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Aus den Verhandlungen des Schweiz, Bundesrates.

. (Vom 12. Mai 1893.)

Durch Urteil des Kantonsgerichts von Appenzell I.-Rh. vom 9. Dezember 1892 wurde K. K., in Oberegg, wegen Ehebruchs zu Fr. 105 Buße und zu Fr. 12 Gerichtskosten verurteilt. Durch dasselbe Urteil wurde K. im weitern für die Dauer von zwei Jahren im Aktivbürgerrechte eingestellt.

Eine bei der Standeskommission eingereichte Kassationsbeschwerde wurde unterm 9. Januar 1893 abgewiesen.

Auf Grund des rechtskräftig gewordenen kantonsgerichtlichen Urteils vom 9. Dezember 1892 wurde K. K. vom Bezirksrat Oberegg ausgewiesen. Ein Rekurs gegen diese Verfügung wurde von der Standeskommission mit Schlußnahme vom 30. Januar 1893 abschlägig beschieden.

Gegen diese Schlußnahme ergreift Dr. Otto Zoller, Advokat in Herisau, namens K. K. den staatsrechtlichen Rekurs an den Bundesrat.

Der Bundesrat hat diese Beschwerde mit folgender Begründung abgewiesen : 1. Wie die Bundesversammlung durch Beschluß vom 23. Dezember 1875 in Sachen des Peter Dahinten, von Entlebuch, gegen die Regierung von Unterwaiden nid dem Wald erkannt, und wie der Bundesrat in den Erwägungen zu seinem Beschlüsse vom 17. Juni 1876 in der Beschwerdesache des J. J. Frey, von Aadorf (Thurgau), ausgeführt hat, kann nicht jedes Urteil, das sich als ein ,,strafgerichtliches" ankündigt, als ein solches im Sinne des Art. 45 der Bundesverfassung anerkannt und zur Grundlage der Verweigerung oder des Entzuges der Niederlassung gemacht werden.

Auch dann, wenn durch ein Urteil die Entziehung der bürgerlichen Ehrenfähigkeit, die Einstellung in den bürgerlichen Rechten und Ehren verfügt wird, kann es fraglich sein, ob dasselbe die Eigenschaft eines strafgerichtlichen Urteils besitzt, an welches die

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erwähnte Rechtsfolge in Bezug auf die Niederlassung geknüpft werden darf. Denn es bedarf hierzu eines wegen eines wirklichen Verbrechens oder Vergehens ausgefällten gerichtlichen Urteils (vgl, Bundesbl. 1875, IV, 178; 1876, I, 21; 1876, II, 268; 1877, II.

521 ; Salis, schweizerisches Bundesrecht, II, Nr. 412 und 408).

Hinwieder hat der Bundesrat durch seine Rekursentscheidungen vom 16. April 1880 und 3. Juni 1881 in Sachen J. Widmer, von Bütschwil, in Wyl (St. Gallen), und A. Näf, von Urnäsch, in St. Gallen, anerkannt, daß die Thatsache der Entziehung der bürgerlichen Ehrenrechte auf Grund einer gerichtlichen Verurteilung wegen leichtsinnigen Falliments, also wegen eines Vergehens, das nach in den Strafgesetzbüchern enthaltenen Unterscheidungen nicht zu den ,,Verbrechen* gezählt wird, zur Begründung des Niederlassungsentzuges genügt (vgl. Bundesbl. 1880, II, 805; 1882, II, 750; Salis II, Nr. 429).

Demgemäß erscheint die Behauptung des Rekurrenten, daß Art. 45, Abs. 2, der Bundesverfassung die Befugnis zum Niederlassungsentzug an die Voraussetzung der Verurteilung wegen einer besonders schwerwiegenden strafbaren Handlung, wegen eines ,,Verbrechens11, knüpfe, als haltlos.

Ebensowenig begründet ist die Annahme des Rekurrenten, es finde diese Auffassung eine Stütze in Absatz 3 des Art. 45 der Bundesverfassung, wonach die Niederlassung denjenigen entzogen werden kann, welche wegen ,,schwerer Vergehen" wiederholt gerichtlich bestraft worden sind, Die Standeskommission des Kantons Appenzell I.-Rh. entgegnet mit Recht, daß nach der Rekurspraxis den Bundesbehörden als Maßstab der Beurteilung, ob ein Vergehen als ein schweres im Sinne der citierten Verfassungsstelle zu betrachten sei, nicht die in den Strafgesetzbüchern enthaltenen Unterscheidungen gelten, sondern der einzelne Fall selbständig gewürdigt werde, wobei die für die öffentliche Sicherheit und Sittlichkeit zu Tage tretende Gefahr jeweilen ganz besonders in Berücksichtigung falle (vergi. Salis II, Nr. 427 und 428).

2. Ob nun eine Verurteilung wegen Ehebruchs der in Art. 45r Abs. 2, der Bundesverfassung aufgestellten Bedingung des Niederlassungsentzugs genüge, kann ernstlich nicht in Zweifel gezogen werden. Der Ehebruch gilt sowohl gemeinrechtlich, als nach den geltenden Strafgesetzbüchern der schweizerischen Kantone, mit einziger Ausnahme von
Genf, als eine strafbare Handlung, als ein Delikt gegen die Sittlichkeit. Gegen dessen Begehung kann als Strafe die Entziehung der bürgerlichen Ehrenfähigkeit angedroht werden (vergi. K. Stooß, die Grundzüge des schweizerischen Strafrechts, I. Band, Seite 365--374; II. Band, Seite 272--277).

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3. Wenn endlich vom Rekurrenten hervorgehoben wird, daß Appenzell I.-ßh. kein Strafgesetzbuch bezitze, und daß .dort der Richter nach seinem freien Ermessen Handlungen und Unterlassungen mit Strafen belege, so ist dem gegenüber vorerst zu bemerken, daß im Rekursfalle diesem Einwände eine rechtliche Bedeutung weder formell noch materiell zukommt, da eine nach der herrschenden Rechtsanschauung und auch nach dem kodifizierten Strafrechte in der Schweiz als ein Vergehen zu ahndende Handlung vom appenzellischen Richter bestraft worden ist, sodann aber, daß überhaupt der Mangel eines geschriebenen Strafreehts für die hier Platz greifenden Erwägungen der Bundesrekursbehörde bedeutungslos ist. Handelt es sich doch für sie nur darum, zu prüfen, ob eine nach allgemeiner Rechtsüberzeugung strafwürdige Handlung vom Gerichte mit Strafe belegt worden ist. In diesem Sinne aber besteht (in Appenzell I.-Rh.)

ein Gewohnheitsrecht. Wie die Aufgabe der Strafgerechtigkeit dort aufgefaßt wird, darüber giebt eine ständig gewordene Formel Auskunft, die das Kantonsgericht in einem Urteil betreffend Notzucht aufgestellt hat, und in welcher u. a. folgende Sätze enthalten sind : ,,daß N. für seine Begangenschaft mit einer gewiß wohlverdienten Strafe belegt werden muß, indem das lebhafte Rechtsbewußtsein des Volkes eine sichtbare Vergeltung des Verbrechens erheischt; in der besten Absicht, den N. nochmals auf den Weg der Erkenntnis und der Besserung zurückzuführen1*, u. s. w. (Vergi. Stooß, a. a. 0., I. Band, Seite 78.)

Nach dem Gesagten sind die Voraussetzungen des Niederlassungsentzuges im Sinne von Art. 45, Abs. 2, der Bundesverfassung im Rekursfalle erfüllt.

Der Bundesrat hat die bei der internationalen Konvention vom 14. Oktober 1890, betreifend den Transport auf Eisenbahnen, beteiligten Regierungen zur Teilnahme an einer auf 15. Juni'nächsthin anberaumten Konferenz in Bern eingeladen, in welcher über die Anfrage des Fürstentums Monaco auf Beitritt zu der genannten Übereinkunft verhandelt werden wird.

(Vom 19. Mai 1893.)

An die am 5. Juni in Bern zusammentretende Konferenz, welche über die Abänderungen und Erweiterungen, die am Verzeichnis der vom Transport ausgeschlossenen oder nur bedingungsweise zu diesem zugelassenen Güter des internationalen Überein-

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kommens über das Eisenbahnfrachtrecht vorzunehmen sind, werden hierseits Herr Ingenieur H. Girtanner, Adjunkt des administrativen Inspektorats, und ein Vertreter der schweizerischen Bahaverwaltungen abgeordnet.

An die Kosten der Bekämpfung der Reblaus während des Jahres 1892 werden nachfolgende Beiträge von 50% bewilligt: Zürich Fr. 10,429. 04, Waadt Fr. 11,655. 76, Neuenburg Fr. 10,307. 56, Genf 23,459. 60; total Fr. 55,851. 96.

(Vom 23. Mai 1893.)

Das Landwirtschaftsdepartement hat dem Bundesrat Bericht erstattet über die der schweizerischen Landwirtschaft durch die Trockenheit geschaffene Lage und die von den Kantonsregierungen getroffenen Maßregeln. Das Departement und der Bundesrat sind der Ansicht, daß es vorderhand der Initiative der Kantonsregierungen überlassen bleiben müsse, die nötigen Vorkehren zu treffen. Das Landwirtschaftsdepartement wird die Frage weiter verfolgen und dem Bundesrat seiner Zeit, wenn nötig, Anträge stellen.

Herr Bundesrat L a che n al, Vorsteher des Departements des Auswärtigen, wird ermächtigt, mit Herrn C h r i s t o p h e r s e n , dem außerordentlichen Gesandten und bevollmächtigten Minister von Schweden und Norwegen, über den Abschluß eines Handelsvertrages zu unterhandeln.

Das schweizerische Bundesgericht zeigt an, daß es seine diesjährigen Ferien auf die Zeit vom 31. Juli bis 26. August angesetzt habe.

Zum Feldprediger des 14. Infanterieregiments wurde ernannt Herr Pfarrer Gottfried L u d w i g in Herzogenbuchsee.

Herr -Adolf H e n n e erhält die nachgesuchte Entlassung als Assistent der eidgenössischen Centralanstalt für das forstliche Versuchswesen unter Verdankung der geleisteten guten Dienste.

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"Wahlen.

(Vom 19. Mai 1893.)

Militär département.

Instruktoren II. Klasse der Artillerie:

Herr Artilleriemajor Wilhelm Schmid, von und in Bern.

,, Artilleriehauptmann Hugues deLoïs, von und in Aigle (Waadt).

,, Artillerieoberlieutenant Theodor Vonwiller, von und in St. Gallen.

Post- und Kontrollingenieur für Brücken:

Eisenbahndepartement.

Herr G. Mantel, in Zürich.

(Vom 23. Mai 1893.)

Departement des Innern.

Ortspräsident des leitenden Ausschusses für die eidgenössischen Medizinalprüfungen in Bern : Herr Dr. med. Viktor Surbeck, Direktor des Inselspitals.

Militär département.

Sekretär für das Personelle beim Waffencbef des Genies: Herr Verwaltungsmajor Friedr. Liechti, von Landiswyl, in Bern, bisher Kanzlist des Waffenchefs des Genies.

Finanz- und Zolldepartement.

Zollgehülfe:

Herr Etienne Laval, von Genf.

Bnndesblatt. 45. Jahrg. Bd. III.

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Post- und Eisenbahndepartement.

Postcommis in Neuenburg: Herr Jules Chervet, von Praz (Freiburg), Postaspirant in Neuenburg.

j, Hermann von Arx, von Stüßlingen (Solothurn), Postaspirant in Neuenburg.

Postcommis in St. Gallen: ,, Alfons Äbli, von Näfels, Postcommis in Buchs (St. Gallen).

Posthalter in Schönenwerd (Solothurn): Frau Witwe Anna Wüthrich, Postgehülfm in Schönenwerd.

Berichtigung.

In letzter Nummer des Bundesblattes soll es auf Seite 1024 bei den Wahlen (Post- nnd Eisenbahndepartement) vom 12. Mai 1893 heißen : II. technischer Sekretär der Telegraphendirektion : Herr Otto Aberegg, von Buren (Bern) etc.

(statt nur II. Sekretär).

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22

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24.05.1893

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29-34

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