezogen worden.

23. Der im Jahre 1891 vom t e s s i n i s c h e n Staatsrate wiederaufgenommene K o m p e t e n z k o n f l i k t betreffend die Erledigung der auf die Großratswahlen von 1889 sich beziehenden Stimmrechtsbeschwerden durch unsere Behörde ist vom Bundesgericht auf Ansuchen des Staatsrates nicht behandelt worden. Der Staatsrat stellte das Gesuch, den Konflikt einstweilen nicht zu beurteilen, da derselbe nach der zu erhoffenden Annahme des neuen Organisationsgesetzes über die Bundesrechtspflege, mit Rücksicht darauf, daß inskünftig ausschließlich der Bundesrat über Beschwerden betreffend Stirn m berech tigung der Bürger und kantonale Wahlen und Abstimmungen zu urteilen haben wird, fallen gelassen werden könne.

24. Unser Antrag vom 15. Dezember 1891 (Bundesbl. 1891, V, 785), dem Kanton T e s s i n die Bezahlung der dem Bunde aus den eidgenössischen Interventionen von 1889 und 1890 erwachsenen K o s t e n zu e r l a s s e n , ist von der Bundesversammlung im Berichtsjahre nicht erledigt worden.

25. Ein von Franz J. V o g e l , Alois L a n g , X. S c h i n i d l i und Alois B ü h l m a n n , von und in N e u e n k i r c h , Kanton L u z e r n , gegen einen Regierungsbeschluß vom 11. März 1892 erhobener Rekurs betreffend die am 24. Januar 1892 erfolgte Wahl der Armenhauskommission von Neuenkireh und den bei diesem Anlasse gefaßten Beschluß über die Zahl der Armenhauskomrnissionsmitglieder wurde am 8. April 1892 vom Bundesrate aus folgenden Motiven abgewiesen :

71 1. Dem Bundesrate kommt, im Rekursfalle ein Entscheidungsrecht insofern zu, als die Gültigkeit einer kantonalen Wahl in Frage steht und behauptet wird, es werden durch die Kassation derselben seitens der Regierung von Luzern verfassungsmäßige Rechte der Bürger verletzt.

Dagegen hat sich der Bundesrat mit dem Inhalte des Armen.anstaltsreglementes der Gemeinde Neuenkirch als solchem ebensowenig als mit den besondern Bestimmungen der kantonalen Armengesetzgebung zu befassen.

Wenn die Rekurrenten glauben, daß der Regierungsrat einschlägige Bestimmungen verletzt habe und dabei mit sich selbst, d. h. mit seinem frühern Genehmigungsbeschlusse in Bezug auf reglementarische Bestimmungen in Widerspruch geraten sei, so mögen sie sich an die kompetente kantonale Oberbehörde wenden.

2. Was nun aber die verfassungsrechtliche Frage anbelangt, so ist zu untersuchen, ob § 90, Abs. 2 und 3, der lusoernischeu Staatsverfassung den stimmfähigen Einwohnern der Gemeinde Neuenkirch das Recht der Teilnahme an der Wahl des Armenrates oder der sogenannten Armenhauskommission zusichere.

Dies ist offenbar nicht der Fall.

Die Armenanstalt von Neuenkirch ist unzweifelhaft ein ortsbürgerliches Institut. Das über dieselbe erlassene, in Geltung befindliche Reglement von 1887 besagt ausdrücklich, daß die Bürgergemeinde Neuenkirch eine Armenversorgungsanstalt gegründet und die bezüglichen reglementarischen Vorschriften beschlossen habe.

Demgemäß muß auch der Kur Beaufsichtigung und Leitung der Anstalt gemäß § 12 des Reglements berufene Armenrat als eine ortsbiirgerliche Behörde angesehen werden. Daß reglementsgemäß <3ie Mitglieder des politischen Gemeinderates von Amtes wegen dem Armenrate angehören, ändert an dem Charakter der Behörde nichts.

Nach § 90, Abs. 2 und 3, der Kantonsverfassung haben bei der Wahl eines ortsbürgerlichen Armenrates nicht alle stimmfähigen Einwohner, sondern außer den Ortsbürgern nur diejenigen Stimmreeht, welche zu ortsbürgerlichen Steuern beigezogen werden können.

In diesem Sinne hat die Regierung bei ihrem Beschlüsse vom 11. März den § 90, Abs. 2 und 3, der Verfassung ausgelegt.

Nach Wortlaut und Sinn dieser Bestimmung kann deshalb nicht von einer durch die Regierung begangenen Verfassungsverletzung gesprochen werden.

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3. Allein die Rekurrenten behaupten weiter, daß die allegieite Bestimmung in der Praxis der Gemeinden nicht in dem von der Regierung im Rekursfalle vertretenen Sinne, sondern im Sinne der Stimmberechtigung aller stimmfähigen Gemeindeeinwohner angewendet werde, und daß die Regierung durch Genehmigung des Reglements der Armenanstalt, welches die Wahl des Armenrates ,,von der Gemeinde jeweilen mit dem Gemeinderat" vornehmen läßt, im Jahre 1888 diese Praxis selbst als richtig und zulässig anerkannt habe.

Dem gegenüber ist aber zu bemerken, daß die Regierung vollkommen befugt war, den Ausdruck ,,Gemeinde" in einem von der Bürgergemeinde erlassenen Réglemente auf diese zu beziehen, und daß sie -- abgesehen von diesem bloß formellen und nebensächlichen Punkte -- im gleichen Jahre 1888 in Ansehung der Gemeinde Wolhusen im nämlichen Sinne entschieden hat, wie im Rekursfalle.

Gegenteilige Entscheide der Regierung sind von den Rekurrenten nicht namhaft gemacht worden. Es kann somit nicht von.

einer durch die kantonale Oberbehörde gebilligten und genehmigten Praxis im Sinne der Rekurrenten gesprochen, sondern es mußangenommen werden, daß die von ihnen signalisierten Vorgänge in andern Gemeinden auf einer irrtümlichen Auslegung der Verfassung beruhen, als eine unrichtige und mißbräuchliche, den Oberbehörden nicht zur Kenntnis gekommene Praxis sich darstellen.

4. Was endlich die Bestimmung in Abs. 4 des § 90 der Kantonsverfassung und die Behauptung der Rekurrenten anbetrifft,, daß die Regierung diese Bestimmung verletze, wenn sie den Armenrat der Gemeinde Neuenkirch zu einer ortsbürgerlichen Behörde stemple, während zufolge § 90, Abs. 4, dei- Verfassung die Ortsbürgergemeinden nur mit Bewilligung des Großen Rates e i g e n e Behörden aufstellen können, und eine solche Bewilligung für Neuenkirch niemals erfolgt sei, so herrscht hier Meinungsverschiedenheit, zwischen der Regierung und den Rekurrenten über die Bedeutung des Ausdruckes ,,eigene Behörde". Die Regierung versteht darunter ,,Behörde zur Besorgung aller ortsbürgerlichen Angelegenheiten", eigentliche Organe der Ortsbürgergemeinden ; die Rekurrenten glauben, daß auch schon eine Specialkommission, wie ein A r meo rat, eine Behörde im Sinne der allegierten Verfassungsbestimmung sei.

Der Bundesrat kann sich im vorliegenden Falle einer materiellen Prüfung
dieser das Stimmrecht der Bürger nicht direkt berührenden,, sondern die Organisation der Gemeinden beschlagenden Interpretationsfrage um so mehr enthalten, als bei derselben ein verfassungsmäßiges Recht des Großen Rates in Erörterung fällt, demnach diese

~T"1

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Behörde jedenfalls in erster Linie berufen ist, sei es von sich aus, sei es auf Beschwerde hin, sich darüber auszusprechen.

26. Josef B u h l m a n n , Felix M u f f , C. F u r r e r und K.

M u l ' f in Neuenkirch, Kanton Luzern, hatten gegen die Schlußnahme der Regierung des Kaatons L u z e r n , vom 30. Dezember 1891, betreffend die Wahl des Betreibungsbeamten und seines Stellvertreters für den Kreis Neuenkirch, beim Bundesrate Beschwerde erhoben.

Wir wiesen durch Entscheidung vom 30. Dezember 1892 den Rekurs ab ; denn, sagten wir, könnten die Behauptungen der Rekurrenten auch als erwiesen gelten, was nicht der Fall ist, so wären damit doch keine Verletzungen des kantonalen Verfassungsrechts oder des Bundesrechts dargethan. Und wir fügten bei : Der Bundesrat hat allerdings vermöge betreibungsgesetzlicher Bestimmung die Oberaufsicht zu führen über die Bestellung der Betreibungsbeamten. Allein mit dem Wahlgeschäft als solchem befaßt sieh das eidgenössische Betreibungs- und Konkursgesetz nicht ; es hat vielmehr den Kantonen in Hinsicht auf die Bedingungen der Wahlfähigkeit und der Wahlart der Beamten volle Freiheit gelassen.

B. Polizeiverwaltung.

I. Auslieferung von Verbrechern und Angeschuldigten.

1. Die Gesamtzahl der Auslieferungsangelegenheiten, mit denen sich der Bundesrat im Berichtsjnhre auf .diplomatischem Wege zu beschäftigen hatte, beträgt 319 (1891: 352, 1890: 288). Davon sind 107 (1891: 134, 1890: 108) von der Schweiz im Ausland und 212 (1891: 218, 1890: 180) von auswärtigen Staaten bei der Schweiz anhängig gemacht worden.

Die Auslieferungsbegehren des Auslandes bei der Schweiz verteilen sich folgendermaßen auf die einzelnen Staaten: Deutschland 105 Frankreich 63 Italien 36 Österreich-Ungarn 6 Belgien l Rußland l

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Von diesen Begehren sind 164 bewilligt worden ; in 36 Fällen blieben die Nachforschungen nach .den Verfolgten resultatlos ; 6 Begehren wurden zurückgezogen; eines wurde durch den,Tod des Verfolgten gegenstandslos ; 5 Fälle waren am Schluß des Jahres noch nicht erledigt.

Von den Auslieferungsbegehren, die die Schweiz bei auswärtigen Staaten gestellt hat, gingen an: Frankreich 51 Deutschland 33 Großbritannien 7 Belgien 4 Österreich-Ungarn 3 Italien 3 Vereinigte Staaten von Amerika 2 Rumänien . · l Niederlande l Außerdem wurden gegen Boulton und Durrich, die beiden Hauptangeschuldigten im Geltstag der Lombard- und Diskontobank Zürich, Auslieferungsbegehren bei einer Reibe europäischer Staaten, allerdings bisher erfolglos, anhängig gemacht.

Von den genannten Begehren hatten 62 die Bewilligung der Auslieferung zur Folge; in 25 Fällen blieben die Verfolgten unentdeckt; 13 Begehren wurden zurückgezogen; 6 Fälle sind noch hängig. Eines der bei Frankreich gestellten Begehren wurde von der französischen Regierung abschlägig beschieden, weil der Verfolgte zu lebenslänglicher Deportation verurteilt war (Tanner).

2. Die Voraussetzungen, unter denen der Entscheid über ein Auslieferungsbegehren denn B u n d e s g e r i c h t zukommt, sind nach dem Bundesgesetz betreffend die Auslieferung gegenüber dem Ausland vom 22. Januar 1892 (Artikel 23, 24) wesentlich die nämlichen, wie unter der Herrschaft des Artikels 58 des Bundesgesetzes über die Organisation der Bundesrechtspflege vom 27. Juni 1874 und des Kreisschreibens vom 26. Januar 1875. In 8 Fällen war der Bundesrat in der Lage, die Auslieferungsbegehren dem Bundesgericht zu überweisen. Bemerkenswert sind besonders die Entscheide in Sachen Stübler (Auslieferung an Deutschland wegen i n d e r S c h w e i z begangener Begünstigung, Entscheidungen des Bundesgerichts XVIII, 189 ff.) und Emanuel (Auslieferung eines Negers an Deutschland wegen einer am Z u f l u c h t s o r t e n i c h t s t r a f b a r e n Entführung, Entscheidungen des Bundesgerichts XVIII, 186 ff.).

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In 14 Fällen dagegen, in denen Einreden erhoben wurden, die sich nicht auf das Auslieferungsgesetz oder den in Frage kommenden Staatsvertrag oder eine Gegenrechtserklärung stützten, hat der Bundesrat die Auslieferung bewilligt.

Den Fall Stübler (s. o.) hat der Bundesrat, obschon eine Einrede der soeben genannten Art nicht vorlag, von Amtes wegen dem Bundesgericht überwiesen, weil der Verfolgte immerhin gegen seine Auslieferung ausdrücklich Einspruch erhoben hatte und über die Anwendbarkeit des schweizerisch - deutschen Auslieferungsvertrags auf das Vergehen der Begünstigung, das im Vertrag nicht vorgesehen ist, und auf eine Handlung, die in der Schweiz begangen war, Zweifel bestanden, die von Amtes wegen zu prüfen waren. Das Bundesgericht ist auf die Angelegenheit eingetreten.

Bei der Auslieferung von 8 Franzosen und 2 Deutschen, die wegen gemeiner und daneben auch wegen rein militärischer Delikte (Fahnenflucht oder Versäumung der Militärdienstpflicht) verfolgt waren, wurde der übliche und in Artikel 11, Absatz 2, des Auslieferungsgesetzes vorgesehene Vorbehalt beigefügt. Dasselbe geschah bei-der Auslieferung eines Italieners, der nebenbei als Schmuggler verfolgt war, und eines Deutschen, der sich auch des Widerstandes gegen die Staatsgewalt schuldig gemacht hatte.

3. Die Vollziehung des Bundesgesetzes betreffend die Auslieferung gegenüber dem Ausland vom 22. Januar 1892 haben wir durch ein Kreisschreiben vom 28. Juni 1892 (Bundesbl. 1892, IV, 31 ff.J geregelt. Außer den Vorschriften, die für den regelmäßigen Gang des Auslieferungsverfahren» im engern Sinn und für die Handhabung der den Kantonen durch Artikel 29 des Bundergesetzes gewährten Befugnis zur Auslieferung kurzer Hand nötig waren, enthält dieses Kreisschreiben insbesondere auch eine Neuordnung des Geschäftsverkehrs zwischen uns, dem Bundesanwalt und dem Bundesgericht für die Fälle, in denen dieses letztere gemäß Art. 23 und 24 zu entscheiden berufen ist. Diese reglementarischen Vorschriften treten an die Stelle der im Kreisschreiben des eidgenössischen Justiz- und Polizeidepartemeates vom 26. Januar 1875 ^Bundesbl. 1875, I, 122) enthaltenen und sind, wie jene, mit dem Bijpdesgerichte auf dem Korrespondenzwege vereinbart worden; da Art. 23, Absatz 4, die Möglichkeit einer Beteiligung des Generalanwalts am Auslieferungsverfahren vorsieht,
so ist auch dieser Beamte bei der Ausarbeitung der sein Eingreifen betreffenden Vorschriften des Kreisschreibens begrüßt worden.

Ein zweites Kreissehreiben betreffend das Auslieferungsverfahreu ist durch das Inkrafttreten des französischen Gesetzes über die

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Anrechnung der Untersuchungshaft auf die ausgefällten Freiheitsstrafen vom 15. November 1892 veranlaßt worden. Dieses Gesetz schreibt für alle Fälle die Anrechnung der Untersuchungshaft auf die ausgefällte Freiheitsstrafe vor und begreift in der Untersuchungshaft auch die vorläufige Haft zum Zwecke der Auslieferung. Auf den Wunsch der französischen Botschaft hat daher unser Justizund Polizeidepartetnent durch Kreissehreiben vom 7. Dezember 1892 (Bundeshl. 1892, V, 810) sämtliche Kantonsregierungen eingeladen, stets den Tag der Verhaftung der Personen anzugeben, deren Auslieferung von der französischen Regierung verlangt wird.

4. Gleich nach Inkrafttreten des Bundesgesetzes über die Auslieferung gegenüber dem Ausland haben wir es uns angelegen sein lassen, unsere R e c i p r o c i t ä t s v e r h ä l t n i s s e mit auswärtigen Staaten darauf zu prüfen, ob sie auch unter der Herrschaft des neuen Gesetzes aufrecht erhalten werden können. Dies war nicht der Fall für eine mit Italien im Jahr 1875 wegen widernatürlicher Unzucht ausgewechselte Reciprocitätserklärung, da dieses Vergehen unter den Auslieferungsdelikten des ßundesgesetzes nicht figuriert. Wir haben deshalb am 2. Juni 1892 unsere Gesandtschaft in Rom beauftragt, dieses Gegenrechtsverhältnis zu künden. Die italienische Regierung hat laut Bericht unserer Gesandtschaft von dieser Kündigung Vormerk genommen ; zugleich hat sie uns mit Bezug auf ein weiteres wegen Blutschande mit Italien bestehendes Reciprocitätsverhältnis darauf aufmerksam gemacht, daß nach Artikel 337 des neuen italienischen Strafgesetzbuches die Blutschande nur strafbar ist, wenn sie zugleich eine Verletzung der öffentlichen Sittlichkeit bildet.

Die auch unter dem neuen Auslieferungsgesetz noch zu Recht bestehenden Reeiprocitätsverhältnisse haben wir mit Schreiben vom 2. Juni 1892 und die seit Inkrafttreten des neuen Gesetzes eingegangenen mit Schreiben vom 7. Dezember 1892 der Bundesversammlung in Ausführung von Art. l, Abs. 5, des mehrerwähnten Bundesgesetzes mitgeteilt. Der Stand der Gegenrechtserklärungen ist auf Schluß des Berichtsjahres folgender: 1. Mit der A r g e n t i n i s c h e n R e p u b l i k : a. Unterschlagung (Auslieferungsgesetz Art. 3, Ziff. 20) ; b. Anstiftung zu falschem Zeugnis (Auslieferungsgesetz Art. 3, Ziff. 34, und Abs. 2); c. Vertrauensmißbrauch in amtlicher Stellung (Auslieferungsgesetz Art. 3, Ziff. 36).

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2. Mit B r a s i 1 i e n : a. Unterschlagung (Auslieferungsgesetz Art. 3, Ziff. 20); b. Fälschung öffentlicher Urkunden (Auslieferungsgesetz Art. 3, Ziff. 25).

3. Mit dem D e u t s c h e n R e i c h e : a. Körperverletzung, die eine Arbeitsunfähigkeit von mehr als 20 Tagen zur Folge hat (Auslieferungsgesetz, Art. 3, Ziff. 4); b. Pfandunterschlagung als betrügerische Handlung im Schuldbetreibungs- und Konkursverfahren (Auslieferungsgesetz Art. 3, Ziff. 22).

4. Mit der F r a n z ö s i s c h e n R e p u b l i k : a. fahrlässige Tötung (Auslieferungsgesetz Art. 3, Ziff. 1) ; b. Bigamie (Auslieferungsgesetz Art. 3, Ziff. 18).

5. Mit I t a l i e n : Blutschande, sofern sie eine Verletzung der öffentlichen Sittlichkeit bildet (Auslieferungsgesetz Art. 3, Ziff. 17).

6. Mit dem F ü r s t e n t u m L i e c h t e n s t e i n : a. Unterschlagung (Auslieferungsgesetz Art. 3, Ziff. 20); b. Betrug (Auslieferungsgesetz Art. 3, Ziff. 22); c. Urkundenfälschung (Auslieferungsgesetz Art. 3, Ziff. 25).

7. Mit M e x i k o : Betrug (Auslieferungsgesetz Art. 3, Ziff. 22).

8. Mit R u m ä n i e n : Unterschlagung amtlicher Gelder (Auslieferungsgesetz Art. 3, Ziff. 36).

9. Mit S c h w e d e n : a. Unterschlagung (Auslieferungsgesetz Art. 3, Ziff. 20); b. betrügerische Strandung eines Schiffes (Auslieferungsgesete Art. 3, Ziff. 29); c. Meineid (Auslieferungsgesetz Art. 3, Ziff. 33).

Dem Bundesgericht, das laut Art. l und 23 des Auslieferungsgesetzes auch Gegenrechtserklärungen in seinen Auslieferungsentscheiden anzuwenden hat, sind die bestehenden Gegenrechtsverhältnisse zur Kenntnis gebracht worden. Diese Mitteilungen -- wenigstens die über die neuern Fälle -- sind jeweilen mit einer genauen Sachdarstellung begleitet worden, die es dem Bundesgericht -ermöglicht, sich über die rechtliehen und thatsächlichen Verhältnisse

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zu unterrichten, unter denen die einzelnen Reciprocitätsverhältnisse zu stände gekommen sind.

5. Bekanntlich wird den Kantonen durch das Auslieferungsgesetz in Art. 31 die Befugnis eingeräumt, sich durch den Bund die K o s t e n der A u s l i e f e r u n g e n vergüten zu lassen, die durch den Bundesrat oder das Bundesgericht angeordnet worden sind.

Von dieser Befugnis haben die Kantone Baselstadt, Aargau, St. Gallen, Thurgau, Schwyz und Luzern Gebrauch gemacht. Essind diesen Kantonen für das Jahr 1892 (vom 19. Mai an) folgende Beträge ausbezahlt worden : Aargau · S t . Gallen . . . . · . · Thurgau . .

.

. .

Schwyz . . .

Luzern · · ·

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5 _ i 4 ,, i 4 « ) 1 Fall) 1 v, n JÌ

19,6 75 9fi 91 15 ÏI 44 90 15 ·n

Total (41 Fälle) Fr. 841. 55 Die Grundsätze, die für die Traguag der Kosten durch dea Bund maßgebend sind, haben wir in unserm Kreissehreiben vom 28. Juni 1892 (III, 4, g) genau festgestellt; ihre Anwendung hat zu ernstlichen Differenzen nicht Anlaß geboten.

Bndlich mag erwähnt werden, daß unserm Justiz- und Polizeidepartement in Ausführung von Art. 29 des Auslieferungsgesetzes nur 14 Anzeigen von A u s l i e f e r u n g e n k u r z e r H a n d zugegangen sind.

6. Deutschland hat in drei Fällen die s t r a f r e c h t l i c h e V e r f o l g u n g von Schweizern verlangt, die auf deutschem Gebiete delinquiert hatten, später aber in der Schweiz festgenommen worden sind. Einer der drei Verfolgten ist verurteilt worden ; die beiden andern Fälle sind noch nicht erledigt.

Wir unserseits haben bei Italien und bei Deutschland die Verfolgung von je 5 Angehörigen dieser Staaten verlangt, die nach Begehung strafbarer Handlungen in der Schweiz nach ihrer Heimat geflohen waren. Gegen drei der verfolgten Deutschen ist das Verfahren wegen mangelnder Schuldbeweise eingestellt worden, die übrigen Fälle sied pendent.

7. Einer der soeben erwähnten Fälle hat uns Gelegenheit geboten, über das Verhältnis des Art. 2, Abs. 2 und 3, des Bundesgesetzes vom 22. Januar 1892 zu Art. 2 des Auslieferungsvertrages

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zwischen der Schweiz und Deutsehland vom 24. Januar 1874 zu entscheiden ; der Fall war folgender : Am 14. August 1892 wurde Supernumerar Nikolaus Ott, von Dammerkirch, auf einer Fußwanderung durch den Schwarzwald in der Nähe des Belchen auf der badischen Gemarkung Neuenweg überfallen, verwundet und beraubt ; am 15. August erlag er seinen Wunden. Als der That dringend verdächtig wurde der Metzgerbursche F r i e d r i c h T h i e r s t e i n , von Bowyl (Kanton Bern), am, 23. September 1892 in Basel verhaftet. Er gestand die That.

Die großherzoglich badische Regierung sandte mit Note vom 30. September im Hinblick auf Art. 2 des schweizerisch-deutschen Auslieferungsvertrages die umfangreichen Untersuchungsakten ein, mit dem Begehren, es möchte ihr vom Urteil seiner Zeit Mitteilung gemacht werden.

Der Bundesrat überwies die Angelegenheit der baselstädtischen Regierung mit der Einladung, die strafrechtliche Verfolgung Thiersteins einzuleiten. Die Basier Regierung lehnte es ab, dieser Aufforderung Folge zu leisten, und zwar auf Grund folgender Ausführungen : ,,Nach Artikel 2 des Auslieferungsgesetzes vom 22. Januar 1892 kommen für die Entscheidung der Zuständigkeit zur Aburteilung des Falles in erster Linie der Niederlassungskanton und hierauf der Heimatkanton des Delinquenten in Betracht.

,,Die maßgebenden Thatsachen sind: Thierstein hat sich am 25. Juni 1892 hier als Aufenthalter auf dem Kontrollbureau angemeldet, seine Schriften deponiert und diese seitdem nicht mehr erhoben. Er arbeitete vom 12. Mai bis 30. Juni 1892 bei Metzgermeister Weitnauer hier und hielt sich noch bis zum 5. Juli beschäftigungslos hier auf. Dann verließ er Basel nnd begab sich zu seiner Mutter nach St. Gallen, wo er bis zum 19. Juli blieb; von diesem Zeitpunkte an bis zum 11. August war er wieder, aber ohne Arbeit und ohne eine Wohnung anzugeben, im hiesigen Kanton.

Vorn 11. August an trieb er sich mittellos im Badischen umher und beging dann am 14. August das erwähnte Verbrechen. Nach mehrtägigem Umherirren am Vierwaldstättersee und auf dem Kigi trat Thierstein am 24. August unter dem Namen Friedrich König von Thun eine feste Stelle bei Metzgermeister Ballmer in Lu/.ern an und blieb dort bis zum 18. September. Am 22. September kam er wieder nach Basel, übernachtete im Freien und konnte in der folgenden Nacht, am 23. September, in einer Scheune, in welche er eingeschlichen war, habhaft gemacht werden.

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,,Unzweifelhaft ist der Sinn des Gesetzes, daß unter den ,Niedergelassenen' auch die ,Aufenthalter' zu verstehen seien; wir verweisen hierfür unter anderai auf das Urteil des Bundesgerichts vom 18. November 1875 (Entscheidungen I, 304).

,,Ebenso zweifellos aber kann nicht gesagt werden, daß mit dem bloßen Zurücklassen von Ausweispapieren an einem Orte, auch wenn der faktische Aufenthalt dort aufgegeben ist, für spätere Zeiten noch immer jener Gerichtsstand begründet sei.

,,Thierstein hat sein Domizil in Basel längst aufgegeben, geraume Zeit ein eigentliches Vagantenleben geführt und zwischenhinein Aufenthalt in Luzern gehabt. Der Umstand, daß dieser Aufenthalt ein ordnungswidriger war, indem keine Schriften deponiert wurden, ändert im wesentlichen nichts; denn wenn, selbstverständlich abgesehen von allem audero, Thiersteiu z. B. während jener Zeit civilrechtlich hätte belangt werden müssen, so wäre doch Luzern der Gerichtsstand des Wohnortes gewesen.

,,Als Thierstein vor seiner Verhaftung wieder nach Basel kam, hatte er wiederum keine bestimmte Wohnung, sondern war Flüchtling und übernachtete im Freien ; man kann «Iso auch hier nicht ernstlich davon sprechen, er habe wieder Aufenthalt im Kanton Basel genommen.

,,Zur Begründung des Aufenthalts' in einer Gemeinde bedarf es also nicht bloß der Anmeldung in derselben, sondern die betreffende Person muß dauernd dort wohnen und festes Domizil haben. Durch das faktische Wegziehen von einem Ort wird die Niederlassung' im Sinne des Gesetzes aufgehoben, auch wenn aus irgend einem Grunde es vernachlässigt wurde, die Schriften zu erheben. Wir verweisen hierfür auf mehrfache Entscheidungen des Bundesgerichts (z. B. I, 306; IV, 221). In allen diesen Fällen ist auf das wirkliche , Wohnen' an einem Orte abgestellt ; eine bloße Anmeldung ohne Wohnsitz genügt nicht zu einer Domizilbegründung mit ihren weitgehendsten Folgen.

y.Wir sehen uns aus diesen Erwägungen veranlaßt, die Frage der Zuständigkeit der hiesigen Behörden zur Verfolgung des von Thierstein im Auslande begangenen Deliktes zu verneinen, und geben Ihrer Entscheidung anheim, ob nicht die Angelegenheit dem unzweifelhaft zuständigen Heimatkanton des Thierstein zugewiesen werden soll."

Der Bundesrat wandte sich hierauf an die bemische Regierung, allein auch diese hielt die Gerichte ihres Kantons nicht für zuständig, gegen Thierstein einzusehreiten. Aus den von der Basler Regierung angeführten, übrigens unbestrittenen Thatsachen zog die Regierung

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des Kantons Bern den Schluß, daß Thierstein sein in gesetzlicher Weise in Basel förmlich erworbenes Domizil weder freiwillig aufgegeben, noch auch ohne oder gegen seinen Willen von Gesetzes wegen verloren habe, daß also die Behörden des Kantons Raselstadt, als des Niederlassungs- oder Aufenthaltskantons, gemäß Art. 2, Abs. 3, des Auslieferungsgesetzes vom 22. Januar 1892 zur Beurteilung Thiersteins einzig zuständig seien. Sollte die Regierung von Baselstadt auf ihrer Weigerung beharren, so wäre der Konflikt, nach Ansicht der bernischen Regierung, gemäß Art. 57 des Bundesgesetzes über die Organisation der Bundesrechtspflege vom 27. Juni 1874 durch das Bundesgericht zu entscheiden.

Vom Bundesrat angefragt, ob sie auf ihren Beschluß zurückkommen wolle, lehnte die Basier Regierung dies ab und rief auch ihrerseits den Entscheid des Bundesgerichts an, mit der Begründung, wenn das Auslieferungsgesetz in seinem Art. 23 bei einer Einsprache, die vom Verfolgten erhoben wird, das Bundesgericht als entscheidende Behörde bezeichne, so müsse dieses Gericht auch über andere ähnliche Rechtsstreitigkeiten urteilen, wenn dies auch nicht ausdrücklich im Gesetz erwähnt sei.

Wir "haben indes unsere Kompetenz zur Entscheidung über diese Frage für gegeben erachtet und den Kanton Bern verpflichtet, die strafrechtliche Verfolgung Thiersteins durchzuführen.

Dabei haben wir uns wesentlich von folgenden Erwägungen leiten lassen: ,,Gemäß Art. 2 des Auslieferungsvertrages mit dem Deutschen Reiche ist die Auslieferung der eigenen Staatsangehörigen ausgeschlossen. Dagegen ist in diesem Artikel vorgesehen, daß in einem solchen Falle nach den Gesetzen des Zufluchtsstaates Anlaß vorhanden sein könne, die Bestrafung des Inländers wegen der im Ausland von ihm begangenen Handlung herbeizuführen.

,,Seit dem Bestehen des Vertrages ist nun dieser Bestimmung stets der Sinn beigelegt worden, daß dadurch eine Verpflichtung zu strafrechtlichem Einschreiten geschaffen werde, sobald ein solches nach allgemeinen strafrechtlichen Grundsätzen möglich ist. Hiervon ausgehend, hat der Bundesrat einzelne Kantone sogar dann zum Einschreiten angehalten, wenn ihre Gerichte nach dem kantonalen Strafgesetze nicht zuständig gewesen wären. (Vergi, den Fall Voillat, Bundesbl. 1883, II, 897, Ziff. 6.)

,,Diese vertragliche Verpflichtung, die auch von
deutscher Seite stetsfort anerkannt und gehandhabt worden ist, bleibt auch unter dem neuen Auslieferungsgesetz bestehen, was der Bundesrat in seinem Kreisschreiben vom 28. Juni 1892 unter Nr. I und IV (Bundesbl. 1892, IV, 31 und 39) ausdrücklich festgestellt hat, Bundesblatt. 45. Jahrg. Bd. II.

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82 ^Bisher hat der Bundesrat zur Erfüllung dieser internationalen Pflicht stets die Behörden des Heimatkantons des Verfolgten in Anspruch genommen,, weil nach der Lage der Sache nur diese in Betracht fielen, und insbesondere, weil die Thäter in der Regel dort zur Haft gebracht oder vom Kanton, wo sie verhaftet worden waren, dem Heimatkanton zugeführt worden sind. Im vorliegenden Falle kommt der Bundesrat zum erstenmal in die Lage, zu entscheiden, welcher von zwei Kantonen, die beide ihre Mithülfe zur Erfüllung der von= der Eidgenossenschaft eingegangenen Vertragspflifht verweigern, zum Einschreiten angehalten werden soll.

,,Der Vertrag selbst giebt dem Bundesrat keine Anhaltspunkte für die Entscheidung dieser Frage; dagegen enthält das Auslieferungsgesetz für den ganz analogen Fall, daß der Bundesrat auf Grund von Art. 2, Abs. 2, dieses Gesetzes die Verpflichtung übernommen hat, einen Schweizer wegen eines im Ausland begangenen Deliktes zu verfolgen, eine klare Bestimmung darüber, welcher Kanton seine Behörden zur Verfügung stellen soll.

,,Es kommt im vorliegenden Falle nun zwar nicht dieses Geselz, sondern einzig der Vertrag zur Anwendung; allein es steht doch nichts entgegen, daß die Gesichtspunkte, die das Auslieferuugsgeseta für die nach seinen Vorschriften zu erledigenden Fälle als maßgebend erklärt, auch in Fällen der vorliegenden Art berücksichtigt werden, wo die nämliche Pflicht, wie die in Art. 2, AI. 2, des Gesetzes vorgesehene, nur auf anderer Grundlage, besteht; es erseheint vielmehr als gegeben, die vom Gesetzgeber als sachgemäß hingestellten Grundsätze ergänzungsweise auch hier anzuwenden.

,,Danach müßte also im Falle Thierstein der Niederlassungskanton in erster Linie zum Einschreiten angehalten werden. Allein der Bundesrat hat aus den von den Regierungen der Kantone Baselstadt und Bern vorgebrachten Thatsachen nicht die hinreichend bestimmte Ansicht gewinnen können, daß Thierstein im Augenblick seiner Verhaftung Niederlassung oder Aufenthalt in Basel besessen habe, er muß sieh deshalb an die feststehende Thatsache halten, daß Thierstein dem Kanton Bern heimatrechtlich angehört, und muß dessen Gerichte in Anspruch nehmen, um die dem Deutschen Reiche gegenüber bestehende völkerrechtliche Verpflichtung der Eidgenossenschaft, die hier zugleich eine Pflicht der öffentlichen Moral und
Sicherheit ist, erfüllen zu können.* Infolge dieses Entscheides haben die bernischen Behörden das Verfahren gegen Thierstein eröffnet; dasselbe ist indessen noch nicht abgeschlossen.

Aus den nämlichen Gründen haben wir in einem Falle ( C o n s t a n t ) , wo es sich fragte, ob der Kanton Baselstadt oder

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der Kanton Zürich einschreiten sollte, den Kanton Zürich, als den Heimatkanton, zur Durchführung der strafrechtlichen Verfolgung verpflichtet.

8. In Anwendung der im Falle Thierstein aufrecht erhaltenen Interpretation des Art. 2 des schweizerisch-deutschen Auslieferungsvertrages haben wir im Falle Riehl der kais. Deutschen Regierung auf ihr Verlangen die Zusicherung erteilt, daß wir die strafrechtliche Verfolgung von Schweizern, die in Deutschland delinquiert haben, ' auch dann übernehmen werden, wenn von den deutschen Behörden die Erklärung nicht erhältlich ist, daß der Schweizer in Deutschland nicht nochmals wegen des nämlichen Delikts werde verfolgt werden. Dabei haben wir freilich darauf hingewiesen, daß dieser Punkt den Gegenstand besonderer Verhandlungen werde bilden müssen.

II. Bundesstrafrecht.

9. Im Berichtsjahre wurden der Bundesanwaltschaft 52 Fälle betreffend G e f ä h r d u n g des Eise n b a h n be tri e b e s (inklusive Tramwaybetrieb) und 2 Fälle betreffend Gefährdung des P o s t b e t r i e b e s vorgelegt. In 5 Fällen wurde von einer strafrechtlichen Verfolgung Umgang genommen: von diesen wurden 3 Fälle an die betreffenden Kantone zurückgewiesen mit dem Ersuchen, die Bestimmungen des Bahnpolizeigesetzes zur Anwendung zu bringen ; in einem Falle lagen keine Anhaltspunkte vor für die Annahme einer fahrlässigen Handlung, und in einem andern Falle war der Angeschuldigte im Laufe der Untersuchung gestorben.

47 Fälle wurden dagegen nach Maßgabe des Art. 74 des Bundesstrafrechts zur Untersuchung und Beurteilung an die kantonalen Gerichte verwiesen. Wir sahen uns nur in einem Falle veranlaßt, gegen das erstinstanzliche Urteil die Durchführung der Appellation zu verlangen. Von diesen 47 Fällen sind zur Zeit noch 17 unerledigt/ 10. Der Italiener A. B. wurde beschuldigt und war geständig, am 26. Januar 1892 bei seiner Eisenbahufahrt von Zürich nach Zug zwei Päcklein D y n a m i t trotz dem gesetzlichen Verbot mit sich geführt zu haben. Mit Rücksicht auf die Möglichkeit einer Selbstentzündung des Dynamites und der notorisch schrecklichen Folgen einer derartigen Explosion erblickten wir in dem Mitfuhren von Dynamit auf der Eisenbahn eine ganz erhebliche Gefährdung des Bahnbetriebes und überwiesen die Angelegenheit zur weitern Untersuchung und Beurteilung nach den Vorschriften des Bundesstrafrechtes an die Gerichte des Kantons Zug. Das Strafgericht von

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Zug teilte unsere Auffassung und verurteilte den A. B. auf Grund von Art. 67 b dea Bundesstrafrechts zu 15 Tagen Gefängnis und 20 Fr. Buße.

11. Die im vorigen Jahre den bernischen Gerichten zur Beurteilung überwiesene Angelegenheit betreffend das am 17. August 1891 erfolgte Eisenbahnunglück bei Z o l l i k o f e n hat im Berichtsjahre seine Erledigung nicht gefunden.

Dagegen wurde die den Gerichten des Kantons Basel-Landschaft überwiesene Untersuchung betreffend die Katastrophe von M ö n c h e n s t e i n durchgel'ührt. Der Regierungsrat des Kantons Basel-Landschaft, in seiner Eigenschaft als Überweisungsbehörde in Strafsachen, entschied am 8. September 1892 endgültig, es sei diese Untersuchung dahingestellt und der Angelegenheit in strafrechtlicher Beziehung keine weitere Folge zu geben.

12. Bezüglich des am 27. Juli 1890 erfolgten Einsturzes der D a m p f s c h i f f b r ü c k e in A r t h (vergi. Geschäftsbericht pro 1891, Nr. 11) ist zu erwähnen, daß der fehlbare Datnpfschiffsverwalter J. C. F. in Zug in Abänderung des erstinstanzlichen Urteils, wonach derselbe gestützt auf eine kantonale Strafbestimmung zu einer Geldbuße verurteilt wurde, vom Kantonsgericht Schwyz in Anwendung des Bundesstrafrechtes zu 8 Tagen Gefängnis und Fr. 200 Geldbuße verurteilt worden ist.

13. Ein schwerer Unglücksfall ereignete sich am 9. Juli 1892 vor der Dampfschifflände zu O u c h y . Auf dem dort in einer gewöhnlichen Fahrt eingetroffenen Dampfschiff ,, M o n t b l a n c 1 1 explodierte der über den Kesseln liegende Dampfdom. Dadurch wurde das gegen den Salon, I. Klasse, gerichtete Kopfstück desselben durch den mit Reisenden besetzten Raum geschleudert und füllte sich dieser mit dem nachströmenden Dampf an. Die im Salon anwesenden Personen wurden teils sofort getötet, teils erlagen sie bald ihren Verletzungen. Im ganzen fanden 26 Personen hierbei ihren Tod.

Dank der rasch und umsichtig geführten Untersuchung konnten uns bereits am 5. August die Akten vorgelegt werden, und da nach denselben der Unfall auf ein fahrlässiges Verschulden von Beamten und Angestellten der Dampfschiffverwaltung zurückzuführen war, überwiesen wir die Angelegenheit zur Beurteilung den waadtländischen Berichten.

Es wurde die Frage aufgeworfen, ob im konkreten Falle das Bundesstrafrecht überhaupt zur Anwendung zu kommen habe, da der ,,Montblanc" im Zeitpunkt der Katastrophe keine Postsendungen zu befördern hatte. Wir gingen von der Ansieht aus, daß zum

85 Postdienst wesentlich auch der regelmäßig periodische Transport von Personen zähle (vergi. Art. 2, litt, c, des Bundesgesetzes über das Postregal vom 4. Juni 1849), und daß jedes Schiff, das für diesen Transport nach Art. 4 des citiérten Gesetzes eine Konzession des Bundesrates erhalten, als ein Schiff zu betrachten ist, welches im Sinne von Art. 67 des Bundesstrafrechtes zur Beförderung der Post dient. Es wurden deshalb die waadtländischen Gerichte nach Anleitung von Art. 74 des Bundesstrafrechtes angewiesen, bei Beurteilung des Falles die Bestimmungen des Bundesstrafrechtes anzuwenden.

Durch Urteil des Kriminalgerichtes zu Lausanne vom 24. Oktober 1892 wurden sämtliche Angeklagte freigesprochen.

Das Urteil wurde, dem Bundesral.e am 27. Oktober 1892 zugestellt.

Da einerseits die Freisprechung nicht im Einklang stand mit dem Resultat der Untersuchung und andererseits nach unserer Ansicht Fehler im gerichtlichen Verfahren vorgekommen waren, luden wir den 29. Oktober die Regierung des Kantons Waadt ein, ihren Staatsanwalt zu beauftragen, gegen das freisprechende Urteil die Kassation zu verlangen, und zwar: 1. weil die waadtländischen Strafbehörden bei der gerichtlichen Beurteilung des Falles in unzulässiger Weise neben dem Bundesstrafrecht auch das waadtländische Strafrecht zur Anwendung gebracht und eine eventuelle Frage auf fahrlässige Tötung nach Maßgabe des kantonalen Strafgesetzes gestellt haben; 2. weil bei der Fragestellung der Thatbestand des Vergehens nach Art. 67, litt, b, des Bundesstrafrechtes und der erschwerende Umstand (erheblicher Schaden und Tötung von Menschen) in unzulässiger Weise in eine Frage zusammengefaßt worden waren.

Mit Urteil des waadtländischen Kassationsgerichtes vom 28. November 1892 wurde indessen das vom Staatsanwalt des Kantons Waadt eingereichte Kassationsbegehren abgewiesen, einmal, weil das Kassationshegehren zu spät eingereicht worden, nicht innert der Frist von 3 Tagen seit der Eröffnung des Urteils an die Parteien, und dann, weil der Bundesrat überhaupt kein Recht habe, die Kassation zu verlangen.

Gegenüber diesem Urteil beschränken wir uns auf die Bemerkung, daß der Bundesrat von jeher in den Fällen, in welchen er seine Gerichtsbarkeit an die kantonalen Strafbehörden delegierte, das Recht beanspruchte, zu verlangen, daß gegenüber unrichtigen Urteilen
und Entscheiden gerichtlicher Inatanzen nach Maßgabe der kantonalen Prozeßordnung der Entscheid der obern Instanz eingeholt werden müsse und daß zur Geltendmachung dieses Rechtes

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für den Buadesrat die Fristen erst von dem Zeitpunkt an laufen können, an welchem er das Urteil offiziell erhält.

Die Kantone haben auch fast ohne Ausnahme stets dieses Recht des Bundesrates anerkannt.

In dem Entwurf über die neue Organisation der Bundesrechtspflege ist eine gesetzliche Regulierung des Berufungsrechtes des Bundesrates vorgesehen.

Bei Besprechung der Katastrophen von Mönchenstein, Zollikofen und Ouchy wurde in der Presse vielfach getadelt, daß die Untersuchung und Beurteilung solch wichtiger Fälle den kantonalen Strafbehörden übertragen worden sind, während doch der Bundesrat nach Art. 74 des ßundesstrafrechtes berechtigt, sei. diese Fälle nach dem. eidgenössischen Prozeßverfahren untersuchen und beurteilen zu lassen. Der citierte Art. 74 lautet: ,,Die andern durch gegenwärtiges Gesetz vorgesehenen Verbrechen werden in der R e g e l sowohl zur Untersuchung als zur Beurteilung an die Kantonalbehörden gewiesen. Doch steht es dem Bundesrat frei, dieselben nach dem eidgenössischen Prozeßverfahren untersuchen und durch die Bundesassisen beurteilen zu lassen." Wir haben diese Gesetzesvorschrift bisher stets so verstanden, daß die Beurteilung durch die kantonalen G-erichte wirklieh die Regel sein soll und das dem Bundesrat eingeräumte Recht nicht so aufgefaßt werden könne, daß er je nach Gutfinden und gewissermaßen willkürlich den einzelnen Fall entweder an die eidgenössischen Assisen oder an die kantonalen Gerichte verweisen und die Ausnahme zur Regel machen könne', sondern daß vielmehr für ein Abgehen von der Regel besondere Gründe vorhanden sein müssen.

Als solche besondere Gründe wären anzusehen, wenn mit Rücksicht auf die politischen Verhältnisse in einem Kanton oder mit Rücksicht auf das in Frage kommende Vergehen die kantonalen Gerichte nicht die wünschbare Gewähr bieten würden für eine unbefangene Beurteilung; in solchen Fällen würde es im Interesse einer unparteiischen Rechtspflege liegen, die Beurteilung nicht den kantonalen, sondern den eidgenössischen Gerichten zu übertragen.

In dem oben erwähnten Entwurf über die neue Organisation der Bundesrechtspflege ist mit Bezug auf den Entscheid der Gerichtsstandsfrage durch den Bundesrat die Beschränkung ,,in der Regel" nicht mehr aufgenommen, und ist auch durch die vorgesehene Schaffung eines Bundesstrafgerichtes praktisch leichter
die Möglichkeit geboten, solche Fälle durch die eidgenössischen Gerichte beurteilen zu lassen.

14. Betreffend Störung des T e l e g r a p h e n - und T e l e p h o n b e t r i e b e s hatten wir 4 Fälle zu behandeln.

87 15. 18 Fälle von F ä l s c h u n g e n v o n M i l i t ä r d i e n s t b u c h l e i n (13 Fälle betrafen Abänderungen von pädagogischen Noten) wurden zur Behandlung und Beurteilung den kantonalen Gerichten überwiesen. Diese Überweisungen bezogen sich lediglich auf Vergehen, die von Ersatzpflichtigen verübt wurden. Diejenigen Fälschungen, welche von eingeteilten Militärpflichtigen begangen werden, fallen unter die Mililärstrafgeritchtsbarkeit.

Ferner kamen zur Behandlung ein weiterer Fall von F ä l s c h u n g von B u n d e s a k t e n , einige W a h l v e r g e h e n und 10 Fälle von A m t s d e l i k t e n , begangen von Postbeamten oder -bediensteten {Unterschlagung von Briefen oder Verletzung des Briefgeheimnisses).

Soweit Unterschlagungen von Wertgegenständen in Betracht kamen, fiel ihre Beurteilung nach Anleitung des Art. 75 B.-St.-R. unter die kantonale Gerichtsbarkeit.

Hinsichtlich der sogenannten Pri v a t p o s t g e h ü l f e n , d. h. solcher Postbediensteten, welche vom Chef des betreffenden Postbureaus -- allerdings mit Einwilligung der Postverwaltung -- angestellt und für ihre Dienstleistungen von diesem bezahlt werden, sprachen wir und für Unterstellung derselben unter das Bundesstrafrecht aus mit Bezug auf die von ihnen verübten, im Art. 54 B.-St.-R. vorgesehenen Vergehen. Diese Privatgehülfen, wenn sie auch nicht von der Postverwaltung angestellt und bezahlt werden, stehen doch unter der Aufsicht derselben; sie haben die nämlichen dienstliehen Pflichten zu erfüllen wie die von der Postverwaltung gewählten Bediensteten, und es ist nicht einzusehen, weshalb jene bei Verletzung ihrer Pflichten nicht in gleicher Weise wie diese beurteilt werden sollten. In den betreffenden Fällen haben denn auch die kantonalen Gerichte, denen die Beurteilung nach Maßgabe von Art. 74 B.-St.-R. übertragen worden, das Bundesstrafrecht zur Anwendung gebracht.

Der Schneider Johann Jakob C o 11 i e r , von Arni bei Bigleu, wurde dieses Jahr neuerdings wegen Widerhandlung gegen das Bundes.gesetz betreffend d i e W e r b u n g u n d d e n E i n t r i t t i n d e n f r e m d e n K r i e g s d i e n s t vom 30. Heumonat 1859 bestraft, und zwar mit Urteil des korrektionellen Gerichtes von Bern, d. d.

12. Mai 1892, zu 5 Monaten Gefängnis und Fr. 50 Geldbuße.

16. Im Berichtsjahre gelangte nur ein B e g
n a d i g u n g s g e s u c h , nämlich dasjenige der Frau A. E. M., welche im Jahre 1890 wegen Fälschung von Bundesakten und anderer Delikte von den bernischen Behörden zu drei Jahren Zuchthausstrafe verurteilt worden war, zur Behandlung (Bundesbl. 1892, l, 67).

Die Bundesversammlung hat am 28. Januar 1892 dem Begnadigungsgesuch entsprochen.

88 17. Mit Zuschrift vom 16. Mai 1892 hat uns der Staatsrat des Kantons Neuenburg folgende Eröffnung gemacht. Art. 115 des neuenburgischen Strafgesetzes vom 12. Februar 1891 lautet: ,,Hat keine eidgenössische Intervention stattgefunden, so wird ein Unternehmen, welches bezweckt, durch verfassungswidrige und gewaltsame Mittel die Kantonsverfassung oder eine der verfassungsmäßigen öffentlichen Gewalten des Kantons umzustürzen, nach Maßgabe der folgenden Artikel bestraft.

,,Die kantonalen Gerichte werden indessen die strafrechtliche Verfolgung nur dann eintreten lassen, wenn die eidgenössische Gerichtsbarkeit es abgelehnt hat, sich mit der Sache zu befassen.

Immerhin wird die neuenburgische Behörde in allen Fällen die zur Erhebung des Thatbestandes erforderlichen einstweiligen Verfügungen treffen."

Die Artikel 116 bis 121 des neuenburgischen Gesetzes bestimmen die Strafen, mit welchen die in Art. 115 vorgesehenen Verbrechen bedroht sind.

Der Staatsrat verbindet damit das Gesuch, die Bundesversammlung möge in Anwendung von Art. 33 des Bundesgesetzes vom 27. Juni 1874 betreffend die Organisation der Bundesrechtspflege ihre Zustimmung dazu erteilen, daß die genannten politischen Verbrechen, sofern sie, ohne eine bewaffnete eidgenössische Intervention zu veranlassen, im Kanton Neuenburg verübt werden, dein Bundesgerichte zur Beurteilung überwiesen werden.

Wir haben dieses Gesuch dem Bundesgerichte zur Vernehmlassung zugestelll, welches dasselbe in zustimmendem Sinne begutachtet hat.

Da wir mit dem Bundesgerichte fanden, es seien keine. Gründe vorhanden, aus denen das Gesuch von Neuenburg abzulehnen wäre, vielmehr das Vorgehen im Interesse einer unparteiischen Rechtspflege zu begrüßen sei, haben wir dasselbe mit Botschaft vom 18. Oktober 1892 und unter Anschluß eines bezüglichen Bundesbeschlußentwurfes den eidgenössischen Räten zu endgültiger Erledigung übermittelt (Bundesbl. 1892, IV, 599).

Die Bundesversammlung hat die Angelegenheit im Berichtsjahr nicht behandelt.

III. Politische Polizei.

18. Wegen anarchistischer Propaganda wurde unterm 9. August 1892 der schriftenlose Franzose. P a u l G u i b e r t aus der Schweiz ausgewiesen, welcher sich unter verschiedenen Namen in den Kantonen

89 herumtrieb und bei seiner Verhaftung im Besitze von zwei Päckchen eines dynamitähnlichen Stoffes, von Zündschnur und Zündkapseln, betroffen wurde (Bundesbl. 1892, IV, 197).

Der wegen Betruges (Hochstapelei) im Ausland bereits mit mehreren Jahren Zuchthaus bestrafte, schriftenlose K a r l H o f m a n n , von Karlsbad (Böhmen), wußte sich unter dem falschen Namen eines B a r o n C o u r t i e r , Oberst a. D., Empfehlungen zu verschaffen, auf welche hin er in Beziehungen zu höhern schweizerischen Militärbeamten Ireten und Zutritt zu den eidgenössischen Militäranstalten in Thun erlangen konnte; er richtete auch ein Schreiben an eine ausländische Behörde, nach dessen Inhalt dieselbe annehmen mußte, es handle Hoffmann im Auftrag des eidgenössischen Militärdepartements und er selbst sei ein höherer schweizerischer Offizier. Der Betrug wurde rechtzeitig entdeckt und die Untersuchung eingeleitet. Hofmann war auch der Militärspionage verdächtig, allein die Untersuchung hat keine Anhaltspunkte hierfür ergeben. Da wir in dem Verhalten des Hofmann eine Gefährdung der schweizerischen militärischen Interessen erblickten, haben wir denselben mit Beschluß vom 2. September 1892 aus dem Gebiete der Eidgenossenschaft weggewiesen (ßundesbl. 1892, IV, 411).

19. Der Regierungsstatthalter von Lausanne erhielt am 13. und 28. April 1892 Drohbriefe mit Bezug auf die von den Waadtländer Behörden verfügte Ausweisung d e 8 F e r d i n a n d G e r m a n i ; ebenso wurde zur nämlichen Zeit eine ziemlich auffällige Bewegung unter den dortigen Anarchisten bemerkt. Verschiedene anarchistische Flugblätter wurden damals ausgegeben, bei deren Herstellung, wie bekannt geworden, u. a. ein ausländischer, in Lausanne wohnhafter Anarchist beteiligt gewesen war. In der Nacht vom 29. auf den 30. April wurde die Bevölkerung der Ortschaft Prilly bei Lausanne durch eine starke Detonation in Schrecken versetzt. Ein blecherner Behälter war mit einem Explosivstoff, aller Wahrscheinlichkeit nach mit gewöhnlichem Schießpulver, gefüllt, in einen hölzernen mit, Sand angefüllten Kasten gesteckt und vermittelst einer Lunte zum Explodieren gebracht worden. Der Umstand, daß die Explosion unter dem Fenster des von der Mutter des Präfekten von Lausanne bewohnten Zimmers stattfand, mußte auf den Gedanken führen, es müsse dieser Vorgang mit dem vorerwähnten
Drohbrief im Zusammenhang stehen. Bin irgend erheblicher Schaden wurde nicht verursacht und es scheint überhaupt nur ein Akt der Einschüchterung beabsichtigt gewesen zu sein. Auf Anordnung der Bundesanwaltschaft wurde eine Untersuchung eingeleitet und einige verdächtige Personen verhaftet; zwei ausländische Anarchisten konnten sich vor ihrer Haftnahme flüchten. Durch die Unter-

90 suchung konnten weder die Urheber der an den Präfekten gerichteten Drohbriefe noch die der Explosion von Prilly erhoben werden.

Wir nahmen deshalb im Einverständnis mit den Waadtländer Behörden von weitern Maßregeln Umgang, ließen jedoch zwei Ausländern, deren anarchistisch-propagandistische Thätigkeit in der Untersuchung konstatiert war, eine Verwarnung zukommen und ihnen eröffnen, daß jede weitere agitatorische Thätigkeit in dieser Richtung ihre sofortige Ausweisung aus dem Gebiete der Eidgenossenschaft zur Folge haben vrerde.

IV. Fremdenpolizei.

20. Von den bei den Tunnelbauten am Albis beschäftigten ö s t e r r e i c h i s c h e n A r b e i t e r n verlangten die uugerischen Behörden für die G e w ä h r u n g des A u f e n t h a l t e s nicht nur die Vorlage eines Heimatscheines oder Passes, sondern auch eines heimatlichen Leumundszeugnisses.

Auf erfolgte Reklamation seitens der k. und k. österreichischungarischen Gesandtschaft machten wir die Regierung des Kantons Zug auf Art. l des Staats Vertrages zwischen der Schweiz und Österreich-Ungarn vom 7. Dezember 1875 aufmerksam, wonach in Bezug auf Aufenthalt und Niederlassung die österreichischen Staatsangehörigen den Inländern gleichgehalten werden müssen. Außerdem verwiesen wir auf frühere Entscheide des Bundesrates in ähnlichen Fällen (nämlich Bundesbl. 1877, II, 522, Ziff. 7; 1885, I, 302; 1886, I, 951, Ziff. 15), aus denen sich ergiebt, daß von den fraglichen Arbeitern r/.ur Begründung ihres Aufenthaltes in der Schweiz die Beibringung von Leumundszeugnissen nicht gefordert werden kann.

Die Zuger Regierung stand auch nicht an, dieser Ansicht beizutreten, und gab den in Betracht kommenden Ortsbehörden entsprechende Weisung.

V. Heimatrecht.

24. Außer den Heimschaffungen (vergL unter ,,specielle Fälle internationaler Natur", Nr. 16), bei deren Behandlung die Staatsangehörigkeit vor allem stets geprüft werden muß, hat unser Justizund Polizeidepartement in 26 Fällen Untersuchungen über das Heimatrecht von 63 Personen führen müssen, deren bürgerliche Angehörigkeit in dei- Schweiz oder im Ausland zweifelhaft geworden war und daher festgestellt sverden mußte.

91 Von diesen Angelegenheiten sind 7 Fälle (11 Personen) durch ausländische Behörden bei uns anhängig gemacht worden, und zwar von Deutschland 4 (6 Personen), von Belgien l (3 Personen), von Frankreich und Österreich je l (je l Person). In einem Falle haben wir die Anerkennung einer Person abgelehnt, die übrigen 10 Personen sind als Schweizerbürger anerkannt worden.

Von uns sind 19 Fälle, die 52 Personen betrafen, im Auslande anhängig gemacht worden, und zwar bei Italien 7 Fülle (15 Personen), bei Deutsehland 5 Fälle (19 Personen), bei Österreich 3 Fälle (12 Personen), bei Frankreich 2 Fälle (2 Personen) und bei Rußland l Fall (3 Personen). In einem Falle (l Person) wurden zuerst in Deutschland und hierauf in Frankreich Erhebungen gemacht. Wir haben in 10 Fällen die Anerkennung von 29 Personen bewirken können; 10 Personen in 5 Fällen sind nicht anerkannt worden; 4 Fälle (13 Personen betreffend) sind noch hängig.

25. Für einen in Basel wohnhaften Angehörigen des Kantons Solothurn, Namens E m i l Hu g, hatten wir uns bei den großherzoglich badischen Behörden dahin zu verwenden, daß er n i c h t als badischer Staatsangehöriger angesehen und daher nicht zum Militärdienst in Deutschland herbeigezogen werden könne.

Der Betreffende war als unehelicher Sohn einer Bürgerin des Kantons Solothurn in Ariesheim geboren. Bei der Taufe erklärte der badische Staatsangehörige Jakob Sclilageter, daß er der Vater des Kindes sei; er anerkannte jedoch das Kind niemals in formeller Weise vor einer zuständigen Behörde und legitimierte es auch nicht bei der nachfolgenden Ehe mit der Mutter. Gleichwohl nahm das großherzoglich badische Bezirksamt Säckingen an, Emil Hug sei durch Abstammung badischer Staatsangehöriger; er wurde in Baden der Verletzung der Wehrpflicht angeklagt und in contumaciam verurteilt.

Auf unsere Reklamation hin trat die großherzogliche Regierung unserer Anschauung bei, daß Hug schweizerischer Angehöriger sei und das badische Bürgerrecht nie erworben habe. Sie erklärte, für die Beurteilung der Frage, ob Hug die badische Staatsangehörigkeit durch Legitimation erlangt habe, sei das in dem Zeitpunkt, des Abschlusses der Ehe seiner Eltern maßgebende Recht über den Erwerb und Verlust der badischen Staatsangehörigkeit entscheidend.

Dies sei, da die Ehe am 13. Oktober 1870, also vor Inkrafttreten des
Reichsgesetzes über den Erwerb und Verlust der Bundes- und Staatsangehörigkeit vom 1. Juni 1870, abgeschlossen worden, dus 6. badische Konstitutionsedikt, dessen einschlägige Bestimmungen die Legitimation als Titel für den Erwerb der Staatsangehörigkeit

92 nioht kennen. Deshalb habe auch Hug durch Legitimation nicht Badenser werden können. -- Das gegen denselben ergangene Straferkennlnis wegen Verletzung der Wehrpflicht wurde im Wiederaufnahmeverfahren aufgehoben.

26. Der im Elsaß geborene D a n i e l M ü l l e r , Angehöriger des Kantons Appenzell A.-Rh., hatte während seines Aufenthaltes im Auslande die französische Nationalität erworben, ohne aber auf sein schweizerisches Bürgerrecht zu verzichten. Als er sich vor mehreren Jahren mit seiner Frau in Basel niederließ, legitimierte er sich dort als französischer Staatsangehörigei. Infolgedessen wurden er und seine Familie stets als Franzosen behandelt und die Geburten seiner Kinder entsprechend in den Civilstandsregistern vorgemerkt. Im Laufe des Jahres 1892 verlangte aber Müller von seiner schweizerischen Heimatgemeinde, es möchten seine Frau und Kinder in die dortigen Bürgerregister eingetragen und damit als Angehörige der Gemeinde und des Kantons Appenzell A.-Rh.

anerkannt werden. Die appenzellischen Behörden hatten ihre Bedenken bezüglich dieses Begehrens und legten uns die Angelegenheit zur Entscheidung vor.

Wir erklärten nun, da Daniel Müller auf das schweizerische Bürgerrecht nie verzichtet habe, müsse dessen Familie ohne Zweifel von der Heimatgemeinde des Genannten im Kanton Appenzell A.-Rh.

anerkannt und die dortigen Register, soweit sie mit Bezug auf die Familie unvollständig seien, ergänzt werden. Ein Einbürgerungsverfahren habe nicht stattzufinden. Auch sei es nicht notwendig, daß die Familie Müller um die Entlassung aus der französischen Staatsangehörigkeit einkomme, indem nach schweizerischem Staatsrecht ein Doppelbürgerrecht wohl möglich sei. Indessen könne ein solcher Doppelbürger aus seiner ausländischen Staatsangehörigkeit keine Rechte gegenüber der Schweiz oder seinem Heimatkanton ableiten, solange er sich in der Schweiz aufhalte (Entscheid, des Bundesgerichts, XII, 512); er habe sich vielmehr in unserm Lande als Schweizer zu legitimieren. Dem Daniel Müller und seiner Familie seien daher zu ihrem Aufenthalte in Basel schweizerische Heimatscheine auszuhändigen, damit sie dort als Schweizerbürger angesehen und behandelt werden.

27. Drei im Kanton Waadt lebende Geschwister, welche von einem B e r n e r im Konkubinat mit einer F r e i b u r g e r i n erzeugt, in den Registern
ihres Wohnortes aber a l s e h e l i c h eingetragen waren, wurden, als sie nach dem Tode ihrer Eltern im guten Glauben auf die Angehörigkeit in der Gemeinde ihres Vaters Anspruch machen wollten, von dieser abgewiesen. Auch die freiburgische

93 Heimatgemeinde der Mutter anerkannte sie nicht, indem dieselbe sich auf den Wortlaut der Eintragungen in den waadtländischeu Civilstandsregistern stützte.

Die fraglichen Geschwister gelangten nun anher mit dem Gesuche, es möchte durch uns ihre Position geregelt werden. Wir konnten jedoch hierauf nicht eintreten, weil anzunehmen war, daß, wenn bei dem zuständigen waadtländischen Gerichte eine Rektifikation der betreffenden Civilstandseinträge erwirkt und den Behörden der fraglichen freiburgischen Gemeinde berichtigte Auszüge vorgelegt würden, dieselben ^saum länger auf ihrer Weigerung, jene drei Personen anzuerkennen, beharren werden. Würden sie aber dennoch darauf bestehen, so läge für uns wiederum kein Grund vor, auf die Sache einzutreten, indem es sich um einen Streit zwischen verschiedenen Kantonen, beziehungsweise Gemeinden, handeln wurde, welcher gemäß Art. 110 der Bundesverfassung und dem Schlußsatze von Art. 27 des Bundesgesetzes über die Organisation der Bundesrechtspflege, vom 27. Juni 1874, dem Bundesgerichte zur Entscheidung vorgelegt werden müßte (Fall Sury).

28. Auf die von einem in R u ß l a n d n i e d e r g e l a s s e n e n s c h w e i z e r i s c h e n A n g e h ö r i g e n gestellten Anfragen, ob die Aufnahme in den russischen Staatsverband den Verlust des Schweizer bürgerrechtes zur Folge habe und ob eventuell nach einigen Jahren das Schweizerbürgerrecht wieder erworben werden könne, erwiderten wir, daß die Beantwortung der ersteren Frage davon abhängt, ob nach der russischen Gesetzgebung zur Erwerbung der russischen Nationalität der Verzicht auf das bisherige Bürgerrecht, erforderlich ist oder nicht; wenn eine solche Bedingung nicht aufgestellt ist, so behält der Schweizerbürger, auch wenn er eine fremde Staatsangehörigkeit erlangt, sein bisheriges Kantons- und Schweizerbürgerrecht ungehindert bei. Was die zweite Frage betreffend die Wiedererwerbung der verlorenen schweizerischen Angehörigkeit anlangt, so ist diesfalls das Bundesgesetz vom 3. Juli 1876, über die Erteilung des Sehweizerbürgerrechtes, maßgebend ; es sind indessen in einzelnen Kantonen für die Wiederaufnahme früherer Angehöriger Erleichterungen eingeführt, wie sie durch Art. 9, Abs. 4, des angeführten Gesetzes gestattet werden.

29. Die Anfrage einer Kantoasregierung, ob ein Kanton v e r p f l i c h t e t sei,
einem Fremden, der den Anforderungen des Bundesgesetzes betreffend die Erteilung des Schweizerbürgerrechtes vom 3. Juli 1876 Genüge geleistet habe und sich nun um das L a n d r e c h t b e w i r b t , dieses zu erteilen, beantworteten wir entsprechend früheren Entscheiden dahin, daß die Bewilligung des Bundes-

94 rates zum Erwerbe des Schweizerbürgerrechtes keinen Kanton bindet, einem Gesuche um Aufnahme als Kantonsangehörigen zu entsprechen.

Hierfür ist einzig die kantonale Gesetzgebung maßgebend (Artikel 4, Absatz 2, des genannten Bundesgesetzes). Die eidgenössische Bewilligung ist für den Kanton nur eine Gewähr dafür, daß die Eidgenossenschaft, soweit es sie betrifft, gegen die Einbürgerung nichts einzuwenden hat (vergi. Bundesbl. 1878, II, 364 a, und 1882, II, 18 c).

Damit im Einklang steht eine Äußerung unseres Justiz- und Polizeidepartementes, als ihm die Frage vorgelegt wurde, ob die gerichtliche Bestrafung eines Bürgerrechtsk a n d i d a t e n ohne weiteres Grund dafür biete, demselben die nachgesuchte Bewilligung des Bundesrates zum Erwerbe eines Kantons- und Gemeindebürgerrechtes zu verweigern. Es erklärte, der Bundesrat hat sich bei der Prüfung eines solchen Gesuches gemäß Artikel 2 des besagten Bundesgesetzes nur mit zwei Punkten zu beschäftigen, nämlich dem Wohnsitze des Petenten in der Schweiz und den Folgen, welche dessen Aufnahme für die Schweiz in ihren Beziehungen zum Auslande haben kann. Wenn hinsichtlich dieser zwei Punkte den Anforderungen des Gesetzes Genüge geleistet ist, so kann die Naturalisationsbewilligung erteilt werden.

Der Leumund des Petenten kommt für die bundesrätliche Entschließung nicht wesentlich in Betracht; es sind die Kantone und die Gemeinden, welche denselben vor allem bei der Einbürgerung in Berücksichtigung zu ziehen haben, indem es für sie von Interesse ist, daß sie unbescholtene neue Bürger erhalten. Ihnen kann und wird der Bundesrat mitteilen, was ihm diesfalls über den Kandidaten zur Kenntnis gekommen ist, sofern sie nicht schon selbst die bezüglichen Verhältnisse kennen. Allein ganz außer Acht braucht der Bundesrat das Vorleben eines Petenten doch nicht zu lassen, denn wenn auch die in Artikel 2 des erwähnten Gesetzes aufgestellten Bedingungen erfüllt sind, so ist er damit doch nicht gezwungen, die Bewilligung zu geben, sondern es ist in sein Ermessen gestellt, dieselbe zu erteilen oder zu verweigern. Er wird sie ohne Zweifel solchen Personen nicht erteilen, von denen mancherlei Nachteiliges bekannt ist oder die schon öfters oder schwer bestraft worden sindr dagegen leichtere oder vor lauger Zeit begangene Delikte wird er kaum in Berücksichtigung ziehen.
30. Das H e i m a t l o s e n w e s e n im engeren Sinne hat auch im Jahre 1892 die besondere Sorgfalt unseres Untersuchungsbeamten in Anspruch genommen. Es ist dem letzteren gelungen, neben verschiedenen kleineren Fällen auch 6 bedeutendere zur Erledigung; zu bringen und dadurch einer ziemlich großen Anzahl von Personea

95 ein schweizerisches Kantons- und Gemeindebürgerrecht zu verschaffen. Wir verzichten darauf, in Einzelheiten einzutreten, und bemerken nur noch, daß die Untersuchung in verschiedenen noch hängigen Fällen so weit vorgeschritten ist, daß ihr Abschluß in nahe Aussicht gestellt werden kann. Es ist indessen nicht zu übersehen, daß fortwährend neue Fälle von Heimatlosigkeit sich zeigen.

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Bericht des Bundesrates an die Bundesversammlung über seine Geschäftsführung im Jahre 1892.

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