02.083 Botschaft zum Bundesgesetz über die Forschung an überzähligen Embryonen und embryonalen Stammzellen (Embryonenforschungsgesetz, EFG) vom 20. November 2002

Sehr geehrte Frau Präsidentin, sehr geehrter Herr Präsident, sehr geehrte Damen und Herren, wir unterbreiten Ihnen mit dieser Botschaft den Entwurf eines Bundesgesetzes über die Forschung an überzähligen Embryonen und embryonalen Stammzellen mit dem Antrag auf Zustimmung.

Wir versichern Sie, sehr geehrte Frau Präsidentin, sehr geehrter Herr Präsident, sehr geehrte Damen und Herren, unserer vorzüglichen Hochachtung.

20. November 2002

Im Namen des Schweizerischen Bundesrates Der Bundespräsident: Kaspar Villiger Die Bundeskanzlerin: Annemarie Huber-Hotz

2002-2167

1163

Übersicht In den letzten Jahren ist in Medizin und Biologie ein neuer Forschungszweig entstanden: die Forschung an menschlichen Stammzellen, in die grosse Erwartungen gesetzt werden. Es besteht die Hoffnung, auf diesem Weg längerfristig neue Therapiestrategien gegen bisher nicht oder nur schwer behandelbare Krankheiten wie zum Beispiel Diabetes, Parkinson oder Alzheimer entwickeln zu können.

Menschliche Stammzellen können aus unterschiedlichen Quellen stammen. Beim vorliegenden Gesetzesentwurf geht es einzig um menschliche embryonale Stammzellen. Diese werden aus etwa einwöchigen, ausserhalb des Körpers der Frau entwickelten Embryonen gewonnen. Die Gewinnung menschlicher embryonaler Stammzellen gelang erstmals 1998. Dafür wurde ein überzähliger Embryo verwendet, d.h. ein Embryo, der durch künstliche Befruchtung (In-vitro-Fertilisation) zur Herbeiführung einer Schwangerschaft erzeugt wurde, aber nicht mehr dafür verwendet werden kann. Embryonale Stammzellen vermögen sich nicht zu einem Menschen zu entwickeln. Sie haben aber die Fähigkeit, sich in die verschiedenen Zelltypen des menschlichen Körpers zu differenzieren. Die Frage ist umstritten, ob aus spezifischen Geweben gewonnene, d.h. adulte Stammzellen vergleichbare Eigenschaften wie embryonale Stammzellen aufweisen. Nach dem heutigen Wissensstand kann die Forschung mit adulten Stammzellen diejenige mit embryonalen Stammzellen nicht ersetzen.

Der Gesetzesentwurf regelt neben der Gewinnung embryonaler Stammzellen aus überzähligen Embryonen zu Forschungszwecken und der Forschung an embryonalen Stammzellen auch die Forschung an überzähligen Embryonen. Diese kann unter anderem dazu beitragen, die fortpflanzungsmedizinische Behandlung der In-vitroFertilisation zu verbessern.

Nach Artikel 119 der Bundesverfassung dürfen ausserhalb des Körpers der Frau nur so viele Embryonen entwickelt werden, als innerhalb eines Zyklus zur Herbeiführung einer Schwangerschaft erforderlich sind. Embryonen dürfen also im Rahmen eines Fortpflanzungsverfahrens nicht «auf Vorrat» erzeugt und aufbewahrt werden für den Fall, dass es innerhalb des Zyklus nicht zur gewünschten Schwangerschaft kommt. Diese Bestimmung bezweckt, die Entstehung überzähliger Embryonen soweit möglich zu verhindern.

Auf dieser Verfassungsgrundlage ist das Fortpflanzungsmedizingesetz vom 18. Dezember
19981 so konzipiert, dass bei der In-vitro-Fertilisation möglichst wenige überzählige Embryonen anfallen. Das soll hauptsächlich dadurch erreicht werden, dass bei einer fortpflanzungsmedizinischen Behandlung nur imprägnierte Eizellen (befruchtete Eizellen vor der Kernverschmelzung) konserviert werden und pro Zyklus höchstens drei imprägnierte Eizellen zu Embryonen entwickelt werden dürfen. Gleichwohl fallen aber unter gewissen Umständen überzählige Embryonen an, so wenn der Embryo sich nicht normal entwickelt oder die Frau erkrankt und deswegen ein Embryo nicht auf die Frau übertragen werden kann. Überzählige 1

SR 814.90

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Embryonen muss man nach geltendem Recht absterben lassen. Im Übrigen dürfen diejenigen überzähligen Embryonen, die noch vor Inkrafttreten des Fortpflanzungsmedizingesetzes (1. Januar 2001) entstanden sind, noch höchstens drei Jahre (bis 31. Dezember 2003) aufbewahrt werden; anschliessend sind sie zu vernichten.

Es ist denkbar, für die Stammzellengewinnung oder generell für die Forschung Embryonen zu verwenden, die gezielt dafür, namentlich durch das Verfahren der In-vitro-Fertilisation oder der Klonierung, hergestellt werden. In der Schweiz ist die Herstellung von Embryonen zu Forschungszwecken klar verboten.

Hingegen ist bisher die Frage der Verwendung überzähliger Embryonen zu Forschungszwecken weder eindeutig noch abschliessend geregelt. Sowohl die Bundesverfassung als auch das Fortpflanzungsmedizingesetz lassen es offen, ob überzählige Embryonen für die Forschung, namentlich für die Gewinnung embryonaler Stammzellen, verwendet werden dürfen.

Der vorliegende Gesetzesentwurf erlaubt die Verwendung überzähliger Embryonen zu Forschungszwecken unter bestimmten, restriktiven Bedingungen. Er bezweckt, den missbräuchlichen Umgang mit überzähligen Embryonen und embryonalen Stammzellen zu verhindern sowie die Menschenwürde zu schützen. Nachfolgend sollen die wichtigsten Bedingungen für die Forschung an überzähligen Embryonen, die Gewinnung embryonaler Stammzellen und die Forschung an embryonalen Stammzellen aufgeführt werden: ­

Verbotener Umgang mit überzähligen Embryonen und embryonalen Stammzellen: Es ist verboten, aus zu Forschungszwecken erzeugten Embryonen Stammzellen zu gewinnen oder solche Stammzellen zu verwenden. Ebenso ist es verboten, überzählige Embryonen ein- oder auszuführen oder einen für Forschungszwecke verfügbaren überzähligen Embryo über den 14. Tag hinaus zu entwickeln.

­

Unentgeltlichkeit: Überzählige Embryonen oder embryonale Stammzellen dürfen nicht gegen Entgelt veräussert oder erworben werden.

­

Zulässige Zwecke: Überzählige Embryonen oder embryonale Stammzellen dürfen nur für Forschungszwecke, nicht aber für kommerzielle Zwecke verwendet werden. Die Verwendung überzähliger Embryonen oder embryonaler Stammzellen ist deswegen nur im Rahmen konkreter Forschungsprojekte erlaubt. Ausgenommen davon ist die Gewinnung embryonaler Stammzellen, die auch im Hinblick auf künftige Forschung zulässig ist, soweit dafür im Inland Bedarf besteht.

­

Einwilligung und Aufklärung: Ein überzähliger Embryo darf zu Forschungszwecken nur verwendet werden, wenn das betroffene Paar nach hinreichender Aufklärung eingewilligt hat.

­

Unabhängigkeit: Forschung an überzähligen Embryonen bzw. Gewinnung embryonaler Stammzellen einerseits und fortpflanzungsmedizinische Behandlung des betreffenden Paares andererseits müssen voneinander unabhängig sein.

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­

Bewilligungspflicht bzw. Zustimmungserfordernis: Die Forschung an überzähligen Embryonen oder die Gewinnung embryonaler Stammzellen ist nur mit Bewilligung des Bundesamtes für Gesundheit erlaubt. Forschung an bereits gewonnenen embryonalen Stammzellen setzt eine befürwortende Stellungnahme der zuständigen Ethikkommission voraus.

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Subsidiaritätsprinzip: Forschung an überzähligen Embryonen oder an embryonalen Stammzellen darf nur durchgeführt werden, wenn gleichwertige Erkenntnisse nicht auch auf anderem Weg erreicht werden können.

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Forschungsziele: Forschung an überzähligen Embryonen oder an embryonalen Stammzellen setzt voraus, dass bestimmte, im Gesetzesentwurf umschriebene Forschungsziele verfolgt werden; es muss sich dabei um hochrangige Forschungsziele handeln.

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Wissenschaftliche Qualität und ethische Vertretbarkeit: Ein Forschungsprojekt mit überzähligen Embryonen oder mit embryonalen Stammzellen muss die Kriterien wissenschaftlicher Qualität erfüllen sowie ethisch vertretbar sein.

­

Forschungsergebnisse: Nach Abschluss oder Abbruch eines Forschungsprojekts mit überzähligen Embryonen oder mit embryonalen Stammzellen ist eine Zusammenfassung der Forschungsergebnisse öffentlich zugänglich zu machen.

­

Einfuhr embryonaler Stammzellen: Embryonale Stammzellen dürfen nur unter bestimmten Bedingungen eingeführt werden. Sie dürfen insbesondere nicht von einem zu Forschungszwecken erzeugten Embryo stammen, d.h. sie müssen aus einem überzähligen Embryo gewonnen worden sein. Auch muss das betroffene Paar seine Einwilligung in die Verwendung des Embryos zu Forschungszwecken gegeben und darf dafür kein Entgelt erhalten haben.

1166

Botschaft 1

Allgemeiner Teil

1.1

Ausgangslage

Am 28. September 2001 entschied der Schweizerische Nationalfonds zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung (SNF), ein Forschungsprojekt mit menschlichen embryonalen Stammzellen, die aus dem Ausland importiert werden, mit einem Förderbeitrag zu unterstützen. Vorgängig war ein Rechtsgutachten zum Schluss gekommen, das geltende Recht enthalte keine Bestimmung, welche die Forschung an importierten embryonalen Stammzellen verbiete, sofern diese unentgeltlich beschafft würden.

Die Verwendung menschlicher Embryonen zu Forschungszwecken hat im Zusammenhang mit der Gewinnung von und der Forschung an embryonalen Stammzellen eine neue Aktualität erhalten. Es ist aber darauf hinzuweisen, dass es Forschung an Embryonen seit Entstehung des Fortpflanzungsverfahrens der In-vitro-Fertilisation Ende der 1970er Jahre gibt. So bedurfte es für die Entwicklung der In-vitroFertilisation und für die Verbesserung ihrer Erfolgsrate auch der Forschung an Embryonen in vitro. Bei dieser Forschung, aber auch bei der Gewinnung von embryonalen Stammzellen wird der Embryo geschädigt oder zerstört. Diese Art des Umgangs mit Embryonen wird denn auch, vor allem im deutschen Sprachraum, als «verbrauchende» Embryonenforschung bezeichnet.

Während die Herstellung von Embryonen zu Forschungszwecken verboten ist, beantwortet das geltende Recht die Frage nicht, ob und ­ falls ja ­ unter welchen Bedingungen überzählige Embryonen zu Forschungszwecken verwendet, insbesondere ob aus ihnen embryonale Stammzellen gewonnen werden dürfen. Die Verwendung überzähliger Embryonen für die Forschung wirft schwierige ethische Fragen auf.

Darf ein überzähliger Embryo, den man nach geltendem Recht absterben lassen muss, unter bestimmten Bedingungen der Forschung zugeführt werden? Welches sind die Bedingungen, unter denen die Verwendung überzähliger Embryonen für die Forschung gerechtfertigt werden könnte?

Vor diesem Hintergrund ist der Gesetzgeber aufgefordert, die Frage der Verwendung von überzähligen Embryonen für die Forschung rechtlich zu klären. Es gilt zu entscheiden, ob und ­ falls ja ­ unter welchen Bedingungen überzählige Embryonen für Forschungszwecke, namentlich für die Gewinnung embryonaler Stammzellen, verwendet werden dürfen. Der Bundesrat entschied am 21. November 2001, für die Regelung der Forschung an überzähligen Embryonen und an
embryonalen Stammzellen ein eigenes Bundesgesetz vorzulegen.

Ursprünglich war vorgesehen, die Frage der Verwendung überzähliger Embryonen zu Forschungszwecken im geplanten Bundesgesetz über die Forschung am Menschen (Humanforschungsgesetz) zu regeln. Mit der Motion Plattner vom 1. Dezember 1998 (98.3543: Schaffung eines Bundesgesetzes betreffend medizinische Forschung am Menschen) wurde der Bundesrat beauftragt, der Bundesversammlung den Entwurf eines Bundesgesetzes über die medizinische Forschung am Menschen zu unterbreiten. Dieses Bundesgesetz befindet sich in Ausarbeitung. Es erfasst von seiner Konzeption her auch die Forschung an menschlichen Embryonen 1167

und Föten. Darunter fallen ­ neben der Forschung an überzähligen Embryonen und an embryonalen Stammzellen ­ namentlich die therapeutische Forschung an Embryonen in vitro (siehe zu diesem Begriff Ziff. 1.4.3.1.4), die klinische Forschung an Embryonen und Föten in vivo sowie die Forschung an Embryonen und Föten aus Schwangerschaftsabbrüchen.

Der Weg eines eigenen Bundesgesetzes über die Forschung an überzähligen Embryonen und embryonalen Stammzellen wurde gewählt, da mit der Regelung dieses Forschungsgebiets nicht bis zum Erlass des Humanforschungsgesetzes zugewartet werden kann. Das Bundesgesetz über die Forschung an überzähligen Embryonen und embryonalen Stammzellen soll jedoch zu einem späteren Zeitpunkt in das Humanforschungsgesetz integriert und mit dessen Inkrafttreten aufgehoben werden.

Beim Embryonenforschungsgesetz handelt es sich, wie bereits aus dem Titel hervorgeht, um ein Forschungsgesetz. Zum jetzigen Zeitpunkt befindet sich vor allem die Forschung an embryonalen Stammzellen noch im Grundlagenstadium. Falls die Forschung in diesem Bereich so weit voranschreitet, dass eine Anwendung auf den Menschen im Rahmen klinischer Versuche realistisch wird, käme die bestehende Transplantationsgesetzgebung zur Anwendung (vgl. Ziff. 1.4.3.2); künftig würde das vom Bundesrat verabschiedete Transplantationsgesetz Anwendung finden2.

1.2

Naturwissenschaftliche Grundlagen

1.2.1

Begriffe

1.2.1.1

Embryo

In den Naturwissenschaften wird der Begriff «Embryo» nicht einheitlich verwendet.

Es existieren mehrere verschiedene Begriffsbestimmungen. In der Medizin wird als menschlicher Embryo meist die Leibesfrucht von der befruchteten Eizelle an oder auch von der Einnistung in die Gebärmutter an bis zum Abschluss der Organogenese verstanden (vgl. Ziff. 1.2.2)3. Auch in den gesetzlichen Regelungen verschiedener Länder wird der Begriff sehr unterschiedlich definiert (vgl. Ziff. 1.5).

Den herkömmlichen Embryodefinitionen ist gemeinsam, dass der Entstehung eines Embryos eine Befruchtung zu Grunde gelegt wird. Aufgrund neuerer technischer Verfahren ist es jedoch möglich, Organismen auch ohne Befruchtung zu entwickeln.

Im Vordergrund stehen dabei die Verfahren der Klonierung4 und der Parthenogenese (vgl. Ziff. 1.2.3.3 und 1.2.3.4). Es herrscht derzeit keine Einigkeit darüber, ob insbesondere die durch Parthenogenese entstandenen Organismen als Embryonen im Sinne der herkömmlichen Embryodefinition bezeichnet werden sollen (vgl.

Ziff. 1.2.3.4).

2 3 4

Siehe Botschaft vom 12. Sept. 2001 zum Bundesgesetz über die Transplantation von Organen, Geweben und Zellen (Transplantationsgesetz), BBl 2002 29 ff.

Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG), Empfehlungen zur Forschung mit menschlichen Stammzellen, 3. Mai 2001, S. 54.

Naturwissenschaftliche Fachausdrücke, die im Glossar erläutert werden, werden bei der erstmaligen Erwähnung kursiv aufgeführt.

1168

1.2.1.2

Embryonale Stammzellen

Als menschliche Stammzellen werden die noch nicht differenzierten Zellen eines Embryos, Fötus oder geborenen Individuums bezeichnet, die sich durch die Fähigkeit zur Selbsterneuerung sowie zur Differenzierung in spezialisierte Zelltypen auszeichnen (vgl. Ziff. 1.3.2.2). Je nach ihrer Herkunft unterscheidet man einerseits adulte, gewebespezifische Stammzellen und andererseits embryonale Keimzellen (EG-Zellen) sowie embryonale Stammzellen (ES-Zellen).

Adulte, gewebespezifische Stammzellen lassen sich aus verschiedenen ausdifferenzierten Geweben wie Knochenmark, Haut oder Skelettmuskel gewinnen. Embryonale Keimzellen werden aus den Vorläuferzellen von Ei- und Samenzellen, den so genannten primordialen Keimzellen, gewonnen, die von abgetriebenen Embryonen oder Föten der 5. bis 11. Schwangerschaftswoche stammen5. Embryonale Stammzellen werden aus Zellen von etwa einwöchigen Embryonen gewonnen, die durch künstliche Befruchtung erzeugt wurden6 (vgl. Ziff. 1.2.4).

Embryonale Stammzellen werden als pluripotent bezeichnet (vgl. Ziff. 1.3.2.2).

Unter Pluripotenz wird die Fähigkeit zur Differenzierung in die etwa 200 verschiedenen Zelltypen des menschlichen Körpers verstanden. Eine einzelne ES-Zelle kann sich jedoch nicht zu einem menschlichen Individuum entwickeln. Diese Fähigkeit, die als Totipotenz bezeichnet wird, besitzen nur befruchtete Eizellen sowie Embryonalzellen bis etwa zum Acht-Zell-Stadium.7

1.2.2

Embryonalentwicklung beim Menschen

1.2.2.1

Einleitung

Die Entwicklung eines menschlichen Individuums von der Befruchtung bis zur Geburt dauert insgesamt etwa 38 Wochen. Üblicherweise wird sie in fünf Phasen gegliedert: erste Woche (nach der Befruchtung), zweite Woche, dritte Woche, vierte bis achte Woche (Embryonalperiode) und 9. bis 38. Woche (Fötalperiode). Für die Forschung an Embryonen in vitro sowie die Stammzellengewinnung sind insbesondere die beiden ersten Wochen von Interesse, so dass im Folgenden auf diese Entwicklungsphasen näher eingegangen werden soll. Auf eine Darstellung der Fötalperiode wird verzichtet.

5

6 7

M. J. Shamblott et al., Derivation of pluripotent stem cells from cultured human primordial germ cells, Proceedings of National Academy of Sciences of the United States of America, 1998, 95 (23), S. 13726­13731; M. J. Shamblott et al., Human embryonic germ cell derivatives express abroad range of developmentally distinct markers and proliferate extensively in vitro, Proceedings of National Academy of Sciences of the United States of America, 2001, 98 (1), S. 113­118.

J. A. Thomson et al., Embryonic stem cell lines derived from human blastocysts, Science, 1998, 282, S. 1145­1147.

Zur Abgrenzung von Toti- und Pluripotenz vgl. auch: H. Beier, Zur Forschung an menschlichen embryonalen Stammzellen und Embryonen, Reproduktionsmedizin, 2002, 18, S. 25­31.

1169

1.2.2.2

Die verschiedenen Entwicklungsphasen

Von der Ovulation bis zur Implantation (erste Woche) Etwa alle vier Wochen reifen im weiblichen Ovar (Eierstock) mehrere Follikel (Eibläschen). Nur einer dieser Follikel erreicht in der Regel die volle Reife, während die anderen absterben. Ist die Reifung vollendet, so kommt es zur Ovulation (Eisprung). Dabei wird eine Oozyte (Eizelle) aus dem Ovar ausgestossen und in den Eileiter hinausgeschwemmt. Die Oozyte ist von einer Eihülle umgeben, die bei Säugetier-Eiern Zona pellucida genannt wird. Diese schützt das Ei vor mechanischen Schäden. Zudem dient die Eihülle als artenspezifische Barriere für Spermien, die nur diejenigen der gleichen oder nahe verwandter Arten durchlässt. Die Befruchtung, d.h. die Verschmelzung von Ei- und Samenzelle, erfolgt innerhalb von 6 bis 12 Stunden nach der Ovulation im Eileiter. Von den 200 bis 300 Millionen Spermien, die während des Geschlechtsaktes in den weiblichen Genitaltrakt gelangen, erreichen nur ungefähr 200 Spermien den Eileiter, wo die Befruchtung stattfindet. In der Regel gelingt es nur einem einzigen Spermium, in die Eizelle einzudringen. Sowohl der haploide Zellkern (Zellkern mit nur einem Chromosomensatz) der Eizelle als auch der haploide Zellkern des Spermiums wandeln sich anschliessend in so genannte Vorkerne (Pronuklei) um. In diesem Stadium wird die befruchtete Eizelle imprägnierte Eizelle genannt. Wenig später verschmelzen die beiden haploiden Vorkerne zu einem diploiden Zellkern (Zellkern mit zwei Chromosomensätzen).

Erst nach der Kernverschmelzung ist die Befruchtung vollendet. Die befruchtete Eizelle wird nun als Zygote bezeichnet.

Mit der Befruchtung beginnt die Embryogenese ­ die Entwicklung einer Zygote zu einem Menschen. Etwa 30 Stunden nach der Befruchtung hat sich die Zygote zum ersten Mal geteilt (Zwei-Zell-Stadium). Etwa 60 Stunden nach der Befruchtung hat die Zygote das Acht-Zell-Stadium erreicht. Nach heutigem Wissensstand geht man davon aus, dass die Zellen bis und mit Acht-Zell-Stadium totipotent sind, d.h. dass sich aus jeder einzelnen Zelle ein ganzer Organismus entwickeln könnte. Zellen von Embryonen in späteren Entwicklungsstadien verfügen dagegen nicht mehr über diese Fähigkeit. Ungefähr drei Tage nach der Befruchtung hat die Zygote das 16-ZellStadium erreicht, welches Morula-Stadium genannt wird.

Die ersten, noch undifferenzierten
Zellen eines Embryos nach der Teilung der Zygote bis zum Morula-Stadium werden als Blastomeren bezeichnet.

Nach etwa vier Tagen ist die Morula in die Gebärmutterhöhle gelangt. Die Zellen werden mit jeder Teilung kleiner und differenzieren sich in äussere und innere Zellen. Im Innern der 0,1 bis 0,2 Millimeter grossen Morula (32 bis 58-Zellen-Stadium) bildet sich eine zentrale, flüssigkeitsgefüllte Höhle, das Blastocoel. Die Morula wird nun als Blastozyste bezeichnet. Aus den inneren Zellen, dem so genannten Embryoblasten, entsteht der eigentliche Embryo, während die äusseren Zellen den so genannten Trophoblasten bilden, aus dem schliesslich die Plazenta hervorgeht.

Zwischen dem 5. und dem 6. Tag nach der Befruchtung beginnt die Implantation (Einnistung) der Blastozyste in die Gebärmutterschleimhaut.

1170

Zweiblättrige Keimscheibe (zweite Woche) In der zweiten Woche dringt die Blastozyste immer tiefer in die Schleimhaut der Gebärmutter ein, bis an der Einnistungsstelle nur noch eine leichte Vorwölbung erkennbar ist. Die Trophoblastzellen, welche den Embryoblasten umhüllen, beginnen sich rasch zu teilen und verschmelzen zu mehrkernigen Riesenzellen. Diese entwikkeln sich zu einer zusammenhängenden Schicht, die als Synzytium bezeichnet wird.

Das Synzytium dringt immer weiter in die Schleimhaut vor und bricht in die mütterlichen Kapillaren (Blutgefässe) ein. Mit dem Austritt mütterlichen Blutes in das Synzytium beginnt allmählich der uteroplazentare Kreislauf. Der Embryoblast im Innern der Blastozyste entwickelt sich zur zweiblättrigen Keimscheibe aus den beiden Keimblättern Entoderm und Ektoderm.

Am Ende der zweiten Woche besitzt die Blastozyste einen Durchmesser von etwa einem Millimeter.

Dreiblättrige Keimscheibe (dritte Woche) In der dritten Woche entsteht zwischen Entoderm und Ektoderm ein drittes Keimblatt, das so genannte Mesoderm. Zunächst wird beim 15 bis 16 Tage alten Embryo eine Rinne mit beidseitig erhöhten Rändern erkennbar, der so genannte Primitivstreifen. Dieser legt die Achsen des Embryos fest. Vor der Bildung des Primitivstreifens können noch Zwillinge entstehen oder zwei Embryonen zu einem verschmelzen. Mit dem Vorliegen des Primitivstreifens ist die Entwicklung des Embryos zu einem einzigen Individuum festgelegt.

In Analogie zu Beobachtungen bei anderen Wirbeltieren nimmt man an, dass auch beim Menschen Ektodermzellen im Bereich des Primitivstreifens in das Innere des Embryos hineinwandern und zwischen Ektoderm und Entoderm das Mesoderm ausbilden. Nach der Einstülpung ektodermaler Zellen am vorderen Ende des Primitivstreifens entwickelt sich schliesslich ein primitives Achsenorgan, die Chorda dorsalis, als Vorläufer der Wirbelsäule.

Am Ende der dritten Woche hat der Embryo eine Grösse von etwa zwei Millimetern.

Embryonalperiode (vierte bis achte Woche) Zwischen der vierten und der achten Woche entwickeln sich aus den drei Keimblättern, dem Ektoderm, dem Mesoderm und dem Entoderm, die Organanlagen. Dieser Vorgang wird als Organogenese bezeichnet.

In dieser Zeit ändert sich die Gestalt des Embryos markant. Am Ende der Embryonalperiode ist die endgültige Körperform des werdenden
Menschen bereits erkennbar. Aus dem Ektoderm, dem äusseren Keimblatt, entstehen hauptsächlich das Nervensystem und die Haut. Aus dem Mesoderm, dem mittleren Keimblatt, bilden sich vor allem Knochen und Knorpel, die Niere, die Muskulatur sowie Blut- und Lymphgefässe. Aus dem Entoderm entwickeln sich unter anderem die Auskleidung des Magen-Darm-Trakts und der Lunge sowie die Leber.

Nach Abschluss der Organogenese besitzt der Embryo eine Grösse von ungefähr 30 Millimetern.

1171

1.2.3

Entstehung von menschlichen Embryonen

1.2.3.1

Einleitung

Embryonen können heute nicht nur auf natürliche Art (in vivo), sondern auch auf technischem Wege erzeugt werden: durch In-vitro-Fertilisation (vgl. Ziff. 1.2.3.2.2), Klonierung (Ziff. 1.2.3.3) und Parthenogenese (Ziff. 1.2.3.4). Theoretisch könnten alle so entstandenen Embryonen auch zu Forschungszwecken verwendet werden.

Rechtliche Regelungen auf nationaler und internationaler Ebene schränken jedoch die Anwendung dieser Verfahren zur Erzeugung von Embryonen zu Forschungszwecken mehr oder weniger ein.

1.2.3.2

Fertilisation

1.2.3.2.1

In-vivo-Fertilisation

Unter In-vivo-Fertilisation wird die Befruchtung der Eizelle im Körper der Frau verstanden (vgl. Ziff. 1.2.2). Bis zur Ausreifung des Verfahrens der In-vitro-Fertilisation im Jahre 1978 konnten Embryonen einzig auf diese Weise entstehen.

1.2.3.2.2

In-vitro-Fertilisation

Ungefähr jedes sechste Paar bleibt ungewollt kinderlos. Ursache für die Unfruchtbarkeit ist beim Mann meistens eine zu geringe Zahl von Spermien und/oder deren zu geringe Beweglichkeit. Bei der Frau sind Ursachen für die Unfruchtbarkeit vor allem der Verschluss der Eileiter, die ungeeignete Zusammensetzung des Gebärmutterschleims oder das Ausbleiben der Ovulation. Die In-vitro-Fertilisation (IVF) als Methode zur Herbeiführung einer Schwangerschaft ist eines der hauptsächlichen Verfahren zur Behandlung der Unfruchtbarkeit: Eizellen werden ausserhalb des Körpers der Frau befruchtet, anschliessend erfolgt der Embryotransfer in die Gebärmutter.

Beim Verfahren der In-vitro-Fertilisation lassen sich (vereinfacht) vier Phasen unterscheiden: (1) Stimulation, (2) Follikelpunktion, (3) Imprägnation und In-vitroKultivierung, (4) Embryotransfer.

(1) Das Follikelwachstum im Ovar wird durch die Verabreichung von Hormonen stimuliert. Während normalerweise nur ein Follikel die volle Reife erreicht, bewirkt die ovarielle Stimulation die gleichzeitige Reifung von fünf bis zwölf Follikeln.

(2) Haben die Follikel eine bestimmte Grösse erreicht, werden sie kurz vor der Ovulation mit einer durch die Vagina eingeschobenen Nadel angestochen (punktiert), um die sich darin befindenden Oozyten (Eizellen) abzusaugen.

(3) Die Oozyten werden in einem Zellkulturmedium gelagert. Etwa sechs Stunden nach der Follikelpunktion werden sie mit den Spermien zusammengebracht und 20 Stunden im Brutschrank aufbewahrt. Danach erfolgt die Kontrolle der Befruchtung. Sie ist geglückt, wenn im Zytoplasma der Eizelle zwei Vorkerne erkennbar sind. Nach Überprüfung der Befruchtung werden 1172

nach schweizerischer Rechtslage höchstens drei imprägnierte Eizellen zu Embryonen entwickelt (vgl. Ziff. 1.4.3.1.2). Die übrigen werden in flüssigem Stickstoff kryokonserviert (tiefgefroren). In anderen Ländern werden alle imprägnierten Eizellen zu Embryonen entwickelt. Anschliessend wird ein Teil der Embryonen übertragen, der andere wird im Hinblick auf einen späteren Transfer kryokonserviert. In der Schweiz ist das Konservieren von Embryonen verboten (vgl. Ziff. 1.4.3.1.2).

(4) Der Zeitpunkt des Embryotransfers in die Gebärmutter ist je nach IVFZentrum und praktiziertem Verfahren unterschiedlich. In einigen IVFZentren werden die Embryonen bereits im Vier-Zell-Stadium in die Gebärmutter transferiert (42 Stunden nach der Befruchtung haben etwa 65 Prozent der befruchteten Eizellen das Vier-Zell-Stadium erreicht). In anderen Zentren werden die Embryonen erst nach Erreichen des Blastozystenstadiums transferiert (Blastozystentransfer)8. Die Mehrzahl der sich entwickelnden Embryonen sterben noch vor Erreichen des Blastozystenstadiums ab oder weisen sichtbare Defekte auf9. Werden die Embryonen erst im Blastozystenstadium transferiert, so können diejenigen Embryonen für den Transfer ausgesucht werden, welche die höchsten Chancen versprechen, sich einzunisten und zu einem Kind heranzureifen (vgl. unten). In der Regel wird in diesem Fall nur ein Embryo pro Zyklus transferiert, um die Wahrscheinlichkeit einer Mehrlingsgeburt zu verringern. Die Vorzüge des Blastozystentransfers kommen jedoch nur dann zum Tragen, wenn mehr als drei imprägnierte Eizellen zu Embryonen entwickelt werden. Je grösser die Anzahl der sich entwickelnden Embryonen, desto grösser ist die Aussicht, einen für einen Transfer geeigneten Embryo vorzufinden. Nachteilig an diesem Verfahren ist die Entstehung einer grösseren Anzahl überzähliger Embryonen.

Um die Gefahr einer Mehrlingsbildung zu vermindern, werden in der Regel pro Zyklus zwei Embryonen transferiert. In der Schweiz ist die Entwicklung und Übertragung von höchstens drei Embryonen erlaubt (vgl. Ziff. 1.4.3.1.2).

Die Erfolgsrate der IVF ist relativ niedrig: Sie liegt bei etwa 30 Prozent. Das heisst, im Durchschnitt nistet sich nur etwa jeder dritte transferierte Embryo in die Gebärmutter ein. Dieser kann mittels Ultraschall nachgewiesen werden (so genannte klinische Schwangerschaftsrate
pro Embryotransfer)10.

Bei der In-vitro-Fertilisation können so genannte überzählige Embryonen anfallen.

Als überzählig gelten diejenigen Embryonen, die nicht mehr für die Herbeiführung einer Schwangerschaft verwendet werden können. Je nach Rechtslage in den einzelnen Ländern können unterschiedlich viele überzählige Embryonen entstehen (vgl.

unten).

8

9 10

D. K. Gardner et al., Culture and transfer of viable blastocysts: a feasible proposition for human IFV, Human Reproduction, 2000, 15, S. 9­23. Vgl. dazu auch M. Häberle, P. Scheurer, M. Hohl, Der Blastozystentransfer: Eine natürliche Fortentwicklung der In-vitro-Fertilisation? Frauenheilkunde aktuell, 2000, S. 5­11.

D. K. Gardner et al., A prospective randomized trial of blastocyst culture and transfer in in vitro fertilization, Human Reproduction, 1998, 13, S. 3434­3440.

Die Angaben zu den Erfolgsraten der IVF variieren je nach IVF-Zentrum massiv. Dies ist unter anderem darauf zurückzuführen, dass manche Zentren als Erfolgsraten die klinische Schwangerschaft pro Punktion bzw. pro Zyklus angeben, andere wiederum die Geburtsrate pro Punktion. Vgl. dazu B. Imthurn, Fortschritte der assistierten Reproduktionsmedizin, Zürich 1996, S. 89 ff.

1173

Die Rechtsordnung in der Schweiz zielt darauf ab, keine überzähligen Embryonen entstehen zu lassen (vgl. Ziff. 1.4.3.1.2). Dennoch entstehen in Ausnahmefällen überzählige Embryonen. Dies ist dann der Fall, wenn der Embryotransfer planwidrigerweise nicht zustande kommt, sei es, weil sich der Embryo nicht normal entwickelt und deshalb nicht übertragen wird (1), sei es, weil die Frau krank wird, verunfallt, stirbt oder unerwartet ihre Meinung ändert (2).

(1) Embryonen unterscheiden sich stark in ihrem Entwicklungspotenzial. Anhand der Anzahl vorhandener Blastomeren (die ersten, noch undifferenzierten Zellen eines Embryos) sowie des morphologischen Erscheinungsbildes kann das Entwicklungspotenzial eines Embryos ungefähr abgeschätzt werden. Das grösste Potential weisen diejenigen Embryonen auf, die etwa gleich grosse Blastomeren mit hellen Zytoplasmen besitzen. Dagegen weisen Embryonen mit unregelmässigen Blastomeren sowie dunklen Zytoplasmen ein sehr geringes Entwicklungspotenzial auf. Diese werden in der Regel nicht transferiert11.

(2) Auf Seiten der Frau ist die häufigste Ursache für den Verzicht auf den Embryotransfer das so genannte ovarielle Hyperstimulationssyndrom. Es wird durch die Hormonbehandlung zur Follikelstimulation hervorgerufen und kann in unterschiedlichen Schweregraden auftreten. Ein potentiell lebensbedrohliches Hyperstimulationssyndrom tritt etwa bei einem Prozent der Behandlungen auf. Ein ovarielles Hyperstimulationssyndrom hat jedoch nicht in jedem Fall die Entstehung überzähliger Embryonen zur Folge. Diese fallen nur in solchen Fällen an, bei denen sich das Hyperstimulationsyndrom erst nach vollendeter Befruchtung der Eizellen manifestiert und der behandelnde Arzt von einem Embryotransfer absieht. In selteneren Fällen muss wegen einer Infektion nach der Follikelpunktion von einem Embryotransfer abgesehen werden.

Ist der Embryotransfer nur vorübergehend verunmöglicht, weil die Frau erkrankt oder verunfallt, so dürfen Embryonen ausnahmsweise unter bestimmten Voraussetzungen konserviert werden (vgl. Ziff. 1.4.3.1.2). Die in solch seltenen Fällen konservierten Embryonen gelten erst dann als überzählig, wenn feststeht, dass sie nicht mehr für die Herbeiführung einer Schwangerschaft benötigt werden.

Die Anzahl überzähliger Embryonen, die pro Jahr in der Schweiz anfällt, ist derzeit noch unbekannt. Erste Resultate sollen im Jahr 2003 publiziert werden12. Schätzun-

11 12

Vgl. B. Imthurn, Fortschritte der assistierten Reproduktionsmedizin, Zürich 1996, S. 85 ff.

AB 2001 N 1775 (Frage Graf Maya vom 10. Dez. 2001, Überzählige Embryonen in der Schweiz [01.5273]).

1174

gen gehen davon aus, dass in der Schweiz pro Jahr etwa 100 überzählige Embryonen anfallen13.

Vor Inkrafttreten des Fortpflanzungsmedizingesetzes (d.h. bis 31. Dezember 2000) wurden Embryonen, die nicht übertragen werden konnten, routinemässig konserviert. Heute sollen sich noch über 1000 kryokonservierte Embryonen aus dieser Zeit in den Labors der IVF-Zentren befinden. Diese Zahl sinkt jedoch ständig, da fortwährend Embryonen zur Herbeiführung von Schwangerschaften benötigt werden.

Zudem schreibt das Fortpflanzungsmedizingesetz vor, dass diese Embryonen nur bis Ende 2003 aufbewahrt werden dürfen (vgl. Ziff. 1.4.3.1.2).

In gewissen Ländern können überzählige Embryonen noch aus anderen als den oben genannten Gründen entstehen. So dürfen je nach Rechtslage in den einzelnen Ländern mehr Eizellen befruchtet und zu Embryonen entwickelt werden, als der Frau innerhalb eines Zyklus eingepflanzt werden können (so z.B. in Grossbritannien).

Dieses Vorgehen ermöglicht eine Embryoselektion vor der Übertragung in die Gebärmutter. Eine Embryoselektion wird üblicherweise nach morphologischen Kriterien vorgenommen (vgl. oben). Zusätzlich können genetische Faktoren als Auswahlkriterium herangezogen werden. Im Rahmen der so genannten Präimplantationsdiagnostik wird der Embryo vor der Übertragung auf seine genetische Konstitution hin untersucht (vgl. Ziff. 1.3.1.4). Die Präimplantationsdiagnostik ist jedoch nicht in allen Ländern zugelassen. Dies trifft namentlich auf die Schweiz zu, wo sie verboten ist (vgl. Ziff. 1.4.3.1.3).

1.2.3.3

Klonierung

1.2.3.3.1

Einleitung

Unter einem «Klon» (griechisch für Zweig, Sprössling) versteht man die genetisch identische Kopie eines Lebewesens. Unter dem Begriff «Klonierung» versteht man die in der Natur weit verbreitete ungeschlechtliche Vermehrung, welche für Einzeller und Pflanzen typisch ist. In der modernen Biologie wird Klonierung entweder als Herstellung von Kopien einzelner Gene oder Genabschnitte oder aber als Herstellung genetisch identischer Lebewesen definiert. Im Folgenden geht es allein um die Herstellung genetisch identischer Lebewesen. Diese kann entweder durch «EmbryoSplitting» oder durch Zellkerntransfer erfolgen. In der Schweiz ist die Bildung von Klonen verboten (vgl. Ziff. 1.4.2.2.2 und 1.4.3.1.3).

13

In der Schweiz werden jährlich etwa 4500 Zyklen durchgeführt. Pro Zyklus werden in der Regel zwei Embryonen transferiert. Ungefähr 5 % der Zyklen können nicht planmässig durchgeführt werden. Daraus folgt, dass jährlich etwa 450 Embryonen planwidrig nicht transferiert werden können. Die grössere Zahl davon wird im Hinblick auf die Herbeiführung einer Schwangerschaft zu einem späteren Zeitpunkt konserviert. Nicht alle konservierten Embryonen werden jedoch auch tatsächlich später übertragen (diese Angaben beruhen auf Befragungen verschiedener Expertinnen und Experten der Schweizerischen Gesellschaft für Fertilität, Sterilität und Familienplanung [FIVNAT] und wurden vom Präsidenten der FIVNAT, Prof. Dr. M. Hohl, auf Anfrage im Januar 2002 als realistisch beurteilt).

1175

1.2.3.3.2

Embryonen-Splitting

Eineiige Zwillinge sind «natürliche Klone». Sie entstehen, wenn sich ein Embryo in einem sehr frühen Entwicklungsstadium teilt. Die Zwillingsbildung kann auch auf künstlichem Weg herbeigeführt werden. Dieses in der Tierzucht häufig angewendete Verfahren wird als Embryo-Splitting bezeichnet. Dabei werden einzelne noch totipotente Zellen (Blastomeren) oder Zellgewebe vom frühen embryonalen Zell- bzw.

Gewebeverband mechanisch oder auf anderem Wege abgetrennt. Die Embryoteile werden anschliessend in leere Eihüllen eingebracht und in Ammentiere übertragen, wo sie sich zu genetisch identischen Organismen (Klone) entwickeln.

Inwieweit dieses Verfahren aus der Tierzucht auch in der Humanmedizin zur Anwendung gelangen könnte, ist derzeit noch unklar.

1.2.3.3.3

Zellkerntransfer

1997 gelang es schottischen Wissenschaftlern weltweit erstmals14, ein durch Zellkerntransfer kloniertes Säugetier, das Schaf Dolly, herzustellen. Beim Verfahren des Zellkerntransfers ­ umgangssprachlich als «Dolly-Prinzip» bezeichnet ­ wird zunächst eine Eizelle entkernt. Mit einer Pipette wird anschliessend der Zellkern einer Spenderzelle (oder auch die ganze Zelle) in das Zytoplasma der entkernten Eizelle gebracht. In einem bis heute nicht verstandenen Prozess bewirkt das Zytoplasma der Eizelle eine so genannte Reprogrammierung des Zellkerns der Spenderzelle.

Dieser erlangt dabei einen Zustand, der mit demjenigen des Zellkerns einer Zygote vergleichbar ist. Durch chemische Stimuli kann eine so manipulierte Eizelle zur Teilung aktiviert werden. Der Embryo wird zunächst in vitro kultiviert und danach auf ein Ammentier übertragen. Auf diese Weise entsteht ein Tier, das über ein nahezu identisches Genom verfügt wie jenes Tier, von dem die Spenderzelle stammt15.

Das Überraschende am Dolly-Experiment ist, dass sich eine Eizelle, in die der Kern einer ausdifferenzierten Körperzelle übertragen wird, zu einem vollständigen Organismus entwickeln kann. Das Erbgut im Zellkern einer ausdifferenzierten Körperzelle ist im Vergleich zum Erbgut im Zellkern einer befruchteten Eizelle vielfältig modifiziert. Früher hatte man angenommen, dass diese Modifizierungen irreversibel sind und dass Zellkerne jenseits des Stammzellstadiums nicht mehr in der Lage sind, sich entsprechend zu entwickeln.

In jüngster Zeit mehren sich jedoch die Anzeichen, dass das geklonte Schaf Dolly verschiedene Krankheiten wie Arthritis aufweist, die möglicherweise auf das Klonen zurückzuführen sind16. So wird vermutet, dass die Reprogrammierung des Zellkerns

14 15

16

I. Wilmut et al., Viable offspring derived from fetal and adult mamalian cells, Nature, 1997, 385, S. 810­813.

Die Klone sind mit ihrem Original deshalb nicht hundertprozentig genetisch identisch, weil die Empfängerzelle trotz der Entkernung noch ein minimales «Rest-Erbgut» besitzt.

Dieses Rest-Erbgut befindet sich in den so genannten Mitochondrien, die ausserhalb des Zellkerns im Zytoplasma vorkommen und für die Energieproduktion der Zelle verantwortlich sind. Das mitochondriale Genom macht etwa 0,01 % der Gesamterbinformation einer Zelle aus.

Vgl. dazu Neue Zürcher Zeitung, 9. Jan. 2002, S. 65.

1176

der Spenderzelle fehlerhaft abläuft. Die meisten so hergestellten Klone sterben denn auch schon früh in ihrer Entwicklung17.

Im November 2001 berichteten US-Forschende, dass sie erstmals durch Zellkerntransfer Embryonen erzeugen konnten, die genetische Kopien eines erwachsenen Menschen waren18. Ziel des Versuchs war es, Embryonen für die Stammzellengewinnung herzustellen (vgl. Ziff. 1.2.4). Dieses Verfahren wird als therapeutisches Klonen bezeichnet. Es unterscheidet sich vom reproduktiven Klonen dadurch, dass die Embryonen nicht für die Herbeiführung einer Schwangerschaft verwendet, sondern zur Gewinnung embryonaler Stammzellen für Zell- und Gewebeersatztherapien herangezogen werden (vgl. Ziff. 1.2.4.2). Im oben genannten Versuch gelang es jedoch nicht, Embryonen so weit entwickeln zu lassen, dass daraus embryonale Stammzellen hätten gewonnen werden können (vgl. Ziff. 1.2.4). Zwei Embryonen sollen das Vier- und einer das Sechs-Zell-Stadium erreicht haben. Es bestehen jedoch Zweifel, ob diese Zellteilungen tatsächlich stattgefunden haben19. Es könnte sich dabei ebenso gut um so genannte Fragmentierungen handeln, bei denen sich nur das Zytoplasma einer Zelle teilt. Entsprechende Ergebnisse liefern Versuche mit entkernten tierischen Eizellen, in die Zellkerne menschlicher Körperzellen übertragen wurden. Jüngsten Berichten vom März 2002 zufolge soll es hingegen chinesischen Wissenschaftlern gelungen sein, durch Zellkerntransfer erzeugte Embryonen bis zum 200-Zell-Stadium zu entwickeln und daraus embryonale Stammzellen zu gewinnen20.

1.2.3.4

Parthenogenese

Ein weiteres Verfahren zur Erzeugung von Embryonen könnte dereinst die so genannte Par-thenogenese (Jungfernzeugung) sein.

Unter Parthenogenese wird die Entwicklung der Eizelle zu einem Organismus ohne Befruchtung verstanden. Sie tritt in der Natur sowohl bei Pflanzen als auch bei Tieren auf. So entstehen bei Bienen und Ameisen aus befruchteten Eizellen Königinnen und Arbeiterinnen, aus unbefruchteten hingegen männliche Tiere. Die durch Parthenogenese entstandenen Organismen können haploid (mit einfachem Chromosomensatz) oder diploid (mit doppeltem Chromosomensatz) sein. Diploid sind sie in der Regel dann, wenn sich der einfache Chromosomensatz einer Eizelle vor deren Entwicklung zu einem Organismus verdoppelt hat. Bei Säugetieren kommt Parthenogenese ebenfalls vor. In der Regel sterben solche parthenogenetisch entstandenen Säuger-Embryonen jedoch in einem sehr frühen Entwicklungsstadium ab, da sie nur über mütterliche Chromosomen verfügen.

Im November 2001 berichteten US-Forschende, dass es ihnen gelungen sei, menschliche Eizellen durch physikalisch-chemische Reize zur parthenogenetischen

17 18 19 20

W. Rideout, Nuclear Cloning and Epigenetic Reprogramming of the Genome, Science, 2002, 293, S. 1093­1098.

J. B. Cibelli et al., Somatic cell nuclear transfer in humans: pronuclear and early embryonic development, The Journal of Regenerative Medicine, 2001, 2, S. 25­31.

Vgl. dazu Interview mit D. Solter, in: Spektrum der Wissenschaft, Jan. 2002, S. 22.

P. Cohen, Dozens of human embryos cloned in China, abrufbar unter der Internetadresse http://www.newscientist.com

1177

Entwicklung anzuregen (vgl. 1.2.3.3.3)21. Dabei verwendeten sie Eizellen, welche ihre Reifeteilung nicht abgeschlossen hatten und noch über einen doppelten Chromosomensatz verfügten. Einige dieser Eizellen entwickelten sich nach fünf Tagen zu Gebilden, die wie Blastozysten aussahen. Keines dieser Gebilde enthielt jedoch einen Embryoblasten, so dass keine embryonalen Stammzellen daraus gewonnen werden konnten (vgl. Ziff. 1.2.4). Kurz darauf gab das gleiche Forschungsteam hingegen bekannt, dass es aus parthenogenetisch erzeugten nicht-menschlichen Primatenembryonen embryonale Stammzellen gewinnen konnte22. Diese entwickelten sich in vitro unter anderem zu Nerven- und Muskelzellen.

Der Beweis, ob durch Parthenogenese entstandene menschliche Embryonen je zur Gewinnung funktionsfähiger embryonaler Stammzellen herangezogen werden können, wurde bisher aber noch nicht erbracht23.

Umstritten ist, ob parthenogenetisch entstandene Embryonen überhaupt als Embryonen im Sinne der herkömmlichen Embryodefinition bezeichnet werden sollen (vgl.

Ziff. 1.2.1.1). So bezeichnen einige Wissenschaftler parthenogenetisch entstandene Embryonen bewusst nicht als Embryonen, sondern als Parthenoten. In der Tat weisen parthenogenetisch entstandene Embryonen beträchtliche Defizite auf24. Insbesondere kann sich nach derzeitigem Wissensstand ein parthenogenetisch hergestellter Embryo nicht zu einem Menschen entwickeln. Versuche, parthenogenetisch erzeugte Maus-Embryonen im Uterus einer Maus weiterzuentwickeln, misslangen bisher alle.

1.2.4

Gewinnung menschlicher embryonaler Stammzellen

1.2.4.1

Einleitung

1998 wurden zum ersten Mal aus einem sich im Blastozystenstadium befindenden menschlichen Embryo embryonale Stammzellen (ES-Zellen) gewonnen25. Dabei wurde ein Embryo verwendet, der ursprünglich zum Zweck der Herbeiführung einer Schwangerschaft durch In-vitro-Fertilisation (IVF) hergestellt worden war, dann aber nicht mehr in eine Gebärmutter übertragen werden konnte. Der Begriff Stammzellengewinnung benennt üblicherweise die folgenden zwei Schritte: erstens die Entnahme von Embryoblastzellen und zweitens die Kultivierung der Zellen in vitro.

21 22 23

24 25

J. B. Cibelli et al., Somatic cell nuclear transfer in humans: pronuclear and early embryonic development, The Journal of Regenerative Medicine, 2002, 2, S. 25­31.

J. B. Cibelli et al., Parthenogenetic Stem Cells in Nonhuman Primates, Science, 2002, 295, S. 819.

Vgl. A. Trounsen, The genesis of embryonic stem cells. Does parthenogenesis offer a more promising means of developing immune-matched ES cells?, Nature Biotechnology, 2002, 20, S. 237­238.

Vgl. dazu Interview mit D. Solter, in: Spektrum der Wissenschaft, Jan. 2002, S. 22.

J. A. Thomson et al., Embryonic stem cell lines derived from human blastocysts, Science, 1998, 282, S. 1145­1147.

1178

1.2.4.2

Verfahren der Gewinnung embryonaler Stammzellen

ES-Zellen werden gewöhnlich aus etwa fünf Tage alten Blastozysten gewonnen, die durch IVF hergestellt wurden. In diesem Stadium besteht die Blastozyste aus etwa 100 bis 250 Zellen und ist in eine äussere Zellschicht (Trophoblast) sowie in eine innere Zellmasse (Embryoblast) gegliedert.

Um die innere Zellmasse freizulegen, muss der Trophoblast entfernt werden. Dabei wird der Embryo zerstört26. Die innere Zellmasse wird anschliessend in einem Nährmedium auf einer Schicht aus teilungsunfähig gemachten embryonalen Mausfibroblasten, so genannte feeder cells, ausgebreitet, wo sich die Zellen zu vermehren beginnen. Die Mausfibroblasten produzieren dabei bestimmte Wachstumsfaktoren, welche die ES-Zellen zur Teilung stimulieren. Die ES-Zellen wachsen zu kleinen «Zellhäufchen» heran, verbleiben jedoch in einem undifferenzierten Zustand. Damit sich die ES-Zellen nicht in bestimmte Zelltypen zu differenzieren beginnen, müssen die «Zellhäufchen» wiederholt in Einzelzellen aufgeteilt und auf frisches Nährmedium mit neuen Mausfibroblasten ausplattiert werden. Dieses Prozedere wird solange wiederholt, bis zuletzt etliche so genannte Zelllinien von embryonalen Stammzellen angelegt sind, die auf eine einzelne Zelle zurückzuführen sind. Inzwischen sind weltweit ­ auch unter Modifikation dieses Verfahrens ­ über 70 ES-Zelllinien angelegt und teilweise charakterisiert worden27.

Werden ES-Zellen ohne «feeder cells» kultiviert, so differenzieren sie sich spontan und bilden embryoähnliche Aggregate, so genannte embryoid bodies28. Diese können sich nach derzeitigem Erkenntnisstand nicht als Embryonen weiterentwickeln.

Embryoid bodies enthalten Zelltypen, die auf alle drei Keimblätter zurückzuführen sind (vgl. Ziff. 1.2.2).

Seit kurzem ist es möglich, ES-Zellen auch ohne Mausfibroblasten in vitro zu kultivieren29. Dadurch kann die Gefahr einer Übertragung tierischer Pathogene auf die ES-Zellen verringert werden. Dies ist insbesondere für eine allfällige klinische Verwendung embryonaler Stammzellen von grosser Bedeutung.

Versuche, humane embryonale Stammzellen aus Embryonen zu gewinnen, welche durch Verfahren der Klonierung oder Parthenogenese hergestellt wurden, verliefen bislang erfolglos (vgl. Ziff. 1.2.3.3 und 1.2.3.4). Zwar gelang es US-Forschenden erstmals, durch Zellkerntransfer frühe humane Embryonen zu erzeugen, die geneti-

26

27 28

29

Es ist denkbar, dass in Zukunft die Techniken der Isolierung von Embryoblastzellen so verfeinert werden, dass der Embryo weiterhin lebensfähig ist. Angesichts des unbekannten Verletzungsrisikos ist jedoch davon auszugehen, dass auch langfristig keine Blastozysten nach einer derartigen Zellentnahme für die Herbeiführung einer Schwangerschaft verwendet werden.

Vgl. dazu National Institutes of Health, Human Embryonic Stem Cell Registry; abrufbar unter der Internetadresse http://escr.nih.gov/ J. Itskovitz-Eldor et al., Differentiation of human embryogenic stem cells into embryoid bodies comprising the three embryonic germ layers, Molecular Medecine, 6. Feb. 2000, S. 88­95.

C. Xu et al., Feeder-free growth of undifferentiated human embryonic stem cells, Nature Biotechnology, 19. Okt. 2001, S. 971­974; M. Richards et al., Human feeders support prolonged undifferentiated growth of human inner cell masses and embryonic stem cells, Nature Biotechnology, 20. Sept. 2002, S. 933­936.

1179

sche Kopien des Zellkernspenders waren30. Diese entwickelten sich aber nicht über das Sechs-Zell-Stadium hinaus. Embryonen in diesem Stadium können noch nicht zur Stammzellengewinnung herangezogen werden.

1.3

Forschung an menschlichen Embryonen und an menschlichen embryonalen Stammzellen

1.3.1

Forschung an menschlichen Embryonen

1.3.1.1

Einleitung

1978 wurde in England das erste «Retortenbaby» geboren. Seither kamen weltweit über eine halbe Million Kinder mit Hilfe des Verfahrens der In-vitro-Fertilisation (IVF) zur Welt (vgl. Ziff. 1.2.3.2.2). In den letzten 20 Jahren wurde die Erfolgsrate der IVF ständig verbessert. Dafür bedurfte es vieler Forschungsuntersuchungen an menschlichen Embryonen (vgl. Ziff. 1.3.1.3). Galt früher das Augenmerk der Embryonenforschung der Verbesserung der IVF-Erfolgsrate, so hat sich inzwischen das Forschungsgebiet erweitert. Heute stehen neben der Verbesserung der IVF-Erfolgsrate die Gewinnung neuer Erkenntnisse bezüglich frühembryonaler Differenzierungsvorgänge (vgl. Ziff. 1.3.1.2), die Diagnose und Therapie genetisch bedingter Krankheiten (vgl. Ziff. 1.3.1.4), die Gewinnung embryonaler Stammzellen (vgl.

Ziff. 1.2.4) sowie die Verbesserung der Klonierungsverfahren durch Kerntransfer (vgl. Ziff. 1.2.3.3.3) im Mittelpunkt des Interesses.

Bisweilen wird zwischen beobachtender und verbrauchender Embryonenforschung unterschieden. Beobachtende Embryonenforschung hat zum Ziel, die Überlebenschancen eines Embryos zu erhöhen, verbrauchende Forschung nimmt dagegen die Zerstörung des Embryos in Kauf. In den meisten Fällen handelt es sich dabei um überzählige Embryonen, die keine Entwicklungschancen mehr besitzen. Nur in wenigen Ländern werden Embryonen zum Zwecke der verbrauchenden Forschung hergestellt, so zum Beispiel in Grossbritannien. In der Schweiz hingegen ist die Herstellung von Embryonen zu Forschungszwecken verboten (vgl. Ziff. 1.4.2.2.2 und 1.4.3.1.3).

Die meisten der heute vorliegenden Erkenntnisse sind unter Verbrauch von Tierembryonen gewonnen worden. Dementsprechend liegen mehr Erkenntnisse aus tier- als aus humanexperimentellen Untersuchungen vor, die sich aber nicht in jedem Fall auf den Menschen übertragen lassen.

1.3.1.2

Grundlagenforschung

Viele der heute an Embryonen durchgeführten Forschungsuntersuchungen zielen darauf ab, die frühe Embryonalentwicklung besser zu verstehen. Bis jetzt liegen nur wenige Kenntnisse über Differenzierungsvorgänge (vgl. Ziff. 1.3.2.3), Entwicklungsstörungen oder Ursachen von Spontanaborten vor. So erhofft man sich unter 30

J. B. Cibelli et al., Somatic cell nuclear transfer in humans: pronuclear and early embryonic development, The Journal of Regenerative Medecine, 26. Nov. 2001, S. 25­31.

1180

anderem, mittels Embryonenforschung in Erfahrung bringen zu können, weshalb Zellen eines frühen Embryos ihre Totipotenz verlieren und sich zu unterschiedlichen Zelltypen differenzieren und welche Rolle dabei den Wechselwirkungen zwischen den Zellen zukommt. Erkenntnisse dieser Art lassen sich weniger durch Forschung an isolierten embryonalen Stammzellen als vielmehr durch Forschung an Embryonen gewinnen. Weitere Forschungsuntersuchungen gehen der Frage nach, welche Faktoren Fehlentwicklungen während der Embryogenese hervorrufen bzw. weshalb gewisse Embryonen sich plötzlich nicht mehr weiterentwickeln oder absterben.

Für die längerfristig beabsichtigte Entwicklung von Zellersatztherapien sollen zudem Erkenntnisse gewonnen werden, wie durch Zellkerntransfer menschliche Embryonen zur Stammzellengewinnung hergestellt werden könnten (vgl. Ziff.

1.2.3.3.3).

1.3.1.3

Verbesserung der Unfruchtbarkeitsbehandlung

Die Forschung an menschlichen Embryonen kann zu einer verbesserten Erfolgsrate der In-vitro-Fertilisation (IVF) führen. So zielen einige Forschungsvorhaben darauf ab, Kriterien aufzustellen, anhand deren diejenigen Embryonen ausgesucht werden können, welche die grösste Chance auf eine erfolgreiche Einnistung aufweisen31.

Dabei erhofft man sich unter anderem, zukünftig die Anzahl transferierter Embryonen pro Zyklus verringern zu können. Zudem versucht man, durch Fortschritte in der extrakorporalen Kultivierung und Konservierung von Embryonen sowie durch das Erkennen des besten Transferzeitpunkts die Erfolgsrate der IVF nochmals zu erhöhen32.

1.3.1.4

Verbesserung der Präimplantationsdiagnostik

Manche Krankheiten wie Cystische Fibrose und Trisomie 21 lassen sich eindeutig auf eine bestimmte Veränderung der menschlichen Erbsubstanz zurückführen. Diese Veränderungen lassen sich teilweise mit Hilfe diagnostischer Verfahren feststellen.

Zu diesen Verfahren gehört die so genannte Präimplantationsdiagnostik (PID)33, die in der Schweiz verboten ist (vgl. Ziff. 1.4.3.1.3). Bei der PID wird eine Zelle von einem in vitro gezeugten Embryo abgelöst und auf genetische Defekte hin untersucht. Liegt ein genetischer Defekt vor, so wird der untersuchte Embryo nicht in die Gebärmutter übertragen. Die Ablösung einzelner Zellen von einem Embryo erfolgt in der Regel im Acht-Zell-Stadium.

31

32 33

N. N. Desai et al., Morphological evaluation of human embryos and derivation of an embryo quality scoring system specific for day 3 embryos: a preliminary study, Human Reproduction, 2000, 15, S. 2190­2196; D. K. Gardner et al., Noninvasive assessment of human embryo nutrient consumption as a measure of developmental potential, Fertility and Sterility, 2001, 76 (6), S. 1175­1180.

M. T. Langley et al., Extended embryo culture in human assisted reproduction treatments, Human Reproduction 2001, 16, S. 902­908.

D. Wells et al., Preimplantation genetic diagnosis: applications for molecular medicine, Trends in Molecular Medicine, 2001, 7 (1), S. 23­30.

1181

Nach wie vor bestehen im Zusammenhang mit der PID etliche Probleme. So können zum einen falsche Untersuchungsergebnisse nicht ausgeschlossen werden34. Zum andern kann das Ablösen der Zelle(n) zu einer Beschädigung des Embryos führen, wodurch die Chancen auf eine erfolgreiche Implantation sinken. Die Forschung an Embryonen könnte zur Behebung dieser Schwierigkeiten beitragen.

1.3.2

Forschung an menschlichen embryonalen Stammzellen

1.3.2.1

Einleitung

Menschliche embryonale Stammzellen (ES-Zellen) weisen viel versprechende Eigenschaften auf, die das Interesse der Forschenden in Naturwissenschaften und Medizin in den letzten drei Jahren stark ansteigen liessen. Mit dem noch jungen Forschungsgebiet werden viele Hoffnungen verbunden. Im Vordergrund steht dabei die Entwicklung von Zell- und Gewebeersatztherapien. So sollen in Zukunft ES-Zellen sowie daraus gezüchtete Gewebe funktionsunfähige Zellen und Gewebe ersetzen.

Noch ist aber sehr ungewiss, inwieweit sich diese Hoffnungen verwirklichen lassen.

So liegen zwar erste erfolgversprechende Resultate von Versuchen im Tiermodell vor, der therapeutische Einsatz von ES-Zellen und daraus gezüchteten Geweben liegt aber noch in weiter Ferne. Bevor ES-Zellen als Zell- und Gewebeersatz in der Transplantationsmedizin verwendet werden können, müssen noch viele grundlegende Fragen und Probleme gelöst werden. So ist beispielsweise noch weitgehend unbekannt, wie ES-Zellen in vitro dazu gebracht werden können, sich in definierte Zelltypen zu differenzieren (vgl. Ziff. 1.3.2.3).

Kontrovers wird derzeit die Frage diskutiert, ob nicht adulte Stammzellen ähnliche Eigenschaften wie ES-Zellen aufweisen und für Zell- und Gewebeersatztherapien herangezogen werden könnten, nicht zuletzt um auf die ethisch umstrittene Gewinnung von ES-Zellen zu verzichten. Adulte Stammzellen können aus verschiedenen ausdifferenzierten Geweben wie Gehirn, Knochenmark, Skelettmuskel oder Haut gewonnen werden und spielen nicht nur bei der Regeneration verletzter Gewebe eine entscheidende Rolle, sondern auch beim kontinuierlich stattfindenden Ersatz bestimmter Zelltypen. Bislang war man der Ansicht, nur ES-Zellen seien pluripotent, d.h. in der Lage, sich zu allen Zelltypen des Menschen zu differenzieren (vgl. Ziff.

1.3.2.2). Neuere Untersuchungen lassen jedoch vermuten, dass adulte Stammzellen eine ähnliche Plastizität wie die pluripotenten embryonalen Stammzellen aufweisen35. So konnte unter anderem gezeigt werden, dass blutbildende Stammzellen aus dem Knochenmark via Blutbahn («stem cell highway») zu anderen Gewebearten gelangen können und sich dort zu Stammzellen des jeweiligen Gewebes differenzie-

34

35

Falsche Untersuchungsergebnisse sind unter anderem auf das Dasein so genannter Mosaiken (Mosaiktier, Zellmosaik) zurückzuführen, bei denen wegen einer somatischen Mutation eine Zelllinie eines Organismus in nur einer genetischen Information von den übrigen Zellen abweicht. Vgl. dazu J. C. Harper et al., Future Developments in Preimplantation Genetic Diagnosis, in: Harper (Hg.), Preimplantation Genetic Diagnosis, London, 2001.

Vgl. Y. Jiang et al., Pluripotency of mesenchymal stem cells derived from adult marrow, Nature, 2002, 418, S. 41­48

1182

ren36. Adulte Stammzellen können demnach durch ihre Umgebung veranlasst werden, sich zu «reprogrammieren»37. Trotz dieser Erkenntnisse sind die meisten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der Ansicht, dass auf die Forschung an Stammzellen embryonaler Herkunft nicht verzichtet werden könne38. Diese Forschung sei nicht zuletzt deshalb notwendig, um Kenntnisse darüber zu erlangen, wie adulte Stammzellen allenfalls dazu gebracht werden könnten, sich in spezifische Zelltypen zu differenzieren. Aufgrund der Fähigkeit, sich in Kultur nahezu unbegrenzt vermehren zu können, stellen Stammzellen embryonaler Herkunft ein Modellsystem dar, auf das nicht verzichtet werden könne.

1.3.2.2

Eigenschaften von embryonalen Stammzellen

Embryonale Stammzellen zeichnen sich durch die Fähigkeit sowohl zur Selbsterneuerung (1) als auch zur Differenzierung in die verschiedenen Zelltypen eines Organismus (2) aus.

(1) Im Gegensatz zu adulten Stammzellen können sich ES-Zellen in vitro nahezu unbegrenzt vermehren39. Dabei verbleiben sie auch nach über 300 Zellteilungen in einem undifferenzierten Zustand40. Auch scheinen ES-Zellen im Vergleich zu Körperzellen viel geringere Alterserscheinungen aufzuweisen.

(2) Neben der Fähigkeit zur Selbsterneuerung verfügen ES-Zellen über die Eigenschaft der Pluripotenz41. Pluripotenz bezeichnet die Fähigkeit einer ESZelle zur Differenzierung in die verschiedenen Typen von Körperzellen, zum Beispiel zu Herz-, Haut- oder Muskelzellen.

Demgegenüber wird die Fähigkeit einer Zelle zur Entwicklung zu einem vollständigen Individuum als Totipotenz bezeichnet. Totipotenz kommt nur der befruchteten Eizelle sowie den einzelnen Blastomeren (die ersten, noch undifferenzierten Zellen eines Embryos) in frühen Entwicklungsstadien des Embryos, nicht aber den ES-Zellen zu. Im Tierexperiment zeigte sich, dass nur Blastomeren des Zwei-, Vieroder Acht-Zell-Stadiums sich zu einem vollständigen Organismus entwickeln konnten. Blastomere, die dem 16-Zell-Stadium entstammten, vermochten sich jedoch nicht zu einem ganzen Individuum zu entwickeln. Bisher vorliegende Untersuchungsergebnisse stützen die Annahme, dass sich die Entwicklungspotenz menschlicher Blastomeren nicht von jener der untersuchten Säugetier-Blastomeren unterscheidet.

36 37 38 39

40 41

H. M. Blau et. al., The evolving concept of a stem cell: entity or function?, Cell, 2001, 105, S. 829­841.

Vgl. dazu jedoch N. Dewitt et al., Biologist question adult stem-cell versatility, Nature, 2002, 416, S. 354.

G. Vogel, Stem Cell Policy: can adult stem cells suffice?, Science, 2001, 292, S. 1820­1822.

M. Amit et al., Clonally derived human embryonic stem cell lines maintain pluripotency and proliferative potential for prolonged periods of culture, Developmental Biology, 2000, 227, S. 271­278.

National Institutes of Health, Stem Cells: Scientific Progress and Future Research Directions, 2001, S. 14.

National Institutes of Health, Stem Cells: Scientific Progress and Future Research Directions, 2001, S. 6.

1183

1.3.2.3

Grundlagenforschung

Im Verlauf der Embryonalentwicklung entsteht aus einer befruchteten Eizelle ein vielzelliger Organismus mit verschiedenen Zelltypen. Obwohl alle Zellen das gleiche Erbgut wie die befruchtete Eizelle enthalten, unterscheiden sie sich mit fortschreitender Entwicklung in ihrer Spezialisierung. So finden sich im menschlichen Körper über 200 verschiedene Zelltypen wie Muskel-, Haut-, Keim- oder Nervenzellen.

Der Vorgang, bei dem sich eine Zelle zu einer spezialisierten Zelle entwickelt, wird als Differenzierung bezeichnet. Die Zelldifferenzierung ist auf eine Änderung der so genannten Genexpression zurückzuführen. Unter Genexpression wird der Prozess des Ablesens der Erbinformation von der DNA verstanden.

Die Differenzierung von Zellen während der Embryonalentwicklung ist ein noch weitgehend unbekannter Prozess, was unter anderem auf den besonderen Schutz des Embryos bzw. die geringe Anzahl der für die Forschung zur Verfügung stehenden Embryonen zurückzuführen ist. Diese Lücke soll nun teilweise mit der Forschung an ES-Zellen geschlossen werden. ES-Zellen sind aufgrund ihrer Fähigkeit zur fortgesetzten Selbsterneuerung sowie zur Differenzierung in verschiedene Zelltypen ein geeignetes Modellsystem für die Untersuchung früher embryonaler Entwicklungsvorgänge. Von besonderem Interesse ist dabei die Frage, welche Faktoren für die Differenzierung einer undifferenzierten Zelle zu einem bestimmten Zelltyp verantwortlich sind.

Das Wissen um die zellulären Differenzierungswege auf molekularer Ebene soll es dereinst ermöglichen, ES-Zellen gezielt in definierte Zelltypen differenzieren zu lassen, um so genügend Zellen eines bestimmten Zelltypus für Zellersatztherapien zur Verfügung zu haben (vgl. Ziff. 1.3.2.5). Zudem könnte dieses Wissen zur Weiterentwicklung der Therapien mit adulten, gewebespezifischen Stammzellen beitragen.

Ausserdem könnten diese Erkenntnisse Anwendung finden bei der Entwicklung von Medikamenten zur Therapie von fehlgeleiteten Zelldifferenzierungen wie zum Beispiel bei Krebs. Genauere Kenntnisse der Differenzierungsvorgänge könnten auch zu einem besseren Verständnis der Mechanismen der Entstehung von Entwicklungsanomalien führen.

ES-Zellen können auch verwendet werden, um die teratogene (fruchtschädigende) Wirkung von Medikamenten oder sonstigen Umweltfaktoren zu prüfen. Bislang wurden
diese Tests im Tiermodell durchgeführt. Nicht alle Resultate lassen sich dabei jedoch auf den menschlichen Embryo übertragen. Daher könnten Tests an ES-Zellen wertvolle zusätzliche Erkenntnisse liefern. Darüber hinaus kann mit Hilfe von ES-Zellen eine grössere Zahl von Einflussfaktoren getestet werden.

1.3.2.4

Embryonale Stammzellen als Modellsysteme für Wirksamkeits- und Toxizitätsprüfungen pharmazeutischer Produkte

ES-Zellen können auch für Wirksamkeits- und Toxizitätsprüfungen pharmazeutischer Produkte herangezogen werden. Da nicht ausgeschlossen werden kann, dass neue Medikamente auf menschliche Zellen eine andere Wirkung als auf tierische 1184

Zellen haben, werden in der präklinischen Entwicklung neuer Medikamente und zu Testzwecken von Toxinen auch Versuche mit humanen Zellkulturen durchgeführt.

Diese Zelllinien aus gewöhnlichen Körperzellen werden oftmals während langer Zeit in vitro kultiviert und weisen andere Eigenschaften auf als Zellen in ihrem natürlichen Umfeld (in vivo). Daher sind Voraussagen über die Wirkungsweise von Medikamenten und Toxinen nur bedingt zu machen. Aus Stammzellen könnten Zelltypen jeweils neu differenziert werden, die eher dem In-vivo-Verhalten des zu testenden Gewebes entsprechen würden42.

1.3.2.5

Embryonale Stammzellen für Zell- und Gewebeersatztherapien

Viele häufig auftretende Krankheiten wie Diabetes, Parkinson oder Alzheimer lassen sich darauf zurückführen, dass einzelne Zellen oder Zellverbände irreversibel ihre Funktion verlieren. Diese bisher nicht oder nur schlecht behandelbaren Krankheiten könnten dereinst mit Zellen und Geweben, die aus ES-Zellen gewonnen wurden, therapiert werden43. Die ES-Zellen sollen dabei in vitro zum für die Behandlung benötigten Zellverband differenziert und anschliessend auf die erkrankte Person übertragen werden.

In einigen Versuchen im Tiermodell wurde gezeigt, dass ES-Zellen eine Möglichkeit für Zellersatztherapien darstellen können44. So wurden bereits 1996 aus ESZellen differenzierte Herzmuskelzellen in die Herzkammer von Mäusen transplantiert, wo sie sich integrierten und noch während längerer Zeit nachweisbar waren45.

Bis jedoch Zellersatztherapien unter Verwendung von ES-Zellen beim Menschen zur Anwendung gelangen können, müssen noch viele Fragen geklärt werden. So müssen einerseits ES-Zellen gezielt in die gewünschten Zelltypen differenziert und in ausreichender Menge gewonnen werden können. Andererseits gilt es sicherzustellen, dass die übertragenen Zellen und Gewebe sich im Empfänger nicht unkontrolliert vermehren und Tumore bilden. Sodann muss gewährleistet werden, dass sich die übertragenen Zellen im Empfängerorgan integrieren und auch längerfristig ihre spezifische Funktion im Empfängerorganismus ausüben. Schliesslich gilt es zu verhindern, dass die übertragenen Zellen oder Zellverbände vom Empfängerorganismus abgestossen werden. Zur Vermeidung von Abstossungsreaktionen sind verschiedene Strategien denkbar46: So könnten unter anderem ES-Zellen gentechnisch so verändert werden, dass sie vom Empfängerorganismus nicht mehr als «fremd» betrachtet würden. Zudem könnten durch «therapeutisches Klonen» ES-Zellen her-

42 43 44 45

46

National Institutes of Health, Stem Cells: Scientific Progress and Future Research Directions, 2001, S. 17.

Vgl. N. Lumelsky et al., Differentiation of Embryonic Stem Cells to Insulin-Secreting Structures Similar to Pancreatic Islets, Science, 2001, 292, S. 1389­1394.

Vgl. Dazu J.-H. Kim et al., Dopamine neurons derived from embryonic stem cells function in an animal model of Parkinson's disease, Nature, 2002, 418, S. 50­56.

M. G. Klug et al., Genetically selected cardiomyocytes from differentiating embryonic stem cells from stable intracardiac grafts, in: Journal of Clinical Investigation, 1996, 98, S. 216­224.

National Institutes of Health, Stem Cells: Scientific Progress and Future Research Directions, 2001, S. 17.

1185

gestellt werden, die das gleiche Erbgut wie der Empfängerorganismus besitzen (vgl.

Ziff. 1.2.3.3.3). Schliesslich könnten die Immunreaktionen im Empfängerorganismus durch Medikamente unterdrückt werden.

1.4

Rechtslage in der Schweiz

1.4.1

Einleitung

Die Forschung an überzähligen menschlichen Embryonen und menschlichen embryonalen Stammzellen ist in der Schweiz bisher weder klar noch umfassend geregelt.

In einem ersten Schritt soll die geltende Rechtslage auf Bundesebene dargestellt werden. Eine Regelung der Embryonenforschung hat sich im bestehenden verfassungsrechtlichen Rahmen zu bewegen, der einerseits durch die Grundrechte, andererseits durch die Bestimmung zur Fortpflanzungsmedizin und Gentechnologie im Humanbereich (Art. 119 der Bundesverfassung47) abgesteckt wird (dazu Ziff. 1.4.2).

Bei den Grundrechten gilt es zu klären, ob und ­ falls ja ­ welche Gehalte sich insbesondere aus der Menschenwürde, dem Recht auf Leben, der persönlichen Freiheit und der Wissenschaftsfreiheit ableiten lassen. Auf Gesetzesstufe steht das Fortpflanzungsmedizingesetz im Vordergrund (dazu Ziff. 1.4.3.1). Auf Bundesebene besteht ferner ein Bezug zum Bundesbeschluss über die Kontrolle von Transplantaten (Ziff. 1.4.3.2).

In einem zweiten Schritt gilt es auf den Stand der kantonalen Gesetzgebung (Ziff. 1.4.4) und auf die Entwicklung der Richtlinien der Schweizerischen Akademie der Medizinischen Wissenschaften (SAMW) (Ziff. 1.4.5) hinzuweisen.

1.4.2

Bundesverfassung

1.4.2.1

Grundrechte

1.4.2.1.1

Menschenwürde

Allgemeines Der Begriff der Menschenwürde fand 1992 mit der Aufnahme von Artikel 24novies zur Fortpflanzungsmedizin und Gentechnologie in die Bundesverfassung von 1874 Eingang. Er wurde in den entsprechenden, sich auf den Humanbereich beschränkenden Artikel 119 der Bundesverfassung vom 18. April 1999 übernommen. Seit der Totalrevision der Bundesverfassung steht die Garantie der Menschenwürde zudem am Anfang des Grundrechtskatalogs: Nach Artikel 7 der Bundesverfassung ist die Menschenwürde zu achten und zu schützen.

Die Menschenwürde ist ein grundlegendes Verfassungsprinzip, das als Richtschnur für sämtliches staatliches Handeln dient, so besonders für die Gesetzgebung oder die

47

SR 101.

1186

Konkretisierung von Grundrechten48. Sie begründet ferner ein subjektives, d.h. gerichtlich durchsetzbares Grundrecht. Im Verhältnis zu anderen Grundrechten ist sie insofern primär, als sie Grundlage und Kern der anderen Grundrechte bildet. Als subsidiäre Grundrechtsgarantie («Auffanggrundrecht») kommt sie lediglich zur Anwendung, wenn eine Verletzung nicht unter den Schutz eines anderen Grundrechts fällt. Was Menschenwürde konkret bedeutet, lässt sich allerdings kaum positiv umschreiben, sondern zeigt sich vor allem in ihrer Negation. Sie bietet denn auch insbesondere Schutz vor körperlicher Grausamkeit und psychischer Demütigung49. Die Menschenwürde als subjektives Recht ist absolut geschützt, d.h. sie darf keinesfalls beeinträchtigt werden. Träger der Menschenwürde sind ausnahmslos alle Menschen, unabhängig von ihrer Urteilsfähigkeit50.

Schutz des Embryos in vitro Die Frage, ob bereits der Embryo in vitro unter dem Schutz der Menschenwürde steht, wird kontrovers diskutiert. Nach der einen Auffassung kommt dem Embryo in vitro die Menschenwürde wie einem geborenen Menschen zu. Dementsprechend ist die Menschenwürde des Embryos absolut geschützt. Sie setzt der Forschung eine absolute Grenze in dem Sinn, dass «verbrauchende» Embryonenforschung keinesfalls zulässig ist. Nach der entgegengesetzten Auffassung steht dem Embryo in vitro die Menschenwürde (noch) nicht zu. Selbst «verbrauchende» Embryonenforschung ist ohne Einschränkung erlaubt ­ falls der Embryo nicht auf anderem Weg einen gewissen Schutz erhält.

Die bisherige verfassungsrechtliche Diskussion in der Schweiz steht überwiegend auf der Linie einer mittleren Position: Der Embryo in vitro hat am Schutz der Menschenwürde teil51; diese kommt ihm aber (noch) nicht im gleichen Mass wie einem geborenen Menschen zu (vgl. auch Ziff. 1.10.1.2). So bezieht sich insbesondere die Menschenwürde als absolut geschütztes, subjektives Recht nicht auf den Embryo in vitro. Sie ist im Zusammenhang mit dem Schutz frühesten menschlichen Lebens vor allem als Verfassungsprinzip angesprochen.

Welche konkreten Schutzpflichten aus der Menschenwürde im Umgang mit dem Embryo in vitro folgen, ist indessen relativ unbestimmt. Klarheit zeichnet sich in den folgenden zwei Punkten ab: Erstens sind die Verbote im Zusammenhang mit dem Embryo in vitro aus Artikel 119 der
Bundesverfassung (dazu Ziff. 1.4.2.2.2) als Konkretisierungen der Menschenwürde zu verstehen52. Zweitens besitzt der Embryo in vitro ­ als Ausfluss der Menschenwürde ­ einen grundsätzlichen Anspruch auf

48

49 50 51

52

Siehe zu den verschiedenen Schichten der Menschenwürde P. Mastronardi, Menschenwürde als materielle «Grundnorm» des Rechtsstaates, in: D. Thürer, J.-F. Aubert und J.-P. Müller (Hg.), Verfassungsrecht der Schweiz / Droit constitutionnel suisse, Zürich 2001, S.236; BGE 127 I 14.

Dazu M. Schefer, Die Kerngehalte von Grundrechten. Geltung, Dogmatik, inhaltliche Ausgestaltung, Bern 2001, S. 29 ff.

Vgl. M. Schefer, Die Kerngehalte von Grundrechten. Geltung, Dogmatik, inhaltliche Ausgestaltung, Bern 2001, S. 22.

Siehe BGE 119 Ia 501 ff.; R. J. Schweizer, Art. 24novies, in: J.-F. Aubert u.a. (Hg.), Kommentar zur Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 29. Mai 1874, Basel/Zürich/Bern 1987, bearb. 1995 [im Folgenden abgekürzt: Art. 24novies in Kommentar BV], Rz. 44.

VPB/JAAC/GAAC 1996 III 583 (Gutachten des Bundesamtes für Justiz vom 17. Nov. 1995).

1187

Schutz seiner Würde53. Er darf somit nicht wie eine reine Sache behandelt werden.

Dagegen wird mit der Anerkennung eines grundsätzlichen Schutzanspruchs des Embryos in vitro die Frage noch nicht beantwortet, ob und, falls ja, unter welchen Voraussetzungen ­ im Rahmen von Artikel 119 der Bundesverfassung ­ Embryonenforschung erlaubt werden soll54. Welche konkreten Schranken sich aus der Schutzwürdigkeit des Embryos für die Forschung ergeben, ist durch Güterabwägung zu entscheiden, wobei die Abwägung mit der Wissenschaftsfreiheit im Vordergrund steht (dazu Ziff. 1.4.2.1.3).

1.4.2.1.2

Recht auf Leben und persönliche Freiheit

Nach Artikel 10 Absatz 1 der Bundesverfassung hat jeder Mensch das Recht auf Leben. Das Grundrecht auf Leben verbietet dem Staat, den Tod eines Menschen absichtlich herbeizuführen; dieser Gehalt ist grundsätzlich absolut geschützt55. Im schweizerischen Verfassungsrecht bisher nicht abschliessend geklärt ist die Frage, ab wann der verfassungsrechtliche Schutz des menschlichen Lebens beginnt und ­ falls er schon frühes menschliches Leben umfasst ­ wie er auszugestalten ist56. Dem Embryo in vitro, zumindest dem überzähligen, kommt indessen kein Recht auf Leben zu. Die Bundesverfassung schliesst denn auch die Embryonenspende zu Fortpflanzungszwecken ausdrücklich aus (siehe Ziff. 1.4.2.2.2). Nach geltendem Recht hat der überzählige Embryo keine Überlebenschance; er ist «seinem Schicksal zu überlassen» (dazu Ziff. 1.4.3.1.2).

Artikel 10 Absatz 2 der Bundesverfassung bestimmt, dass jeder Mensch das Recht auf persönliche Freiheit hat, insbesondere auf körperliche und geistige Unversehrtheit. Die persönliche Freiheit enthält ferner das Recht auf individuelle Selbstbestimmung57, zum Beispiel in Bezug auf medizinische Behandlungen. Daraus folgt, dass überzählige Embryonen nur mit Einwilligung der Frau und des Mannes, aus deren fortpflanzungsmedizinischer Behandlung sie stammen, für die Forschung verfügbar werden können. Liegt keine gültige Einwilligung vor, so ist jedenfalls die Verwendung eines überzähligen Embryos für die Forschung ausgeschlossen.

1.4.2.1.3

Wissenschaftsfreiheit

Nach Artikel 20 der Bundesverfassung ist die Freiheit der wissenschaftlichen Lehre und Forschung gewährleistet. Die Freiheit des wissenschaftlichen Forschens erstreckt sich auch auf die Forschung an überzähligen menschlichen Embryonen und menschlichen embryonalen Stammzellen58. Die Wissenschaftsfreiheit ­ und damit die Forschungsfreiheit ­ ist indessen nicht schrankenlos gewährleistet.

53 54 55 56 57

58

Vgl. VPB/JAAC/GAAC 1996 III 585.

Vgl. VPB/JAAC/GAAC 1996 III 585.

Siehe J. P. Müller, Grundrechte in der Schweiz, Bern 1999 (3. Aufl.), S. 12 f.

Dazu Y. Hangartner, Schwangerschaftsabbruch und Sterbehilfe, Zürich 2000, S. 20 ff.

Vgl. R. J. Schweizer, Verfassungsrechtlicher Persönlichkeitsschutz, in: D. Thürer, J.-F. Aubert und J.-P. Müller (Hg.), Verfassungsrecht der Schweiz / Droit constitutionnel suisse, Zürich 2001, S. 700 ff.

Vgl. V. Schwander, Grundrecht der Wissenschaftsfreiheit ­ im Spannungsfeld rechtlicher und gesellschaftlicher Entwicklungen, Bern 2002, S. 212.

1188

Mit Artikel 119 der Bundesverfassung zur Fortpflanzungsmedizin und Gentechnologie im Humanbereich wird die Embryonenforschung bereits auf Verfassungsstufe eingeschränkt. Die Forschungsverbote im Umgang mit Embryonen aus Artikel 119 (dazu Ziff. 1.4.2.2) bilden eine absolute Grenze der Wissenschaftsfreiheit59.

Ausserhalb dieser Verfassungsschranken sind Einschränkungen der Wissenschaftsfreiheit auf dem Gebiet der Embryonenforschung dann zulässig, wenn sie den Anforderungen von Artikel 36 der Bundesverfassung genügen. Sie müssen somit auf einer genügenden gesetzlichen Grundlage beruhen, im überwiegenden öffentlichen Interesse liegen, verhältnismässig sein und den Kerngehalt wahren. Dabei bedarf es insbesondere bei der Prüfung, ob eine Einschränkung durch ein öffentliches Interesse gerechtfertigt werden kann, einer Güterabwägung. Bei der Forschung an überzähligen Embryonen sind vor allem die Wissenschaftsfreiheit und die Schutzwürdigkeit des Embryos (dazu Ziff. 1.4.2.1.1) gegeneinander abzuwägen. Dabei ist seitens der Wissenschaftsfreiheit in die Überlegung einzubeziehen, dass mit Forschung an überzähligen Embryonen und embryonalen Stammzellen auch Hoffnungen auf neue oder bessere Therapiemöglichkeiten verbunden sind (vgl. Ziff. 1.3).

1.4.2.2

Fortpflanzungsmedizin und Gentechnologie im Humanbereich

1.4.2.2.1

Einleitung

Die Bestimmung zur Fortpflanzungsmedizin und Gentechnologie im Humanbereich wurde im Jahr 1992 als Artikel 24novies Absätze 1 und 2 in die Bundesverfassung von 1874 aufgenommen. Sie wurde ­ mit einem Verbot aller Arten des Klonens ergänzt ­ als Artikel 119 in die neue Bundesverfassung überführt.

Artikel 119 Absatz 1 der Bundesverfassung bezweckt, den Menschen vor Missbräuchen der Fortpflanzungsmedizin und der Gentechnologie zu schützen. Artikel 119 Absatz 2 der Bundesverfassung gibt dem Bund den Auftrag, Vorschriften über den Umgang mit menschlichem Keim- und Erbgut zu erlassen, wobei er dabei namentlich für den Schutz der Menschenwürde und der Persönlichkeit sorgt. Beim Erlass dieser Bestimmung wurden bestimmte grundlegende Entscheidungen bereits auf Verfassungsstufe gefällt: Artikel 119 Absatz 2 enthält mehrere verfassungsrechtliche Verbote und Gebote, die Vorgaben für die betreffende Gesetzgebung darstellen. Die im Zusammenhang mit dem vorliegenden Gesetzesentwurf relevanten Verbote und Gebote sollen nachfolgend dargestellt werden (vgl. auch Ziff. 1.10.1.2).

59

Nach R. J. Schweizer, Verfassungs- und völkerrechtliche Vorgaben für den Umgang mit Zellen, Geweben, Embryonen, Föten und anderen Teilen menschlichen Lebens, Zürich 2002, S. 70 und 75, liegen die betreffenden Tätigkeiten sogar ausserhalb des Schutzbereichs der Forschungsfreiheit.

1189

1.4.2.2.2

Verbote

Verbot aller Arten des Klonens Mit Artikel 119 Absatz 2 Buchstabe a der Bundesverfassung ist bereits auf Verfassungsstufe klargestellt, dass das Klonen von menschlichen Lebewesen unzulässig ist. Mit anderen Worten: das Erzeugen von menschlichen Lebewesen mit derselben genetischen Identität wie andere lebende oder tote Menschen ist untersagt (vgl. zum Klonbegriff Ziff. 1.2.3.3.1).

Bei der Verfassungsgebung wurde noch nicht zwischen dem reproduktiven Klonen, d.h. dem Klonen zur Herbeiführung einer Schwangerschaft, und dem therapeutischen Klonen, d.h. dem Klonen zur Gewinnung embryonaler Stammzellen für Zellund Gewebeersatztherapien (vgl. zu den beiden Begriffen Ziff. 1.2.3.3.3), unterschieden60. Unter das verfassungsrechtliche Verbot des Klonens fallen indessen beide Arten des Klonens: Mit der in Artikel 119 Absatz 2 Buchstabe a gewählten Formulierung des Verbots «aller Arten des Klonens» wurde zum einen zum Ausdruck gebracht, dass alle Verfahren unzulässig sind, mit deren Hilfe ein menschliches Lebewesen geklont werden könnte (z.B. Zellkerntransfer oder Embryonen-Splitting; siehe Ziff. 1.2.3.3). Sie bedeutet zum andern aber auch, dass Klonen unabhängig vom Zweck, der damit verfolgt wird, verboten ist. Hinter dem therapeutischen Klonen steht zwar nicht die Absicht, einen neuen Menschen heranwachsen zu lassen, sondern in vitro einen Embryo zu entwickeln, um aus ihm embryonale Stammzellen gewinnen zu können. Trotz unterschiedlicher Zielsetzung des reproduktiven und des therapeutischen Klonens wird aber in beiden Fällen ein menschliches Lebewesen hergestellt.

Im Übrigen lässt sich das Verbot des therapeutischen Klonens auch indirekt begründen: Nach Artikel 119 Absatz 2 Buchstabe c der Bundesverfassung (dazu anschliessend) ist die Anwendung der In-vitro-Fertilisation zu Forschungszwecken untersagt.

Es ist somit auch verboten, einen Embryo durch In-vitro-Fertilisation herzustellen, um aus ihm embryonale Stammzellen gewinnen zu können. Angesichts dieses Verbots wäre es widersprüchlich, wenn ­ mit dem Ziel der Stammzellengewinnung ­ die Herstellung menschlicher Lebewesen durch andere Verfahren als die In-vitroFertilisation, namentlich durch Klonierung, erlaubt wäre.

Verbot von Eingriffen in das Erbgut menschlicher Keimzellen und Embryonen Nach Artikel 119 Absatz 2 Buchstabe a der Bundesverfassung sind
Eingriffe in das Erbgut menschlicher Keimbahnzellen, namentlich von Keimzellen (Ei- und Samenzellen) und Embryonen, unzulässig. Es stellt sich die Frage, ob auch die Gewinnung embryonaler Stammzellen aus überzähligen Embryonen unter dieses Verbot fällt.

Diese Bestimmung bezweckt, jene willentlich vorgenommenen Eingriffe ins Erbgut von Keimbahnzellen zu verhindern, die an die nachfolgenden Generationen weitervererbt werden können. Entstehungsgeschichtlich stand dabei das Verbot der Keimbahntherapie im Vordergrund, während die somatische Gentherapie unter bestimmten Bedingungen erlaubt werden sollte61. Ebenfalls nicht unter das Verbot fällt die Präimplantationsdiagnostik, d.h. das Ablösen einer Zelle von einem Embryo zu dia-

60 61

AB 1998 N 341 f.

VPB/JAAC/GAAC 1996 III 595 f.

1190

gnostischen Zwecken62. Gleiches muss für die Gewinnung von embryonalen Stammzellen aus einem überzähligen Embryo gelten: Eine solche Gewinnung stellt keinen verändernden Eingriff ins Erbgut von Embryonen dar und fällt deswegen nicht unter das genannte Verbot.

Verbot, nichtmenschliches Keim- und Erbgut in menschliches Keimgut einzubringen und mit diesem zu verschmelzen Artikel 119 Absatz 2 Buchstabe b der Bundesverfassung verbietet, nichtmenschliches Keim- und Erbgut in menschliches Keimgut einzubringen oder mit diesem zu verschmelzen. Unter dieses Verbot fällt die Hybridbildung, d.h. die Befruchtung einer menschlichen Eizelle mit einer tierischen Samenzelle oder die Befruchtung einer tierischen Eizelle mit einer menschlichen Samenzelle (vgl. Art. 2 Bst. n FMedG).

Diese Bestimmung untersagt ebenso die Chimärenbildung. Das Fortpflanzungsmedizingesetz definiert Chimärenbildung als Vereinigung totipotenter Zellen von genetisch unterschiedlichen Embryonen zu einem Zellverband (Art. 2 Bst. m). Das Ergebnis daraus ist eine Chimäre, d.h. ein Lebewesen mit dem Erbgut von mindestens vier Elternteilen63. Während die Verfassung bloss Mensch-Tier-Chimären (Interspecies-Chimären) verbietet, umfasst das entsprechende Verbot der Ausführungsgesetzgebung auch die Mensch-Mensch-Chimäre (Intraspecies-Chimäre; Art. 36 FMedG).

Verbot des Erzeugens von Embryonen zu Forschungszwecken Nach Artikel 119 Absatz 2 Buchstabe c der Bundesverfassung dürfen die Verfahren der medizinisch unterstützten Fortpflanzung nur angewendet werden, «wenn die Unfruchtbarkeit oder die Gefahr einer Übertragung einer schweren Krankheit nicht anders behoben werden kann, nicht aber um beim Kind bestimmte Eigenschaften herbeizuführen oder um Forschung zu betreiben». Diese Bestimmung verbietet ausdrücklich die Anwendung der medizinisch unterstützten Fortpflanzung rein zu Forschungszwecken. Die In-vitro-Fertilisation darf somit keinesfalls angewandt werden, um zu Forschungszwecken Embryonen zu erzeugen64.

Verbot der Embryonenspende Artikel 119 Absatz 2 Buchstabe d der Bundesverfassung verbietet die Embryonenspende. Embryonenspende bedeutet, dass ein Embryo in vitro einem anderen Paar zum Zweck der Fortpflanzung überlassen wird. Mit diesem Verbot wollte man vermeiden, dass das werdende Kind genetisch weder von seiner sozialen Mutter noch von seinem
sozialen Vater abstammt65. Dieses Verbot bezieht sich somit auf die Spende von Embryonen zu Fortpflanzungszwecken, nicht auf die «Spende» von überzähligen Embryonen zu Forschungswecken.

62 63 64 65

So VPB/JAAC/GAAC 1996 III 596; R. J. Schweizer, Art. 24novies in Kommentar BV, Rz. 56.

Vgl. R. J. Schweizer, Art. 24novies in Kommentar BV, Rz. 61.

Siehe AB 1990 S 491; AB 1991 N 616.

Vgl. R. J. Schweizer, Art. 24novies in Kommentar BV, Rz. 47.

1191

Verbot des Handels mit menschlichem Keimgut und mit Erzeugnissen aus Embryonen Das Handelsverbot in Artikel 119 Absatz 2 Buchstabe e der Verfassung bezweckt, die Kommerzialisierung von menschlichem Keimgut und Erzeugnissen aus Embryonen zu verhindern. Das Keimgut umfasst neben den Keimzellen (Ei- und Samenzellen) und den Keimdrüsen (Hoden und Eierstöcke) auch die imprägnierten Eizellen, Embryonen und Föten66. Unter «Erzeugnisse aus Embryonen» fallen auch die embryonalen Stammzellen, einschliesslich vermehrter und kultivierter Stammzelllinien. Folglich darf namentlich mit Embryonen in vitro und mit embryonalen Stammzellen kein Handel betrieben werden, d.h. sie dürfen nicht zum Gegenstand eines entgeltlichen oder mit einem geldwerten Vorteil verbundenen Geschäfts gemacht werden.

Allerdings gilt das Handelsverbot nur für das Keimgut als solches. Embryonen in vitro oder embryonale Stammzellen als solche dürfen somit nicht zum Gegenstand eines entgeltlichen Geschäfts gemacht werden. Damit ist insbesondere eine Entschädigung für Tätigkeiten im Zusammenhang mit der Verwendung embryonaler Stammzellen zu Forschungszwecken (z.B. für deren Gewinnung oder Aufbewahrung) nicht ausgeschlossen.

1.4.2.2.3

Gebot, keine überzähligen Embryonen entstehen zu lassen

Nach Artikel 119 Absatz 2 Buchstabe c der Bundesverfassung dürfen «nur so viele menschliche Eizellen ausserhalb des Körpers der Frau zu Embryonen entwickelt werden, als ihr sofort eingepflanzt werden können». Diese Bestimmung war bei ihrer Entstehung im Parlament umstritten: Sie geht auf einen Minderheitsantrag der nationalrätlichen Kommission zurück, der im Nationalrat angenommen wurde67. Im Differenzbereinigungsverfahren wurde die Bestimmung in der ständerätlichen Kommission knapp abgelehnt68, setzte sich aber im Ständerat durch69.

Bei der Debatte stand die Frage im Zentrum, ob die In-vitro-Fertilisation verboten werden soll, weil dabei überzählige Embryonen anfallen können, die missbräuchlich verwendet werden könnten. Die vorliegende Bestimmung ist das Ergebnis eines Kompromisses: Auf der einen Seite erschien es als unverhältnismässig, wegen der Möglichkeit der Entstehung von überzähligen Embryonen die In-vitro-Fertilisation zu verbieten, auf der anderen Seite sollte die Anzahl der überzähligen Embryonen möglichst klein gehalten werden.

So fordert nun Artikel 119 Absatz 2 Buchstabe c der Bundesverfassung, dass ausserhalb des Körpers der Frau jeweils nur so viele Embryonen entwickelt werden dürfen, als innerhalb eines Zyklus in deren Gebärmutter transferiert werden können.

Aus dieser Bestimmung folgt insbesondere: ­

66 67 68 69

Embryonen dürfen nicht «auf Vorrat» erzeugt und aufbewahrt werden für den Fall, dass es innerhalb eines Zyklus nicht zur gewünschten SchwangerVgl. R. J. Schweizer, Art. 24novies in Kommentar BV, Rz. 41.

AB 1991 N 618.

AB 1991 S 452.

AB 1991 S 457.

1192

schaft kommt. Mit andern Worten ist das Aufbewahren von Embryonen im Verfahren der medizinisch unterstützten Fortpflanzung grundsätzlich unzulässig70.

­

Embryonen dürfen im Verfahren der medizinisch unterstützten Fortpflanzung nicht weiter entwickelt werden, als für ihre Übertragung auf die Frau notwendig ist. Generell ist die Ektogenese, d.h. die Aufzucht eines Menschen von der Befruchtung bis zur Geburt ausserhalb des Körpers einer Frau, verboten71.

­

Embryonen in vitro, die für eine Übertragung auf die Frau, d.h. für die Fortpflanzung, vorgesehen sind, dürfen nicht für so genannte verbrauchende Forschung verwendet werden72.

Demgegenüber blieb die Frage offen, wie überzählige Embryonen zu behandeln sind, die trotzdem planwidrigerweise bei einer In-vitro-Fertilisation anfallen73. Damit beantwortet Artikel 119 Absatz 2 Buchstabe c der Bundesverfassung auch die Frage nicht, ob und ­ falls ja ­ unter welchen Bedingungen überzählige Embryonen für die Forschung verwendet werden dürfen. So folgt insbesondere aus dieser Bestimmung im Fall der Zulassung der Forschung an überzähligen Embryonen nicht ein Verbot der Aufbewahrung überzähliger Embryonen (vgl. 1.10.1.2). Gleiches gilt für die Weiterentwicklung von überzähligen Embryonen: Aus Artikel 119 Absatz 2 Buchstabe c ergibt sich das Verbot der Ektogenese, jedoch kein Verbot einer gewissen Weiterentwicklung von überzähligen Embryonen zu Forschungszwecken über den Zeitpunkt hinaus, der für eine Übertragung auf die Frau notwendig wäre. Eine solche Weiterentwicklung überzähliger Embryonen ist vom Erzeugen von Embryonen zu Forschungszwecken zu unterscheiden.

1.4.2.2.4

Kein umfassendes Verbot der Forschung an menschlichen Embryonen

Als bisheriges Ergebnis lässt sich festhalten, dass im Zusammenhang mit der Embryonenforschung folgende Schranken aus Artikel 119 der Bundesverfassung zu beachten sind: ­

70 71 72 73

Verbot des reproduktiven und des therapeutischen Klonens,

­

Verbot des (verändernden) Eingriffs ins Erbgut von Keimbahnzellen,

­

Verbot der Bildung von Hybriden und von Mensch-Tier-Chimären,

­

Verbot des Erzeugens von Embryonen zu Forschungszwecken,

­

Verbot der Embryonenspende (zu Fortpflanzungszwecken),

­

Verbot des Handels mit Keimgut, namentlich Embryonen und Föten, und mit embryonalen Stammzellen,

­

Gebot, keine überzähligen Embryonen entstehen zu lassen.

VPB/JAAC/GAAC 1996 III 601 f.

AB 1990 S 478 und AB 1991 N 616.

Vgl. BGE 119 Ia 502 f.

Vgl. R. J. Schweizer, Art. 24novies in Kommentar BV, Rz. 79.

1193

Vor allem die Verbote des Klonens, des Eingriffs ins Erbgut von Keimbahnzellen, der Hybrid- und der Chimärenbildung sowie des Erzeugens von Embryonen zu Forschungszwecken beziehen sich auf die Forschung. Aus Artikel 119 der Bundesverfassung lässt sich hingegen kein generelles Verbot der Forschung an Embryonen ableiten.

Bei der Forschung an Embryonen in vitro gilt es zu differenzieren: Die Bundesverfassung enthält ein Verbot der so genannten verbrauchenden Forschung an Embryonen in vitro, die für die medizinisch unterstützte Fortpflanzung vorgesehen sind.

Demgegenüber bleibt die therapeutische Forschung an Embryonen in vitro (siehe zu diesem Begriff Ziff. 1.4.3.1.4) verfassungsrechtlich zulässig. Ebenso wenig folgt aus der Bundesverfassung ein Verbot der «verbrauchenden Forschung» an überzähligen Embryonen. Die Frage, ob und unter welchen Voraussetzungen ­ im Rahmen der erwähnten Verbote ­ diese Forschung erlaubt werden soll, muss der Bundesgesetzgeber entscheiden.

1.4.3

Bundesgesetzgebung

1.4.3.1

Bundesgesetz über die medizinisch unterstützte Fortpflanzung

1.4.3.1.1

Regelungsgegenstand und Zweck

Das Fortpflanzungsmedizingesetz vom 18. Dezember 1998 legt fest, unter welchen Voraussetzungen die Verfahren der medizinisch unterstützten Fortpflanzung, namentlich die In-vitro-Fertilisation mit Embryotransfer, beim Menschen angewendet werden dürfen (Art. 1 Abs. 1). Es verbietet ferner missbräuchliche Anwendungen der Bio- und Gentechnologie (Art. 1 Abs. 2), soweit diese einen unmittelbaren oder mittelbaren Bezug zur Fortpflanzung hat74.

In Anlehnung an die Bundesverfassung (Art. 119 Abs. 2) bezweckt das Fortpflanzungsmedizingesetz den Schutz der Menschenwürde, der Persönlichkeit und der Familie (Art. 1 Abs. 2).

1.4.3.1.2

Massnahmen zur Minimierung der Anzahl überzähliger Embryonen

In Ausführung von Artikel 119 Absatz 2 Buchstabe c der Bundesverfassung (dazu Ziff. 1.4.2.2.3) ist das Fortpflanzungsmedizingesetz so ausgestaltet, dass bei der In-vitro-Fertilisation möglichst wenige überzählige Embryonen entstehen. Das soll vor allem durch die folgenden Vorschriften erreicht werden: ­

74

Ausserhalb des Körpers der Frau dürfen nur so viele imprägnierte Eizellen zu Embryonen entwickelt werden, als innerhalb eines Zyklus zur HerbeifühBotschaft vom 26. Juni 1996 über die Volksinitiative «zum Schutz des Menschen vor Manipulationen in der Fortpflanzungstechnologie (Initiative für menschenwürdige Fortpflanzung, FMF)» und zu einem Bundesgesetz über die medizinisch unterstützte Fortpflanzung (Fortpflanzungsmedizingesetz, FMedG) [im Folgenden abgekürzt: Botschaft zum Fortpflanzungsmedizingesetz], BBl 1996 III 245.

1194

rung einer Schwangerschaft erforderlich sind, nämlich höchstens drei (Art. 17 Abs. 1 FMedG). Es ist folglich verboten, willentlich überzählige Embryonen anfallen zu lassen (Art. 37 Bst. g FMedG). Ebenso ist es verboten, imprägnierte Eizellen, die nicht mehr zur Herbeiführung einer Schwangerschaft benötigt werden, für Forschungszwecke zu Embryonen zu entwickeln (Art. 29 Abs. 1 FMedG).

­

Der Embryo darf ausserhalb des Körpers der Frau nur so weit entwickelt werden, als es für die Einnistung in der Gebärmutter unerlässlich ist (Art. 17 Abs. 2 und Art. 30 Abs. 1 FMedG). Der zu transferierende Embryo darf also keinesfalls ein Stadium der Entwicklung erreichen, ab dem die Nidation aus biologischen Gründen unmöglich wird.

­

Die Konservierung imprägnierter Eizellen ist lediglich dann erlaubt, wenn das zu behandelnde Paar seine schriftliche Einwilligung gibt und sie der späteren Herbeiführung einer Schwangerschaft dient (Art. 16 Abs. 1 Bst. b und Art. 29 FMedG). Die Konservierungsdauer beträgt höchstens 5 Jahre (Art. 16 Abs. 2 FMedG). Bei Widerruf der Einwilligung oder bei Ablauf der Konservierungsdauer sind die imprägnierten Eizellen sofort zu vernichten (Art. 16 Abs. 4 FMedG).

­

Das Konservieren von Embryonen ist verboten (Art. 17 Abs. 3 FMedG).

Nach dem Konzept des Fortpflanzungsmedizingesetzes fallen überzählige Embryonen nur noch dann an, wenn ein Embryo in vitro sich nicht normal entwickelt oder wenn die Frau in den Tagen zwischen der Entwicklung der imprägnierten Eizelle zum Embryo und dem Embryotransfer erkrankt, verunfallt, stirbt oder ihre Meinung ändert75 (vgl. auch Ziff. 1.2.3.2.2). In diesem Zusammenhang weist die Botschaft auf eine weitere Massnahme hin, um die Zahl der überzähligen Embryonen möglichst tief zu halten: Das Konservieren von Embryonen ist ausnahmsweise im Sinn einer lebenserhaltenden Nothilfemassnahme und unter Verantwortung der behandelnden Ärztin oder des behandelnden Arztes erlaubt, wenn der Embryotransfer wegen Krankheit oder Unfall der Frau nur vorübergehend nicht vorgenommen werden kann76.

Das Fortpflanzungsmedizingesetz äussert sich lediglich indirekt zur Frage, was mit denjenigen Embryonen geschieht, die nach geltender Rechtslage planwidrigerweise gleichwohl als überzählige anfallen. Einerseits ist die Embryonenspende unzulässig (Art. 4 FMedG; vgl. zur Verfassungslage Ziff. 1.4.2.2.2), d.h. ein überzähliger Embryo darf nicht einem anderen Paar gespendet werden. Andererseits ist das Konservieren von Embryonen verboten (Art. 17 Abs. 3 FMedG). Dies hat zur Folge, dass man die überzähligen Embryonen absterben lassen muss. Im Übrigen sieht das Fortpflanzungsmedizingesetz eine Pflicht zur jährlichen Berichterstattung vor, in deren Rahmen die behandelnden Ärztinnen und Ärzte den zuständigen kantonalen Behörden auch die Anzahl der überzähligen Embryonen melden müssen (Art. 11).

Es stellt sich die Frage, was mit den überzähligen Embryonen geschieht, die vor Inkrafttreten des Fortpflanzungsmedizingesetzes (1. Januar 2001) angefallen sind. Das Fortpflanzungsmedizingesetz enthält dazu in Artikel 42 eine Übergangsbestimmung: Einerseits sind diejenigen Embryonen, die beim Inkrafttreten des Gesetzes aufbe75 76

Botschaft zum Fortpflanzungsmedizingesetz, BBl 1996 III 227.

Botschaft zum Fortpflanzungsmedizingesetz, BBl 1996 III 227 und 266.

1195

wahrt werden, der zuständigen kantonalen Behörde zu melden; andererseits dürfen sie nach Inkrafttreten des Gesetzes nur noch höchstens drei Jahre (bis 31. Dezember 2003) aufbewahrt werden. Wenn endgültig klar ist, dass für einen Embryo keine Transfermöglichkeit besteht, «ist der Keimling seinem Schicksal zu überlassen»77.

1.4.3.1.3

Verbote zur Verhinderung missbräuchlicher Anwendungen

In Ausführung von Artikel 119 der Bundesverfassung enthält das Fortpflanzungsmedizingesetz mehrere Verbote, die missbräuchliche Anwendungen der medizinisch unterstützen Fortpflanzung und der Bio- und Gentechnologie (soweit diese im Zusammenhang mit der Fortpflanzungsmedizin steht) verhindern sollen. Diese Verbote erfassen auch die betreffende Forschung. Verboten sind insbesondere: ­

das Erzeugen eines Embryos in der Absicht, diesen zu einem anderen Zweck als der Herbeiführung einer Schwangerschaft zu verwenden oder verwenden zu lassen (Art. 29 Abs. 1 FMedG). Darunter fällt insbesondere das Erzeugen eines Embryos zu Forschungszwecken;

­

die entgeltliche Veräusserung oder der entgeltliche Erwerb von menschlichem Keimgut oder Erzeugnissen aus Embryonen oder Föten (Art. 32 Abs. 1 FMedG);

­

der (verändernde) Eingriff ins Erbgut von Keimbahnzellen (Art. 35 Abs. 1 FMedG). Dieses Verbot bezieht sich vor allem auf die Keimbahntherapie und die entsprechende Forschung;

­

die Bildung eines Klons sowie die Chimären- und die Hybridbildung (Art. 36 Abs. 1 FMedG), einschliesslich der entsprechenden Forschung.

Das Fortpflanzungsmedizingesetz verbietet ferner das Ablösen einer oder mehrerer Zellen von einem Embryo in vitro und deren Untersuchung (Art. 5 Abs. 3 und Art. 37 Bst. e FMedG). Entstehungsgeschichtlich und gesetzessystematisch bezieht sich dieses Verbot lediglich auf die Präimplantationsdiagnostik78, also nicht auf die Gewinnung embryonaler Stammzellen aus überzähligen Embryonen. Hingegen regelt das Fortpflanzungsmedizingesetz nicht den Import von embryonalen Stammzellen, wenn diese unentgeltlich beschafft werden.

1.4.3.1.4

Nicht abschliessende Regelung der Forschung

Das Fortpflanzungsmedizingesetz enthält zwar mehrere Forschungsverbote, regelt aber die Forschung auf den Gebieten der Fortpflanzungsmedizin und der Bio- und Gentechnologie (soweit diese im Zusammenhang mit der Fortpflanzungsmedizin steht) nicht abschliessend. So lässt es besonders die Frage offen, ob überzählige Embryonen für die Forschung verwendet werden dürfen. Ebenfalls noch nicht be-

77 78

Botschaft zum Fortpflanzungsmedizingesetz, BBl 1996 III 285.

Botschaft zum Fortpflanzungsmedizingesetz, BBl 1996 III 256 f.

1196

antwortet ist, ob so genannte therapeutische Forschung79 an Embryonen in vitro, die für eine Übertragung auf die Frau vorgesehen sind, durchgeführt werden darf. Die Botschaft zum Fortpflanzungsmedizingesetz hält dazu fest: «Rechtlich noch nicht geklärt ist, ob und allenfalls unter welchen Voraussetzungen therapeutische Forschung zulässig sein soll. Zu entscheiden ist auch, ob Grundlagenstudien ­ beispielsweise zur Frage, warum Embryonen sich krankhaft entwickeln oder warum sie sich nicht einnisten ­ möglich sein sollen.»80 Bei der parlamentarischen Beratung des Fortpflanzungsmedizingesetzes wurden gleich lautende Anträge, wonach menschliche Embryonen nicht als Forschungsobjekte verwendet werden dürfen, vom Stände- und vom Nationalrat abgelehnt81.

Dies wurde vor allem damit begründet, dass das Fortpflanzungsmedizingesetz der Forschung bereits klare und enge Schranken setzt und ein generelles Verbot der Embryonenforschung zu weit ginge82.

1.4.3.2

Bundesbeschluss über die Kontrolle von Transplantaten

Der Bundesbeschluss vom 22. März 1996 über die Kontrolle von Transplantaten83 regelt den Umgang mit Organen, Geweben oder Zellen menschlichen oder tierischen Ursprungs, die zur Übertragung auf den Menschen bestimmt sind. Sein Geltungsbereich erstreckt sich also auch die Verwendung menschlicher embryonaler Stammzellen zu Transplantationszwecken im Rahmen klinischer Versuche. Es handelt sich dabei aber nicht um eine umfassende Regelung. Die Botschaft hält dazu fest, dass eine umfassende Regelung des Umgangs mit Transplantaten im Rahmen dieses Bundesbeschlusses nicht möglich sei, jedoch der Schutz der Empfängerin oder des Empfängers vor einer Ansteckung mit Krankheitserregern sofort sichergestellt werden soll84. In der parlamentarischen Beratung wurde die Regelung um den Handel mit Transplantaten erweitert.

Der Bundesbeschluss statuiert für menschliche Transplantate das Gebot der Unentgeltlichkeit: Nach Artikel 17 ist es verboten, menschliche Transplantate gegen Entgelt in der Schweiz oder von der Schweiz aus im Ausland in Verkehr zu bringen oder gegen Entgelt erworbene menschliche Transplantate zu transplantieren. Der Bundesrat kann jedoch für bestimmte Transplantate Ausnahmen von diesem Gebot vorsehen. Weiter statuiert Artikel 18 des Bundesbeschlusses eine Meldepflicht für 79

80 81 82 83 84

Als «therapeutische Forschung» gilt diejenige Forschung, die nicht nur im wissenschaftlichen Interesse, sondern wegen ihres erwarteten direkten Nutzens auch im Interesse der Patientin oder des Patienten ­ im Zusammenhang mit der medizinisch unterstützten Fortpflanzung des Embryo in vitro ­ liegt (vgl. M. Staak, Wesen und Bedeutung der Unterscheidung zwischen therapeutischen und rein wissenschaftlichen Versuchen, in: E. Deutsch/J. Taupitz [Hg.], Forschungsfreiheit und Forschungskontrolle in der Medizin. Zur geplanten Revision der Deklaration von Helsinki ­ Freedom and Control of Biomedical Research. The Planned Revision of the Declaration of Helsinki, Berlin/Heidelberg 2000, S. 273 ff.).

Botschaft zum Fortpflanzungsmedizingesetz, BBl 1996 III 217.

AB 1997 S 687 und AB 1998 N 1336.

So AB 1998 N 1336 (Votum Koller).

SR 818.111.

Botschaft vom 1. März 1995 zu einem Bundesbeschluss über die Kontrolle von Blut, Blutprodukten und Transplantaten, BBl 1995 II 985.

1197

den Umgang mit Transplantaten und eine Bewilligungspflicht für den grenzüberschreitenden Verkehr, Artikel 19 eine Testpflicht.

Die Verordnung vom 26. Juni 199685 über die Kontrolle von Transplantaten konkretisiert in den Artikeln 22 und 23 die Meldepflicht nach Artikel 18 des Bundesbeschlusses. Sie enthält auch gewisse Anforderungen für die Durchführung von klinischen Versuchen mit Transplantaten.

1.4.4

Kantonale Gesetzgebung

Artikel 119 der Bundesverfassung zur Fortpflanzungsmedizin und Gentechnologie im Humanbereich, auf den sich das Fortpflanzungsmedizingesetz abstützt, begründet eine Kompetenz mit nachträglich derogatorischer Kraft (vgl. Ziff. 6.1). Die Kantone sind also weiterhin zuständig in Bezug auf diejenigen Fragen der Embryonenforschung, die das Bundesrecht offen lässt. Nach Inkrafttreten des Fortpflanzungsmedizingesetzes am 1. Januar 2001 weisen nur noch wenige Kantone Bestimmungen zur Embryonenforschung auf, für die keine Regelung auf Bundesebene besteht.

Das Gesundheitsgesetz des Kantons Aargau vom 10. November 1987 untersagt Experimente und Manipulationen an Embryonen; es lässt einzig therapeutische Massnahmen an Embryonen zur Vermeidung schwerer Krankheiten zu, soweit sie das Erbgut nicht verändern (§ 50 Abs. 4). Das Gesetz vom 18. Oktober 1990 betreffend die Reproduktionsmedizin beim Menschen des Kantons Basel-Stadt verbietet, lebende Embryonen, Föten oder Teile davon zu Forschungszwecken zu verwenden (§ 8 Abs. 1). Dieses Verbot wurde im Rahmen einer staatsrechtlichen Beschwerde beim Bundesgericht angefochten86. Das Bundesgericht kam am 22. Dezember 1993 zum Schluss, dass ein solches Verbot vor der Verfassung standhält87. Im Unterschied zur so genannten verbrauchenden Forschung, bei welcher der Embryo geschädigt oder zerstört wird, wurde die so genannte beobachtende Forschung als zulässig erachtet. Die Begründung für die unterschiedliche Beurteilung der beiden Arten der Forschung war, dass das Beobachten der Entwicklung eines Embryos in vitro dessen Gesunderhaltung diene und darauf abzielen könne, bessere Entwicklungsbedingungen zu schaffen; dabei werde die heranwachsende Frucht nicht «verbraucht» und nicht in unwürdiger Weise instrumentalisiert. Hingegen nahm das Bundesgericht nicht ausdrücklich zur Frage der Verwendung überzähliger Embryonen, die man nach geltendem Recht absterben lassen muss, zu Forschungszwecken Stellung.

1.4.5

Richtlinien der Schweizerischen Akademie der Medizinischen Wissenschaften

Die Schweizerische Akademie der Medizinischen Wissenschaften (SAMW) ist eine privatrechtliche Stiftung, die in den 1940er-Jahren von den medizinischen und veterinärmedizinischen Fakultäten der Schweizer Universitäten und der Verbindung der Schweizer Ärztinnen und Ärzte (FMH) gegründet wurde. Einer der Schwerpunkte

85 86 87

SR 818.111.3.

BGE 119 Ia 460 ff.

BGE 119 Ia 502 f.

1198

ihrer Tätigkeit bildet das Erkennen neuer ethischer Fragestellungen, die sich aus der biomedizinischen Forschung und der Entwicklung neuer Technologien ergeben, sowie das Erarbeiten ethischer Richtlinien und Handlungsanweisungen dazu.

Die SAMW erliess am 31. Dezember 1990 medizinisch-ethische Richtlinien für die ärztlich assistierte Fortpflanzung. Diese Richtlinien enthalten ein klares Verbot der Forschung an menschlichen Embryonen (Punkt 11: «Menschliche Embryonen dürfen nicht als Forschungsobjekte verwendet werden»). Als Empfehlungen einer privaten Stiftung sind die Richtlinien der SAMW zwar nicht rechtlich verbindlich, sie erhalten aber oft eine nicht zu unterschätzende indirekte Wirkung. So haben ­ vor Inkrafttreten des Fortpflanzungsmedizingesetzes ­ mehrere Kantone in ihrer Gesetzgebung ganz oder teilweise auf die medizinisch-ethischen Richtlinien für die ärztlich assistierte Fortpflanzung verwiesen88.

Der Senat als oberstes Organ der SAMW hob die medizinisch-ethischen Richtlinien für die ärztlich assistierte Fortpflanzung am 29. November 2001 auf, weil sie mit dem Inkrafttreten des Fortpflanzungsmedizingesetzes grösstenteils hinfällig wurden.

Zudem wollte man vermeiden, dass ein Widerspruch zum Positionspapier der Zentralen Ethikkommission der SAMW vom 28. August 2001 zur Gewinnung von und Forschung an menschlichen Stammzellen (siehe Ziff. 1.7.4) entsteht.

1.5

Rechtslage in anderen Ländern

1.5.1

Übersicht

Die rechtlichen Regelungen der Embryonenforschung in den verschiedenen Ländern widerspiegeln die kontroversen Standpunkte in der ethischen Beurteilung dieses Forschungsgebietes. Manche Regelungen wurden im Zusammenhang mit der Normierung der Fortpflanzungsmedizin erlassen, andere mit Blick auf die Embryonenforschung. Die Regelungsdichte ist sehr unterschiedlich: Manche Staaten verfügen inzwischen über ein ausführliches Regelwerk, andere haben bislang überhaupt keine rechtlichen Normen erlassen. Normen zu Fragen der Gewinnung und Verwendung von embryonalen Stammzellen finden sich nur in wenigen nationalen Rechtsordnungen. In den meisten Ländern sind jedoch Diskussionen um die Änderung bestehenden Rechts oder die Schaffung neuen Rechts im Gang.

Im Überblick ergibt sich folgende Situation: ­

88

Schweden: Zwei Gesetze aus den Jahren 1988 bzw. 1991 zur Fortpflanzungsmedizin enthalten auch Regelungen zur Forschung an Embryonen.

Zulässig ist sowohl die Forschung an Embryonen bis zum 14. Tag als auch die Forschung an embryonalen Stammzellen. Es besteht kein Verbot der Herstellung von Embryonen zu Forschungszwecken. Weder das reproduktive noch das therapeutische Klonen sind explizit verboten. Derzeit wird eine Überarbeitung der bestehenden Gesetzgebung diskutiert. Der nationale schwedische Forschungsrat (Vetenskapsraadet) lehnt das reproduktive Klonen ab, befürwortet jedoch das therapeutische Klonen. Im Jahre 2003

Siehe Botschaft zum Fortpflanzungsmedizingesetz, BBl 1996 III 209 ff.

1199

möchte die Regierung dem Parlament einen entsprechenden Gesetzesentwurf unterbreiten.

­

Dänemark: Nach einem Gesetz aus dem Jahr 1997 ist die Forschung an Embryonen zur Verbesserung der medizinisch unterstützten Fortpflanzung und der Techniken zur Erkennung von schweren Erbkrankheiten zulässig. Geforscht werden darf bis zum 14. Entwicklungstag. Embryonen dürfen jedoch nicht zu Forschungszwecken hergestellt werden. Reproduktives und therapeutisches Klonen sind untersagt.

­

Niederlande: Im Juni 2002 verabschiedete das niederländische Parlament ein Embryonengesetz, das am 1. September 2002 in Kraft trat. Es erlaubt die Forschung an überzähligen Embryonen unter strengen Voraussetzungen bis zum 14. Tag. Die Erzeugung von Embryonen zu Forschungszwecken sowie das reproduktive Klonen sind verboten. Zulässig ist jedoch das therapeutische Klonen zur Gewinnung von geeigneten Stammzellen, die für eine Transplantation verwendet werden können.

­

Belgien: Ein parlamentarischer Sonderausschuss für bioethische Probleme hiess kürzlich einen Gesetzesentwurf über die Forschung an Embryonen in vitro gut. Der Gesetzesentwurf sieht vor, die Forschung an überzähligen Embryonen, die nicht älter als 14 Tage alt sind, unter bestimmten Voraussetzungen zuzulassen. In Ausnahmefällen soll auch die Herstellung von Embryonen zu Forschungszwecken erlaubt sein. Explizit verboten wird das reproduktive, nicht jedoch das therapeutische Klonen. Es ist derzeit noch unklar, wann das Parlament das Gesetz verabschieden wird.

­

Italien: Derzeit existieren keine spezifischen Gesetzesbestimmungen, welche die Embryonenforschung regeln. Verschiedene gesetzliche Regelungen stehen jedoch zur Diskussion. Das Nationale Bioethik-Komitee erachtet die Stammzellforschung als Forschungszweig von beträchtlichem Interesse im Hinblick auf therapeutische Anwendungen. Die Reprogrammierung von adulten Zellen betrachtet es als anzustrebendes Ziel. Die Gewinnung von Stammzellen aus Embryonen oder Föten, die aus Schwangerschaftsabbrüchen oder Spontanaborten stammen, wird für ethisch vertretbar gehalten.

Teile des Komitees halten es zudem für ethisch vertretbar, Stammzellen aus überzähligen Embryonen zu gewinnen. Das therapeutische Klonen wird von den Mitgliedern des Komitees unterschiedlich beurteilt, das reproduktive Klonen hingegen einhellig abgelehnt.

­

Spanien: Zwei Gesetze aus dem Jahre 1988 regeln die Forschung an Embryonen. Die Forschung an lebenden Prä-Embryonen (Bezeichnung des Gesetzes für den Embryo innerhalb der ersten 14 Tage) aus der Fortpflanzungsmedizin ist erlaubt, sofern sie präventiven, therapeutischen oder diagnostischen Zwecken dient. Die Forschung an nicht lebensfähigen oder toten Prä-Embryonen ist unter erweiterten Voraussetzungen zugelassen. Nicht zulässig ist die Herstellung von Embryonen zu Forschungszwecken.

­

Australien: Anfang April 2002 wurden landesweit gültige Richtlinien zur Forschung an embryonalen Stammzellen erlassen. Zunächst sollen die bereits existierenden rund 60 000 überzähligen Embryonen verwendet werden dürfen. Nach Ablauf einer Frist von drei Jahren soll dann auch die Verwendung neu entstehender überzähliger Embryonen für zulässig erklärt werden.

1200

Es muss jedoch von den Behörden sichergestellt werden, dass damit nicht die Erzeugung von Embryonen zu rein wissenschaftlichen Zwecken gefördert wird.

In den folgenden Abschnitten werden die rechtlichen Regelungen einiger ausgewählter Staaten zum Umgang mit Embryonen und embryonalen Stammzellen ausführlicher dargestellt.

1.5.2

Deutschland

Das deutsche Gesetz zum Schutz von Embryonen (Embryonenschutzgesetz) vom 13. Dezember 1990 (Inkrafttreten am 1. Januar 1991) gehört zu den strengsten Gesetzen auf dem Gebiet der Embryonenforschung. Als Embryo im Sinne von § 8 des Embryonenschutzgesetzes gilt bereits die befruchtete, entwicklungsfähige menschliche Eizelle vom Zeitpunkt der Befruchtung an, ferner jede einem Embryo entnommene totipotente Zelle, die sich bei Vorliegen der dafür erforderlichen weiteren Voraussetzungen zu teilen und zu einem Individuum zu entwickeln vermag. Dieser Regelung zufolge ist die totipotente Zelle also genauso schutzwürdig wie der Embryo selbst.

Das Gesetz stellt einen umfassenden Katalog von Verboten auf. Deren Verletzung wird unter Strafe gestellt; zum Teil sind Freiheitsstrafen von bis zu fünf Jahren vorgesehen. So ist es gemäss § 1 Abs. 1 Nr. 2 verboten, Vorkernstadien oder Embryonen künstlich zu erzeugen, ohne die Schwangerschaft der Frau herbeiführen zu wollen, von der die Eizelle stammt. Ebenso wird bestraft (§ 1 Abs. 1 Nr. 6), wer aus dem Körper einer Frau einen Embryo vor Abschluss seiner Einnistung entnimmt und diesen für einen nicht seiner Erhaltung dienenden Zweck verwendet. § 2 verbietet Eingriffe am Embryo in vitro, die nicht seiner Erhaltung dienen, und die Weiterentwicklung des Embryos ausserhalb des Körpers der Frau zu anderen Zwekken als der Herbeiführung einer Schwangerschaft.

§ 6 statuiert ein umfassendes Verbot des Klonens: «Wer künstlich bewirkt, dass ein menschlicher Embryo mit der gleichen Erbinformation wie ein anderer Embryo, ein Fötus, ein Mensch oder ein Verstorbener entsteht, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.» § 7 verbietet die Chimären- und Hybridbildung, § 5 die künstliche Veränderung der Erbinformation von menschlichen Keimbahnzellen.

Das Embryonenschutzgesetz verbietet also das Erzeugen von Embryonen zu Forschungszwecken. Ebenfalls verboten ist die Embryonenforschung; vom Verbot ausgenommen sind einzig jene Forschungsvorhaben, die dem betroffenen Embryo einen direkten Nutzen bringen. Die Verfahren des Klonens sind verboten.

Der Bundestag beschloss Ende Januar 2002, ein Gesetz zu erlassen, das die bisher ohne Einschränkungen erlaubte Einfuhr und Verwendung menschlicher embryonaler Stammzellen regeln sollte. Am 25. April 2002 verabschiedete
er das Stammzellgesetz (Gesetz zur Sicherstellung des Embryonenschutzes im Zusammenhang mit Einfuhr und Verwendung menschlicher embryonaler Stammzellen). Dieses verbietet grundsätzlich die Einfuhr und Verwendung embryonaler Stammzellen. Ausnahmsweise ist die Einfuhr und die Verwendung embryonaler Stammzellen zu Forschungszwecken unter folgenden, strengen Auflagen zulässig: 1201

­

Es dürfen nur Stammzelllinien eingeführt werden, die an einem bestimmten Stichtag (spätestens am 1. Januar 2002) bereits bestehen.

­

Das Einverständnis der Eltern muss vorliegen, ohne dass sie finanzielle Zuwendungen erhalten haben.

­

Der Embryo muss zur Herbeiführung einer Schwangerschaft erzeugt, aber aus Gründen, die nicht an ihm selbst liegen, nicht implantiert worden sein.

­

Das Forschungsvorhaben muss hochrangig sein.

­

Alternativen sind nicht in vergleichbarer Weise Erfolg versprechend.

­

Seine ethische Vertretbarkeit wird durch eine interdisziplinär besetzte Zentrale Ethikkommission geprüft.

Eine gesetzlich legitimierte Kontrollbehörde stellt die Erfüllung der genannten Voraussetzungen sicher und genehmigt den Import.

Demgegenüber wird die Produktion neuer Stammzellen zu Forschungszwecken abgelehnt. Das Herstellen embryonaler Stammzellen bleibt somit in Deutschland verboten.

1.5.3

Österreich

Das seit 1992 geltende Fortpflanzungsmedizingesetz regelt neben den Belangen der Fortpflanzungsmedizin auch Bereiche der Embryonenforschung. Gemäss § 3 Abs. 3 dürfen Eizellen und so genannte entwicklungsfähige Zellen nur bei der Frau verwendet werden, von der sie stammen. Als entwicklungsfähige Zellen sind nach § 1 Abs. 3 befruchtete Eizellen und daraus entwickelte Zellen anzusehen. Entwicklungsfähige Zellen dürfen nicht für andere Zwecke als für medizinisch unterstützte Fortpflanzung verwendet werden: «Sie dürfen nur insoweit untersucht und behandelt werden, als dies nach dem Stand der medizinischen Wissenschaft und Erfahrung zur Herbeiführung einer Schwangerschaft erforderlich ist» (§ 9 Abs. 1 Satz 2). Gleiches gilt für Samen- und Eizellen, die für die Verwendung in einem Verfahren der medizinisch unterstützten Fortpflanzung vorgesehen sind (§ 9 Abs. 1 Satz 3). Eingriffe in die Keimzellbahn sind unzulässig (§ 9 Abs. 2). Die Verwendung von Embryonen zu anderen Zwecken als der Herbeiführung einer Schwangerschaft, d.h. auch die Forschung an Embryonen, ist somit unzulässig. Verboten ist auch die Gewinnung embryonaler Stammzellen, nicht jedoch der Import.

Aus dem in § 1 aufgeführten Katalog von zulässigen fortpflanzungsmedizinischen Verfahren und den in § 9 genannten Verwendungsmöglichkeiten von so genannten entwicklungsfähigen Zellen, Ei- und Samenzellen ergibt sich, dass Verfahren des Klonens nicht zugelassen sind. Umstritten ist jedoch die Zulässigkeit des therapeutischen Klonens.

1.5.4

Frankreich

1994 sind in Frankreich mehrere Gesetze zu medizinethischen Problemfeldern in Kraft getreten, die als «les lois de bioéthique» bezeichnet werden. Das Kernstück dieser Bioethik-Gesetze bildet das Gesetz Nr. 94-654 (Teil des Code de la Santé), 1202

das unter anderem die Fortpflanzungsmedizin und die Embryonenforschung regelt.

Ergänzt wurde es durch das Dekret 97­613 von 1997, das Studien an Embryonen in vitro reglementiert.

Artikel L. 152-8 des genannten Bioethik-Gesetzes untersagt die Erzeugung von Embryonen zu Forschungszwecken und verbietet jede Forschung an Embryonen. In Ausnahmefällen kann das Elternpaar schriftlich zu einer Untersuchung ihrer Embryonen zustimmen. Diese Untersuchungen dürfen nur durchgeführt werden, wenn sie eine medizinische Indikation haben und keinen Schaden für den betroffenen Embryo hervorrufen. Gemäss Art. R. 152-8-1 des oben genannten Dekrets dürfen insbesondere nur solche Untersuchungen durchgeführt werden, welche die Aussichten auf eine erfolgreiche Implantation steigern (zum Beispiel Präimplantationsdiagnostik) oder zur Verbesserung von Verfahren der medizinisch unterstützten Fortpflanzung führen, namentlich durch Erweiterung der Kenntnisse der Physiologie und Pathologie der menschlichen Fortpflanzung. Eine Veränderung des Erbgutes ist verboten.

Die Dauer der Konservierung von Embryonen im Rahmen der künstlichen Befruchtung ist gemäss Art. 152-3 des Bioethik-Gesetzes auf fünf Jahre befristet. Nach Ablauf dieser Frist sind sie in der Regel zu vernichten; ausnahmsweise können sie einem anderen Paar gespendet werden.

Gestützt auf Artikel 21, der bestimmt, dass das Gesetz fünf Jahre nach Inkrafttreten einer Revision unterzogen werden müsse, wurde 1999 mit der Überarbeitung des Gesetzes begonnen. Der Entwurf zur Änderung des Gesetzes, der gegenwärtig noch beraten wird, sieht vor, die Forschung an überzähligen Embryonen unter bestimmten Voraussetzungen zuzulassen. So darf das Forschungsprojekt nur dann durchgeführt werden, wenn es ein medizinisches Ziel verfolgt, das nicht auf einem alternativen Weg erreicht werden kann. Zudem muss das Forschungsprojekt von einer Kontrollbehörde bewilligt werden. Die Voraussetzung, dass die Forschungsuntersuchung für den Embryo nicht schädlich sein darf, wird im Entwurf nicht mehr aufgeführt. Somit dürfte die Entnahme embryonaler Stammzellen zukünftig zulässig sein. Verboten bleiben wird die Herstellung von Embryonen zu Forschungszwecken einschliesslich des therapeutischen Klonens. Demnach dürfen nur solche Embryonen zu Forschungszwecken herangezogen werden, die nicht mehr für
ein «projet parental» benötigt werden. Anstatt die überzähligen Embryonen der Forschung zur Verfügung zu stellen, hat das Paar weiterhin die Möglichkeit, Embryonen einem anderen Paar zu spenden oder sie sterben zu lassen.

1.5.5

Vereinigtes Königreich

Bedingt durch die Geburt des weltweit ersten «Retortenbabys» 1978 in Grossbritannien wird die Diskussion über den Umgang mit Embryonen im Vereinigten Königreich bereits seit längerem geführt. Dementsprechend umfassende gesetzliche Regelungen existieren heute. 1985 befasste sich der Untersuchungsausschuss für Fragen der Fertilisation und Embryologie in der Humanmedizin (Committee of Inquiry into Human Fertilisation and Embryology) zum ersten Mal mit diesen Fragen. Gestützt auf seinen Bericht und nach langwierigen Diskussionen im Parlament wurde 1990 der «Human Fertilisation and Embryology Act 1990» erlassen.

1203

Das Gesetz von 1990 trifft eine verfahrensrechtliche Regelung der Praxis der Fortpflanzungsmedizin und der Forschung an Embryonen. Abschnitt 3 des Gesetzes schafft die rechtlichen Grundlagen für die Human Fertilisation and Embryology Authority (HFEA). Diese Behörde erteilt einerseits Bewilligungen für fortpflanzungsmedizinische Behandlungen, andererseits genehmigt sie Projekte der Embryonenforschung. Sie überwacht die von ihr bewilligten Tätigkeiten.

Artikel 1 des Gesetzes definiert den Begriff des Embryos. Unter «Embryo» ist der lebende menschliche Embryo nach Vollendung der Befruchtung zu verstehen, wobei jedoch der gesetzliche Begriff «Embryo» auch die Eizelle im Prozess der Befruchtung umfasst. Artikel 1 legt fest, dass die Befruchtung erst mit dem Auftreten der Zygote im Zweizellstadium (nach der ersten Teilung) vollendet ist.

Artikel 3 bildet das Kernstück des Gesetzes. Nach dieser Bestimmung darf niemand, ausser mit entsprechender Genehmigung der HFEA, menschliche Embryonen ausserhalb des menschlichen Körpers erzeugen, aufbewahren oder verwenden. Artikel 11 nennt drei Arten von Bewilligungen, die erteilt werden können: die Bewilligung zum Erbringen von Behandlungsdienstleistungen, die Bewilligung zur Aufbewahrung von Keimzellen und Embryonen sowie die Bewilligung zur Forschung an Embryonen. Alle diese Tätigkeiten unterliegen einem allgemeinen Verbot; sie dürfen nur bei Vorliegen einer der entsprechenden Bewilligungen vorgenommen werden.

Selbst bei Vorliegen einer Bewilligung sind gemäss Artikel 3 Absatz 3 gewisse Handlungen unzulässig, namentlich: ­

die Aufbewahrung oder Verwendung von Embryonen, bei denen bereits der Primitivstreifen vorhanden ist;

­

das Einpflanzen eines Embryos in ein Tier;

­

das Einbringen eines aus einer Person oder einem Embryo entnommenen Zellkerns in eine entkernte Zelle eines Embryos und die anschliessende Entwicklung eines Embryos.

Dabei wird angenommen, dass der Primitivstreifen nicht später als am Ende des 14. Tages nach dem Zusammenbringen von Eizelle und Samenzellen auftritt. Die Zeitdauer, während welcher der Embryo ohne Fortsetzung der Embryonalentwicklung konserviert wird, bleibt für die Berechnung der 14-Tage-Frist unberücksichtigt.

Die maximale Konservierungsdauer beträgt fünf Jahre.

Bewilligungen für Forschungsprojekte erteilt die HFEA erst, wenn sie sich davon überzeugt hat, dass die Erzeugung in vitro und/oder das Aufbewahren oder Verwenden eines Embryos zu einem der untenstehenden Zwecke notwendig und wünschenswert ist: ­

Erzielen von Fortschritten in der Unfruchtbarkeitsbehandlung,

­

Wissenserweiterung über die Ursachen von angeborenen (i.S.v. erblich bedingten) Krankheiten,

­

Wissenserweiterung über die Ursachen von Fehlgeburten,

­

Entwicklung von effektiveren Verhütungsmethoden,

­

Entwicklung von Methoden zur Feststellung von genetischen oder chromosomalen Anomalien bei Embryonen vor der Implantation.

1204

Die HFEA erklärt, dass sie Bewilligungen nur erteilt, wenn sie sich davon überzeugt hat, dass die Verwendung menschlicher Embryonen für den Zweck der Forschung von grundlegender Bedeutung ist.

Diese Regelung liess keine Forschung an Embryonen zur Entwicklung neuer Therapien zu. Mit dem zunehmenden Erkenntnisgewinn der Forschung an embryonalen Stammzellen und den damit verbundenen Hoffnungen auf neue Therapiemöglichkeiten kam in Grossbritannien die Diskussion um die Erweiterung des Katalogs zulässiger Forschungsziele auf. Verschiedene Gremien, darunter auch die HFEA, empfahlen, die Forschung an Embryonen zum Zweck der Entwicklung neuer Therapien zuzulassen. Im Dezember 2000 stimmte das Parlament einem entsprechenden Erlass, «The Human Fertilisation and Embryology (Research Purposes) Regulations 2001», zu. Darin wird erklärt, dass auch Forschungsprojekte mit einer der untenstehenden Zielsetzungen erlaubt werden können: ­

Wissenserweiterung über die Embryonalentwicklung;

­

Wissenserweiterung über schwere Krankheiten;

­

Anwendung solchen Wissens zur Entwicklung von Behandlungen schwerer Krankheiten.

Diese Bestimmungen traten Ende Januar 2002 in Kraft. Damit wird es rechtlich möglich, unter bestimmten Umständen die Verfahren des Klonens anzuwenden.

Anfang Dezember 2001 wurde im Eilverfahren ein Gesetz über das Verbot des Klonens von Menschen erlassen. Das reproduktive Klonen wird mit Gefängnis oder Geldstrafe geahndet. Demgegenüber bleiben Forschungsvorhaben zum therapeutischen Klonen erlaubt.

Zurzeit wird im Vereinigten Königreich die Schaffung einer nationalen Stammzellbank beraten, die voraussichtlich anfangs 2003 ihren Betrieb aufnehmen wird. Die Stammzellbank hat die Aufgabe, gut charakterisierte Stammzelllinien für Forschung und für zukünftig mögliche klinische Anwendungen zur Verfügung zu stellen. Damit soll einerseits die Stammzellforschung gefördert und gleichzeitig das mit Stammzelltherapien verbundene Gefahrenpotential verringert werden. Andererseits soll der Verbrauch der für die Forschung notwendigen Embryonen reduziert werden.

Die Stammzellbank wird neben embryonalen Stammzellen auch fötale und adulte aufbewahren.

1.5.6

Vereinigte Staaten von Amerika

In den Vereinigten Staaten reicht die Diskussion über die Regelung der Forschung an menschlichen Embryonen weit in die Vergangenheit zurück. Es hat sich eine zweiteilige Lösung entwickelt. Während die durch Bundesmittel finanzierte Forschung an menschlichen Embryonen strengen Vorschriften unterliegt, bestehen in den meisten Bundesstaaten für vergleichbare Forschungsvorhaben mit privater Finanzierung überhaupt keine Vorschriften.

1998 beauftragte Präsident Clinton den Nationalen Beraterausschuss für Fragen der Bioethik (National Bioethics Advisory Commission, NBAC) mit der Ausarbeitung eines Berichtes zu den Problemen der Forschung an embryonalen Stammzellen beauftragt. 1999 wurde der Bericht «Ethical Issues in Human Stem Cell Research»

1205

(Ethische Aspekte der Forschung an menschlichen Stammzellen) vorgelegt. Er legt besonderes Gewicht auf die Frage, ob Mittel aus dem Bundeshaushalt für die Forschung an embryonalen Stammzellen bewilligt werden sollten, und enthält verschiedene Empfehlungen. So sollen Mittel aus dem Bundeshaushalt nur für solche Projekte der Embryonenforschung vergeben werden, bei denen Gewebe toter Föten oder überzählige Embryonen unter Einhaltung bestimmter Vorschriften verwendet werden. Keine Mittel sollen jedoch bereitgestellt werden für Forschungsvorhaben, bei denen im Hinblick auf die Gewinnung und Verwendung embryonaler Stammzellen Embryonen zu Forschungszwecken durch In-vitro-Fertilisation erzeugt oder mittels Zellkerntransfer geklont werden. Um sicherzustellen, dass die mit Mitteln des Bundes finanzierte Forschung ausnahmslos den ethischen Prinzipien und den im Bericht genannten Empfehlungen entsprechend durchgeführt wird, soll ein Nationaler Aufsichtsrat für Stammzellenforschung (National Stem Cell Oversight and Review Panel) eingerichtet werden.

Weiter empfiehlt der NBAC-Bericht, dass die in privat finanzierten Projekten forschenden Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aufgefordert werden, die darin genannten Empfehlungen ebenfalls umzusetzen. Die durch private Mittel finanzierte Forschung unterliegt grundsätzlich den einschlägigen gesetzlichen Bestimmungen des jeweiligen Bundesstaates. Nur in wenigen Bundesstaaten existieren jedoch gesetzliche Normen für die Durchführung von Versuchen an und mit Embryonen durch private Institutionen. In den übrigen Bundesstaaten gelten für die private Forschung einzig die Vorschriften der Food and Drug Administration (FDA).

Am 9. August 2001 entschied Präsident George W. Bush, unter welchen Voraussetzungen Forschungsprojekte mit embryonalen Stammzellen mit Bundesgeldern unterstützt werden können: ­

Die verwendeten embryonalen Stammzellen müssen aus einer Stammzelllinie stammen, deren Etablierung bereits vor der Bekanntgabe seiner Entscheidung begonnen worden war. Massgebend für den Beginn der Etablierung ist der Zeitpunkt der Gewinnung der embryonalen Stammzellen aus der inneren Zellmasse der Blastozyste.

­

Der Embryo, aus dem die Stammzellen für die Stammzelllinie gewonnen werden, hatte keine Möglichkeit mehr, sich als menschliches Wesen zu entwickeln.

­

Die Stammzellen müssen aus einem Embryo gewonnen werden, der zum Zweck der Herbeiführung einer Schwangerschaft erzeugt worden war, dafür aber nicht mehr benötigt wird.

­

Die auf Kenntnis der Sachlage gegründete vorherige Zustimmung (informed consent) der Spendenden muss vorliegen.

­

Für die Gabe des Embryos dürfen den Spendenden keine finanziellen Anreize in Aussicht gestellt worden sein.

Die Nationalen Gesundheitsinstitute (National Institutes of Health, NIH) wurden gleichzeitig mit der Einrichtung eines Stammzellregisters beauftragt. Dieses listet diejenigen Stammzelllinien auf, die den vom Präsidenten genannten Kriterien genügen. Inzwischen wurden die weltweit existierenden bekannten Stammzelllinien auf diese Kriterien hin untersucht. Mehr als 70 Zelllinien aus verschiedenen Laboratorien konnten in die Liste des Registers aufgenommen werden. US-amerikanische 1206

Forschungsprojekte, die mit embryonalen Stammzellen aus diesen Linien arbeiten, haben also weiterhin die Aussicht, staatliche Gelder zu erhalten.

Keine bundesstaatlichen Mittel werden hingegen für die Gewinnung oder Verwendung von Stammzellen aus in der Zeit nach dem 9. August 2001 zerstörten Embryonen, für die Herstellung von Embryonen zu Forschungszwecken und für die Klonierung von Embryonen zu jeglichem Zweck zur Verfügung gestellt.

Ende Juli 2001 hiess das Repräsentantenhaus ein sehr weitreichendes Verbot des Klonens gut. Dieses verbietet öffentlichen und privaten Institutionen sowohl das reproduktive als auch das therapeutische Klonen. Ungewiss ist derzeit, wie der Senat in den nächsten Monaten entscheiden wird. Präsident Bush unterstützt das Verbot jeder Form des Klonens. Das von Präsident Bush im Jahre 2001 eingesetzte Beratungsorgan für Fragen der Bioethik (The Presiden's Council on Bioethics) empfahl im Juli 2002 ein vierjähriges Moratorium für das therapeutische Klonen.

1.6

Ethische und weitere Aspekte

1.6.1

Ethische Aspekte

1.6.1.1

Einleitung

Ob die Verwendung von Embryonen in vitro zu Forschungszwecken aus ethischer Sicht gerechtfertigt werden kann, hängt mit der Frage zusammen, ob und ­ falls ja ­ welches Mass an Schutzwürdigkeit dem Embryo zuerkannt wird. Die Schutzwürdigkeit des Embryos in vitro wird meist mit dessen moralischen Status begründet, d.h.

mit dem Wert, der dem Embryo um seiner selbst willen zustehen soll. Allerdings gibt es in einer pluralistischen Gesellschaft in der Frage des Status des Embryos keine allgemein anerkannte Auffassung. Im Gegenteil bestehen im Zusammenhang mit dem Schutz des Embryos in vitro ganz unterschiedliche Vorstellungen, Empfindungen und Überzeugungen.

Der Bundesrat setzte am 3. Juli 2001 in Ausführung von Artikel 28 des Fortpflanzungsmedizingesetzes die Nationale Ethikkommission im Bereich der Humanmedizin (NEK-CNE) ein. Deren Aufgabe besteht darin, die Entwicklung der Wissenschaften über die Gesundheit und Krankheit des Menschen und ihrer Anwendungen zu verfolgen und zu den damit verbundenen gesellschaftlichen, naturwissenschaftlichen und rechtlichen Fragen aus ethischer Sicht beratend Stellung zu nehmen89.

Die NEK-CNE legte im Juni 2002 einen Bericht zur Gewinnung von und Forschung an embryonalen Stammzellen vor90. Im Hinblick auf die Frage der Schutzwürdigkeit des Embryos in vitro unterscheidet sie drei verschiedene Modelle: Ein Personmodell, ein Objekt- oder Sachmodell und ein Respektmodell91. Bei allen Modellen 89 90

91

Vgl. Art. 1 Abs. 1 der Verordnung über die nationale Ethikkommission im Bereich der Humanmedizin (VNEK) vom 4. Dezember 2000 (SR 814.903).

Nationale Ethikkommission im Bereich der Humanmedizin, Stellungnahme 3/2002: Zur Forschung an embryonalen Stammzellen, Bern, Juni 2002 [im Folgenden abgekürzt: Stellungnahme NEK-CNE zur Forschung an embryonalen Stammzellen]; abrufbar unter der Internetadresse http://www.nek-cne.ch Dies in Anlehnung an G. Maio, Welchen Respekt schulden wir dem Embryo? Die embryonale Stammzellforschung in medizinethischer Perspektive, Deutsche Medizinische Wochenschrift, 2002, 127, S. 160­163.

1207

steht die Frage im Zentrum, ob der Embryo in vitro ein «Mensch», eine blosse «Sache» oder «etwas dazwischen» ist. Während in der Diskussion darüber das Personund das Sach- oder Objektmodell die beiden Pole darstellen, nimmt das Respektmodell eine mittlere Position ein.

Nachfolgend sollen die drei Modelle in Anlehnung an den Bericht der NEK-CNE92 vorgestellt werden. Allerdings muss eine Darstellung notwendig überblicksartig und idealtypisch bleiben; für Differenzierungen innerhalb der Modelle sei auf den Bericht der NEK-CNE verweisen.

1.6.1.2

Schutzwürdigkeit des Embryos: drei Modelle

Personmodell Das Personmodell geht oft von der Annahme aus, dass mit der abgeschlossenen Befruchtung, d.h. vom Zeitpunkt der Kernverschmelzung an, ein Mensch bzw. eine Person entsteht. Dabei gilt der Embryo in vitro als Mensch, weil er der Gattung «Mensch» angehört (Argument der Gattungszugehörigkeit). Dementsprechend wird ihm dieselbe Schutzwürdigkeit wie einem geborenen Menschen zugestanden. So kommen dem Embryo in vitro besonders die Menschenwürde und das Recht auf Leben wie einem geborenen Menschen zu. Dabei wird Menschenwürde im Sinn des deutschen Philosophen Immanuel Kant als Verbot der Instrumentalisierung verstanden, d.h. Menschen dürfen nie bloss als Mittel für die Zwecke anderer Menschen verwendet werden. Nach dem Personmodell erstreckt sich das Instrumentalisierungsverbot auch auf den Embryo in vitro, selbst auf den überzähligen, nach geltendem Recht (siehe Ziff. 1.4.3.1.2) zum Absterben verurteilten Embryo.

Für die Begründung des Personstatus des Embryos werden vor allem die folgenden Argumente herangezogen: Da die menschliche Entwicklung ein kontinuierlicher Prozess ist, soll nach dem Argument der Kontinuität die Zahl der ethisch relevanten Grenzziehungen möglichst klein gehalten werden. Als ethische Grenzziehung wird deshalb einzig die Befruchtung anerkannt. Dies bedeutet, dass der Embryo von Beginn der Embryonalentwicklung an ­ als Mensch ­ geschützt ist. Nach dem Argument der Identität ist der Embryo vom Zeitpunkt an zu schützen, ab dem er die Identität eines Menschen besitzt. Diese sei mit Beginn der genetischen Identität, d.h. ab Befruchtung, gegeben. Nach dem Argument der Potenzialität soll der Embryo geschützt werden, weil aus ihm ein geborener Mensch werden kann.

Objekt- oder Sachmodell Im Unterschied zum Personmodell gilt laut Objekt- oder Sachmodell der Embryo in vitro ­ vor allem wegen der (noch) fehlenden Empfindungsfähigkeit ­ als reine Sache. Folglich wird ihm keine eigene Schutzwürdigkeit zuerkannt.

Nach diesem Modell gibt es ­ in Abgrenzung zum Personmodell ­ im Ablauf der Embryonalentwicklung eine ethisch entscheidende Zäsur. Oft wird die Einnistung des Embryos in die Gebärmutter (Nidation) genannt, ab der eine gewisse Schutzwürdigkeit des Embryos beginnt. Da vorher noch nicht festgelegt ist, ob ein einzelner Mensch oder Mehrlinge entstehen werden (vgl. Ziff. 1.2.2.2.3), sei die numerische Identität zwischen Embryo in vitro und konkretem werdendem Mensch, 92

Stellungnahme NEK-CNE zur Forschung an embryonalen Stammzellen, S. 45 ff.

1208

d.h. Identität im Sinn von Individualität, nicht gegeben. Auch treffe zumindest beim «Sonderfall» des überzähligen Embryos das Argument der Potenzialität nicht zu: Da überzählige Embryonen nicht überlebensfähig sind ­ sie können nicht auf eine Frau übertragen werden (vgl. Ziff. 1.4.3.1.2) ­ fehlen die Voraussetzungen dafür, dass aus ihnen je ein Mensch werden kann.

Respektmodell Nach dem Respektmodell ist der Embryo in vitro weder eine reine Sache ohne besondere Schutzwürdigkeit noch eine Person mit derselben Schutzwürdigkeit wie ein geborener Mensch. Das Respektmodell geht von den folgenden zwei Annahmen aus: Erstens nimmt mit fortschreitender Embryonalentwicklung die Schutzwürdigkeit zu; zweitens verdient schon frühestes menschliches Leben Respekt.

Nach diesem Modell müssen Embryonen in vitro, selbst wenn sie überzählig werden, respektvoll behandelt werden. Schon der Embryo in vitro besitzt einen eigenen Wert; Respekt gebührt ihm wegen dieses Eigenwertes. Eine Haltung des Respekts gegenüber dem Embryo in vitro bedeutet allerdings nicht, dass eine Instrumentalisierung des Embryos, d.h. seine Verwendung für fremde Zwecke, in jedem Fall unzulässig ist. Eine Instrumentalisierung des Embryos kann mit dem Respekt diesem gegenüber vereinbar sein, wenn sie nicht ohne wichtigen Grund erfolgt. Das Respektmodell schliesst demnach eine Güterabwägung, d.h. eine Abwägung zwischen der Schutzwürdigkeit des Embryos in vitro und anderen hohen Werten, nicht prinzipiell aus.

1.6.1.3

Schlussfolgerungen für die Embryonenforschung

Nach dem hier vorgestellten Personmodell ist die so genannte verbrauchende Embryonenforschung, einschliesslich der Gewinnung embryonaler Stammzellen, in jedem Fall ­ auch bei überzähligen Embryonen ­ unzulässig. Dabei würde der Embryo in vitro für fremde Zwecke verwendet, was gegen das Verbot der Instrumentalisierung verstossen und damit die Menschenwürde verletzen würde.

Im Unterschied dazu darf nach dem Objekt- oder Sachmodell der Embryo in vitro grundsätzlich ohne einschränkende Bedingungen zu Forschungszwecken verwendet werden. Dies gilt unabhängig davon, ob es sich um einen überzähligen Embryo handelt oder der Embryo zu Forschungszwecken, namentlich durch das Verfahren der In-vitro-Fertilisation oder der Klonierung, hergestellt wird. Nur ausserhalb des Embryos liegende Gründe (z.B. Verhinderung bestimmter Forschungsziele) vermögen allenfalls eine Einschränkung der Embryonenforschung zu rechtfertigen.

Das Respektmodell kann mit Bezug auf die Zulassung der so genannten verbrauchenden Embryonenforschung zu unterschiedlichen Lösungen führen. Das gilt zumindest für die Forschung an überzähligen Embryonen und die Gewinnung embryonaler Stammzellen aus solchen Embryonen. Die Verwendung überzähliger Embryonen zu Forschungszwecken erscheint ­ je nachdem, wie bei einer Güterabwägung die Schutzwürdigkeit des Embryos einerseits sowie Forschungsfreiheit und Fürsorgepflicht für kranke Menschen andererseits gewichtet werden ­ als zulässige oder unzulässige Instrumentalisierung. Auf der Grundlage des Respektmodells kann man somit sowohl für als auch gegen die Forschung an überzähligen Embryonen oder embryonalen Stammzellen aus solchen Embryonen sein. Im Fall der grundsätzlichen 1209

Zustimmung zu dieser Forschung ist es auch möglich, sich für mehr oder weniger restriktive Bedingungen auszusprechen.

1.6.2

Weitere Aspekte

1.6.2.1

Bedeutung der Stammzellenforschung für die öffentliche Gesundheit

Der Schutz der Gesundheit der Bevölkerung ist eine zentrale Bundesaufgabe93. Der Bund orientiert sich dabei am umfassenden Gesundheitsbegriff der WHO94. Danach ist Gesundheit mehr als die blosse Abwesenheit von Krankheit: «Gesundheit ist der Zustand vollständigen körperlichen, geistigen und sozialen Wohlbefindens und nicht nur das Freisein von Krankheit oder Gebrechen»95. Die Aufgabe des Bundes besteht daher nicht nur in der Krankheitsbekämpfung, sondern auch im Engagement für Gesundheitsförderung und Prävention.

In der Todesursachenstatistik der Schweiz liegen die Krankheiten des HerzKreislauf-Systems mit jährlich über 25 000 Todesfällen an der Spitze, gefolgt von den Krebserkrankungen (ca. 15 000 Todesfälle) und den Erkrankungen der Atmungsorgane sowie Diabetes mellitus96. Wird die Bedeutung einer Krankheit nicht aufgrund ihrer Häufigkeit als Todesursache, sondern aufgrund des Masses an Beeinträchtigung des Gesundheitszustandes (unter Berücksichtigung von Dauer und Schweregrad) und der Lebensqualität der Betroffenen errechnet, so verändert sich die Bedeutung der verschiedenen Erkrankungen. Gemäss Angaben der WHO stehen in den westlichen Industrieländern die Herzinfarkte vor den Depressionen, den Schlaganfällen und den durch Alkoholabhängigkeit verursachten Leiden an erster Stelle97.

Bei einigen dieser Gesundheitsstörungen handelt es sich um chronische Erkrankungen, die wesentlich durch den heutigen Lebensstil oder die Lebensumstände hervorgerufen bzw. beeinflusst werden. Mitursächlich sind oft ein Mangel an Bewegung, ungesunde Ernährung oder der übermässige Konsum von Alkohol, Tabak oder anderen Suchtmitteln. Aus Sicht der öffentlichen Gesundheit lohnen sich hier in erster Linie Investitionen, mit denen diesen chronischen Krankheiten vorgebeugt oder eine gesündere Lebensweise gefördert werden kann.

Für die Behandlung der oben genannten Krankheiten steht heute eine breite Palette von Therapien zur Verfügung. Bei einem beträchtlichen Teil dieser Krankheiten ist die kausale Ursache der Krankheitsentstehung bislang noch nicht vollständig geklärt und es existieren in der Regel höchstens Therapiemöglichkeiten, die auf einzelne Symptome der betreffenden Krankheit abzielen. Bei mehreren Krankheiten, insbesondere bei Krankheiten des Herz-Kreislauf-Systems, bei Diabetes oder bei gewissen Krebserkrankungen wie Leukämien, besteht die Hoffnung, dass die Stamm93 94 95 96 97

Vgl. Art. 118 BV.

World Health Organisation (Weltgesundheitsorganisation).

WHO, Gesundheit für alle im Jahr 2000, Genf 1976.

Bundesamt für Statistik, Todesursachenstatistik 1998, Zürich 2002.

Die Bedeutung einer Erkrankung in Hinblick auf den Behinderungsgrad wird in «disability adjusted life years» (DALYs) ausgedrückt. Vgl. dazu WHO, World Health Report 1999; detaillierte Zahlen für die Schweiz liegen nicht vor.

1210

zellenforschung längerfristig neue Therapiemöglichkeiten eröffnen kann. Weitere Angaben zu den künftigen Anwendungsgebieten menschlicher Stammzellen finden sich in der Studie des Zentrums für Technologiefolgen-Abschätzung (vgl.

Ziff. 1.7.2). Über die finanziellen Auswirkungen stammzellbasierter Therapiemethoden auf das Schweizerische Gesundheitswesen können zum jetzigen Zeitpunkt noch keine zuverlässigen Prognosen gemacht werden.

1.6.2.2

Wirtschaftliche Aspekte der Stammzellenforschung

Im Zusammenhang mit der Forschung an humanen ­ adulten und embryonalen ­ Stammzellen wird regelmässig auf das enorm hohe Marktpotenzial hingewiesen, das sich im Hinblick auf deren therapeutische Anwendungen ergeben soll. Dabei gehen aktuelle Einschätzungen von einem weltweiten Marktvolumen im zweistelligen Milliardenbereich (US-Dollar) im Jahr 2010 aus. Da sich jedoch die Forschung insbesondere an embryonalen Stammzellen noch im Grundlagenstadium befindet, sind heutige Prognosen mit sehr hohen Unsicherheiten belastet und können dementsprechend lediglich als grobe Schätzungen qualifiziert werden.

Soweit aus den Vernehmlassungsantworten der betreffenden Unternehmensverbände bzw. Standortkantone (siehe 1.10.2) ersichtlich, führt zurzeit kein Unternehmen in der Schweiz Forschungsprojekte mit embryonalen Stammzellen durch. Die sich heute mit embryonalen Stammzellen beschäftigenden Unternehmen haben ihren Sitz überwiegend in den USA, in Singapur und in Australien. Dabei bestehen teilweise Vereinbarungen zwischen Unternehmen und universitären Instituten und Organisationen98. Für weitere Angaben zu den wirtschaftlichen Aspekten der Stammzellenforschung sei wiederum auf die Studie des Zentrums für TechnologiefolgenAbschätzung (vgl. Ziff. 1.7.2) verwiesen.

1.7

Berichte und Positionspapiere

1.7.1

Nationale Ethikkommission im Bereich der Humanmedizin (NEK-CNE)

1.7.1.1

Stellungnahme Nr. 3: Zur Forschung an embryonalen Stammzellen (2002)

1.7.1.1.1

Einleitung

Die Nationale Ethikkommission im Bereich der Humanmedizin (NEK-CNE) legte am 19. Juni 2002 eine grundsätzliche Stellungnahme zur Gewinnung von und zur Forschung mit embryonalen Stammzellen vor99. Sie unterscheidet in ihrem Bericht verschiedene Optionen, zu denen sie Stellung nimmt100. Nachfolgend werden die Stellungnahmen zu den einzelnen Optionen zusammenfassend dargestellt. Bei ein-

98

Vgl. die Antwort des Bundesrates zur Einfachen Anfrage Sommaruga vom 26. Juni 2002, Stammzellen. Öffentliche Gelder für ausländische Unternehmen? (02.1035) 99 Stellungnahme NEK-CNE zur Forschung an embryonalen Stammzellen.

100 Stellungnahme NEK-CNE zur Forschung an embryonalen Stammzellen, S. 64 ff.

1211

zelnen Optionen gibt es innerhalb der NEK-CNE eine Mehrheits- und eine Minderheitsposition, die im Folgenden jeweils beide aufgeführt werden.

1.7.1.1.2

Option: Verwendung von überzähligen Embryonen zur Stammzellengewinnung

Frage Dürfen überzählige Embryonen für die Gewinnung embryonaler Stammzellen, insbesondere in der Forschung, freigegeben werden? Falls ja: unter welchen Bedingungen soll dies zulässig sein?

Mehrheitsposition Die Mehrheit der NEK-CNE empfiehlt, die Verwendung überzähliger Embryonen zur Stammzellengewinnung in der Forschung unter bestimmten Bedingungen zuzulassen.

Sie begründet ihre Haltung im Wesentlichen mit der Tatsache, dass ein überzähliger Embryo auch ohne seine Verwendung für die Forschung nach geltendem Recht (vgl.

Ziff. 1.4.3.1.2) zum Absterben verurteilt ist. Werden überzählige Embryonen in die Forschung einbezogen, verändert dies zwar die Umstände ihres Lebensendes, bedeutet aber nicht, dass Embryonen abgetötet werden, die man nicht ohnehin sterben lassen muss.

Die Mehrheit spricht sich auch dagegen aus, dass nur diejenigen Embryonen der Forschung zugeführt werden dürfen, die aus medizinischen Gründen, d.h. weil sie sich nicht normal entwickeln, überzählig werden. Danach dürfen also auch diejenigen Embryonen verwendet werden, die an und für sich entwicklungsfähig sind, aber aus nicht den Embryos betreffenden Gründen (z.B. wegen Erkrankung der Frau) überzählig werden. Alle überzähligen Embryonen sollen somit grundsätzlich gleich behandelt werden, unabhängig davon, aus welchen Gründen sie überzählig werden (siehe zu den Gründen Ziff. 1.4.3.1.2). Dies wird insbesondere damit begründet, dass man den Embryo unabhängig davon, ob die Überzähligkeit auf medizinischen oder anderen Gründen beruht, absterben lassen muss.

Nach der Mehrheit ist in dieser besonderen Situation die Nutzung überzähliger Embryonen grundsätzlich ethisch vertretbar, wenn damit wesentliche biomedizinische Erkenntnisse im Hinblick auf Hilfe und Fürsorge für kranke Mitmenschen gewonnen werden können.

Die Mehrheit empfiehlt die folgenden einschränkenden Bedingungen für die Verwendung überzähliger Embryonen: 1.

Der Embryo muss im Rahmen einer In-vitro-Fertilisation zur Herbeiführung einer Schwangerschaft und darf nicht zu Forschungszwecken erzeugt worden sein.

2.

Der Embryo muss überzählig geworden sein, weil er nicht mehr zur Herbeiführung einer Schwangerschaft der in fortpflanzungsmedizinischer Behandlung stehenden Frau verwendet werden kann.

3.

Das betroffene Paar darf erst angefragt werden, nachdem feststeht, dass der Embryo überzählig geworden ist.

1212

4.

Das Paar muss frei, informiert und schriftlich eingewilligt haben.

5.

Das Forschungsprojekt muss im Hinblick auf die Erweiterung des biomedizinischen Grundlagenwissens von wesentlicher Bedeutung sein oder zur Entwicklung von therapeutischen Verfahren dienen. Es darf zur Erreichung der Ziele keine gleichwertigen Alternativen geben, die ohne Verwendung von überzähligen Embryonen auskommen.

6.

Das Forschungsprojekt muss von einwandfreier wissenschaftlicher Qualität sein. Dies muss durch entsprechende unabhängige Gutachten ausgewiesen werden.

7.

Embryonen, embryonale Stammzellen und Stammzelllinien dürfen nicht patentiert werden.

8.

Mit Embryonen und unmittelbar aus ihnen gewonnenen Stammzellen darf kein Handel betrieben werden.

9.

Die Gewinnung embryonaler Stammzellen darf nur bis und mit Blastozystenstadium erfolgen.

10. Die zuständige kantonale Ethikkommission für klinische Forschung am Menschen muss das Projekt entsprechend den Punkten 1 bis 9 prüfen.

Im Folgenden werden einzelne Bedingungen näher ausgeführt: Mit Bedingung 7 soll die Patentierbarkeit von Verfahren im Zusammenhang mit der Gewinnung und Verwendung embryonaler Stammzellen nicht ausgeschlossen werden. Nach Bedingung 8 soll der Handel mit Stammzelllinien, die durch fortgesetzte Zellteilung aus unmittelbar gewonnenen embryonalen Stammzellen hervorgehen, d.h. vermehrt und kultiviert worden sind, nicht ausgeschlossen werden (vgl. aber Ziff. 1.4.2.2.2). Ein generelles Handelsverbot werde sich im Fall der Entwicklung der Stammzellenforschung in Richtung therapeutische Anwendung aus pragmatischen Gründen kaum aufrechterhalten lassen. Begründung für Bedingung 9 ist, dass die ethischen Bedenken umso schwerwiegender werden, je weiter sich der Embryo entwickelt. Dabei sei als Grenze ein frühes Stadium (Blastozystenstadium) anzunehmen und nicht eine bestimmte Zeitspanne.

Minderheitsposition Eine Minderheit der NEK-CNE empfiehlt, die Verwendung überzähliger Embryonen zur Stammzellengewinnung in der Forschung zu verbieten.

Nach dieser Verbotsposition gibt es keine Gründe, die so gewichtig wären, dass sie eine Nutzung überzähliger Embryonen für fremde Zwecken rechtfertigen würden.

Die Gewinnung embryonaler Stammzellen zu Forschungszwecken stelle eine unzulässige Instrumentalisierung der betreffenden Embryonen dar. Daran ändere auch die Tatsache nichts, dass überzählige Embryonen nach geltendem Recht (vgl. Ziff.

1.4.3.1.2) ihrem Schicksal zu überlassen sind.

1213

1.7.1.1.3

Option: Import von Embryonen und embryonalen Stammzellen

Fragen 1.

Dürfen embryonale Stammzellen importiert werden? Falls ja: unter welchen Bedingungen soll dies zulässig sein?

2.

Falls der Import embryonaler Stammzellen erlaubt wird: Soll eine StichtagRegelung vorgesehen werden (d.h. es dürften nur solche Stammzellen importiert werden, die zu einem bestimmten Zeitpunkt vor Inkrafttreten der Importregelung gewonnen worden sind)?

3.

Dürfen Embryonen importiert werden?

Zu Frage 1 Die Mehrheit der NEK-CNE empfiehlt, den Import embryonaler Stammzellen dann zu erlauben, wenn diese im Ausland unter Bedingungen gewonnen worden sind, die den inländischen Bestimmungen der Gewinnung embryonaler Stammzellen entsprechen.

Mit dieser Lösung, die in der Schweiz ein klar reglementiertes, kontrolliertes und faires System der Stammzellengewinnung voraussetzt, soll ein doppelter Standard (Doppelmoral) verhindert werden.

Eine Minderheit der NEK-CNE empfiehlt, den Import embryonaler Stammzellen aus dem Ausland zu verbieten.

Die Begründung dafür ist einerseits die Ablehnung der Forschung an embryonalen Stammzellen, andererseits die Befürchtung, dass die Herstellungsbedingungen im Ausland nie vollständig transparent sein werden.

Zu Frage 2 Die NEK-CNE empfiehlt ­ falls der Import embryonaler Stammzellen erlaubt werden soll ­ einstimmig, von einer Stichtag-Regelung abzusehen.

Eine Stichtag-Regelung sei in der Schweiz nicht notwendig, wenn, wie von der Mehrheit der NEK-CNE empfohlen, die Gewinnung embryonaler Stammzellen aus überzähligen Embryonen im Inland unter bestimmten Bedingungen zugelassen werde.

Eine Stichtag-Regelung wäre höchstens dann eine Option, wenn die Gewinnung embryonaler Stammzellen im Inland verboten werden sollte. Indem sich die Importerlaubnis nur auf embryonale Stammzellen beziehe, die vor Inkrafttreten der Importregelung gewonnen worden sind, werde damit nicht eine im Inland verbotene Tätigkeit ans Ausland «delegiert». Mit einer solchen Lösung lasse sich zwar das Problem der Doppelmoral ­ zumindest für eine gewisse Zeit ­ vermeiden; deren Schwäche liege aber in der bereits heute absehbaren Dynamik der Stammzellenforschung, die zu einer «Nachführung» des Stichtags drängen würde, weil die heute vorhandenen Zelllinien den Qualitäts- und Sicherheitsbedürfnissen in der Zukunft nicht genügen können.

1214

Zu Frage 3 Die NEK-CNE empfiehlt einstimmig, den Import von Embryonen zu verbieten.

Dies wird unter anderem pragmatisch damit begründet, dass es für den Import embryonaler Stammzellen nachvollziehbare wissenschaftliche Gründe gebe (z.B. Import von Zellen eines besonderen Typs oder Zellen einer Kultur, die zu Standardisierungszwecken international verwendet wird), nicht hingegen für den Import von Embryonen.

1.7.1.1.4

Option: alternative Verfahren zur Gewinnung embryonaler Stammzellen

Frage Sollen alternative Verfahren zur Gewinnung embryonaler Stammzellen, wie zum Beispiel die Parthenogenese (siehe Ziff. 1.2.3.4), zugelassen werden?

Mehrheitsposition Die Mehrheit der NEK-CNE empfiehlt, die alternativen Verfahren zur Stammzellengewinnung noch nicht abschliessend zu regeln, weil das wissenschaftliche Potenzial noch nicht absehbar sei. Zuerst sollen die ethischen und gesellschaftlichen Implikationen geklärt werden.

Minderheitsposition Eine Minderheit der NEK-CNE empfiehlt, in Analogie zum therapeutischen Klonen die alternativen Verfahren zur Stammzellengewinnung zu verbieten.

1.7.1.2

Stellungnahme Nr. 1: Forschung an importierten embryonalen Stammzellen (2001)

Die NEK-CNE nahm im Zusammenhang mit dem erwarteten Entscheid des Schweizerischen Nationalfonds zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung (SNF) über die finanzielle Unterstützung eines Forschungsprojekts mit importierten embryonalen Stammzellen (vgl. Ziff. 1.1) am 31. August 2001 zur Frage Stellung, ob es unter den damals gegebenen rechtlichen Umständen ethische Bedenken gegen die staatliche Finanzierung solcher Forschung gebe101.

Die NEK-CNE zeigte sich besorgt darüber, dass sowohl eine Bewilligung als auch eine Ablehnung von Gesuchen für Forschungsprojekte mit importierten embryonalen Stammzellen innerhalb der in der Schweiz heute gegebenen Situation zu Präjudizien führe. Es könne eine irreversible Situation in dem Sinn entstehen, als «Fakten geschaffen» würden, die sich für die Klärung sowohl in juristischer als auch in ethischer Hinsicht als schon unabänderliche Bedingungen auswirkten. Die Mehrheit empfahl deswegen, Forschungsgesuche, die den Import embryonaler Stammzellen vorsehen, vorerst zurückzustellen, bis die Klärung sowohl in rechtlicher als auch in 101

Nationale Ethikkommission im Bereich der Humanmedizin, Stellungnahme Nr. 1/2001: Forschung an importierten embryonalen Stammzellen, Schweizerische Ärztezeitung, 2001, S. 2522 ff.

1215

ethischer Hinsicht erreicht sei. Demgegenüber sah es eine Minderheit für möglich an, dass auch bei einer Bewilligung von Forschungsgesuchen dieses Typs die Situation reversibel bleibe.

1.7.2

Studie des Zentrums für Technologiefolgen-Abschätzung TA-SWISS (2002)

Das Fraunhofer-Institut für Systemtechnik und Innovationsforschung (Karlsruhe, D) erarbeitete im Auftrag des Zentrums für Technologiefolgen-Abschätzung (TA SWISS) beim Schweizerischen Wissenschafts- und Technologierat (SWTR) eine Studie über «Menschliche Stammzellen». Es lieferte einen Zwischenbericht im April 2002 ab102; der Schlussbericht soll Anfang 2003 erscheinen. Laut (Zwischen-) bericht bestehen zwei Regelungsoptionen, falls die Forschung an embryonalen Stammzellen erlaubt werden soll: Option 1: Die Gewinnung embryonaler Stammzellen aus überzähligen Embryonen wird in der Schweiz unter bestimmten Bedingungen für zulässig erklärt. Als Bedingungen kommen insbesondere in Frage: ­

Die Embryonen sind durch In-vitro-Fertilisation ausschliesslich zum Zweck der Fortpflanzung erzeugt worden, können jedoch aus Gründen, die nicht im Embryo selbst liegen, endgültig nicht mehr für diesen Zweck verwendet werden.

­

Das Paar gibt seine freie und informierte Einwilligung, dass der überzählige Embryo für die Stammzellengewinnung verwendet werden darf.

­

Das Paar darf für die Verwendung des überzähligen Embryos zur Stammzellengewinnung keine finanziellen oder anderweitigen Vergünstigungen erhalten.

­

Forschungsprojekte, für welche die aus überzähligen Embryonen gewonnenen Stammzellen eingesetzt werden, müssen hochrangigen Forschungszielen dienen und qualitativ hochwertig sein; die erwarteten Forschungsergebnisse dürfen nicht auch auf anderem Weg als mit menschlichen embryonalen Stammzellen erlangt werden können; jedes Forschungsprojekt muss durch eine unabhängige Ethikkommission befürwortet worden sein.

­

Die Einhaltung dieser Bedingungen ist durch eine Kontrollinstanz zu überprüfen.

Option 2: Der Import von embryonalen Stammzellen wird in der Schweiz für zulässig erklärt, nicht aber die Gewinnung embryonaler Stammzellen. Diese Option wirft zum einen die Frage der Doppelmoral auf. Zum andern könnte durch die Nachfrage der Schweiz nach embryonalen Stammzellen im Ausland ein Anreiz zur «verbrauchenden» Embryonenforschung geschaffen werden. Eine Möglichkeit, diesen Anreiz tief 102

Abrufbar unter der Internetadresse http://www.ta-swiss.ch/www-remain/reports archive/publications/2002/ta_41z_2002_zwischenbericht.pdf

1216

zu halten, würde in einer Stichtagregelung bestehen. Dies würde aber voraussetzen, dass die zu diesem Stichtag vorhandenen Stammzelllinien für die weitere Forschung mit embryonalen Stammzellen ausreichen.

Fazit der Autorinnen und Autoren der Studie: Die Forschung an embryonalen Stammzellen befindet sich im Moment noch im Grundlagenstadium. Die therapeutische Anwendung embryonaler Stammzellen beim Menschen ist bisher rein hypothetisch. Demgegenüber befindet sich die Forschung an adulten Stammzellen in einem weiter fortgeschrittenen Stadium; adulte Stammzellen werden bereits heute beim Menschen eingesetzt. Im Ergebnis empfehlen die Autorinnen und Autoren, der Forschung mit adulten Stammzellen als die ethisch und rechtlich weniger problematische Alternative gegenüber der Forschung mit embryonalen Stammzellen den Vorzug zu geben.

1.7.3

Positionspapier des Schweizerischen Nationalfonds zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung (2001)

Der Schweizerische Nationalfonds zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung (SNF) hat im Zusammenhang mit seinem Entscheid vom 28. September 2001 (vgl.

Ziff. 1.1) Bedingungen formuliert, die von ihm zu unterstützende Forschungsprojekte mit embryonalen Stammzellen erfüllen müssen103. Es müssen die folgenden Bedingungen kumulativ erfüllt sein:

103

­

Das Forschungsprojekt wird in wissenschaftlicher Hinsicht als förderungswürdig beurteilt.

­

Es ist rein wissenschaftlicher und nicht kommerzieller Natur.

­

Es ist auf eindeutig festgelegte therapeutische Zwecke ausgerichtet, die nach dem aktuellen Stand des Wissens auf anderem Weg, namentlich durch die Verwendung adulter Stammzellen, nicht zu erreichen sind.

­

Die zuständige Ethikkommission bringt gegen die Durchführung des Forschungsprojekts keine ethischen Bedenken vor.

­

Die embryonalen Stammzelllinien werden unentgeltlich aus dem Ausland beschafft und sind im Ursprungsland auf nicht kommerzieller Basis aus zu Fortpflanzungszwecken in vitro hergestellten, überzählig gewordenen Embryonen legal gewonnen worden.

­

Die Spenderin des überzähligen Embryos ist über die wissenschaftliche Verwendung der embryonalen Stammzellen informiert worden und hat ihr zugestimmt.

Das Positionspapier des SNF zur Verwendung von menschlichen, embryonalen Stammzellen in der biomedizinischen Forschung vom 28. September 2001 ist abrufbar unter der Internetadresse http://www.snf.ch/downloads/snf_position_stammzellen_d.pdf

1217

1.7.4

Positionspapier der Zentralen Ethikkommission der Schweizerischen Akademie der Medizinischen Wissenschaften (2001)

Die Zentrale Ethikkommission (ZEK) der SAMW veröffentlichte am 28. August 2001 ein Positionspapier zur Gewinnung von und Forschung an menschlichen Stammzellen104.

Die Mehrheit der ZEK ist der Auffassung, dass überzählige Embryonen unter bestimmten Voraussetzungen für die Gewinnung von embryonalen Stammzellen verwendet werden dürfen. Die besondere Schutzwürdigkeit menschlichen Lebens ergebe sich daraus, dass es sich um das Leben eines Menschen handelt oder aber um Leben, aus dem ein Mensch hervorgeht oder hervorgehen kann. Beim überzähligen Embryo fehlen die äusseren Voraussetzungen dafür, dass aus ihm ein Mensch hervorgehen kann. Angesichts dieser Situation und unter Berücksichtigung des Ziels der embryonalen Stammzellenforschung, neue Therapien gegen bisher nicht behandelbare Krankheiten zu entwickeln, kann es ethisch vertretbar sein, überzählige Embryonen für die Stammzellenforschung zu verwenden.

Eine Minderheit spricht sich für ein Verbot der Forschung an überzähligen Embryonen aus. Für sie fällt menschliches Leben als solches unter das Verbot der Instrumentalisierung. Entsprechend darf an überzähligen Embryonen nicht geforscht werden, wie hochrangig die damit verfolgten Forschungsziele auch immer sein mögen.

Nach der ZEK erheben sich gegen den Import von embryonalen Stammzellen ethische Bedenken, solange deren Gewinnung in der Schweiz als ethisch fragwürdig erachtet wird.

1.7.5

Bericht der Studiengruppe «Forschung am Menschen» (1995)

Die vom Eidgenössischen Departement des Innern am 2. Dezember 1993 eingesetzte Studiengruppe «Forschung am Menschen» befasste sich in ihrem Bericht vom Februar 1995105 vornehmlich mit der Frage der Zulässigkeit von Forschung an überzähligen Embryonen.

Nach der Mehrheit der Studiengruppe kommt dem menschlichen Embryo in vitro ein moralischer Status zu, aus dem sich jedoch kein pauschales Verbot jeglicher instrumenteller Verfügung über ihn herleiten lasse. Die Anerkennung eines moralischen Status bedeute, dass Verfügungen über den Embryo in vitro nicht willkürlich vorgenommen werden dürften, sondern stets mit Gründen zu rechtfertigen seien. Die Mehrheit der Studiengruppe hält Forschung an überzähligen Embryonen unter bestimmten Voraussetzungen für zulässig. Als Voraussetzungen verlangt sie, dass

104

Abrufbar unter der Internetadresse http://www.samw.ch/content/Dokumente/d_Positionspapier.pdf 105 Biomedizinische Forschung am Menschen im Zusammenhang mit Art. 24novies der Bundesverfassung, Bericht der Studiengruppe «Forschung am Menschen», Bundesamt für Bildung und Wissenschaft, Bern 1995.

1218

­

ein medizinisch bedeutsames Forschungsziel vorliegt, das sich an keinem anderen «Forschungsgegenstand» als an einem menschlichen Embryo realisieren lässt;

­

das betroffene Paar eingewilligt hat;

­

eine Zeitlimite der Entwicklung des Embryos in vitro von 14 Tagen eingehalten wird;

­

das Forschungsprotokoll durch eine Ethikkommission überprüft worden ist.

Eine Minderheit der Studiengruppe spricht sich gegen Forschung an überzähligen Embryonen aus. Sie begründet dies unter anderem damit, dass Forschung an überzähligen Embryonen ­ zu anderen Zwecken als zur Verhinderung von überzähligen Embryonen bei der In-vitro-Fertilisation ­ eine Instrumentalisierung menschlichen Lebens darstelle, welche die Embryonen auf die Stufe von «Versuchsobjekten» reduziere.

1.7.6

Bericht der Expertenkommission Humangenetik und Reproduktionsmedizin (Bericht Amstad, 1988)

Die vom Bundesrat im September 1986 eingesetzte Expertenkommission Humangenetik und Reproduktionsmedizin hatte die Aufgabe, die sozialen, rechtlichen und ethischen Fragen zu diskutieren, die mit den damals neuen Verfahren der künstlichen Fortpflanzung und der Humangenetik zusammenhingen106. In ihrem Bericht vom 19. August 1988 äusserte sie sich unter anderem auch zur Frage der Embryonenforschung.

Einerseits weist die Kommission darauf hin, dass von einem religiösen und von einem ethischen Standpunkt aus die Würde bzw. der Eigenwert des menschlichen Lebens schon im Embryonalstadium betont werde. Entsprechend werde die «verbrauchende» Forschung am Embryo in vitro, bei welcher der Embryo keine Chance zum Weiterleben behält, als entwürdigende Instrumentalisierung menschlichen Lebens empfunden107.

Andererseits verkennt die grosse Mehrheit der Kommission nicht, dass es hochrangige Ziele geben mag, die eine Forschung am Embryo in vitro rechtfertigen könnten, wobei sie auf Krankheiten wie schwere Erbkrankheiten oder Krebs verweist. Ihr seien aber bisher keine relevanten Forschungsziele bekannt, zu deren Erreichung das Embryonenexperiment unerlässlich wäre. Es könnten aber doch Bedenken dagegen erhoben werden, «die Forschung am Embryo in vitro für das Gebiet der Schweiz grundsätzlich zu verbieten in einem Zeitpunkt, in welchem über die Bedeutung und den möglichen Nutzen einer solchen Forschung noch so wenig bekannt ist»108.

Im Ergebnis stand die Kommissionsmehrheit der «verbrauchenden» Embryonenforschung ablehnend gegenüber. Rein beobachtende Forschung zur Verbesserung der Techniken der In-vitro-Fertilisation, die im Interesse des Embryos selbst liegen, be-

106

Expertenkommission Humangenetik und Reproduktionsmedizin, Bericht, BBl 1989 III 1030.

107 Bericht, BBl 1989 III 1131.

108 Bericht, BBl 1989 III 1131.

1219

trachtete sie hingegen als zulässig. Falls die «verbrauchende» Forschung am Embryo in vitro zugelassen würde, müsste sie jedenfalls streng kontrolliert werden109.

1.8

Öffentliche Debatte

1.8.1

Allgemeines

Der Bundesrat sprach sich in seiner Stellungnahme vom 21. November 2001 zur Motion Schmied (siehe Ziff. 1.9) unter anderem gegen den Erlass eines dringlichen Bundesgesetzes aus, um genügend Zeit für eine breite Diskussion über die Embryonenforschung einzuräumen. Nachfolgend sollen die Beiträge der Stiftung Science et Cité110 und des Zentrums für Technologiefolgen-Abschätzung111 TA-SWISS dazu kurz vorgestellt werden.

Daneben fanden viele weitere Anlässe wie Podiumsdiskussionen, Referate, Tagungen und Wissenschaftscafés insbesondere zur Stammzellenforschung statt. So wurde die Thematik zum Beispiel an der Expo02 im Rahmen einer «Bioethik-Woche» angegangen, in der aktuelle ethische Themen rund um die Biomedizin öffentlich erörtert wurden. Die Medien griffen das Thema auf, noch bevor die Vernehmlassung zum Embryonenforschungsgesetz eröffnet wurde. Zeitungen aller Landesteile haben zahlreiche Artikel publiziert und thematische Dossiers eingerichtet112. Auch Radio und Fernsehen strahlten mehrere Beiträge zum Thema aus.

1.8.2

Science et Cité

Das Eidgenössische Departement des Innern beauftragte im Dezember 2001 die Stiftung Science et Cité, die öffentliche Debatte rund um das Thema «Stammzellforschung» anzuregen. Science et Cité wurde bei ihrer Arbeit von einer Trägerschaft begleitet, in der sowohl forschungsfreundliche als auch forschungsskeptische Kreise vertreten waren113. Mit dem Programm von Science et Cité sollten möglichst breite Bevölkerungskreise angesprochen werden. Man wollte gerade auch jene Menschen ansprechen, die sich beruflich nicht mit Fragen der biomedizinischen Forschung beschäftigen.

109 110

So Bericht, BBl 1989 III 1032.

Die Stiftung wurde 1998 gegründet und soll die konstruktive Auseinandersetzung, das Verständnis und die Verständigung zwischen Wissenschaft und Gesellschaft fördern.

111 Technologiefolgenabschätzung hat zum Ziel, die möglichen Folgen einer neuen Technologie umfassend und unter verschiedenen Standpunkten darzustellen, sowie politische Optionen zu entwickeln.

112 Beispielsweise Neue Zürcher Zeitung: «Dossier Biomedizin»; Der Bund: «Zellen der Hoffnung»; Basler Zeitung: «Dossier Stammzellen»; Tages-Anzeiger: «Stammzelldebatte»; Le Temps: «Cellules souches: débat sur les limites éthiques de la recherche».

113 Schweizerischer Nationalfonds zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung (SNF), Schweizerische Akademie der Medizinischen Wissenschaften (SAMW), Nationale Ethikkommission im Bereich der Humanmedizin (NEK-CNE), Zentrum für Technologiefolgen-Abschätzung (TA-SWISS), alliance F Bund Schweizerischer Frauenorganisationen, Basler Appell gegen Gentechnologie.

1220

Die verschiedenen Aktionen sollten insbesondere: ­

den interessierten Bürgerinnen und Bürgern Grundinformationen über die Stammzellenforschung vermitteln, damit sie sich über Tatsachen, Hypothesen und Einschätzungen ein Bild machen können,

­

die unterschiedlichen Positionen in der Frage der Stammzellenforschung transparent machen,

­

Fachpersonen zum Beispiel der Medizin, der Ethik oder des Rechts miteinander ins Gespräch bringen und

­

soweit möglich aufzeigen, auf welche Lebensbereiche die Stammzellenforschung einen Einfluss haben kann.

Dabei stützte sich die Stiftung Science et Cité auf verschiedene Elemente, wovon nachfolgend die wichtigsten genannt werden sollen: Es wurde eine Broschüre114 («Von Embryonen und Stammzellen») erarbeitet, die Anfang Juni 2002 allen Vernehmlassungsadressatinnen und -adressaten, allen Mitgliedern des National- und Ständerats, sämtlichen Mittelschulen, den Universitäten sowie auf Anfrage Hunderten von Privatpersonen und rund hundert Schulklassen zugestellt wurde. Die WebSeite der Stiftung wurde um die «Stammzellen-Debatte» erweitert115. In der ganzen Schweiz fanden Veranstaltungen statt. Einige wurden direkt von Science et Cité organisiert, andere zusammen mit weiteren Partnern, andere lediglich unter Mithilfe der Stiftung. Die Stiftung konzentrierte sich darauf sicherzustellen, dass in allen Landesteilen ­ nicht nur in den Zentren ­ Veranstaltungen stattfinden konnten. Bis Ende 2002 werden in der Schweiz um die 50 Anlässe stattgefunden haben. Die Aktion von Science et Cité wird mit einem von der Stiftung organisierten StammzellenForum am 30. November 2002 in Bern abgeschlossen.

1.8.3

Zentrum für Technologiefolgenabschätzung (TA-SWISS)

Das Zentrum für Technologiefolgenabschätzung TA-SWISS beim Schweizerischen Wissenschafts- und Technologierat (SWTR) in Bern nahm die Arbeiten am Embryonenforschungsgesetz zum Anlass, um im April und Mai 2002 publifocusVeranstaltungen116 durchzuführen und dabei die Ansichten von Bürgerinnen und Bürgern kennen zu lernen117. An sechs Diskussionsrunden wurde die Frage erörtert, ob embryonale Stammzellen in der Forschung und zur Entwicklung neuer Therapien verwendet werden sollten. Drei der publifocus-Veranstaltungen fanden mit zufällig ausgewählten Personen in demographisch gemischten Gruppen in der Deutschschweiz, in der Westschweiz und im Tessin statt. Je eine Gesprächsrunde bestritt ei114

Diese liegt in einer Auflage von 41 000 Exemplaren vor und ist deutsch, französisch und italienisch verfügbar.

Internetadresse http://www.science-et-cite.ch/projekte/stammzellen. Lag die durchschnittliche «page view» bis zum Mai 2002 zwischen 3000 und 4000 pro Monat, so stieg sie im Mai 2002 auf durchschnittlich 10 000, im Juni 2002 auf 15 000; im Juli 2002 sank sie auf 11 500 und im August 2002 stand sie auf 11 000.

116 Die publifocus-Methode gehört zu den Mitwirkungsverfahren der TechnologiefolgenAbschätzung.

117 Der Schlussbericht ist abrufbar unter der Internetadresse http://www.taswiss.ch/framesets/news.htm 115

1221

ne Gruppe von Frauen, von Personen mit einem engen Bezug zu den Landeskirchen sowie von Patientinnen und Patienten. Insgesamt nahmen 50 Personen am publifocus teil.

Es hat sich gezeigt, dass die Frage, ob jemand die Forschung an embryonalen Stammzellen gutheisst oder ablehnt, davon abhängt, wie die betreffende Person eine Reihe existenzieller Fragen beantwortet: Wann beginnt das Leben? Kommt einem Embryo der gleiche moralische Status zu wie einem bereits geborenen Menschen?

Wie soll das Lebensrecht eines wenige Tage alten Embryos in vitro gegen die Hoffnung schwer kranker Menschen auf neue Therapien abgewogen werden?

In den verschiedenen Diskussionsrunden des publifocus trat neben dem Bedürfnis nach unabhängiger Information ein breites Meinungsspektrum zu Tage. Vollständige Einigkeit unter den Teilnehmenden herrschte nur in einem Punkt: Sollte in der Schweiz die Gewinnung embryonaler Stammzellen verboten werden, so muss auch deren Einfuhr aus dem Ausland verboten werden. Weitgehend einig waren sich die Teilnehmenden, dass die Wettbewerbsfähigkeit der Schweiz allein kein ausreichender Grund darstellt, um die Forschung an embryonalen Stammzellen voranzutreiben.

In allen Runden waren sowohl klare Gegnerinnen und Gegner als auch Befürworterinnen und Befürworter der Forschung an embryonalen Stammzellen vertreten. In der Überzahl waren allerdings jene Personen, die sich hin und her gerissen fühlten und Argumente sowohl für als auch gegen diese Forschung einbrachten. Zu konkreten Fragen wie der Verwendung überzähliger Embryonen zur Stammzellengewinnung nahmen die meisten Teilnehmenden eine pragmatische Haltung ein. Unter strengen Regeln stimmten sie ­ allerdings ohne Begeisterung ­ der Forschung zu.

Eine publifous-Teilnehmerin fasste dies wie folgt zusammen: «Der Kopf sagt Ja, das Gefühl Nein».

1.9

Parlamentarische Vorstösse

Im Zusammenhang mit der Forschung an überzähligen Embryonen und an embryonalen Stammzellen wurden mehrere parlamentarische Vorstösse eingereicht: 97.3623

Motion Dormann vom 18. Dezember 1997: Medizinische Forschung am Menschen. Schaffung eines Bundesgesetzes. Abgeschrieben am 22. Dezember 1999.

98.3543

Motion Plattner vom 1. Dezember 1998: Schaffung eines Bundesgesetzes betreffend medizinische Forschung am Menschen. Motion vom Plenum überwiesen (Ständerat am 16. März 1999, Nationalrat am 21. März 2000).

01.3436

Interpellation Grüne Fraktion vom 18. September 2001: Menschliche Embryonen als Rohstoff für die Forschung? Antwort des Bundesrates vom 21. November 2001; im Plenum noch nicht behandelt.

01.3530

Interpellation Gutzwiller vom 4. Oktober 2001: Stammzellenforschung.

Übergangsregelung. Antwort des Bundesrates vom 21. November 2001; im Plenum noch nicht behandelt.

1222

01.3531

Motion Schmied vom 4. Oktober 2001: Dringliches Bundesgesetz über die Einfuhr von embryonalen Stammzellen. Bundesrat beantragt Ablehnung der Motion; im Plenum noch nicht behandelt.

01.3700

Motion Dunant vom 3. Dezember 2001: Forschung an embryonalen Stammzellen. Bundesrat beantragt Umwandlung der Motion in Postulat; im Nationalrat am 22. März 2002 bekämpft; Diskussion verschoben.

01.441

Parlamentarische Initiative Dormann vom 17. September 2001: Verbot der verbrauchenden Forschung an Embryonen. Moratorium. Antrag der Kommission für Wissenschaft, Bildung und Kultur des Nationalrates (WBK-NR): Keine Folge geben; im Plenum noch nicht behandelt.

02.3197

Interpellation Gutzwiller vom 17. April 2002: Überzählige Embryonen und Stammzellenforschung. Antwort des Bundesrates vom 26. Juni 2002; im Plenum noch nicht behandelt.

02.3335

Motion Gutzwiller vom 20. Juni 2002: Forschung an embryonalen Stammzellen und Fortpflanzungsmedizingesetz. Bundesrat beantragt Umwandlung der Motion in Postulat; im Plenum noch nicht behandelt.

02.3550

Interpellation Langenberger vom 2. Oktober 2002: Politische und juristische Unklarheiten bei der Stammzellenforschung und der Präimplantationsdiagnostik. Antwort des Bundesrates vom 20. November 2002; im Plenum noch nicht behandelt.

Nachfolgend werden die Motionen und die parlamentarische Initiative näher ausgeführt: Mit der Motion Plattner wird der Bundesrat beauftragt, ein Bundesgesetz über die Forschung am Menschen vorzulegen. Darin sollen die ethischen und rechtlichen Grundsätze und Schranken festgeschrieben werden, die in diesem Gebiet befolgt werden müssen, damit einerseits der Schutz der Menschenrechte in möglichst hohem Mass gewährleistet ist und andererseits eine sinnvolle medizinische Forschung am Menschen nicht verhindert wird. Als Begründung wird auf die praktisch gleich lautende Motion Dormann verwiesen. Diese weist auf die im Fortpflanzungsmedizingesetz offen gelassenen Fragen im Zusammenhang mit der therapeutischen Forschung und der Grundlagenforschung an Embryonen hin.

Die Motion Schmied verlangt eine klare Rahmengesetzgebung für den Import von embryonalen Stammzellen per dringliches Bundesgesetz, damit die Forschung die Gesetzgebung «Forschung am Menschen» nicht präjudiziert; ferner gelte es, das am 1. Januar 2001 in Kraft getretene Fortpflanzungsmedizingesetz durchzusetzen. Der Bundesrat beantragt mit Erklärung vom 21. November 2001, die Motion abzulehnen. Er erachtet zwar die rasche Erarbeitung eines Gesetzesentwurfes über die Forschung an Embryonen als angezeigt, die Voraussetzung für den Erlass eines dringlichen Bundesgesetzes fehle hingegen. Auch solle genügend Zeit für eine öffentliche Debatte über dieses viel beachtete Thema eingeräumt werden.

Mit der Motion Dunant soll der Bundesrat beauftragt werden, die gesetzlichen Vorschriften zur Forschung an menschlichen Stammzellen zu überprüfen und, wo nötig, zu revidieren, damit diese unter streng kontrollierten Bedingungen ermöglicht wird.

Der Bundesrat beantragt mit Erklärung vom 13. Februar 2001, diese Motion in ein

1223

Postulat umzuwandeln. Denn zu jenem Zeitpunkt waren die Arbeiten zum vorliegenden Gesetzesentwurf bereits aufgenommen worden.

Die Motion Gutzwiller fordert, Artikel 42 Absatz 2 des Fortpflanzungsmedizingesetzes dahingehend abzuändern, dass die schon vor dessen Inkrafttreten vorhandenen überzähligen Embryonen für die Stammzellengewinnung verwendet werden können.

Die Gesetzesänderung müsse auf dem Prinzip der freien Wahl beider Elternteile beruhen und deswegen drei Möglichkeiten beinhalten: 1. weitere Aufbewahrung der Embryonen im Hinblick auf eine spätere Verwendung für die Fortpflanzung; 2. Zerstörung der Embryonen; 3. Überlassen der Embryonen für die Stammzellenforschung. Im Weiteren solle Artikel 5 Absatz 3, der die Ablösung von Zellen von einem Embryo in vitro verbietet, aufgehoben werden. Der Bundesrat beantragt mit Erklärung vom 4. September 2002, diese Motion in ein Postulat umzuwandeln.

Die Parlamentarische Initiative Dormann fordert, bis zur Inkraftsetzung des Gesetzes über die «Forschung am Menschen» mit einem Moratorium auf dem Wege der dringlichen Gesetzgebung ein Verbot der verbrauchenden Forschung an menschlichen Embryonen zu erlassen. Hingegen soll für diese Zeit der Import von embryonalen Stammzellen zu Forschungszwecken zugelassen werden, wenn: ­

diese aus einem überzähligen Embryo legal gewonnen wurden und bereits im Ausland existierende Stammzelllinien benutzt werden;

­

die Forschungsziele klar definiert sind und diese nicht auf die Verwendung von immer neu aus Embryonen zu gewinnenden embryonalen Stammzelltypen und damit auf einen fortlaufenden Embryonenverbrauch hinauslaufen;

­

die Klärung von offenen Fragen nicht mittels tierischer oder adulter Zellen möglich ist; und

­

mittel- und langfristiges Ziel der Forschung der Einsatz adulter Stammzellen ist.

1.10

Vorverfahren

1.10.1

Vorentwurf

1.10.1.1

Erarbeitung des Vorentwurfs

Angesichts der wissenschaftlichen Aktualität der Forschung mit embryonalen Stammzellen, des ethisch sensiblen Forschungsbereichs sowie der unklaren Rechtslage entschied der Bundesrat am 21. November 2001, die Forschung an überzähligen Embryonen und embryonalen Stammzellen in einem eigenen Bundesgesetz zu regeln (siehe Ziff. 1.1). In der Folge erarbeitete eine verwaltungsinterne Arbeitsgruppe unter der Leitung einer Steuerungsgruppe einen Vorentwurf.

Der Bundesrat ermächtigte am 22. Mai 2002 das Eidgenössische Departement des Innern, das Vernehmlassungsverfahren zum Vorentwurf eines Bundesgesetzes über die Forschung an überzähligen Embryonen und embryonalen Stammzellen (Embryonenforschungsgesetz) zu eröffnen. Unter den 171 Adressatinnen und Adressaten wurden namentlich das Bundesgericht, die Kantone, interkantonale Organisationen, das Fürstentum Liechtenstein, die politischen Parteien, die Spitzenverbände der Wirtschaft sowie weitere interessierte Organisationen und Verbände (Wissen1224

schaftsorganisationen, Ärzteschaft, Kirchen, Frauenorganisationen usw.) begrüsst.

Insgesamt gingen 121 Stellungnahmen ein. Die Vernehmlassungsfrist dauerte bis zum 30. August 2002.

1.10.1.2

Gutachten von Prof. Rainer Schweizer

Rainer J. Schweizer, Professor für öffentliches Recht, einschliesslich Europa- und Völkerrecht, an der Universität St. Gallen, verfasste im Auftrag des Bundesamtes für Gesundheit 2001 ein Gutachten zum Thema «Verfassungs- und völkerrechtliche Vorgaben für den Umgang mit Zellen, Geweben, Embryonen, Föten und anderen Teilen menschlichen Lebens»118.

Nachfolgend sollen die wichtigsten verfassungsrechtlichen Vorgaben, die bei einer Regelung der Forschung an überzähligen Embryonen und embryonalen Stammzellen zu beachten sind, im Überblick dargestellt werden:

118

­

Der Schutz der Menschenwürde beginnt mit der Kernverschmelzung. Allerdings ist die Tragweite der Menschenwürde mit Bezug auf den Embryo in vitro nicht leicht auszumachen. Vor dem Hintergrund der Offenheit der Bundesverfassung ist von einem partiellen Schutz des Embryos durch die Menschenwürde auszugehen (vgl. 1.4.2.1.1). Einige klare Teilantworten und damit Konkretisierungen der Würde des Embryos ergeben sich durch die Verbote und Gebote in Artikel 119 der Bundesverfassung (vgl. Ziff.

1.4.2.2). Keinesfalls ist der Embryo in vitro eine reine Sache.

­

Das Klonverbot der Bundesverfassung umfasst neben dem so genannten reproduktiven klar auch das so genannte therapeutische Klonen.

­

Das Verfahren der In-vitro-Fertilisation darf nur im Zusammenhang mit der medizinisch unterstützten Fortpflanzung angewandt werden, nie aber zu Forschungszwecken.

­

Die für ein Fortpflanzungsverfahren entwickelten und bestimmten Embryonen dürfen nicht für die Forschung, also auch nicht für die Gewinnung embryonaler Stammzellen, «abgezweigt» und geschädigt bzw. zerstört, d.h.

«verbraucht» werden.

­

Die Bundesverfassung gebietet, die Anzahl überzähliger Embryonen möglichst klein zu halten, geht aber stillschweigend davon aus, dass es gleichwohl solche geben kann. Aus ihr folgt keine Pflicht, überzählige Embryonen zu vernichten. Ob eine solche vorgesehen werden soll oder nicht, muss vom Gesetzgeber entschieden werden (vgl. zur heutigen Rechtslage Ziff. 1.4.3.1.2).

­

Ob überzählige Embryonen der Forschung zugeführt werden dürfen oder nicht, ist umstritten. Der Gesetzgeber muss entscheiden, ob überzählige Embryonen, die nach geltendem Recht ohnehin sterben müssen, ausnahmsweise unter Sicherungen und Kontrollen für die Forschung, namentlich auch für die Gewinnung embryonaler Stammzellen, verwendet werden dürfen.

Veröffentlicht im Schulthess Verlag, Zürich 2002.

1225

­

Falls Forschung an überzähligen Embryonen erlaubt werden soll, sind die Schranken von Artikel 119 der Bundesverfassung zu beachten, so namentlich die Verbote des (verändernden) Eingriffs ins Erbgut, der Kommerzialisierung und der Ektogenese.

­

In diesem Fall ist auch die Frage der Aufbewahrung überzähliger Embryonen zu regeln. Eine befristete Aufbewahrung sollte im Interesse der Forschung zugelassen werden, sofern dabei gewisse Sicherungen eingehalten werden.

­

Die Verfassungsordnung, die Artikel 119 der Bundesverfassung zur Vermeidung überzähliger Embryonen aufstellt, darf keinesfalls durch Importe überzähliger Embryonen umgangen werden. Da die Bundesverfassung die Erzeugung von Embryonen zu Forschungszwecken, sei es durch In-vitroFertilisation oder Klonierung, verbietet, ist auch der Import von embryonalen Stammzellen, die aus solchen Embryonen stammen, rechtswidrig.

Wie vom Gutachter festgestellt, ist es Sache des Gesetzgebers zu entscheiden, ob, und falls ja, unter welchen Bedingungen Forschung an überzähligen Embryonen erlaubt werden soll. Dabei ergeben sich gewisse Bedingungen, wie im Gutachten ausgeführt, bereits aus der Verfassung. Der Vorentwurf bewegt sich im Rahmen dieser verfassungsrechtlichen Vorgaben (Gleiches gilt für den vorliegende Gesetzesentwurf).

1.10.1.3

Grundzüge des Vorentwurfs

Der Vorentwurf erlaubt die Forschung an überzähligen Embryonen, die Gewinnung embryonaler Stammzellen aus solchen Embryonen und die Forschung an embryonalen Stammzellen unter bestimmten, restriktiven Bedingungen. Er bezweckt, den missbräuchlichen Umgang mit überzähligen menschlichen Embryonen und embryonalen Stammzellen zu verhindern sowie die Menschenwürde zu schützen. Die wichtigsten Voraussetzungen für die Durchführung der entsprechenden Forschung, die durch das Vernehmlassungsverfahren keine wesentlichen Änderungen erfahren haben, finden sich unter Ziffer 1.11.3.

1.10.2

Vernehmlassungsverfahren

1.10.2.1

Allgemeines

Der Bundesrat nahm im November 2002 von den Ergebnissen des Vernehmlassungsverfahrens Kenntnis und beschloss, der interessierten Öffentlichkeit den Vernehmlassungsbericht zugänglich machen.

Rund zwei Drittel der Vernehmlassungsteilnehmenden begrüssen den Vorentwurf grundsätzlich. Ein Drittel lehnt ihn ab oder fordert eine grundlegende Überarbeitung. Eine grosse Mehrheit der Kantone, die Wissenschaftsorganisationen wie namentlich Schweizerischer Nationalfonds zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung (SNF), wissenschaftliche Akademien (z.B. SAMW) und Universitäten sowie die Spitzenverbände der Wirtschaft sprechen sich für den Entwurf aus. Demgegenüber ist die Zustimmung bei der Ärzteschaft, den Kirchen und den Frauenorganisa1226

tionen geteilt. Die grossen Parteien befürworten teilweise den Vorentwurf, teilweise lehnen sie ihn ab; die Mehrheit der kleinen Parteien spricht sich gegen den Entwurf aus.

Viele befürwortende Vernehmlassungsteilnehmende beurteilen insbesondere positiv, dass der Gesetzesentwurf die nicht eindeutige rechtliche Situation kläre, klare Rahmenbedingungen für die Forschung schaffe und die Rechtssicherheit verbessere. Der Entwurf trage Missbrauchsrisiken und ethischen Bedenken Rechnung, beachte jedoch ebenso die Bedürfnisse der Forschung und stelle daher einen guten Kompromiss dar. Mehrere Vernehmlassungsteilnehmende befürworten zwar den Entwurf, stossen sich aber an dessen hohem Detaillierungsgrad. Es wird befürchtet, dass damit der raschen wissenschaftlichen Entwicklung in diesen Forschungsgebieten nicht genügend Rechnung getragen werden könne. Einige Kantone begrüssen ausdrücklich eine Regelung auf Bundesebene.

Viele der ablehnenden Vernehmlassungsteilnehmenden stellen die Verfassungsmässigkeit der Vorlage in Frage bzw. verneinen sie. Auch seien die Forschung an Embryonen und die Gewinnung von embryonalen Stammzellen eine unzulässige Instrumentalisierung menschlichen Lebens und verletzten die Menschenwürde. Einige Vernehmlassungsteilnehmende befürchten zudem, dass die Zulassung der Embryonenforschung zu einem «Dammbruch» führe, d.h. in der Folge weitere Schranken fallen könnten. Einige betrachten die Notwendigkeit der Forschung an überzähligen Embryonen und an embryonalen Stammzellen nicht als ausreichend belegt.

Einige Vernehmlassungsteilnehmende fordern ein Moratorium für die Embryonenforschung.

1.10.2.2

Ergebnis zu wichtigen Aspekten

1.10.2.2.1

Geltungsbereich, Koppelung, Subsidiarität und Strafmass

Im Rahmen der Vernehmlassung wurden die Adressatinnen und Adressaten ausdrücklich gebeten, zu vier Fragen Stellung zu nehmen.

Frage 1: Umfassender oder eingeschränkter Geltungsbereich?

Soll das Gesetz nur die Gewinnung embryonaler Stammzellen und die Forschung an embryonalen Stammzellen regeln (enger Geltungsbereich) oder soll der Geltungsbereich ­ wie im Vorentwurf ­ auch die Forschung an überzähligen Embryonen umfassen (weiter Geltungsbereich)?

Rund zwei Drittel jener Vernehmlassungsteilnehmenden, die sich zur Frage geäussert haben, sprechen sich für den weiten Geltungsbereich aus. Als Hauptargument dafür wird genannt, dass ein sachlicher Zusammenhang zwischen der Forschung an überzähligen Embryonen und der Gewinnung von und der Forschung an embryonalen Stammzellen bestehe. Die ethische und rechtliche Problematik der Forschung an überzähligen Embryonen und der Gewinnung embryonaler Stammzellen aus solchen Embryonen sei vergleichbar.

Als Argument für den engen Geltungsbereich wird vor allem vorgebracht, dass sich die öffentliche Debatte bisher fast ausschliesslich auf das Thema der embryonalen

1227

Stammzellen beziehe ­ und nicht auf die «verbrauchende» Embryonenforschung allgemein. Deswegen liege bei einem weiten Geltungsbereich der Vorwurf nahe, dass die Stammzellforschung als «Türöffner» für die strittige Forschung an überzähligen Embryonen diene. Aus ethischer Sicht sei ferner zu unterscheiden zwischen der Forschung am Embryo (Embryo als Objekt der Forschung) und der Gewinnung embryonaler Stammzellen aus dem Embryo (Embryo als Quelle für Stammzellen). Bei Ersterer bestehe die grössere Gefahr einer Instrumentalisierung menschlichen Lebens.

Frage 2: Koppelung von Stammzellengewinnung mit konkretem Forschungsprojekt?

Soll die Gewinnung embryonaler Stammzellen nur im Rahmen eines konkreten Forschungsprojekts zulässig sein oder soll sie ­ wie im Vorentwurf ­ auch für künftige Forschung erlaubt werden?

Gut die Hälfte der Vernehmlassungsteilnehmenden, die sich zur Frage geäussert haben, will die Gewinnung embryonaler Stammzellen unabhängig von einem konkreten Forschungsprojekt, d.h. auch für künftige Forschung, zulassen.

Gegen eine Koppelung der Stammzellengewinnung mit einem konkreten Forschungsprojekt wird in erster Linie eingewendet, dass eine solche sowohl aus wissenschaftlicher als auch aus Sicht der Praxis nicht sinnvoll sei. Im Gegenteil würden mehr überzählige Embryonen verbraucht, weil für jedes Forschungsprojekt eigene Stammzellen hergestellt würden. Dürfe man embryonale Stammzellen «auf Vorrat» herstellen, so könnten sich bestimmte Laboratorien auf die Verfahren der Stammzellengewinnung spezialisieren, so dass schliesslich weniger überzählige Embryonen verbraucht würden. Die Gewinnung embryonaler Stammzellen für die medizinische Forschung allgemein ­ also unabhängig von einem konkreten Forschungsprojekt ­ wird als genügend hochrangiges Forschungsziel betrachtet, um die Verwendung überzähliger Embryonen zu rechtfertigen.

Für eine Koppelung der Stammzellengewinnung an ein konkretes Projekt wird unter anderem angeführt, dass eine Zulassung der Gewinnung embryonaler Stammzellen «auf Vorrat» zu einem Mehrverbrauch überzähliger Embryonen führen könne. Auch genüge die Herstellung embryonaler Stammzellen für künftige Forschung nicht als Grund für deren Herstellung.

Frage 3: Prinzip der Subsidiarität bei der Stammzellengewinnung?

Soll die Gewinnung embryonaler Stammzellen ­ anders als
im Vorentwurf ­ nur erlaubt werden, wenn für die Durchführung eines konkreten Forschungsprojekts nicht schon geeignete Stammzellen in der Schweiz vorhanden sind?

Bei dieser Frage ergibt sich aus den Vernehmlassungsantworten keine klare Präferenz. Gegen das Prinzip der Subsidiarität bei der Stammzellengewinnung wird ins Feld geführt, dass es in der Praxis kaum umzusetzen sei. Die Befürwortenden betonen, dass es für eine Umsetzung des Subsidiaritätsprinzips einer Datenbank bedürfe, in der alle Forschungsprojekte mit embryonalen Stammzellen sowie embryonalen Stammzelllinien registriert werden müssten.

Frage 4: Strafmass Sind die vorgesehenen Strafen, insbesondere auch die Höchstbeträge für Bussen, angemessen, d.h. entfalten sie die erwünschte abschreckende Wirkung?

1228

Von den Vernehmlassungsteilnehmenden, die sich zur Frage geäussert haben, betrachtet gut die Hälfte die Strafbestimmungen im Allgemeinen als genügend abschreckend. Einige werfen allerdings die Frage auf, ob die abschreckende Wirkung auch für die Pharmaindustrie gegeben sei. Ein Viertel hält die Strafbestimmungen für unzureichend.

1.10.2.2.2

Weitere Punkte

Patentierung Viele Vernehmlassungsteilnehmende fordern eine ausdrückliche Regelung der Frage der Patentierung von embryonalen Stammzellen und Stammzelllinien im Embryonenforschungsgesetz bzw. zumindest eine Klärung dieser Frage. Mehrere sprechen sich für ein Verbot der Patentierung embryonaler Stammzellen und Stammzelllinien aus, einige verlangen zusätzlich ein Patentierungsverbot für die Verfahren zur Gewinnung und Charakterisierung embryonaler Stammzellen und Stammzelllinien.

Zeitlimite von 14 Tagen für Weiterentwicklung des Embryos Viele Vernehmlassungsteilnehmende kritisieren, dass eine Weiterentwicklung des Embryos bis zum 14. Tag erlaubt werden soll. Sie wollen die Embryonenforschung nur bis zum Blastozystenstadium (ca. 5 bis 7 Tage; siehe Ziff. 1.2.2.2.1) zulassen.

Menschenwürde Mehrere Vernehmlassungsteilnehmende sprechen sich für eine Streichung des Begriffs der Menschenwürde im Zweckartikel aus. Der Begriff der Menschenwürde im Zusammenhang mit frühestem menschlichem Leben könne in dem Sinn missverstanden werden, dass schon der Embryo in vitro wie der geborene Mensch Träger der Menschenwürde sei. Die Verwendung eines alternativen Begriffs sei vorzuziehen, mit dem die Schutzwürdigkeit des Embryos zwar betont werde, der aber gleichzeitig eine Güterabwägung nicht ausschliesse.

Ethikkommissionen Mehrere Vernehmlassungsteilnehmende bezweifeln, dass die für klinische Versuche zuständigen Ethikkommissionen nach dem Heilmittelgesetz vom 15. Dezember 2000119 über das Wissen und die Erfahrung für die ethische Beurteilung von Forschungsprojekten mit embryonalen Stammzellen verfügen. Einige verlangen ferner, dass die gewählte Lösung für Forschungsprojekte mit embryonalen Stammzellen (befürwortende Stellungnahme durch zuständige Ethikkommission) auch für die Forschung an überzähligen Embryonen und die Gewinnung embryonaler Stammzellen aus solchen Embryonen übernommen werden soll. Einige Vernehmlassungsteilnehmende würden es vorziehen, wenn anstelle der lokalen Ethikkommissionen die Nationale Ethikkommission im Bereich der Humanmedizin (NEK-CNE) über Forschungsprojekte mit embryonalen Stammzellen entscheiden würde.

119

SR 812.21.

1229

1.10.3

Überarbeitung des Vorentwurfs

1.10.3.1

Geltungsbereich, Koppelung, Subsidiarität und Strafmass

Aufgrund der Ergebnisse des Vernehmlassungsverfahrens werden mit Bezug auf die vier aufgeworfenen Fragen im Gesetzesentwurf keine Änderungen vorgenommen.

Nachfolgend sollen die Argumente für die Beibehaltung der im Vorentwurf gewählten Lösung aufgeführt werden.

Umfassender Geltungsbereich Es besteht ein enger Sachzusammenhang zwischen der Forschung an überzähligen Embryonen und der Gewinnung von und der Forschung an embryonalen Stammzellen: Aus wissenschaftlicher Sicht lassen sich die verschiedenen Forschungsbereiche nicht klar voneinander abgrenzen. So können gewisse Eigenschaften embryonaler Stammzellen nur in ihrer natürlichen Umgebung, d.h. am Embryo, erforscht werden (vgl. Ziff. 1.3.1.2). Es bedarf somit sowohl für die Gewinnung von als auch für die Forschung an embryonalen Stammzellen der begleitenden Forschung am Embryo.

Ferner handelt es sich sowohl bei der Gewinnung embryonaler Stammzellen aus überzähligen Embryonen als auch bei der (übrigen) Forschung an solchen Embryonen um so genannte verbrauchende Embryonenforschung; d.h. in beiden Fällen wird der Embryo in vitro zerstört, so dass sich im Prinzip dasselbe ethische Problem stellt.

Würde der Geltungsbereich des Embryonenforschungsgesetzes auf die Gewinnung von und die Forschung an embryonalen Stammzellen eingeschränkt, so bliebe die übrige Forschung an überzähligen Embryonen bis zum Erlass des Humanforschungsgesetzes (dazu Ziff. 1.1) ungeregelt. Ein umfassender Geltungsbereich schafft in einem sensiblen Forschungsbereich Klarheit und Rechtssicherheit. Gerade das Beispiel der Stammzellforschung zeigt denn auch, dass die wissenschaftliche Entwicklung in Medizin und Biologie so rasch voranschreitet, dass auch andere Bereiche der Embryonenforschung an Aktualität gewinnen könnten.

Keine Koppelung der Stammzellengewinnung mit konkretem Forschungsprojekt Das Erfordernis der Koppelung der Gewinnung embryonaler Stammzellen an ein konkretes Forschungsprojekt wird mit der folgenden Begründung nicht in den Gesetzesentwurf aufgenommen: Wegen des mit der Stammzellengewinnung verbundenen grossen Aufwands ist nicht anzunehmen, dass embryonale Stammzellen unnötigerweise gewonnen werden. Ferner kann die Gewinnung embryonaler Stammzellen durch spezialisierte Labors, d.h. unabhängig von konkreten Forschungsprojekten, zu einer Verbesserung der Technik
führen, so dass letztlich weniger überzählige Embryonen gebraucht werden.

Aus ethischer Sicht ist die Gewinnung embryonaler Stammzellen unabhängig von einem konkreten Forschungsprojekt insofern vertretbar, als die Stammzellengewinnung nur für Forschungszwecke zulässig ist und neu ein Bedarf dafür im Inland bestehen muss (Art. 8 Abs. 2 Bst. a Ziff. 2). Demnach dürfen embryonale Stammzellen nicht in beliebiger Anzahl gewonnen werden. Damit kann der Gefahr der Herstellung von Stammzelllinien «auf Vorrat», die in Zukunft unter Umständen aus wissenschaftlichen Gründen für die Forschung nicht mehr geeignet sind, begegnet werden.

1230

Schliesslich müssen konkrete Forschungsprojekte mit embryonalen Stammzellen bestimmte Anforderungen in wissenschaftlicher und ethischer Hinsicht erfüllen (vgl.

Art. 14).

Kein Subsidiaritätsprinzip bei der Stammzellengewinnung Das Erfordernis der Subsidiarität bei der Gewinnung embryonaler Stammzellen wird ebenfalls nicht in den Gesetzesentwurf aufgenommen. Dies aus den folgenden Gründen: Der Nachweis, dass nicht schon geeignete Stammzellen in der Schweiz vorhanden sind, wäre für Forschende schwierig zu erbringen. Denn neben dem Vorhandensein von Stammzellen müsste zusätzlich abgeklärt werden, ob diese den Anforderungen des betreffenden Forschungsprojekts entsprechen. Letzteres wäre auch für die Vollzugsbehörde kaum zu überprüfen.

Hingegen gilt das Subsidiariätsprinzip bei Forschungsprojekten: Ein Forschungsprojekt mit überzähligen Embryonen oder mit embryonalen Stammzellen setzt unter anderem voraus, dass gleichwertige Erkenntnisse nicht auch auf anderem Weg, zum Beispiel mit adulten Stammzellen, erlangt werden können (Art. 6 Abs. 1 Bst. b und Art. 14 Bst. b).

Strafmass Die Höhe der im Gesetzesentwurf vorgesehenen Strafen (vgl. Art. 25 f.) liegt im Rahmen von Gesundheitsgesetzen, die auch die jeweilige Forschung einschliessen (z.B. Heilmittelgesetz). Das Strafmass soll deswegen nicht verschärft werden. Zudem handelt es sich vorliegend um ein Forschungsgesetz, wobei sich insbesondere die Forschung mit embryonalen Stammzellen noch im Grundlagenstadium befindet (vgl. 1.1).

Ferner ist in diesem Zusammenhang darauf hinzuweisen, dass auch im Rahmen der Forschungsgemeinschaft gewisse soziale Sanktionen bestehen: Es wird für Forschende zunehmend schwierig, ihre Ergebnisse in anerkannten wissenschaftlichen Zeitschriften zu veröffentlichen, wenn sie die ethischen Anforderungen im betreffenden Forschungsbereich nicht einhalten, d.h. zum Beispiel die Herkunft von Embryonen oder von embryonalen Stammzellen nicht transparent darlegen können.

1.10.3.2

Patentierbarkeit

In diesem Gesetzesentwurf wird von einer Regelung der Frage der Patentierbarkeit von überzähligen Embryonen und embryonalen Stammzellen abgesehen. Vielmehr soll diese Frage im Rahmen der laufenden Teilrevision des Bundesgesetzes vom 25. Juni 1954 über die Erfindungspatente (Patentgesetz)120 weiter vertieft und geregelt werden. Hierzu sind folgende Gründe aufzuführen: Patentrecht und Sachgesetzgebung Ein Patent berechtigt die Inhaberin oder den Inhaber dazu, Dritten die gewerbliche Verwertung der patentierten Erfindung zu untersagen. Es gewährt ihm oder ihr aber 120

SR 232.14; vgl. zur Teilrevision des Patentgesetzes Gesetzesentwurf und Erläuterungen vom 29. Okt. 2001, abrufbar unter der Internetadresse http://www.ige.ch/D/jurinfo/j100.htm#2.

1231

nicht das Recht, die patentierte Erfindung in jedem Fall selbst zu nutzen. Ob die kommerzielle Nutzung im konkreten Fall zulässig ist, wird nicht durch das Patentrecht, sondern durch die Gesetzgebung im betreffenden Sachbereich geregelt.

Immerhin wird die Frage der kommerziellen Nutzung bereits im Verfahren der Patenterteilung geprüft: So ist eine Erfindung nicht patentierbar, wenn deren Verwertung gegen die öffentliche Ordnung oder die guten Sitten verstossen würde (Art. 2 des Patentgesetzes).

Der vorliegende Gesetzesentwurf konkretisiert das verfassungsrechtliche Verbot des Handels mit Embryonen und Erzeugnissen aus Embryonen (vgl. Art. 4) und verhindert damit deren Kommerzialisierung. Demgegenüber gehört eine Regelung zur Patentierbarkeit ins Patentrecht. Mit Blick auf den Umfang des Patentschutzes und aus gesetzessystematischen Gründen ist diese Differenzierung beizubehalten und von einer Vorschrift zur Patentierung in der Sachgesetzgebung abzusehen.

Umfassende Regelung von biotechnologischen Erfindungen im Rahmen der laufenden Teilrevision des Patentrechts Die zu regelnden Fragen zur Patentierbarkeit von biotechnologischen Erfindungen im Humanbereich betreffen nicht nur embryonale Stammzellen, sondern umfassen in gleicher Weise den gesamten Bereich der Erfindungen mit biologischem Material menschlichen Ursprungs wie etwa Gene oder Organe. So setzt sich auch die laufende Teilrevision des Patentgesetzes umfassend mit diesem Thema auseinander.

Bereits nach geltendem Patentrecht sind embryonale Stammzellen und Stammzelllinien in ihrem natürlichen Zustand nicht patentierbar. Zudem ist gestützt auf bestehende Verfassungsgrundsätze (vgl. Ziffer 1.4.2) die Patentierung von Embryonen in vitro sowie von Verfahren zum reproduktiven und therapeutischen Klonen menschlicher Lebewesen ausgeschlossen. An diesen Grundsätzen soll im Rahmen der Teilrevision des Patentgesetzes festgehalten werden. Hingegen lässt sich bezüglich der Patentierbarkeit modifizierter embryonaler Stammzellen bzw. Stammzelllinien bisher noch keine eindeutige Auffassung ausmachen. Klar ist jedoch, dass die Patentierung von Forschungsergebnissen in mindestens dem Umfang möglich sein muss, in welchem die gewerbliche Nutzung dieser Ergebnisse zugelassen ist. Umgekehrt ist ebenso klar, dass die Patentierbarkeit kein Präjudiz darstellt
für die Beantwortung der Frage, ob eine solche Nutzung embryonaler Stammzellen und Stammzellinien in der Schweiz zuzulassen sei oder nicht.

Die Klärung der noch offenen Fragen im Zusammenhang mit der Patentierung, auch betreffend der ethischen Aspekte und der Auswirkungen auf die Forschung ist eine Aufgabe, die im Rahmen der weiteren Arbeiten zur Teilrevision des Patentrechtes anzugehen ist. Eine partielle, nur den Bereich der embryonalen Stammzellen betreffende Patentierungsvorschrift würde demgegenüber eine kohärente Regelung der im Zusammenhang mit biotechnologischen Erfindungen aufgeworfenen Fragen gefährden.

Internationale Dimension des Patentrechts Das Patentrecht zeichnet sich durch eine starke internationale Verflechtung aus. Dabei ist zunächst auf das Europäische Patentübereinkommen (EPÜ)121 hinzuweisen, dem auch die Schweiz als Vertragsstaat angehört. Im Weiteren ist die Richtlinie 121

SR 0.232.142.2.

1232

98/44/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 6. Juli 1998 über den rechtlichen Schutz biotechnologischer Erfindungen (Biotechnologie-Richtlinie)122 zu nennen, an die das schweizerische Patentgesetz im Rahmen der laufenden Teilrevision angepasst werden soll.

Ungeachtet des Erlasses der Biotechnologie-Richtlinie, die auch für biotechnologische Erfindungen die Geltung der allgemeinen Patentierungsvoraussetzungen (Neuheit, erfinderische Tätigkeit und gewerbliche Anwendbarkeit) festschreibt und präzisiert, wird die Frage der Patentierbarkeit biotechnologischer Erfindungen auf europäischer Ebene aber immer wieder intensiv und kontrovers diskutiert. Dementsprechend kommt die Umsetzung dieser Richtlinie in das Landesrecht der EU-Staaten nur schleppend voran123. Ein neuer Bestandteil der europäischen Debatte bildet die im Mai 2002 publizierte Stellungnahme der Europäischen Gruppe für Ethik in Naturwissenschaften und neuen Technologien bei der Europäischen Kommission (EGE)124. Nach der Auffassung dieser Gruppe erfüllen sowohl isolierte, nicht veränderte Stammzellen als auch unveränderte Stammzelllinien die Patentierungsvoraussetzungen nicht. Demgegenüber wären veränderte bzw. im Hinblick auf eine spezifische gewerbliche Anwendbarkeit behandelte Stammzelllinien unter Vorbehalt der üblichen patentrechtlichen Voraussetzungen einer Patentierung zugänglich, ebenso wie die angewandten Verfahren im Zusammenhang mit menschlichen Stammzellen.

Eine über die EU hinausgehende und auch die Schweiz betreffende Rechtsvereinheitlichung erfolgte bereits durch das Europäische Patentamt in München (EPA), das die Biotechnologie-Richtlinie in das Regelwerk zum EPÜ integrierte125. Die Rechtspraxis des EPA lässt sich aber noch nicht abschliessend beurteilen. Es gilt hier namentlich die schriftliche Beurteilung zu dem im Juli 2002 ergangenen Entscheid der Einspruchskammer zum Patent Nr. 0695351 der Universität Edinburgh abzuwarten.

Angesichts der internationalen Dimension ist eine für die Schweiz isolierte Betrachtung der Patentierbarkeit von menschlichen (adulten und embryonalen) Stammzellen, Stammzelllinien und der betreffenden Verfahren nicht sachgerecht.

Auswirkungen auf die Forschung Obwohl das Patentrecht gerade die Förderung des technischen Fortschritts und der Innovation bezweckt und obwohl sich der Schutzbereich des Patentrechts nicht auf die Nutzung eines patentierten Gegenstandes zu Forschungszwecken (sog. For-

122 123

ABl. EG L 213 vom 30. Juli 1998, S. 13­21.

Die Frist zur Umsetzung ist in Art. 15 der Richtlinie auf den 30. Juli 2000 festgesetzt. Bis heute haben das Vereinigte Königreich, Irland, Dänemark, Finnland, Griechenland und Spanien die Biotechnologie-Richtlinie ins nationale Recht umgesetzt.

124 Die EGE bewertet gemäss Art. 7 der Biotechnologie-Richtlinie alle ethischen Aspekte im Zusammenhang mit der Biotechnologie und hat damit beratende Funktion. Die Stellungnahme Nr. 16 findet sich unter der Internetadresse http://www.europa.eu.int/comm/european_group_ethics/publications_fr.htm 125 Vgl. auch die Antworten des Bundesrates auf die Interpellationen Gonseth vom 1. März 2000, Europäisches Patentübereinkommen. Uminterpretation (99.3615), und Widmer vom 21. Juni 2001, Problematische Rechtspraxis des Europäischen Patentamtes. Wie reagiert die Schweiz? (01.3353)

1233

schungsprivileg126) erstreckt, wird verschiedentlich eine Forschungsbehinderung durch Patente befürchtet. Auch diese Frage ist im Rahmen der Teilrevision des Patentgesetzes umfassend und nicht nur mit Bezug auf embryonale Stammzellen und Stammzelllinien aufzuarbeiten.

1.10.3.3

Weitere Punkte

Zeitlimite von 14 Tagen für Weiterentwicklung des Embryos Die Bundesverfassung verbietet die Ektogenese (vollständige Aufzucht eines Menschen ausserhalb des Körpers einer Frau), enthält aber keine Zeitlimite für die Weiterentwicklung eines überzähligen Embryos in vitro für Forschungszwecke (vgl.

Ziff. 1.4.2.2.3). Es ist unbestritten, dass die ethischen Bedenken mit Dauer der Weiterentwicklung des Embryos in vitro zunehmen.

Es besteht ein Zusammenhang zwischen dem Geltungsbereich dieses Gesetzesentwurfs und der Grenze für die Weiterentwicklung des Embryos in vitro. Bei einem weiten Geltungsbereich ist aus wissenschaftlicher Sicht eine Zeitlimite von 14 Tagen für die Weiterentwicklung sinnvoll. Vor allem für die Verbesserung des Verfahrens der In-vitro-Fertilisation kann es wichtig sein, den Prozess der Implantation (ca. 5. bis 14. Tag) am Embryo in vitro zu erforschen (vgl. Ziff. 1.3.1.3). Die Grenze des Blastozystenstadiums (ca. 4. bis 7. Tage) wäre lediglich bei einem engen Geltungsbereich sinnvoll.

Die Zeitlimite von 14 Tagen für die Weiterentwicklung von überzähligen Embryonen zu Forschungszwecken kann wie folgt begründet werden: Etwa am 15. Tag nach der Befruchtung beginnt der Primitivstreifen, der die Achsen des Embryos festlegt, erkennbar zu werden. Die Ausbildung des Primitivstreifens stellt den Beginn der Gestaltwerdung dar; von diesem Zeitpunkt an ist auch die Möglichkeit natürlicher Mehrlingsbildung ausgeschlossen (vgl. Ziff. 1.2.2.2.3). Die Bildung des Primitivstreifens ist eine wesentliche Zäsur im Ablauf der Embryonalentwicklung. Diese Tatsache rechtfertigt es, die Forschung an überzähligen Embryonen über den 14. Entwicklungstag hinaus zu verbieten (Art. 2 Abs. 2 Bst. b). Im Übrigen ist darauf hinzuweisen, dass diejenigen Länder, welche die Forschung an Embryonen in vitro erlauben, meist die 14-Tage-Regel als verbindlich erklären (vgl. Ziff. 1.5).

Den ethischen Bedenken gegenüber einer Weiterentwicklung des Embryos kann dadurch Rechnung getragen werden, dass jedes Forschungsprojekt mit überzähligen Embryonen ethisch vertretbar sein muss (Art. 6 Abs. 1 Bst. a und e). Dabei werden die Anforderungen an die ethische Vertretbarkeit eines Forschungsprojekts umso höher, je weiter ein Embryo dafür entwickelt werden muss.

Menschenwürde Der Begriff der Menschenwürde im Zweckartikel des
Gesetzesentwurfs soll aus folgenden Gründen beibehalten werden: Nach schweizerischem Verfassungsrecht hat auch der Embryo in vitro an der Menschenwürde teil, aus der ein grundsätzlicher Anspruch des Embryos auf Schutz seiner Würde fliesst. Dies schliesst indessen eine Abwägung mit anderen hochrangigen Rechtsgütern nicht aus (vgl. Ziff. 1.4.2.1.1).

126

Vgl. Art. 10a des im Rahmen der Teilrevision des Patentgesetzes vom 29. Okt. 2001 vorgeschlagenen Gesetzesentwurfs.

1234

Weiter wird damit klargestellt, dass der vorliegende Gesetzesentwurf ebenso die Würde und Persönlichkeit der Frau und des Mannes, von denen ein überzähliger Embryo stammt, schützen soll (vgl. Ziff. 1.4.2.1.2).

Ethikkommissionen Da bei der Forschung an überzähligen Embryonen und der Gewinnung embryonaler Stammzellen aus solchen Embryonen am Embryo selbst gearbeitet wird (Embryo als Objekt bzw. als Quelle) und daher ein grösseres Missbrauchspotenzial besteht, ist ­ im Vergleich zur Forschung an embryonalen Stammzellen ­ eine striktere, d.h. behördliche Kontrolle vorgesehen. Demgegenüber sind Forschungsprojekte mit bereits gewonnenen embryonalen Stammzellen weniger missbrauchsanfällig, so dass das Erfordernis einer befürwortenden Stellungnahme der zuständigen Ethikkommission als ausreichend erscheint. Die im Gesetzesentwurf vorgesehenen Bewilligungs- und Zustimmungsverfahren basieren auf dieser Differenzierung (siehe für einen Überblick Ziff. 1.11.4).

Für die Beurteilung der Forschungsprojekte mit embryonalen Stammzellen werden dieselben Ethikkommissionen wie für klinische Versuche mit Heilmitteln als zuständig erklärt (vgl. Art. 13). Funktion, Aufgaben und Zuständigkeiten dieser Ethikkommissionen sollen jedoch im Rahmen der Erarbeitung des Humanforschungsgesetzes überprüft werden.

Nach geltendem Recht hat die Nationale Ethikkommission im Bereich der Humanmedizin (NEK-CNE) eine rein beratende Funktion (vgl. Ziff. 1.6.1.1). In dieser Funktion kann die NEK-CNE auch im Bereich der Embryonenforschung herangezogen werden (vgl. Art. 6), nicht jedoch als ordentliches Zustimmungsgremium zu einzelnen Gesuchen in diesem Forschungsbereich.

1.10.3.4

Die wichtigsten Änderungen im Überblick

Nachfolgend werden die wichtigsten Änderungen gegenüber dem Vorentwurf dargestellt (zu den Begründungen siehe Erläuterungen zu den einzelnen Artikeln, Ziff. 2).

Die Nummerierung der Artikel richtet sich nach dem vorliegenden Gesetzesentwurf.

Artikel 2 Buchstabe c: Die Definition wurde insofern präzisiert, als nun auch die Stammzelllinie unter die Legaldefinition der embryonalen Stammzelle fällt.

Artikel 7 Buchstabe c Ziffer 1, Artikel 9 Buchstabe b und Artikel 15 Absatz 2 Buchstabe b: Neu wird eine Berichterstattungspflicht der Forschenden zuhanden des Bundesamtes bzw. der zuständigen Ethikkommission eingeführt.

Artikel 8 Absatz 2 Buchstabe a Ziffer 2: Embryonale Stammzellen sollen für die künftige Forschung nur gewonnen werden dürfen, soweit ein entsprechender Bedarf im Inland besteht.

Artikel 10 Absatz 5: Neu wird die Modalität der Einwilligung für den Fall geregelt, dass der eine Partner des betreffenden Paares verstirbt.

Artikel 18: Es wird eine Meldepflicht für die Aufbewahrung embryonaler Stammzellen eingeführt.

Artikel 28 Absatz 2: Die Übergangsbestimmung nach Artikel 42 Absatz 2 des Fortpflanzungsmedizingesetzes wird geändert. Die Frist zur Aufbewahrung von über1235

zähligen Embryonen, die vor dessen Inkrafttreten angefallen sind, wird von drei auf vier Jahre verlängert. Die Zweckmässigkeit einer Verlängerung dieser Frist wird im Rahmen der parlamentarischen Beratung dieser Bestimmung abzuschätzen sein.

1.11

Grundzüge des Gesetzesentwurfs

1.11.1

Konzept

Embryonen, die für die Forschung ­ namentlich für die Stammzellengewinnung ­ verwendet werden, können auf verschiedenen Wegen entstanden sein. Es ist einerseits denkbar, Embryonen ausdrücklich zu Forschungszwecken, insbesondere durch das Verfahren der In-vitro-Fertilisation oder der Klonierung, herzustellen (vgl.

Ziff. 1.2.3). Andererseits können Embryonen für die Forschung verfügbar werden, die im Rahmen einer fortpflanzungsmedizinischen Behandlung erzeugt, aber aus bestimmten Gründen überzählig geworden sind (vgl. Ziff. 1.2.3.2.2 und 1.4.3.1.2).

Die Bundesverfassung und gestützt darauf das Fortpflanzungsmedizingesetz verbieten den ersten Weg, nämlich die Herstellung von Embryonen zu Forschungszwecken (vgl. Ziff. 1.4.2.2.2, 1.4.3.1.3). Dieser Gesetzesentwurf knüpft daran an und verbietet konsequenterweise auch die Gewinnung und Verwendung embryonaler Stammzellen aus zu Forschungszwecken hergestellten Lebewesen (vgl. Art. 3 Abs. 1). Die Herstellung menschlicher Lebewesen zum Zweck der Gewinnung embryonaler Stammzellen wäre nach schweizerischem Verfassungsverständnis eine unzulässige Instrumentalisierung menschlichen Lebens und würde deswegen gegen die Menschenwürde verstossen (vgl. Ziff. 1.4.2.1.1). Demgegenüber sollen die Forschung an überzähligen Embryonen, die Gewinnung embryonaler Stammzellen aus solchen Embryonen zu Forschungszwecken sowie die Forschung an ­ aus solchen Embryonen gewonnenen ­ embryonalen Stammzellen unter restriktiven Bedingungen erlaubt werden. Dies soll nachfolgend begründet werden; weiter sollen die wichtigsten Bedingungen, die der vorliegende Gesetzesentwurf festschreibt, dargestellt werden.

Der Gesetzesentwurf legt das Schwergewicht auf die Frage des Umgangs mit überzähligen Embryonen und mit aus solchen Embryonen gewonnenen embryonalen Stammzellen. Die Frage des Umgangs mit neuen Verfahren zur Gewinnung embryonaler Stammzellen soll ­ soweit diese nicht gegen die bestehenden Verbote der Bundesverfassung wie namentlich das Klonverbot verstossen ­ im Humanforschungsgesetz (vgl. Ziff. 1.1) angegangen werden. Ein solches neues Verfahren könnte vielleicht in Zukunft die Parthenogenese sein, bei der nach heutigem Wissensstand unklar ist, ob sich daraus ein Mensch entwickeln könnte (dazu Ziff. 1.2.3.4).

1.11.2

Begründung

Nach schweizerischem Verfassungsrecht hat auch der Embryo in vitro, also auch der überzählige, einen grundsätzlichen Anspruch auf Schutz seiner Würde. Indessen schliesst dies eine Güterabwägung mit anderen hochrangigen Rechtsgütern nicht aus (vgl. Ziff. 1.4.2.1.1). In ethischer Hinsicht beruht der vorliegende Gesetzesentwurf auf dem Respektmodell (vgl. Ziff. 1.6.1.2). Nach diesem Modell ist auch der überzählige Embryo respektvoll zu behandeln, weil er einen Eigenwert besitzt. Eine In1236

strumentalisierung des überzähligen Embryos kann bei Vorliegen eines wichtigen Grundes mit dem Respekt dem Embryo gegenüber vereinbar sein. Eine Güterabwägung zwischen der Schutzwürdigkeit des Embryos und anderen hohen Werten ist somit zulässig.

Die Zulassung der Forschung an überzähligen Embryonen und der Gewinnung embryonaler Stammzellen aus solchen Embryonen soll wie folgt begründet werden: Bei einem überzähligen Embryo fehlen die Voraussetzungen dafür, dass er zu einem Menschen heranwachsen kann. Ein solcher Embryo hat nach geltendem Recht keine Überlebenschance, d.h. man muss ihn absterben lassen (vgl. Ziff. 1.4.3.1.2). Wegen dieser besonderen Situation einerseits und wenn andererseits mit einem Forschungsprojekt hochrangige, auf alternativem Weg nicht erreichbare Forschungsziele verfolgt werden, kann Forschung an überzähliger Embryonen, einschliesslich der Gewinnung embryonaler Stammzellen, grundsätzlich gerechtfertigt werden.

1.11.3

Bedingungen

1.11.3.1

Verwendung überzähliger Embryonen zu Forschungszwecken

Bedingungen für die Forschung an überzähligen Embryonen und die Gewinnung embryonaler Stammzellen zu Forschungszwecken Nachfolgend sollen die wichtigsten Bedingungen aufgeführt werden: ­

Ein überzähliger Embryo darf nicht gegen Entgelt veräussert oder erworben werden (Art. 4 Abs. 1). Es besteht das Gebot der Unentgeltlichkeit.

­

Die Verwendung überzähliger Embryonen zu Forschungszwecken birgt Gefahren des Missbrauchs. Sie soll deswegen nur unter kontrollierten Bedingungen zugelassen werden. Entsprechend führt der Gesetzesentwurf eine Bewilligungspflicht auf Bundesebene ein (Art. 5 und 8).

­

Grundvoraussetzung für die Verwendung überzähliger Embryonen zu Forschungszwecken ist die freie und schriftliche Einwilligung nach hinreichender Aufklärung des betroffenen Paares (Art. 10). Paare, die der Embryonenforschung gegenüber eine ablehnende Einstellung haben, müssen dies durch Nichteinwilligung zum Ausdruck bringen können. Ohne eine gültige Einwilligung darf ein überzähliger Embryo nicht zu Forschungszwecken verwendet werden.

­

Die Unabhängigkeit der Forschung an überzähligen Embryonen bzw. der Gewinnung embryonaler Stammzellen einerseits und der fortpflanzungsmedizinischen Behandlung des betreffenden Paares andererseits ist sicherzustellen (Art. 11).

­

Ein überzähliger Embryo darf nicht über den 14. Tag hinaus entwickelt werden. Ebenso wenig darf ein zu Forschungszwecken verwendeter überzähliger Embryo auf eine Frau übertragen werden (Art. 3 Abs. 2).

­

Es darf nur das Minimum an überzähligen Embryonen gebraucht werden, das zur Erreichung des Forschungsziels bzw. zur Stammzellengewinnung zwingend nötig ist (Art. 6 Abs. 1 und Bst. b und Art. 8 Abs. 2 Bst. b).

1237

­

Nach Abschluss der Forschungsarbeiten bzw. der Stammzellengewinnung ist der überzählige Embryo sofort zu vernichten (Art. 7 Bst. a und Art. 9 Bst. a).

Weitere Bedingungen für Forschung an überzähligen Embryonen Forschung an überzähligen Embryonen setzt weiter insbesondere voraus (vgl. Art. 6 und 7): ­

Nach dem Prinzip der Subsidiarität darf an überzähligen Embryonen nur geforscht werden, wenn gleichwertige Erkenntnisse nicht auch auf anderem Weg, zum Beispiel durch Forschung an bereits bestehenden embryonalen Stammzellen, erreicht werden können.

­

Der Verbrauch von überzähligen Embryonen lässt sich nur rechtfertigen, wenn das konkrete Forschungsprojekt wesentliche Ziele verfolgt.

­

Es sind nur bestimmte Forschungsziele überhaupt zulässig. Es handelt sich um die beiden folgenden Zielsetzungen: ­ Verbesserung der Verfahren der medizinisch unterstützten Fortpflanzung, insbesondere der In-vitro-Fertilisation. Da die In-vitro-Fertilisation in der Schweiz grundsätzlich erlaubt ist, soll auch die Forschung mit dem Ziel ihrer Verbesserung, zum Beispiel der Erhöhung ihrer heute noch immer relativ niedrigen Erfolgsrate (vgl. Ziff. 1.2.3.2.2), grundsätzlich erlaubt werden.

­ Erweiterung des Wissens über die Entwicklungsbiologie des Menschen.

­

Ein Forschungsprojekt mit überzähligen Embryonen muss die Kriterien wissenschaftlicher Qualität erfüllen und ethisch vertretbar sein.

­

Nach Abschluss oder Abbruch des Forschungsprojekts ist eine Zusammenfassung der Forschungsergebnisse öffentlich zugänglich zu machen.

Weitere Bedingungen für die Gewinnung embryonaler Stammzellen Die Gewinnung embryonaler Stammzellen aus überzähligen Embryonen verlangt insbesondere weiter (vgl. Art. 8 und 9): ­

Embryonale Stammzellen dürfen nur für Forschungszwecke gewonnen werden, nicht aber für kommerzielle Zwecke.

­

Sie dürfen gewonnen werden im Rahmen eines konkreten Forschungsprojektes; für künftige Forschung nur, falls ein Bedarf dafür im Inland besteht.

­

Die Stammzelllinien sind weiterzugeben für im Inland durchgeführte Forschungsprojekte, für die eine befürwortende Stellungnahme der zuständigen Ethikkommission vorliegt.

1.11.3.2

Forschung an embryonalen Stammzellen

Für die Forschung an embryonalen Stammzellen gelten insbesondere die folgenden Bedingungen (vgl. Art. 13 bis 15): ­

1238

Embryonale Stammzellen dürfen nicht gegen Entgelt veräussert oder erworben werden (Art. 4). Es besteht das Gebot der Unentgeltlichkeit.

­

Nach dem Prinzip der Subsidiarität darf an embryonalen Stammzellen nur geforscht werden, wenn gleichwertige Erkenntnisse nicht auch auf anderem Weg, zum Beispiel durch Forschung an adulten Stammzellen, erreicht werden können.

­

Es sind nur bestimmte Forschungsziele zulässig. Es handelt sich um die beiden folgenden Zielsetzungen: ­ Gewinnung von Erkenntnissen im Hinblick auf Feststellung, Behandlung oder Verhinderung von schweren Krankheiten; ­ Erweiterung des Wissens über die Entwicklungsbiologie des Menschen.

­

Ein Forschungsprojekt mit embryonalen Stammzellen muss die Kriterien wissenschaftlicher Qualität erfüllen und ethisch vertretbar sein.

­

Ein Forschungsprojekt darf erst durchgeführt werden, wenn eine befürwortende Stellungnahme der zuständigen Ethikkommission vorliegt.

­

Nach Abschluss oder Abbruch des Projekts ist eine Zusammenfassung der Forschungsergebnisse öffentlich zugänglich zu machen.

1.11.3.3

Zulässigkeit des Imports von überzähligen Embryonen und embryonalen Stammzellen?

Der Gesetzesentwurf löst die Frage des Imports unterschiedlich, je nachdem ob es sich um überzählige Embryonen oder um embryonale Stammzellen handelt.

Der Import von überzähligen Embryonen für die Forschung soll verboten werden (Art. 3 Abs. 2). Die Bundesverfassung gebietet, die Anzahl der überzähligen Embryonen in der Schweiz möglichst klein zu halten (vgl. Ziff. 1.4.2.2.3). Es kann aus diesem Grund nicht angehen, überzählige Embryonen aus dem Ausland einzuführen.

Für den Import von embryonalen Stammzellen soll eine Bewilligungspflicht eingeführt werden (Art. 17). Die Importbewilligung setzt insbesondere voraus, dass die embryonalen Stammzellen aus überzähligen Embryonen und nicht etwa aus einem zu Forschungszwecken hergestellten Embryo stammen. Auch muss das betroffene Paar seine Einwilligung in die Verwendung des Embryos zu Forschungszwecken gegeben und darf dafür kein Entgelt erhalten haben.

1.11.4

Bewilligungs-, Zustimmungs- und Meldeverfahren

Die folgende Tabelle zeigt im Überblick auf, für welche Tätigkeiten welche Bewilligungs-, Zustimmungs- oder Meldeverfahren vorgesehen sind: Tätigkeit

Gesetzesgrundlage

Verfahren

Behörde

A

Forschung an überzähligen Embryonen

Art. 5­7

Bewilligung

Bundesamt für Gesundheit

B

Gewinnung von embryonalen Stammzellen

Art. 8­9

Bewilligung

Bundesamt für Gesundheit

1239

Tätigkeit

Gesetzesgrundlage

Verfahren

Behörde

C

Forschung an überzähligen Embryonen und Gewinnung von embryonalen Stammzellen

Art. 5 ff.

und 8 f.

Bewilligung

Bundesamt für Gesundheit

D

Forschung an embryonalen Stammzellen

Art. 13­15

Zustimmung/ Meldung

Lokale Ethikkommission/ Bundesamt für Gesundheit

E

Forschung an überzähligen Embryonen und Forschung an embryonalen Stammzellen

Art. 5 ff.

und 13 ff.

Bewilligung/ Zustimmung/ Meldung

Bundesamt für Gesundheit/ lokale Ethikkommission

F

Gewinnung von embryonalen Stammzellen und Forschung an embryonalen Stammzellen

Art. 8 f.

und 13 ff.

Bewilligung/ Zustimmung

Bundesamt für Gesundheit/ Lokale Ethikkommission

G

Ein- und Ausfuhr embryonaler Stammzellen

Art. 17

Bewilligung

Bundesamt für Gesundheit

H

Aufbewahrung überzähliger Embryonen

Art. 12

Bewilligung

Bundesamt für Gesundheit

I

Aufbewahrung embryonaler Stammzellen

Art. 18

Meldung

Bundesamt für Gesundheit

Zu A: Forschung an überzähligen Embryonen Ein Forschungsprojekt mit überzähligen Embryonen setzt eine Bewilligung des Bundesamtes für Gesundheit voraus (Art. 5).

Zu B: Gewinnung embryonaler Stammzellen Auch die Gewinnung von embryonalen Stammzellen setzt eine Bewilligung des Bundesamtes für Gesundheit voraus (Art. 8).

Zu C: Forschung an überzähligen Embryonen und Gewinnung embryonaler Stammzellen Diese Variante betrifft den Fall, dass ein Forschungsprojekt über die Gewinnung embryonaler Stammzellen durchgeführt wird, d.h. mit der Gewinnung der embryonalen Stammzellen sollen zugleich wissenschaftliche Erkenntnisse über deren Gewinnung erlangt werden. In diesem Fall, einer Kombination von Variante A und B, muss je eine Bewilligung nach den Artikeln 5 und 8 eingeholt werden. Beide Bewilligungen werden von derselben Behörde, d.h. vom Bundesamt für Gesundheit, erteilt, so dass auch die beiden Bewilligungsverfahren materiell und formell koordiniert werden können.

1240

Zu D: Forschung an embryonalen Stammzellen Ein Forschungsprojekt mit embryonalen Stammzellen setzt eine befürwortende Stellungnahme der zuständigen Ethikkommission nach Artikel 57 des Heilmittelgesetzes voraus (Art. 13). Ausserdem ist das betreffende Forschungsprojekt dem Bundesamt für Gesundheit zu melden (Art. 15).

Zu E: Forschung an überzähligen Embryonen und Forschung an embryonalen Stammzellen In diesem Fall soll ein Forschungsprojekt an embryonalen Stammzellen im Embryo in vitro durchgeführt werden (vgl. Ziff. 1.3.1.2). Die Projektleitenden müssen nach Variante A und D vorgehen. Sie müssen eine Bewilligung nach Artikel 5 und eine befürwortende Stellungnahme der zuständigen Ethikkommission nach Artikel 13 einholen.

Zu F: Gewinnung embryonaler Stammzellen und Forschung an embryonalen Stammzellen In diesem Fall sollen die embryonalen Stammzellen für ein konkretes Forschungsprojekt gewonnen werden. Die Projektleitenden müssen nach Variante B und D vorgehen, d.h. sie müssen eine Bewilligung nach Artikel 8 und eine befürwortende Stellungnahme der zuständigen Ethikkommission nach Artikel 13 einholen.

Zu G: Ein- und Ausfuhr embryonaler Stammzellen Die Ein- oder Ausfuhr embryonaler Stammzellen setzt eine Bewilligung des Bundesamtes für Gesundheit voraus (Art. 17).

Zu H: Aufbewahrung überzähliger Embryonen Die Aufbewahrung überzähliger Embryonen setzt eine Bewilligung des Bundesamtes für Gesundheit voraus (Art. 12). Dafür wird unter anderem verlangt, dass ein Forschungsprojekt nach Artikel 5 oder eine Stammzellengewinnung nach Artikel 8 bewilligt ist. In beiden Fällen muss die Bewilligung beim Bundesamt eingeholt werden, so dass die Koordination der verschiedenen Bewilligungsverfahren sichergestellt werden kann.

Zu I: Aufbewahrung embryonaler Stammzellen Die Aufbewahrung embryonaler Stammzellen ist dem Bundesamt für Gesundheit zu melden (Art. 18).

1241

2

Besonderer Teil: Erläuterungen zu den einzelnen Artikeln

Im Ingress ist die verfassungsrechtliche Grundlage (Art. 119 Abs. 2 der Bundesverfassung) genannt, auf die sich das Embryonenforschungsgesetz abstützt.

2.1

1. Kapitel: Allgemeine Bestimmungen

2.1.1

Gegenstand, Zweck und Geltungsbereich (Art. 1)

Mit diesem Gesetz sollen die Voraussetzungen festgelegt werden, unter denen überzählige menschliche Embryonen und menschliche embryonale Stammzellen zu Forschungszwecken verwendet werden dürfen (Abs. 1).

Zweck des Gesetzes ist nach Absatz 2 einerseits, den missbräuchlichen Umgang mit überzähligen menschlichen Embryonen und mit menschlichen embryonalen Stammzellen zu verhindern, andererseits die Menschenwürde (siehe zu diesem Begriff Ziff. 1.4.2.1.1) zu schützen. Dabei geht es nicht nur um den Schutz der Würde des Embryos ­ als frühestes menschliches Leben ­, sondern auch um die Würde der Frau und des Mannes, von denen ein überzähliger Embryo stammt. Insbesondere die Verbote im Umgang mit Embryonen und mit embryonalen Stammzellen stehen im Dienst sowohl der Verhinderung von Missbräuchen als auch des Schutzes der Menschenwürde (siehe Art. 3 und 4).

Der vorliegende Gesetzesentwurf gilt nicht für die Verwendung menschlicher embryonaler Stammzellen zu Transplantationszwecken im Rahmen klinischer Versuche (Abs. 3). Die Gewinnung embryonaler Stammzellen im Hinblick auf klinische Versuche richtet sich nach diesem Gesetz, während deren Transplantation im Rahmen eines klinischen Versuchs in den Geltungsbereich des zukünftigen Transplantationsgesetzes fällt127. Bis zu dessen Inkrafttreten gilt für die entsprechende Forschung der Bundesbeschluss vom 22. März 1996 über die Kontrolle von Transplantaten (vgl.

Ziff. 1.4.3.2).

2.1.2

Begriffe (Art. 2)

Bei den nachfolgenden Begriffsbestimmungen handelt es sich um Legaldefinitionen, die nicht immer vollständig mit den naturwissenschaftlichen Begriffsbestimmungen übereinstimmen müssen.

Buchstabe a definiert den Embryo ­ gleich wie das Fortpflanzungsmedizingesetz (Art. 2 Bst. i) ­ als Frucht von der Kernverschmelzung bis zum Abschluss der Organentwicklung. Er weist somit keinen eigenen materiellen Gehalt auf, der über das Fortpflanzungsmedizingesetz hinausginge.

127

Siehe Botschaft vom 12. Sept. 2001 zum Bundesgesetz über die Transplantation von Organen, Geweben und Zellen (Transplantationsgesetz), BBl 2002 29 ff.

1242

Nach Buchstabe b gilt als überzähliger Embryo ein nach den Vorschriften des Fortpflanzungsmedizingesetzes erzeugter Embryo in vitro, der nicht zur Herbeiführung einer Schwangerschaft verwendet, d.h. aus bestimmten Gründen nicht auf die Frau übertragen werden kann. Er hat deswegen nach geltendem Recht keine Überlebenschance (dazu Ziff. 1.4.3.1.2).

Die embryonale Stammzelle wird definiert als Zelle aus einem Embryo in vitro, die sich in alle verschiedenen Zelltypen zu differenzieren, aber nicht zu einem Menschen zu entwickeln vermag (Bst. c). Embryonale Stammzellen werden als pluripotent bezeichnet (vgl. Ziff. 1.2.1.2 und 1.3.2.2). Wegen der nicht mehr vorhandenen Fähigkeit, sich zu einem Menschen zu entwickeln, handelt es sich dabei nicht um totipotente Zellen (siehe Ziff. 1.3.2.2). Der vorliegende Gesetzesentwurf stellt den embryonalen Stammzellen alle Zellen gleich, die aus einer nativen embryonalen Stammzelle gezüchtet werden. Es werden somit neben den nativen embryonalen Stammzellen auch alle embryonalen Zellen einer vermehrten und kultivierten Stammzelllinie unter Buchstabe c gefasst; dies gilt unabhängig davon, ob sie verändert sind oder nicht.

2.1.3

Verbotene Handlungen (Art. 3)

Embryonale Stammzellen werden aus Embryonen in vitro gewonnen, wobei diese auf unterschiedlichem Weg entstehen können, so durch das Verfahren der In-vitroFertilisation oder der Klonierung (dazu Ziff. 1.2.3). Nach dem vorliegenden Gesetzesentwurf dürfen embryonale Stammzellen nur aus überzähligen Embryonen gewonnen werden (vgl. Art. 8).

Absatz 1 soll verhindern, dass embryonale Stammzellen aus anderen als überzähligen Embryonen gewonnen oder solche embryonale Stammzellen in der Forschung verwendet werden. Er knüpft an bestimmte Verbotsnormen des Fortpflanzungsmedizingesetzes an (dazu Ziff. 1.4.3.1.3), die Artikel 119 Absatz 2 der Bundesverfassung (dazu Ziff. 1.4.2.2) ausführen. Danach ist es verboten, einen Embryo zu Forschungszwecken zu erzeugen (Art. 29 Abs. 1 FMedG) oder einen Klon, eine Chimäre oder eine Hybride zu bilden (Art. 36 Abs. 1 FMedG; siehe zum Begriff des Klons Ziff. 1.2.3.3.1, zu den Begriffen der Chimäre und der Hybride Ziff. 1.4.2.2.2). Ebenso ist untersagt, verändernd ins Erbgut einer Keimbahnzelle einzugreifen (Art. 35 Abs. 1 FMedG); zu den Keimbahnzellen gehören Ei- und Samenzellen, imprägnierte Eizellen und embryonale (totipotente) Zellen, deren genetisches Material an Nachkommen weitervererbt werden kann (Art. 2 Bst. f FMedG). Diese Verbote des Fortpflanzungsmedizingesetzes werden in der vorliegenden Bestimmung wiederholt; sie weisen somit ­ im vorliegenden Gesetz ­ keinen eigenen materiellen Gehalt auf. Ihre Wiederholung ist jedoch sinnvoll, weil die Verbote in dieser Bestimmung direkt darauf Bezug nehmen.

Mit dieser Bestimmung sollen die Verbote des Fortpflanzungsmedizingesetzes präzisiert werden: Es ist nicht nur verboten, einen Embryo zu Forschungszwecken zu erzeugen, verändernd ins Erbgut eines Embryos einzugreifen oder einen Klon, eine Chimäre oder eine Hybride zu bilden, sondern aus solchen Lebewesen dürfen auch keine embryonale Stammzellen gewonnen und solche embryonale Stammzellen dürfen nicht verwendet werden; ebenso dürfen solche Lebewesen nicht ein- oder ausgeführt werden (Bst. a bis d). Diese Bestimmung stellt auf Gesetzesstufe aus1243

drücklich klar, dass nicht nur die Bildung eines Klons, sondern auch die Gewinnung embryonaler Stammzellen aus einem solchen Lebewesen, d.h. das therapeutische Klonen (siehe zu diesem Begriff Ziff. 1.2.3.3.3), verboten ist.

Einer Klärung bedarf es mit Bezug auf das Verbot des (verändernden) Eingriffs in das Erbgut von Embryonen: Es ist zwar verboten, aus entsprechend veränderten Embryonen Stammzellen zu gewinnen und zu verwenden. Nicht verboten ist hingegen der verändernde Eingriff in das Erbgut von embryonalen Stammzellen, weil eine solche Veränderung ­ embryonale Stammzellen sind pluri- und nicht totipotent (siehe Erläuterungen zu Art. 2) ­ nicht weitervererbt werden könnte.

Absatz 2 legt absolute Schranken im Umgang mit überzähligen Embryonen in der Forschung fest: Erstens ist es nach Buchstabe a verboten, überzählige Embryonen zu Forschungszwecken ­ zum Beispiel im Hinblick auf die Stammzellengewinnung ­ zu importieren oder auch zu exportieren. Dieses Verbot ist vor dem Hintergrund des in Artikel 119 Absatz 2 Buchstabe c der Bundesverfassung statuierten Gebots zu verstehen, die Anzahl der überzähligen Embryonen in der Schweiz zu minimieren (vgl.

Ziff. 1.4.2.2.2).

Zweitens verbietet Buchstabe b, einen überzähligen Embryo über den 14. Tag hinaus sich entwickeln zu lassen. Die Verwendung von überzähligen Embryonen zu Forschungszwecken ist folglich nur innerhalb einer eng begrenzten Zeitspanne erlaubt. Auch dieses Verbot der weitergehenden Aufzucht von Embryonen ausserhalb des Körpers der Frau lässt sich aus Artikel 119 Absatz 2 Buchstabe c der Bundesverfassung ableiten (vgl. Ziff. 1.4.2.2.3). Der Embryo darf im Rahmen eines Fortpflanzungsverfahrens ausserhalb des Körpers der Frau nur so weit entwickelt werden, als es für die Einnistung in der Gebärmutter unerlässlich ist (Art. 17 Abs. 2 und Art. 30 Abs. 1 FMedG). Wie zu Artikel 12 näher ausgeführt, endet das Fortpflanzungsverfahren mit der Feststellung der Überzähligkeit eines Embryos. Es ist zulässig, solche Embryonen unter bestimmten Bedingungen (vgl. Art. 5 ff.) der Forschung zuzuführen. Sie dürfen, soweit dies im Rahmen des betreffenden Forschungsprojektes notwendig ist, weiterentwickelt werden, aber eben höchstens bis zum Abschluss des 14. Tages ihrer Entwicklung.

Drittens darf nach Buchstabe c ein überzähliger Embryo, der zu Forschungszwecken
verwendet wird, keinesfalls auf eine Frau übertragen werden. Ein solcher Embryo ist nach Abschluss der Forschungsarbeiten bzw. nach der Stammzellengewinnung sofort zu vernichten (vgl. Art. 7 Bst. a bzw. Art. 9 Bst. a).

Die in dieser Bestimmung verankerten Verbote werden mit einer Strafbestimmung abgesichert (Art. 25 Abs. 1 Bst. a und b).

2.1.4

Unentgeltlichkeit (Art. 4)

Das Gebot der Unentgeltlichkeit ergibt sich aus der Bundesverfassung (Art. 119 Abs. 2 Bst. e; vgl. Ziff. 1.4.2.2.2). Gestützt darauf stellt das Fortpflanzungsmedizingesetz die entgeltliche Veräusserung oder den entgeltlichen Erwerb von menschlichem Keimgut oder von Erzeugnissen aus Embryonen oder Föten unter Strafe (Art. 32 Abs. 2 FMedG). Dieses Verbot erfasst generell die Veräusserung und den Erwerb gegen Entgelt. Mit dem vorliegenden Gesetzesentwurf soll dieses allgemeine 1244

Verbot im Hinblick auf die Verwendung überzähliger Embryonen und embryonaler Stammzellen zu Forschungszwecken präzisiert werden.

Absatz 1 verbietet, überzählige Embryonen bzw. veränderte oder unveränderte embryonale Stammzellen, einschliesslich Stammzelllinien (vgl. betr. Definition der embryonalen Stammzelle Art. 2 Bst. c), gegen Entgelt zu veräussern oder zu erwerben. Diese Bestimmung verankert das Gebot der Unentgeltlichkeit, das ein Handelsverbot mit einschliesst. Das Gebot der Unentgeltlichkeit wird dadurch verstärkt, dass überzählige Embryonen oder embryonale Stammzellen, die gegen Entgelt erworben worden sind, nicht zu Forschungszwecken verwendet werden dürfen (Abs. 2).

Das Gebot der Unentgeltlichkeit bedeutet, dass das Paar, das einen überzähligen Embryo für die Forschung zur Verfügung stellen will, dies ohne Gegenleistung tun muss. Ebenso darf die oder der Forschende keine Gegenleistung dafür erbringen, dass sie oder er einen solchen Embryo für Forschungszwecke verwenden darf. Damit soll ausgeschlossen sein, dass überzählige Embryonen als solche verkauft oder gekauft werden. Das Verbot erfasst aber nicht nur geldwerte Leistungen, sondern auch die Gewährung oder Entgegennahme anderer Vorteile wie zum Beispiel Naturalien oder Vorzugsbehandlungen (Abs. 3). Die Entschädigung für allfällige Aufwendungen, die dem Paar im Zusammenhang mit dem Überlassen eines überzähligen Embryos für Forschungszwecke entstehen können, ist davon nicht betroffen.

Nach Absatz 4 gilt das Gebot der Unentgeltlichkeit nicht für die Entschädigung, die sich aus Aufbewahrung oder Weitergabe überzähliger Embryonen bzw. aus Gewinnung, Bearbeitung (einschliesslich Veränderung), Aufbewahrung oder Weitergabe embryonaler Stammzellen ergibt. Nicht unter das Verbot fallen somit Entschädigungen für diejenigen Tätigkeiten, die in direktem Zusammenhang mit der Gewinnung, Bearbeitung, Aufbewahrung oder Weitergabe stehen, wobei darin jedoch kein Ersatz für das «Ausgangsmaterial» enthalten sein darf. Die Aufzählung der Tätigkeitsbereiche, die nicht unter das Gebot der Unentgeltlichkeit fallen, ist abschliessend.

Das Gebot der Unentgeltlichkeit wird mit einer Strafbestimmung abgesichert (Art. 25 Abs. 1 Bst. c).

2.2

2. Kapitel: Umgang mit überzähligen Embryonen

2.2.1

1. Abschnitt: Forschung an überzähligen Embryonen

2.2.1.1

Bewilligungspflicht (Art. 5)

Der Umgang mit überzähligen Embryonen zu Forschungszwecken soll nur unter kontrollierten Bedingungen erlaubt werden. Dementsprechend darf nach Absatz 1 ein Forschungsprojekt mit überzähligen Embryonen nur durchführen, wer über eine Bewilligung des Bundesamtes für Gesundheit verfügt. Die Bewilligungspflicht gilt unabhängig davon, ob das Forschungsprojekt an einer privaten oder einer öffentlichen Einrichtung durchgeführt werden soll.

Nach Absatz 2 wird eine Bewilligung für die Durchführung eines Forschungsprojekts mit überzähligen Embryonen dann erteilt, wenn neben den wissenschaftlichen und ethischen Anforderungen nach Artikel 6 die fachlichen und betrieblichen Voraussetzungen erfüllt sind. Die oder der Forschende und ihr oder sein Personal (z.B.

Laborpersonal) müssen einerseits die fachlichen Qualifikationen dafür mitbringen, 1245

das Forschungsprojekt erfolgreich durchzuführen. Andererseits müssen die zur Durchführung des Forschungsprojekts erforderlichen Räumlichkeiten und Ausrüstungsgegenstände zur Verfügung stehen. Damit soll verhindert werden, dass gut konzipierte Forschungsprojekte an der konkreten Durchführung scheitern und dadurch unnötigerweise überzählige Embryonen verbraucht werden.

2.2.1.2

Wissenschaftliche und ethische Anforderungen (Art. 6)

Diese Bestimmung legt fest, welche Anforderungen ein Forschungsprojekt mit überzähligen Embryonen in wissenschaftlicher und ethischer Hinsicht erfüllen muss. Die Bewilligung für die Durchführung eines Forschungsprojekts mit überzähligen Embryonen wird nur erteilt, wenn sämtliche der in Absatz 1 Buchstabe a bis e aufgeführten Voraussetzungen erfüllt sind.

Forschung an überzähligen Embryonen kann beispielsweise dazu beitragen, die Erfolgsrate der In-vitro-Fertilisation zu verbessern oder die frühe Embryonalentwicklung besser zu verstehen (dazu Ziff. 1.3.1.2/3).

Erstens ist ein Forschungsprojekt aber nur dann zulässig, wenn es wesentliche Erkenntnisse entweder mit Blick auf eine Verbesserung der Verfahren der medizinisch unterstützten Fortpflanzung, insbesondere der In-vitro-Fertilisation, oder über die Entwicklungsbiologie des Menschen erwarten lässt (Bst. a). Unter die zweite Kategorie würde auch ein Forschungsprojekt fallen, mit dem wesentliche Erkenntnisse über die Gewinnung embryonaler Stammzellen (siehe dazu Art. 8) erlangt werden sollen. In diesem Zusammenhang ist klar darauf hinzuweisen, dass für ein Forschungsprojekt mit dem Ziel der Verbesserung der Präimplantationsdiagnostik (vgl.

Ziff. 1.3.1.4), die nach Artikel 5 Absatz 3 des Fortpflanzungsmedizingesetzes verboten ist, in der Schweiz keine Bewilligung erteilt würde.

Ein Forschungsprojekt mit überzähligen Embryonen darf also nicht einem beliebigen Erkenntnisziel dienen; die beiden legitimen Forschungsziele sind abschliessend umschrieben. Ebenso genügt es nicht, wenn ein Forschungsprojekt lediglich bezweckt, Erkenntnisse zu gewinnen; es muss sich um wesentliche bzw. hochrangige Erkenntnisse handeln. Ob mit einem Forschungsprojekt wesentliche Erkenntnisse angestrebt werden oder nicht, ist Gegenstand sowohl der wissenschaftlichen als auch der ethischen Überprüfung eines Projekts.

Die Durchführung eines Forschungsprojekts setzt zweitens voraus, dass gleichwertige Erkenntnisse nicht auch auf anderem Weg als unter Einbezug von überzähligen Embryonen gewonnen werden können (Bst. b). Damit wird das Prinzip der Subsidiarität verankert: Mit überzähligen Embryonen darf nur geforscht werden, wenn kein gleichwertiges Verfahren des Erkenntnisgewinns besteht, d.h. wenn gleichwertige Erkenntnisse nicht auch etwa durch Forschung mit tierischem
biologischem Material oder an bereits bestehenden embryonalen Stammzellen erlangt werden können. Ob ein Forschungsprojekt diese zweite Voraussetzung erfüllt, ist vor allem im Rahmen seiner wissenschaftlichen Beurteilung zu prüfen, betrifft aber auch die ethische Beurteilung.

1246

Drittens dürfen im Rahmen eines Forschungsprojekts nur so viele Embryonen gebraucht werden, als zur Erreichung des konkreten Forschungsziels unbedingt erforderlich sind (Bst. c). Damit soll in erster Linie sichergestellt werden, dass Forschende die Möglichkeiten der Technik voll ausschöpfen, um mit einem Minimum an überzähligen Embryonen auszukommen.

Keinesfalls liesse sich rechtfertigen, überzählige Embryonen für ein Forschungsprojekt zur Verfügung zu stellen, das den Kriterien wissenschaftlicher Qualität nicht entspricht, zum Beispiel weil es nicht auf dem neusten Stand der Wissenschaft beruht. Dementsprechend wird viertens gefordert, dass Forschungsprojekte den wissenschaftlichen Qualitätsanforderungen genügen müssen (Bst. d).

Fünftens dürfen nur ethisch vertretbare Forschungsprojekte durchgeführt werden (Bst. e). Für die Beurteilung der ethischen Vertretbarkeit eines Forschungsprojekts bedarf es insbesondere einer Güterabwägung. So muss zum Beispiel beurteilt werden, ob die Konzeption eines Forschungsprojekts, namentlich Fragestellung und Ziele, es rechtfertigen, überzählige Embryonen zu Forschungszwecken zu verwenden.

Nach Absatz 2 zieht das Bundesamt für Gesundheit für die wissenschaftliche und ethische Beurteilung eines Forschungsprojekts unabhängige Expertinnen oder Experten bzw. unabhängigen Gremien bei. Es wurde bewusst keine «KannFormulierung» gewählt, d.h. das Bundesamt hat unabhängige Expertinnen oder Experten bzw. Gremien heranziehen, darf also nicht nach eigenem Ermessen darauf verzichten. Ist ein mit Bundesmitteln finanziertes Forschungsprojekt in wissenschaftlicher Hinsicht bereits vom Schweizerischen Nationalfonds zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung beurteilt worden, kann eine weitere wissenschaftliche Überprüfung wegfallen. Für die ethische Beurteilung von Forschungsprojekten mit überzähligen Embryonen kommen hauptsächlich die lokalen Ethikkommissionen in Frage (vgl. auch Art. 13). Bei Forschungsprojekten von grundsätzlicher oder beispielhafter Bedeutung ist es möglich, für die ethische Beurteilung die Nationale Ethikkommission im Bereich der Humanmedizin (NEK-CNE) anzufragen. Im Übrigen ist die NEK-CNE befugt, Richtlinien für die ethische Beurteilung von Forschungsprojekten mit überzähligen Embryonen zu erarbeiten (vgl. Art. 28 des Fortpflanzungsmedizingesetzes in Verbindung mit Art. 1 der Verordnung über die nationale Ethikkommission im Bereich der Humanmedizin128).

2.2.1.3

Pflichten der Inhaberin oder des Inhabers der Bewilligung (Art. 7)

Diese Bestimmung legt Pflichten der Inhaberin oder des Inhabers einer Bewilligung für die Durchführung eines Forschungsprojekts mit überzähligen Embryonen fest.

Erstens muss die Inhaberin oder der Inhaber der Bewilligung dafür sorgen, dass der Embryo nach Beendigung der Forschungsarbeiten sofort vernichtet wird (Bst. a). Sie oder er darf also mit der Vernichtung nicht bis zum Abschluss des Forschungsprojekts zuwarten; dieses dauert in aller Regel länger als die eigentlichen Forschungsarbeiten.

128

SR 814.903.

1247

Damit das Bundesamt für Gesundheit Kenntnis davon hat, ob ein Forschungsprojekt mit überzähligen Embryonen noch läuft, ist ihm zweitens der vorzeitige Abbruch eines Forschungsprojekts oder dessen Abschluss zu melden (Bst. b).

Drittens ist nach Abschluss des Forschungsprojekts, aber auch nach dessen vorzeitigem Abbruch, innert nützlicher Frist zum einen dem Bundesamt über die Ergebnisse Bericht zu erstatten, zum andern eine Zusammenfassung der Ergebnisse öffentlich zugänglich zu machen (Bst. c). Die Verwendung überzähliger Embryonen zu Forschungszwecken lässt sich nur rechtfertigen, wenn die Ergebnisse eines Forschungsprojekts nicht geheim bleiben, sondern in der wissenschaftlichen und weiteren Öffentlichkeit eine Diskussion darüber stattfinden kann. Nur unter dieser Voraussetzung kann es zu einem Erkenntnisfortschritt kommen. Dabei sind nicht nur die positiven, sondern auch die negativen Forschungsergebnisse von Belang.

2.2.2

2. Abschnitt: Gewinnung embryonaler Stammzellen

2.2.2.1

Bewilligungspflicht (Art. 8)

Wie bereits festgehalten (vgl. Art. 5), soll der Umgang mit überzähligen Embryonen zu Forschungszwecken nur unter kontrollierten Bedingungen erlaubt werden. Folglich darf nach Absatz 1 embryonale Stammzellen aus überzähligen Embryonen nur gewinnen, wer über eine Bewilligung des Bundesamtes für Gesundheit verfügt. Die Bewilligungspflicht gilt unabhängig davon, ob das Forschungsprojekt an einer privaten oder einer öffentlichen Institution durchgeführt werden soll. Die Anforderungen an die Durchführung eines Forschungsprojekts mit embryonalen Stammzellen richten sich nach diesem Gesetz (siehe Art. 13 ff.).

Die Erteilung einer Bewilligung für die Gewinnung von embryonalen Stammzellen nach Absatz 2 soll nicht vom Vorliegen eines Forschungsprojekts mit embryonalen Stammzellen abhängig gemacht werden. Es ist somit möglich, embryonale Stammzellen nicht nur für ein konkretes Forschungsprojekt zu gewinnen, sondern auch für künftige Forschung, wobei in diesem Fall ein Bedarf dafür im Inland bestehen muss (Bst. a). Die Gewinnung embryonaler Stammzellen ist nur für Forschungszwecke erlaubt, nicht hingegen etwa für kommerzielle Zwecke. Sie darf zwar vom konkreten Forschungsprojekt «entkoppelt» werden, muss aber immer mit Blick auf die Forschung erfolgen. Ferner dürfen embryonale Stammzellen für künftige Forschung nicht in beliebiger Menge gewonnen werden. Es muss im Grundsatz absehbar sein, dass die gewonnenen Stammzellen für künftige Forschungsaktivitäten im Inland benötigt werden. Dieser Bedarf für künftige Forschung muss von der Gesuchstellerin oder vom Gesuchsteller aufgrund allfälliger Voranfragen oder Branchenkenntnissen glaubhaft gemacht werden. In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass auch die Bewilligungsbehörde auf Basis der eingegangenen Meldungen nach Artikel 18 Kenntnis von den in der Schweiz aufbewahrten bzw. verfügbaren Stammzellen hat.

Gleich wie bei Artikel 5 wird die Bewilligungserteilung davon abhängig gemacht, dass nur das Minimum an Embryonen verwendet wird, d.h. nur so viele Embryonen gebraucht werden, als zur Gewinnung der embryonalen Stammzellen unbedingt erforderlich sind (Bst. b), und die erforderlichen fachlichen und betrieblichen Voraussetzungen erfüllt sind (Bst. c).

1248

2.2.2.2

Pflichten der Inhaberin oder des Inhabers der Bewilligung (Art. 9)

Diese Bestimmung legt Pflichten der Inhaberin oder des Inhabers der Bewilligung für die Gewinnung embryonaler Stammzellen fest.

Gleich wie bei Artikel 6 muss die Inhaberin oder der Inhaber einer Bewilligung dafür sorgen, dass der Embryo nach der Stammzellengewinnung sofort vernichtet wird; auch hat sie oder er dem Bundesamt für Gesundheit über die Stammzellengewinnung Bericht zu erstatten (Bst. a und b).

Weiter ist die Inhaberin oder der Inhaber der Bewilligung verpflichtet, die erfolgreich hergestellten Stammzelllinien innerhalb der Schweiz auch für andere Forschungsprojekte mit embryonalen Stammzellen weiterzugeben, für die das zustimmende Votum der jeweils zuständigen Ethikkommission nach Artikel 13 vorliegt; sie oder er darf dafür eine Entschädigung nach Artikel 4 Absatz 4 verlangen (Bst. c).

Es ist sicherzustellen, dass diejenigen Personen, die Stammzelllinien herstellen, diese nicht für sich selbst zurückbehalten, sondern innerhalb der Forschungsgemeinschaft bei Bedarf zur Verfügung stellen. Nur so kann verhindert werden, dass unnötig embryonale Stammzellen hergestellt und damit überzählige Embryonen verbraucht werden. Ebenso ist aber sicherzustellen, dass die embryonalen Stammzellen nur für Forschungsprojekte weitergegeben werden, die den Anforderungen dieses Gesetzes entsprechen (vgl. vor allem Art. 14). Diese Prüfung ist Aufgabe der Ethikkommissionen (vgl. Art. 13).

2.2.3

3. Abschnitt: Gemeinsame Bestimmungen

2.2.3.1

Einwilligung nach Aufklärung (Art. 10)

Nach Artikel 7 des Fortpflanzungsmedizingesetzes dürfen Verfahren der medizinisch unterstützten Fortpflanzung ­ und damit auch eine In-vitro-Fertilisation ­ nur mit schriftlicher Einwilligung des betroffenen Paares durchgeführt werden. Das Erfordernis, dass das Paar seine Einwilligung geben muss ­ womit die Einwilligung der Frau allein nicht genügt ­ soll auch für die Forschung Geltung haben.

Nach Absatz 1 darf ein überzähliger Embryo zu Forschungszwecken nur verwendet werden, wenn das Paar, aus dessen Fortpflanzungsverfahren der Embryo stammt, in den neuen Verwendungszweck eingewilligt hat. Es müssen somit beide Partner damit einverstanden sein, dass ihr überzähliger Embryo für die Forschung verwendet wird. Zudem ist eine Einwilligung nur dann gültig, wenn sie frei gegeben wird, d.h.

wenn sie nicht aufgrund von Täuschung, Drohung oder Druck zustande kommt129.

Weiter muss die Einwilligung in schriftlicher Form abgegeben werden. Schliesslich setzt eine gültige Einwilligung voraus, dass das Paar vorgängig mündlich und schriftlich hinreichend und in verständlicher Form aufgeklärt wird. Das Paar muss insbesondere über Art und Zweck der Verwendung des Embryos, sei es für ein Forschungsprojekt oder für die Stammzellengewinnung, informiert werden. Im Fall der Verwendung eines Embryos für die Stammzellengewinnung ist es auch darüber auf129

Vgl. D. Manaï, Les droits du patient face à la médecine contemporaine, Basel/Genf/München 1999, S. 136 f. und 250 f.

1249

zuklären, dass aus dem überzähligen Embryo eine Zelllinie hergestellt werden soll, die allenfalls für eine ganze Reihe von Forschungsprojekten genutzt wird. Die Modalitäten der Einwilligung sowie Modalitäten und Umfang der Aufklärung sollen vom Bundesrat näher ausgeführt werden (vgl. Art. 19). Das Recht des betroffenen Paares auf Einwilligung nach Aufklärung ergibt sich direkt aus der persönlichen Freiheit (vgl. Ziff. 1.4.2.1.2).

Absatz 2 bestimmt, dass das Paar erst angefragt werden darf, ob es einen Embryo für die Forschung zur Verfügung stellen will, wenn dessen Überzähligkeit feststeht. Mit anderen Worten ist eine Anfrage erst dann zulässig, wenn klar ist, dass ein Embryo im Rahmen eines Fortpflanzungsverfahrens, d.h. zur Herbeiführung einer Schwangerschaft, keine Verwendung mehr findet. Mit dieser Bestimmung soll verhindert werden, dass eine Anfrage während des Fortpflanzungsverfahrens ­ wenn noch nicht feststeht, ob überhaupt ein überzähliger Embryo anfällt oder nicht ­ den Prozess der In-vitro-Fertilisation beeinflussen könnte.

Das Recht auf Einwilligung beinhaltet auch das Recht, eine einmal gegebene Einwilligung wieder zurückzuziehen. Dementsprechend verankert Absatz 3 das Recht des Paares bzw. der Frau oder des Mannes, die Einwilligung jederzeit formlos und ohne Angabe von Gründen zu widerrufen, und zwar bis zu Beginn der Forschungsarbeiten oder der Stammzellengewinnung. Ab diesem Zeitpunkt geht das Interesse der Forschenden vor, ein begonnenes Forschungsprojekt oder eine begonnene Stammzellengewinnung auch tatsächlich weiterführen zu können. Dabei kommt das Recht auf Widerruf nicht nur dem Paar gemeinsam, sondern auch jedem der beiden Partner einzeln zu.

Absatz 4 stellt klar, dass bei Verweigerung oder Widerruf der Einwilligung der überzählige Embryo sofort zu vernichten ist, d.h. nicht zu Forschungszwecke verwendet werden darf.

Absatz 5 regelt den Fall, dass die Frau oder der Mann stirbt und nicht mehr beide einwilligen können. In diesem Fall entscheidet der überlebende Partner bzw. die überlebende Partnerin, wobei der erklärte oder mutmassliche Wille des verstorbenen Partners bzw. der verstorbenen Partnerin zu berücksichtigen ist.

2.2.3.2

Unabhängigkeit der beteiligten Personen (Art. 11)

Es gilt unbedingt zu vermeiden, dass Fortpflanzungsmedizinerinnen oder Fortpflanzungsmediziner, die zugleich in der Forschung engagiert sind, in einen Interessenkonflikt zwischen medizinischer Behandlung und Forschung geraten. Die Verfahren der In-vitro-Fertilisation einerseits und der Forschung an überzähligen Embryonen bzw. der Gewinnung embryonaler Stammzellen andererseits müssen deswegen strikt voneinander getrennt sein.

Die an der Forschung, d.h. am Forschungsprojekt oder an der Stammzellengewinnung beteiligten Personen dürfen das medizinische Personal, das eine In-vitroFertilisation vornimmt, in keiner Art und Weise beeinflussen. Dementsprechend dürfen sie nach der vorliegenden Bestimmung weder bei der fortpflanzungsmedizinischen Behandlung des betreffenden Paares mitwirken noch gegenüber den daran beteiligten Personen Weisungsbefugnis haben. Dies bedeutet nicht, dass Fortpflanzungsmedizinerinnen oder Fortpflanzungsmediziner selbst keine Forschung an 1250

überzähligen Embryonen durchführen dürfen ­ allerdings nicht an denjenigen überzähligen Embryonen, die bei den von ihnen vorgenommenen In-vitro-Fertilisationen anfallen.

2.2.3.3

Bewilligungspflicht für die Aufbewahrung (Art. 12)

Wie im vorhergehenden Abschnitt festgestellt, sind die Verfahren der In-vitroFertilisation sowie der Forschung an überzähligen Embryonen bzw. der Gewinnung embryonaler Stammzellen strikt voneinander zu trennen. Dies gilt ebenso für die Frage der Aufbewahrung von Embryonen.

Artikel 17 Absatz 3 des Fortpflanzungsmedizingesetzes verbietet das Konservieren von Embryonen. Dieses Verbot ergibt sich im Grundsatz bereits aus der Bundesverfassung (Art. 119 Abs. 2 Bst. c; vgl. Ziff. 1.4.2.2.3). Es stellt sich die Frage, ob dieses Verbot auch eine allfällige Aufbewahrung überzähliger Embryonen zu Forschungszwecken erfasst. Das Konservierungsverbot der Bundesverfassung bezieht sich lediglich auf die medizinisch unterstützte Fortpflanzung (vgl. Ziff. 1.4.2.2.3 und 1.10.1.2). Wird im Rahmen eines Fortpflanzungsverfahrens die Überzähligkeit eines Embryos festgestellt, endet damit das entsprechende Fortpflanzungsverfahren des betroffenen Paares. Der vorliegende Gesetzesentwurf sieht vor, dass solche Embryonen unter bestimmten Bedingungen in ein neues Verfahren übergeführt, d.h. der Forschung zugeführt werden dürfen. Eine zentrale Bedingung dafür ist, dass das betroffene Paar in den neuen Verwendungszweck eingewilligt hat (vgl. Art. 10).

Wird Forschung unter bestimmten Bedingungen zugelassen, ist dafür zu sorgen, dass diejenige Forschung, welche die betreffenden Bedingungen erfüllt, wenn möglich auch tatsächlich durchgeführt werden kann. Nach dem Konzept des Fortpflanzungsmedizingesetzes fallen nur ausnahmsweise überzählige Embryonen an (dazu Ziff. 1.4.3.1.2). Um die Durchführung von Forschung an überzähligen Embryonen oder die Stammzellengewinnung nicht zu verunmöglichen, kann es notwendig sein, überzählige Embryonen während einer gewissen Zeit aufzubewahren, d.h. zu konservieren. So kann zum Beispiel die Realisierung eines Forschungsprojekts davon abhängen, dass zum gleichen Zeitpunkt mehrere überzählige Embryonen zur Verfügung stehen.

Der vorliegende Gesetzesentwurf lässt die Aufbewahrung von überzähligen Embryonen unter restriktiven Bedingungen zu. Nach Absatz 1 setzt deren Aufbewahrung eine Bewilligung des Bundesamtes für Gesundheit voraus. Absatz 2 knüpft die Erteilung der Bewilligung an die Erfüllung bestimmter Bedingungen: Als erstes dürfen überzählige Embryonen nur im Rahmen eines bewilligten
Forschungsprojekts (vgl.

Art. 5) oder im Hinblick auf eine bewilligte Gewinnung embryonaler Stammzellen (vgl. Art. 8) aufbewahrt werden (Bst. a). Zweitens muss die Aufbewahrung zur Erreichung des Ziels des Forschungsprojekts oder zur Stammzellengewinnung unbedingt erforderlich sein (Bst. b). Überzählige Embryonen dürfen also lediglich aufbewahrt werden, wenn sowohl für die Aufbewahrung als auch für den Umgang mit ihnen eine Bewilligung vorliegt und die Aufbewahrung zur Erreichung der konkreten Zielsetzung unbedingt erforderlich ist.

Es gilt zu vermeiden, dass für die Forschung verfügbare überzählige Embryonen wegen unsachgemässer Aufbewahrung nicht mehr dafür gebraucht werden können.

Aus diesem Grund müssen drittens die für die Aufbewahrung erforderlichen fachli1251

chen und betrieblichen Voraussetzungen erfüllt sein (Bst. c). Einerseits müssen diejenigen Personen, die überzählige Embryonen aufbewahren (namentlich Forschende), und ihr Personal über die fachlichen Qualifikationen für die Aufbewahrung verfügen. Andererseits müssen die betrieblichen Voraussetzungen gewährleistet sein. So sind insbesondere die Grundsätze der guten Laborpraxis einzuhalten. Zudem muss die Rückverfolgbarkeit (vom Embryo zum betroffenen Paar) sichergestellt sein; dies für den Fall, dass das betroffene Paar seine Einwilligung zur Verwendung des Embryos für die Forschung widerrufen sollte (vgl. Art. 10 Abs. 3).

2.3

3. Kapitel: Umgang mit embryonalen Stammzellen

2.3.1

1. Abschnitt: Forschung an embryonalen Stammzellen

2.3.1.1

Befürwortung durch die Ethikkommission (Art. 13)

Ein Forschungsprojekt mit embryonalen Stammzellen darf nur durchgeführt werden, wenn vorgängig die zuständige Ethikkommission ein zustimmendes Votum dazu abgegeben hat. Dabei sind für die Überprüfung dieselben Ethikkommissionen wie für klinische Versuche mit Heilmitteln zuständig. Dementsprechend verweist die vorliegende Bestimmung auf Artikel 57 des Heilmittelgesetzes vom 15. Dezember 2000130.

Nach Artikel 57 des Heilmittelgesetzes werden Versuche von einem ethischen Standpunkt aus beurteilt, wobei im Hinblick darauf auch ihre wissenschaftliche Qualität überprüft wird. Die zuständige Ethikkommission muss bei einem Forschungsprojekt mit embryonalen Stammzellen überprüfen, ob die Anforderungen nach diesem Gesetz, insbesondere die Voraussetzungen nach Artikel 14, erfüllt sind.

2.3.1.2

Wissenschaftliche und ethische Anforderungen (Art. 14)

Diese Bestimmung legt fest, welche Anforderungen ein Forschungsprojekt mit embryonalen Stammzellen in wissenschaftlicher und ethischer Hinsicht erfüllen muss.

Ein Forschungsprojekt darf nur durchgeführt werden, wenn es sämtliche aufgeführten Anforderungen erfüllt.

Nach Buchstabe a ist ein Forschungsprojekt mit embryonalen Stammzellen nur zulässig, wenn es wesentliche Erkenntnisse entweder im Hinblick auf Feststellung, Behandlung oder Verhinderung schwerer Krankheiten oder über die Entwicklungsbiologie des Menschen erwarten lässt. Eine Krankheit gilt insbesondere dann als schwer, wenn sie nicht oder nur schlecht behandelbar ist und irreversible Folgeschäden verursacht oder zu einer starken Einschränkung der Lebensqualität führt. Gleich wie bei Artikel 6 sind die zwei legitimen Forschungsziele abschliessend umschrieben; auch müssen die mit einem Forschungsprojekt verfolgten Erkenntnisse wesentlich bzw. hochrangig sein.

130

SR 812.21.

1252

Gleich wie bei Artikel 6 darf ein Forschungsprojekt weiter nur durchgeführt werden, wenn gleichwertige Erkenntnisse nicht auch auf anderem Weg als mit embryonalen Stammzellen erlangt werden können (Bst. b). Das Subsidiaritätsprinzip gilt also auch für die Forschung an embryonalen Stammzellen. Ein Forschungsprojekt mit embryonalen Stammzellen setzt somit voraus, dass gleichwertige Erkenntnisse nicht auch etwa durch Forschung mit tierischem biologischem Material oder mit adulten Stammzellen gewonnen werden können.

Ebenfalls gleich wie bei Artikel 6 muss schliesslich ein Forschungsprojekt den Kriterien wissenschaftlicher Qualität entsprechen und ethisch vertretbar sein (Bst. c und d).

2.3.1.3

Pflichten der Projektleitung (Art. 15)

Nach Absatz 1 sind Forschungsprojekte mit embryonalen Stammzellen vor ihrer Durchführung dem Bundesamt für Gesundheit zu melden. Diese Bestimmung soll sicherstellen, dass das Bundesamt darüber orientiert ist, welche Forschungsprojekte mit embryonalen Stammzellen in der Schweiz durchgeführt werden.

Damit sowohl das Bundesamt als auch die betreffende Ethikkommission Kenntnis davon haben, ob ein Forschungsprojekt mit embryonalen Stammzellen noch läuft, ist ihnen der vorzeitige Abbruch eines Forschungsprojekts oder dessen Abschluss zu melden (Abs. 2 Bst. a). Gleich wie bei Artikel 9 ist nach Abschluss oder Abbruch eines Forschungsprojekts mit embryonalen Stammzellen eine Zusammenfassung der Ergebnisse innert nützlicher Frist öffentlich zugänglich zu machen; auch ist in angemessener Frist der zuständigen Ethikkommission über die Ergebnisse Bericht zu erstatten (Bst. b).

2.3.1.4

Befugnisse des Bundesamtes (Art. 16)

Das Bundesamt für Gesundheit muss Forschungsprojekte mit embryonalen Stammzellen, die nach dem vorliegenden Gesetz keiner Bewilligungspflicht unterstehen, sondern lediglich eines zustimmenden Votums der zuständigen Ethikkommission bedürfen (vgl. Art. 13), verbieten oder mit Auflagen verknüpfen können, wenn sie den Anforderungen dieses Gesetzes nicht entsprechen.

2.3.2

2. Abschnitt: Einfuhr, Ausfuhr und Aufbewahrung embryonaler Stammzellen

2.3.2.1

Bewilligungspflicht für die Ein- oder Ausfuhr (Art. 17)

Embryonale Stammzellen dürfen nur in die Schweiz eingeführt oder aus der Schweiz ausgeführt werden, wenn dafür eine Bewilligung des Bundesamtes für Gesundheit vorliegt (Abs. 1). Die Bewilligungspflicht für den Import embryonaler Stammzellen soll sicherstellen, dass nur solche embryonalen Stammzellen in die

1253

Schweiz eingeführt werden, deren Herkunft und Gewinnung mit den Grundanforderungen dieses Gesetzes übereinstimmen.

Um zu verhindern, dass in Zolllagern illegale Vorkehrungen mit embryonalen Stammzellen vorgenommen oder vorbereitet werden können, wird die Einlagerung in ein Zolllager der Einfuhr gleichgestellt und damit ebenfalls für bewilligungspflichtig erklärt (Abs. 2).

Absatz 3 legt die Voraussetzungen für die Erteilung einer Bewilligung fest. Erstens dürfen embryonale Stammzellen nur zu Forschungszwecken, d.h. insbesondere nicht zu kommerziellen Zwecken, eingeführt werden (Bst. a). Zweitens müssen die embryonalen Stammzellen aus überzähligen Embryonen gewonnen worden sein (Bst. b). Embryonale Stammzellen dürfen somit insbesondere nicht aus Embryonen stammen, die durch In-vitro-Fertilisation oder Klonierung gezielt für die Stammzellengewinnung hergestellt werden. Da diese Verfahren in der Schweiz verboten sind (vgl. Art. 3), dürfen auch keine durch diese Verfahren gewonnenen embryonalen Stammzellen in die Schweiz importiert werden. Drittens muss das Paar, aus dessen Fortpflanzungsverfahren der überzählige Embryo stammt, seine Einwilligung aus freien Stücken gegeben und darf für die Verwendung des Embryos zu Forschungszwecken kein Entgelt erhalten haben (Bst. c).

Nach Absatz 4 hängt die Bewilligung für den Export embryonaler Stammzellen davon ab, dass die Bedingungen für die Verwendung der embryonalen Stammzellen im Zielland denjenigen dieses Gesetzes gleichwertig sind. Damit soll verhindert werden, dass embryonale Stammzellen aus der Schweiz im Ausland missbräuchlich verwendet werden.

2.3.2.2

Meldepflicht für die Aufbewahrung (Art. 18)

Absatz 1 führt eine Meldepflicht für die Aufbewahrung embryonaler Stammzellen ein. Das Bundesamt für Gesundheit soll Kenntnis davon haben, wer embryonale Stammzellen aufbewahrt, ohne gleichzeitig selbst solche zu gewinnen oder mit solchen Forschung zu betreiben.

Absatz 2 ermächtigt den Bundesrat, Ausnahmen von der Meldepflicht vorzusehen.

So ist denkbar, dass das Bundesamt bereits im Rahmen eines Bewilligungsverfahrens nach Artikel 8 oder aufgrund der Meldepflicht nach Artikel 15 Kenntnis über die Aufbewahrung embryonaler Stammzellen hat. Zwecks Vermeidung von Doppelspurigkeiten sollte in solchen Fällen keine Meldung mehr notwendig sein.

2.4

4. Kapitel: Vollzug

2.4.1

Ausführungsbestimmungen (Art. 19)

Mehrere Bestimmungen dieses Gesetzes (Art. 5, 7 bis 10, 12, 15, 17, 18 und 23) werden durch den Bundesrat näher auszuführen sein.

Der Bundesrat soll die Modalitäten der Einwilligung sowie Modalitäten und Umfang der Aufklärung des betroffenen Paares nach Artikel 10 festlegen (Bst. a). Er kann zum Beispiel im Interesse der Vermeidung von Interessenkollisionen (vgl.

1254

Art. 11) verlangen, dass Anfrage und Aufklärung durch eine unabhängige Fachperson erfolgen müssen, die weder an der In-vitro-Fertilisation noch am Forschungsprojekt mit überzähligen Embryonen oder an der Gewinnung embryonaler Stammzellen und den damit zusammenhängenden Tätigkeiten mitwirkt.

Der Gesetzesentwurf sieht einige Bewilligungspflichten (Art. 5, 8, 12 und 17) vor.

Das Bewilligungsverfahren richtet sich nach dem Verwaltungsverfahrensgesetz vom 20. Dezember 1968131. Der Bundesrat soll jedoch dessen Einzelheiten, so zum Beispiel die einzureichenden Gesuchsunterlagen, regeln; ebenso soll er die Bewilligungsvoraussetzungen genauer umschreiben (Bst. b). So sind insbesondere die Anforderungen an die am Projekt beteiligten Forschenden, an das Laborpersonal sowie an die Infrastruktur (Räumlichkeiten und Ausrüstungen) festzulegen (vgl. Art. 5 Abs. 2 Bst. b, Art. 8 Abs. 2 Bst. c und Art. 12 Abs. 2 Bst. c). Einer näheren Umschreibung durch den Bundesrat bedürfen auch die Pflichten der Inhaberin oder des Inhabers einer Bewilligung nach Artikel 7 und 9 bzw. der bewilligungspflichtigen Personen nach Artikel 12 und 17 (Bst. c).

Nach Buchstabe d legt der Bundesrat weiter den Inhalt der Meldepflicht für die Aufbewahrung embryonaler Stammzellen und die Pflichten der meldepflichten Personen nach Artikel 18 fest. Er kann namentlich verlangen, dass der Inhalt der Meldung auch die Charakterisierung und Herkunft der aufbewahrten Stammzellen umfasst. Ferner soll er die Pflichten der Projektleitung nach Artikel 15 näher umschreiben.

Schliesslich ist der Bundesrat zuständig zur Festsetzung der Gebühren nach Artikel 23 (Bst. e). Dabei werden das Kostendeckungs- und das Äquivalenzprinzip zu beachten sein.

2.4.2

Kontrolle (Art. 20)

Das Bundesamt für Gesundheit ist zuständig für die Kontrolle, ob die Vorschriften dieses Gesetzes eingehalten werden. Es führt dazu insbesondere periodische Inspektionen durch (Abs. 1).

Das Bundesamt als Kontrollbehörde darf nach Absatz 2 zur Erfüllung seiner Aufgaben unentgeltlich die erforderlichen Auskünfte oder Unterlagen einfordern (Bst. a); ebenso darf es jede andere erforderliche Unterstützung verlangen (Bst. c). Weiter hat es ein Zutrittsrecht für Betriebs- und Lagerräume (Bst. b). Es braucht dafür keine besondere Bewilligung, namentlich keinen Hausdurchsuchungsbefehl. Dabei können die Kontrollen auch unangemeldet erfolgen.

2.4.3

Mitwirkungspflicht (Art. 21)

Eine sinnvolle Kontrolle ist nur möglich, wenn diejenigen Personen, die mit überzähligen Embryonen oder mit embryonalen Stammzellen umgehen, der zuständigen Bundesstelle gegenüber eine Mitwirkungspflicht haben (Abs. 1). Die kontrollierten Personen müssen nach Absatz 2 insbesondere unentgeltlich die erforderlichen Aus131

SR 172.021.

1255

künfte erteilen, Einblick in die Geschäftsunterlagen geben (Bst. a) und Zutritt zu den Räumlichkeiten gewähren (Bst. b). Das Recht auf Einsicht in Geschäftsunterlagen reicht indessen nur so weit, als die darin gesuchten Angaben für die Kontrolle von Bedeutung sind.

2.4.4

Massnahmen (Art. 22)

Absatz 1 gibt dem Bundesamt für Gesundheit die Kompetenz, alle Massnahmen zu treffen, die zum Vollzug dieses Gesetzes erforderlich sind. Das Verwaltungsverfahrensgesetz kommt zur Anwendung.

Absatz 2 zählt die möglichen Massnahmen nicht abschliessend auf, nennt aber die schwersten Massnahmen, die das Bundesamt ergreifen kann. Dieses kann namentlich Beanstandungen aussprechen und die Wiederherstellung des rechtmässigen Zustands innert gesetzter Frist verlangen (Bst. a). Buchstabe b schreibt ausdrücklich fest, dass erteilte Bewilligungen sistiert oder widerrufen werden können, sofern die entsprechenden Voraussetzungen dafür nicht mehr erfüllt sind. Nach Buchstabe c kann das Bundesamt den Vorschriften dieses Gesetzes nicht entsprechende Embryonen oder embryonale Stammzellen, ebenso Klone, Chimären oder Hybriden einziehen und vernichten.

Nach Absatz 3 kann das Bundesamt die notwendigen vorsorglichen Massnahmen treffen. Diese Massnahmen können auch im Verdachtsfall angeordnet werden, wenn weitere Abklärungen nötig sind, bis ein endgültiger Entscheid getroffen werden kann.

Die Zollbehörden können nach Artikel 59 des Zollgesetzes vom 1. Oktober 1925132 im Auftrag und auf Rechnung der auftraggebenden Verwaltung sowie nach Massgabe der einschlägigen Vorschriften bei der Handhabung fiskalischer, polizeilicher und anderer nicht zollrechtlicher Erlasse zugezogen werden. Absatz 4 gibt den Zollorganen die Berechtigung, bei Verdacht eines Verstosses gegen Bestimmungen dieses Gesetzes, Sendungen mit Embryonen, embryonalen Stammzellen, Klonen, Chimären oder Hybriden an der Grenze oder in Zolllagern zurückzuhalten und das Bundesamt beizuziehen. Dieses nimmt die weiteren Abklärungen vor und trifft die erforderlichen Massnahmen.

2.4.5

Gebühren (Art. 23)

Diese Bestimmung bildet die gesetzliche Grundlage für die Erhebung von Gebühren. Das Bundesamt für Gesundheit kann für bestimmte Tätigkeiten Gebühren erheben. Diese Tätigkeiten sind in den Buchstaben a bis c abschliessend aufgelistet.

132

SR 631.0

1256

2.4.6

Evaluation (Art. 24)

Absatz 1 bestimmt, dass die Wirksamkeit dieses Gesetzes zu evaluieren ist. Er lehnt sich an Artikel 170 der Bundesverfassung an. Dieser verlangt, dass die Massnahmen des Bundes auf ihre Wirksamkeit überprüft werden. Mit der Wirksamkeitsprüfung bzw. Evaluation soll wissenschaftlich ermittelt werden, ob und wie weit bestimmte Massnahmen tatsächlich die in sie gesetzten Erwartungen erfüllen und die angestrebten Ziele erreichen. Im vorliegenden Zusammenhang geht es darum, Stärken und Schwächen dieses Gesetzes zu benennen, seine Wirkungen zu beurteilen und Empfehlungen für eine Optimierung abzugeben.

Während das Bundesamt für die Evaluation der Wirksamkeit dieses Gesetzes sorgt (Abs. 1), erstattet das Departement dem Bundesrat nach Abschluss der Evaluation Bericht (Abs. 2). Durch diese Berichterstattungspflicht kann die Koordination auf Ebene des Bundesrats sichergestellt werden. Damit kann der Bundesrat seinen Pflichten hinsichtlich Wirksamkeitsprüfung der Legislative gegenüber nachkommen und allfällige Evaluationstätigkeiten der Legislativorgane erhalten eine materielle Grundlage.

2.5

5. Kapitel: Strafbestimmungen

2.5.1

Vergehen (Art. 25)

Dieses Gesetz unterscheidet bei den Strafbestimmungen je nach Schwere des Verstosses zwischen Vergehen (Art. 25) und Übertretungen (Art. 26). Schwere Verletzungen hochrangiger Rechtsgüter werden als Vergehen, weniger schwere Verletzungen als Übertretung sanktioniert.

Nach Absatz 1 gelten diejenigen Gesetzesverstösse als Vergehen, die aus sozialethischer Sicht als besonders verwerflich empfunden werden (z.B. Gewinnung von embryonalen Stammzellen aus einem Klon, Entwicklung eines Embryos über den 14. Tag hinaus, entgeltlicher Erwerb von überzähligen Embryonen). Die entsprechenden Tatbestände sind in den Buchstaben a bis c aufgezählt. Weiter wird die Verwendung überzähliger Embryonen zu Forschungszwecken ohne Einwilligung des betroffenen Paares (Art. 10) oder ohne Bewilligung (Art. 5, 8, 12 und 17) als Vergehen eingestuft. Das erhebliche Missbrauchspotenzial rechtfertigt diese Einstufung. Die beiden Tatbestände sind in den Buchstaben d und e aufgeführt.

Die Maximalbusse bei Erfüllung einer der genannten Tatbestände beträgt 200 000 Franken. Liegt Gewerbsmässigkeit vor, kann eine Busse bis zu 500 000 Franken ausgesprochen werden (Abs. 2), bei Fahrlässigkeit bis 100 000 Franken (Abs. 3). Die in Artikel 48 des Schweizerischen Strafgesetzbuches (StGB)133 vorgesehene Maximalbusse von 40 000 Franken wird heute vielfach als zu gering angesehen. In verschiedenen Spezialgesetzen werden deshalb zunehmend Bussen in der Höhe zwischen 100 000 und 200 000 Franken, bei Gewerbsmässigkeit bis zu 500 000 Franken vorgesehen (z.B. im Heilmittelgesetz). Im Übrigen entspricht eine Strafverschärfung beim qualifizierten Tatbestand der Gewerbsmässigkeit verschiedenen bestehenden Strafbestimmungen im Strafgesetzbuch. So wird im vorliegenden Geset133

SR 311.0.

1257

zesentwurf auch die Freiheitsstrafe verschärft, indem für Gewerbsmässigkeit fünf statt drei Jahre Gefängnis vorgesehen sind.

2.5.2

Übertretungen (Art. 26)

In Absatz 1 Buchstabe a bis e werden die als Übertretung geltenden Tatbestände formuliert. Die vorsätzliche oder fahrlässige Erfüllung dieser Tatbestände wird mit Haft oder mit Busse bis zu 50 000 Franken bestraft. Wie bei den Vergehen sind auch hier die Tatbestände abschliessend aufgezählt.

Absatz 2 bestimmt, dass Versuch und Gehilfenschaft auch bei Übertretungen strafbar sind, während Absatz 3 die Fristen in Abweichung von Artikel 109 des Strafgesetzbuches sowohl für die Verfolgungs- als auch für die Vollstreckungsverjährung auf fünf Jahre festsetzt. Diese Verlängerung der Fristen ist wegen der oft aufwendigen Sachverhaltsabklärungen notwendig. Andernfalls bestünde die Gefahr, dass manche Strafuntersuchungen nicht bis zur Entscheidungsreife geführt werden können und das Verfahren infolge Verjährung eingestellt werden müsste. Schliesslich werden durch Absatz 4 die Behörden ermächtigt, in besonders leichten Fällen auf Strafanzeige, Strafverfolgung und Bestrafung zu verzichten (sog. Opportunitätsprinzip).

2.5.3

Zuständigkeit und Verwaltungsstrafrecht (Art. 27)

Absatz 1 stellt klar, dass die Strafverfolgung der im vorliegenden Gesetzesentwurf und in den entsprechenden Ausführungsvorschriften umschriebenen Delikte Sache der Kantone ist.

Nach Artikel 1 des Bundesgesetzes vom 22. März 1974 über das Verwaltungsstrafrecht (VStrR)134 ist dieses nur direkt anwendbar, wenn die Verfolgung und Beurteilung von Widerhandlungen durch eine Bundesbehörde erfolgt. Durch Absatz 2 werden die Artikel 6, 7 und 15 des Verwaltungsstrafrechts auch für die kantonalen Strafverfolgungsbehörden anwendbar erklärt. Abweichend vom sonst anwendbaren allgemeinen Teil des Strafgesetzbuches kennt das Verwaltungsstrafrecht in den Artikeln 6 und 7 eine besondere Regelung für Widerhandlungen in Geschäftsbetrieben und durch Beauftragte. Artikel 6 des Verwaltungsstrafrechts erleichtert den Durchgriff auf die Geschäftsleitung, indem bei Widerhandlungen in Geschäftsbetrieben neben der natürlichen Person, welche die Tat verübt hat, unter Umständen auch der Geschäftsherr, der Arbeitgeber, der Auftraggeber oder der Vertretene bestraft werden kann. Diese werden nämlich häufig mitbeteiligt sein, ohne dass es sich dabei eindeutig um Mittäterschaft, Anstiftung oder Gehilfenschaft im strafrechtlichen Sinne handelt. Die Sonderordnung des Artikels 7 des Verwaltungsstrafrechts erlaubt deshalb für leichtere Fälle (namentlich bei einer Busse von höchstens 5000 Franken und bei im Vergleich zur Strafe unverhältnismässigen Untersuchungsmassnahmen) auf die Ermittlung der nach Artikel 6 des Verwaltungsstrafrechts strafbaren Person zu verzichten und an ihrer Stelle das Unternehmen zu bestrafen.

134

SR 313.0.

1258

Artikel 15 des Verwaltungsstrafrechts (Urkundenfälschung, Erschleichung einer falschen Beurkundung) ist ein Spezialtatbestand zur Urkundenfälschung nach Artikel 251 des Strafgesetzbuchs, der speziell Bezug nimmt auf die Verwaltungsgesetzgebung des Bundes. Die Strafdrohung ist milder als nach Artikel 251 des Strafgesetzbuchs, aber der Tatbestand ist umfassender, weil er unter anderem auch die Täuschung der Verwaltung erfasst.

2.6

6. Kapitel: Schlussbestimmungen

2.6.1

Änderung bisherigen Rechts (Art. 28)

Das Fortpflanzungsmedizingesetz enthält eine Bestimmung, deren Verhältnis zum vorliegenden Gesetzesentwurf geklärt werden muss. Artikel 3 Absatz 2 Buchstabe b des vorliegenden Gesetzesentwurfs verbietet, einen für die Forschung verfügbaren überzähligen Embryo über den 14. Tag hinaus sich entwickeln zu lassen. Nach Artikel 30 Absatz 1 des Fortpflanzungsmedizingesetzes darf der Embryo ausserhalb des Körpers der Frau nicht über den Zeitpunkt hinaus entwickelt werden, in dem die Einnistung in der Gebärmutter noch möglich ist. Diese Bestimmung ist im Zusammenhang mit dem Fortpflanzungsverfahren der In-vitro-Fertilisation zu verstehen (Art. 17 Abs. 2 FMedG; vgl. Ziff. 1.4.3.1.2). Zur Klarstellung des Verhältnisses der beiden Artikel soll aber gleichwohl Artikel 30 Absatz 1 des Fortpflanzungsmedizingesetzes mit dem zweiten Satz ergänzt werden, dass Artikel 3 Absatz 2 Buchstabe b dieses Gesetzesentwurfs vorbehalten bleibt.

Im Weiteren soll die Übergangsbestimmung des Fortpflanzungsmedizingesetzes zur Aufbewahrung von Embryonen geändert werden. Nach Artikel 42 Absatz 2 des Fortpflanzungsmedizingesetzes dürfen diejenigen Embryonen, die noch aus der Zeit vor dessen Inkrafttreten (1. Januar 2001) stammen, während höchstens drei Jahren aufbewahrt werden, d.h. sie müssen spätestens am 31. Dezember 2003 vernichtet werden. Ein Inkrafttreten des vorliegenden Gesetzes Ende 2003 würde dazu führen, dass die überzähligen Embryonen nur für eine kurze Zeit für die Forschung zur Verfügung stehen würden. Ein solch knapper Zeitraum erscheint nicht geeignet, um ein allfälliges Bewilligungsverfahren für ein Forschungsprojekt bzw. für die Stammzellengewinnung durchführen zu können. Auch bliebe kaum Zeit für das Einholen der Einwilligung und die angemessene Aufklärung des betroffenen Paares. Demzufolge ist vorgesehen, die betreffende Frist im Fortpflanzungsmedizingesetz um ein Jahr zu verlängern.

2.6.2

Übergangsbestimmungen (Art. 29)

Diese Bestimmung sieht eine Übergangsregelung einzig für Forschungsprojekte mit embryonalen Stammzellen vor, die mit Inkrafttreten des vorliegenden Gesetzes nach Artikel 15 Absatz 1 meldepflichtig werden. Die entsprechenden Meldungen sind dem Bundesamt für Gesundheit bis spätestens drei Monate nach Inkrafttreten dieses Gesetzes einzureichen, um rasch einen einheitlichen Vollzug sicherstellen zu können.

1259

Für die bewilligungspflichtigen Tätigkeiten nach diesem Gesetz (Art. 5, 8, 12 und 17) ist keine Übergangsregelung vorgesehen. Sie dürfen somit erst vorgenommen werden, wenn eine entsprechende Bewilligung erteilt worden ist.

2.6.3

Referendum und Inkrafttreten (Art. 30)

Bei diesem Gesetz handelt es sich um einen Erlass, der nach Artikel 141 Absatz 1 Buchstabe a der Bundesverfassung dem fakultativen Referendum untersteht (Abs. 1).

Der Bundesrat wird nach Absatz 2 ermächtigt, den Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Gesetzes zu bestimmen.

3

Auswirkungen des Gesetzesentwurfs

3.1

Finanzielle und personelle Auswirkungen

3.1.1

Auf den Bund

Mit dem Embryonenforschungsgesetz werden dem Bund neue Aufgaben entstehen.

Die neuen Aufgaben sind durch die Zentralverwaltung wahrzunehmen; sie sollen im Bundesamt für Gesundheit angesiedelt werden.

Der Personalbedarf und die benötigten Sachmittel verteilen sich wie folgt: Kontrolle der Forschungstätigkeiten: Erteilung von Bewilligungen, Vollzug der Meldepflichten, Anordnung von Massnahmen, Inspektionen: 2,5 Stellen (1,5 Sachbearbeitung, 1,0 administrative Abwicklung).

Juristische Unterstützung: In diesem sensiblen Forschungsbereich werden im Zusammenhang mit dem Vollzug auch immer wieder juristische Fragen zu lösen sein: 0,5 Stellen (Sachbearbeitung).

Rekrutierung der Mitarbeitenden: Sachaufwand von 50 000 Franken.

Evaluation der Wirksamkeit dieses Gesetzes und Weiterbildung der Mitarbeitenden: Sachaufwand von 60 000 Franken.

Für die Erteilung von Bewilligungen, die Durchführung von Massnahmen und andere Tätigkeiten werden Gebühren erhoben. Das Ausmass lässt sich heute nur schwer beziffern; Schätzungen gehen von Gebühreneinnahmen in der Höhe von ca. 80 000 Franken pro Jahr aus.

Damit der Vollzug auf den Zeitpunkt des Inkrafttretens sichergestellt werden kann, sind gewisse vorbereitende Arbeiten bereits 6 Monate vor Inkrafttreten an die Hand zu nehmen und die hierfür notwendigen Mittel vorzusehen. So müssen zum Beispiel die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter eingestellt, eingeführt und geschult werden, damit die zu erwartenden Bewilligungsgesuche ab Inkrafttreten sofort behandelt werden können. Dies führt bereits vor Inkrafttreten des Gesetzes zu einem Sachaufwand von 50 000 Franken (Rekrutierung der Mitarbeitenden) sowie einem Personalaufwand von 1,5 Stellen (Sachbearbeitung).

Die Kosten für den Vollzug dieses Gesetzes können aus heutiger Sicht und auf der Basis der oben stehenden Ausführungen wie folgt beziffert werden (in Franken):

1260

Ausgaben

Vorbereitung des Vollzugs

Vollzug (p.a.)

Personalausgaben135

100 000

400 000

Sachausgaben ­ Rekrutierung ­ Evaluation und Weiterbildung

50 000

Total

150 000

Ausgabentotal

150 000

Gebühreneinnahmen (p.a.)

ca. 80 000 60 000 460 000

ca. 80 000

ca. 380 000 (p.a.)

Dieses Gesetz wird frühestens Ende 2003 in Kraft treten können. Damit der Vollzug auf diesen Zeitpunkt hin vorbereitet werden kann, müssen die entsprechenden Mittel im Betrag von 150 000 Franken bereitstehen. Im Voranschlag 2003 und im Finanzplan 2004­2006 sind keine entsprechenden Mittel eingestellt. Das Eidgenössische Departement des Innern beantragt diese Mittel nach ausgewiesenem Bedarf für 2003 im Rahmen eines Nachtragskredits oder stellt sie für das Folgejahr im ordentlichen Finanzplanungsprozess ein. Über die ab Inkrafttreten bzw. für den Vollzug notwendigen Mittel wird der Bundesrat zu gegebener Zeit bzw. mit dem Inkrafttretungsbeschluss sowie im Rahmen der betreffenden Budget- und Finanzplanrunde entscheiden.

3.1.2

Auf die Kantone und Gemeinden

Der Vollzug dieses Gesetzes obliegt dem Bund. Einzig die Verfolgung und Beurteilung strafbarer Handlungen ist Sache der Kantone. Daraus ergeben sich jedoch keine finanziellen oder personellen Auswirkungen.

Auf die Gemeinden wirkt sich dieses Gesetz nicht aus.

3.2

Auswirkungen auf die Informatik

Die heute beim Bundesamt für Gesundheit verfügbare Informatikunterstützung genügt den Anforderungen für den Vollzug dieses Gesetzes.

3.3

Auswirkungen auf die Bevölkerung, die betroffenen Paare und die Forschenden

Dieses Gesetz legt für einen bisher weder eindeutig noch umfassend geregelten Forschungsbereich klare Rahmenbedingungen fest und schafft dadurch Rechtssicherheit. Damit kann das Vertrauen der Öffentlichkeit in ein ethisch heikles Forschungsgebiet verstärkt werden.

135

Gerundete Lohnbezüge inkl. Sozialversicherungsbeiträge des Arbeitgebers. Zusätzlich können Arbeitsplatzkosten anfallen, die aufgrund der heute nicht bekannten Raumsituation beim betreffenden Bundesamt im Zeitpunkt des Inkrafttretens stark variieren und deshalb nicht abgeschätzt werden können.

1261

Das vorliegende Gesetz schützt diejenigen Paare, aus deren fortpflanzungsmedizinischer Behandlung überzählige Embryonen stammen, indem es ihre Rechte sowie die Pflichten der Forschenden und der anderen Beteiligten klar regelt. Die betroffenen Paare dürfen somit davon ausgehen, dass überzählige Embryonen nur für rechtmässige Forschung verwendet werden.

Durch dieses Gesetz können die Forschenden ihre Tätigkeit unter klaren rechtlichen Rahmenbedingungen ausüben. Rechtssicherheit ist besonders in einem so sensiblen Gebiet wie der Embryonenforschung für Forschende wichtig.

3.4

Volkswirtschaftliche Auswirkungen

Die Zulassung der Forschung an überzähligen Embryonen und embryonalen Stammzellen unter klaren Rahmenbedingungen kann zu einer Stärkung des Forschungsplatzes Schweiz beitragen. Damit wird besonders auch der Erwerb von Wissen und Erfahrung auf dem viel versprechenden Forschungsgebiet der embryonalen Stammzellen in der Schweiz möglich, was besonders für den Fall einer allfälligen künftigen Anwendung auf den Menschen wichtig erscheint.

Die Dossiers, die im Zusammenhang mit Bewilligungs- Zustimmungs- und Meldeverfahren (vgl. 1.11.4) einzureichen sind, können von der Gesuchstellerin oder vom Gesuchsteller selbst ohne erheblichen Aufwand erstellt werden.

3.5

Auswirkungen auf das Fürstentum Liechtenstein

Die Anwendbarkeit des vorliegenden Gesetzes im Fürstentum Liechtenstein bestimmt sich nach den Grundsätzen des Zollvertrages vom 29. März 1923 zwischen der Schweiz und dem Fürstentum Liechtenstein136. Dieses Gesetz findet in Liechtenstein in gleicher Weise Anwendung wie in der Schweiz, soweit der im Zollvertrag statuierte Zollanschluss seine Anwendung bedingt.

Die meisten Bestimmungen dieses Gesetzes stellen indessen keine Zollvertragsmaterie dar. Unter Zollvertragsgesichtspunkten ist nur die Bewilligungspflicht für die Ein- und Ausfuhr embryonaler Stammzellen von Bedeutung. Sofern eine Einrichtung von Liechtenstein aus embryonale Stammzellen zu Forschungszwecken nach Artikel 16 ein- oder ausführen will, braucht sie eine entsprechende Bewilligung.

Nach der Vereinbarung vom 2. November 1994 zwischen der Schweiz und dem Fürstentum Liechtenstein zum Zollvertrag vom 29. März 1923137 stellt das Fürstentum Liechtenstein mit einem Marktüberwachungs- und Kontrollsystem sicher, dass ein Umgehungsverkehr von Waren gemäss EWR-Recht über die offene Grenze zur Schweiz in das übrige schweizerische Zollgebiet, der gegen das schweizerische Recht verstösst, unterbunden werden kann. Dieses Kontrollsystem wird deshalb künftig auch die Ein- und Ausfuhr von embryonalen Stammzellen zu Forschungszwecken nach Artikel 16 umfassen müssen.

136 137

SR 0.631.112.514.

SR 0.631.112.514.6.

1262

4

Legislaturplanung

Die Vorlage ist in der Legislaturplanung 1999­2003 nicht angekündigt. Mit einer Regelung der Embryonenforschung kann aber nicht bis zum Erlass des ­ in der Legislaturplanung 1999­2003 angekündigten138 ­ Bundesgesetzes über die Forschung am Menschen zugewartet werden (siehe Ziff. 1.1).

5

Verhältnis zum internationalen Recht

5.1

Europarat

5.1.1

Europäische Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK)

Die Garantien der Europäischen Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK139) gehen in der Regel nicht über die in der Bundesverfassung gewährleisteten Grundrechte hinaus. Dies trifft namentlich auf die im vorliegenden Zusammenhang relevanten Grundrechtsgehalte zu (vgl. Ziff. 1.4.2.1).

Da die Bestimmungen des vorliegenden Gesetzesentwurfs mit den Grundrechten der Bundesverfassung übereinstimmen, genügen sie auch den Anforderungen der EMRK.

5.1.2

Europäisches Übereinkommen vom 4. April 1997 über Menschenrechte und Biomedizin (Biomedizin-Konvention)

Die Parlamentarische Versammlung des Europarates erarbeitete bereits 1986 Empfehlungen für die Verwendung menschlicher Embryonen und Föten für diagnostische, therapeutische, wissenschaftliche, industrielle und kommerzielle Zwecke140.

Sie erliess 1989 spezifische Empfehlungen für die Verwendung von menschlichen Embryonen und Föten in der wissenschaftlichen Forschung141. Diese enthalten neben Regelungsvorschlägen für den Umgang mit Embryonen und Föten zu Forschungszwecken auch die Empfehlung, eine Europäische Konvention zur Biomedizin und Biotechnologie auszuarbeiten.

In der Folge bereitete ein Expertenausschuss des Europarates ein Übereinkommen zum Schutz der Menschenrechte und der Menschenwürde im Hinblick auf die An-

138 139 140 141

BBl 2000 2276 SR 0.101.

Empfehlung 1046 Empfehlung 1100

1263

wendung von Biologie und Medizin (Biomedizin-Konvention) vor142. Das Übereinkommen über Menschenrechte und Biomedizin vom 4. April 1997 trat am 1. Dezember 1999 in Kraft, nachdem es fünf Staaten ratifiziert hatten. Es wurde von der Schweiz am 7. Mai 1999 unterzeichnet und mit der Botschaft des Bundesrates vom 12. September 2001 der Bundesversammlung zur Genehmigung unterbreitet143.

Die Biomedizin-Konvention ist das erste Instrument auf internationaler Ebene, das für die Anwendung der Medizin und die biomedizinische Forschung verbindliche Regelungen vorsieht.

Da die europäischen Staaten in der Frage der Embryonenforschung unterschiedliche Standpunkte einnehmen (vgl. dazu Ziff. 1.5), war ein Konsens darüber nur beschränkt möglich. Dementsprechend verlangt Artikel 18 Absatz 1 der BiomedizinKonvention lediglich, dass die Rechtsordnung einen angemessenen Schutz des Embryos zu gewährleisten hat, sofern sie Forschung an Embryonen in vitro zulässt. Der Inhalt des Schutzes bleibt offen144. Hingegen ist nach Artikel 18 Absatz 2 die Erzeugung menschlicher Embryonen zu Forschungszwecken klar verboten. Der vorliegende Gesetzesentwurf steht in Einklang mit der Biomedizin-Konvention.

Der Europarat will die Biomedizin-Konvention durch ein Zusatzprotokoll über den Schutz des menschlichen Embryos und Fötus ergänzen. Zum jetzigen Zeitpunkt liegt aber noch kein veröffentlichter Entwurf vor.

5.1.3

Zusatzprotokoll vom 12. Januar 1998 über das Verbot des Klonens von menschlichen Lebewesen

Nach der Geburt des Schafes Dolly im Februar 1997 (vgl. Ziff. 1.2.3.3.3) sah sich der Europarat zum raschen Handeln veranlasst. Bereits im Juni 1997 legte ein Expertenausschuss des Europarates einen Entwurf für ein Zusatzprotokoll zum Übereinkommen über Menschenrechte und Biomedizin vor145. Das Zusatzprotokoll vom 12. Januar 1998 über das Verbot des Klonens von menschlichen Lebewesen trat nach der Ratifikation durch fünf Staaten am 1. Januar 2001 in Kraft. Die Schweiz unterzeichnete das Zusatzprotokoll am 7. Mai 1999; dieses soll der Bundesversammlung zusammen mit dem Übereinkommen über Menschenrechte und Biomedizin zur Genehmigung unterbreitet werden146.

142

143 144 145 146

Siehe zur Entstehungsgeschichte Botschaft vom 12. Sept. 2001 betreffend das Europäische Übereinkommen vom 4. April 1997 zum Schutz der Menschenrechte und der Menschenwürde im Hinblick auf die Anwendung von Biologie und Medizin (Übereinkommen über Menschenrechte und Biomedizin) und das Zusatzprotokoll vom 12. Jan. 1998 über das Verbot des Klonens menschlicher Lebewesen [im Folgenden abgekürzt: Botschaft zur Biomedizin-Konvention und zum Klonierungsprotokoll], BBl 2002 274 f.

Botschaft zur Biomedizin-Konvention und zum Klonierungsprotokoll, BBl 2002 271 ff.

Vgl. Botschaft zur Biomedizin-Konvention und zum Klonierungsprotokoll, BBl 2002 319.

Zur Entstehungsgeschichte Botschaft zur Biomedizin-Konvention und zum Klonierungsprotokoll, BBl 2002 275 f.

Botschaft zur Biomedizin-Konvention und zum Klonierungsprotokoll, BBl 2002 271 ff.

1264

Artikel 1 Absatz 1 des Zusatzprotokolls verbietet «jede Intervention, die darauf gerichtet ist, ein menschliches Lebewesen zu erzeugen, das mit einem anderen lebenden oder toten menschlichen Lebewesen genetisch identisch ist». Dieses Verbot gilt vorbehaltlos147. Absatz 2 präzisiert, dass mit einem «genetisch identischen» menschlichen Lebewesen ein Lebewesen gemeint ist, das mit einem anderen menschlichen Lebewesen dasselbe Kerngenom gemeinsam hat. Die mitochondrialen Gene, die nicht zum Kerngenom gehören, fallen damit für die Beurteilung, ob ein Klon vorliegt, ausser Betracht. Vom Zusatzprotokoll erfasst wird also auch die Methode des Klonens durch Zellkerntransfer, bei der die mitochondrialen Gene nicht identisch sein müssen, da die entkernte Eizelle von einem anderen Lebewesen stammen kann (vgl. Ziff. 1.2.3.3.3). Der Beginn des menschlichen Lebens hingegen wird weder in der Biomedizin-Konvention noch im Zusatzprotokoll definiert.

Die Bundesverfassung und gestützt darauf das Fortpflanzungsmedizingesetz verbieten sowohl das reproduktive als auch das therapeutische Klonen (vgl. Ziff. 1.4.2.2.2 und 1.4.3.1.3). Der vorliegende Gesetzesentwurf stellt zudem ausdrücklich klar, dass auch die Gewinnung von embryonalen Stammzellen aus einem Klon oder die Verwendung solcher Stammzellen verboten ist (Art. 3 Abs. 1 Bst. c). Damit stimmt der vorliegende Gesetzesentwurf sicher mit dem Zusatzprotokoll über das Verbot des Klonens von menschlichen Lebewesen überein.

5.2

Europäische Union

Auf der Ebene der Europäischen Union besteht keine Rechtsetzungsbefugnis im Forschungsbereich. Dennoch wird in mehreren Dokumenten die Frage der Embryonenforschung und Verwendung von Embryonen gestreift.

Das Europäische Parlament verabschiedete im Sinne von programmatischen Äusserungen einige Entschliessungen zu Fragen im Zusammenhang mit der Forschung an Embryonen in vitro. Die Entschliessung von 1989 zu den ethischen und rechtlichen Problemen der Genmanipulation besagt, dass die Zygote des Schutzes bedarf und deshalb nicht beliebig mit ihr experimentiert werden darf148. 1997 wurde die Entschliessung zum Klonen gutgeheissen149. Darin wird festgehalten, dass keine Gesellschaft unter irgendwelchen Umständen das Klonen rechtfertigen oder hinnehmen darf.

Laut Beschluss des Europäischen Parlaments und des Rates vom 22. Dezember 1998 sind Forschungstätigkeiten im Rahmen des Fünften Rahmenprogramms der Europäischen Gemeinschaft im Bereich der Forschung, technologischen Entwicklung und Demonstration (1998­2002) unter Respektierung der ethischen Grundprinzipien durchzuführen150. Dasselbe gilt laut Beschluss des Europäischen Parlaments und des Rates vom 27. Juni 2002 auch für Forschungsprojekte im Rahmen des Sechsten Forschungsrahmenprogramms im Bereich der Forschung, technologi147

Vgl. Botschaft zur Biomedizin-Konvention und zum Klonierungsprotokoll, BBl 2002 327.

148 Europäisches Parlament, Entschliessung A2-0327 vom 14. März 1989 zu den ethischen und rechtlichen Problemen der Genmanipulation.

149 Europäisches Parlament, Klonen von Tieren und Menschen: Entschliessung B4-0209 vom 12. März 1997 zum Klonen.

150 Beschluss 182/1999/EG. Vgl. http://www.cordis.lu/fp5/src/ec-en4.htm.

1265

schen Entwicklung und Demonstration (2002­2006)151. So sollen bestimmte Forschungsbereiche wie das reproduktive und das therapeutische Klonen oder die Herstellung von Embryonen zu Forschungszwecken bzw. zur Gewinnung von embryonalen Stammzellen nicht gefördert werden. Dagegen wird die Förderung der Forschung an überzähligen Embryonen und embryonalen Stammzellen trotz Kritik einzelner Länder nicht ausgeschlossen.

Die Grundrechtscharta der Europäischen Union wurde am 14. Oktober 2000 vom Europäischen Rat gebilligt152. Sie statuiert in Artikel 1 die Unverletzlichkeit der Menschenwürde. Artikel 3 gewährleistet in Absatz 1 das Recht auf körperliche und geistige Unversehrtheit jeder Person und verbietet in Absatz 2 das reproduktive Klonen von Menschen.

5.3

Organisation der Vereinten Nationen (UNO)

5.3.1

Internationaler Pakt über bürgerliche und politische Rechte

Der Internationale Pakt über bürgerliche und politische Rechte vom 16. Dezember 1966 (UNO-Pakt II153) garantiert die klassischen Menschenrechte. Die darin gewährleisteten Rechte und Freiheiten entsprechen weitgehend denjenigen der EMRK und sind wie diese nach bundesgerichtlicher Rechtsprechung im Allgemeinen unmittelbar anwendbar154. Die Bestimmungen des vorliegenden Gesetzesentwurfs, die mit den vorliegend relevanten Grundrechten der Bundesverfassung und der EMRK (vgl. Ziff. 5.1.1) übereinstimmen, genügen somit auch den Anforderungen des UNO-Pakts II.

5.3.2

Weltgesundheitsorganisation (WHO)

Die 50. Weltgesundheitsversammlung verabschiedete am 14. Mai 1997 eine Resolution, in der sie erklärte, dass das reproduktive Klonen ethisch nicht vertretbar sei und die Menschenwürde und die persönliche Integrität verletze155. Die 51. Weltgesundheitsversammlung verabschiedete am 16. Mai 1998 eine weitere Resolution, in der die Mitgliedstaaten aufgefordert werden, gesetzliche Massnahmen zu treffen, um das reproduktive Klonen zu verbieten156 (zur Situation in der Schweiz Ziff. 1.4.2.2.2 und 1.4.3.1.3). Die 52. Weltgesundheitsversammlung nahm am 25. Mai 1999 zur Kenntnis, dass die Entwicklung von Klonierungstechniken für die Erzeugung von Geweben und Organen von grossem Nutzen sein könnte. Sie wies jedoch darauf hin, dass diese Entwicklungen unter Verzicht auf das Verfahren des reproduktiven

151 152 153 154 155 156

Beschluss 1513/2002/EG.

Vgl. http://www.europa.eu.int/comm/research/fp6/index_en.html ABl. EG C 364 vom 18. Dez. 2000, S. 1.

SR 0.103.2.

Vgl. etwa BGE 120 Ia 11 f.

Resolution der WHO 50.37 vom 14. Mai 1997 über das reproduktive Klonen.

Resolution der WHO 51.10 vom 16. Mai 1998 über die ethischen, wissenschaftlichen und sozialen Auswirkungen des Klonens auf die menschliche Gesundheit.

1266

Klonens zu erfolgen haben und den ethischen und rechtlichen Anforderungen genügen müssen.

6

Rechtliche Grundlagen

6.1

Verfassungsmässigkeit

Der vorliegende Gesetzesentwurf stützt sich auf Artikel 119 Absatz 2 der Bundesverfassung. Dieser gibt dem Bund eine umfassende Kompetenz auf den Gebieten der Fortpflanzungsmedizin und Gentechnologie im Humanbereich, die auch die entsprechende Forschung einschliesst. Es handelt sich dabei um eine Kompetenz mit nachträglich derogatorischer Kraft, d.h. die Kantone bleiben so lange und so weit zuständig, als der Bund nicht selbst aktiv wird.

6.2

Delegation von Rechtsetzungsbefugnissen

Der Bundesrat erhält mit Artikel 19 des Gesetzesentwurfs für bestimmte Bereiche die Kompetenz, Ausführungsbestimmungen zum vorliegenden Gesetz zu erlassen.

Dies ist deswegen gerechtfertigt, weil der Gesetzesentwurf selbst bereits die Grundsätze enthält und damit den Rahmen absteckt, innerhalb dessen sich die Regelung durch den Bundesrat zu bewegen hat.

1267

Anhang

Glossar Adulte Stammzelle

Stammzelle, die aus spezifischen Geweben von Embryonen, Föten oder geborenen Individuen gewonnen werden kann.

Biotechnologie

Die Wissenschaft von der technischen Nutzung von Mikroorganismen, Zellkulturen und Enzymen.

Blastocoel

Flüssigkeitsgefüllte Höhle im Innern einer Blastozyste.

Blastomeren

Die ersten, noch undifferenzierten Zellen eines Embryos nach Teilung der Zygote bis zum Morulastadium.

Blastozyste

Ein Embryo vom 4.­7. Entwicklungstag. Die Blastozyste besteht aus einer äusseren Zellgruppe, aus der die Plazenta hervorgeht (Trophoblast), und der inneren Zellmasse, aus der sich der Embryo bzw. Fötus entwikkelt (Embryoblast).

Chimäre

Lebewesen, das aus genetisch verschiedenen Zellen zusammengesetzt ist.

Chorda dorsalis

Knorpelähnlicher Achsenstab als Vorstufe der Wirbelsäule.

Chromosomen

Aus DNA (Desoxyribonukleinsäure; Trägersubstanz der Erbinfomation) und Proteinen aufgebaute Makromoleküle, welche die Erbinformation enthalten und bei jeder Zellteilung an die Tochterzellen weitergegeben werden.

Die Anzahl und die Gestalt der Chromosomen ist artspezifisch. Menschliche Körperzellen enthalten einen doppelten Chromosomensatz (diploid; 23 Chromosomenpaare): Ei- und Samenzellen weisen dagegen nur einen einfachen Chromosomensatz auf (haploid; 23 Chromosomen) auf.

Differenzierung

Vorgang, bei dem sich eine Zelle zu einem spezialisierten Zelltyp entwickelt. Die Differenzierung von Stammzellen in vitro kann durch die Zugabe oder den Entzug bestimmter Wachstums- und Differenzierungsfaktoren beeinflusst werden.

Diploide Zelle

Zelle, die einen doppelten Chromosomensatz enthält.

Körperzellen weisen im Unterschied zu Keimzellen (Ei- und Samenzellen) des Menschen einen diploiden Chromosomensatz auf.

Ektoderm

Äusseres der drei embryonalen Keimblätter, aus dem sich unter anderem das Zentralnervensystem sowie die Haut entwickeln.

Embryo

Nicht einheitlich verwendeter Begriff. Frucht von der Kernverschmelzung bis zum Abschluss der Organentwicklung.

1268

Embryoblast

Innere Zellmasse der Blastozyste, aus der sich der Embryo entwickelt.

Embryogenese

Die Entwicklung des Embryos aus der befruchteten Eizelle.

Embryoid bodies

Zellkolonien aus noch nicht endgültig differenzierten Zellen, die sich in Kultur aus Stammzellen bilden können und Zellen aller drei Keimblätter enthalten.

Embryonale Keimzelle (EG-Zelle)

Pluripotente Zelle, die aus Vorläuferzellen von Ei- und Samenzellen, den so genannten primordialen Keimzellen, gewonnen wird. Primordiale Keimzellen lassen sich aus einer spezifischen Region des Embryos bzw. Fötus isolieren, die sich in der 4. Schwangerschaftswoche entwickelt und als Genitalleiste bezeichnet wird.

Embryonale Stammzelle (ES-Zelle)

Aus der inneren Zellmasse eines etwa fünf Tage alten Embryos abgeleitete pluripotente Zelle.

Embryo-Splitting

Verfahren der künstlichen Mehrlingsbildung, bei dem der Embryo vom Zweizell- bis zum Blastozystenstadium durch Trennung des Zellverbands in zwei oder mehr Teile aufgeteilt wird.

Entoderm

Inneres der drei Keimblätter, aus dem sich unter anderem Leber, Schilddrüse und Bauchspeicheldrüse sowie die Auskleidungen des Magen-Darm-Traktes und der Lunge bilden.

Follikel

Eibläschen; Hülle der heranreifenden Eizelle im Eierstock.

Follikelpunktion

Entnahme einer sich in einem Follikel befindenden Oozyte mittels einer Nadel.

Fötus

Leibesfrucht vom Abschluss der Organentwicklung (Anfang der 9. Schwangerschaftswoche) bis zur Geburt.

Genexpression

Umsetzung der genetischen Information in ein Genprodukt, meist ein Protein.

Genitalleiste

In der 4. Woche entstehende embryonale Struktur, aus der sich die Eierstöcke bzw. die Hoden entwickeln.

Gentechnologie

Teilgebiet der Genetik, das sich mit der Entwicklung sowie der diagnostischen, therapeutischen und technologischen Nutzung von Verfahren zur Übertragung bestimmter Gene aus Zellen eines Organismus in Zellen eines anderen befasst.

Haploide Zelle

Zelle, die im Unterschied zu einer diploiden Zelle nur einen einfachen Chromosomensatz aufweist.

Spermien und Eizellen sind haploid.

1269

Hybrid

Nicht einheitlich verwendeter Begriff. Lebewesen, das aus einer Kreuzung zwischen artverschiedenen Eltern hervorgegangen ist. Im Unterschied zu Chimären sind bei Hybriden alle Körperzellen genetisch identisch. Ein Beispiel aus dem Tierreich ist der Maulesel, eine Kreuzung zwischen Esel und Pferd.

Implantation

(1) Einbringen oder Einpflanzung von körperfremden Materialien in den Organismus. (2) Synonym für Nidation.

Imprägnation

Eindringen des Spermiums in die reife Eizelle.

Imprägnierte Eizelle

Die befruchtete Eizelle vor der Kernverschmelzung.

In-vitro-Fertilisation (IVF)

Die Vereinigung einer Eizelle mit Samenzellen ausserhalb des Körpers der Frau.

Keimbahntherapie

Therapeutischer Eingriff in das Genom von Keimbahnzellen (u.a. Spermien und Eizellen). Ein derartiger Eingriff hat zur Folge, dass sich die genetische Veränderung auf alle nachfolgenden Generationen vererbt.

Keimblätter

Allgemeine Bezeichnung für die in der frühen Embryogenese entstehenden Zellschichten Ektoderm, Mesoderm und Entoderm.

Keimscheibe

Aus zwei (zweiblättrige Keimscheibe; 8. Entwicklungstag) bzw. aus drei (dreiblättrige Keimscheibe; 3. Entwicklungswoche) Keimblättern bestehender Embryoblast.

Klon

Gruppe von genetisch identischen Zellen oder Organismen, die durch Teilung aus einer einzigen Zelle oder einem einzelnen Organismus hervorgegangen sind.

Klonierung

Die u.a. künstliche Erzeugung genetisch identischer Organismen.

Kryokonservierung

Einfrierung und Lagerung von biologischem Material, beispielsweise Spermien oder imprägnierte Eizellen.

Mesoderm

Mittleres der drei Keimblätter, aus dem sich u.a. Knochen und Knorpel, Nieren, Muskeln sowie Blut- und Lymphgefässe bilden.

Morula

Bezeichnung für einen Embryo etwa drei Tage nach der Befruchtung.

Nidation

Einnistung (Implantation) der Blastozyste in die Schleimhaut der Gebärmutter am 5. oder 6. Tag nach der Befruchtung.

Oozyte Organogenese

Bezeichnung für die noch unreife Eizelle.

Vorgang der Entstehung der Organe aus den Organanlagen etwa während der 4.-8. Schwangerschaftswoche.

1270

Ovar

Eierstock; paarig angelegtes weibliches Geschlechtsorgan, Bildungsort der weiblichen Keimzellen sowie der weiblichen Geschlechtshormone.

Ovarielles Hyperstimulationssyndrom

Potenziell lebensbedrohende Erkrankung, die durch die Verabreichung von Substanzen zur Follikelstimulation und Ovulationsinduktion hervorgerufen wird. Die Symptome sind sehr unterschiedlich und vom Schweregrad des ovariellen Hyperstimulationssyndroms abhängig.

Ovulation

Eisprung; die bei der geschlechtsreifen Frau mit einem 28-tägigen Menstruationszyklus normalerweise am 14. Tag nach Einsetzen der Menstruation erfolgende Ausstossung einer reifen Eizelle aus dem Ovar.

Parthenogenese

Sog. Jungfernzeugung; eingeschlechtliche Fortpflanzung aus unbefruchteten Eizellen.

Parthenote

Durch Parthenogenese entstandener, nicht entwicklungsfähiger menschlicher Embryo.

Plazenta

«Mutterkuchen», der die Versorgung des Fötus und die Produktion verschiedener Hormone übernimmt.

Er besteht zum überwiegenden Teil aus fötalen und zum kleineren Teil aus mütterlichen Zellen.

Pluripotente Zelle

Nicht einheitlich verwendeter Begriff. Zelle, die sich unter bestimmten Voraussetzungen in alle verschiedenen Zelltypen eines Organismus differenzieren kann.

Eine pluripotente Zelle kann sich jedoch im Unterschied zu einer totipotenten Zelle nicht zu einem ganzen Individuum entwickeln.

Präimplantationsdiagnostik (PID)

Abspaltung und genetische Untersuchung einer Zelle eines durch In-vitro-Fertilisation entstandenen Embryos vor der Übertragung in die Gebärmutter.

Primitivstreifen

Rinne mit beidseits erhöhten Rändern, in die während der Gastrulation ektodermale Zellen hineinwandern und das Mesoderm ausbilden. Der Primitivstreifen legt die Achsen des Embryos fest und bildet sich etwa am 15. Tag nach der Befruchtung.

Primordiale Keimzelle

Zelle, aus der über eine Reihe von Entwicklungsstufen Keimzellen (Ei- oder Samenzellen) entstehen. Primordiale Keimzellen haben im Gegensatz zu reifen Keimzellen einen diploiden Chromosomensatz.

Pronukleus

Kern der Eizelle bzw. des in die Eizelle eingedrungenen Spermiums kurz vor deren Verschmelzung.

Reproduktives Klonen

Verfahren der künstlichen Mehrlingsbildung, bei dem im Unterschied zum therapeutischen Klonen die Geburt eines genetisch identischen Individuums bezweckt ist.

1271

Reprogrammierung

Umkehrung der Differenzierung; Rückwandlung einer Zelle in ein früheres Entwicklungsstadium. Eine Reprogrammierung des Zellkerns einer ausdifferenzierten Körperzelle auf das noch völlig undifferenzierte Niveau einer befruchteten Eizelle kann durch Vereinigung einer Körperzelle mit einer entkernten Eizelle erreicht werden.

Somatische Gentherapie

Therapeutischer Eingriff in das Erbgut von Körperzellen. Im Unterschied zur Keimbahntherapie wird eine durch einen solchen Eingriff verursachte Veränderung nicht an die Nachkommen weitervererbt.

Stammzellen

Undifferenzierte Zellen eines Embryos, Fötus oder geborenen Individuums, die sich durch die Fähigkeit zur Selbsterneuerung sowie zur Differenzierung in spezialisierte Zelltypen auszeichnen.

Synzytium

Durch Teilung oder Verschmelzung von Zellen entstehender mehrkerniger Zellverband ohne Zellgrenzen.

Therapeutisches Klonen

Herstellung eines Klons durch Zellkerntransfer mit dem Ziel, genetisch identische Stammzellen für den therapeutischen Einsatz zu gewinnen.

Totipotente Zelle

Nicht einheitlich verwendeter Begriff. Zelle mit der Fähigkeit, sich in ein vollständiges Individuum zu entwickeln. Totipotent sind die befruchtete Eizelle sowie die Embryonalzellen bis etwa zum 8-Zell-Stadium.

Trophoblast

Äussere Zellschicht der Blastozyste, aus der im weiteren Verlauf der Entwicklung die embryonalen Anteile der Plazenta hervorgehen.

Überzähliger Embryo

Im Rahmen der In-vitro-Fertilisation erzeugter Embryo, der nicht für die Herbeiführung einer Schwangerschaft verwendet werden kann.

Zellkerntransfer

Überführung eines Zellkerns einer Körperzelle in das Zytoplasma einer entkernten Eizelle.

Zelllinie

Eine aus Zellen verschiedenen Ursprungs etablierte Zellkultur, die in spezifischen Nährmedien kultiviert werden kann und sich durch bestimmte Merkmale und Zellfunktionen auszeichnet. Eine embryonale Stammzelllinie wird aus Zellen des Embryoblasten gebildet.

Zygote

Befruchtete Eizelle nach der Verschmelzung der Zellkerne von Ei- und Samenzelle.

Zytoplasma

Der von einer Zellmembran umgebene Teil der Zelle ohne den Zellkern.

1272

Inhaltsverzeichnis Übersicht

1164

1 Allgemeiner Teil 1.1 Ausgangslage 1.2 Naturwissenschaftliche Grundlagen 1.2.1 Begriffe 1.2.1.1 Embryo 1.2.1.2 Embryonale Stammzellen 1.2.2 Embryonalentwicklung beim Menschen 1.2.2.1 Einleitung 1.2.2.2 Die verschiedenen Entwicklungsphasen 1.2.3 Entstehung von menschlichen Embryonen 1.2.3.1 Einleitung 1.2.3.2 Fertilisation 1.2.3.2.1 In-vivo-Fertilisation 1.2.3.2.2 In-vitro-Fertilisation 1.2.3.3 Klonierung 1.2.3.3.1 Einleitung 1.2.3.3.2 Embryonen-Splitting 1.2.3.3.3 Zellkerntransfer 1.2.3.4 Parthenogenese 1.2.4 Gewinnung menschlicher embryonaler Stammzellen 1.2.4.1 Einleitung 1.2.4.2 Verfahren der Gewinnung embryonaler Stammzellen 1.3 Forschung an menschlichen Embryonen und an menschlichen embryonalen Stammzellen 1.3.1 Forschung an menschlichen Embryonen 1.3.1.1 Einleitung 1.3.1.2 Grundlagenforschung 1.3.1.3 Verbesserung der Unfruchtbarkeitsbehandlung 1.3.1.4 Verbesserung der Präimplantationsdiagnostik 1.3.2 Forschung an menschlichen embryonalen Stammzellen 1.3.2.1 Einleitung 1.3.2.2 Eigenschaften von embryonalen Stammzellen 1.3.2.3 Grundlagenforschung 1.3.2.4 Embryonale Stammzellen als Modellsysteme für Wirksamkeits- und Toxizitätsprüfungen pharmazeutischer Produkte 1.3.2.5 Embryonale Stammzellen für Zell- und Gewebeersatztherapien 1.4 Rechtslage in der Schweiz 1.4.1 Einleitung 1.4.2 Bundesverfassung 1.4.2.1 Grundrechte

1167 1167 1168 1168 1168 1169 1169 1169 1170 1172 1172 1172 1172 1172 1175 1175 1176 1176 1177 1178 1178 1179 1180 1180 1180 1180 1181 1181 1182 1182 1183 1184

1184 1185 1186 1186 1186 1186

1273

1.4.2.1.1 Menschenwürde 1.4.2.1.2 Recht auf Leben und persönliche Freiheit 1.4.2.1.3 Wissenschaftsfreiheit 1.4.2.2 Fortpflanzungsmedizin und Gentechnologie im Humanbereich 1.4.2.2.1 Einleitung 1.4.2.2.2 Verbote 1.4.2.2.3 Gebot, keine überzähligen Embryonen entstehen zu lassen 1.4.2.2.4 Kein umfassendes Verbot der Forschung an menschlichen Embryonen 1.4.3 Bundesgesetzgebung 1.4.3.1 Bundesgesetz über die medizinisch unterstützte Fortpflanzung 1.4.3.1.1 Regelungsgegenstand und Zweck 1.4.3.1.2 Massnahmen zur Minimierung der Anzahl überzähliger Embryonen 1.4.3.1.3 Verbote zur Verhinderung missbräuchlicher Anwendungen 1.4.3.1.4 Nicht abschliessende Regelung der Forschung 1.4.3.2 Bundesbeschluss über die Kontrolle von Transplantaten 1.4.4 Kantonale Gesetzgebung 1.4.5 Richtlinien der Schweizerischen Akademie der Medizinischen Wissenschaften 1.5 Rechtslage in anderen Ländern 1.5.1 Übersicht 1.5.2 Deutschland 1.5.3 Österreich 1.5.4 Frankreich 1.5.5 Vereinigtes Königreich 1.5.6 Vereinigte Staaten von Amerika 1.6 Ethische und weitere Aspekte 1.6.1 Ethische Aspekte 1.6.1.1 Einleitung 1.6.1.2 Schutzwürdigkeit des Embryos: drei Modelle 1.6.1.3 Schlussfolgerungen für die Embryonenforschung 1.6.2 Weitere Aspekte 1.6.2.1 Bedeutung der Stammzellenforschung für die öffentliche Gesundheit 1.6.2.2 Wirtschaftliche Aspekte der Stammzellenforschung 1.7 Berichte und Positionspapiere 1.7.1 Nationale Ethikkommission im Bereich der Humanmedizin (NEKCNE) 1211 1.7.1.1 Stellungnahme Nr. 3: Zur Forschung an embryonalen Stammzellen (2002) 1.7.1.1.1 Einleitung 1274

1186 1188 1188 1189 1189 1190 1192 1193 1194 1194 1194 1194 1196 1196 1197 1198 1198 1199 1199 1201 1202 1202 1203 1205 1207 1207 1207 1208 1209 1210 1210 1211 1211

1211 1211

1.7.1.1.2 Option: Verwendung von überzähligen Embryonen zur Stammzellengewinnung 1212 1.7.1.1.3 Option: Import von Embryonen und embryonalen Stammzellen 1214 1.7.1.1.4 Option: alternative Verfahren zur Gewinnung embryonaler Stammzellen 1215 1.7.1.2 Stellungnahme Nr. 1: Forschung an importierten embryonalen Stammzellen (2001) 1215 1.7.2 Studie des Zentrums für Technologiefolgen-Abschätzung TASWISS (2002) 1216 1.7.3 Positionspapier des Schweizerischen Nationalfonds zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung (2001) 1217 1.7.4 Positionspapier der Zentralen Ethikkommission der Schweizerischen Akademie der Medizinischen Wissenschaften (2001) 1218 1.7.5 Bericht der Studiengruppe «Forschung am Menschen» (1995) 1218 1.7.6 Bericht der Expertenkommission Humangenetik und Reproduktionsmedizin (Bericht Amstad, 1988) 1219 1.8 Öffentliche Debatte 1220 1.8.1 Allgemeines 1220 1.8.2 Science et Cité 1220 1.8.3 Zentrum für Technologiefolgenabschätzung (TA-SWISS) 1221 1.9 Parlamentarische Vorstösse 1222 1.10 Vorverfahren 1224 1.10.1 Vorentwurf 1224 1.10.1.1 Erarbeitung des Vorentwurfs 1224 1.10.1.2 Gutachten von Prof. Rainer Schweizer 1225 1.10.1.3 Grundzüge des Vorentwurfs 1226 1.10.2 Vernehmlassungsverfahren 1226 1.10.2.1 Allgemeines 1226 1.10.2.2 Ergebnis zu wichtigen Aspekten 1227 1.10.2.2.1Geltungsbereich, Koppelung, Subsidiarität und Strafmass 1227 1.10.2.2.2Weitere Punkte 1229 1.10.3 Überarbeitung des Vorentwurfs 1230 1.10.3.1 Geltungsbereich, Koppelung, Subsidiarität und Strafmass 1230 1.10.3.2 Patentierbarkeit 1231 1.10.3.3 Weitere Punkte 1234 1.10.3.4 Die wichtigsten Änderungen im Überblick 1235 1.11 Grundzüge des Gesetzesentwurfs 1236 1.11.1 Konzept 1236 1.11.2 Begründung 1236 1.11.3 Bedingungen 1237 1.11.3.1 Verwendung überzähliger Embryonen zu Forschungszwecken 1237 1.11.3.2 Forschung an embryonalen Stammzellen 1238 1275

1.11.3.3 Zulässigkeit des Imports von überzähligen Embryonen und embryonalen Stammzellen?

1.11.4 Bewilligungs-, Zustimmungs- und Meldeverfahren 2 Besonderer Teil: Erläuterungen zu den einzelnen Artikeln 2.1 1. Kapitel: Allgemeine Bestimmungen 2.1.1 Gegenstand, Zweck und Geltungsbereich (Art. 1) 2.1.2 Begriffe (Art. 2) 2.1.3 Verbotene Handlungen (Art. 3) 2.1.4 Unentgeltlichkeit (Art. 4) 2.2 2. Kapitel: Umgang mit überzähligen Embryonen 2.2.1 1. Abschnitt: Forschung an überzähligen Embryonen 2.2.1.1 Bewilligungspflicht (Art. 5) 2.2.1.2 Wissenschaftliche und ethische Anforderungen (Art. 6) 2.2.1.3 Pflichten der Inhaberin oder des Inhabers der Bewilligung (Art. 7) 2.2.2 2. Abschnitt: Gewinnung embryonaler Stammzellen 2.2.2.1 Bewilligungspflicht (Art. 8) 2.2.2.2 Pflichten der Inhaberin oder des Inhabers der Bewilligung (Art. 9) 2.2.3 3. Abschnitt: Gemeinsame Bestimmungen 2.2.3.1 Einwilligung nach Aufklärung (Art. 10) 2.2.3.2 Unabhängigkeit der beteiligten Personen (Art. 11) 2.2.3.3 Bewilligungspflicht für die Aufbewahrung (Art. 12) 2.3 3. Kapitel: Umgang mit embryonalen Stammzellen 2.3.1 1. Abschnitt: Forschung an embryonalen Stammzellen 2.3.1.1 Befürwortung durch die Ethikkommission (Art. 13) 2.3.1.2 Wissenschaftliche und ethische Anforderungen (Art. 14) 2.3.1.3 Pflichten der Projektleitung (Art. 15) 2.3.1.4 Befugnisse des Bundesamtes (Art. 16) 2.3.2 2. Abschnitt: Einfuhr, Ausfuhr und Aufbewahrung embryonaler Stammzellen 2.3.2.1 Bewilligungspflicht für die Ein- oder Ausfuhr (Art. 17) 2.3.2.2 Meldepflicht für die Aufbewahrung (Art. 18) 2.4 4. Kapitel: Vollzug 2.4.1 Ausführungsbestimmungen (Art. 19) 2.4.2 Kontrolle (Art. 20) 2.4.3 Mitwirkungspflicht (Art. 21) 2.4.4 Massnahmen (Art. 22) 2.4.5 Gebühren (Art. 23) 2.4.6 Evaluation (Art. 24) 2.5 5. Kapitel: Strafbestimmungen 2.5.1 Vergehen (Art. 25) 2.5.2 Übertretungen (Art. 26) 2.5.3 Zuständigkeit und Verwaltungsstrafrecht (Art. 27) 2.6 6. Kapitel: Schlussbestimmungen 1276

1239 1239 1242 1242 1242 1242 1243 1244 1245 1245 1245 1246 1247 1248 1248 1249 1249 1249 1250 1251 1252 1252 1252 1252 1253 1253 1253 1253 1254 1254 1254 1255 1255 1256 1256 1257 1257 1257 1258 1258 1259

2.6.1 Änderung bisherigen Rechts (Art. 28) 2.6.2 Übergangsbestimmungen (Art. 29) 2.6.3 Referendum und Inkrafttreten (Art. 30)

1259 1259 1260

3 Auswirkungen des Gesetzesentwurfs 3.1 Finanzielle und personelle Auswirkungen 3.1.1 Auf den Bund 3.1.2 Auf die Kantone und Gemeinden 3.2 Auswirkungen auf die Informatik 3.3 Auswirkungen auf die Bevölkerung, die betroffenen Paare und die Forschenden 3.4 Volkswirtschaftliche Auswirkungen 3.5 Auswirkungen auf das Fürstentum Liechtenstein

1260 1260 1260 1261 1261

4 Legislaturplanung

1263

5 Verhältnis zum internationalen Recht 5.1 Europarat 5.1.1 Europäische Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) 5.1.2 Europäisches Übereinkommen vom 4. April 1997 über Menschenrechte und Biomedizin (Biomedizin-Konvention) 5.1.3 Zusatzprotokoll vom 12. Januar 1998 über das Verbot des Klonens von menschlichen Lebewesen 5.2 Europäische Union 5.3 Organisation der Vereinten Nationen (UNO) 5.3.1 Internationaler Pakt über bürgerliche und politische Rechte 5.3.2 Weltgesundheitsorganisation (WHO)

1263 1263

6 Rechtliche Grundlagen 6.1 Verfassungsmässigkeit 6.2 Delegation von Rechtsetzungsbefugnissen

1267 1267 1267

Anhang (Glossar)

1268

Bundesgesetz über die Forschung an überzähligen Embryonen und embryonalen Stammzellen (Entwurf)

1278

1261 1262 1262

1263 1263 1264 1265 1266 1266 1266

1277