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Bericht des Bundesrates an die Bundesversammlung über die 56. Tagung der Internationalen Arbeitskonferenz (Vom 23. August 1972)

Sehr geehrter Herr Präsident, sehr geehrte Damen und Herren, nach den Bestimmungen der Verfassung der Internationalen Arbeitsorganisation (IAO) erstatten wir Ihnen den folgenden Bericht, in welchem - im ersten Abschnitt (I) in üblicher Weise über die 56. Tagung der Internationalen Arbeitskonferenz orientiert wird ; - der zweite Abschnitt (II) über die allgemeine Beratung des Weltbeschäftigungsprogramms berichtet; - der dritte Abschnitt (III) dem Übereinkommen (Nr. 135) und der Empfehlung (Nr. 143) betreffend Schutz und Erleichterungen für Arbeitnehmervertreter im Betrieb gewidmet ist ; - "und der vierte Abschnitt (IV) das Übereinkommen (Nr. 13 6) und die Empfehlung (Nr. 144) betreffend den Schutz vor den durch Benzol verursachten Vergiftungsgefahren behandelt.

I. Tagesordnung, Verhandlungen und Beschlüsse der Konferenz l. Die 56. Tagung der Internationalen Arbeitskonferenz fand vom 2. bis 23. Juni 1971 im Palais des Nations in Genf statt. Die Tagesordnung lautete wie folgt: 1. Bericht des Generaldirektors ; 2. Programm- und Voranschlagentwürfe und andere finanzielle Fragen ; 3. Mitteilungen und Berichte über die Anwendung der Übereinkommen und Empfehlungen; 4. Das Weltbeschäftigungsprogramm (allgemeine Beratung) ; Bundesblatt. 124.Jahrg. Bd.ll

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5, Schutz und Erleichterungen für Arbeitnehmervertreter im Betrieb (2. Beratung); 6. Schutz vor den durch Benzol verursachten Gefahren (einfache Beratung).

2. Die schweizerische Delegation war nach den Regeln der IAO dreigliedrig zusammengesetzt. Sie bestand aus den Regierungsvertretern Botschafter Dr. Albert Grübel, Direktor des Bundesamtes für Industrie, Gewerbe und Arbeit, und Minister Dr. Cristoforo Motta, stellvertretender Direktor des Bundesamtes für Sozialversicherung, sowie René Grever, Adjunkt des Bundesamtes für Industrie, Gewerbe und Arbeit, als stellvertretendem Delegierten. Es gehörten ihr ferner Rudolf Huber-Rübel, Präsident des Verwaltungsrates der Maschinenfabrik Oerlikon, als Arbeitgeberdelegierter, und Guido Nobel, Sekretär des Schweizerischen Gewerkschaftsbundes, als Arbeitnehmerdelegierter an. Einige technische Berater ergänzten die Delegation.

3.113 der 121 Mitgliedstaaten waren an der 56. Tagung vertreten.

Mit Pierre Waline (Frankreich) wurde erstmals ein Arbeitgebervertreter zum Vorsitzenden der Konferenz gewählt.

4. Im Verlauf einer besonderen Sitzung ergriff Leopold Sedar Senghor, Präsident der Republik Senegal, das Wort. Er richtete an die Industriestaaten einen dringenden Aufruf zur Förderung der wirtschaftlichen Expansion der Entwicklungsländer, vor allem mittels Gewährung gerechterer Handelsbedingungen.

5. Die ersten drei Verhandlungsgegenstände (Bericht des Generaldirektors, Voranschlag sowie Mitteilungen und Berichte über die Anwendung der Übereinkommen und Empfehlungen) stehen jedes Jahr auf der Tagesordnung der Konferenz.

Der erste Teil des Berichts des Generaldirektors stand unter dem Titel «Freiheit durch Dialog». Mehr als 200 Redner ergriffen das Wort zu diesem Thema, das je nach den politischen Strömungen zu den verschiedensten und gegensätzlichsten Ausführungen Anlass gab. Der schweizerische Regierungsvertreter unterstrich die grosse Bedeutung, die in unserem Land der freien Diskussion zugestanden wird, und gab der Hoffnung Ausdruck, dass der Bericht des Generaldirektors und die darüber veranstaltete Aussprache dazu beitragen mögen, die Gewalt durch den Dialog zu verdrängen.

6. Kurz nachdem die IAO ihr fünfzigjähriges Bestehen gefeiert hatte, geriet sie in eine schwere Krise und sah sich insbesondere vor ernsthaften finanziellen Schwierigkeiten. Die
amerikanischen Arbeitnehmervertreter vertraten die Auffassung, dass die IAO zu einseitig orientiert sei. Auf ihr Verlangen hin beschloss der Kongress der Vereinigten Staaten im August 1970, die Bezahlung des amerikanischen Beitrages, der sich auf 25 Prozent des Gesamtvoranschlags der Organisation beläuft, zurückzustellen. Der Verwaltungsrat des Internationalen Arbeitsamtes (IAA) sah sich gezwungen, Überbrückungsmassnahmen zu ergreifen. So wurden die Ausgaben gedrosselt, was notgedrungen Abstriche am Tätigkeitsprogramm und Personalentlassungen zur Folge hatte, während die Tätigkeit der Organisation in einem unerlässlichen Mindestrahmen aufrechterhalten wurde.

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Der Voranschlag, der schliesslich von der Konferenz zur Finanzierung der Tätigkeit der IAO in der Zweijahresperiode 1972-1973 angenommen wurde, beläuft sich auf 69 674 000 Dollar (Punkt 2 der Tagesordnung). Diese Tätigkeit erstreckt sich auf die Gesamtheit der sozialpolitischen Fragen, für welche die IAO verantwortlich ist, und soll es der Organisation ermöglichen, die Rolle zu spielen, die ihr in der internationalen Entwicklungsstrategie der Vereinten Nationen für das zweite Entwicklungsjahrzehnt zukommt. Der Anteil der Schweiz an den Ausgaben der Organisation beläuft sich seit 1971 auf 1,18 Prozent, gegenüber 1,24 Prozent im Jahre 1970. Trotz dieser Herabsetzung unseres Anteils ist unser Beitrag für 1972 auf 411076 Dollar gegenüber 368 931 Dollar für 1971 gestiegen.

7. Jedes Jahr wählt der mit der Überwachung der Anwendung von Übereinkommen und Empfehlungen der IAO betraute Ausschuss der Konferenz eine Anzahl Einzelfälle aus, die dem Sachverständigenausschuss Anlass zu Bemerkungen gegenüber Mitgliedstaaten über die Verwirklichung der von ihnen ratifizierten Übereinkommen gegeben haben. Die betreffenden Länder werden eingeladen, ihren Standpunkt vor dem Ausschuss zu vertreten. Ausnahmsweise hatte auf dieser Tagung auch einmal die Schweiz Stellung zu nehmen, nämlich zu einer Bemerkung des Sachverständigenausschusses im Zusammenhang mit der Anwendung des von uns im Jahre 1961 ratifizierten Übereinkommens (Nr. 111) über die Diskriminierung in Beschäftigung und Beruf. Diese Bemerkung lautete folgendermassen: Der Ausschuss hat mit Bedauern festgestellt, dass bezüglich der weiblichen Angestellten der allgemeinen Bundesverwaltung vom Grundsatz der Auflösung des , Dienstverhältnisses bei Heirat (Art. 76 Abs. 3 der Verordnung über das Dienstverhältnis der Angestellten) nicht abgegangen worden ist, obwohl gemäss einer Erklärung der Regierung solche Vertragsauflösungen in der Praxis nur noch ausnahmsweise erfolgen.

Ein Vertreter des Eidgenössischen Personalamtes gab vor dem Ausschuss der Konferenz hiezu folgende Erläuterungen ab : Die Regierung hat die Frage einer Änderung von Artikel 76 Absatz 3 der Angestelltenverordnung und von Artikel 55 des Beamtengesetzes, welche beide eine Auflösung des Dienstverhältnisses einer Angestellten bzw. Beamtin bei ihrer Verheiratung vorsehen, weiter verfolgt. Sie wird zurzeit im Rahmen einer Gesamtrevision des Beamtenverhältnisses geprüft, welche aber noch einige Zeit beansprucht.

In der Praxis erfolgt eine derartige Auflösung des Dienstverhältnisses im Zeichen des heutigen grossen Personalmangels nur noch ganz ausnahmsweise. Im allgemeinen begnügt man sich mit einer blossen Änderung des Dienstverhältnisses. Es handelt sich somit eher um einen formellen Unterschied. Im übrigen wirken sich die genannten Bestimmungen für die Beamtinnen insofern günstig aus, als nach dem geltenden System eine Beamtin bei ihrer Verheiratung von der Pensionskasse eine höhere Summe beziehen kann. Den gleichen finanziellen Vorteil geniesst die ständige Angestellte, deren Dienstverhältnis aus dem gleichen Grund umgewandelt wird. Dieser Vorteil wird von dem betreffenden Personal begrüsst.

Der Ausschuss der Konferenz nahm Kenntnis von dieser Erklärung.

8. Das von der IAO ausgearbeitete Weltbeschäftigungsprogramm, das ein wesentlicher Beitrag zum zweiten Entwicklungsjahrzehnt der Vereinten

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Nationen (1970-1980) ist, war auf der Tagesordnung zur allgemeinen Beratung eingetragen. Auf Vorschlag des zuständigen Ausschusses bekannte sich die Konferenz zu den im zweiten Abschnitt behandelten Schlussfolgerungen, deren Text im Anhang 5 wiedergegeben ist.

9. Zum Schutz für Arbeitnehmervertreter im Betrieb, der als Punkt 5 zur zweiten Beratung auf der Tagesordnung stand, nahm die Konferenz ein Übereinkommen und eine Empfehlung an. Auf diese Urkunden, die in den Anhängen l und 2 wiedergegeben sind, kommen wir im dritten Abschnitt zurück.

10. Das Problem des Schutzes vor Benzolvergiftungen (Punkt 6 der Tagesordnung) war Gegenstand einer einmaligen Beratung, die zur Annahme eines Übereinkommens und einer Empfehlung durch die Konferenz führte. Wir verweisen für die Erörterung dieser Urkunden auf den vierten Abschnitt und für den Wortlaut auf die Anhänge 3 und 4.

1l. Die Konferenz stimmte ferner ausser der Tagesordnung einer Reihe von Entschliessungen zu den folgenden Fragen zu : Verstärkung der Dreigliedrigkeit bei allen Tätigkeiten der IAO, Apartheid, Wanderarbeiter, zukünftige Tätigkeiten der IAO für die soziale Sicherheit, Sozialprobleme, die durch Unternehmen mehrerer Staaten aufgeworfen werden, Beziehungen zwischen internationalem Handel und Beschäftigung.

Die Entschliessung über die Wanderarbeiter verlangt insbesondere die Gleichbehandlung der in- und ausländischen Arbeitnehmer sowie die Aufhebung von Benachteiligungen für die ausländischen Arbeitnehmer. Sie macht auf die menschlichen und sozialen Probleme der Wanderarbeiter aufmerksam und schlägt vor, diese Frage auf die Tagesordnung einer der nächsten Tagungen der Konferenz zu setzen.

12. Die Konferenz setzte die Prüfung der Strukturfragen der IAO fort. Dabei beschloss sie, vorläufig dem Verwaltungsrat 14 statt wie bisher 12 stellvertretende Regierungsvertreter beizugeben. Anderseits nahm sie davon Kenntnis, dass ihr 1972 ein Antrag auf Änderung der Verfassung der Organisation durch Erhöhung der Anzahl Titularmitglieder des Verwaltungsrates von 48 auf 56 eingereicht werde. Schliesslich beschloss sie, auf der Tagung von 1973 in aller Form auf die Strukturfragen zurückzukommen.

H. Schlussfolgerungen zum Weltbeschäftigungsprogramm 1. Ziel und Inhalt der Schlussfolgerungen

Die meisten Entwicklungsländer leiden unter solcher Arbeitslosigkeit und Unterbeschäftigung, dass entweder ein grosser Teil ihrer Einwohner am wirtschaftlichen Fortschritt kaum teilhat oder dass sich infolge Unterbeschäftigung ein solcher Fortschritt überhaupt nicht erreichen lässt. Wird nichts dagegen unternommen, so verschlechtert sich die Lage in vielen Gegenden weiterhin,

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was sich sogar auf die Industrieländer auswirken könnte. Wegen dieser Lage nahm die Internationale Arbeitskonferenz 1969 das Weltbeschäftigungsprogramm an. Der Zweck dieses Programms besteht darin, den Mitgliedern der internationalen Gemeinschaft den Ernst der Lage ins Bewusstsein zu rufen, damit die einzelnen Staaten die Entwicklung von Beschäftigungsmöglichkeiten mehr in den Vordergrund ihrer Politik stellen und damit auf dem Wege internationaler Zusammenarbeit die innerstaatlichen Massnahmen zur Förderung der Beschäftigung wirksam unterstützt werden.

Zwei Jahre nach der Annahme des Programms hatte die Konferenz nunmehr den Stand der begonnenen Aktion festzustellen und in grossen Zügen die künftigen Massnahmen zu umreissen, die sich auf Grund der bisherigen Erfahrungen empfehlen.

Die Konferenz betonte in ihren Schlussfolgerungen, dass die beschäftigungspolitischen Massnahmen unmittelbar auf die Erhöhung des Lebensstandards für die gesamte erwerbstätige Bevölkerung ausgerichtet sein sollten. Zu diesem Zweck sollen die Entwicklungsländer - die volle, produktive und frei gewählte Beschäftigung zum Hauptziel ihrer nationalen Entwicklungspolitik machen; - diese Politik auf die Hebung der Beschäftigung ausrichten und zur Überwindung von Hindernissen, die sich etwa aus dem Gefüge ihrer Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung ergeben, die notwendigen Massnahmen ergreifen; - ihre innerstaatliche Gesetzgebung, Politik und Praxis überprüfen, sofern sie den Beschäftigungsstand begrenzen; - Landwirtschaftsreformen als Vorbedingung für die Entwicklung dieses Bereichs durchführen und diese Reformen auf die Massnahmen zur Schaffung einer möglichst vielseitigen Industrie abstimmen.

Da die rasche Bevölkerungszunahme in vielen Ländern zu ernsten Beschäftigungsproblemen führt, sollten die Einleitung bevölkerungspolitischer Massnahmen und gegebenenfalls die Einführung von Familienplanungsprogrammen geprüft und diese Massnahmen mit Hilfe zuständiger internationaler Organisationen einschliesslich der IAO ausgearbeitet werden.

Die Industrieländer ihrerseits sollten zur Schaffung produktiver Beschäftigungsmöglichkeiten in den Entwicklungsländern beitragen, indem sie - die Einfuhrbeschränkungen für Erzeugnisse aus diesen Ländern herabsetzen; - den Entwicklungsländern alljährlich eine finanzielle Hilfe von mindestens
einem Prozent ihres Bruttosozialprodukts zukommen lassen; - sich überdies vergewissern, dass ihre Hilfe und die daran geknüpften Bedingungen mit den jeweiligen innerstaatlichen beschäftigungspolitischen Massnahmen in Einklang gebracht werden.

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Ganz allgemein sollten sich die Länder bemühen, einen möglichst grossen Teil der Summen, die derzeit für Rüstung und Kriegsmaterial ausgegeben werden, für Vorhaben zur Überwindung der Arbeitslosigkeit zu verwenden.

Die Konferenz betonte ferner die wichtige Rolle, die den Arbeitgeber- und Arbeitnehmerorganisationen auf diesem Gebiet zukommt. Diese sollten sich bei der Festlegung und Verwirklichung der innerstaatlichen Beschäftigungspolitik und besonders auch bei der Planung und Organisation der beruflichen Ausbildung wirksam beteiligen können.

Wenn auch die Verantwortung für die Beschäftigungspolitik in erster Linie bei den Ländern mit Unterbeschäftigung liegt, so kommt doch auch der internationalen Gemeinschaft bei der Unterstützung der innerstaatlichen Bestrebungen eine wichtige Rolle zu. Sie muss insbesondere in der internationalen Entwicklungsstrategie für das zweite Entwicklungsjahrzehnt der Vereinten Nationen dafür sorgen, dass das Ziel der vollen, produktiven und frei gewählten Beschäftigung im Vordergrund der Bestrebungen für den wirtschaftlichen und sozialen Fortschritt steht. Sie sollte des weitern bei der Aufstellung und Annahme umfassender innerstaatlicher wirtschafts- und sozialpolitischer Massnahmen Beistand leisten und für eine rasche Liberalisierung der Handelspolitik sorgen. Der IAO kommt dabei eine dreifache Rolle zu : - Förderung und Unterstützung der beschäftigungspolitischen Massnahmen und dabei insbesondere auch Überwachung der erzielten Fortschritte und Prüfung der einer Vollbeschäftigung im Wege stehenden Hindernisse; - Untersuchungen zur Lösung praktischer Probleme der Beschäftigungspolitik; diese Untersuchungen sollten sich insbesondere auf die Feststellung der Anwendungsmöglichkeiten und Bedingungen für arbeitsintensive Techniken, auf die Auswertung der bisher in einzelnen Ländern gemachten positiven Erfahrungen zur produktiven Vollbeschäftigung sowie auf das Studium von Fragen im Zusammenhang mit den Wanderarbeitern erstrecken ; - Beistand bei der Aufstellung und Annahme von beschäftigungspolitischen Massnahmen der Regierungen; im Programm zur technischen Zusammenarbeit der IAO sollte dieser Beistand den Vorrang haben.

Zu diesem Zweck sollten Missionen entsandt werden, die den einzelnen Ländern bei der Aufstellung einer umfassenden Beschäftigungspolitik helfen.
Dabei sollten sie in engem Kontakt mit den betreffenden Arbeitgeber- und Arbeitnehmerorganisationen Empfehlungen ausarbeiten und Wege zu deren Verwirklichung suchen.

Obwohl die IAO ihre beschränkten Mittel vor allem für die Hilfe an die Entwicklungsländer einsetzen muss, sollte sie doch auch gewissen Beschäftigungsproblemen der Industrieländer ihre Aufmerksamkeit schenken und dabei besondern Wert auf den Austausch von Informationen und Erfahrungen in verschiedenen Ländern legen.

395 2. Stellungnahme zu den Schlussfolgerungen

Die Bedeutung des Beschäftigungsproblems in den Entwicklungsländern wird von der Schweiz voll anerkannt. So konnte die schweizerische Delegation den Schlussfolgerungen der Konferenz durchaus zustimmen. Diese räumen der Hebung des Beschäftigungsstandes in der Entwicklungspolitik den Vorrang ein und versuchen daneben, die betreffenden Länder zur Ausarbeitung und Verwirklichung von Beschäftigungsmassnahmen anzuregen. Schliesslich laden sie auch die IAO ein, bei der Festlegung und Durchführung dieser Massnahmen in den Entwicklungslandern mitzuwirken. Nach diesen Schlussfolgerungen die sich übrigens mit den Vorstössen der schweizerischen Regierungsvertreter decken - sollen die Massnahmen zur Hebung des Beschäftigungsstandes umfassend gestaltet werden, d. h. sowohl die sozialen wie die wirtschaftlichen Seiten der Probleme und die politischen, kommerziellen und finanziellen Auswirkungen berücksichtigen. Eine grosse Bedeutung kommt ferner der Planung und der Bildung zu, und besondere Aufmerksamkeit wird schliesslich noch den langfristigen Bestrebungen, besonders bei der Wahl der verschiedenen Technologien, zu widmen sein. Dabei sollten diese Bestrebungen nicht nur kurzfristig zu einem höchstmöglichen Beschäftigungsstand führen, sondern auch eine langfristige Entwicklung der Wirtschaft nach sich ziehen. Der Hauptakzent wird auf die Entwicklung der Landwirtschaft der Entwicklungsländer gelegt, wobei sie auf die Massnahmen zur Schaffung einer möglichst vielfältigen Industrie abgestimmt werden soll; dies entspricht denn auch der von der Schweiz bei der technischen Zusammenarbeit verfolgten Politik.

Wenn es auch zutrifft, dass selbst gewisse Industrieländer Arbeitslosigkeit oder Unterbeschäftigung kennen, so werden davon meist nur einzelne Bereiche der innerstaatlichen Wirtschaft betroffen. In unterentwickelten Ländern dagegen leidet die gesamte Wirtschaft unter der Unterbeschäftigung.

Des weitern ist auch der Grad der Unterbeschäftigung in den meisten Ländern der Dritten Welt so hoch, dass er ihre Entwicklung ernstlich in Frage stellt. Deshalb stimmte die schweizerische Delegation der Auffassung zu, dass die IAO der Hilfe an die Entwicklungsländer den Vorzug geben soll, ohne dass dabei allerdings die Beschäftigungsprobleme in Industriestaaten vernachlässigt werden sollen. Diese Auffassung rechtfertigt sich
auch dadurch, dass die Entwicklung der Länder der Dritten Welt ebenfalls für die wirtschaftliche Zukunft der heutigen Industriestaaten bestimmend sein wird. Tatsächlich geht das Problem der Unterbeschäftigung in den Entwicklungsländern weit über die Belange dieser Länder hinaus ; verbessert sich ihre Lage nicht, so kann eine teilweise Beeinträchtigung unserer Wirtschaft nicht ausgeschlossen werden.

Die Schweiz konnte ebenfalls den Aufgaben zustimmen, die sich für die Industriestaaten aus den Schlussfolgerungen der Konferenz ergeben. Tatsächlich befürwortet sie gewisse Vorzugstarife. Es sei auch an die Erklärung des Bundesrates vom 24. Oktober 1970 zur Strategie im zweiten Entwicklungsjahrzehnt erinnert, in der Massnahmen in Aussicht genommen werden, um mög-

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liehst regelmässige private und öffentliche Beiträge von jährlich einem Prozent des Bruttosozialprodukts zu gewähren. Die Bedingungen, unter denen die schweizerische Hilfe an die Entwicklungsländer geleistet wird, entsprechen schliesslich der in den Schlussfolgerungen enthaltenen Empfehlung. Die Förderung produktiver Beschäftigungsmöglichkeiten ist nämlich bereits eines der Ziele der technischen Zusammenarbeit.

III. Übereinkommen (Nr. 135) und Empfehlung (Nr. 143) betreffend Schutz und Erleichterungen für Arbeitnehmervertreter im Betrieb 1. Ziel und Inhalt des Übereinkommens und der Empfehlung

Der erste Artikel des Übereinkommens stellt den Grundsatz auf, dass Arbeitnehmervertreter im Betrieb gegen jede Benachteiligung wirksam zu schützen sind, und zwar auch in bezug auf die Kündigung, die ihnen auf Grund ihrer Stellung oder Betätigung als Arbeitnehmervertreter oder auf Grund ihrer gewerkschaftlichen Mitgliedschaft oder Tätigkeit widerfahren könnte. Dieser Schutz wird unter der Bedingung gewährt, dass die Arbeitnehmervertreter im Einklang mit den bestehenden Gesetzen, Gesamtarbeitsverträgen oder anderen gemeinsam vereinbarten Regelungen handeln.

Als zweiter Grundsatz sieht das Übereinkommen in Artikel 2 für die Arbeitnehmervertreter Erleichterungen vor, die ihnen die rasche und wirksame Durchführung ihrer Aufgaben ermöglichen sollen, wobei die Eigenart des in dem betreffenden Land bestehenden Systems der Arbeitsbeziehungen sowie die Betriebslage zu berücksichtigen sind; das wirksame Funktionieren des betreffenden Betriebs darf dadurch nicht beeinträchtigt werden.

Unter den Begriff des «Arbeitnehmervertreters» fallen nach Artikel 3 des Übereinkommens Personen, die auf Grund der innerstaatlichen Gesetzgebung oder Praxis als solche anerkannt sind, und zwar sowohl Gewerkschaftsvertreter als auch «gewählte Vertreter», d. h. von den Arbeitnehmern des Betriebes frei gewählte Vertreter. Die zuletzt Genannten müssen im Einklang mit den Bestimmungen der innerstaatlichen Gesetzgebung oder von Gesamtarbeitsverträgen gewählt worden sein, und ihre Funktionen dürfen sich nicht auf Tätigkeiten erstrecken, die in dem betreffenden Land als ausschliessliches Vorrecht der Gewerkschaften gelten. Innerhalb dieser Begriffsumschreibung kann nach Artikel 4 durch innerstaatliche Gesetzgebung, Gesamtarbeitsverträge, Schiedssprüche oder gerichtliche Entscheidungen bestimmt werden, welche Arten von Arbeitnehmervertretern Anspruch auf Schutz und Erleichterungen haben. Das Übereinkommen bestimmt des weiteren in Artikel 5, dass in einem Betrieb, in dem sowohl Gewerkschaftsvertreter als auch gewählte Vertreter tätig sind, nötigenfalls geeignete Massnahmen zu treffen sind, um zu verhüten, dass das Vorhandensein gewählter Vertreter dazu benützt wird, die Stellung der betei-

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ligten Gewerkschaften oder ihrer Vertreter zu untergraben, und um die Zusammenarbeit zwischen den gewählten Vertretern und den beteiligten Gewerkschaften mit ihren Vertretern in allen einschlägigen Fragen zu fördern.

Artikel 6 des Übereinkommens sieht schliesslich noch vor, dass die Durchführung seiner Bestimmungen durch die innerstaatliche Gesetzgebung, durch Gesamtarbeitsverträge oder auch auf jede andere, den innerstaatlichen Gepflogenheiten entsprechende Art und Weise sichergestellt werden könne.

Die Empfehlung übernimmt im wesentlichen die soeben erwähnten Punkte des Übereinkommens, behandelt sie jedoch eingehender.

So sieht Artikel 6 der Empfehlung vor, dass mangels ausreichender allgemeingültiger Bestimmungen besondere Schutzvorkehrungen für Arbeitnehmervertreter getroffen werden sollen, und er zählt auch einige besondere Schutzmassnahmen auf.

Artikel 7 bestimmt, dass die Schutzgrundsätze unter gewissen Voraussetzungen auch auf Arbeitnehmer auszudehnen seien, die nicht mehr Arbeitnehmervertreter sind oder die sich um die Wahl als Vertreter bewerben. Nach Artikel 8 sollen im weiteren Personen, die nach Ablauf ihres Auftrags als Arbeitnehmervertreter ihre Arbeit in dem betreffenden Betrieb weiterführen, alle ihre Rechte behalten oder wiedererlangen können. Für Arbeitnehmer, die ihre Vertreterfunktionen ausserhalb des betreffenden Betriebes ausgeübt haben, sollte durch innerstaatliche Gesetzgebung, durch Gesamtarbeitsverträge, Schiedssprüche oder gerichtliche Entscheidungen eine Regelung herbeigeführt werden.

In bezug auf die den Arbeitnehmervertretern zu gewährenden Erleichterungen führt Artikel 10 der Empfehlung - in Bestätigung des in Artikel 2 des Übereinkommens festgelegten allgemeinen Grundsatzes - die Freizeit auf, die ihnen ohne Einbusse an Lohn oder Sozial- und Nebenleistungen zur Ausübung ihrer Vertretungsfunktionen im Betrieb zu gewähren ist. Ferner wird die Möglichkeit zur Teilnahme an gewerkschaftlichen Versammlungen, Ausbildungslehrgängen, Seminarien, Kongressen und Konferenzen ohne Einbusse an Lohnoder Sozial- und Nebenleistungen erwähnt, wobei für die Frage, wer für die daraus entstehenden Kosten aufzukommen hat, auf die innerstaatliche Gesetzgebung oder Vereinbarungen verwiesen wird (Art. 11).

Mit den Artikeln 12 und 13 der Empfehlung wird den Arbeitnehmervertretern das
notwendige Zutrittsrecht zu allen Arbeitsräumen des Betriebes und zur Betriebsleitung eingeräumt. Zudem sollte den entsprechend ermächtigten Arbeitnehmervertretern der regelmässige Einzug von Gewerkschaftsbeiträgen im Betrieb erlaubt werden (Art. 14). Artikel 15 regelt die Erlaubnis zum Anschlag gewerkschaftlicher Mitteilungen sowie zur Verteilung von Informationsunterlagen durch Arbeitnehmervertreter im Betrieb. Nach Artikel 16 sollte ihnen die Betriebsleitung ferner unter bestimmten Voraussetzungen auch die für die Ausübung ihrer Funktionen erforderlichen materiellen Erleichterungen

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und Auskünfte zur Verfügung stellen. Schliesslich sollten Gewerkschaftsvertreter, die selbst nicht im Betrieb beschäftigt sind, deren Gewerkschaft jedoch im Betrieb beschäftigte Mitglieder hat, unter noch zu umschreibenden Voraussetzungen Zutritt zum Betrieb haben (Art. 17).

2. Stellungnahme zum Übereinkommen und zur Empfehlung

Wie bereits dargelegt, sehen Übereinkommen und Empfehlung zwei Arten von Arbeitnehmervertretern im Betrieb vor. Einerseits die durch die Gewerkschaften oder deren Mitglieder bestellten oder gewählten Gewerkschaftsvertreter und anderseits die sogenannten «gewählten Vertreter». Bei diesen handelt es sich um die von den Arbeitnehmern des Betriebes frei gewählten Vertreter.

In der Schweiz bestehen keine gesetzlichen Bestimmungen über die Stellung der Gewerkschaftsvertreter im Betrieb, und auch die von den Arbeitnehmern im Betrieb gewählten Vertreter werden nur in einigen wenigen Bestimmungen erwähnt. Dies ist der Fall in den Artikeln 28, 37 und 48 des Bundesgesetzes über die Arbeit in Industrie, Gewerbe und Handel vom 13. März 1964 (ArG) und in Artikel 73 der zugehörigen Verordnung I vom 14. Januar 1966.

Die Artikel 28 und 48 ArG schreiben vor, dass den beteiligten Arbeitnehmern oder gegebenenfalls ihrer Vertretung im Betrieb Gelegenheit zur Meinungsäusserung zu geben ist, bevor Abweichungen von den gesetzlichen Bestimmungen über die Arbeitszeit angeordnet werden. Artikel 37 Absatz 4 ArG bestimmt, dass die Betriebsordnung zwischen dem Arbeitgeber und «einer von den Arbeitnehmern frei gewählten Vertretung» schriftlich zu vereinbaren sei oder vom Arbeitgeber nach Anhören der Arbeitnehmer erlassen werden könne.

Artikel 73 Absatz l der Verordnung I führt dazu näher aus : «Als frei gewählt im Sinne von Artikel 37 Absatz 4 des Gesetzes gilt die Arbeitnehmervertretung, wenn die Wahl nach einer Wahlordnung erfolgt, die durch Gesamtarbeitsvertrag oder eine andere kollektive Vereinbarung festgelegt wird. » Die letztgenannte Bestimmung unterstreicht den Willen des schweizerischen Gesetzgebers, den Sozialpartnern die Verantwortung für die Regelung der Fragen von gemeinsamem Interesse zu überlassen. Dieses Vorgehen bietet unter anderem den Vorteil, dass jeglicher Schematismus vermieden und der Unterschiedlichkeit der Bedürfnisse und Möglichkeiten der einzelnen Branchen und Betriebe Rechnung getragen werden kann.

So besteht einer der Grundzüge des bedeutungsvollen Friedensabkommens der Maschinenindustrie gerade darin, dass allgemein die Schaffung von Arbeiterkommissionen, welche durch das Personal des Betriebes gewählt werden, vorgesehen wird. Diesen Kommissionen obliegt es, gemeinsam mit der Betriebsleitung
nach konkreten Lösungen zu suchen, sobald irgendwelche Streitfragen in einem industriellen Betrieb auftauchen. Aber auch zahlreiche Gesamtarbeitsverträge enthalten Bestimmungen über die Einsetzung von Betriebskommissionen und über ihre Funktionen. Die Einsetzung solcher Kommissionen und die Zahl ihrer

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Mitglieder hängen von der Bedeutung des Betriebes nach Personalbestand ab.

Dazu ist zu bemerken, dass die Arbeitnehmervertreter stets vom Personal des Betriebs aus seinen eigenen Reihen gewählt werden. Häufig wird auch vorgesehen, dass die verschiedenen Abteilungen des Betriebes in der Kommission vertreten sein sollen. Abgesehen von ganz seltenen Ausnahmen wird dabei für das Wahlrecht und die Wählbarkeit zwischen den gewerkschaftlich organisierten und den nichtorganisierten Belegschaftsmitgliedern kein Unterschied gemacht.

Zur Frage des Schutzes für Arbeitnehmervertreter ist zu sagen, dass einzelne Gesamtarbeitsverträge die Tätigkeit der «Vertrauensleute» ausdrücklich regeln.

Zuweilen werden auch Sonderbestimmungen aufgenommen, wonach gegenüber den Mitgliedern der Betriebskommission aus Gründen, die mit der Ausübung ihrer Funktionen zusammenhängen, keinerlei für sie nachteilige Massnahmen ergriffen werden dürfen. Es steht den Sozialpartnern frei, die Klauseln zugunsten der Arbeitnehmervertreter im Sinne der beiden neuen Urkunden der IAO näher zu umschreiben, falls sie dies wünschen. Das Obligationenrecht bietet dazu die Grundlage (Art. 357b Abs. l Bst. b) und lässt es sogar zu, dass sich Gesamtarbeitsverträge auf die Regelung solcher Fragen beschränken (Art. 356 Abs. 2).

Ferner können die Vertragspartner von den Behörden die Allgemeinverbindlicherklärung solcher Gesamtarbeitsverträge verlangen.

In diesem Zusammenhang ist schliesslich noch zu betonen, dass die Gesamtarbeitsverträge und die darauf beruhenden Betriebskommissionen sowohl auf beruflicher wie auch auf betrieblicher Ebene sehr viel zur Schaffung jenes Klimas des gegenseitigen Verständnisses zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern beigetragen haben, welches unserem Lande in den letzten dreissig Jahren den sozialen Frieden sicherte. Das System der Gesamtarbeitsverträge hat damit seine Bewährungsprobe bestanden. Unter diesen Umständen ist es auch verständlich, wenn es der Staat in erster Linie den Sozialpartnern überlässt, die meisten ihrer Probleme selbst zu regeln.

Es zeigt sich somit, dass das Problem des Schutzes der Arbeitnehmervertreter in unserem Land unter etwas besonderen Verhältnissen in Erscheinung tritt. Dazu trägt nicht zuletzt auch bei, dass die von den drei Gewerkschaften eingereichte Mitbestimmungs-Initiative die Dinge
stark in Fluss gebracht hat.

Wohin die Entwicklung schliesslich führen wird, ist heute noch nicht ganz voraussehbar. Unter diesen Umständen ist es angezeigt, den Entscheid über die Ratifizierung des Übereinkommens vorderhand aufzuschieben, bis mehr Klarheit bestehen wird. Den Sozialpartnern bleibt aber selbstverständlich überlassen zu prüfen, ob sie sich in den Gesamtarbeitsverträgen von den Grundsätzen leiten lassen können, die in den beiden neuen Urkunden der IAO über Schutz und Erleichterungen für Arbeitnehmervertreter im Betrieb niedergelegt sind.

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IV. Übereinkommen (Nr. 136) und Empfehlung (Nr. 144) betreffend den Schutz vor den durch Benzol verursachten Vergiftungsgefahren 1. Ziel und Inhalt des Übereinkommens und der Empfehlung

Benzol (C6H6) wird in der Industrie vielfach als Grundstoff für eine Anzahl chemischer Synthesen wie auch als Lösungsmittel in zahlreichen industriellen Verfahren verwendet.

Benzol ist zweifellos einer der gefährlichsten Stoffe, die in der Industrie verwendet werden. Seine Flüchtigkeit bewirkt eine rasche Aufnahme seiner Dämpfe durch die Atemwege. Seine Fettlöslichkeit begünstigt aber auch sein Eindringen durch die Haut. Ähnlich wie dies bei ändern Lösungsmitteln der Fall ist, führt das Einatmen höherer Konzentrationen rasch zum Auftreten von Rauschzuständen, die bald zu Bewusstlosigkeit, Atemlähmung und sogar zum Tod führen können. Die grossie Gefahr des Benzols liegt aber in seiner zerstörenden Wirkung auf die im Knochenmark liegenden Stätten der Blutbildung, wobei schon verhältnismässig niedrige, beim Einatmen kaum wahrgenommene Benzolkonzentrationen auf die Dauer zu tödlichen Erkrankungen infolge Zerstörung der roten oder weissen Blutkörperchen oder der Blutplättchen Anlass geben können. Diese für Benzol typischen, äusserst gefährlichen Wirkungen auf die Bestandteile des Blutes finden sich nicht bei den Homologen des Benzols, wie z. B. dem ihm nahe verwandten Toluol und Xylol, so dass besondere Massnahmen zum Schutz vor dem Benzol durchaus gerechtfertigt erscheinen. Ferner ist zu bedenken, dass Benzol auch in ändern weit weniger gefährlichen Lösungsmitteln enthalten sein kann, und zwar besonders auch in gewissen Erdöldestillaten und -derivaten. Häufig kommt es als Verunreinigung auch in seinen Homologen, Toluol und Xylol, vor.

Schon auf der ersten Tagung des Ausschusses für chemische Industrie (Paris, April 1948) unterbreitete das IAA eine Mitteilung über Fragen der Arbeitshygiene in der chemischen Industrie, in der die Gefährdung durch Benzol ausführlich behandelt und eine Untersuchung empfohlen wurde. Dabei sollten insbesondere die Möglichkeit des Ersatzes von Benzol, der Schutz gegen benzolhaltige Dämpfe, die Regelung der Arbeit für bestimmte Personengruppen und die ärztliche Überwachung der durch Benzol gefährdeten Arbeitnehmer geprüft werden.

Die Frage wurde 1958 und 1962 von der IAO erneut aufgegriffen. 1962 wurden auf einer in Genf abgehaltenen Fachtagung für das graphische Gewerbe - Benzol wurde damals als Farblösungs- und Reinigungsmittel gelegentlich noch im Tiefdruck verwendet -
die Probleme des technischen und medizinischen Arbeitsschutzes eingehend erörtert und u. a. auch ein Verbot des Benzols gefordert. Hier ist daraufhinzuweisen, dass sich auch der Europarat schon seit 1961 mit dem Benzolproblem befasste und in einer 1966 herausgegebenen

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Empfehlung eine Reihe von Sicherheitsmassnahmen vorschlug. Nachdem dann im Mai 1967 eine vom Verwaltungsrat des IAA nach Genf einberufene, dem gleichen Thema gewidmete Tagung von Sachverständigen Schlussfolgerungen aufgestellt hatte, beschloss der Verwaltungsrat im März 1969, die Frage des Schutzes vor der Gefährdung durch Benzol auf die Tagesordnung der 56. Tagung der Arbeitskonferenz zu setzen, in der Hoffnung, dass nach einmaliger Beratung internationale Normen angenommen werden.

Artikel l Buchstabe a des Übereinkommens bringt eine wissenschaftliche Definition des Benzols mit der dazugehörigen chemischen Formel. Diese genaue Umschreibung ist unerlässlich zur Identifizierung von Benzol in benzolhaltigen im Handel befindlichen und irrtümlicherweise als ungefährlich betrachteten Mischungen. Die hohe Gefährlichkeit auch geringfügiger Benzolgehalte rechtfertigt es, dass alle Gemische, die mehr als ein Prozent Benzol enthalten, ebenfalls den Bestimmungen des Übereinkommens unterworfen werden (Art. l Bst. b). Artikel 2 Ziffer l stellt den Grundsatz auf, dass in allen Fällen, in denen unschädliche oder weniger schädliche Stoffe zur Verfügung stehen, auf den Gebrauch von Benzol oder benzolhaltigen Stoffen zu verzichten ist.

Eine Ausnahme bilden die Herstellung des für die chemische Industrie als Grundstoff unentbehrlichen Benzols selbst, seine Verwendung zu chemischen Synthesen, zu Analysen oder Forschungsarbeiten in Laboratorien und seine Verwendung in Motortreibstoffen (Art. 2 Ziff. 2). Artikel 3 handelt von der den einzelnen Ländern zuerkannten Möglichkeit, durch ihre zuständige Behörde für eine beschränkte Zeit Abweichungen von Artikel l Buchstabe b und Artikel 2 Ziffer l zuzulassen.

Artikel 4 verbietet die Verwendung von Benzol und benzolhaltigen Stoffen als Lösungs- oder Verdünnungsmittel streng, sofern nicht in geschlossenen Apparaturen gearbeitet wird oder andere, ebenso sichere Arbeitsmethoden angewendet werden. Zudem wird von der innerstaatlichen Gesetzgebung verlangt, für gewisse Arbeitsverfahren die Verwendung von Benzol zu verbieten.

Das Übereinkommen verlangt ferner angemessene arbeitshygienische und technische Vorbeugungsmassnahmen zum Schutz aller dem Benzol ausgesetzten Arbeitnehmer (Art. 5 und 8) und schreibt für alle Arbeiten mit Benzol oder benzolhaltigen Stoffen eine ärztliche
Einstellungsuntersuchung und spätere, in regelmässigen Zeitabständen zu wiederholende Kontrolluntersuchungen vor (Art. 9), wobei den Arbeitnehmern aus den Untersuchungen keine Kosten erwachsen dürfen (Art. 10).

Nach Artikel 6 darf die Höchstkonzentration an Benzol in den Arbeitsräumen den Höchstwert von 25 ppm (25 Teile auf eine Million Teile) oder 80 mg/m3 zu keiner Zeit überschreiten. Die dazu nötigen Messmethoden sind von der zuständigen Behörde vorzuschreiben.

Artikel 7 befasst sich mit den technischen Vorbeugungsmassnahmen. Wo das Arbeiten mit Benzol nicht in geschlossenen Reaktions- oder Leistungssystemen erfolgen kann, muss die Sicherheit des Arbeitsplatzes durch wirksame technische Massnahmen (z. B. Absaugen der Dämpfe usw.) gewährleistet werden.

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In Artikel 11 wird der Einsatz von schwangeren oder stillenden Frauen für Arbeiten mit Benzol und benzolhaltigen Stoffen verboten. Das gleiche gilt für Jugendliche unter 18 Jahren, sofern es sich nicht um Lehrlinge handelt, die unter angemessener technischer und ärztlicher Aufsicht stehen.

Artikel 12 regelt die Beschriftung aller Behälter, welche Benzol oder benzolhaltige Stoffe enthalten, während Artikel 13 die den gefährdeten Arbeitnehmern abzugebenden Anweisungen umschreibt.

Die Empfehlung ergänzt die im Übereinkommen festgelegten Grundsätze und entwickelt sie weiter. Es wird einer noch weitergehenden Ausschaltung des Benzols und einer noch stärkeren Herabsetzung des Benzolgehaltes von Lösungsmittelgemischen das Wort geredet und auf einzelnen Gebieten eine Verstärkung der Sicherheitsmassnahmen angestrebt.

2. Stellungnahme zum Übereinkommen und zur Empfehlung

Das Bundesgesetz über den Verkehr mit Giften (Giftgesetz) vom 21. März 1969, das am 1. April 1972 in Kraft getreten ist, wie auch die Verordnungen dazu vom 23. Dezember 1971 (Verordnung zum Bundesgesetz über den Verkehr mit Giften sowie Verordnung über verbotene giftige Stoffe) schränken die Gefahr von Benzolvergiftungen weitgehend ein. So erklärt Artikel 4 der Verordnung über verbotene giftige Stoffe die Verwendung von Benzol und Tetrachlorkohlenstoff in «Publikums- oder gewerblichen Produkten» für jeden Zweck als verboten; darunter sind nach den Artikeln 5 und 6 der Verordnung Stoffe und Erzeugnisse zu verstehen, die für den allgemeinen Gebrauch beziehungsweise für den gewerblichen oder industriellen Gebrauch angepriesen oder abgegeben werden können. Vom Verbot ausgenommen sind einzig die Verwendung von Benzol in Motorenbenzin bis zu einem Benzolgehalt von höchstens 5 Volumenprozent sowie die in der Industrie häufig verwendeten Lösungsmittel Toluol und Xylol mit einem Benzolgehalt von höchstens 0,5 Volumenprozent. Diese Bestimmungen gehen bezüglich der Einschränkung des Anwendungsbereiches über die Artikel l und 2 des Übereinkommens hinaus : Nach Artikel l erstreckt sich das Übereinkommen nur auf die Verwendung von benzolhaltigen Produkten mit einem Benzolgehalt von mehr als einem Volumenprozent; Artikel 2 verbietet die Verwendung von Benzol nur in den Fällen, wo unschädliche oder weniger gesundheitsschädliche Ersatzprodukte zur Verfügung stehen, wobei Motortreibstoffe von diesem Verbot ausgenommen sind.

Auf der ändern Seite sind nach Artikel 60bls Ziffer l Buchstabe b des Bundesgesetzes über die Kranken- und Unfallversicherung vom 13. Juni 1911 (KUVG) in Verbindung mit Artikel 16 Ziffer 3 der Verordnung I über die Unfallversicherung alle Unternehmungen, die Benzol erwerbsmässig erzeugen, im grossen verwenden oder lagern, der obligatorischen Unfallversicherung unterstellt. Ferner sieht Artikel 16 Ziffer 4 der genannten Verordnung für

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Garagen zur Aufbewahrung, Reinigung und Instandstellung von Motorfahrzeugen die Versicherungspflicht vor. Infolgedessen sind die Bestimmungen des KUVG über die Unfallverhütung und die Verhütung von Berufskrankheiten (Art. 65-66) sowie die Verordnung vom 23. Dezember 1960 über die Verhütung von Berufskrankheiten und die von der Schweizerischen Unfallversicherungsanstalt gestützt darauf erlassenen Einzelweisungen anwendbar. Wie aus den nachfolgenden Darlegungen hervorgeht, wird damit den Anforderungen der Artikel 4 bis 10 des Übereinkommens bezüglich der Arbeitnehmer in der Industrie mehr als entsprochen.

Nach Artikel 4 in Verbindung mit Artikel l des Übereinkommens soll die Verwendung von Benzol und benzolhaltigen Produkten in Konzentration von über l Volumenprozent als Lösungs- und Verdünnungsmittel bei bestimmten Arbeiten verboten werden, ausser wenn der betreffende Arbeitsvorgang in einem geschlossenen Apparat ausgeführt wird oder andere ebenso sichere Arbeitsmethoden angewendet werden. Demgegenüber hat die Schweizerische Unfallversicherungsanstalt für die dem KUVG unterstellten Betriebe die höchstzulässige Konzentration von Benzol in der Raumluft auf 10 ppm (10 Teile Benzol auf l Million Teile Luft) festgesetzt; ferner erteilt sie auf Grund der tatsächlichen Verhältnisse jeweils noch besondere Weisungen (z. B. Vorschriften zur Vermeidung von Hautkontakten, Forderung geschlossener Systeme usw.).

Die Artikel 5, 6, 7 und 8 des Übereinkommens befassen sich in erster Linie mit den technischen Verhütungsmassnahmen, wie sie in der Schweiz seit langem durch Artikel 65bls des KUVG vorgeschrieben sind. Wesentlich ist dabei, dass die Schweizerische Unfallversicherungsanstalt mit der Ansetzung des höchstzulässigen Wertes für Benzol in der Raumluft am Arbeitsort auf nur 10 ppm noch unter der in Artikel 6 Absatz 2 des Übereinkommens geforderten höchsten zulässigen Benzolkonzentration von 25 ppm bleibt.

Die Artikel 9 und 10 schreiben für alle den Benzolauswirkungen ausgesetzten Arbeiter medizinische Eignungs- und Kontrolluntersuchungen vor.

Auch hier handelt es sich um hygienische Massnahmen, die in unserem Land von der Schweizerischen Unfallversicherungsanstalt auf Grund des KUVG und der bundesrätlichen Verordnung vom 23. Dezember 1960 über die Verhütung von Berufskrankheiten schon seit Jahren vorgeschrieben
sind und bei deren Durchführung die im Übereinkommen gestellten Anforderungen voll erfüllt sind.

Artikel 11 Absatz l des Übereinkommens verbietet die Beschäftigung von schwangeren oder stillenden Frauen bei Arbeiten mit Benzol. Diesem Verbot entspricht Artikel 67 der Verordnung I vom 14. Januar 1966 zum Arbeitsgesetz, indem er bestimmt, dass schwangere Frauen und stillende Mütter nicht zu Arbeiten herangezogen werden dürfen, die sich erfahrungsgemäss auf die Gesundheit, die Schwangerschaft oder das Stillen nachteilig auswirken.

Auch dem in Artikel 11 Absatz 2 des Übereinkommens enthaltenen Verbot der Beschäftigung von Jugendlichen unter 18 Jahren mit Arbeiten, bei de-

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nen sie Benzol oder benzolhaltigen Produkten ausgesetzt sind, sofern es sich nicht um Ausbildung handelt, steht bereits eine entsprechende schweizerische Vorschrift gegenüber, nämlich Artikel 3 der Verordnung vom 23. Dezember 1960 über die Verhütung von Berufskrankheiten.

Artikel 12 des Übereinkommens verlangt die gut sichtbare Anbringung des Wortes «Benzol» und von Gefahrensymbolen auf den Behältern. In der Schweiz enthalten die Artikel 15 des Giftgesetzes vom 21. März 1969 sowie 49 und 50 der zugehörigen Verordnung vom 23. Dezember 1971 Vorschriften, die zum Teil noch erheblich weitergehen. Dem Bundesrat wird zwar die Möglichkeit eingeräumt, diese Vorschriften für bestimmte Arten des Verkehrs oder für den Verkehr mit bestimmten Giften zu lockern, sofern dadurch der Schutz von Leben und Gesundheit nicht beeinträchtigt wird; aber diese Möglichkeit scheint nicht im Widerspruch zum Übereinkommen zu stehen.

Artikel 13 des Übereinkommens verlangt, dass jeder Arbeitnehmer, der Benzol oder benzolhaltigen Produkten ausgesetzt ist, über die zur Verhütung von Erkrankungen und Unfällen notwendigen Massnahmen und die bei Erkrankung zu treffenden Vorkehrungen in geeigneter Weise unterrichtet wird. In der Schweiz müssen die Betriebsinhaber die versicherten Arbeitnehmer nach Artikel 4 der Verordnung vom 23. Dezember 1960 über die Verhütung von Berufskrankheiten über die mit der Arbeit verbundenen besonderen Gefahren und die notwendigen Vorsichtsmassnahmen aufklären und die Befolgung dieser Massnahmen überwachen. Ferner verpflichtet Artikel 69 KUVG die Betriebsinhaber, der Schweizerischen Unfallversicherungsanstalt jeden Versicherten zu melden, der von einem Unfall mit möglichen Krankheits- oder Invaliditätsfolgen betroffen wird. Dies gilt auch für die nach Gesetz den Unfällen gleichgestellten Berufskrankheiten.

Chronische Vergiftungen durch Benzol, die erfahrungsgemäss praktisch nur mit Hilfe der vorgeschriebenen Blutuntersuchungen entdeckt werden können, gelangen auf dem Wege der für alle Arbeiten mit Benzol geforderten Eignungs- und Kontrolluntersuchungen zur Kenntnis des Gewerbeärztlichen Dienstes der Unfallversicherungsanstalt. In beiden Fällen sorgen die Ärzte der Anstalt für die Einleitung der zur Erhaltung oder Wiedergewinnung der Gesundheit des betroffenen Arbeitnehmers notwendigen medizinischen oder
technischen Massnahmen. Schliesslich sieht auch Artikel 17 des Giftgesetzes vor, dass die Betriebsinhaber angemessene Schutzmassnahmen gegen Vergiftungen der Arbeitnehmer zu treffen und Hinweise für die erste Hilfe bekanntzumachen haben. In Artikel 65 der zugehörigen Verordnung vom 23. Dezember 1971 werden die für die erste Hilfe zu treffenden Massnahmen näher umschrieben. Ferner wird gefordert, dass wenn möglich der Gefährdung entsprechende allgemeine Vorsichts- und Schutzmassnahmen anzuschlagen sind, auf welche die Arbeitnehmer von Zeit zu Zeit aufmerksam gemacht werden müssen. Diese Vorschrift gilt auch für die der Unfallversicherungsanstalt unterstellten Betriebe, die keinen eigenen ärztlichen Sanitätsdienst haben.

Bezüglich Artikel 14 des Übereinkommens, der die Methoden zur Durchführung des Übereinkommens und zur Überwachung der Durchführung festlegt,

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kann auf das vorstehend Gesagte verwiesen werden; er bedarf somit keiner besonderen Erläuterung. Das gleiche gilt für die Artikel 15 bis 22, die die üblichen Schlussbestimmungen enthalten.

Aus den obigen Ausführungen lässt sich zusammenfassend folgern, dass Gesetzgebung und Praxis in der Schweiz im grossen und ganzen den Vorschriften des Übereinkommens entsprechen oder gar über diese hinausgehen. Wir ziehen deshalb eine Ratifikation in Betracht. Es scheint uns jedoch angebracht, mit dem Entscheid über eine Ratifikation noch zuzuwarten, bis einige Erfahrungen über die Auswirkungen des Giftgesetzes und der zugehörigen Verordnungen gesammelt worden sind, die erst vor wenigen Monaten in Kraft getreten sind. Des weitern steht heute noch nicht mit aller Sicherheit fest, ob wirklich alle Arbeitnehmer, die mit Motortreibstoffen von l bis 5 Volumenprozenten in Berührung kommen, in Betrieben beschäftigt sind, die der obligatorischen Unfallversicherung unterstehen. Es ist somit möglich, dass das Ergebnis der Arbeiten der Expertenkommission, welche die Möglichkeit einer Einführung der obligatorischen Unfallversicherung für sämtliche Arbeitnehmer prüft, in der Frage der Ratifikation noch eine Rolle spielen kann. Dieses Ergebnis ist jedoch nicht vor dem nächsten Jahr zu erwarten. Es empfiehlt sich somit auf jeden Fall, die Prüfung der Ratifikation noch aufzuschieben, wobei wir selbstverständlich auf die Frage zurückkommen werden, sobald man in den heute noch fraglichen Punkten etwas klarer sieht. Ein Aufschub des Entscheides ist übrigens um so mehr angezeigt, als das Übereinkommen, das bei der Vorlage dieses Berichts erst von einem einzigen Land ratifiziert wurde, noch nicht in Kraft getreten ist und es mangels Praxis bei den Kontrollorganen der IAO noch nicht möglich ist, sich über die künftige Auslegung gewisser Bestimmungen des Übereinkommens zuverlässige Vorstellungen zu machen.

Die Empfehlung enthält im wesentlichen nur Erklärungen zum Übereinkommen selbst, so dass wir auf die dort angebrachten Bemerkungen verweisen können.

Wir empfehlen Ihnen, vom vorstehenden Bericht in zustimmendem Sinne Kenntnis zu nehmen.

Genehmigen Sie, sehr geehrter Herr Präsident, sehr geehrte Damen und Herren, die Versicherung unserer vollkommenen Hochachtung.

Bern, den 23. August 1972 Im Namen des Schweizerischen Bundesrates Der Bundespräsident : Celio Der Bundeskanzler: " Huber Bundesblatt. 124.Jahrg. Bd.II

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406 Anhang l

Übereinkommen 135 über Schutz und Erleichterungen für Arbeitnehmervertreter im Betrieb

Die Allgemeine Konferenz der Internationalen Arbeitsorganisation, die vom Verwaltungsrat des Internationalen Arbeitsamtes nach Genf einberufen wurde und am 2. Juni 1971 zu ihrer sechsundfünfzigsten Tagung zusammengetreten ist, nimmt Kenntnis von den Bestimmungen des Übereinkommens über das Vereinigungsrecht und das Recht zu Kollektivverhandlungen, 1949, das den Schutz der Arbeitnehmer vor jeder gegen die Vereinigungsfreiheit gerichteten unterschiedlichen Behandlung im Zusammenhang mit ihrer Beschäftigung betrifft, hält es für erwünscht, diese Bestimmungen in bezug auf Arbeitnehmer Vertreter zu ergänzen, hat beschlossen, verschiedene Anträge anzunehmen betreffend Schutz und Erleichterungen für Arbeitnehmervertreter ini Betrieb, eine Frage, die den fünften Gegenstand ihrer Tagesordnung bildet, und dabei bestimmt, dass diese Anträge die Form eines internationalen Übereinkommens erhalten sollen.

Die Konferenz nimmt heute, am 23. Juni 1971, das folgende Übereinkommen an, das als Übereinkommen über Arbeitnehmervertreter, 1971, bezeichnet wird.

Artikel l Die Arbeitnehmervertreter im Betrieb sind gegen jede Benachteiligung, einschliesslich Kündigung, die auf Grund ihrer Stellung oder Betätigung als Arbeitnehmervertreter oder auf Grund ihrer Zugehörigkeit zu einer Gewerkschaft oder ihrer gewerkschaftlichen Betätigung erfolgt, wirksam zu schützen, sofern sie im Einklang mit bestehenden Gesetzen oder Gesamtarbeitsverträgen oder anderen gemeinsam vereinbarten Regelungen handeln.

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Artikel 2 1. Den Arbeitnehmervertretern sind im Betrieb Erleichterungen zu gewähren, die geeignet sind, ihnen die rasche und wirksame Durchführung ihrer Aufgaben zu ermöglichen.

2. Hierbei sind die Eigenart des in dem betreffenden Land geltenden Systems der Arbeitsbeziehungen sowie die Erfordernisse, die Grosse und die Leistungsfähigkeit des betreffenden Betriebs zu berücksichtigen.

3. Die Gewährung solcher Erleichterungen darf das wirksame Funktionieren des betreffenden Betriebs nicht beeinträchtigen.

Artikels Als «Arbeitnehmervertreter» im Sinne dieses Übereinkommens gelten Personen, die auf Grund der innerstaatlichen Gesetzgebung oder Praxis als solche anerkannt sind, und zwar a. Gewerkschaftsvertreter, d. h. von Gewerkschaften oder von deren Mitgliedern bestellte oder gewählte Vertreter, oder b. gewählte Vertreter, d.h. Vertreter, die von den Arbeitnehmern des Betriebs im Einklang mit Bestimmungen der innerstaatlichen Gesetzgebung oder von Gesamtarbeitsverträgen frei gewählt werden und deren Funktionen sich nicht auf Tätigkeiten erstrecken, die in dem betreffenden Land als ausschliessliches Vorrecht der Gewerkschaften anerkannt sind.

Artikel 4 Durch die innerstaatliche Gesetzgebung, durch Gesamtarbeitsverträge, Schiedssprüche oder gerichtliche Entscheidungen kann bestimmt werden, welche Art oder Arten von Arbeitnehmervertretern Anspruch auf den Schutz und die Erleichterungen haben, die in diesem Übereinkommen vorgesehen sind.

Artikel 5 Sind in einem Betrieb sowohl Gewerkschaftsvertreter als auch gewählte Vertreter tätig, so sind nötigenfalls geeignete Massnahmen zu treffen, um zu gewährleisten, dass das Vorhandensein gewählter Vertreter nicht dazu benutzt wird, die Stellung der beteiligten Gewerkschaften oder ihrer Vertreter zu untergraben, und um die Zusammenarbeit zwischen den gewählten Vertretern und den beteiligten Gewerkschaften und ihren Vertretern in allen einschlägigen Fragen zu fördern.

Artikel 6 Die Durchführung dieses Übereinkommens kann durch die innerstaatliche Gesetzgebung, durch Gesamtarbeitsverträge oder auf irgendeine andere, den innerstaatlichen Gepflogenheiten entsprechende Art und Weise erfolgen.

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Artikel 7 Die formlichen Ratifikationen dieses Übereinkommens sind dem Generaldirektor des Internationalen Arbeitsamtes zur Eintragung mitzuteilen.

Artikel 8 1. Dieses Übereinkommen bindet nur diejenigen Mitglieder der Internationalen Arbeitsorganisation, deren Ratifikation durch den Generaldirektor eingetragen ist.

2. Es tritt in Kraft zwölf Monate nachdem die Ratifikationen zweier Mitglieder durch den Generaldirektor eingetragen worden sind.

3. In der Folge tritt dieses Übereinkommen für jedes Mitglied zwölf Monate nach der Eintragung seiner Ratifikation in Kraft.

Artikel 9 1. Jedes Mitglied, das dieses Übereinkommen ratifiziert hat, kann es nach Ablauf von zehn Jahren, gerechnet von dem Tag, an dem es zum erstenmal in Kraft getreten ist, durch Anzeige an den Generaldirektor des Internationalen Arbeitsamtes kündigen. Die Kündigung wird von diesem eingetragen. Ihre Wirkung tritt erst ein Jahr nach der Eintragung ein.

2. Jedes Mitglied, das dieses Übereinkommen ratifiziert hat und innerhalb eines Jahres nach Ablauf des im vorigen Absatz genannten Zeitraumes von zehn Jahren von dem in diesem Artikel vorgesehenen Kündigungsrecht keinen Gebrauch macht, bleibt für einen weiteren Zeitraum von zehn Jahren gebunden. In der Folge kann es dieses Übereinkommen jeweils nach Ablauf eines Zeitraumes von zehn Jahren nach Massgabe dieses Artikels kündigen.

Artikel 10 1. Der Generaldirektor des Internationalen Arbeitsamtes gibt allen Mitgliedern der Internationalen Arbeitsorganisation Kenntnis von der Eintragung aller Ratifikationen und Kündigungen, die ihm von den Mitgliedern der Organisation mitgeteilt werden.

2. Der Generaldirektor wird die Mitglieder der Organisation, wenn er ihnen von der Eintragung der zweiten Ratifikation, die ihm mitgeteilt wird, Kenntnis gibt, auf den Zeitpunkt aufmerksam machen, in dem dieses Übereinkommen in Kraft tritt.

Artikel 11 Der Generaldirektor des Internationalen Arbeitsamtes übermittelt dem Generalsekretär der Vereinten Nationen zwecks Eintragung nach Artikel 102

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der Charta der Vereinten Nationen vollständige Auskünfte über alle von ihm nach Massgabe der vorausgehenden Artikel eingetragenen Ratifikationen und Kündigungen.

Artikel 12 Der Verwaltungsrat des Internationalen Arbeitsamtes hat, sooft er es für nötig erachtet, der Allgemeinen Konferenz einen Bericht über die Durchführung dieses Übereinkommens zu erstatten und zu prüfen, ob die Frage seiner gänzlichen oder teilweisen Abänderung auf die Tagesordnung der Konferenz gesetzt werden soll.

Artikel 13 1. Nimmt die Konferenz ein neues Übereinkommen an, welches das vorliegende Übereinkommen ganz oder teilweise abändert, und sieht das neue Übereinkommen nichts anderes vor, so gelten folgende Bestimmungen: a. Die Ratifikation des neugefassten Übereinkommens durch ein Mitglied schliesst ohne weiteres die sofortige Kündigung des vorliegenden Übereinkommens in sich ohne Rücksicht auf Artikel 9, vorausgesetzt, dass das neugefasste Übereinkommen in Kraft getreten ist.

b. Vom Zeitpunkt des Inkrafttretens des neugefassten Übereinkommens an kann das vorliegende Übereinkommen von den Mitgliedern nicht mehr ratifiziert werden.

2. Indessen bleibt das vorliegende Übereinkommen nach Form und Inhalt jedenfalls in Kraft für die Mitglieder, die dieses, aber nicht das neugefasste Übereinkommen ratifiziert haben.

Artikel 14 Der französische und der englische Wortlaut dieses Übereinkommens sind in gleicher Weise massgebend.

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Anhang 2

Empfehlung 143 betreffend Schutz und Erleichterungen für Arbeitnehmervertreter im Betrieb Die Allgemeine Konferenz der Internationalen Arbeitsorganisation, die vom Verwaltungsrat des Internationalen Arbeitsamtes nach Genf einberufen wurde und am 2. Juni 1971 zu ihrer sechsundfünfzigsten Tagung zusammengetreten ist, hat das Übereinkommen über Arbeitnehmervertreter, 1971, angenommen, hat beschlossen, verschiedene Anträge anzunehmen betreffend Schutz und Erleichterungen für Arbeitnehmervertreter im Betrieb, eine Frage, die den fünften Gegenstand ihrer Tagesordnung bildet, und dabei bestimmt, dass diese Anträge die Form einer Empfehlung erhalten sollen.

Die Konferenz nimmt heute, am 23. Juni 1971, die folgende Empfehlung an, die als Empfehlung betreffend Arbeitnehmervertreter, 1971, bezeichnet wird.

I. Durchführungsmethoden 1. Die Durchführung dieser Empfehlung kann durch die innerstaatliche Gesetzgebung, durch Gesamtarbeitsverträge oder auf irgendeine andere, den innerstaatlichen Gepflogenheiten entsprechende Art und Weise erfolgen.

II. Allgemeine Bestimmungen 2. Als «Arbeitnehmervertreter» im Sinne dieser Empfehlung gelten Personen, die auf Grund der innerstaatlichen Gesetzgebung oder Praxis als solche anerkannt sind, und zwar a. Gewerkschaftsvertreter, d. h. von Gewerkschaften oder von deren Mitgliedern bestellte oder gewählte Vertreter, oder b. gewählte Vertreter, d.h. Vertreter, die von den Arbeitnehmern des Betriebs im Einklang mit Bestimmungen der innerstaatlichen Gesetzgebung oder von Gesamtarbeitsverträgen frei gewählt werden und deren Funktionen sich nicht auf Tätigkeiten erstrecken, die in dem betreffenden Land als ausschliessliches Vorrecht der Gewerkschaften anerkannt sind.

411 3. Durch die innerstaatliche Gesetzgebung, durch Gesamtarbeitsverträge, Schiedssprüche oder gerichtliche Entscheidungen kann bestimmt werden, welche Art oder Arten von Arbeitnehmervertretern Anspruch auf den Schutz und die Erleichterungen haben sollten, die in dieser Empfehlung vorgesehen sind.

4. Sind in einem Betrieb sowohl Gewerkschaftsvertreter als auch gewählte Vertreter tätig, so sollten nötigenfalls geeignete Massnahmen getroffen werden, um zu gewährleisten, dass das Vorhandensein gewählter Vertreter nicht dazu benutzt wird, die Stellung der beteiligten Gewerkschaften oder ihrer Vertreter zu untergraben, und um die Zusammenarbeit zwischen den gewählten Vertretern und den beteiligten Gewerkschaften und ihren Vertretern in allen einschlägigen Fragen zu fördern.

III. Schutz der Arbeitnehmervertreter 5. Die Arbeitnehmervertreter im Betrieb sollten gegen jede Benachteiligung, einschliesslich Kündigung, die auf Grund ihrer Stellung oder Betätigung als Arbeitnehmervertreter oder auf Grund ihrer Zugehörigkeit zu einer Gewerkschaft oder ihrer gewerkschaftlichen Betätigung erfolgt, wirksam geschützt werden, sofern sie im Einklang mit bestehenden Gesetzen oder Gesamtarbeitsverträgen oder anderen gemeinsam vereinbarten Regelungen handeln.

6. (1) Reichen die für Arbeitnehmer im allgemeinen geltenden einschlägigen Schutzmassnahmen nicht aus, so sollten besondere Vorkehrungen getroffen werden, um einen wirksamen Schutz der Arbeitnehmervertreter zu gewährleisten.

(2) Diese könnten Massnahmen folgender Art einschliessen : a. die eingehende und genaue Bestimmung der Gründe, die die Beendigung des Arbeitsverhältnisses von Arbeitnehmervertretern rechtfertigen können; b. die Notwendigkeit der Einholung des Rates, eines Gutachtens oder der Zustimmung einer unabhängigen öffentlichen oder privaten Stelle oder eines paritätischen Organs, bevor die Kündigung eines Arbeitnehmervertreters endgültig wirksam wird; c. ein besonderes Einspruchsverfahren für Arbeitnehmervertreter, die der Ansicht sind, dass die Beendigung ihres Arbeitsverhältnisses ungerechtfertigt war, dass ihre Beschäftigungsbedingungen zu ihren Ungunsten abgeändert wurden oder dass sie ungerecht behandelt wurden; d. eine wirksame Wiedergutmachung bei ungerechtfertigter Beendigung des Arbeitsverhältnisses von Arbeitnehmervertretern; diese sollte,
sofern dies nicht den Grundprinzipien der Rechtsordnung des betreffenden Landes widerspricht, die Wiedereinstellung der betroffenen Arbeitnehmervertreter unter Nachzahlung des ausgefallenen Lohnes und unter Wahrung ihrer erworbenen Rechte umfassen;

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e. eine Verpflichtung des Arbeitgebers, der beschuldigt wird, einem Arbeitnehmer in diskriminierender Weise gekündigt oder seine Beschäftigungsbedingungen zu seinen Ungunsten abgeändert zu haben, den Beweis dafür zu erbringen, dass sein Vorgehen gerechtfertigt war; / Anerkennung eines Vorranges der Arbeitnehmervertreter hinsichtlich ihrer Weiterbeschäftigung im Fall einer Personalverminderung.

7. (1) Der auf Grund von Absatz 5 dieser Empfehlung gewährte Schutz sollte sich auch auf Arbeitnehmer erstrecken, die sich um die Wahl oder die Bestellung als Arbeitnehmervertreter bewerben oder die mittels der etwa bestehenden geeigneten Verfahren als Kandidaten für eine solche Wahl oder Bestellung aufgestellt worden sind.

(2) Der gleiche Schutz könnte auch Arbeitnehmern gewährt werden, die nicht mehr Arbeitnehmervertreter sind.

(3) Die Zeitspanne, während der die in diesem Absatz erwähnten Personen diesen Schutz gemessen, kann durch die in Absatz l dieser Empfehlung erwähnten Durchführungsmethoden bestimmt werden.

8. (1) Personen, die beim Ablauf ihres Mandats als Arbeitnehmervertreter in dem Betrieb, in dem sie beschäftigt waren, ihre Beschäftigung in diesem Betrieb wiederaufnehmen, sollten alle ihre Rechte behalten oder wiedererhalten, einschliesslich der Rechte im Zusammenhang mit der Art ihrer Arbeit, ihrem Lohn und ihrem Dienstalter.

(2) Die Frage, ob und in welchem Ausmass die Bestimmungen von Unterabsatz (1) dieses Absatzes für Arbeitnehmervertreter gelten sollten, die ihre Funktionen hauptsächlich ausserhalb des betreffenden Betriebs ausgeübt haben, sollte der Regelung durch die innerstaatliche Gesetzgebung, durch Gesamtarbeitsverträge, Schiedssprüche oder gerichtliche Entscheidungen überlassen bleiben.

IV. Erleichterungen für Arbeitnehmervertreter 9. (1) Den Arbeitnehmervertretern sollten im Betrieb Erleichterungen gewährt werden, die geeignet sind, ihnen die rasche und wirksame Durchführung ihrer Aufgaben zu ermöglichen.

(2) Hierbei sollten die Eigenart des in dem betreffenden Land geltenden Systems der Arbeitsbeziehungen sowie die Erfordernisse, die Grosse und die Leistungsfähigkeit des betreffenden Betriebs berücksichtigt werden.

(3) Die Gewährung solcher Erleichterungen sollte das wirksame Funktionieren des Betriebs nicht beeinträchtigen.

10. (1) Die Arbeitnehmervertreter im Betrieb
sollten für die Zeit, die zur Ausübung ihrer Vertretungsfunktionen im Betrieb notwendig ist, von ihrer Arbeit freigestellt werden, ohne eine Einbusse an Lohn oder Sozial- und Nebenleistungen zu erleiden.

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(2) In Ermangelung geeigneter Bestimmungen kann vom Arbeitnehmervertreter verlangt werden, dass er die Erlaubnis seines unmittelbaren Vorgesetzten oder eines anderen zu diesem Zweck bezeichneten geeigneten Vertreters der Betriebsleitung einholt, bevor er die Arbeitsfreistellung in Anspruch nimmt; diese Erlaubnis sollte nicht ohne zureichenden Grund verweigert werden.

(3) Für die Zeit, für die der Arbeitnehmervertreter nach Unterabsatz (1) dieses Absatzes freigestellt wird, können angemessene Grenzen festgelegt werden.

11. (1) Damit die Arbeitnehmervertreter ihre Funktionen wirksam ausüben können, sollte ihnen die notwendige Freistellung für die Teilnahme an gewerkschaftlichen Versammlungen, Ausbildungslehrgängen, Seminaren, Kongressen und Konferenzen gewährt werden.

(2) Die in Unterabsatz (1) dieses Absatzes vorgesehene Freistellung sollte ohne Einbusse an Lohn oder Sozial- und Nebenleistungen gewährt werden, wobei davon ausgegangen wird, dass die Frage, wer für die daraus entstehenden Kosten aufkommen sollte, durch die in Absatz l dieser Empfehlung erwähnten Durchführungsmethoden bestimmt werden kann.

12. Den Arbeitnehmervertretern im Betrieb sollte Zutritt zu allen Arbeitsstätten gewährt werden, wenn dies erforderlich ist, um ihnen die Ausübung ihrer Vertretungsfunktionen zu ermöglichen.

13. Die Arbeitnehmervertreter sollten ohne ungerechtfertigten Verzug Zutritt zur Betriebsleitung und zu entscheidungsbefugten Vertretern der Betriebsleitung haben, soweit dies für die ordnungsgemässe Ausübung ihrer Funktionen erforderlich ist.

14. In Ermangelung anderer Regelungen zur Einziehung der Gewerkschaftsbeiträge sollten die von der Gewerkschaft hierzu ermächtigten Arbeitnehmervertreter die Erlaubnis haben, solche Beiträge regelmässig im Betriebsbereich einzuziehen.

15. (1) Arbeitnehmervertreter, die im Namen einer Gewerkschaft handeln, sollten die Erlaubnis haben, gewerkschaftliche Mitteilungen im Betrieb an der Stelle oder den Stellen auszuhängen, die mit der Betriebsleitung vereinbart wurden und den Arbeitnehmern leicht zugänglich Sind.

(2) Die Betriebsleitung sollte Arbeitnehmervertretern, die im Namen einer Gewerkschaft handeln, gestatten, Mitteilungsblätter, Broschüren, Veröffentlichungen und andere Schriften der Gewerkschaft an die Arbeitnehmer des Betriebs zu verteilen.

(3) Die in diesem
Absatz erwähnten gewerkschaftlichen Mitteilungen und Schriften sollten sich auf normale gewerkschaftliche Tätigkeiten beziehen, und ihr Aushang und ihre Verteilung sollten das einwandfreie Funktionieren und die Sauberkeit des Betriebs nicht beeinträchtigen.

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(4) Den Arbeitnehmervertretern, die gewählte Vertreter im Sinne von Absatz 2 Buchstabe b. dieser Empfehlung sind, sollten ähnliche, ihren Funktionen entsprechende Erleichterungen gewährt werden.

16. Die Betriebsleitung sollte den Arbeitnehmervertretern unter den Voraussetzungen und in dem Ausmass, die durch die in Absatz l dieser Empfehlung erwähnten Durchführungsmethoden festgelegt werden können, die für die Ausübung ihrer Funktionen erforderlichen materiellen Erleichterungen und Auskünfte zur Verfügung stellen.

17. (1) Gerwerkschaftsvertreter, die selbst nicht im Betrieb beschäftigt sind, deren Gewerkschaft aber im Betrieb beschäftigte Mitglieder hat, sollten Zutritt zum Betrieb erhalten.

(2) Die Festlegung der Bedingungen, unter denen dieser Zutritt gewährt wird, sollte den in den Absätzen l und 3 dieser Empfehlung erwähnten Durchführungsmethoden vorbehalten bleiben.

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Anhang 3

Übereinkommen 136 über den Schutz vor den durch Benzol verursachten Vergiftungsgefahren

Die Allgemeine Konferenz der Internationalen Arbeitsorganisation, die vom Verwaltungsrat des Internationalen Arbeitsamtes nach Genf einberufen wurde und am 2. Juni 1971 zu ihrer sechsundfünfzigsten Tagung zusammengetreten ist, hat beschlossen, verschiedene Anträge anzunehmen betreffend den Schutz vor Gefährdung durch Benzol, eine Frage, die den sechsten Gegenstand ihrer Tagesordnung bildet, und dabei bestimmt, dass diese Anträge die Form eines internationalen Übereinkommens erhalten sollen.

Die Konferenz nimmt heute, am 23. Juni 1971, das folgende Übereinkommen an, das als Übereinkommen über Benzol, 1971, bezeichnet wird.

Artikel l Dieses Übereinkommen gilt für alle Tätigkeiten, bei denen Arbeitnehmer a. dem aromatischen Kohlenwasserstoff Benzol (C6H6), im folgenden als «Benzol» bezeichnet, b. Produkten, deren Benzolgehalt l Volumprozent überschreitet, im folgenden als «benzolhaltige Produkte» bezeichnet, ausgesetzt sind.

Artikel 2 1. In allen Fällen, in denen unschädliche oder weniger gesundheitsschädliche Austauschprodukte zur Verfügung stehen, sind sie anstelle von Benzol oder benzolhaltigen Produkten zu verwenden.

2. Absatz l dieses Artikels gilt nicht für a. die Herstellung von Benzol; b. die Verwendung von Benzol für chemische Synthesen; c. die Verwendung von Benzol in Motortreibstoffen; d. Analysen oder Forschungsarbeiten in Laboratorien.

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Artikel 3 1. Die zuständige Stelle in jedem Land kann unter den Bedingungen und innerhalb der Zeitgrenzen, die nach Anhörung der massgebenden beteiligten Arbeitgeber- und Arbeitnehmerverbände, soweit solche bestehen, zu bestimmen sind, zeitweilige Abweichungen von dem in Artikel l Buchstabe b festgelegten Prozentsatz und von den Bestimmungen von Artikel 2 Absatz l dieses Übereinkommens zulassen.

2. In diesem Fall hat das betreffende Mitglied in seinen nach Artikel 22 der Verfassung der Internationalen Arbeitsorganisation vorzulegenden Berichten über die Durchführung des Übereinkommens den Stand seiner Gesetzgebung und Praxis betreffend diese Ausnahmen und die im Hinblick auf die vollständige Durchführung der Bestimmungen des Übereinkommens verwirklichten Fortschritte anzugeben.

3. Nach Ablauf von drei Jahren nach dem erstmaligen Inkrafttreten dieses Übereinkommens hat der Verwaltungsrat des Internationalen Arbeitsamtes der Konferenz einen besonderen Bericht über die Durchführung der Absätze l und 2 dieses Artikels vorzulegen und darin die Vorschläge zu unterbreiten, die er im Hinblick auf entsprechende Massnahmen für angebracht erachtet.

Artikel 4 1. Die Verwendung von Benzol und benzolhaltigen Produkten bei bestimmten von der innerstaatlichen Gesetzgebung festgelegten Arbeiten ist zu verbieten.

2. Dieses Verbot hat sich mindestens auf die Verwendung von Benzol und benzolhaltigen Produkten als Löse- oder Verdünnungsmittel zu erstrecken, ausser wenn der betreffende Arbeitsvorgang in einem geschlossenen Apparat ausgeführt wird oder andere ebenso sichere Arbeitsmethoden angewendet werden.

Artikel 5 Arbeitshygienische und technische Vorbeugungsmassnahmen sind zu treffen, um einen wirksamen Schutz der Arbeitnehmer sicherzustellen, die Benzol oder benzolhaltigen Produkten ausgesetzt sind.

Artikel 6 1. In Räumen, in denen Benzol oder benzolhaltige Produkte hergestellt, gehandhabt oder verwendet werden, sind alle notwendigen Massnahmen zu treffen, um das Entweichen von Benzoldämpfen in die Raumluft der Arbeitsstätten zu verhüten.

2. Sind Arbeitnehmer Benzol oder benzolhaltigen Produkten ausgesetzt, so hat der Arbeitgeber dafür zu sorgen, dass die Benzolkonzentration in der Raumluft der Arbeitsstätten ein Maximum nicht überschreitet, das von der zu-

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ständigen Stelle so festzusetzen ist, dass der Höchstwert von 25 Teilen pro Million (80 mg/m3) nicht überschritten wird.

3. Die zuständige Stelle hat Richtlinien darüber zu erlassen, wie bei der Messung der Benzolkonzentration in der Raumluft der Arbeitsstätten vorzugehen ist.

Artikel 7 1. Arbeiten, bei denen Benzol oder benzolhaltige Produkte verwendet werden, sind, soweit durchführbar, in geschlossenen Apparaten auszuführen.

2. Ist die Verwendung geschlossener Apparate nicht möglich, so sind die Arbeitsstätten, in denen Benzol oder benzolhaltige Produkte verwendet werden, mit wirksamen Vorrichtungen auszustatten, durch die die Beseitigung der Benzoldämpfe in dem für den Schutz der Gesundheit der Arbeitnehmer erforderlichen Masse sichergestellt wird.

Artikel 8 1. Arbeitnehmern, deren Haut mit flüssigem Benzol oder mit flüssigen benzolhaltigen Produkten in Berührung kommen könnte, sind zweckentsprechende persönliche Schutzmittel gegen die Gefahr der Resorption von Benzol durch die Haut zur Verfügung zu stellen.

2. Arbeitnehmern, die aus besonderen Gründen Benzolkonzentrationen in der Raumluft der Arbeitsstätten ausgesetzt sein könnten, die das in Artikel 6 Absatz 2 dieses Übereinkommens angegebene Maximum überschreiten, sind zweckentsprechende persönliche Schutzmittel gegen die Gefahr des Einatmens von Benzoldämpfen zur Verfügung zu stellen. Die Einwirkungsdauer ist so weit als möglich zu begrenzen.

Artikel 9 1. Arbeitnehmer, die bei Arbeiten beschäftigt werden sollen, bei denen sie Benzol oder benzolhaltigen Produkten ausgesetzt sind, haben sich den folgenden Untersuchungen zu unterziehen: a. vor Aufnahme der Beschäftigung einer gründlichen ärztlichen Eignungsuntersuchung einschliesslich einer Blutuntersuchung; b. regelmässigen Wiederholungsuntersuchungen einschliesslich biologischer Untersuchungen mit einer Blutuntersuchung in von der innerstaatlichen Gesetzgebung festgesetzten Zeitabständen.

2. Die zuständige Stelle in jedem Land kann nach Anhörung der massgebenden beteiligten Arbeitgeber- und Arbeitnehmerverbände, soweit solche bestehen, Ausnahmen von der in Absatz l dieses Artikels vorgesehenen Verpflichtung für bestimmte Gruppen von Arbeitnehmern zulassen.

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Artikel 10 1. Die in Artikel 9 Absatz l dieses Übereinkommens vorgesehenen ärztlichen Untersuchungen sind a. unter der Verantwortung eines sachkundigen, von der zuständigen Stelle anerkannten Arztes durchzuführen, gegebenenfalls mit Hilfe eines fachlich geeigneten Laboratoriums ; b. in geeigneter Weise zu bescheinigen.

2. Diese ärztlichen Untersuchungen dürfen den Arbeitnehmern keine Kosten verursachen.

Artikel 11 1. Frauen, deren Schwangerschaft ärztlich bescheinigt ist, und stillende Mütter dürfen nicht bei Arbeiten beschäftigt werden, bei denen sie Benzol oder benzolhaltigen Produkten ausgesetzt sind.

2. Jugendliche unter 18 Jahren dürfen nicht bei Arbeiten beschäftigt werden, bei denen sie Benzol oder benzolhaltigen Produkten ausgesetzt sind. Dieses Verbot braucht sich jedoch nicht auf Jugendliche zu erstrecken, die einen Unterricht oder eine Ausbildung erhalten und unter angemessener fachlicher und ärztlicher Aufsicht stehen.

Artikel 12 Die Aufschrift «Benzol» und die erforderlichen Gefahrensymbole müssen auf jedem Behälter, der Benzol oder benzolhaltige Produkte enthalt, deutlich sichtbar sein.

Artikel 13 Jedes Mitglied hat durch zweckentsprechende Massnahmen dafür zu sorgen, dass jeder Arbeitnehmer, der Benzol oder benzolhaltigen Produkten ausgesetzt ist, geeignete Anweisungen über die Massnahmen erhält, die zum Schutz der Gesundheit und zur Verhütung von Unfällen oder dann zu treffen sind, wenn Anzeichen einer Vergiftung auftreten.

Artikel 14 Jedes Mitglied, das dieses Übereinkommen ratifiziert, a. hat im Wege der Gesetzgebung oder mittels anderer, den innerstaatlichen Gepflogenheiten und Verhältnissen entsprechender Methoden die zur Durchführung der Bestimmungen dieses Übereinkommens erforderlichen Massnahmen zu treffen;

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b. hat entsprechend seinen innerstaatlichen Gepflogenheiten die Person oder die Personen zu bezeichnen, die für die Einhaltung der Bestimmungen dieses Übereinkommens zu sorgen haben; c. verpflichtet sich, geeignete Aufsichtsdienste mit der Überwachung der Durchführung der Bestimmungen dieses Übereinkommens zu beauftragen oder sich zu vergewissern, dass eine angemessene Aufsicht ausgeübt wird.

Artikel 15 Die förmlichen Ratifikationen dieses Übereinkommens sind dem Generaldirektor des Internationalen Arbeitsamtes zur Eintragung mitzuteilen.

Artikel 16 1. Dieses Übereinkommen bindet nur diejenigen Mitglieder der Internationalen Arbeitsorganisation, deren Ratifikation durch den Generaldirektor eingetragen ist.

2. Es tritt in Kraft zwölf Monate nachdem die Ratifikationen zweier Mitglieder durch den Generaldirektor eingetragen worden sind.

3. In der Folge tritt dieses Übereinkommen für jedes Mitglied zwölf Monate nach der Eintragung seiner Ratifikation in Kraft.

Artikel 17 1. Jedes Mitglied, das dieses Übereinkommen ratifiziert hat, kann es nach Ablauf von zehn Jahren, gerechnet von dem Tag, an dem es zum erstenmal in Kraft getreten ist, durch Anzeige an den Generaldirektor des Internationalen Arbeitsamtes kündigen. Die Kündigung wird von diesem eingetragen. Ihre Wirkung tritt erst ein Jahr nach der Eintragung ein.

2. Jedes Mitglied, das dieses Übereinkommen ratifiziert hat und innerhalb eines Jahres nach Ablauf des im vorigen Absatz genannten Zeitraumes von zehn Jahren von dem in diesem Artikel vorgesehenen Kündigungsrecht keinen Gebrauch macht, bleibt für einen weiteren Zeitraum von zehn Jahren gebunden. In der Folge kann es dieses Übereinkommen jeweils nach Ablauf eines Zeitraumes von zehn Jahren nach Massgabe dieses Artikels kündigen.

Artikel 18 1. Der Generaldirektor des Internationalen Arbeitsamtes gibt allen Mitgliedern der Internationalen Arbeitsorganisation Kenntnis von der Eintragung aller Ratifikationen und Kündigungen, die ihm von den Mitgliedern der Organisation mitgeteilt werden.

420

2. Der Generaldirektor wird die Mitglieder der Organisation, wenn er ihnen von der Eintragung der zweiten Ratifikation, die ihm mitgeteilt wird, Kenntnis gibt, auf den Zeitpunkt aufmerksam machen, in dem dieses Übereinkommen in Kraft tritt.

Artikel 19 Der Generaldirektor des Internationalen Arbeitsamtes übermittelt dem Generalsekretär der Vereinten Nationen zwecks Eintragung nach Artikel 102 der Charta der Vereinten Nationen vollständige Auskünfte über alle von ihm nach Massgabe der vorausgehenden Artikel eingetragenen Ratifikationen und Kündigungen.

Artikel 20 Der Verwaltungsrat des Internationalen Arbeitsamtes hat, sooft er es für nötig erachtet, der Allgemeinen Konferenz einen Bericht über die Durchführung dieses Übereinkommens zu erstatten und zu prüfen, ob die Frage seiner gänzlichen oder teilweisen Abänderung auf die Tagesordnung der Konferenz gesetzt werden soll.

Artikel 21 1. Nimmt die Konferenz ein neues Übereinkommen an, welches das vorliegende Übereinkommen ganz oder teilweise abändert, und sieht das neue Übereinkommen nichts anderes vor, so gelten folgende Bestimmungen : a. Die Ratifikation des neugefassten Übereinkommens durch ein Mitglied schliesst ohne weiteres die sofortige Kündigung des vorliegenden Übereinkommens in sich ohne Rücksicht auf Artikel 17, vorausgesetzt, dass das neugefasste Übereinkommen in Kraft getreten ist.

b. Vom Zeitpunkt des Inkrafttretens des neugefassten Übereinkommens an kann das vorliegende Übereinkommen von den Mitgliedern nicht mehr ratifiziert werden.

2. Indessen bleibt das vorliegende Übereinkommen nach Form und Inhalt jedenfalls in Kraft für die Mitglieder, die dieses, aber nicht das neugefasste Übereinkommen ratifiziert haben.

Artikel 22 Der französische und der englische Wortlaut dieses Übereinkommens sind in gleicher Weise massgebend.

421 Anhang 4 ·

Empfehlung 144 betreffend den Schutz vor den durch Benzol verursachten Vergiftungsgefahren Die Allgemeine Konferenz der Internationalen Arbeitsorganisation, die vom Verwaltungsrat des Internationalen Arbeitsamtes nach Genf einberufen wurde und am 2. Juni 1971 zu ihrer sechsundfünfzigsten Tagung zusammengetreten ist, hat das Übereinkommen über Benzol, 1971, angenommen, hat beschlossen, verschiedene Anträge anzunehmen betreffend den Schutz vor Gefährdung durch Benzol, eine Frage, die den sechsten Gegenstand ihrer Tagesordnung bildet, und dabei bestimmt, dass diese Anträge die Form einer Empfehlung erhalten sollen.

Die Konferenz nimmt heute, am 23. Juni 1971, die folgende Empfehlung an, die als Empfehlung betreffend Benzol, 1971, bezeichnet wird.

I. Geltungsbereich 1. Diese Empfehlung gilt für alle Tätigkeiten, bei denen Arbeitnehmer a. dem aromatischen Kohlenwasserstoff Benzol (C6H6), im folgenden als «Benzol» bezeichnet, ausgesetzt sind; b. Produkten, deren Benzolgehalt l Volumprozent überschreitet, im folgenden als «benzolhaltige Produkte» bezeichnet, ausgesetzt sind; der Benzolgehalt sollte mittels der analytischen Methoden bestimmt werden, die von den zuständigen internationalen Organisationen empfohlen werden.

2. Unbeschadet der Bestimmungen von Absatz l dieser Empfehlung sollte der Benzolgehalt von Produkten, die durch Buchstabe b. des genannten Absatzes nicht erfasst sind, fortschreitend so weit als möglich herabgesetzt werden, wenn dies zum Schutz der Gesundheit der Arbeitnehmer erforderlich ist.

II. Einschränkungen der Verwendung von Benzol 3. (1) In allen Fällen, in denen unschädliche oder weniger gesundheitsschädliche Austauschprodukte zur Verfügung stehen, sollten sie anstelle von Benzol oder benzolhaltigen Produkten verwendet werden.

Bundesblatt. 124.Jahrg.Bd.il

19

422

a.

b.

c.

d.

(2) Unterabsatz (1) dieses Absatzes gilt nicht für die Herstellung von Benzol; die Verwendung von Benzol für chemische Synthesen; die Verwendung von Benzol in Motortreibstoffen; Analysen oder Forschungsarbeiten in Laboratorien.

'

4. (1) Die Verwendung von Benzol und benzolhaltigen Produkten bei bestimmten von der innerstaatlichen Gesetzgebung festzulegenden Arbeiten sollte verboten werden.

(2) Dieses Verbot sollte sich mindestens auf die Verwendung von Benzol und benzolhaltigen Produkten als Löse- oder Verdünnungsmittel erstrecken, ausser wenn der betreffende Arbeitsvorgang in einem geschlossenen Apparat ausgeführt wird oder andere ebenso sichere Arbeitsmethoden angewendet werden.

5. Der Verkauf gewisser von der innerstaatlichen Gesetzgebung zu bestimmender industrieller Erzeugnisse, die Benzol enthalten (wie z. B. Farben, Lacke, Kitte, Leime, Klebstoffe, Druckfarben und verschiedene Lösungen), sollte in den von der zuständigen Stelle zu bestimmenden Fällen verboten werden.

III. Technische Vorbeugungsmassnahmen und Arbeitshygiene 6. (1) Arbeitshygienische und technische Vorbeugungsmassnahmen sollten getroffen werden, um einen wirksamen Schutz der Arbeitnehmer sicherzustellen, die Benzol oder benzolhaltigen Produkten ausgesetzt sind.

(2) Unbeschadet der Bestimmungen von Absatz l dieser Empfehlung sollten solche Massnahmen nötigenfalls auch dort getroffen werden, wo die Arbeitnehmer Produkten ausgesetzt sind, deren Benzolgehalt unter l Volumprozent liegt, um sicherzustellen, dass die Benzolkonzentration in der Raumluft der Arbeitsstätten unter dem von der zuständigen Stelle festgesetzten Maximum bleibt.

7. (1) In Räumen, in denen Benzol oder benzolhaltige Produkte hergestellt, gehandhabt oder verwendet werden, sollten alle notwendigen Massnahmen getroffen werden, um das Entweichen von Benzoldämpfen in die Raumluft der Arbeitsstätten zu verhüten.

(2) Sind Arbeitnehmer Benzol oder benzolhaltigen Produkten ausgesetzt, so sollte der Arbeitgeber dafür sorgen, dass die Benzolkonzentration in der Raumluft der Arbeitsstätten ein Maximum nicht überschreitet, das von der zuständigen Stelle so festgesetzt werden sollte, dass der Höchstwert von 25 Teilen pro Million (80 mg/m3) nicht überschritten wird.

(3) Die in Unterabsatz (2) dieses Absatzes erwähnte maximale Benzolkonzentration sollte so bald wie möglich herabgesetzt werden, wenn dies auf Grund medizinischer Erkenntnisse angezeigt erscheint.

423

(4) Die zuständige Stelle sollte Richtlinien darüber erlassen, wie bei der Messung der Benzolkonzentration in der Raumluft der Arbeitsstätten vorzugehen ist.

8. (1) Arbeiten, bei denen Benzol oder benzolhaltige Produkte verwendet werden, sollten, soweit durchführbar, in geschlossenen Apparaten ausgeführt werden.

(2) Ist die Verwendung geschlossener Apparate nicht möglich, so sollten die Arbeitsstätten, in denen Benzol oder benzolhaltige Produkte verwendet werden, mit wirksamen Vorrichtungen ausgestattet werden, durch die die Beseitigung der Benzoldämpfe in dem für den Schutz der Gesundheit der Arbeitnehmer erforderlichen Masse sichergestellt wird.

(3) Es sollte dafür gesorgt werden, dass Abfälle, die flüssiges Benzol enthalten oder Benzoldämpfe entwickeln, keine Gefahr für die Gesundheit der Arbeitnehmer darstellen.

9. (1) Arbeitnehmern, deren Haut mit flüssigem Benzol oder mit flüssigen benzolhaltigen Produkten in Berührung kommen könnte, sollten zweckentsprechende persönliche Schutzmittel gegen die Gefahr der Resorption von Benzol durch die Haut zur Verfügung gestellt werden.

(2) Arbeitnehmern, die aus besonderen Gründen Benzolkonzentrationen in der Raumluft der Arbeitsstätten ausgesetzt sein könnten, die das in Absatz 7 Unterabsatz (2) dieser Empfehlung erwähnte Maximum überschreiten, sollten zweckentsprechende persönliche Schutzmittel gegen die Gefahr des Einatmens von Benzoldämpfen zur Verfügung gestellt werden. Die Einwirkungsdauer sollte so weit als möglich begrenzt werden.

10. Jeder Arbeitnehmer, der Benzol oder benzolhaltigen Produkten ausgesetzt ist, sollte eine zweckentsprechende Arbeitskleidung tragen.

11. Den Arbeitnehmern sollte es untersagt sein, Benzol oder benzolhaltige Produkte zur Reinigung der Hände oder der Arbeitskleidung zu benutzen.

12. Nahrungsmittel sollten nicht in Räume, in denen Benzol oder benzolhaltige Produkte hergestellt, gehandhabt oder verwendet werden, gebracht oder dort verzehrt werden. Ferner sollte in diesen Räumen das Rauchen verboten sein.

13. In Betrieben, in denen Benzol oder benzolhaltige Produkte hergestellt, gehandhabt oder verwendet werden, sollte der Arbeitgeber alle zweckentsprechenden Massnahmen treffen, damit den Arbeitnehmern zur Verfügung stehen : a. zweckentsprechende Waschgelegenheiten, die an geeigneten Stellen in ausreichender Zahl
eingerichtet und gut instandgehalten werden sollten; b. geeignete Räume oder Einrichtungen zur Einnahme von Mahlzeiten, sofern nicht zweckentsprechende Vorkehrungen getroffen werden, damit die Arbeitnehmer ihre Mahlzeiten anderswo einnehmen können;

424

c. Umkleideräume oder andere geeignete Einrichtungen, in denen die Arbeitskleidung getrennt von der Strassenkleidung der Arbeitnehmer aufbewahrt werden kann.

14. (1) Die Bereitstellung, Reinigung und ordnungsmässige Instandhaltung der in Absatz 9 dieser Empfehlung erwähnten persönlichen Schutzmittel und der in Absatz 10 erwähnten Arbeitskleidung sollte dem Arbeitgeber obliegen.

(2) Die beteiligten Arbeitnehmer sollten verpflichtet sein, diese persönlichen Schutzmittel und diese Arbeitskleidung zu benutzen und sie mit Sorgfalt zu behandeln.

IV. Medizinische Vorbeugungsmassnahmen 15. (1) Arbeitnehmer, die bei Arbeiten beschäftigt werden sollen, bei denen sie Benzol oder benzolhaltigen Produkten ausgesetzt sind, sollten sich den folgenden Untersuchungen unterziehen : a. vor Aufnahme der Beschäftigung einer gründlichen ärztlichen Eignungsuntersuchung einschliesslich einer Blutuntersuchung; b. regelmässigen Wiederholungsuntersuchungen einschliesslich biologischer Untersuchungen mit einer Blutuntersuchung in von der innerstaatlichen Gesetzgebung festgesetzten, ein Jahr nicht überschreitenden Zeitabständen.

(2) Die zuständige Stelle in jedem Land kann nach Anhören der massgebenden beteiligten Arbeitgeber- und Arbeitnehmerverbände, soweit solche bestehen, Ausnahmen von den Bestimmungen des Unterabsatzes (1) dieses Absatzes für bestimmte Gruppen von Arbeitnehmern zulassen.

16. Anlässlich der ärztlichen Untersuchungen sollten den beteiligten Arbeitnehmern schriftliche Anweisungen für die zum Schutz vor Gefährdung durch Benzol zu treffenden Massnahmen erteilt werden.

17. Die in Absatz 15 Unterabsatz (1) dieser Empfehlung vorgesehenen ärztlichen Untersuchungen sollten a. unter der Verantwortung eines sachkundigen, von der zuständigen Stelle anerkannten Arztes durchgeführt werden, gegebenenfalls mit Hilfe eines fachlich geeigneten Laboratoriums; b. in geeigneter Weise bescheinigt werden.

18. Diese ärztlichen Untersuchungen sollten während der Arbeitszeit vorgenommen werden und den Arbeitnehmern keine Kosten verursachen.

19. Frauen, deren Schwangerschaft ärztlich bescheinigt ist, und stillende Mütter sollten nicht bei Arbeiten beschäftigt werden, bei denen sie Benzol oder benzolhaltigen Produkten ausgesetzt sind.

425

20. Jugendliche unter 18 Jahren sollten nicht bei Arbeiten beschäftigt werden, bei denen sie Benzol oder benzolhaltigen Produkten ausgesetzt sind, ausser wenn sie einen Unterricht oder eine Ausbildung erhalten und unter angemessener fachlicher und ärztlicher Aufsicht stehen.

V. Behälter 21. (1) Die Aufschrift «Benzol» und die erforderlichen Gefahrensymbole sollten auf jedem Behalter, der Benzol oder benzolhaltige Produkte enthält, deutlich sichtbar sein.

(2) Der Prozentsatz des in dem betreffenden Produkt enthaltenen Benzols sollte gleichfalls angegeben werden.

(3) Die in Unterabsatz (1) dieses Absatzes erwähnten Gefahrensymbole sollten international anerkannt sein.

22. Benzol und benzolhaltige Produkte sollten in die Arbeitsstätten nur in Behältern gebracht werden, die aus geeignetem Material von angemessener Stärke bestehen und so konstruiert und gefertigt sind, dass jedes Undichtwerden und jedes ungewollte Entweichen von Dämpfen verhütet wird.

VI. Aufklärung der Arbeitnehmer 23. Jedes Mitglied sollte durch zweckentsprechende Massnahmen dafür sorgen, dass jeder Arbeitnehmer, der Benzol oder benzolhaltigen Produkten ausgesetzt ist, auf Kosten des Arbeitgebers eine geeignete Ausbildung und geeignete Anweisungen über die Massnahmen erhält, die zum Schutz der Gesundheit und zur Verhütung von Unfällen oder dann zu treffen sind, wenn Anzeichen einer Vergiftung auftreten.

24. In Räumen, in denen Benzol oder benzolhaltige Produkte verwendet werden, sollten an geeigneten Stellen Anschläge angebracht werden, die auf folgendes hinweisen: a. die bestehenden Gefahren; b. die zu treffenden Vorbeugungsmassnahmen; c. die zu verwendenden Schutzvorrichtungen; d. die in Fallen akuter Benzolvergiftung zu treffenden Massnahmen der Ersten Hilfe.

VII. Allgemeine Bestimmungen 25. Jedes Mitglied sollte a. im Wege der Gesetzgebung oder mittels anderer, den innerstaatlichen Gepflogenheiten und Verhältnissen entsprechender Methoden die zur Durchführung der Bestimmungen dieser Empfehlung erforderlichen Massnahmen treffen;

426

b. entsprechend seinen innerstaatlichen Gepflogenheiten die Person oder die Personen bezeichnen, die für die Einhaltung der Bestimmungen dieser Empfehlung zu sorgen haben; c. sich verpflichten, geeignete Aufsichtsdienste mit der Überwachung der Durchführung der Bestimmungen dieser Empfehlung zu beauftragen oder sich zu vergewissern, dass eine angemessene Aufsicht ausgeübt wird.

26. Die zuständige Stelle in jedem Land sollte die Erforschung von unschädlichen oder weniger gesundheitsschädlichen Austauschprodukten für Benzol tatkräftig fördern.

27. Die zuständige Stelle sollte ein System der statistischen Erfassung von Daten betreffend ärztlich festgestellte Fälle von Benzolvergiftung einführen und diese Daten jährlich veröffentlichen.

427 Anhang 5

Schlussfolgerungen betreffend das Weltbeschäftigungsprogramm (Von der Allgemeinen Konferenz der Internationalen Arbeitsorganisation am 23. Juni 1971 angenommen)

Allgemeine Grundsätze 1. Nachdem das Weltbeschäftigungsprogramm Zustimmung gefunden hat und die Internationale Entwicklungsstrategie für das zweite Entwicklungsjahrzehnt einstimmig angenommen wurde, zu dessen Zielen es unter anderem gehört, «den Beschäftigungsstand beträchtlich zu erhöhen», sollten die Länder nun energische Anstrengungen zur Erreichung dieses Zieles unternehmen, indem sie so rasch als möglich die im Übereinkommen und in der Empfehlung über die Beschäftigungspolitik (Nr. 122), in der Internationalen Entwicklungsstrategie und in der vom EPVN-Verwaltungsrat genehmigten Übereinkunft über Verfahren der technischen Zusammenarbeit im Entwicklungszyklus der Vereinten Nationen befürwortete Politik durchführen, 2. Das Hauptziel einer solchen Entwicklungspolitik sollte die Hebung der Lebenshaltung der erwerbstätigen Bevölkerung in ihrer Gesamtheit sein.

3. Um das Beschäftigungsziel zu erreichen, sollten die Entwicklungsländer a. die volle, produktive und frei gewählte Beschäftigung effektiv zu einem der Hauptziele ihrer nationalen Entwicklungspolitik machen und ihre Beschäftigungsziele so formulieren, dass die Arbeitslosigkeit und Unterbeschäftigung, insbesondere unter der Jugend, merklich verringert und ein zunehmender Teil der erwerbstätigen Bevölkerung durch ein anhaltendes Wirtschaftswachstum bei produktiveren Tätigkeiten beschäftigt wird; b. alle Aspekte ihrer Entwicklungspolitik auf die Hebung der Beschäftigung ausrichten und die notwendigen Massnahmen treffen, um die einer beschäftigungsorientierten Entwicklungspolitik im Wege stehenden Hindernisse zu beseitigen, die gegebenenfalls im Gefüge ihrer Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung vorhanden sind; c. unverzüglich ihre innerstaatliche Politik, Gesetzgebung und Praxis überprüfen, die etwa die Beschäftigung von Arbeitskräften begrenzen und die Staatsausgaben für Prestigeprogramme auf ein Mindestmass beschränken, um die Finanzierung von Beschäftigungsvorhaben zu erleichtern;

428 d. Agrarreformen im Sinne der Empfehlung Nr. 122 als Vorbedingung für die Entwicklung des ländlichen Sektors und die Bereitstellung produktiver Beschäftigungsmöglichkeiten in diesem Sektor durchführen und diese Reformen mit Massnahmen zur Schaffung einer soweit als möglich diversifizierten Industrie koordinieren.

4. Die rasche Bevölkerungszunahme führt in vielen Entwicklungsländern zu ernsten Beschäftigungsproblemen. Soweit nötig, sollte der Einleitung bevölkerungspolitischer Massnahmen und in geeigneten Fällen der Einführung von Programmen der Familienplanung angemessene Beachtung geschenkt werden.

Internationale Organisationen einschliesslich der IAO sollten je nach Sachlage und innerhalb ihres Zuständigkeitsbereichs bei der Ausarbeitung solcher Massnahmen und Programme Hilfe leisten.

5. Die Industrieländer sollten zur Schaffung produktiver Beschäftigungsmöglichkeiten in Entwicklungsländern beitragen, indem sie insbesondere a. ihre Handelspolitik in dem Sinne revidieren, dass sie die Beschränkungen der Einfuhr von Rohstoffen, die für den Export der Entwicklungsländer von Bedeutung sind, abbauen und ihre Einfuhren von Fertig- und Halbfertigwaren erhöhen, unter gebührender Berücksichtigung der Stabilisierung der Rohstoff preise; b. sich bemühen, den Entwicklungslandern Finanzmittel in der Höhe von jährlichmindestens l ProzentihresBruttonationalproduktszukommenzulassen; c. soweit als möglich gewährleisten, dass ihre Hilfe und deren Bedingungen mit den innerstaatlichen beschäftigungspolitischen Massnahmen koordiniert und auf die Förderung beschäftigungschaffender Tätigkeiten gerichtet sind, die volkswirtschaftlich produktiv sind; d. im Rahmen ihrer Hilfs- und Investitionspolitik sollten sie den Entwicklungsländern dabei behilflich sein, die für ihre Lage geeigneten Technologien zu bestimmen und den Einsatz ihrer knappen Hilfsmittel für ungeeignete Technologien zu vermeiden.

6. In allen Ländern sollten diskriminierende Praktiken, die bestimmten Gruppen die Gleichheit der Gelegenheiten in der Beschäftigung vorenthalten, im Einklang mit dem Übereinkommen und der Empfehlung (Nr. 111) über die Diskriminierung (Beschäftigung und Beruf), 1958, beseitigt werden.

7. Die Länder sollten sich bemühen, einen möglichst grossen Teil der ungeheuren Mittel, die derzeit für Rüstung und Kriegsmaterial ausgegeben
werden, für Vorhaben umzuwidmen, die der Beseitigung der Arbeitslosigkeit dienen.

Die Rolle der Arbeitgeber- und Arbeitnehmerverbände 8. Die Regierungen sollten die staatliche Beschäftigungspolitik auf der Grundlage der wirksamen Beteiligung der Arbeitgeber- und Arbeitnehmerverbände aufstellen und durchführen. Sofern sie noch nicht bestehen, sollten Organe

429

errichtet werden, denen Vertreter der Arbeitgeber und der Arbeitnehmer angehören, die Ratschläge hinsichtlich einer solchen Politik erteilen und die Art und Weise bestimmen würden, in der die beteiligten Gruppen zu ihrer Durchführung beitragen können. Durch geeignete Massnahmen sollte gewährleistet werden, dass die Interessen von Gruppen, die von den vorhandenen Organisationen nicht oder nur unzureichend vertreten werden, bei den Beratungen und Empfehlungen dieser Organe berücksichtigt werden.

9. Die Arbeitgeber- und Arbeitnehmerverbände sollten insbesondere durch Aufklärungsaktionen unter ihrer Mitgliedschaft um Verständnis und Zustimmung zu den Beschäftigungszielen und jenen auf ihre Verwirklichung gerichteten Massnahmen werben, die für sie von besonderem Interesse sind. In entwickelten Ländern sollten sie insbesondere mithelfen, den Weg für eine Politik der Handelsliberalisierung zu ebnen und die arbeitsmarktpolitischen Anpassungsmassnahmen zu bestimmen, die erforderlich sind, um die eventuellen nachteiligen Auswirkungen solcher Massnahmen auf die Beschäftigung in gewissen Wirtschaftszweigen auf ein Mindestmass zu beschränken.

10. Einen wichtigen Beitrag zur volleren und produktiveren Beschäftigung können die Arbeitgeber- und Arbeitnehmerverbände dadurch leisten, dass sie an der Planung und Organisierung der beruflichen Ausbildung teilnehmen und dafür sorgen, dass durch diese Ausbildung Qualifikationen erworben werden, die in ländlichen und anderen Tätigkeiten, in denen die Beschäftigung sich voraussichtlich rasch ausweiten wird, gebraucht werden.

11. Obwohl die Anwendung volkswirtschaftlich vertretbarer arbeitsintensiver Techniken in Entwicklungsländern ein wichtiges Anliegen ist, können die Arbeitgeberverbände die Erforschung der Möglichkeiten anregen, die bezüglich des Einsatzes von Produktionstechniken und -verfahren bestehen, mit denen Kapital anstelle von Arbeitskräften eingespart werden kann, und einschlägige Informationen sammeln und verbreiten und so zur Förderung des Beschäftigungswachstums auf einer gesunden volkswirtschaftlichen Basis beitragen. Sie sollten ihren Mitgliedern bei der Ausweitung der Beschäftigung und Produktion helfen, indem sie für die Ausbildung und Fortbildung der Führungskräfte sorgen und ihnen helfen, Absatzmärkte für ihre Erzeugnisse zu finden.

12. Die
Arbeitnehmerverbände können mithelfen, Anlagekapital unter ihren Mitgliedern aufzubringen und solche Mittel produktiven Tätigkeiten zuzuleiten, insbesondere genossenschaftlichen Unternehmen.

Die Rolle der internationalen Gemeinschaft 13. Die Hauptverantwortung für die Aufstellung und Durchführung der Beschäftigungspolitik liegt bei den betreffenden Ländern. Die Gemeinschaft der internationalen Organisationen hat jedoch bei der Unterstützung dieser innerstaatlichen Bemühungen eine wichtige Rolle zu spielen und hierfür ein begrüssenswer-

430

tes Interesse gezeigt. In Zukunft sollte sie insbesondere dafür sorgen, dass das Ziel der vollen, produktiven und frei gewählten Beschäftigung bei den Bemühungen, im Rahmen der Internationalen Entwicklungsstrategie für das Zweite Entwicklungsjahrzehnt wirtschaftliche und soziale Fortschritte zu erzielen, an vorderster Stelle steht. Zu diesem Zweck sollte wie folgt vorgegangen werden : a. es sollten weitere Anstrengungen unternommen werden, um zu einer genaueren Formulierung des Beschäftigungszieles der Internationalen Entwicklungsstrategie zu gelangen, indem eine beträchtliche Verringerung der Arbeitslosigkeit und Unterbeschäftigung im Laufe des Jahrzehnts angestrebt wird; b. die erzielten Fortschritte und die Probleme im Bereich der Beschäftigung sollten von Zeit zu Zeit im Rahmen der Verfahren zur regelmässigen Überprüfung der Fortschritte des Zweiten Entwicklungsjahrzehnts geprüft werden; dies sollte geschehen: i. mittels besonderer Überprüfungen der Beschäftigungslage, deren erste vom Ausschuss für Entwicklungsplanung zur Aufnahme in die Tagesordnung ihrer 1972 stattfindenden Tagung vorgeschlagen wurde; ii. in der Weise, dass der Beschäftigung neben anderen Aspekten, die in den allgemeinen Überprüfungen der Fortschritte des Zweiten Entwicklungsjahrzehnts zu behandeln sind, besondere Beachtung geschenkt wird; c. die IAO sollte bereit sein, bei der Vorbereitung solcher Überprüfungen mitzuwirken; d. eines der Ziele solcher Überprüfungen der Fortschritte auf nationaler, regionaler und internationaler Ebene sollte darin bestehen, eine Grundlage für Abänderungen der bestehenden Grundsatzpolitik zu schaffen, wann immer dies zur Ausweitung der Beschäftigung notwendig ist.

14. Die Erreichung des Zieles des Weltbeschäftigungsprogramms und des Beschäftigungszieles des Zweiten Entwicklungsjahrzehnts wird weiterhin ein koordiniertes Vorgehen der IAO und anderer internationaler und regionaler Organisationen erforderlich machen. In diesem Rahmen sollten diese Organisationen den Beitrag prüfen, den sie insbesondere auf folgenden Gebieten leisten könnten: a. Beistand bei der Aufstellung und Annahme umfassender innerstaatlicher wirtschafts- und sozialpolitischer Massnahmen, die in erster Linie auf die Ausweitung der Beschäftigung gerichtet sind; b. Förderung einer raschen Liberalisierung der Handelspolitik
durch Abbau oder Beseitigung von Zollschranken und Schranken anderer Art gegen die Einfuhr von Erzeugnissen der Entwicklungsländer nach Industrieländern, unter gebührender Berücksichtigung der Stabilisierung der Rohstoffpreise; c. grösstmögliche Verwendung der diesen Ländern für Investitionen oder Hilfe zur Verfügung stehenden Mittel für Tätigkeiten oder Vorhaben, die

431 sowohl zur Beschäftigungsausweitung als auch zum Produktionswachstum beitragen; d. Beistand bei der Verbesserung und Reform der Bildungs- und Ausbildungssysteme und -programme und deren bessere Abstimmung auf die Erfordernisse der Beschäftigung; e. Förderung der Entwicklung und Modernisierung der ländlichen Gebiete in der Weise, dass der Stand der produktiven Beschäftigung und der Einkommen in der Landwirtschaft und in anderen ländlichen Tätigkeitszweigen gehoben wird, im Einklang mit Absatz 3 d. dieser Schlussfolgerungen und durch Förderung der Schaffung örtlicher Einrichtungen für die, Produktion, Verarbeitung, Verteilung und Vermarktung landwirtschaftlicher Erzeugnisse; /. Förderung der Expansion von Tätigkeiten in Städten, durch die die Beschäftigungsmöglichkeiten für Arbeitslose und Unterbeschäftigte rasch beträchtlich vermehrt werden können, ohne Beeinträchtigung der den ländlichen Gebieten einzuräumenden Priorität; g. die Förderung der Beschäftigungsausweitung in der Industrie insbesondere durch i. die Anregung der Schaffung arbeitsintensiver Industrien, wo dies angebracht ist, und ii. die Entwicklung der unternehmerischen Leistungsfähigkeit mit dem Ziel, das Wachstum von Kleingewerbe- und Handwerkszweigen zu fördern.

Diese Bemühungen der internationalen Organisationen sollten koordiniert werden, damit bei der Förderung der Beschäftigungsexpansion als wichtiges Ziel der wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung der besonderen Rolle, die der IAO als dreigliedriger Organisation bei der Aufstellung der Arbeitspolitik zufällt, greifbare Ergebnisse erzielt werden.

Die Rolle der IAO Unterstützung für die Beschäftigungspolitik und Wachhaltung des Interesses dafür 15. Die IAO sollte weiterhin dafür sorgen, dass sich die Mitgliedstaaten und die anderen internationalen Organisationen der Notwendigkeit bewusst sind, das Beschäftigungsziel zu erreichen und in gesamthafter Weise an die Aufgabe der Beschäftigungsplanung im Rahmen der Internationalen Entwicklungsstrategie heranzugehen.

16. Sie sollte, wo immer dies möglich ist, mit Hilfe ihrer regionalen Organe die erzielten Fortschritte und die bei der Hebung des Beschäftigungsstandes auftretenden Schwierigkeiten überprüfen (wobei die Empfehlung be-

432

treffend die Beschäftigungspolitik als Bezugsrahmen dienen kann) und die Ergebnisse dieser Prüfungen je nach Sachlage entweder der Internationalen Arbeitskonferenz oder Regionaltagungen unterbreiten. Sie sollte der Konferenz über ihre eigenen Tätigkeiten im Zusammenhang mit dem Weltbeschäftigungsprogramm in Teil 2 des Berichtes des Generaldirektors über die Tätigkeit der IAO Bericht erstatten.

Forschung

17. Die Forschungstätigkeit der IAO sollte darauf gerichtet sein, Losungen für praktische Probleme der Beschäftigungspolitik zu finden.

18. Solche Forschungsarbeiten sind zur Bestimmung der Faktoren, durch die Arbeitslosigkeit und Unterbeschäftigung in der Welt, insbesondere in den Entwicklungsländern, verursacht werden, und zur Entwicklung von Programmen zu deren Bekämpfung erforderlich.

19. Es sollte alles getan werden, um die auf dem Gebiet der Beschäftigung von anderen internationalen Organisationen sowie von Universitäten und innerstaatlichen Forschungsanstalten durchgeführten Forschungsarbeiten auszuwerten, Forschungsvorhaben dieser Institute in geeigneten Sachgebieten zu fördern und mit ihnen ständig Fühlung zu halten.

20. Die Forschungsergebnisse einschliesslich technischer Daten sollten allen Beteiligten rasch bekanntgemacht werden, zum Beispiel durch die Veröffentlichung regelmässiger Bulletins oder auf sonstige geeignete Weise.

21. Besondere Aufmerksamkeit sollte den folgenden Forschungsgebieten gewidmet werden : a. Ausarbeitung einer beschäftigungsorientierten Entwicklungspolitik, die in systematischer Weise die in Betracht kommenden Fragen klärt und die relative Wichtigkeit der verschiedenen Elemente einer solchen Politik in jedem einzelnen Land angibt; b. Bestimmung der Anwendungsgebiete und Voraussetzungen für die Verwendung arbeitsintensiver Techniken in Entwicklungsländern; c. Prüfung der Erfahrungen von Ländern, die Fortschritte auf dem Wege zur Verwirklichung der vollen, produktiven und frei gewählten Beschäftigung erzielt haben; d. Bestimmung der Beziehungen, die in jedem Land zwischen Beschäftigungsausweitung, Bruttonationalprodukt, internationalem Warenaustausch, Arbeitskräftepolitik, Einkommensverteilung, Steuer- und Währungspolitik und anderen mit der Beschäftigung zusammenhängenden Faktoren bestehen; e. Prüfung - in Zusammenarbeit mit den Regierungen und den Arbeitgeberund Arbeitnehmerverbänden - der Auswirkungen multinationaler Gesellschaften auf den Umfang, die Struktur und die Bedingungen der Beschäl-

433

tigung in fortgeschrittenen und Entwicklungsländern und auf die internationale Arbeitsteilung; /. Bestimmung der Auswirkungen von Massnahmen zum Schutz der Umwelt und zur Erhaltung der natürlichen Hilfsquellen auf die Beschäftigung; g. die Untersuchung der Wanderungsbewegungen zum Zweck der Beschäftigung, mit besonderer Beachtung i. der Beschäftigung und der Lebens- und Arbeitsbedingungen von Wanderarbeitern, insbesondere hinsichtlich des Grundsatzes der Gleichheit der Gelegenheiten und der Behandlung, der Einrichtungen der beruflichen Ausbildung und Umschulung und der Bereitstellung angemessener Wohnungen und Gemeinschaftseinrichtungen; ii. die Übertragung fachlicher Befähigungen aus entwickelten nach Entwicklungsländern durch heimkehrende Wanderarbeiter.

Technische Zusammenarbeit 22. Im Programm der IAO für technische Zusammenarbeit sollte die Unterstützung der Regierungen bei der Annahme und Durchführung beschäftigungspolitischer Massnahmen hohe Priorität erhalten.

23. In dieser Hinsicht können Sachverständigengruppen der IAO in der betreffenden Region und/oder von mehreren Organisationen beschickte Gruppen einen wirksamen Beitrag leisten, dank ihrer Kenntnis der Probleme und Verhältnisse in den Ländern ihrer jeweiligen Region, ihrer Kontakte mit Regierungs- und anderen Stellen, insbesondere mit den Arbeitgeber- und Arbeitnehmerverbanden, und ihrer Fähigkeit, ihre Arbeit mit derjenigen anderer in der gleichen Region tätigen Organisationen zu koordinieren.

24. Zur Beratung von Ländern bei der Aufstellung einer globalen Beschäftigungsstrategie sollten Missionen unter Beteiligung mehrerer Organisationen organisiert werden. Diese sollten in den von ihnen aufgesuchten Ländern eingehende Beratungen mit Arbeitgeber- und Arbeitnehmerverbänden pflegen. Angemessene Vorarbeiten sollten von Regierungsstellen und sonstigen beteiligten Stellen durchgeführt werden, um zu gewährleisten, dass den Missionen lückenlose Informationen über die Beschäftigungslage, die Politik und die Probleme in den besuchten Ländern zur Verfügung stehen. Die Missionen sollten insbesondere dafür sorgen, dass ihre Empfehlungen in wirksamer Weise in konkrete Grundsatzmassnahmen umgesetzt werden können. Sie sollten mit den beteiligten Regierungen und den Arbeitgeber- und Arbeitnehmerverbänden die Grundlage für wirksame nachgehende
Massnahmen der internationalen Gemeinschaft besprechen. Sie sollten Staatsangehörige der betreffenden Länder zur Mitarbeit und Fortsetzung ihrer Arbeit heranziehen.

25. Die Erfahrungen jeder regionalen Gruppe, der umfassenden beschäftigungsstrategischen Missionen und anderer neuer Formen der technischen Zu-

434

sammenarbeit bei der Beschäftigungsplanung sollten so bald als möglich ausgewertet werden, um die Änderungen zu bestimmen, die etwa hinsichtlich der Behandlung der Beschäftigungsprobleme und der gewählten Arbeitsmethoden erforderlich sind.

26. Die Berichte der umfassenden beschäftigungsstrategischen Missionen, der regionalen Gruppen und anderer Vorhaben, die gegebenenfalls zum Zweck der Beratung in Fragen der gesamthaften Beschäftigungsplanung durchgeführt werden, sollten für die vom Entwicklungsprogramm der Vereinten Nationen vorgenommene Programmierung nach Ländern zur Verfügung stehen.

27. Die IAO sollte weiterhin technische Zusammenarbeit in mit der Beschäftigungsplanung und -förderung zusammenhängenden Bereichen gewähren, zum Beispiel bei der Entwicklung der Arbeitskräftestatistik und Arbeitskräfteplanung, der beruflichen Ausbildung und der Ausbildung in Betriebsführungsmethoden, der Förderung der ländlichen Beschäftigung, der Wahl geeigneter Technologien, der Entwicklung des Kleingewerbes und Handwerks und der Verbesserung der öffentlichen Arbeitsmarktdienste. Bei diesen Tätigkeiten sollte sie je nach Sachlage mit anderen zuständigen internationalen Organisationen zusammenarbeiten und die Beteiligung der Arbeitgeber- und Arbeitnehmerverbände anstreben.

28. Die IAO sollte anderen Organisationen, die in beratender Eigenschaft auf dem Gebiet der Planung für die wirtschaftliche und soziale Entwicklung tätig sind, Hilfe leisten, insbesondere den volkswirtschaftlichen Erhebungsmissionen und den multinationalen interdisziplinären Planungsgruppen der Vereinten Nationen, um sicherzustellen, dass das Beschäftigungsziel bei solchen Tätigkeiten berücksichtigt wird.

Tätigkeiten, die für Industrieländer besondere Bedeutung haben 29. Obwohl die IAO bei der Verwendung ihrer beschränkten Mittel die höchste Prioritätsstufe jenen Vorhaben zuerkennen sollte, die dazu bestimmt sind, den Entwicklungsländern bei der Beseitigung der Arbeitslosigkeit und Unterbeschäftigung zu helfen, sollte sie dennoch bestimmten Beschäftigungsproblemen der Industrieländer Beachtung schenken, vor allem denjenigen, die auch für die Entwicklungsländer von besonderem Interesse sind. Dazu gehören : a. die Auswirkung von Massnahmen zur Liberalisierung des Handels auf die Beschäftigung in fortgeschrittenen Ländern; b. die Auswirkungen
einer Arbeitszeitverkürzung, einer Herabsetzung des Ruhestandsalters und der Gewährung von bezahltem Bildungs- und Ausbildungsurlaub auf die Beschäftigung; c. die Förderung der Beschäftigung von Frauen, älteren Arbeitnehmern und behinderten Arbeitnehmern und die Eingliederung der Jugendlichen in das Erwerbsleben;

435 d. die Auswirkungen von Sozial- und ähnlichen Programmen auf die Beschäftigung, das Problem der chronisch Arbeitslosen, die Knappheit an fachlich geschulten Arbeitskräften und den zur Schaffung von Arbeitsplätzen notwendigen Investitionsaufwand; e. die Auswirkungen der Fusion, Konzentration und Rationalisierung von Unternehmen sowie des völligen oder teilweisen Verschwindens bestimmter industrieller Tätigkeiten auf die Beschäftigung.

30, Bei ihrer Arbeit im Zusammenhang mit Industrieländern sollte die IAO besonderen Wert auf den Austausch von Informationen und Erfahrungen über die Probleme in verschiedenen Ländern legen. Sie sollte ihre Tätigkeiten eng mit denjenigen von regionalen Organisationen fortgeschrittener Länder koordinieren.

2574

# S T #

Bekanntmachungen der Departemente und Abteilungen Botschaft zu den EWG-Verträgen

Da die definitive Bereinigung der Vertragstexte, Protokolle usw. in Brüssel noch nicht erfolgt ist, kann die Veröffentlichung der Botschaft mit allen Beilagen im Bundesblatt voraussichtlich erst im Oktober erfolgen. Wir bitten unsere Abonnenten um Verständnis. Die Botschaft selbst steht auf Bestellung hin (an den Rechtsdienst der Bundeskanzlei) für Abonnenten des Bundesblattes gratis zur Verfügung.

Bern, den 12. September 1972 Bundeskanzlei Ausfuhr elektrischer Energie

Das Eidgenossische Verkehrs- und Energiewirtschaftsdepartement hat der Aarewerke AG in Aarau die Bewilligung erteilt, die in ihrem Kraftwerk Klingnau verfügbare, von drei beteiligten schweizerischen Elektrizitätsunternehmungen nicht beanspruchte Energie weiterhin an die Rheinisch-Westfälische Elektrizitätswerk AG in Essen auszuführen.

Die Bewilligung ist bis 31. Dezember 1981 gültig.

Bern, den 15. September 1972 Eidgenössisches Amt für Energiewirtschaft

Schweizerisches Bundesarchiv, Digitale Amtsdruckschriften Archives fédérales suisses, Publications officielles numérisées Archivio federale svizzero, Pubblicazioni ufficiali digitali

Bericht des Bundesrates an die Bundesversammlung über die 56. Tagung der Internationalen Arbeitskonferenz (Vom 23. August 1972)

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