02.063 Die Rolle von Bundesrat und Bundesverwaltung im Zusammenhang mit der Swissair-Krise Bericht der Geschäftsprüfungskommission des Ständerates vom 19. September 2002

Sehr geehrter Herr Präsident, sehr geehrte Damen und Herren, Die Geschäftsprüfungskommission des Ständerates unterbreitet Ihnen ihren Bericht über die Rolle von Bundesrat und Bundesverwaltung im Zusammenhang mit der Swissair-Krise. Sie beantragt, vom Bericht Kenntnis zu nehmen.

19. September 2002

Im Namen der Kommission Der Präsident: Michel Béguelin

2003-0137

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Zusammenfassung Die Folgen der Krise bei der Schweizerischen Fluggesellschaft Swissair für den Bund und insbesondere die vorübergehende Stilllegung des Flugbetriebs der Swissair am 2./3. Oktober 2001 veranlassten die Geschäftsprüfungskommission des Ständerates (GPK-S), eine Untersuchung zu eröffnen. Die GPK-S richtete ihre Untersuchung auf mögliche Verantwortlichkeiten des Bundes aus und klärte die Wahrnehmung der Bundesaufsicht im Bereich der Zivilluftfahrt, die Rolle des Bundes als Aktionär und Mitglied des Verwaltungsrates der SAirGroup sowie das Verhalten von Bundesrat und Bundesverwaltung in der Swissair-Krise ab. Die GPK-S möchte mit diesem Bericht auch einen Beitrag leisten zu einer kritischen Reflexion der Swissair-Krise, die zu einem finanziellen Engagement des Bundes von 2050 Millionen Franken führte. Die Abklärung der GPK-S ist aber klar abzugrenzen von jenen Verfahren, die auf privatrechtliche oder strafrechtliche Verantwortlichkeiten im Zusammenhang mit der Swissair-Krise ausgerichtet sind.

Im Bereich der Aufsicht über die Zivilluftfahrt haben die Abklärungen der GPK-S ergeben, dass das schweizerische Recht bezüglich der Überprüfung der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit von Inhabern einer Betriebsbewilligung unklar und präzisierungs- sowie auslegungsbedürftig ist. Das Bundesamt für Zivilluftfahrt (BAZL) ist einer restriktiven Auslegung gefolgt und hat der Überprüfung der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit nur sekundäre Bedeutung beigemessen. Während der Dauer einer Betriebsbewilligung hat es sich nicht vertieft und systematisch mit der wirtschaftlichen Lage der Fluggesellschaften auseinandergesetzt. Die restriktive Auslegung des BAZL ergab sich auch dadurch, dass es der Überprüfung der operationellen und technischen Voraussetzungen des Flugbetriebs Priorität einräumte und die wirtschaftliche Betrachtung nur im Hinblick auf die Gewährleistung eines sicheren Betriebs anstellte. Die Unklarheiten sind mit dem Inkrafttreten des Bilateralen Luftverkehrsabkommens zwischen der Schweiz und der Europäischen Gemeinschaft auf den 1. Juni 2002 beseitigt. Die EG-Verordnung 2407/92 definiert klar, wann und anhand welcher Dokumente die Aufsichtsbehörden die wirtschaftliche Solidität der Flugunternehmen beurteilen müssen. Die GPK-S ist erstaunt, dass diese klaren Vorgaben nicht früher ins schweizerische
Recht übernommen wurden. Eine Klarstellung wäre möglich gewesen und hätte sich aufgedrängt, als die Schweiz die Grundsätze des EG-Rechts in der Luftrechtrevision von 1998 übernahm.

Die gesetzliche Regelung und die Umstände hätten dem BAZL nicht erlaubt, der Swissair die Erneuerung der Betriebsbewilligung im Dezember 2000 zu verweigern.

Das BAZL hätte die Bewilligung allerdings bedingt aussprechen können, bis es von der SAirGroup nähere Angaben über die definitiven Finanzzahlen des Jahres 2000 und die finanziellen Perspektiven für das Jahr 2001 erhalten hätte. Im Verlaufe der Krise während des Jahres 2001 ging auch das BAZL aufgrund verschiedener Umstände davon aus, dass die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit der Swissair gegeben ist. Obschon es die schwierige Lage der SAirGroup seit anfangs 2001 kannte, war nach seiner Auslegung der sichere Flugbetrieb in keinem Zeitpunkt gefährdet. Die SAirGroup zeigte sich bezüglich der kurz- und mittelfristigen Per-

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spektiven zuversichtlich. Sie verwies auch auf eine Kreditlinie eines Bankenkonsortiums von 1 Milliarde Franken zu Sicherung der Liquidität. Nach Ansicht der GPKS wäre ein Entzug der Betriebsbewilligung unter den damaligen Umständen und angesichts der fehlenden Kriterien und Verfahrensschritte rechtlich und politisch schwer begründbar gewesen. Auch als sich die Liquiditätsprobleme der Swissair Ende September 2001 dramatisch zuspitzten, wäre ein sofortiger Entzug aus wirtschaftlichen Gründen nicht möglich gewesen, da es nicht Aufgabe einer Aufsichtsbehörde sein kann, eine chaotische Stilllegung des Flugbetriebs eines Unternehmens auszulösen. Ein solcher Entzug muss für die Fluggesellschaft und ihre Kunden voraussehbar sein, damit eine Stilllegung des Flugbetriebs strukturiert abläuft.

Zur Rolle des Bundes als Aktionär ist festzuhalten, dass auch der Bundesrat die schwierige Situation der SAirGroup bereits im Frühjahr 2001 erkannt hat. Entsprechend hat er die Massnahmen getroffen, um die Aktionärsrechte des Bundes zu wahren. Die Eidgenössische Finanzverwaltung hat die Generalversammlung der SAirGroup vom 25. April 2001 sowie die Einleitung der Sonderprüfung (Art.

697a ff. OR) sehr sorgfältig und professionell vorbereitet und begleitet. Damit hat der Bundesrat die notwendigen Massnahmen getroffen, um allfällige Verantwortlichkeiten der Organe der SAirGroup abzuklären. Im Übrigen war aber der Einfluss des Bundes als Aktionär gering. Gleiches gilt in Bezug auf den Einfluss des Bundes als Mitglied des Verwaltungsrates der SAirGroup, in dem er bis Frühjahr 1999 vertreten war. Die damaligen Bundesvertreter haben die tatsächlichen Einfluss- und Kontrollmöglichkeiten der Verwaltungsratsmitglieder, die nicht dem Ausschuss des Verwaltungsrates angehörten, als unbefriedigend beurteilt und den Anstoss zu einer Umstrukturierung des Verwaltungsrates gegeben. Aufgrund der Revision des Luftfahrtgesetzes von 1998 gab es seit dem Frühjahr 1999 keinen Staatsvertreter des Bundes mehr im Verwaltungsrat der SAirGroup. Eine aktienrechtliche Verantwortlichkeit des Bundes könnte sich allenfalls im Zusammenhang mit den Entscheiden und der Umsetzung der so genannten Hunter-Strategie durch den Verwaltungsrat der SAirGroup ergeben. Nach heutigen Erkenntnissen wird der Zusammenbruch der Swissair vor allem in Zusammenhang mit
dieser gescheiterten Strategie gebracht.

Eine Beurteilung dieser Frage ist erst möglich, wenn die Ergebnisse der erweiterten Sonderprüfung vorliegen. Der Sachwalter der SAirGroup, der allfällige Verantwortlichkeiten der Gesellschaftsorgane abklärt, wird die Ergebnisse der erweiterten Sonderprüfung im Herbst 2002 veröffentlichen.

Trotz seiner sorgfältigen Analyse der finanziellen Lage der Gruppe im Frühjahr 2001, die durchaus auf eine dramatische Situation hinwies, hat der Bundesrat keine Szenarien geprüft für den Fall, dass die Restrukturierung und Refinanzierung der SAirGroup scheitert oder der Konzern zahlungsunfähig wird. Und dies, obschon der Bundesrat der Swissair und dem Flughafen Zürich eine grosse volkswirtschaftliche und verkehrspolitische Bedeutung attestierte. Auch der Bundesrat und die Bundesverwaltung sind davon ausgegangen, dass die SAirGroup die Probleme ohne staatliche Intervention lösen kann. In dieser Haltung wurde der Bundesrat durch die optimistischen Verlautbarungen der Führung der SAirGroup bestärkt. Diese verkündete bereits im April 2001, dass die Liquidität der Gruppe durch eine Kreditlinie von 1 Milliarde Franken von einem Bankenkonsortium gesichert ist. Auch die

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Informationen der SAirGroup von Mitte Juli und Ende August 2001 über die Restrukturierungspläne waren von einem optimistischen Grundton gekennzeichnet.

Begründete Zweifel an der Zahlungsbereitschaft der SAirGroup hätten auch deshalb nicht aufkommen können, weil die Gruppe fällige Kredite bis Ende September 2001 zurückzahlte.

Im September 2001 spitzte sich die Krise der Swissair-Gruppe in dramatischer Weise zu. Die Terroranschläge vom 11. September 2001 in den USA haben die Krise der SAirGroup gewiss beschleunigt. Bereits davor war aber die Zukunft der SAirGroup ernsthaft in Frage gestellt. Die Führung der SAirGroup gelangte erst am 17. September 2001 an den Bund und verlangte Staatsgarantien von 1 Milliarde Franken. Nun bereitete es den Bundesvertretern Mühe, ihre Rolle in Bezug auf die sich dramatisch zuspitzende Liquiditätskrise der SAirGroup zu finden. Der Bund wurde zunehmend in die Rolle eines nur noch reagierenden und nicht mehr agierenden Akteurs gedrängt. Bis gegen Ende September 2001 diskutierte die SAirGroup mit Vertretern von Bund und Wirtschaft Lösungen zur Sanierung der ganzen Gruppe. Genauere Angaben zum Sanierungsbedarf waren aber erst gegen Ende September 2001 verfügbar. Es zeigte sich, dass eine Sanierung der ganzen Gruppe mindestens 8 Milliarden Franken gekostet hätte und somit nicht finanzierbar war.

Ausserdem musste die SAirGroup am 30. September 2001 bei einem Treffen mit dem Bundesrat die Zahlungsunfähigkeit bekannt geben. Für den Bund stellte sich die Frage, in ein Projekt der Grossbanken und der SAirGroup einzusteigen, das den Flugbetrieb von der Swissair auf die Crossair überführen sollte. Der Bundesrat machte die Offerte, finanzielle Mittel für den Flugbetrieb der Swissair mit dem Kauf der Crossair-Aktien freizustellen, die im Besitz der SAirGroup waren. Am 1. Oktober 2001 zeigte sich aber, dass die Grossbanken eine entsprechende Transaktion ohne den Bund planten. Diese waren jedoch nicht bereit, den Flugbetrieb der Swissair in der Überführungsphase zu finanzieren. Sie haben eine Stilllegung der Swissair-Flotte in Kauf genommen. Der Bundesrat hat die akute Gefahr einer Stilllegung des Flugbetriebs der Swissair und deren drastische Auswirkungen am 1. Oktober 2001 richtig eingeschätzt und die Öffentlichkeit darauf aufmerksam gemacht. Ebenso hat er öffentlich an die
Verantwortung der Grossbanken und der SAirGroup appelliert.

Am 2. Oktober 2001 haben sich die Ereignisse überstürzt. Verschiedene Umstände (Ankündigung der Nachlassstundung, Liquiditätsprobleme, Sicherheitsgründe) führten dazu, dass die Führung der SAirGroup den Flugbetrieb der Swissair einstellte. Eine Verantwortlichkeit der Bundesorgane für diese Stilllegung ist nicht ersichtlich. Diese haben sich im Gegenteil um verschiedene Lösungen bemüht und sich auch am 1. und 2. Oktober 2001 intensiv dafür eingesetzt, um ein «Grounding» der Swissair zu verhindern. Insbesondere war der Bund bereit, den Flugbetrieb mit einem Kredit von 125 Millionen Franken zu überbrücken, falls die beiden Grossbanken sich zusammen mit einem entsprechenden Betrag engagieren würden. Die UBS war dazu nicht bereit.

Das Krisenmanagement des Bundes nach dem 2. Oktober 2001 und beim Aufbau einer redimensionierten nationalen Fluggesellschaft ist als sehr professionell zu beurteilen. Es ist geprägt vom ausserordentlich grossen persönlichen Einsatz des

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Vorstehers des Eidgenössischen Finanzdepartements. Dank der Führungsrolle des Bundesrates und dem Einsatz der Task Force «Luftbrücke» unter der professionellen Leitung des Direktors der Eidgenössischen Finanzverwaltung konnte Ende Oktober 2001 ein erneutes «Grounding» der Swissair verhindert werden.

Obschon der Bundesrat den dramatischen Ausgang der Swissair-Krise kaum vorhersehen konnte, hätte er bereits im Frühjahr 2001 verschiedene Szenarien für den Fall entwerfen müssen, dass die geplante Restrukturierung der SAirGroup scheitert.

Entsprechende Szenarien hätten sich aufgedrängt, da der Bundesrat von einem öffentlichen Interesse an einer nationalen Fluggesellschaft ausgegangen ist und die dramatische Lage der SAirGroup zur Kenntnis nehmen musste. Entsprechende Szenarien und vorbehaltene Entscheide hätten es dem Bundesrat erlaubt, gezielter und besser vorbereitet in die sich rasant verschlechternde Swissair-Krise im September 2001 einzugreifen. Für die GPK-S ist es unbefriedigend, dass der Bund sich in eine Situation hineinmanövrieren liess, in der er zur Intervention gedrängt wurde.

Die Lehren für den Bund aus dem Fall Swissair sind nach Ansicht der GPK-S hauptsächlich auf der Ebene der Aufsicht und der Früherkennung zu ziehen. Im Bereich der Aufsicht über die Zivilluftfahrt sind die Voraussetzungen zu schaffen für eine qualifizierte Beurteilung der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit von Fluggesellschaften im Sinne der seit 1. Juni 2002 auch in der Schweiz anwendbaren EG-Regelung. Diese Regelung stellt erhöhte Anforderungen an die Überwachung der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit von Bewilligungsinhabern. Der Bundesrat muss auch die Kriterien und Verfahrensschritte für den Entzug einer Betriebsbewilligung präzisieren. Im Bereich der Früherkennung von politisch wichtigen Ereignissen muss der Bund sodann seine Entscheidfindung rechtzeitig auf Szenarien von zukünftigen Entwicklungen ausrichten. Ausserdem sind die Bundesverwaltung und der Bundesrat noch vermehrt für die Früherkennung von potentiellen politischen Herausforderungen und Krisen zu sensibilisieren. Insbesondere im Bereich der Unternehmen von grosser oder systemischer Bedeutung für die Volkswirtschaft der Schweiz ist eine Früherkennung zu etablieren. Da rechtzeitiges und adäquates Handeln ebenso wichtig ist wie die Früherkennung,
muss der Bund im Rahmen seiner Kompetenzen darauf hinwirken, dass die verantwortlichen Organe in der Privatwirtschaft rechtzeitig auf negative Entwicklungen hinweisen. Seinen Beitrag dazu kann der Bund leisten, indem er die Bestimmungen zur Rechnungslegung und Unternehmenskontrolle verschärft. Im Bereich der Zivilluftfahrt sollen Fluggesellschaften verpflichtet werden, finanzielle Schwierigkeiten der Aufsichtsbehörde zu melden.

Gestützt auf weitere Feststellungen, welche sie im Rahmen ihrer Untersuchung gemacht hat, fordert die GPK-S den Bundesrat auf, einzelne Fragestellungen im Luftrecht (Zuständigkeit für Streckenkonzessionen, Befristung der Betriebsbewilligungen) sowie im Sanierungsrecht zu überprüfen (gesetzliche Interessenvertretung im Sanierungsprozess, sanierungsfreundlichere Ausgestaltung des SchKG). Ausserdem ist der Bundesrat gefordert, eine neue Luftverkehrspolitik zu formulieren.

Schliesslich empfiehlt die GPK-S dem Bundesrat, die internationalen Bemühungen

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der Flugindustrie zu unterstützen, die Flugpassagiere gegen die überraschende Stilllegung des Flugbetriebs einer Fluggesellschaft zu schützen.

Eine kritische Reflexion der Swissair-Krise hinterlässt bei der GPK-S den Eindruck, dass die SAirGroup ihre Probleme nur durch die Einleitung von radikalen Sanierungsmassnahmen ­ spätestens im Frühjahr 2001 ­ hätte lösen können.

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Bericht 1

Kontext und Untersuchungsgegenstand

1.1

Die Krise der Swissair als Anlass der Untersuchung

Die Eskalation der Krise bei der Schweizerischen Fluggesellschaft Swissair im Herbst 2001, die ihren Ausdruck in der vorübergehenden Stilllegung des Flugbetriebs fand, veranlasste die Geschäftsprüfungskommission des Ständerates (GPK-S), eine Untersuchung zu eröffnen. Bereits vor diesem Zeitpunkt befand sich die Swissair in Schwierigkeiten. Über den exakten Zeitpunkt des Beginns der finanziellen Probleme und deren Beurteilung gibt es unterschiedliche Auffassungen. Nach bisherigen Erkenntnissen wird die Ursache der Krise im Scheitern der so genannten Hunter-Strategie1 gesehen. Diese sollte Swissair, Sabena und Austrian Airlines zusammen zu einem attraktiven Partner für eine amerikanische Fluggesellschaft machen. Wegen der zum Teil sehr kleinen Heimmärkte in der Schweiz, in Belgien und in Österreich schien dies nur durch Allianzen und Beteiligungen an europäischen Airlines erreichbar. Diese Beteiligungen wurden der Unternehmensgruppe zum Verhängnis.

Von aussen gesehen liessen die Rekordergebnisse der Swissair-Gruppe (SAirGroup) in den Jahren 19972 und 19983 keine düsteren Prognosen zu. Der Verwaltungsrat der SAirGroup sah sich im Frühjahr 2000 durch die rasche Verschlechterung der Ertragslage bei der deutschen LTU alarmiert. Parallel dazu zeichnete sich eine zunehmende Verschlechterung der operativen Resultate der französischen Gesellschaften und der belgischen Sabena ab. Anlässlich der Bilanzmedienkonferenz zum Halbjahresbericht 2000 erwartete die SAirGroup für das ganze Geschäftsjahr 2000 einen Gewinn von 200 Millionen Franken. Im zweiten Halbjahr 2000 verschlechterte sich jedoch die finanzielle Lage der französischen Beteiligungen dramatisch.

Am 2. April 2001 gab die SAirGroup einen Konzernverlust von 2885 Millionen Franken für das Jahr 2000 bekannt. Bereits im Januar 2001 vollzog die Gruppe einen Strategie- und Führungswechsel. Der massive Verlust im Geschäftsjahr 2000 resultierte im Wesentlichen aus den hohen Verlusten aus den ausländischen Beteiligungen, insbesondere in Frankreich, Belgien und Deutschland. Das Scheitern der Hunter-Strategie führte zum fast vollständigen Rücktritt des Verwaltungsrates der SAirGroup.

Diese Ereignisse vom Frühjahr 2001 bewogen auch den Bundesrat, die Aktionärsrechte des Bundes geltend zu machen. An der Generalversammlung vom 25. April 2001 reichte der Bund einen Antrag auf Sonderprüfung gemäss Artikel 697a ff. des Obligationenrechts (OR) ein4.

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Die Strategie wurde vom Verwaltungsrat der SAirGroup im Januar 1998 auf Antrag der Konzernleitung beschlossen.

Gewinn der SAirGroup von 324 Mio. Fr.

Gewinn der SAirGroup von 361 Mio. Fr.

Das Bezirksgericht Zürich hat den Antrag am 20. Juli 2001 behandelt und die Fragen bestimmt, welche für die Sonderprüfung zugelassen sind.

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Unter der neuen Führung versuchte die SAirGroup in der Folge, den Mittelabfluss bei den Auslandbeteiligungen zu stoppen. Am 12. Juli 2001 präsentierte sie einen Restrukturierungsplan. Gleichzeitig wurden die finanziellen Probleme der SAirGroup immer offensichtlicher. Eine von der neuen Führungscrew per 30. Juni 2001 verlangte Zwischenrevision bestätigte den Ernst der Lage. Nach Berichtigung verschiedener problematischer Bewertungen im Jahresabschluss 2000 musste das ohnehin schon knappe Eigenkapital5 noch einmal um knapp eine halbe Milliarde Franken reduziert werden und betrug damit Mitte 2001 bloss noch ungefähr 2 Prozent der Bilanzsumme. Am 30. August 2001 präsentierte die SAirGroup dieses Halbjahresergebnis 2001 sowie eine Reihe von Massnahmen, einschliesslich der geplanten Veräusserung der Firmen Swissport und Nuance Trading, mit denen die langfristige Zukunft der Fluggesellschaft gesichert werde sollte.

Die SAirGroup und ihre Tochter Swissair befanden sich also bereits vor den TerrorAnschlägen vom 11. September 2001 in den USA und deren weltweiten Auswirkungen auf das Fluggeschäft in einer schwierigen Lage. Im Laufe des Septembers 2001 spitzte sich die finanzielle Lage der SAirGroup rasch zu. Mit einer Restrukturierung plante die SAirGroup deshalb eine komplette Integration von Swissair und Crossair sowie eine Rekapitalisierung6. Pläne, die Gruppe als Ganzes zu sanieren und zu refinanzieren, mussten indessen wegen dem zu hohen Finanzbedarf und den in der Zwischenzeit eingetretenen akuten Liquiditätsproblemen der SAirGroup fallen gelassen werden. Die pessimistischen Liquiditätsszenarien führten die SAirGroup dazu, nach Mitte September 2001 auch beim Bundesrat um Garantien und Kredite nachzufragen. Die Rettung der nationalen Fluggesellschaft war in der zweiten Hälfte September 2001 Gegenstand von Gesprächen mit den Banken, der Wirtschaft und dem Bundesrat. Die beiden Grossbanken UBS und Credit Suisse Group (CSG) präsentierten am 1. Oktober 2001 einen Plan zur Übernahme des Flugbetriebs der Swissair durch die Crossair. Die SAirGroup trat auf die Offerte der Banken ein und verkaufte diesen ihre Beteiligung von 70 Prozent an der Crossair.

Gleichzeitig kündigte sie die Nachlassstundung für verschiedene Unternehmensteile an. Geplant war, dass die Crossair bis zum Beginn des Winterflugplans am
28. Oktober 2001 Teile des Swissair-Flugbetriebs übernimmt.

Am 2. Oktober 2001 entschied die Führung der SAirGroup, den Flugbetrieb stillzulegen. Dieses so genannte «Grounding» versetzte das ganze Land in einen Schockzustand und beeinträchtigte das Bild der Schweiz als Garantin von Zuverlässigkeit, Qualität und Sicherheit auch im Ausland. Von der Einstellung des Betriebs am 2. Oktober 2001 waren 19 000 Passagiere auf 262 Flügen betroffen. Auch am 3. Oktober 2001 blieben die Flugzeuge der Swissair auf dem Boden. Sofort kam auch eine Welle von gegenseitigen Schuldzuweisungen für die Ursachen des «Grounding» ins Rollen. Die Diskussion um mögliche Ursachen dauert bis zum heutigen Zeitpunkt an. Das «Grounding» warf auch die Frage der Verantwortlichkeit der Aufsichtsbehörden des Bundes auf. Dieser Frage nahm sich die GPK-S bereits am 10. Oktober 2001 an.

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6

Das Eigenkapital des Konzerns reduzierte sich von 4181 Millionen Franken (23,4 % der Bilanzsumme) im Jahre 1999 auf nur mehr 1160 Millionen Franken (5,7 % der Bilanzsumme) im Geschäftsjahr 2000.

Dieses sogenannte «Swiss Air Lines» Modell hat die SAirGroup der Presse am 24. September 2001 vorgestellt.

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In dieser Situation entschied sich der Bundesrat, den Flugbetrieb der Swissair mit einem Kredit aufrechtzuerhalten, bis dieser von der Crossair übernommen werden kann. Um den Flugbetrieb bis Ende Oktober 2001 aufrechtzuerhalten, sprach der Bundesrat mit Zustimmung der Finanzdelegation am 3. Oktober 2001 einen Kredit von 450 Millionen Franken. Erst jetzt ­ nach den hektischen Tagen von Ende September, anfangs Oktober ­ begannen sich die Komplexität der Probleme und die Fragen im Zusammenhang mit dem Zusammenbruch der Swissair abzuzeichnen.

Der finanzielle Aufwand und die Zeit zur Übertragung des Flugverkehrs von der Swissair auf die Crossair wurden in den Rettungsplänen der beiden Grossbanken unterschätzt. Mit einem weiteren Kredit beschlossen Bundesrat und Parlament, den Flugbetrieb der Swissair für den Winterflugplan 2001/2002 mit 1 Milliarde Franken aufrechtzuerhalten und sich am Kapital der neuen Fluggesellschaft auf der Basis der Crossair mit 600 Millionen Franken zu beteiligen. Mit der Unterstützung von Bund, Kantonen und Wirtschaft konnte am 1. April 2002 die neue Fluggesellschaft «Swiss International Air Lines AG» («Swiss») ihren Betrieb aufnehmen7.

1.2

Rahmen und Gegenstand der Untersuchung der GPK-S

Die Geschäftsprüfungskommissionen üben die parlamentarische Oberaufsicht über den Bundesrat und die Bundesverwaltung, die eidgenössischen Gerichte und die anderen Träger von Aufgaben des Bundes aus8. Gegenstand der Oberaufsicht ist damit das Verhalten der Bundesorgane, welches die Geschäftsprüfungskommissionen auf ihre Rechtmässigkeit, Zweckmässigkeit und Wirksamkeit untersuchen können.

Unter dem Fokus der «Rolle der Bundesorgane» hat die GPK-S die vorliegende Untersuchung durchgeführt. Hauptgegenstand ist die Frage, ob die zuständigen Bundesbehörden ihre Aufsichtspflichten im Bereich der Zivilluftfahrt ordnungsgemäss wahrgenommen haben. Es geht dabei vorderhand um die Aufsichts- und Bewilligungspraxis des Bundesamtes für Zivilluftfahrt (BAZL). Im Zusammenhang mit der Swissair-Krise ist wiederholt die Frage aufgeworfen worden, ob das BAZL die Betriebsbewilligung der Swissair im Jahre 2000 zu Recht erneuert hat. Insbesondere geht es um die Voraussetzungen der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit und des zuverlässigen Finanz- und Rechnungswesens, welche Gegenstand einer Prüfung im Verfahren um Erteilung einer Betriebsbewilligung sind. Die GPK-S untersuchte deshalb, ob das BAZL seiner Prüfungspflicht gemäss Artikel 27 Absatz 2 Buchstabe c des Luftfahrtgesetzes (LFG)9 in Verbindung mit Artikel 103 Absatz 1 Buchstabe i der Luftfahrtverordnung (LFV)10 nachgekommen ist. Darüber hinaus klärte die 7

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1450 Mio. Fr. sprach der Bund zur Finanzierung des reduzierten Flugprogramms der Swissair bis Ende März 2002. Nach heutigen Erkenntnissen wird davon voraussichtlich nur 1200 Mio. Fr. in Anspruch genommen. Den flugnahen Betrieben sagten die Kantone, Flughafenbetreiber und Banken eine Überbrückungsfinanzierung von rund 150 Mio. Fr.

zu. Bis im Juli 2002 flossen der neuen Fluggesellschaft 2551 Mio. Fr. neues Eigenkapital zu (Anteil Bund: 600 Mio.; Anteil Kantone: 342 Mio.; Anteil Wirtschaft: 1609 Mio.).

Vgl. Art. 169 der Bundesverfassung vom 18. April 1999 (SR 101) und Art. 47ter ff. des Bundesgesetzes über den Geschäftsverkehr der Bundesversammlung (...) vom 23. März 1962 (SR 171.11).

Bundesgesetz über die Luftfahrt vom 21. Dezember 1948, SR 748.0.

Verordnung über die Luftfahrt vom 14. November 1973, SR 748.01.

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GPK-S verschiedene Fragen der Luftfahrtaufsicht ab, die von grundsätzlichem Interesse sind; so insbesondere die Frage, ob das BAZL organisatorisch und personell in der Lage ist, die ihm übertragenen Aufsichtsfunktionen sachgerecht wahrzunehmen. Ziel einer grundsätzlichen Abklärung muss sein, die schweizerische Luftfahrtaufsicht in einem internationalen Kontext zu beurteilen und allfällige Schwachstellen im Hinblick auf die zukünftige Entwicklung auszuräumen.

Ebenfalls Gegenstand dieser Untersuchung ist die Wahrnehmung der Aktionärsrechte durch den Bund. Der Bund war qualifizierter Minderheitsaktionär mit einer Beteiligung von rund 3 Prozent am Aktienkapital der SAirGroup. Angesichts der Swissair-Krise interessiert die Frage, ob und wie der Bund seine Aktionärsrechte ausgeübt hat.

Neben den Fragen der Aufsichtspflicht und der Aktionärsrechte bilden allfällige Verantwortlichkeiten der Bundesorgane für die Ereignisse im Zusammenhang mit der Swissair-Krise Gegenstand dieser parlamentarischen Untersuchung. Die Abklärungen der GPK-S zeigen auf, welche Rolle insbesondere der Bundesrat und seine Verwaltung während der Swissair-Krise ausgeübt haben (vorwiegend während der Zeitperiode von Ende 2000 bis Ende Oktober 2001). Die Abklärungen gingen der Frage nach, ob die vorübergehende Stilllegung des Flugbetriebs der Swissair von Bundesseite in irgendeiner Weise mit zu verantworten ist. Dieser Bericht zeigt auf, wie die Bundesbehörden sich in der Krise verhalten haben und wie das Krisenmanagement des Bundes aus der Sicht der GPK-S zu beurteilen ist. Natürlich interessiert neben dem Krisenmanagement auch die grundsätzliche Frage der Früherkennung von Krisen, die schwerwiegende Folgen für die Wirtschaft und Politik des ganzen Landes nach sich ziehen können.

Die Oberaufsicht über die Bundesbehörden schliesst grundsätzlich eine Beurteilung der Verantwortlichkeit von privaten Organen aus, sofern sie nicht eine ihnen übertragene öffentliche Aufgabe wahrnehmen. Die Abklärung der Verantwortlichkeiten der Organe der SAirGroup erfolgt im Rahmen der erweiterten Sonderprüfung durch den Sachwalter der SAirGroup (zum näheren Gegenstand dieser Abklärungen siehe unten, Kapitel 1.3.1). Die vorliegende Untersuchung der GPK-S muss deshalb klar abgegrenzt werden von den Untersuchungen, die auf die Verantwortlichkeit der Organe
der Privatwirtschaft ausgerichtet sind. Nicht um Verantwortlichkeiten zuzuweisen, sondern um die Umstände der vorübergehenden Stilllegung des Flugbetriebs der Swissair besser zu verstehen und um das Agieren der Bundesbehörden in einen Kontext mit den bundesexternen Abläufen zu setzen, hat die GPK-S dennoch eine Aussprache mit den hauptsächlich involvierten Vertretern der privaten Organisationen (SAirGroup, UBS, CSG und Crossair) geführt. Die GPK-S erachtet es angesichts des öffentlichen Interesses und des grossen finanziellen Engagements des Bundes als legitim, dass der Bund sich mit den Umständen des «Grounding» näher auseinandersetzt. Angesichts der politischen Dimension der Swissair-Krise drängt sich im Rahmen dieser Untersuchung eine kritische Reflexion zum Verlauf und dem Ausgang der Swissair-Krise auf. Allerdings kann und will diese Auseinandersetzung der GPK-S nicht eine Abklärung der Verantwortlichkeiten auf zivil- oder strafrechtlichem Weg ersetzen.

Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass Gegenstand der Untersuchung der GPK-S die Verantwortlichkeiten des Bundes für die Ereignisse im Zusammenhang mit der Swissair-Krise bilden. Solche Verantwortlichkeiten sind insbesondere im Bereich der Aufsichtspflichten des Bundes und der Begleitung des Dossiers «Swiss5412

air» durch die Bundesorgane zu suchen. Zudem soll der Verlauf und der Ausgang der Swissair-Krise, die zu einem hohen Bundesengagement führte, kritisch reflektiert werden.

Um die Lesbarkeit zu erhöhen und um den Kontext zu den unterschiedlichen Fragestellungen herzustellen, müssen gewisse Wiederholungen in diesem Bericht in Kauf genommen werden.

1.3

Abgrenzung zu anderen Untersuchungen

Eine Abgrenzung zu anderen Untersuchungen ist einerseits wichtig, um Doppelspurigkeiten zu vermeiden. Anderseits soll der Hinweis auf andere Untersuchungen auch aufzeigen, dass gewisse Fragen, die nicht in den Bereich der parlamentarischen Oberaufsicht und somit in den Bereich dieser Untersuchung fallen, mittels anderer Verfahren abgeklärt wurden bzw. werden oder zumindest abgeklärt werden könnten.

1.3.1

Die Untersuchung der Verantwortlichkeit der Organe der SAirGroup durch den Sachwalter

Neben der Abwicklung des Nachlassverfahrens führt der Sachwalter eine Untersuchung zur Verantwortlichkeit der Organe der SAirGroup durch. Die Untersuchung des Sachwalters ging aus der Sonderprüfung hervor, die aufgrund der Beschlüsse der ordentlichen Generalversammlung der SAirGroup vom 25. April 2001 eingesetzt wurde. Mit der Gewährung der provisorischen11 Nachlassstundung am 5. Oktober 2001 für verschiedene Gesellschaften12 der SAirGroup, änderte sich die Rechtslage wesentlich. Die Fortführung des Sonderprüfungsverfahrens hat sich nach Gewährung der Nachlassstundung als unzweckmässig und nicht sinnvoll erwiesen. Deshalb haben sich der Sachwalter und die Gesuchsteller der Sonderprüfung (Bund, Kanton Zürich und Rechtsanwalt Hans-Jacob Heitz) darauf geeinigt, die laufende Sonderprüfung nicht weiterzuführen. Stattdessen wurde beschlossen, dass der Sachwalter mit Ermächtigung des Nachlassrichters eine Untersuchung der Verantwortlichkeiten im Fall Swissair durchführt, unter Berücksichtigung und Einbringung der bereits gemachten Erkenntnisse der Sonderprüferin (Ernst & Young AG). Dieses Vorgehen erlaubte u.a., den Untersuchungsgegenstand auszuweiten und neue Fragen zuzulassen (insbesondere auf die Zeitperiode nach der Generalversammlung vom 25. April 2001). Ebenso war auf diese Weise die vollständige Transparenz hinsichtlich der Gesellschaftsakten gewährleistet. Es wurden mit anderen Worten die Voraussetzungen geschaffen, damit der Sachwalter die Organverantwortlichkeit umfassend abklären kann. Für die Durchführung der Untersuchung hat der Sachwalter der Ernst & Young AG den Auftrag erteilt, einen Tatsachenbericht (so genanntes «Factfinding») zu erstellen. An der Gläubigerversammlung vom 26. Juni 2002 hat der Sachwalter einen ersten Zwischenbericht präsentiert und über mögliche Bilanz-Unregel-

11 12

Die definitive Nachlassstundung gewährte der Nachlassrichter anfangs Dezember 2001.

SAirGroup, Swissair, SAirLines und Flightlease gingen am 5. Oktober 2001 in provisorische Nachlassstundung. Am 8. Oktober 2001 folgten Cargologic und Swisscargo.

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mässigkeiten der SAirGroup informiert, insbesondere im Rahmen der Konsolidierungspflicht.

Die Untersuchung des Sachwalters betrifft folgende Bereiche und Themen: ­

Hunter Strategie: Entwicklung, Genehmigung, Umsetzung, Überwachung, Auswirkungen der Strategie

­

Akquisitionen im Flugbetrieb und flugnahen Betrieb: Entscheidungsgrundlagen und ­prozesse, Organisation und Durchführung, Konsolidierungspflicht, Strukturierung, Finanzierung und Überwachung

­

Corporate Governance 1996­2001: Organisation und Wahrnehmung der Führungs- und Überwachungsfunktionen von Verwaltungsrat und Konzernleitung, Zusammenarbeit und Kommunikation zwischen Verwaltungsrat und Konzernleitung.

­

Konzernstrukturen und Finanzierung: u.a. auch das «Cash Pooling»

­

Jahresrechnung und Konsolidierungspflicht: vertiefte Analyse der Konzernrechnungen 1999 und 2000 sowie des Zwischenabschlusses per 30. Juni 2001

­

Tätigkeit der Revisionsstelle und der Konzernprüfer

­

Auskünfte an der Generalversammlung vom 25. April 2001: Frage, ob die Antworten und Zusatzausführungen den Tatsachen entsprachen

­

Geschäftsjahr 2001: Sanierungskonzepte der SAirGroup, Geldflüsse (Schuldentilgungen), Informationspolitik, Kredite, Off balance sheet-Transaktionen, Einsatz von Beratern, Projekt Phoenix, Vorbereitung der Nachlassstundung

­

Einstellung des Flugbetriebs am 2. Oktober 2001 (vorhandene Liquidität, Entscheidgrundlagen, zeitlicher Ablauf, Aktionen zur Verhinderung der Einstellung des Flugbetriebs)

Der Sachwalter wird seine Untersuchung im Herbst 2002 abschliessen. Der Bericht wird die Geschäftsführung der Organe der SAirGroup zum Gegenstand haben.

Gestützt auf den Bericht werden sich primär die zuständigen Nachlass- bzw. Konkursorgane und subsidiär die Gläubiger die Frage der Einreichung von Verantwortlichkeitsklagen stellen müssen.

Aufgrund der oben umschriebenen Oberaufsichtskompetenzen des Parlaments kann die GPK-S die vom Sachwalter untersuchten Bereiche nicht überprüfen. Die GPK-S hat deshalb keine vertieften Analysen bei spezifischen Fragestellungen vorgenommen, die von der Untersuchung des Sachwalters angegangen werden. Die Kommission hat sich hingegen regelmässig über die Abklärungen des Sachwalters informiert und mit diesem auch Koordinationsgespräche geführt.

1.3.2

Weitere Verfahren und Abklärungen

Strafuntersuchung der Bezirksanwaltschaft III des Kantons Zürich Während die Abklärungen des Sachwalters auf die zivilrechtlichen Verantwortlichkeiten ausgerichtet sind, klärt die Bezirksanwaltschaft III des Kantons Zürich für 5414

Wirtschaftsdelikte ab, ob strafrechtlich relevante Tatbestände vorliegen. Eingeleitet hat die Bezirksanwaltschaft ihre Untersuchung bereits im Rahmen eines Vorermittlungsverfahrens im Februar/März 2001. Im Frühsommer 2001 wurde das Vorermittlungsverfahren nach dem Eingang weiterer Anzeigen und nachdem sich der Anfangsverdacht zu verdichten begann, in ein Untersuchungsverfahren überführt.

Später sind verschiedene Strafanzeigen von Privatpersonen und Körperschaften (u.a.

von den Kantonen Genf und Neuenburg) hinzugekommen. Die Bezirksanwaltschaft ermittelt wegen Urkundenfälschung, ungetreuer Geschäftsbesorgung sowie falschen Angaben über kaufmännisches Gewerbe. Gemäss Angaben der Bezirksanwaltschaft dürfte diese Strafuntersuchung voraussichtlich mindestens drei Jahre in Anspruch nehmen, was aus Sicht der GPK-S zu bedauern ist.

Verfahren im Ausland Neben diesen inländischen Verfahren sehen sich die SAirGroup und ihre Tochtergesellschaften mit Klagen aus dem Ausland konfrontiert. Zu erwähnen sind etwa die Forderungen der Air Littoral aus Frankreich (ca. 24 Millionen Euro). Das Handelsgericht von Montpellier verurteilte die SAirGroup, SAirLines und Mario A. Corti solidarisch am 29. Mai 2002, in erster Instanz, zur Zahlung von 15 Millionen Euro wegen der nach dem «Grounding» nicht erfolgten Zahlung einer letzten Tranche von 100 Millionen Französischen Francs der am 30. Juni 2001 insgesamt zugesprochenen Summe von 850 Millionen Französischen Francs. Die Holco/Air Lib klagte auf Schadenersatz von ungefähr 460 Millionen Euro. Arbeitsrechtlich werden in Frankreich gegen Mario A. Corti und Emanuel Menu (Sabena) 152 Millionen Euro eingeklagt. In Belgien sind Klagen gegen SAirGroup und SAirLines von rund 2 Milliarden Euro und gegen Flightlease AG von 320 Millionen Euro hängig. Portugal und TAP machen Schadenersatz von ungefähr 170 Millionen Euro geltend.

Ausserdem hat sich eine belgische parlamentarische Untersuchungskommission zum Ziel gesetzt, den Konkurs der Sabena zu analysieren. Auch hier wird die Geschäftsführung der SAirGroup, welche sich im Jahre 1995 zu 49,5 % am Kapital der Sabena beteiligte, teilweise näher analysiert.

Abklärungen der Finanzdelegation zu den Sozialplänen Nicht in die Untersuchung der GPK-S einbezogen wurden gewisse Fragestellungen, mit der sich bereits die Finanzdelegation der
Eidgenössischen Räte befasst hat. Sie beriet am 2. und 22. Oktober 2001 die Kreditbegehren des Bundesrates zur Aufrechterhaltung des Flugbetriebs der Swissair. Die Finanzdelegation übte auch die Oberaufsicht über den Umgang mit den Krediten zur Aufrechterhaltung des Flugbetriebs aus. Ebenso verfolgte die Finanzdelegation die Entwicklung bei der Finanzierung der Sozialpläne. Insbesondere prüfte sie die Rechtmässigkeit der Zahlungen zur Umsetzung von Sozialplänen im Ausland13. Die Finanzdelegation stellte fest, dass die Zahlungen für die Fortführung des Flugbetriebs notwendig und berechtigt waren, da sonst die Beschlagnahmung von Flugzeugen im Ausland gedroht hätte.

Die Finanzdelegation bedauerte aber, dass sie und die anderen parlamentarischen Gremien vom Bundesrat nicht früher informiert worden waren. Auch bei den Zahlungen an die Personalabbaukosten im Inland erschien der Finanzdelegation die 13

Vgl. Bericht vom 26. Februar 2002 der Finanzdelegation an die Finanzkommissionen des Nationalrates und des Ständerates betreffend die Oberaufsicht über die Bundesfinanzen im Jahre 2001, BBl 2002 4547.

5415

vom Bundesrat getroffene Lösung14 gerechtfertigt, weil dank ihr verhindert werden konnte, dass Hunderte von Millionen Franken an Einnahmen wegen möglicher Streiks verloren gingen, was die Aufrechterhaltung des Flugbetriebs bis Ende Winterfahrplan verunmöglicht hätte. Die Lösung erschien aus Sicht der Finanzdelegation auch rechtlich als gerade noch haltbar. Sie stiess sich aber erneut an der Informationspolitik des Bundesrates. Zwecks Koordination verzichtete die GPK-S auf weitere Abklärungen im Zusammenhang mit den Sozialplänen, da dieser Themenkomplex in die Zuständigkeit der Finanzdelegation fiel.

Die Untersuchung der Flugunfälle und der Flugsicherheit Die GPK-S hat sich am Rande mit den Auswirkungen der Crossair-Unfälle vom 10. Januar 2000 bei Nassenwil sowie vom 24. November 2001 bei Bassersdorf befasst. Die Schlussberichte des Büros für Flugunfalluntersuchungen (BFU) lagen bei Abschluss der Untersuchung der GPK-S noch nicht vor. Die GPK-S liess sich den Zeitplan für den Schlussbericht über den Unfall vom 10. Januar 2000 im Detail darlegen. Dies insbesondere deshalb, weil Vermutungen über eine absichtliche Verschleppung des Verfahrens geäussert wurden15. Die Verzögerungen ergaben sich insbesondere aufgrund der komplexen technischen Analysen und der Anhäufung von bedeutenden Unfällen (Unfall vom 24. November 2001, Flugzeugkollision bei Überlingen vom 1. Juli 2002). Das BFU hat am 23. August 2002 über die Zwischenergebnisse orientiert. Der Schlussbericht folgt im Spätherbst 2002.

Die GPK-S stellte auch fest, dass die Flugsicherheit zurzeit Gegenstand von verschiedenen Diskussionen auf nationaler und internationaler Ebene ist. Die Frage der Sicherheit im Flugverkehr ist sehr aktuell. Zuletzt hat das tragische Ereignis der Flugzeugkollission über Süddeutschland (bei Überlingen) vom 1. Juli 2002 verschiedene Fragen der Flugsicherheit und der Aufsicht aufgeworfen. Das BAZL hat diesbezüglich die Lage bei Skyguide16 analysiert und vorsorgliche Massnahmen eingeleitet. Die Flugzeugkollission bei Überlingen wird von der deutschen Bundesstelle für Flugunfalluntersuchung untersucht. Ermittlungen eingeleitet haben auch die Staatsanwaltschaft Konstanz und die Bezirksanwaltschaft Bülach. Auch die europäische Flugsicherheitsorganisation Eurocontrol nimmt die Ereignisse zum Anlass, die Sicherheitsstandards
und -abläufe grundsätzlich zu durchleuchten.

Ausserdem lässt der Vorsteher des Departements für Umwelt, Verkehr, Energie und Kommunikation (UVEK) das Gesamtsystem der Flugsicherheit in der Schweiz von ausländischen Luftfahrtexperten überprüfen. Einbezogen wird die Aufsicht des BAZL über die Luftfahrtbetriebe, die Aufsicht des UVEK über das BAZL sowie die Arbeit des BFU.

Ein umfassender Einbezug der Problematik der Flugsicherheit hätte den Rahmen dieser Untersuchung überstiegen. Die GPK-S wird aber die vom UVEK eingeleitete externe Überprüfung der Flugsicherheit der Schweiz eng begleiten und sich beim Vorliegen der Ergebnisse mit dem Handlungsbedarf vertieft auseinandersetzen.

14

15 16

Die sogenannte «incentive-Lösung» sieht vor, dass die Hälfte des Betrages des Kredits von 1000 Mio. Fr., der wegen reduzierter Kosten oder Mehreinnahmen aufgrund guter Leistungen des Personals nicht beansprucht werden muss (maximal aber 50 Mio. Fr.), zur Finanzierung ungedeckter Personalabbaukosten eingesetzt wird.

Vgl. Fragestunde zu 01.5264 (Frage Neirynck), AB 2001 N 1778.

Skyguide führt im Auftrag des Bundes den Flugsicherungsdienst im schweizerischen und im delegierten Luftraum des angrenzenden Auslandes durch.

5416

Einige Aspekte der Sicherheitsaufsicht des BAZL werden bereits im Rahmen dieser Untersuchung in Kapitel 3.3 sowie Kapitel 3.10 erläutert und beurteilt.

2

Vorgehen und Untersuchungsmassnahmen

Die GPK-S hat bereits am 10. Oktober 2001 auf das Swissair-«Grounding» vom 2./3. Oktober 2001 reagiert und die Abklärungen zur Frage der Wahrnehmung der Aufsicht durch die Bundesorgane in Sachen Swissair eingeleitet. Die Kommission hat am 24. Oktober 2001 ihre Subkommission EDI/UVEK mit der Durchführung der Untersuchung beauftragt. Die Subkommission setzt sich aus Ständerat Hansruedi Stadler (Präsident der Subkommission), den Ständerätinnen Christiane Langenberger und Françoise Saudan sowie den Ständeräten Michel Béguelin (Präsident der GPK-S), Hans Hofmann und Filippo Lombardi zusammen. Die Subkommission wurde bei ihrer Untersuchung vom Sekretariat der Geschäftsprüfungskommissionen17 und einem Expertenteam18 unterstützt. Die Subkommission und die GPK-S haben sich in insgesamt 6 Plenarsitzungen und 18 Subkommissionssitzungen mit der Untersuchung befasst. Hinzu kamen eine Reihe von Informations- und Expertengesprächen ausserhalb von festgelegten Sitzungen. Von ihrem Akteneinsichtsrecht hat die Subkommission in umfangreichem Ausmass Gebrauch gemacht. Die wichtigsten Untersuchungsmassnahmen lassen sich wie folgt beschreiben (in chronologischer Reihenfolge):

17

18

­

Am 19. Oktober 2001 hat die zuständige Subkommission EDI/UVEK der GPK-S dem Eidgenössischen Departement für Umwelt, Verkehr, Energie und Kommunikation (UVEK) sowie dem Eidgenössischen Finanzdepartement (EFD) einen umfangreichen Fragenkatalog unterbreitet. Im Vordergrund standen Fragen wie die Überprüfung der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit anlässlich der Erteilung einer Betriebsbewilligung nach Artikel 27 Absatz 2 Buchstabe c des Luftfahrtgesetzes, die Instrumente und Ressourcen des BAZL bei der Wahrnehmung der Aufsicht, die Auskunfts- und Meldepflicht gemäss Artikel 107 der Luftfahrtverordnung sowie die Kenntnisse und das Bewusstsein der Bundesorgane hinsichtlich der Finanzsituation bei der Swissair.

­

Am 5. November 2001 hat die Subkommission Vertreter des EFD, des UVEK sowie des BAZL angehört. In dieser Sitzung ging es um Präzisierungen zur Praxis des BAZL zu Artikel 27 Absatz 2 Buchstabe c LFG und um die Chronologie der Bundesinterventionen beim Dossier Swissair. Angesprochen wurden auch mögliche Ursachen der Stilllegung des Flugbetriebs der Swissair am 2. Oktober 2001.

­

Am 16./17. November 2001 flossen erste Resultate der Abklärungen in die Debatte anlässlich der ausserordentlichen Session der Eidgenössischen Räte zur Swissair-Krise ein.

Materiell befassten sich neben den übrigen Aufgaben im Sekretariat der Stellvertretende Sekretär der GPK (Martin Albrecht) und ein Praktikant (Christoph Leuenberger) mit der Untersuchung. Administrativ stand die ständige Kanzlei des Sekretariates (Franziska Kübli und Natalia Agra) zur Verfügung.

PD Dr. iur. Regula Dettling-Ott, Rechtsanwältin und Dr. iur. Philippe Rochat, Direktor der Air Transport Action Group.

5417

­

Am 13. Dezember 2001 beschloss die Subkommission, den Untersuchungsgegenstand auszudehnen. Die Fokussierung der Bewilligungs- und Aufsichtspraxis des BAZL auf die Sicherheitsaspekte sowie die Crossair-Unfälle und ­Zwischenfälle bewogen die Subkommission, Fragen der Sicherheitsaufsicht anzusprechen.

­

Am 14. Dezember 2001 hat die Subkommission erneut einen Fragenkatalog an das EFD und UVEK adressiert. Dieser bezog sich auf die Kontrollen des BAZL bei der Swissair und Crossair, die Crossair-Unfälle vom 10. Januar 2000 bei Nassenwil sowie vom 24. November 2001 bei Bassersdorf, die Unterschiede im Sicherheitsstandard von Swissair und Crossair, die Erweiterung der Betriebsbewilligung der Crossair, die Ursachen des «Grounding», die Verflechtungen des BAZL und des Büros für Flugunfalluntersuchungen (BFU) mit den Fluggesellschaften, die Rolle des Bundes als Aktionär etc.

Zudem hat die Subkommission verschiedene Akten einverlangt.

­

Um die Umstände der Stilllegung der Swissair-Flotte vom 2./3. Oktober 2001 näher zu beleuchten, hat die Subkommission am 14. Februar 2002 Vertreter der SAirGroup und am 4. März 2002 Vertreter der UBS AG und Credit Suisse Group angehört. In diesen Gesprächen ging es um die Umstände, die nach Ansicht der Betroffenen ein «Grounding» verursachten.

Die SAirGroup und UBS stellten die vor der Subkommission vertretenen Standpunkte in ausführlichen Medienmitteilungen der Öffentlichkeit zur Verfügung.

­

Auch nachdem der Nationalrat am 14. März 2002 einer Parlamentarischen Initiative der Christlichdemokratischen Fraktion zur Einsetzung einer Parlamentarischen Untersuchungskommission (PUK) in Sachen Swissair in einer ersten Phase Folge gegeben hat, führte die GPK-S ihre Abklärungen weiter. Einen entsprechenden Beschluss hat die GPK-S am 5. April 2002 getroffen. Gemäss GPK-S wäre es allgemein nicht verstanden worden, wenn die Untersuchung für mehrere Monate, d.h. bis zum endgültigen Entscheid der Eidgenössischen Räte zu einer PUK, sistiert worden wäre. Dieser Entscheid hat sich als richtig erwiesen, nachdem der Nationalrat in der Sommersession 2002 eine PUK abgelehnt hat und auf die diesbezügliche parlamentarische Initiative in der zweiten Phase nicht eingetreten ist.

­

Am 4. April 2002 hat die Subkommission EDI/UVEK eine Auslegeordnung zu den bisherigen Abklärungen vorgenommen. Sie stellte fest, dass zur Klärung verschiedener offener Fragen noch zusätzliche Anhörungen stattfinden und erneut Akten heraus verlangt werden müssen. Ausserdem bestätigte sich, dass in gewissen luftrechtlichen Fragestellungen ein Beizug von externen Experten nötig sein wird (dies zeichnete sich bereits anfangs Februar 2002 ab, nachdem die Subkommission eine erste Auswertung der Informationen vornahm).

­

Am 15. April 2002 hat die Subkommission eine Aussprache mit Herrn Bundespräsident Kaspar Villiger geführt. Der Bundespräsident legte eine ausführliche Chronologie der Ereignisse im Zusammenhang mit den Bundesinterventionen zugunsten der Swissair und der neuen Fluggesellschaft dar.

5418

­

Am 25. April 2002 verlangte die Subkommission beim Bundespräsidenten und Vorsteher EFD eine Reihe von Akten im Zusammenhang mit der Begleitung des Dossiers Swissair durch den Bund heraus.

­

Am 25. und 30. April sowie am 15. Mai 2002 fanden informelle Gespräche mit dem Sachwalter der SAirGroup, dem ehem. CEO der Zürcher Kantonalbank sowie dem Präsidenten der Eidgenössischen Bankenkommission statt.

Es ging darum, die Abklärungen der GPK-S mit der erweiterten Sonderprüfung zu koordinieren, sich zu informieren und verschiedene technische Fragen zu erörtern.

­

Am 15. Mai 2002 beauftragte die GPK-S zwei Experten mit der Abklärung von Fragen im Bereich der Luftfahrtaufsicht.

­

Am 3. Juni 2002 richtete die Subkommission schriftliche Zusatzfragen an den Bundespräsidenten, an die Credit Suisse Group, die UBS AG und die SAirGroup. Damit verlangte die Subkommission Präzisierungen, sprach auf Widersprüche an und unterbreitete offene Fragen.

­

Am 19. Juni 2002 hörte die Subkommission den zum Zeitpunkt des «Grounding» amtierenden CEO der Crossair und heutigen CEO der neuen Fluggesellschaft «Swiss» an. Er nahm Stellung zur Stilllegung des Flugbetriebs, zu den Plänen zur Rettung der Swissair, zum Krisenmanagement, zum Aufbau und zur Zukunft der neuen nationalen Fluggesellschaft «Swiss» und zu anderen Fragen.

­

Am 27. Juni 2002 führte die Subkommission eine Aussprache mit Vertretern des Staatssekretariats für Wirtschaft (seco) zur Frage der Früherkennung von Krisen in der Wirtschaft.

­

Am 15. Juli 2002 lieferten die Experten ihr Gutachten ab. Die Subkommission besprach die Ergebnisse des Gutachtens am 15. August 2002 mit dem Vorsteher des UVEK und dem Direktor des BAZL.

­

Ebenfalls am 15. August 2002 führte die Subkommission eine Aussprache mit dem damaligen Präsidenten und Delegierten des Verwaltungsrates der Crossair zum Fragenkreis der Untersuchung der GPK-S.

­

Noch einmal zur Aussprache eingeladen hat die Subkommission den Direktor der EFV und zwar am 16. August 2002.

­

Am 20. August 2002 fand ein erneutes informelles Gespräch mit dem Sachwalter der SAirGroup statt. Ausserdem wurden Fragen des Nachlassverfahrens mit dem Bundesamt für Justiz erörtert.

­

Am 21. August 2002 führte die Subkommission ein Hearing mit den von ihr beauftragten Experten zum Gutachten betreffend die Aufsicht über die Zivilluftfahrt durch.

Die Subkommission diskutierte ihren Berichtsentwurf am 30. August 2002 und besprach diesen am 16. September 2002 mit dem Bundespräsidenten und Vorsteher des EFD sowie mit dem Vorsteher des UVEK. Die GPK-S verabschiedete den vorliegenden Bericht am 19. September 2002.

5419

3

Die Aufsicht des Bundes über die Zivilluftfahrt

3.1

Einleitung

Dieses Kapitel umschreibt die Aufsichtspflichten des Bundes im Bereich der Zivilluftfahrt. Dabei stützt sich die GPK-S auf die Praxis des BAZL und die Ergebnisse eines von ihr in Auftrag gegebenen externen Gutachtens ab19. Die GPK-S verlangte von den Gutachtern eine Umschreibung der Aufsichtspflichten und eine Beurteilung, ob das UVEK und BAZL ihre gesetzlichen Pflichten generell und spezifisch im Zusammenhang mit der Krise der Swissair zwischen Dezember 2000 und Oktober 2001 erfüllt haben. Die Experten beurteilten auch die Rahmenbedingungen der schweizerischen Luftfahrtaufsicht und stellten diese in einen internationalen Kontext. Nachfolgend werden die Resultate des Gutachtens und der Abklärungen der GPK-S dargestellt und Schlussfolgerungen daraus gezogen. Das Gutachten befindet sich in Anhang 1 zu diesem Bericht.

Einleitend sei noch auf frühere Abklärungen hingewiesen. Der Luftfahrtbereich und insbesondere die Tätigkeit des BAZL war in den vergangenen Jahren Gegenstand wiederholter Abklärungen der Geschäftsprüfungskommissionen. Zu erwähnen ist eine Inspektion beim BAZL aus dem Jahre 1988 durch die Geschäftsprüfungskommission des Nationalrates (GPK-N)20. Das Schwergewicht dieser Inspektion lag auf der damals neuen Organisation der Flugsicherung, welche eine privatwirtschaftliche Trägerschaft (Swisscontrol) erhielt. Es ging um die Bundesaufsicht über Swisscontrol. Daneben wurden einige Aspekte der Tätigkeit des BAZL ausgewählt. Insgesamt hat die Inspektion einen guten Eindruck von der Führung und Arbeitsweise im BAZL hinterlassen21. Untersuchte Aspekte waren Sicherheitsfragen (Sicherheitsstandard, Stichprobenkontrollen, Qualitätssicherung bei Unterhaltsbetrieben), die Organisation und Wirkung der Flugunfalluntersuchung und öffentliche Flugveranstaltungen. Im Rahmen der Inspektion ist die Personalknappheit im Amt vielfach betont worden.

Ende der 90er Jahre befasste sich die GPK-N mit der Frage, wie der Lufttransportdienst des Bundes zweckmässig organisiert werden könnte22. Der Lufttransportdienst ist eine Einheit beim Bund, welche die VIP-Flüge (Bundesräte, Staatssekretäre, Parlamentsorgane, ausländische Gäste etc.) organisiert. Ein Gutachten ergab, dass der Betrieb von zwei Lufttransportdiensten ­ einen beim BAZL und einen bei der Armee ­ zweckmässig ist. Die GPK-N empfahl aber, die Einsatzleitung
für diese Flüge neu zu regeln, den Flugplatz Payerne zu benützen, die Transportkosten zu erheben und den Benützern zu belasten, sowie den Lufttransportdienst in einem Reglement zu umschreiben. Der Bundesrat war bereit ­ ausgenommen der Forderung bezüglich Payerne ­ alle Empfehlungen umzusetzen. In einer Nachkontrolle der GPK-N wurde die Umsetzung überprüft. Die Vorsteher des UVEK und VBS prüfen zurzeit eine Neuorganisation des Lufttransportdienstes des Bundes. Eine 19

20 21 22

Die GPK-S erteilten das Mandat am 15. Mai 2002 an ein Expertenteam, bestehend aus Frau PD Dr. iur. Regula Dettling-Ott, Rechtsanwältin (Winterthur) und Herrn Dr. iur.

Philippe Rochat, Direktor der Air Transport Action Group (Genf). Die Experten lieferten den Entwurf ihres Gutachtens am 15. Juli 2002 ab. Der Schlussbericht wurde am 2. September 2002 vorgelegt.

Vgl. Bericht vom 25. Januar 1989, BBl 1989 II 354.

So Kapitel 422.1 des erwähnten Berichts, BBl 1989 II 365.

Dazu exisitert ein nicht veröffentlichter Bericht vom 22. März 1999.

5420

Arbeitsgruppe unter der Leitung der EFV hat den Auftrag, bis Mitte 2003 aufzuzeigen, ob sich aus einer Zusammenlegung der beiden Lufttransportdienste Einsparungen und Effizienzvorteile ergeben.

Es ist nun im Zusammenhang mit der Swissair-Krise nicht das erste Mal, dass die Problematik von Verflechtungen und Interessenkonflikten zwischen der Aufsichtsbehörde und den Fluggesellschaften thematisiert wird. Die GPK-N verfolgte in den 90er Jahren die Arbeit im BAZL mit grosser Aufmerksamkeit. Die GPK-N stellte gewisse eingespielte Mechanismen wiederholt in Frage. Dies veranlasste den Vorsteher des UVEK, eine Untersuchung über die Aufgabenerfüllung des BAZL und des Büros für Flugunfalluntersuchung einzuleiten. Das UVEK gab ein externes Gutachten in Auftrag, welches sich mit den möglichen Konflikten zur Aufsichtsfunktion befasste (Näheres dazu siehe Kapitel 3.7.1).

3.2

Allgemeines

Den Aufsichtsorganen kommt im Luftverkehr eine zentrale Bedeutung zu, weil das Gefährdungspotential von Flugzeugen gegenüber Passagieren und unbeteiligten Dritten hoch ist. Ausserdem ist die Aufsichtsfunktion in einem liberalisierten Umfeld die einzige Möglichkeit des Staates, Auskünfte über die Lage und Qualität der Dienstleistungen von Fluggesellschaften zu erhalten und diese zu beeinflussen.

Gestützt auf Artikel 3 LFG übt der Bundesrat durch das UVEK die Aufsicht über die Luftfahrt im gesamten Gebiet der Schweizerischen Eidgenossenschaft aus. Die unmittelbare Aufsicht nimmt das BAZL wahr23. Das BAZL ist u.a. zuständig für die Erteilung, Erneuerung, Änderung oder Aufhebung von Betriebsbewilligungen für Unternehmen des gewerbsmässigen Luftverkehrs24. Damit beaufsichtigt es Unternehmen, die gewerbsmässig Beförderungen anbieten. Das UVEK seinerseits stellt Streckenkonzessionen aus25. Solche werden für die gewerbsmässige Beförderung von Personen und Gütern im Linienverkehr benötigt. Das UVEK ist auch zuständig für die Erneuerung und den Entzug von Streckenkonzessionen und beaufsichtigt damit die Inhaber von Streckenkonzessionen. Dem Departement obliegt aufgrund des hierarchischen Ordnungsprinzips zudem die Aufsicht über das BAZL.

Mit dem Inkrafttreten der Bilateralen Verträge zwischen der Schweiz und der Europäischen Gemeinschaft sind ausserdem seit dem 1. Juni 2002 die bei der Unterzeichnung des Abkommens (Juni 1999) geltenden Verordnungen und Richtlinien der EU auf dem Gebiet des Luftrechts anwendbar. Im Zusammenhang mit der Aufsichtspflicht sind zwei Verordnungen zu nennen, welche den Betrieb von Fluggesellschaften betreffen. Die EG-Verordnung 2407/92 regelt die Erteilung von

23 24 25

Art. 3 Abs. 2 LFG Art. 27 LFG Art. 28 LFG

5421

Betriebsgenehmigungen26, die EG-Verordnung 2408/92 den Zugang, auf einer bestimmten Strecke Flugdienste anzubieten27.

Gestützt auf diese gesetzlichen Grundlagen prüft das BAZL, ob eine Fluggesellschaft operationell, technisch und wirtschaftlich die Voraussetzungen erfüllt, um gewerbsmässig Personen und Güter zu befördern. Im Rahmen dieser Untersuchung hat die GPK-S das Schwergewicht auf die Anforderungen betreffend die wirtschaftlichen Voraussetzungen gelegt. Im Zusammenhang mit dem Zusammenbruch der Swissair interessiert vor allem dieser Teil der Aufsichtspflicht. Ausserdem gestaltet sich die Aufsicht im operationellen und technischen Bereich hauptsächlich nach internationalen Normen und Standards. Dieser Teil der Aufsicht wurde und wird in internationalen Fachgremien überprüft und beurteilt. Das UVEK lässt aufgrund der Flugzeugkollision in Süddeutschland vom 1. Juli 2002 das Gesamtsystem der Flugsicherheit in der Schweiz durch eine ausländische Expertise begutachten. Eine abschliessende Würdigung der Sicherheitsaufsicht ist deshalb im Rahmen der Untersuchung der GPK-S zurzeit nicht sinnvoll. Dennoch sei im Folgenden kurz auf das Funktionieren der Aufsicht im technischen und operationellen Bereich eingegangen.

3.3

Die Aufsicht über die operationelle und technische Sicherheit

3.3.1

Kurze Umschreibung der diesbezüglichen Aufgaben des BAZL

Bei der Erteilung einer Betriebsbewilligung prüft das BAZL die technischen und operationellen Voraussetzungen, indem es verlangt, dass der Antragsteller über ein Luftverkehrsbetreibererzeugnis (Air Operator Certificate, AOC) verfügt. Dieses Zeugnis wird aufgrund europaweit vereinheitlichter Normen, den Joint Aviation Requirements (JAR)28 ausgestellt, welche durch die Joint Aviation Authorities (JAA)29 erlassen wurden. Die Schweiz hat die Vorschriften der JAA gestützt auf Artikel 6a LFG in Verordnungen übernommen. Damit erübrigte sich, dass der schweizerische Gesetzgeber eigene Anforderungen für die Ausstellung eines AOC formuliert30. Die Ausstellung eines AOC ist aufwändig und dauert mehrere Wochen bis Monate. Im Weiteren muss der Antragsteller nachweisen, dass er für die eingesetzten Flugzeuge über eine Wartungsorganisation verfügt, die den gesetzlichen Anforderungen entspricht: Auch hier gibt es JAR, welche Anforderungen festlegen

26

27

28 29

30

Verordnung (EWG) Nr. 2407/92 des Rates über die Erteilung von Betriebsgenehmigungen an Luftfahrtunternehmen vom 23. Juli 1992, ABl EG Nr. L 240 vom 24. August 1992, S. 1.

Verordnung (EWG) 2408/92 des Rates über den Zugang von Luftfahrtunternehmen der Gemeinschaft zu Strecken des innergemeinschaftlichen Flugverkehrs vom 23. Juli 1992, ABl. EG Nr. L 240 vom 24. August 1992, S. 8.

JAR gibt es über die Herstellung, den Betrieb und den Unterhalt von Flugzeugen sowie über die Ausweise für Flugpersonal.

Die JAA ist eine Stiftung nach holländischem Recht, in der sich zahlreiche europäische Luftfahrtbehörden ­ darunter auch das BAZL ­ zusammengeschlossen haben. Sie bezweckt die Entwicklung und Einführung von gemeinsamen Sicherheitsstandards und Verfahren.

Verordnung über den Betrieb von Flugzeugen im gewerbsmässigen Lufttransport (VJAROPS 1) vom 8. September 1997, SR 748.127.8.

5422

und von der Schweiz übernommen wurden (MSAS, Maintenance System Approval Statement)31.

Auch nach der Erteilung einer Betriebsbewilligung überprüft das BAZL laufend die Voraussetzungen für einen sicheren operativen und technischen Betrieb. Diese Aufsicht betrifft mehr als 80 Flugunternehmen und beinhaltet die tägliche Überprüfung des Flugbetriebs anhand von Meldungen der Fluggesellschaften über technische und operationelle Belange, wöchentliche Massnahmen (wie z.B. die Überprüfung der Einsatzbereitschaft der Flotte), die periodische Inspektion von Flugzeugen, die Überprüfung der Flughandbücher und Weiteres. Schliesslich führt das BAZL aufgrund der im Jahre 1997 eingeführten europäischen Normen der Joint Aviation Requirements (JAR-OPS 1) mindestens einmal jährlich in einem JAR-OPS 1 zertifizierten Unternehmen so genannte «Audits» (Untersuchungen) durch.

Die Aufsicht des BAZL über die Piloten setzt bereits bei den Schulen ein, deren Ausbildungsstandard das BAZL zu beurteilen hat. Das BAZL überwacht die Piloten im Rahmen der Ausstellung und Erneuerung der Lizenzen. Einer verstärkten Kontrolle unterworfen sind die im gewerbsmässigen Luftverkehr eingesetzten Piloten.

Sie müssen sich einem zweimal jährlich stattfindenden Überprüfungsflug (Proficiency-Check) unterziehen und nachweisen, dass sie über die zur sicheren Führung eines Flugzeuges verlangten theoretischen und praktischen Kenntnisse im Detail verfügen und auch in ausserordentlichen Situationen richtig reagieren. Ausserdem wird jeder Pilot in einem regelmässigen Zyklus im Alltag durch Checkpiloten überprüft. Regelmässig besucht werden müssen Weiterbildungskurse zu speziellen Flugverfahren. Diese Flugverfahren werden vom BAZL geprüft und genehmigt.

Auch die Piloten unterstehen den Vorschriften der JAR-OPS 1.

3.3.2

Beurteilung der Aufsicht des BAZL über operationelle und technische Voraussetzungen durch Fachkreise

Die Schweiz hat zusammen mit 187 anderen Staaten das Übereinkommen über die internationale Zivilluftfahrt (Chicago-Abkommen)32 ratifiziert. Das Abkommen verpflichtet die Mitgliedstaaten, die Sicherheit der Flugaktivitäten über dem Territorium der Mitgliedstaaten zu gewährleisten. Jede Flugaktivität im Luftraum eines Mitgliedstaates muss internationalen Sicherheitsvorschriften genügen. Diese Vorschriften hat die Internationale Zivilluftfahrt-Organisation (ICAO)33 erlassen. Die ICAO überprüft seit 1998 im Rahmen eines universellen Audit-Programms das Aufsichtsniveau der Luftfahrtbehörden in den 188 Mitgliedstaaten.

Im November 2000 war auch das BAZL Gegenstand einer solchen Inspektion der ICAO. Dazu liegt ein detaillierter vertraulicher Bericht34 vor, aufgrund dessen das BAZL einen Aktionsplan erlassen hat, um die festgestellten Mängel zu beseitigen.

31 32 33 34

Verordnung über die Luftfahrzeug-Unterhaltsbetriebe (VJAR-145) vom 20. Oktober 1995, SR 748.127.3.

Übereinkommen vom 7. Dezember 1944 über die internationale Zivilluftfahrt, SR 0.748.0.

Die ICAO ist die für die Zivilluftfahrt zuständige Spezialorganisation der UNO.

Audit Final Report of the Federal Office for Civil Aviation of Switzerland, Bern, 1 to 8 November 2000, ICAO.

5423

Die ICAO ist zum Schluss gekommen, dass das BAZL seine Aufsichtsfunktionen zur Gewährleistung der Sicherheit in befriedigender Weise wahrnimmt. Punktuelle Mängel erkannte die ICAO bei der Regelung betreffend die allgemeine Luftfahrt und bei der Delegation von gewissen technischen Aufgaben an Experten ausserhalb der Bundesverwaltung. Diese Mängel wurden in der Zwischenzeit behoben. Hauptsächlich hat die ICAO die zu geringen personellen Ressourcen in den inspizierten Bereichen beanstandet. Die Personalsituation hat sich mit der auf 1. Januar 2001 in Kraft getretenen Reorganisation des BAZL und der Anstellung von 2 zusätzlichen Experten im Laufe des Sommers 2001 entschärft. Infolge der Swissair-Krise und des Aufbaus einer neuen Fluggesellschaft hat das BAZL seine Kontrolltätigkeit verschärft. Dies machte einen Nachtragskredit von 1,9 Millionen Franken für das Jahr 2002 notwendig, mit welchem das BAZL zusätzlich sechs bis acht Aviatikfachleute im Expertenverhältnis beiziehen kann. Das BAZL wird die verstärkte Aufsicht über die «Swiss» während mindestens 3 Jahren aufrechterhalten, um den Aufbau der neuen Gesellschaft eng zu begleiten.

Rückfragen der von der GPK-S eingesetzten Gutachter bei den Verantwortlichen der ICAO haben ergeben, dass die meisten Feststellungen betreffend die Schweiz nicht aussergewöhnlich sind. Den Mangel an qualifiziertem Personal stellt die ICAO offenbar in den meisten Staaten fest.

In dem von der GPK-S veranlassten Gutachten werden die Kompetenzen des BAZL für die technische und operationelle Aufsicht grundsätzlich als adäquat beurteilt, wobei angesichts der Zahl der zu beaufsichtigenden Gesellschaften die Ressourcen in diesem Bereich als nicht ganz genügend eingeschätzt werden. Auch die Luftfahrtkommission35 hat bereits im Jahre 1998 auf einen erhöhten Personalbedarf beim BAZL aufmerksam gemacht.

Die technische und operationelle Aufsicht über die Swissair wurde im Rahmen des von der GPK-S veranlassten Gutachtens gestreift36. Der für diese Frage zuständige Gutachter stellt fest, dass das BAZL diese Aufsicht im untersuchten Zeitraum (von der Restrukturierung der SAirGroup 1996 bis zur vorübergehenden Stilllegung im Oktober 2001) im Einklang mit den geltenden Vorschriften wahrgenommen hat. Es wurden keine Anhaltspunkte für Mängel oder besondere Vorfälle festgestellt. Das
Gutachten verweist diesbezüglich auch auf die Sicherheits-Inspektionen der SAFA37. Den Inspektionsberichten der SAFA sind keine Unregelmässigkeiten zu entnehmen. Das Gutachten hält auch fest, dass die Inspektionen der SAFA während der gesamten Krise der Swissair nicht die geringste Veränderung im Sicherheitsniveau festgestellt hat38. Der einzige diesbezügliche Vorbehalt könnte sich im kanadi35

36 37

38

Gestützt auf Art. 5 LFG ernennt der Bundesrat «für die Begutachtung wichtiger Fragen der Luftfahrt eine Luftfahrtkommission von mindestens sieben Mitgliedern». Die Einzelheiten sind in der Verordnung über die Luftfahrtkommission vom 5. Juni 1950 geregelt (SR 748.112.3).

Vgl. Gutachten Dettling/Rochat vom 2. September 2002 in Anhang 1 [im Folgenden als «Gutachten» zitiert], siehe Anhang 1, Teil B, Ziff. VIII/1.

Das Programm SAFA (Safety Assessment of Foreign Aircraft) wurde im Rahmen der Europäischen Zivilluftfahrt Konferenz erlassen. Das Programm dient dazu, punktuelle Inspektionen von allen Flugzeugen auf allen europäischen Flughäfen vorzunehmen, um die Sicherheit an Bord zu gewährleisten. Die Flugzeuge der Swissair wurden zwischen 1997 und 2002 auf verschiedenen europäischen Flughäfen mindestens 40 Mal im Rahmen von SAFA inspiziert.

Vgl. Gutachten, Anhang 1, Teil F.

5424

schen Untersuchungsbericht über die Halifax-Katastrophe ergeben, der voraussichtlich zu Beginn des Jahres 2003 fertiggestellt werden soll39.

3.4

Die Prüfung und Überwachung der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit als Teil der Aufsichtspflicht

3.4.1

Gesetzliche Regelung und deren Auslegung durch das BAZL

Nach Artikel 27 Absatz 2 Buchstabe c LFG darf das BAZL eine Betriebsbewilligung nur erteilen, wenn das Unternehmen «wirtschaftlich leistungsfähig ist und über ein zuverlässiges Finanz- und Rechnungswesen verfügt». Artikel 103 Absatz 1 Buchstabe i LFV spezifiziert, wie das Unternehmen die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit glaubhaft machen muss. Dieser Artikel verlangt, dass der Gesuchsteller glaubhaft machen muss, er verfüge über genügend finanzielle Mittel, um seinen Verpflichtungen während eines Zeitraums von 24 Monaten nach Aufnahme der Tätigkeit jederzeit nachzukommen und die fixen und variablen Kosten des Flugbetriebs gemäss seinem Wirtschaftsplan während drei Monaten nach Aufnahme der Tätigkeit unabhängig von Betriebseinnahmen decken zu können. Gemäss Artikel 102 LFV kann das BAZL die Betriebsbewilligung entziehen, wenn die Voraussetzungen für ihre Erteilung nicht mehr erfüllt sind. Artikel 107 LFV bestimmt, dass Unternehmen mit einer Betriebsbewilligung dem Bundesamt auf Verlangen jederzeit Einblick in ihre Betriebsführung und Geschäftsunterlagen zu gewähren haben. In welcher Form der Gesuchsteller das vom Gesetz verlangte «zuverlässige Finanz- und Rechnungswesen» nachweisen muss, spezifiziert die LFV nicht.

Auf Anfrage der GPK-S im November 2001 gab das BAZL an, dass es der Überprüfung der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit nur sekundäre Bedeutung beimisst.

Gemäss BAZL umfasst die Aufsichtstätigkeit des Bundes über Luftverkehrsunternehmen nur die Überprüfung der Voraussetzungen für einen technisch und organisatorisch sicheren Flugbetrieb. Das BAZL beruft sich dabei auf die Zielvorgabe von Artikel 7 Absatz 2 Buchstabe a der Organisationsverordnung des UVEK40. Diese Ausrichtung der Aufsicht auf die Sicherheitsaspekte wird vom UVEK gutgeheissen.

Gemäss den Ausführungen des BAZL im November 2001 prüft es nur bei der erstmaligen Erteilung einer Betriebsbewilligung summarisch die Erfüllung gewisser finanzieller Voraussetzungen. Diese Überprüfung erfolgt im Hinblick auf die Gewährleistung eines sicheren Betriebes. Eine unmittelbare Aufsicht über die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit übt das BAZL nicht aus. Während der Dauer der Betriebsbewilligung schreitet das BAZL dann aufsichtsrechtlich ein, wenn es über einen konkreten Anhaltspunkt verfügt, dass die für die Sicherheit relevanten
wirtschaftlichen Voraussetzungen ungenügend sein könnten. Solche Anhaltspunkte können z.B. Beschwerden über nicht bezahlte Unterhaltsarbeiten sowie aufgelöste und nicht erneuerte Wartungsverträge sein. Bei den Publikumsgesellschaften (wie der damaligen Swissair und Crossair) nimmt das BAZL zudem Einsicht in die jährlichen Geschäfts- und Revisionsberichte.

39 40

Vgl. Gutachten, Anhang 1, Teil B, Ziff. VIII/1.

Organisationsverordnung für das Eidgenössische Departement für Umwelt, Verkehr, Energie und Kommunikation (OG-UVEK) vom 6. Dezember 1999, SR 172.217.1.

5425

Das BAZL begründete seine Praxis insbesondere mit dem Wortlaut von Artikel 103 Absatz 1 Buchstabe i LFV, wonach das Unternehmen die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit nur glaubhaft machen41 und nicht einen Beweis im eigentlichen Sinn erbringen muss. Überdies wies es darauf hin, dass der genannte Artikel nur von der Erteilung, nicht aber von der Erneuerung der Betriebsbewilligung spricht.

Gemäss Ausführungen des BAZL im November 2001 sehen die mit den bilateralen Verträgen auch in der Schweiz anwendbaren Bestimmungen der EU42 grundsätzlich die gleichen wirtschaftlichen Aufsichtskriterien vor. Seit dem Inkrafttreten des Luftverkehrsabkommens am 1. Juni 2002 verlangt das BAZL die in der EG-Verordnung 2407/92 und die im dazugehörigen Anhang aufgeführten Unterlagen.

Die GPK-S stellte fest, dass die Bestimmungen des LFG und der LFV auslegungsbedürftig sind. Sie liess deshalb im Rahmen des erwähnten Gutachtens abklären, welche Anforderungen die Bestimmungen des Gesetzes und der Verordnung an die Prüfung der wirtschaftlichen Voraussetzungen stellen. Das Gutachten trägt auch der auf 1. Juni 2002 neu anwendbaren Regelungen der EU Rechnung. Nachfolgend werden die wichtigsten Feststellungen des Gutachtens bezüglich dieser Frage zusammengefasst. Für nähere Ausführungen verweist die GPK-S auf das Gutachten vom 2. September 2002 in Anhang 1 zu diesem Bericht.

3.4.2

Die Anforderungen an die Prüfung der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit gemäss Gutachten vom 2. September 2002

Das Gutachten vom 2. September 2002 beantwortet u.a. die Frage, wie das BAZL die Voraussetzung der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit von Fluggesellschaften zu prüfen hat. Dies bei der Erteilung der Betriebsbewilligung, während der Dauer der Bewilligung, bei der Erneuerung oder dem Entzug der Betriebsbewilligung. Es geht auch auf die Frage ein, welche Rolle die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit bei Streckenkonzessionen und bei der Meldepflicht gemäss Artikel 107 LFV spielt.

41

42

In der französischen Fassung dieser Bestimmung wird «glaubhaft machen» mit «prouver de manière crédible» übersetzt. Trotz dieser ungenauen Übersetzung deutsch/französisch kann gemäss Gutachten (siehe FN 140) nicht davon ausgegangen werden, dass die Luftfahrtverordnung eine zusätzliche Beweisform zwischen der üblichen Glaubhaftmachung und dem (vollen) Beweis einführen wollte.

EG Verordnung 2407/92.

5426

3.4.2.1

Die Anforderungen bei der Erteilung der Betriebsbewilligung43

Das BAZL muss wie oben erwähnt lediglich prüfen, ob der Antragsteller seine wirtschaftliche Leistungsfähigkeit glaubhaft macht. Die LFV selber enthält keine Definition, was unter Glaubhaftmachen im Sinne von Artikel 103 Absatz 1 Buchstabe i LFV verlangt ist. Gemäss Gutachten bedeutet Glaubhaftmachen, dass sich das BAZL auf die Angaben des Antragstellers und die von ihm erstellten Unterlagen verlassen darf, sofern kein begründeter Anlass zu Zweifeln an deren Richtigkeit besteht. Bezüglich der Prognose, ob der Antragsteller während eines Zeitraumes von 3 bzw. 24 Monaten nach Aufnahme seiner Tätigkeit seinen Verpflichtungen nachkommen kann, muss das BAZL realistische Annahmen zu Grunde legen. Diese sind gegeben, wenn aufgrund der vorhanden finanziellen Angaben angenommen werden kann, dass der Antragsteller bei normaler Entwicklung des Unternehmens und des wirtschaftlichen Umfelds seinen Verpflichtungen nachkommen kann.

Ebenso wenig spezifiziert die LFV, welche einzelnen Angaben ein Antragsteller zu machen hat, um die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit glaubhaft zu machen. Das Gutachten stellt diesbezüglich fest, dass das BAZL Kriterien anwendet, die nicht in internen Richtlinien festgehalten, sondern vor allem aufgrund der Erfahrung eines langjährigen Mitarbeiters definiert sind. Ein internes Arbeitspapier des BAZL zeigt auf, welche Dokumente das BAZL seit der Gesetzesrevision von 1998 vom Gesuchsteller verlangt44. Gemäss Gutachten sind diese Angaben jedoch zu wenig spezifiziert. Um die Angaben betreffend die Bilanz und Erfolgsrechnung bzw. Eröffnungsbilanz zu definieren, verweist das Gutachten auf den Raster eines ICAO-Formulars, das die wichtigsten wirtschaftlichen Daten einer Fluggesellschaft enthält. Diese Spezifikationen der ICAO können gemäss Gutachten auch im Hinblick auf die Anwendung der EG-Verordnung 2407/92 nützlich sein. Um die Anforderungen an den in Artikel 103 Absatz 1 Buchtsabe i LFV genannten Wirtschaftsplan zu definieren, verweist das Gutachten auf die EG-Verordnung 2407/92. Das zuverlässige Finanz- und Rechnungswesen bedarf gemäss Gutachten45 keiner Spezifikation bei Gesellschaften, die der Pflicht zur kaufmännischen Buchführung unterliegen. Hier definiert das Obligationenrecht (Art. 664 ff. OR) die Anforderungen. In anderen Fällen muss das BAZL nach objektiven und eigenen Kriterien
(vgl. z.B. Kriterien des Schweizer Handbuchs der Wirtschaftsprüfung, 1998, Band 1, S. 7 ff.) prüfen, ob ein zuverlässiges Finanz- und Rechnungswesen vorhanden ist.

43 44

45

Vgl. Gutachten, Anhang 1, Teil A, Ziff. II/2.

Die Unterlagen, die in einem Musterbrief verlangt werden, sind: Beglaubigte Unternehmensbilanz und Erfolgsrechnung, Finanzplan (Businessplan) für mindestens 24 Monate, Budget der fixen und variablen Kosten für drei Monate, Eröffnungsbilanz bei neuen Unternehmungen. Zudem verlangt das BAZL den Nachweis eines zuverlässigen Finanz- und Rechnungswesens und prüft die Eigenmittel. Nicht spezifiziert wird, nach welchen Kriterien dies geprüft wird.

Vgl. Gutachten, Anhang 1, Teil A, Ziff. II/2.4/cc.

5427

Ein Vergleich des schweizerischen und des EG-Rechts zeigt, dass die Revision des Luftfahrtgesetzes von 1998 die zentralen Vorschriften des EG-Rechts vollständig übernommen hat46. Anders als das schweizerische Recht spezifiziert die EG-Verordnung genauer, welche Belege der Antragsteller einreichen muss47. Seit dem Inkrafttreten des Bilateralen Luftverkehrsabkommens sind diese präziseren Vorgaben der EG-Verordnung 2407/92 über die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit von Antragstellern auch in der Schweiz anwendbar.

3.4.2.2

Die Anforderungen an die laufende Überwachung der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit von Bewilligungsinhabern48

Es stellt sich die Frage, ob die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit i.S. von Artikel 27 Absatz 2 Buchstabe c LFG während der ganzen Dauer der Betriebsbewilligung gegeben sein muss.

Das schweizerische Recht schreibt nicht ausdrücklich vor, dass ein Inhaber einer Betriebsbewilligung die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit erhalten muss. Gestützt auf Artikel 102 LFV kann das BAZL jedoch die Betriebsbewilligung entziehen, wenn die Voraussetzungen für deren Erteilung nicht mehr erfüllt sind. Der Wortlaut von Artikel 102 LFV lässt keine eindeutige Antwort zu und auch die Materialien zum LFG und zur LFV geben über diesen Punkt keinen Aufschluss. Das LFG nennt neben den operationellen und technischen Vorschriften auch die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit und das zuverlässige Finanz- und Rechnungswesen als eigenständiges Kriterium für die Erteilung der Betriebsbewilligung. Bei der Auslegung von Artikel 102 LFV ist gemäss Gutachten deshalb davon auszugehen, dass auch der Inhaber einer Betriebsbewilligung seine wirtschaftliche Leistungsfähigkeit aufrechterhalten und diese glaubhaft machen muss. Das BAZL hat in der Praxis soweit ersichtlich die finanzielle Eignung bisheriger Bewilligungsinhaber nicht von sich aus systematisch überwacht. Das BAZL wurde jedoch tätig, wenn es aus anderen Quellen (Fachpublikationen, übrige Presse) oder vom Bewilligungsinhaber selber von finanziellen Schwierigkeiten erfuhr. Das BAZL weist ausserdem darauf hin, dass es an den regelmässigen Besprechungen mit den Unternehmen auch finanzielle Aspekte zur Sprache bringt und sich über die Lage der Unternehmen durch Teilnahme an den Bilanzpressekonferenzen sowie den Generalversammlungen orientiert. Bei Publikumsgesellschaften hat es die Geschäfts- und Revisionsberichte erhalten und im Hinblick auf die Sicherheitsaufsicht geprüft.

46

47 48

Art. 5 der EG-Verordnung 2407/92 verlangt bezüglich der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit bei einem erstmaligen Antrag auf Erteilung einer Betriebsgenehmigung, dass das Lufttransportunternehmen «glaubhaft nachweisen [kann], dass es seinen unter realistischen Annahmen festgelegten derzeitigen und möglichen Verpflichtungen während eines Zeitraumes von 24 Monaten nach Aufnahme der Tätigkeit jederzeit nachkommen kann» (Abs. 1 Bst. A). Zudem muss es «glaubhaft nachweisen können, dass es für seine unter realistischen Annahmen ermittelten fixen und variablen Kosten der Tätigkeit gemäss seinen Wirtschaftsplänen während eines Zeitraums von drei Monaten nach Aufnahme der Tätigkeit ohne Berücksichtigung von Betriebseinnahmen aufkommen kann» (Abs. 1 Bst. B).

Siehe wörtliche Auflistung der Angaben im Gutachten, Anhang 1, Teil A, Ziff. II/3.2.

Vgl. Gutachten, Anhang 1, Teil A, Ziff. II/5.

5428

Gemäss Gutachten kann nicht verlangt werden, dass ein Bewilligungsinhaber jederzeit die Voraussetzungen erfüllt, die Artikel 103 Absatz 1 Buchstabe i LFV für die Aufnahme der Tätigkeit fordert. Es wäre nicht sachgerecht, diese spezielle Regelung für die ersten 90 Tage bzw. die ersten 24 Monate auf die ganze Dauer der Betriebsbewilligung auszudehnen. Wenn der Betrieb einmal läuft, kann der Bewilligungsinhaber mit Betriebseinnahmen rechnen. Ebenfalls gegen die Vorgaben des Artikels 103 LFV führt das Gutachten die Tatsache an, dass die EG-Verordnung 2407/92 ­ welche Artikel 103 LFV im Grundsatz übernommen hat ­ für die Kontrolle über Bewilligungsinhaber eine gesonderte Regelung trifft, die von derjenigen für erstmalige Anträge abweicht.

Im schweizerischen Recht fehlen nun aber Kriterien, die ein Bewilligungsinhaber in Bezug auf die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit erfüllen muss. Auch das BAZL hat diese nicht definiert. Spezifische Anforderungen, die ein Inhaber einer Betriebsbewilligung in wirtschaftlicher Hinsicht erfüllen muss, enthält dagegen die EG-Verordnung 2407/92. Danach kann die Genehmigungsbehörde «jederzeit und in jedem Fall, in dem es klare Hinweise dafür gibt, dass ein von [ihr] genehmigtes Luftfahrtunternehmen finanzielle Probleme hat», die finanzielle Leistungsfähigkeit des Unternehmens bewerten und die Genehmigung aussetzen oder widerrufen, wenn dieses seinen «tatsächlichen und möglichen Verpflichtungen» während eines Zeitraums von 12 Monaten nicht mehr nachkommen kann (Art. 5 Abs. 5 erster Satz).

Buchstabe C des Anhangs zur EG-Verordnung 2407/92 spezifiziert, welche Unterlagen die Behörden zur Beurteilung der weiteren finanziellen Eignung bisheriger Genehmigungsinhaber prüfen müssen49. Mit der seit 1. Juni 2002 auch in der Schweiz geltenden EG-Verordnung ist die Kontrolle von Bewilligungsinhabern klar geregelt und auch für das BAZL massgebend.

3.4.2.3

Die Anforderungen bei der Erneuerung der Betriebsbewilligung50

Eine Betriebsbewilligung ist gemäss Artikel 27 Absatz 3 LFG bzw. Artikel 101 LFV zu beschränken und kann für höchstens fünf Jahre erteilt werden. Auf Gesuch des Bewilligungsinhabers kann sie erneuert werden.

Massgebend ist auch hier, dass Artikel 27 Absatz 2 Buchstabe c LFG verlangt, eine Betriebsbewilligung dürfe nur erteilt werden, wenn der Bewilligungsinhaber wirtschaftlich leistungsfähig ist und über ein zuverlässiges Finanz- und Rechnungswesen verfügt. Die Voraussetzungen müssen deshalb gemäss Gutachten auch bei der Erneuerung gegeben sein. Indessen enthält das schweizerische Recht keine Vorschriften darüber, nach welchen Kriterien die Aufsichtsbehörde die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des Antragstellers bei der Erneuerung der Betriebsbewilligung überprüfen muss.

Aus den gleichen Überlegungen wie oben legt das Gutachten auch hier eine enge Auslegung von Artikel 103 Absatz 1 Buchstabe i LFV nahe. Die Kriterien dieser Bestimmung sind speziell auf die erste Aufnahme der Tätigkeit eines Luftfahrtunternehmens ausgerichtet. Sie sind deshalb nicht anwendbar, um die wirtschaftliche 49 50

Siehe Aufzählung der Angaben im Gutachten, Anhang 1, Teil A, Ziff. II/5.2.

Vgl. Gutachten, Anhang 1, Teil A, Ziff. II/6.

5429

Leistungsfähigkeit bei der Erneuerung der Betriebsbewilligung zu überprüfen. Nach Aussagen des BAZL hat es anlässlich der Erneuerung die finanzielle Eignung insbesondere aufgrund eines Wirtschaftplans für zwei Betriebsjahre sowie einer beglaubigten Unternehmensbilanz und Erfolgsrechnung geprüft.

Nun enthält auch die EG-Verordnung 2407/92 keine Bestimmungen zur Erneuerung einer Betriebsbewilligung, weil die nach der Verordnung erteilten Betriebsbewilligungen unbefristet sind. Wie im vorhergehenden Kapitel (3.4.2.2) erwähnt, sind im Anwendungsbereich der EG-Verordnung die Kriterien über die Überprüfung von Bewilligungsinhabern massgebend, welche Buchstabe C des Anhangs der Verordnung nennt. Solange ein Bewilligungsinhaber diese Vorgaben erfüllt, hat er Anspruch auf die Betriebsbewilligung (Art. 11 Abs. 1 EG-Verordnung 2407/92).

Das Gutachten folgert daraus, dass für das schweizerische Recht die Erneuerung einer Betriebsbewilligung spezifiziert werden muss. Dafür dürfen aber seit dem 1. Juni 2002 nur die Vorgaben massgebend sein, die gemäss Buchstabe C des Anhangs der EG-Verordnung 2407/92 für die Aufrechterhaltung der Bewilligung erforderlich sind. Das BAZL ist der Meinung, dass es diesen Anforderungen bereits vor dem 1. Juni 2002 sinngemäss entsprochen hat.

3.4.2.4

Die Voraussetzungen für den Entzug einer Betriebsbewilligung wegen fehlender wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit51

Gestützt auf Artikel 102 LFV kann das BAZL die Betriebsbewilligung entziehen, wenn die Voraussetzungen für deren Erteilung nicht mehr erfüllt sind. Diese Bestimmung räumt dem BAZL beim Entzug einer Betriebsbewilligung ein Ermessen ein («kann entziehen»), welches das BAZL pflichtgemäss ausüben muss. Da die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit eine Voraussetzung für die Erteilung einer Betriebsbewilligung ist, ist ein Entzug der Bewilligung wegen fehlender wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit möglich. Im schweizerischen Recht fehlen aber auch hier präzise Kriterien, die bestimmen, unter welchen Bedingungen die Betriebsbewilligung wegen fehlender wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit entzogen werden kann und in welchen Schritten ein solcher Entzug erfolgt. Gemäss Gutachten wäre es nicht sachgerecht, die Betriebsbewilligung bereits zu entziehen, wenn der Bewilligungsinhaber die Voraussetzungen von Artikel 103 Absatz 1 Buchstabe i LFV nicht mehr erfüllt, weil diese auf die Situation bei der Aufnahme der Tätigkeit zugeschnitten sind.

Im Gegensatz zum schweizerischen Recht regelt die EG-Verordnung 2407/92 den Entzug der Betriebsbewilligung in Artikel 5 Absatz 5 präzis. Die Behörden können eine Betriebsbewilligung jederzeit sistieren oder widerrufen, wenn sie nicht mehr davon überzeugt sind, dass das Luftfahrtunternehmen während eines Zeitraums von zwölf Monaten seinen tatsächlichen und möglichen Verpflichtungen nachkommen kann. Zur Beurteilung der wirtschaftlichen Situation sind die in Buchstabe C des Anhangs zur Verordnung aufgeführten Angaben massgebend: es sind die gleichen Vorgaben, welche die Verordnung für die weitere finanzielle Eignung verlangt.

51

Vgl. Gutachten, Anhang 1, Teil A, Ziff. II/7.

5430

Gemäss Gutachten hätte das BAZL diese Kriterien in einer Weisung festsetzen sollen. Dies war insbesondere geboten, solange das Bilaterale Luftverkehrsabkommen noch nicht in Kraft und damit die EG-Verordnung 2407/92 noch nicht anwendbar war. Kriterien für den Entzug der Betriebsbewilligung sind von besonderer Bedeutung, weil der Entzug der Betriebsbewilligung durch die Aufsichtsbehörde einem behördlich angeordneten «Grounding» gleichkommt. Erst präzise Kriterien können die Grundlage bilden, um Fälle zu beurteilen, in welchen die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des Bewilligungsinhabers gefährdet ist.

Nach Ansicht des BAZL enthält indessen auch das EU-Recht keine Indikatoren für die Bewertung der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit und somit für die Frage, wann eine Aufsichtsbehörde nicht mehr davon überzeugt ist, dass ein Unternehmen seinen Verpflichtungen nachkommen kann.

Erwähnt sei noch, dass es auch ohne spezifische Kriterien Ereignisse gibt, die ohne weiteres zu einer Überprüfung der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit und zu einem Entzug der Bewilligung führen können (z.B. die Einreichung eines Gesuches um Nachlassstundung oder die Eröffnung des Konkurses).

3.4.2.5

Die Anforderungen bei der Meldepflicht gemäss Art. 107 Abs. 3 LFV52

Gestützt auf Artikel 107 Absatz 3 LFV muss ein Bewilligungsinhaber dem BAZL gewisse Geschäftsvorgänge melden, insbesondere Zusammenschlüsse und Übernahmen sowie Änderungen des Eigentums an Einzelbeteiligungen. Diese Vorgänge können einen Einfluss auf die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit eines Unternehmens haben.

Ein Vergleich dieser Bestimmung mit der EG-Verordnung 2407/92 (Art. 5 Abs. 3 und Buchstabe B des Anhangs) zeigt, dass das EG-Recht auch in Bezug auf die Überwachung von neuen Geschäftsvorgängen bei Bewilligungsinhabern weit präziser ist. Dem BAZL werden zwar aufgrund operationeller Vorschriften Veränderungen der Flotte und des Streckennetzes gemeldet. Hingegen muss der Bewilligungsinhaber nach schweizerischem Recht ­ anders als im EG-Recht ­ nicht darlegen, wie sich diese Veränderungen auf seine wirtschaftliche Situation auswirken. Seit dem Inkrafttreten des Bilateralen Luftverkehrsabkommens sind auch für die schweizerischen Bewilligungsinhaber und damit auch für das BAZL die Anforderungen von Artikel 5 der EG-Verordnung 2407/92 massgebend.

3.4.2.6

Bedeutung der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit bei der Streckenkonzession53

Fluggesellschaften, die gewerbsmässig Personen und Güter befördern, brauchen neben der Betriebsbewilligung eine Streckenkonzession des UVEK (Art. 28 LFG und 110 ff. LFV). Weil nur Inhaber einer Betriebsbewilligung eine Streckenkonzession erhalten, ist im Rahmen der Erteilung der Streckenkonzession die wirtschaftli52 53

Vgl. Gutachten, Anhang 1, Teil A, Ziff. II/8.1.

Vgl. Gutachten, Anhang 1, Teil A, Ziff. III/1.

5431

che Leistungsfähigkeit der Fluggesellschaft nicht zu prüfen54. Hingegen unterstellt das schweizerische Recht ­ anders als das EG-Recht ­ den Inhaber einer Streckenkonzession einer Betriebs- und Beförderungspflicht (Art. 111 LFV). Damit sollte wohl zum Ausdruck gebracht werden, dass der Luftverkehr Teil der öffentlichen Verkehrsinfrastruktur ist. Es besteht ein öffentliches Interesse, dass Flüge, welche die Behörden genehmigt haben, tatsächlich ausgeführt werden. Die Aufsichtsbehörde hat deshalb darüber zu wachen, dass genügend finanzielle Mittel auf Seiten der Fluggesellschaften vorhanden sind, um die Betriebs- und Beförderungspflicht zu erfüllen55. Das Gutachten geht aber nicht so weit, dass es den Beförderungsanspruch von Passagieren staatlich absichern will. Fälle, in welchen Fluggesellschaften den Betrieb überraschend einstellen müssen, lassen sich nach Ansicht der Gutachter besser im Rahmen von entsprechenden Versicherungen abdecken56.

3.4.2.7

Die Anforderungen an die personellen Ressourcen des BAZL bei der Prüfung und Überwachung der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit57

Für die Prüfung der Dossiers der Antragsteller einer Betriebsbewilligung auf das Kriterium der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit steht dem BAZL eine Person mit kaufmännischer Ausbildung und Erfahrung in der Versicherungsbranche zur Verfügung. Diese Person wird vom Leiter des «Prozessteams Luftverkehrsbetriebe» beaufsichtigt. Der Leiter verfügt über eine jahrelange Erfahrung und kann die Angaben der Antragsteller aufgrund dieser Erfahrung beurteilen. Eine Person mit speziellen betriebswirtschaftlichen Kenntnissen gab und gibt es im erwähnten Prozessteam nicht. Das BAZL hat entsprechendes Know-How auch nicht in einer anderen Abteilung der Bundesverwaltung oder extern eingeholt58.

Es war im Rahmen des von der GPK-S erteilten Gutachtens nicht abschliessend möglich, zu beurteilen, ob dem BAZL für die Erfüllung seiner gesetzlichen Aufgaben genügend Personal zur Verfügung steht und ob dieses Personal für die Wahrnehmung seiner Aufgaben genügend qualifiziert ist. Mit dem Inkrafttreten des Bilateralen Luftverkehrsabkommens auf den 1. Juni 2002 und den damit einhergehenden spezifischen Melde- und Aufsichtspflichten werden höhere Anforderungen an die Überwachung der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit von Bewilligungsinhabern gestellt. Angesichts der Tatsache, dass das BAZL bis heute dieser Aufgabe klar zweite Priorität eingeräumt hat, ist gemäss Gutachten davon auszugehen, dass das BAZL für diese Aufgabe neue, qualifizierte Mitarbeiter braucht59.

54

55 56 57 58 59

Vor der Revision des LFG von 1998 musste das UVEK bei der Erteilung von einer sogenannten Betriebskonzession die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit prüfen. Wenn die finanziellen Grundlagen «offensichtlich ungenügend» waren, konnte das Departement die Konzession verweigern (Art. 105 Abs. 3 Bst. C aLFV). In der Konzession der Swissair vom 19.12.1966 war die Firma verpflichtet worden, finanzielle Reserven zu bilden und jährlich 1/10 ihres Reingewinns dem Reservefonds zuzuweisen, bis die Hälfte des Aktienkapitals erreicht war. Mit Verfügung des UVEK vom 23. Dezember 1996 wurde diese Klausel ersatzlos gestrichen.

Vgl. Gutachten, Anhang 1, Teil A, Ziff. III/1 und IV/3.

Vgl. Gutachten, Anhang 1, Teil D, Ziff. IV und Teil H, Ziff. 12.

Vgl. Gutachten, Anhang 1, Teil A, Ziff. IV/5.

Vgl. Gutachten, Anhang 1, Teil A, Ziff. II/2.5.

Vgl. Gutachten, Anhang 1, Teil A, Ziff. IV/5.2.

5432

3.5

Die Aufsichtspflicht des UVEK über das BAZL60

Das Gutachten hält fest, dass die auf dem Hierarchieprinzip beruhende Oberaufsicht des UVEK über das BAZL in der Praxis angewendet wird. In materieller Hinsicht nimmt das UVEK direkten Einfluss auf die Entscheidfindung, wenn es um verkehrspolitische Grundsatzfragen geht sowie bei der Personalpolitik des BAZL. Das UVEK entscheidet, wie viel Personal dem BAZL zur Verfügung steht.

Die GPK-S möchte an dieser Stelle präzisieren, dass das UVEK vorwiegend eine organisatorische Aufsicht über das BAZL wahrnimmt, nicht aber eine operationelle Aufsicht. Ausserdem stellt die GPK-S fest, dass die Aufsicht des UVEK über das BAZL hauptsächlich reaktiv funktioniert.

3.6

Die Prüfung der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit der Swissair im Rahmen der Krise

Im Zusammenhang mit dem Zusammenbruch der Swissair und vor dem Hintergrund der Entwicklung der finanziellen Krise interessiert in diesem Kapitel vor allem die Frage, wie das BAZL die Voraussetzungen der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit der Swissair anlässlich der Erneuerung der Betriebsbewilligung im Dezember 2000 und im Laufe des Jahres 2001 geprüft und beurteilt hat.

Dieser Fragestellung ist die GPK-S einerseits im Rahmen von Anhörungen und Aktenstudium nachgegangen. Anderseits hat sie die Abläufe im Rahmen des Gutachtens vom 2. September 2002 überprüfen lassen. Die Ergebnisse der ausführlichen Abklärungen der Experten finden sich im beiliegenden Gutachten und werden nachfolgend neben den Feststellungen der GPK-S in zusammengefasster Form wiedergegeben.

Vorneweg sei erwähnt, dass sich die Aufsichtstätigkeit des UVEK bzw. BAZL nicht auf die SAirGroup bezog, sondern ausschliesslich auf die «Swissair, Schweizerische Luftverkehr Aktiengesellschaft».

3.6.1

Die Prüfung der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit der Swissair bei der Erneuerung der Betriebsbewilligung im Dezember 2000

3.6.1.1

Der Standpunkt des BAZL

Das BAZL hat gegenüber der GPK-S die Prüfung und Beurteilung der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit der Swissair anlässlich der Erneuerung der Betriebsbewilligung im Jahr 2000 zusammenfassend wie folgt dargestellt: Das BAZL beurteilte die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit hauptsächlich aufgrund des Geschäftsberichts (einschliesslich Konzern- und Jahresrechnung) sowie der Berichte des Konzernprüfers und der Revisionsstelle der SAirGroup für das Jahr 1999, mit Segmentberichterstattung nach Konzernbereichen. Für das erste Halbjahr 60

Vgl. Gutachten, Anhang 1, Teil A, Ziff. IV/4.

5433

2000 wies die SAirGroup ein ausgeglichenes Ergebnis aus. Vorgelegen hat im Weiteren eine Positionsanalyse der SAirGroup vom November 2000, die auch das Fluggeschäft betraf. Deshalb unterbreitete die Swissair keinen Wirtschaftsplan für die nächsten zwei Jahre. Das BAZL geht bei Aktiengesellschaften wie der Swissair und der SAirGroup davon aus, dass sie die obligationenrechtlichen Grundsätze der ordnungsmässigen Rechnungslegung und die Regeln über die Bewertung der Aktiven und Passiven kennen und befolgen (Art. 662a und 665 ff. OR). Die SAirGroup unterlag als börsenkotierte Firma einem Kotierungsreglement, das im Vergleich zum Obligationenrecht nochmals strengere Regeln enthält. Die Transparenzvorschriften werden durch die «SWX Swiss Exchange» Börse überwacht und durchgesetzt.

Was die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit der Swissair betrifft, so konnte die Swissair gemäss BAZL bei der Erneuerung der Betriebsbewilligung im Jahre 2000 eine ausreichende Kapitaldecke glaubhaft darlegen. Dies, obschon die Swissair seit der Reorganisation der Swissair Gruppe von 1997 keine eigenen Zahlen mehr präsentierte. Als 100-prozentige Tochter der SAirLines bzw. der SAirGroup konnte die Swissair indessen auf die finanziellen Zusicherungen der Gruppe zählen. Zur Kenntnis nahm das BAZL auch, dass die SAirGroup 1999 ein positives Konzernergebnis von 273 Millionen Franken, die SAirLines einen Gewinn von 35 Millionen auswiesen.

Das BAZL hat am 29. Dezember 2000 die Betriebsbewilligung der Swissair gemäss Artikel 27 Absatz 3 LFG erneuert.

3.6.1.2

Feststellungen und Beurteilungen gemäss Gutachten61

Das Gutachten bestätigt, dass die Prüfung der von Swissair vorgelegten Dokumente keine spezifischen Probleme bereitete. Aus technischer und operationeller Sicht gaben sie keinen Anlass zu Fragestellungen. Hingegen stellt das Gutachten die Tatsache in Frage, dass das BAZL lediglich die finanziellen Ergebnisse des Jahres 1999 einverlangte. Der Zeitpunkt der Erneuerung der Betriebsbewilligung hätte nahegelegt, dass das BAZL den Informationen und Gerüchten betreffend die Verschlechterung der finanziellen Situation bei der SAirGroup näher auf den Grund geht.

Gegenüber dem für diese Frage zuständigen Gutachter machte das BAZL geltend, entsprechende Diskussionen mit Swissair hätten stattgefunden. Die Swissair verwies auf die ausgeglichenen finanziellen Ergebnisse des ersten Halbjahres 2000 und die genügende Liquidität für 2001. Wegen den laufenden Restrukturierungen in der Gruppe sah sich Swissair nicht in der Lage, die finanziellen Perspektiven sofort darzulegen. Swissair versprach indessen, das BAZL über die Entwicklung auf dem Laufenden zu halten und sobald als möglich nachvollziehbare, zukunftsorientierte Finanzzahlen zu liefern.

Gemäss Gutachten hätte unter diesen Umständen die bis zum 31. Dezember 2005 erneuerte Betriebsbewilligung zeitlich begrenzt oder zumindest mit der Bedingung versehen werden können, dass die Swissair bzw. SAirGroup das BAZL innert

61

Vgl. Gutachten, Anhang 1, Teil B, Ziff. VII/3.

5434

angemessener Frist über die Finanzzahlen 2000/200162 orientiert. Vorinformationen über das Konzernergebnis 2000 wären innerhalb der ersten Monate des Jahres 2001 erhältlich gewesen. Angesichts der zunehmend komplexeren Verhältnisse bei der SAirGroup wäre gemäss Gutachten aber fraglich gewesen, ob die zukünftigen Perspektiven hätten verlässlich aufgezeigt werden können.

Hingegen wäre es gemäss Gutachten weder aufgrund der gesetzlichen Regelungen noch durch die Umstände gerechtfertigt gewesen, dass das BAZL den Antrag um Erneuerung der Betriebsbewilligung ablehnt.

Hingewiesen sei in diesem Zusammenhang noch auf die Schwierigkeit der Beurteilung der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit von Fluggesellschaften in einer Holdingstruktur. Die wirtschaftliche Situation der Swissair wurde seit der Holdingstruktur von 1997 nicht mehr getrennt dargestellt und konnte auch nicht mehr getrennt geprüft werden. In der Praxis hat sich das BAZL damit geholfen, dass es von der Muttergesellschaft eine Patronatserklärung verlangte, mit der sich diese verpflichtete, für die Verbindlichkeiten der Tochter aufzukommen. Gemäss Gutachten63 ist die Verbindlichkeit solcher Patronatserklärungen umstritten. Verbindlich sind sie nur dann, wenn die Muttergesellschaft eine rechtsverbindliche Garantie zu Gunsten der Tochtergesellschaft abgibt. Gemäss Gutachten ist aber auch dann ein glaubhafter Nachweis der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit erst erbracht, wenn dem BAZL Angaben vorliegen, die die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit der Dachgesellschaft glaubhaft machen. Das BAZL hat gemäss Gutachten offenbar von der Muttergesellschaft in der Vergangenheit keine zusätzlichen Unterlagen eingefordert, um deren wirtschaftliche Leistungsfähigkeit abzuklären.

3.6.2

Die Beurteilung der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit der Swissair im Jahre 2001

3.6.2.1

Die Sichtweise des BAZL

Das BAZL liess sich im März und April 2001 von der Führung der SAirGroup über die schwierige finanzielle Lage bei der SAirGroup orientieren. Ebenfalls fanden mehrere Koordinationsmeetings und telephonische Kontakte zwischen dem BAZL und der SAirGroup statt. Das BAZL nahm auch Kenntnis vom Jahresergebnis 2000 (Defizit von 2885 Mio. Fr.), welches am 2. April 2001 präsentiert wurde. Aufgrund der kontinuierlichen Aufsicht über die Organisation des Flugbetriebs und Unterhalts bestand gemäss BAZL keine Veranlassung, wegen der angespannten finanziellen Situation der Swissair und der SAirGroup an der Sicherheit des Flugbetriebs zu zweifeln. Nach den Aussagen des BAZL gab es zu keinem Zeitpunkt Anzeichen, wonach die Swissair aufgrund ungenügender Mittel die Aufrechterhaltung eines ordnungsgemässen sicheren Betriebs nicht mehr hätte gewährleisten können. Die Berichterstattung über das Halbjahresergebnis am 30. August 2001 gab über die schwierige finanzielle Lage Auskunft, stellte aber gleichzeitig den Verkauf eines Teils des Konzerns für einen Betrag von 4,5 Milliarden Franken in Aussicht. Keine 62

63

Seit dem Inkrafttreten des bilateralen Luftverkehrsabkommens auf den 1. Juni 2002 sind strengere Anforderungen an Artikel 27 Absatz 2 Buchstabe c LFG zu stellen. Die EGVerordnung 2407/92 verlangt u.a. eine Plan-Bilanz für das kommende Jahr.

Vgl. Gutachten, Anhang 1, Teil A, Ziff. II/2.6.

5435

Zweifel an der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit hatte das BAZL insbesondere deshalb, weil die SAirGroup über eine Kreditlinie von 1 Milliarde Franken verfügte und noch bis Ende September 2001 Kredite zurückbezahlte.

Diese Darstellung der Sichtweise des BAZL gegenüber der GPK-S deckt sich mit den Ergebnissen des Gutachtens64. Dieses präzisiert, dass bei den Kontakten des BAZL mit der SAirGroup sowohl die Liquiditätsprobleme als auch die Restrukturierungsperspektiven angesprochen wurden. Dabei haben sich die Verantwortlichen der Swissair bezüglich der kurz- und mittelfristigen Perspektiven immer zuversichtlich gezeigt. Weil eine bundesinterne Arbeitsgruppe, in welcher das BAZL vertreten war, bereits der Visura im Hinblick auf die Generalversammlung im April 2001 einen entsprechenden Auftrag erteilt hatte, sah sich das BAZL nicht veranlasst, eine nähere Prüfung vorzunehmen oder externe Experten beizuziehen. Der für diese Frage zuständige Gutachter glaubt nicht, dass das BAZL während dieser Zeit seine Aufsichtspflicht in wirtschaftlichen Belangen verletzt hat, auch wenn die Gründe für den von der SAirGroup verbreitete Optimismus hätten verifiziert werden können.

Die Ausführungen des BAZL zeigen überdies, dass das BAZL die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit der Swissair auch im Jahre 2001 nur unter dem Kriterium der Flugsicherheit überwacht hat.

3.6.2.2

Die Frage nach dem Entzug oder der Sistierung der Betriebsbewilligung der Swissair65

Im Gutachten ist auch die Frage abgehandelt worden, ob angesichts der Entwicklung der Situation bei der Swissair im Verlaufe des Jahres 2001 ein Entzug oder eine Sistierung der Betriebsbewilligung gerechtfertigt gewesen wäre.

Gemäss Gutachten wäre eine solche Massnahme zweifellos angezeigt gewesen, wenn die Sicherheit nicht mehr hätte gewährleistet werden können oder wenn über die Swissair der Konkurs eröffnet worden wäre, ohne dass die Swissair von sich aus die Aufhebung der Betriebsbewilligung beantragt hätte.

Unter den damaligen Umständen hätte eine solche Massnahme gemäss Gutachten sehr negative Auswirkungen auf die Restrukturierungsbemühungen der SAirGroup gehabt und dies solange, als das Unternehmen noch über genügend Liquidität verfügte bzw. hoffte, Liquiditätszuschüsse auf dem Finanzmarkt zu erhalten. Nach dem diese Hoffnung allmählich schwand, d.h. nach dem 11. September 2001, hätte eine solche Massnahme des BAZL nach Ansicht des Gutachters vielleicht erlaubt, eine geordnete Stilllegung der Swissair-Flotte vorzubereiten. Das Gutachten gibt aber zu bedenken, dass ein sofortiger Entzug aus juristischen Gründen problematisch gewesen wäre. Das BAZL hätte zuerst festlegen müssen, ob die Bedingungen des Artikels 102 LFV erfüllt sind.

Obschon das BAZL im Laufe des Wochenendes vom 29./30. September 2001 einen Entscheid um Sistierung der Betriebsbewilligung der Swissair vorbereitete, hat es sich am Morgen des 2. Oktobers 2001 gegen eine solche Massnahme ausgespro-

64 65

Vgl. Gutachten, Anhang 1, Teil B, Ziff. VIII/2.

Vgl. Gutachten, Anhang 1, Teil B, Ziff. XI.

5436

chen. Das BAZL konnte die Verantwortung für die Stilllegung der Swissair-Flotte unter den damaligen Umständen nicht auf den Bund verlagern.

Nach Ansicht der Gutachter wäre eine Sistierung der Bewilligung unter den im Jahre 2001 gegeben Voraussetzungen nicht zweckmässig gewesen66.

3.7

Interessenkonflikte und personelle Verflechtungen zwischen dem BAZL und den Fluggesellschaften

3.7.1

Ergebnisse und Massnahmen aus früheren Untersuchungen

Aufgrund des Vorwurfes von personellen Verflechtungen und Interessenkonflikten beim BAZL veranlasste der Vorsteher des UVEK im Jahre 1997 ein externes Gutachten. Die GPK-N begleitete diese Arbeiten kritisch und überprüfte im Rahmen einer Nachkontrolle die Umsetzungen der damaligen Empfehlungen.

Das Gutachten vom 24. September 199767 ortete in folgenden Bereichen problematische Konflikte bei der Wahrnehmung der Aufsichtsfunktion: ­

Bei den nebenberuflichen Tätigkeiten in Luftfahrtbetrieben und Flugschulen bemängelte das Gutachten, dass die nebenberufliche Tätigkeit zwar als dienstliche Verrichtung galt, zumindest zum Teil aber als mehr oder weniger private Beschäftigung während der Freizeit und erst noch gegen entsprechende Bezahlung erfolgte. Soweit die nebenberufliche Tätigkeit im dienstlichen Interesse liegt, sei sie deshalb in der Dienstzeit zu erbringen und mit dem Lohn abzugelten, forderte das Gutachten. Es stand überdies ausser Frage, dass mit der nebenberuflichen Tätigkeit bei Luftfahrtbetrieben und Flugschulen in Bezug auf die Aufsichtsfunktion ein erheblicher Anschein von Befangenheit entstehen kann. Der Gutachter bezeichnete es als fraglich, ob das in einer Verfügung des damaligen Eidgenössischen Verkehrs- und Energiewirtschaftsdepartement (EVED, heute UVEK) verankerte blosse Verbot der Unterzeichnung von Bewilligungen den Anschein jeglicher Befangenheit bereits auszuschliessen vermag. Er forderte deshalb, dass sich der betreffende BAZL- oder BFU-Angehörige jeglicher amtlicher Funktion zu enthalten hat, wenn ein Unternehmen betroffen sein könnte, für welches er eine nebenberufliche Tätigkeit ausübt. Das Gutachten teilte hingegen die Meinung, dass das praktische Erfahrungswissen für eine kompetente und glaubwürdige Aufgabenerfüllung notwendig ist und die nebenberufliche Tätigkeit deshalb der Aufsichtsfunktion dienen kann.

Auf Empfehlung des Gutachters hat das UVEK die Verfügung des EVED vom 28. Februar 1973 über die Tätigkeit von Bediensteten in Luftfahrtbetrieben und Fliegerschulen überarbeitet und durch die Weisung des UVEK vom 18. Dezember 1998 über die Tätigkeit von Bediensteten des Bundesamtes für Zivilluftfahrt und des Büros für Flugunfalluntersuchungen in Luftfahrtunternehmen ersetzt. Dies hatte zur Folge, dass Tätigkeiten bei pri-

66 67

Gutachten, Anhang 1, Teil H, Ziff. 11.

Das Gutachten (nicht publiziert) hat Dr.iur. Niklaus Oberholzer im Auftrag des Vorstehers des UVEK erstellt.

5437

vaten Luftfahrtbetrieben und Flugschulen im dienstlichen Interesse seither in der Dienstzeit erbracht werden und im Lohn inbegriffen sind. Die Regelung betreffend Nebenbeschäftigung wurde in Einklang mit der normalen personalrechtlichen Ordnung gesetzt und die Ausstandsverpflichtung wurde klarer abgefasst.

­

Der Bedarf nach einem eigenen Flugdienst, der für Mitarbeitende des BAZL und des Büros für Flugunfalluntersuchungen die fliegerische Grundausbildung und Weiterbildung betreibt, war für den Gutachter zwar unbestritten.

Hingegen betrachtete er den Kreis der Zugehörigkeit zum Flugdienst als zu umfassend. Die Aufnahme in den Flugdienst müsse voraussetzen, dass dies für die amtliche Aufgabenerfüllung notwendig ist. Es genügt nicht, dass der praktische Umgang mit Luftfahrtzeugen für die Aufgabenerfüllung von Vorteil sein kann. Auf Empfehlung des Gutachters wurde der «Bundesratsbeschluss vom 19. Mai 1971 über den Flugdienst beim Eidgenössischen Verkehrs- und Energiewirtschaftsdepartement» überarbeitet und durch die Verordnung vom 4. Oktober 1999 über den Flugdienst beim UVEK (Flugdienstordnung)68 ersetzt. Die Zugehörigkeit zum Flugdienst wurde neu definiert und eingeschränkt.

Was die personalrechtliche Besserstellung (Lohnzulagen, vorzeitige Pensionierung) im Flugdienst betraf, empfahl der Gutachter, die Frage nach den Vergütungen für ausserordentliche Dienstleistungen, sowie nach vorzeitigem Altersrücktritt für die Bundesverwaltung als Ganzes anzugehen. Das Eidgenössische Finanzdepartement (EFD) hat die Problematik mit den Personalverbänden erörtert. Das Eidgenössische Personalamt (EPA) hat eine Anpassung der Verordnung über die Leistungen bei vorzeitigem Altersrücktritt von Bediensteten in besonderen Dienstverhältnissen vom 2. Dezember 1991 (VLVA) geprüft. Mit Entscheid vom 14. Dezember 1998 hat der Bundesrat jedoch auf eine Revision verzichtet. Das Problem der Zulagen wollte der Bundesrat im Zusammenhang mit dem neuen Bundespersonalgesetz angehen. Zulagen sollten soweit als möglich in den Lohn integriert werden. Die geltende Verordnung zum Bundespersonalgesetz sieht aber die Möglichkeit von solchen Zulagen immer noch vor.

­

68

Obschon nicht nur Mitarbeitende des BAZL und des Büros für Flugunfalluntersuchungen von gewissen Vergünstigungen im Bereich der Dienstflüge und Privatflüge profitierten, stellte sich gemäss Gutachter dort ein spezifisches Problem. Im Zusammenhang mit den Aufsichts- und Untersuchungsaufgaben dieser Dienststellen besteht ein Konfliktpotential, das gemäss Gutachter unter dem Aspekt eines möglichen Anscheins von Befangenheit dringend einer Lösung bedarf. Der Gutachter empfahl eine gesamte Überprüfung durch das EFD. Der Bundesrat hat diese Empfehlung umgesetzt. Im Budget 1999 wurde ein Dienstreisekredit aufgenommen, die erforderliche Änderung der Luftfahrtverordnung ist erfolgt und die Vergünstigungen für Privatreisen sind bereits seit Februar 1998 abgeschafft.

Verordnung vom 4. Oktober 1999 über den Flugdienst beim Eidgenössischen Departement für Umwelt, Verkehr, Energie und Kommunikation (Flugdienstordnung, FDO), SR 172.217.2.

5438

Das Gutachten kam zum Schluss, dass bei den getätigten Abklärungen keinerlei Anhaltspunkte für Missbräuche im Bereiche der Amtsführung oder der gesetzlichen Aufgabenerfüllung auftauchten. Die Mängel hatten ihre Ursache nicht im Fehlverhalten einzelner Mitarbeitenden, sondern in generell abstrakten Regelungen, die teilweise überholt waren.

3.7.2

Heutige Beurteilung der Interessenkonflikte durch das UVEK

Die GPK-S hat im Rahmen dieser Untersuchung nochmals geprüft, wie die betroffenen Aufsichtsbehörden heute die Konfliktbereiche beurteilen und welche Massnahmen sie gegen mögliche Interessenkonflikte im Verhältnis zur Aufsichtsfunktion treffen.

Gemäss UVEK bestehen heute keine problematischen Verflechtungen zwischen dem BAZL und den Luftfahrtunternehmen. Wo die Möglichkeit eines Interessenkonflikts gegeben ist, werden entsprechende organisatorische Massnahmen getroffen. BAZLInspektoren halten ihr fliegerisches Know-how nicht bei Luftverkehrsunternehmen aufrecht, bei der sie irgendwelche Prüf- oder Aufsichtstätigkeiten vornehmen. Dies in Übereinstimmung mit der Weisung des UVEK vom 18. Dezember 1998 über die Tätigkeit von Bediensteten des BAZL und des BFU.

Auch zwischen Mitarbeitenden des BFU und den Luftfahrtunternehmungen bestehen nach Auffassung des UVEK keine problematischen Verflechtungen. Mitarbeiter des BFU, die eine Tätigkeit in einem Luftfahrtunternehmen ausüben, dürfen von diesem Unternehmen ausser den üblichen Spesenentschädigungen kein Entgelt beziehen. Das Gleiche gilt für die Arbeit der Instruktoren (Theorie, Flugschulung).

Diese Regelung gilt auch dann, wenn die Tätigkeit in der Freizeit ausgeübt wird.

Der Bund trägt auch alle damit verbundenen Kosten, so dass diesen Mitarbeitern keine Verpflichtung gegenüber den Luftfahrtunternehmungen entstehen. Für die Untersuchung der Ursachen eines Unfalls/Vorfalls in einer bestimmten Luftfahrtunternehmung wird kein Mitarbeiter als Untersuchungsleiter eingesetzt, der für dieses Unternehmen Flüge durchführt. Um das Risiko einer problematischen Verflechtung über die im Bericht Oberholzer formulierten Empfehlungen hinaus zu reduzieren, stellte der Chef des BFU im Jahre 1999 zwei aktive Miliz-Militärpiloten als hauptamtliche Unfalluntersuchungsleiter ein. Die Luftwaffe untersucht die Unfälle/Vorfälle mit ihren Flugzeugen selber. Wenn das BFU zur Untersuchung von Unfällen auf Spezialisten zurückgreift, setzt es sie nach dem Prinzip der grösstmöglichen Distanz zur Unfalluntersuchung ein. Ausserdem hat sich seit langem ­ gestützt auf ICAO-Annex 13 ­ eine internationale Zusammenarbeit etabliert. So entsendet jeder Staat, der einen direkten Bezug zum betreffende Unfall hat, eine Vertretung, die an der Untersuchung mitarbeitet. Weil diese Delegation
sowohl im wörtlichen als auch im übertragenen Sinne von aussen kommt, leisten sie gemäss UVEK nicht nur wertvolle Fachbeiträge, sondern auch einen wichtigen Beitrag zur externen Kontrolle der vor Ort zuständigen Untersuchungsbehörde.

Die Abgeltungen im Bereich des Flugdienstes beurteilt das UVEK wie folgt: Das BAZL beschäftigt auch Mitarbeitende, die zur Ausübung ihrer Funktion auf ein fliegerisches Know-how angewiesen sind. Diese werden unter gewissen Voraussetzungen in den Flugdienst zur Durchführung von Dienstflügen eingeteilt. Eine Flug5439

dienstzulage erhält, wenn der überwiegende Teil der fliegerischen Tätigkeit in der Durchführung von Dienstflügen i.S. von Artikel 3 Buchstabe a bis c der Flugdienstordnung besteht. Diese Zulage beläuft sich je nach Anciennität und Ausbildungsstand zwischen 13 772 und 35 706 Franken jährlich. Heute beschäftigt das BAZL 29 Mitarbeitende mit Einteilung in den Flugdienst und Anspruch auf Flugdienstzulage.

Im BFU gehören nur die hauptamtlichen Untersuchungsleiter dem Flugdienst an.

Die Entschädigung richtet sich ebenfalls nach der Flugdienstordnung. Da die hauptamtlichen Untersuchungsleiter ausserhalb der Ferien jederzeit für Einsätze erreichbar sein müssen und dafür Pikett-Dienst leisten, werden sie durch eine monatliche Pauschale von 210 Franken entschädigt. Für die Benützung des privaten Personenwagens entrichtet der Bund jedem hauptamtlichen Untersuchungsleiter eine monatliche Pauschale von 250 Franken und vergütet 60 Rappen pro Kilometer. Die beiden bei den zivilen Luftfahrtunternehmungen tätigen Untersuchungsleiter erhalten von diesen Unternehmungen die üblichen Spesen ersetzt. Die beiden Miliz-Militärpiloten beziehen für ihre Tätigkeit bei der Luftwaffe das ordentliche Fluggeld für Milizpiloten von 11 500 Franken pro Jahr.

Das BAZL wies die GPK-S im Dezember 2001 darauf hin, dass auf 170 Angestellte des BAZL lediglich sieben bei Swissair und drei bei Crossair gearbeitet haben.

3.7.3

Beurteilung im Rahmen des Gutachtens vom 2. September 2002

Auch im Rahmen dieser Untersuchung liess die GPK-S die Problematik von Interessenkonflikten und personellen Verflechtungen nochmals durch einen der Experten beurteilen. In Bezug auf die Ausübung der Aufsicht gegenüber Swissair konnte der für diese Frage zuständige Gutachter nicht die geringste Willfährigkeit auf Seiten der in die Aufsicht involvierten Mitabeiter des BAZL feststellen69. Das BAZL hat immer Mitarbeiter rekrutiert, welche bei der Swissair ausgebildet wurden oder dort gearbeitet70 haben. Trotzdem scheint dies gemäss Gutachten die Unabhängigkeit nicht zu beeinträchtigen. In einem so kleinen Markt wie der schweizerischen Zivilluftfahrt ist es praktisch unmöglich, schweizerische Spezialisten zu finden, die ihre berufliche Erfahrung ausserhalb von im Land tätigen Luftfahrtunternehmen, Flughäfen, Navigationsdiensten usw. erworben haben. Diese Feststellung gilt gemäss Gutachten vor allem für den technischen und operationellen Bereich, wo die Kenntnisse sehr spezialisiert sind.

3.8

Vergleich der Aufsicht ausländischer Luftfahrtbehörden71

Im Rahmen des Gutachtens wurden diverse Aspekte der Aufsicht in der Luftfahrt in verschiedenen Ländern (Deutschland, Niederlande, Frankreich, Grossbritannien, Australien, Kanada, USA) kurz analysiert und verglichen. Es stellte sich heraus, 69 70 71

Vgl. Gutachten, Anhang 1, Teil C.

Ungefähr 25 % der Spezialisten im Prozessteam Luftverkehrsbetriebe haben bei Swissair gearbeitet.

Vgl. Gutachten, Anhang 1, Teil D.

5440

dass in allen Ländern der Aufsicht über die technischen und operationellen Anforderungen Priorität zukommt. Dies im Einklang mit dem Chicago-Abkommen und den Normen der ICAO.

Betreffend die wirtschaftliche und finanzielle Aufsicht zeigen sich Unterschiede, je nach dem, wie interventionistisch ein Staat auf der Ebene der Wirtschaftspolitik ist.

In Grossbritannien, Kanada und Australien erscheint die Regelung und die Praxis am liberalsten. Diese Staaten begnügen sich mit einer eher distanzierten Aufsicht über die finanzielle Gesundheit und Liquidität ihrer Unternehmen.

In den USA schätzt der Gutachter die Aufsicht über die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit strenger ein als der politische Rahmen dies erahnen liesse. Der Staat hat hier immer eine aktive Rolle in der Zivilluftfahrt ausgeübt. Auch bei privaten Luftfahrtgesellschaften zögert der Staat nicht, in die Geschäftsführung einzugreifen (z.B. im Falle von Streikdrohungen oder durch die finanzielle Unterstützung bei grösseren Schwierigkeiten). Während der Entzug einer Bewilligung aus wirtschaftlichen Gründen eine ultima ratio bildet, ist eine entsprechende Massnahme aufgrund operationeller Erwägungen weitaus häufiger.

In Frankreich besteht eine Rekursmöglichkeit an eine unabhängige Kommission, was den Entscheid eines Entzugs einer Bewilligung auf politischer Ebene erleichtern kann. Dies umso mehr, als die öffentliche Traktandenordnung des «Conseil supérieur de l'aviation marchande» erlaubt, die Öffentlichkeit auf die Konsequenzen einer solchen Massnahme vorzubereiten.

Die personellen Ressourcen können nur schwer verglichen werden, weil die Organisation der Luftfahrtbehörden sehr unterschiedlich ist. Im technischen und operationellen Bereich scheint die Situation gemäss Audits der ICAO überall angespannt zu sein: die Ressourcen wurden der wachsenden Zahl der zu beaufsichtigenden Unternehmen nicht angepasst. Im ökonomischen und finanziellen Bereich scheinen nur Frankreich, die USA und Deutschland über genügende personelle Ressourcen und über adäquate Qualifikationen zu verfügen.

3.9

Die Würdigung des Gutachtens vom 2. September 2002 durch das UVEK und BAZL

Das UVEK und das BAZL haben sich grundsätzlich mit den Ergebnissen des Gutachtens einverstanden erklärt und das Gutachten positiv gewürdigt. Soweit es kleinere Abweichungen zu den vorangehenden Kapiteln gab, hat die GPK-S diese im entsprechenden Text kurz dargestellt.

Die grösste Divergenz besteht im Stellenwert, welchen das UVEK/BAZL einerseits und das Gutachten anderseits der Prüfung der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit einräumen. Das UVEK/BAZL halten diese Prüfung nur im Hinblick auf die Gewährleistung der Flugsicherheit als gerechtfertigt. Das BAZL versteht sich als technische Aufsichtsbehörde, welche die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit nicht selbständig, sondern im Zusammenhang mit der operationellen und technischen Sicherheit überprüft. Das BAZL versteht auch das EU-Recht nicht in dem Sinne, dass die Voraussetzung der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit ein selbständiges Kriterium für die Aufrechterhaltung einer Betriebsbewilligung ist. Hingegen räumen das UVEK und BAZL ein, dass die Unklarheiten der diesbezüglichen schweizeri5441

schen Regelung durch die EG-Verordnung 2407/92 grundsätzlich beseitigt werden.

Gemäss BAZL fehlen aber auch im EG-Recht Indikatoren für die Bewertung der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit eines Unternehmens und somit für den Entzug einer Betriebsbewilligung oder für die Verfügung von Auflagen. Solche Indikatoren sind gemäss BAZL nicht erforderlich, da die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit nicht ein selbständiges Kriterium für die Aufrechterhaltung einer Betriebsbewilligung ist.

Was den Personalbedarf des BAZL betrifft, so muss nach Ansicht des UVEK das BAZL seinen Ressourcenbedarf selbst beurteilen. Für das UVEK ist massgebend, dass die Sicherheit im Linienverkehr gewährleistet ist.

3.10

Beurteilung und Schlussfolgerungen der GPK-S

Zur Aufsicht des BAZL über die operationelle und technische Sicherheit: Die Aufsicht des Bundes über die Zivilluftfahrt muss in erster Linie einen sicheren Betrieb gewährleisten. Das BAZL hat deshalb zu Recht der technischen und operationellen Überwachung von Inhabern einer Betriebsbewilligung Priorität eingeräumt. Das Niveau der Sicherheitsaufsicht wird im Rahmen von internationalen Normen geregelt und überprüft. Es bestehen aufgrund der Inspektion der ICAO keine Anhaltspunkte für wesentliche Mängel der Sicherheitsaufsicht des BAZL.

Auch das von der GPK-S veranlasste Gutachten würdigt die Aufsicht des BAZL über die Swissair im untersuchten Zeitraum positiv. Aufgrund der Flugzeugkollision vom Juli 2002 über Süddeutschland lässt das UVEK zurzeit das Gesamtsystem der schweizerischen Flugsicherheit durch eine ausländische Expertise überprüfen.

Tatsächlich ist die Flugsicherheit durch die zahlreichen Vorfälle in der jüngeren Vergangenheit (Crossair-Unfälle vom Januar 2000 bei Nassenwil und vom November 2001 bei Bassersdorf, Flugzeugkollision vom Juli 2002 bei Überlingen) in Frage gestellt. Die GPK-S begrüsst deshalb die Untersuchung des UVEK, welche die Schnittstelle der Sicherheitsaufsicht zwischen BAZL, BFU und UVEK vertieft analysieren wird. Die GPK-S wird diese Arbeiten eng begleiten und sich vertieft mit den Resultaten auseinandersetzen.

Die GPK-S stellt fest, dass es für Nicht-Fachleute sehr schwierig ist, sich ein Urteil über die technische und operationelle Aufsicht zu bilden. Dies mag allenfalls erklären, weshalb insbesondere in politischen Kreisen die Arbeit des BAZL in der Vergangenheit oft hinterfragt wurde und bei Flugunfällen die Frage auftaucht, ob die Aufsichtsbehörde versagt hat. Nach Ansicht der GPK-S muss jeder Vorfall Anlass für eine gründliche Untersuchung bilden, in der auch die Sicherheitsaufsicht kritisch zu überprüfen ist. Ausserdem ist zu fordern, dass die Sicherheitsaufsicht unabhängig von konkreten Ereignissen kontinuierlich analysiert und gegebenenfalls angepasst wird. In erster Linie ist dazu das dem BAZL vorgesetzte UVEK zuständig, wobei es sich bei seiner Beurteilung auf externe Expertisen stützen kann und wohl auch muss.

Die GPK-S erwartet, dass das UVEK diesbezüglich in Zukunft eine aktivere Rolle bei der Aufsicht und Begleitung der Tätigkeit des BAZL ausübt. Bisher
nahm das UVEK vor allem Einfluss bei verkehrspolitischen Grundsatzfragen oder bei der Personalpolitik des BAZL. Darüber hinaus nimmt das UVEK seine Aufsichtsfunktion vorwiegend in reaktivem Sinne und nach Auffassung der GPK-S zu zurückhaltend wahr.

5442

Empfehlung 1: Verstärkung der Aufsicht des UVEK über das BAZL Das UVEK hat die Tätigkeit des BAZL enger zu begleiten und für eine regelmässige Überprüfung der Aufsichtspraxis des BAZL zu sorgen. Es schafft vermehrt Transparenz über die Aufsichtstätigkeit des BAZL.

Zur Aufsicht des BAZL über die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit der Fluggesellschaften: Die GPK-S teilt die Auffassung der Gutachter, dass die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit neben den operationellen und technischen Gesichtspunkten eine Voraussetzung ist, die sowohl bei der Erteilung der Betriebsbewilligung als auch während des Betriebs erfüllt sein muss. Das BAZL hat die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit bei der Erteilung einer Betriebsbewilligung anhand gesetzlicher bzw. eigener Kriterien jeweils überprüft. Während der Dauer einer Betriebsbewilligung hat sich das BAZL hingegen nicht vertieft und systematisch mit der wirtschaftlichen Lage der Flugunternehmen auseinandergesetzt.

Die Zurückhaltung des BAZL bei der Prüfung der wirtschaftlichen Solidität der Flugunternehmen lässt sich mit der Prioritätensetzung des Amtes, mit der unklaren und auslegungsbedürftigen Rechtslage, der Interpretation der diesbezüglichen Bestimmungen durch das BAZL und auch mit dem Selbst-Verständnis des BAZL als sicherheitstechnische Aufsichtsbehörde erklären. Wahrscheinlich war das Verständnis des BAZL mit ein Grund, dass die präzisen Detailregelungen der EG-Verordnung 2407/92 bei der Übernahme der Grundsätze des EG-Rechts in der Luftrechtsrevision von 1998 nicht mit übernommen wurden. Die GPK-S erstaunt dies, zumal die Schweiz an der Ausarbeitung der EG-Verordnung massgebend beteiligt war. Mit dem Inkrafttreten des Bilateralen Luftverkehrsabkommens auf den 1. Juni 2002 muss das BAZL nach Ansicht der GPK-S seine Auslegung und die zurückhaltende Praxis bezüglich der Prüfung der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit der Flugunternehmen ändern. Das EG-Recht regelt klar, wann und anhand welcher Dokumente die Aufsichtsbehörden die Aufsicht über die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit eines Antragstellers und eines Bewilligungsinhabers wahrnehmen müssen.

Neben der rechtlichen muss das BAZL auch der veränderten wirtschaftlichen Lage in der Luftfahrt Rechnung tragen. Die finanziellen Probleme der meisten grossen Fluggesellschaften führen nach Ansicht der GPK-S dazu,
dass die Aufsicht in wirtschaftlicher Hinsicht verstärkt werden muss. Solange sich mit Fliegen nicht mehr substantiell Geld verdienen lässt, kann tatsächlich ein unmittelbarer Zusammenhang zwischen der wirtschaftlichen Situation einer Fluggesellschaft und der Flugsicherheit bestehen.

Für eine Bewertung der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit muss das BAZL in erster Linie über entsprechendes betriebswirtschaftliches Fachwissen verfügen. Nur so kann gewährleistet werden, dass das BAZL die in der EG-Verordnung 2407/92 aufgeführten Unterlagen richtig interpretieren und die adäquaten Massnahmen treffen kann.

5443

Schliesslich sind nach Ansicht der GPK-S besondere Meldepflichten der Fluggesellschaften gegenüber der Aufsichtsbehörde bei finanziellen Schwierigkeiten vorzusehen. Der Bundesrat soll die Kriterien der Meldepflichten definieren (z.B. das Verhältnis von Eigenkapital und Fremdkapital).

Empfehlung 2: Verstärkung der Aufsicht über die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit von Fluggesellschaften Die GPK-S fordert den Bundesrat auf, die Voraussetzungen für eine vertiefte Aufsicht über die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit von Fluggesellschaften zu schaffen. Das BAZL ist anzuweisen, seine bisherige Praxis zu ändern. Die fachlichen Kompetenzen des BAZL müssen verstärkt werden, damit es die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit der Fluggesellschaften beurteilen kann. Gegenüber der Aufsichtsbehörde sind spezifische Meldepflichten der Fluggesellschaften bei finanziellen Schwierigkeiten vorzusehen.

Mit dem Inkrafttreten der Bilateralen Verträge am 1. Juni 2002 und der unmittelbaren Anwendbarkeit der EG-Verordnung 2407/92 erübrigt sich eigentlich, dass die bestehenden Unklarheiten des schweizerischen Rechts in Bezug auf die Überwachung der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit von Bewilligungsinhabern beseitigt werden. Aus Gründen der Transparenz und Rechtssicherheit sollte das LFG dennoch auf die Anforderungen an die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit gemäss EG-Verordnung 2407/92 verweisen.

Motion 1: Verweis des Luftfahrtgesetzes auf das EG-Recht Die GPK-S beauftragt den Bundesrat, dem Parlament einen Entwurf zu einem revidierten Artikel 27 Absatz 2 Buchstabe c des Luftfahrtgesetzes vorzulegen.

Der revidierte Artikel hat bezüglich der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit auf die Anforderungen der EG-Verordnung 2407/92 zu verweisen.

Zur Aufsicht des BAZL über die Swissair in den Jahren 2000/2001: Das BAZL hat die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit der Swissair in den Jahren 2000/2001 entsprechend der oben beschriebenen Praxis und Rechtslage zurückhaltend und nur im Zusammenhang mit dem Sicherheitskriterium geprüft. Speziell erwähnt werden kann, dass die komplizierte und undurchsichtige Holdingstruktur der SAirGroup eine Bewertung der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit der Swissair erschwert hat. Bei der Aufsicht über Fluggesellschaften, die in eine Holdingstruktur eingebunden sind, empfiehlt die GPK-S dem BAZL,
seine Praxis bezüglich der Patronatserklärungen zu überprüfen und auf die wirtschaftliche Bewertung der Holding selbst abzustellen oder rechtsverbindliche Garantien einzuholen (siehe Kapitel 3.6.1.2). Im Zusammenhang mit der Ausgliederung der Swissair von der Ebene der Holding auf die Ebene einer Tochtergesellschaft der SAirLines ist die GPK-S der Ansicht, dass das UVEK und das BAZL den Beschluss der Holdingstruktur im Jahre 1997 nicht kritisch genug begleitet haben.

5444

Die GPK-S glaubt nicht, dass die gesetzliche Regelung oder die damaligen Umstände dem BAZL erlaubt hätten, der Swissair die Erneuerung der Betriebsbewilligung im Dezember 2000 zu verweigern. Bei einer näheren Aufsicht über die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit hätte das BAZL die Bewilligung allerdings bedingt aussprechen können, bis die Swissair zusätzliche Angaben zum Geschäftsjahr 2000 und 2001 geliefert hätte.

Ein Entzug der Betriebsbewilligung der Swissair während der sich verschlechternden Situation der SAirGroup im Jahre 2001 wäre angesichts der fehlenden Kriterien für einen Entzug aus rechtlicher und politischer Sicht nur schwer begründbar gewesen. Ein sofortiger Entzug aus wirtschaftlichen Gründen ist nach Ansicht der GPK-S nicht möglich und würde als Ermessensmissbrauch des BAZL interpretiert. Es kann nicht Aufgabe der Aufsichtsbehörde sein, eine chaotische Stilllegung des Flugbetriebs eines Unternehmens auszulösen. Das BAZL hat nach Ansicht der GPK-S deshalb richtigerweise darauf verzichtet, nach dem 29./30. September 2001 eine behördliche Stilllegung des Swissair Betriebs anzuordnen. Es ist auch verständlich, dass das BAZL die Rettungsbemühungen der Banken und des ihm übergeordneten Bundesrates nicht zunichte machen konnte. Für die Zeit davor hielt das BAZL die Leistungsfähigkeit aufgrund der oben erwähnten Umstände (siehe Kapitel 3.6.2.1) für gegeben. Angesichts der Umstände ist dies für die GPK-S verständlich. Das BAZL übte eine zurückhaltende Praxis betreffend die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit der Swissair aus. Ausserdem dürfte auch im BAZL die wohl weltweit verbreitete Überzeugung geherrscht haben, dass die Swissair schlicht nicht untergehen kann.

Der Bundesrat ist nach Ansicht der GPK-S gefordert, geeignete Kriterien und Verfahren zu finden für den Fall, dass dem BAZL die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit eines Bewilligungsinhabers nicht mehr glaubhaft erscheint. Dies ist umso wichtiger, als jeder Entzug der Betriebsbewilligung zu einer staatlich angeordneten Stilllegung des Flugbetriebs eines Unternehmens führt. Der Bundesrat hat auch die einem Entzug vorangehenden Aufsichtsmassnahmen zu definieren (z.B. setzen einer Nachfrist zur Herstellung des rechtmässigen Zustandes). Ein Entzug müsste überdies für die Fluggesellschaft und ihre Kunden voraussehbar sein, damit eine
Stilllegung des Flugbetriebs strukturiert abläuft.

Empfehlung 3: Präzisierungen für den Entzug einer Betriebsbewilligung Die GPK-S fordert den Bundesrat auf, geeignete und präzise Kriterien und Verfahren zu bestimmen, wonach das BAZL Massnahmen treffen kann, wenn ihm die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit einer Fluggesellschaft nicht mehr glaubhaft erscheint. Insbesondere präzisiert er die Voraussetzungen und Verfahrensschritte für den Entzug der Betriebsbewilligung.

Zu den Interessenkonflikten und personellen Verflechtungen zwischen dem BAZL und den beaufsichtigten Fluggesellschaften und Luftfahrtbetrieben: Auf das Problem möglicher Interessenkonflikte zwischen dem BAZL bzw. BFU und den zu beaufsichtigenden Fluggesellschaften machte vor allem das Parlament immer wieder aufmerksam. Dies führte auch bereits zur Einleitung von externen Gutachten.

5445

Dem BAZL und dem BFU selbst konnte bisher kein konkreter Vorwurf gemacht werden. Hingegen führten die Abklärungen zur Revision von rechtlichen Bestimmungen und zur organisatorischen Anpassung der Aufsichtspraxis des BAZL und des BFU. Gemäss Abklärungen der GPK-S wurden verschiedene Massnahmen getroffen, um den Anschein der Befangenheit der Aufsichtsbehörde auszuschliessen.

Die erneute Überprüfung dieser Problematik im Rahmen des Gutachtens vom 2. September 2002 ergab keine Anhaltspunkte für problematische Verflechtungen.

Die GPK-S ist sich aber bewusst, dass aufgrund des kleinen Marktes und des dadurch stark konzentrierten Fachwissens im Luftfahrtbereich der Schweiz die Problematik von Interessenkonflikten durchaus ernst zu nehmen ist. Die oben erwähnte ständige Überprüfung der Luftfahrtaufsicht muss deshalb diese Problematik auch immer wieder einbeziehen. Das UVEK muss im Rahmen seiner Führungsverantwortung diesem sensiblen Bereich besonders Rechnung tragen.

Empfehlung 4: Regelmässige Überprüfung möglicher Interessenkonflikte durch das UVEK Das UVEK überprüft im Rahmen seiner Führungsverantwortung in regelmässigen Abständen, ob das BAZL bzw. das BFU ihre Aufgaben frei von Interessenkonflikten gegenüber den beaufsichtigten Fluggesellschaften und Luftfahrtbetrieben wahrgenommen haben.

Zu den personellen Ressourcen des BAZL: Die Rahmenbedingungen der schweizerischen Luftfahrtaufsicht sind mit jenen ausländischer Behörden zu vergleichen. Sowohl national als auch international im Raum steht die Frage, ob die personellen Ressourcen der Luftfahrtbehörden genügen, um eine qualitative Aufsicht auszuüben und somit ein hohes Sicherheitsniveau zu gewährleisten. Die Internationale Zivilluftfahrt-Organisation (ICAO) stellt diesbezüglich generell einen Mangel an personellen Ressourcen fest. Die knappen oder ungenügenden Ressourcen des BAZL standen auch auf Bundesebene wiederholt zur Diskussion. Für die GPK-S bedeutet dies, dass der Bundesrat die Ressourcen des BAZL grundlegend überprüfen muss. Die heutige Belastung der Mitarbeiter des BAZL muss analysiert werden und es sind Massnahmen zu treffen, damit ein hohes Sicherheitsniveau gewährleistet werden kann.

Empfehlung 5: Überprüfung der personellen Ressourcen des BAZL Die GPK-S fordert den Bundesrat auf, die personellen Ressourcen des BAZL in quantitativer
und qualitativer Hinsicht zu überprüfen, um ein hohes Sicherheitsniveau der Zivilluftfahrt zu gewährleisten. Er trifft die allenfalls notwendigen Massnahmen zur Gewährleistung einer qualifizierten Sicherheitsaufsicht.

Zu weiteren Fragen des geltenden Luftfahrtgesetzes: Die GPK-S stellt sich die Frage, ob die Kompetenzaufteilung zwischen dem UVEK und dem BAZL in Sachen Betriebsbewilligung und Streckenkonzession noch sachgerecht ist (siehe auch Kapitel 3.4.2.6). Diese Aufteilung macht in der Praxis wenig 5446

Sinn, da die Fachkompetenz auch bei den Streckenkonzessionen beim BAZL liegt, das die Konzessionserteilung vorbereitet. Diese Kompetenzaufteilung hat nach Ansicht der GPK-S historische Gründe, indem das UVEK u.a. über die Streckenkonzession die Luftverkehrspolitik definiert hat. Es stellt sich die Frage, ob heute eine solche Steuerung noch möglich ist. Für Strecken von und nach Ländern der EU erübrigt sich die Erteilung einer Streckenkonzession, weil ein Unternehmen gemäss EG-Verordnung 2408/92 Anspruch hat auf die Erteilung von Verkehrsrechten, sofern es über eine Betriebsbewilligung verfügt.

Sollte der Bundesrat an der geltenden Regelung festhalten und die Streckenkonzessionen weiterhin mit einer Betriebs- und Beförderungspflicht verbinden, muss sich das UVEK konsequenterweise auch mit Fragen der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit dieser konzessionierten Fluggesellschaften befassen. Die konzessionierten Fluggesellschaften müssen wirtschaftlich ausreichend leistungsfähig sein, um den Betrieb und die Beförderung von Personen und Gütern sicherzustellen. Das UVEK hat sich dieser Aufgabe bewusst zu sein, auch wenn die Betriebs- und Beförderungspflicht heute bloss 2 von über 80 schweizerischen Unternehmen betrifft.

Postulat 1: Überprüfung der Zuständigkeit bei der Streckenkonzession Die GPK-S fordert den Bundesrat auf, die Regelung der Zuständigkeit bezüglich der Streckenkonzessionen im Luftfahrtgesetz zu überprüfen und darüber Bericht zu erstatten.

Ebenso hinterfragt werden kann die geltende Regelung von Artikel 27 Absatz 3 LFG bzw. Artikel 101 LFV, wonach eine Betriebsbewilligung zeitlich zu befristen ist und erneuert werden kann. Die EG-Verordnung 2407/92 lässt zwar eine solche Erneuerung im nationalen Recht zu, enthält aber selbst keine Vorschriften betreffend Befristung bzw. Erneuerung. Angesichts der Tatsache, dass die operationellen, technischen und wirtschaftlichen Voraussetzungen für eine Betriebsbewilligung während der ganzen Dauer vorhanden sein müssen, macht eine Befristung wenig Sinn. Das System der Befristung und Erneuerung der Betriebsbewilligungen kann deshalb hinterfragt werden.

Falls der Bundesrat am System der Erneuerung von Betriebsbewilligungen festhält, müssen die Kriterien für die Prüfung der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit bei der Erneuerung im Sinne der EG-Verordnung
2407/92 präzisiert werden.

Postulat 2: Überprüfung der Befristung von Betriebsbewilligungen Die GPK-S fordert den Bundesrat auf, die Regelung der Luftfahrtgesetzgebung betreffend die Befristung und Erneuerung der Betriebsbewilligungen zu überprüfen und darüber Bericht zu erstatten.

5447

4

Die Geschäftsführung von Bundesrat und Bundesverwaltung in der Swissair-Krise

Die GPK-S zeigt in diesem Kapitel die Rolle der involvierten Bundesbehörden im Vorfeld und insbesondere während der Krise der SAirGroup bzw. Swissair im Zeitraum von Frühjahr 2001 (Eklat der Finanz- und Führungskrise) bis Mitte November 2001 (Aufbau einer neuen nationalen Airline) auf. Sie beurteilt, wie der Bundesrat die Rolle als Aktionär und Mitglied des Verwaltungsrates der SAirGroup wahrgenommen hat, wie die Bundesbehörden die Krise erkannt und beurteilt haben und wie sie sich in der Krise verhalten haben. Spezifisch interessiert schliesslich das Krisenmanagement von Bundesrat und Bundesverwaltung um den Zeitpunkt der Stilllegung des Flugbetriebs der Swissair und damit die Frage, ob die Bundesbehörden in irgendeiner Weise (mit)verantwortlich sind für die am 2./3. Oktober 2001 erfolgte Stilllegung des Swissair-Flugbetriebs.

4.1

Überblick über die Rolle(n) des Bundes im Verlauf der Krise

Als die Finanz- und Führungskrise der SAirGroup anfangs 2001 in der breiten Öffentlichkeit bekannt wurde, hatte der Bund nicht mehr dieselbe Beziehung zur Swissair, wie er sie noch vor einigen Jahren hatte. Diese Position soll hier kurz erläutert werden, um die Ausgangslage für das Handeln des Bundes und seine Rollen in der Krise zu klären.

Mit der Umstrukturierung der Swissair und der Bildung einer Holding hat der Bundesrat am 9. April 1997 beschlossen, die Bundesbeteiligung auf die SAirGroup zu konzentrieren. Das revidierte Luftfahrtgesetz72 brachte eine grundlegende Veränderung des Verhältnisses zwischen Swissair und dem Bund: An die Stelle einer nationalen Fluggesellschaft mit Monopolcharakter trat der Wettbewerb. Konsequenterweise wurden die Verflechtungen zwischen Bund und Swissair aufgelöst. So gab es seit dem Frühjahr 1999 keinen Staatsvertreter des Bundes mehr im Verwaltungsrat73. Eine direkte Einflussnahme des Bundes auf die SAirGroup war nach dem Ausscheiden der beiden Staatsvertreter aus dem Verwaltungsrat und aufgrund des geringen Anteils des Bundes am Aktienkapital nur sehr begrenzt möglich. Noch beim Niedergang der Swissair besass der Bund hingegen rund 3 Prozent des Aktienkapitals der SAirGroup, was ihn zusammen mit dem Kanton Zürich zu einem der grössten Einzelaktionäre machte. Es bestand die Absicht, die Kapitalbeteiligung des Bundes zu verkaufen. Entsprechende Schritte hat die EFV im Jahre 2000 geprüft.

Trotzdem erachteten das EFD und das UVEK einen solchen Schritt im Herbst 2000 72

73

Die Revision erfolgte vor dem Hintergrund der Liberalisierung in Europa und dem Entscheid der Swissair, den grössten Teil der interkontinentalen Linienflüge von Genf nach Zürich zu verlagern. Das Luftfahrtgesetz wurde im Sinne einer Marktöffnung revidiert und trat am 15. November 1998 in Kraft.

Fortan beschränkte sich die Staatsvertretung auf den neu geschaffenen Beirat, in welchem die Interessen der öffentlichen und privaten Institutionen eingebracht werden konnten und der dem Unternehmen bei der Entscheidfindung beratend zur Seite stand.

Die Aufgabe der Bundesvertreter bestand darin, verkehrspolitische Anliegen des Bundes einzubringen. Hingegen hatte der Beirat keinerlei Kontrollfunktionen gegenüber dem Verwaltungsrat und der Geschäftsleitung.

5448

als nicht opportun. Weshalb? Die Zukunft der SAirGroup war ungewiss. Die Aktie stand unter grossem Druck. Der Verkauf durch den Bund wäre gemäss Beurteilung des EFD als ein Misstrauensvotum gegenüber der Strategie der Gruppe interpretiert worden. Das EFD befürchtete, den Börsenkurs der Aktie negativ zu beeinflussen74.

Rückblickend meint das EFD, der Bund hätte sich unter Umständen sogar den fatalen Niedergang der Swissair vorwerfen lassen müssen.

Der Bund sah sich erst Anfang 2001 in seiner Position als qualifizierter Minderheitsaktionär mit der schwierigen finanziellen Lage der SAirGroup konfrontiert. Im Zusammenhang mit der ordentlichen Generalversammlung der SAirGroup am 25. April 2001 übte das EFD in Vertretung der Eidgenossenschaft die Aktionärsrechte aus und beantragte die Durchführung einer Sonderprüfung. Auch der Bund hat allerdings im April 2001 der neuen Führung das Vertrauen ausgesprochen und war bereit, an eine Gesundung des Unternehmens zu glauben.

Im Herbst 2001, als die SAirGroup in eine auswegslose finanzielle Lage geriet, übernahm der Bund nach und nach Aufgaben eines Krisenmanagements. Diese Rolle entwickelte sich allmählich. Noch anfangs September wollte der Bundesrat nichts wissen von staatlichen Finanzhilfen in Sachen Swissair. In einer Antwort auf eine Interpellation und ein dazu veröffentlichtes Pressecommuniqué75 vertrat der Bundesrat die Auffassung, dass die SAirGroup in der Lage ist, die Situation aus eigener Kraft zu meistern. Diese Haltung vertrat auch die oberste Leitung der SAirGroup, welche die Sanierungsmassnahmen ohne Hilfe des Staates durchführen wollte. Bestärkt hat den Bundesrat in dieser Haltung die in der Öffentlichkeit mehrfach erwähnte Kreditfazilität dreier Banken von insgesamt 1 Milliarde Franken. Die Bedingungen dieses Kredites blieben dem Bundesrat bis zur Eskalation der Krise nach Mitte September 2001 verborgen.

Als die Führung der SAirGroup am 17. September 2001 ausdrücklich um staatliche Unterstützung nachfragte und zu verstehen gab, dass das Unternehmen ohne eine Rekapitalisierung innert kürzester Frist zahlungsunfähig sein könnte, führten das vom Bundesrat delegierte EFD und UVEK Gespräche mit der SAirGroup und der Wirtschaft. Der Bundesrat akzeptierte in der Folge eine Beteiligung an einer Rekapitalisierung unter gewissen Bedingungen. Eine
Sanierung der SAirGroup wurde diskutiert, erwies sich aber als nicht realisierbar. Erst nach der Stilllegung des Flugbetriebs vom 2. und 3. Oktober 2001 übernahm der Bund eine federführende Rolle im Krisenmanagement. Neben dem finanziellen Engagement für die Aufrechterhaltung eines reduzierten Flugbetriebs setzte der Bundesrat am 5. Oktober 2001 eine Task Force «Luftbrücke»76 ein, die ein eigentliches Krisenmanagement und eine Kommunikation unter allen interessierten Kreisen erlaubte. Die Task Force überprüfte, ob die bereitgestellten Darlehen den Zielsetzungen entsprechend verwendet wurden, übernahm das Controlling und Monitoring der Liquidität der Swissair sowie der für den Flugbetrieb lebenswichtigen Annexbetriebe. Sie begleitete die

74 75 76

Vgl. dazu Botschaft des Bundesrates vom 7. November 2001 über die Finanzierung des Redimensionierungskonzepts für die nationale Zivilluftfahrt, BBl 2001 6443.

Interpellation Grobet vom 22.6.2001: Zukunft der Swissair?, 01.3408.

In der Task Force nahmen unter der Leitung der EFV die Bundeskanzlei, die Departemente EDA, EJPD und VBS, das Staatssekretariat für Wirtschaft, das BAZL, die Grossbanken UBS und CSG, die Kantone Zürich, Basel-Stadt und Genf, die drei Landesflughäfen, die Gewerkschaften, Swissair und Crossair sowie der Sachwalter Einsitz.

5449

Umsetzung des Plans «Phoenix», der darin bestand, die Crossair vom Konzern abzukoppeln und sie so zu strukturieren und zu rekapitalisieren, dass sie einen Teil des Fluggeschäfts von Swissair übernehmen kann. Neben der federführenden Betreuung einzelner Teilbereiche der Task Force übernahm der Bund die Leitungs-, Planungs- und Koordinationsrolle beim Aufbau einer neuen schweizerischen Airline. Mit der Beteiligung von 600 Millionen Franken am Kapital der neuen schweizerischen Fluggesellschaft liess sich der Bund im Verwaltungsrat vertreten. Diese Vertretung will er aufrechterhalten, solange er am Kapital der neuen Fluggesellschaft «Swiss» massgebend beteiligt ist.

4.2

Die Wahrnehmung der Aktionärsrechte durch den Bund und seine Rolle als Mitglied des Verwaltungsrates

4.2.1

Vor dem Jahre 2001

Mit der im Frühjahr 1997 beschlossenen Reorganisation der Swissair spielte sich die finanzielle Beteiligung sowie die Vertretung des Bundes im Verwaltungsrat auf der Ebene der Dachholding SAirGroup ab. Aufgrund der Revision des Luftfahrtgesetzes schieden die Bundesvertreter im Frühjahr 1999 aus dem Verwaltungsrat aus.

Aufgrund der Abklärungen der GPK-S sind für den Zeitraum von 1997 bis Ende 2000 keine speziellen Interventionen des Bundes in seiner Funktion als Aktionär der SAirGroup ersichtlich. Nach Angaben des EFD und UVEK stellten sich den Vertretern des Bundes keine besonderen Schwierigkeiten.

Zwischen Frühjahr 1997 und Frühjahr 1999 entsandte der Bundesrat zwei Staatvertreter gemäss Artikel 762 OR in den Verwaltungsrat der SAirGroup, nämlich den Generalsekretär des UVEK sowie den ehemaligen Präsidenten der Generaldirektion PTT. Ein zentraler Auftrag der beiden Staatsvertreter bestand darin, im Verwaltungsrat der SAirGroup die verkehrspolitischen Interessen des Bundes und der am meisten betroffenen Landesteile einzubringen. Die Staatsvertreter haben den Vorsteher des UVEK und den Direktor des BAZL laufend über die Geschäfte des Verwaltungsrates orientiert.

Die damaligen Bundesvertreter haben die tatsächlichen Einfluss- und Kontrollmöglichkeiten der Verwaltungsratsmitglieder, die nicht dem Ausschuss angehörten, als unbefriedigend beurteilt77. Eine wesentliche Ursache lag ihrer Meinung nach darin, dass der Verwaltungsrat der SAirGroup zu gross war (20 Mitglieder), so dass fundierte Diskussionen erschwert waren. Aufgrund von Indiskretionen fand die eigentliche Beratung der Geschäfte im Ausschuss des Verwaltungsrates statt. Die Bundesvertreter haben deshalb im Sommer 1997 eine Umstrukturierung des Verwaltungsrates (hinsichtlich der Grösse und Arbeitsweise) verlangt78. Dieser Prozess wurde erst 1999 abgeschlossen. Nach 1999 bestand der Verwaltungsrat nur noch aus 9 Mitgliedern. Der Ausschuss des Verwaltungsrates wurde abgeschafft.

77 78

Dies wurde von den Bundesvertretern in einem Schreiben vom 4. Juli 1997 zuhanden des Präsidenten des Verwaltungrates der SAirGroup schriftlich festgehalten.

Ebenda.

5450

4.2.2

Die Lagebeurteilung des Bundes im Frühjahr 2001

Durch die im Geschäftsjahr 2000 eingetretenen Milliardenverluste der SAirGroup sah sich der Bundesrat veranlasst, die Aktionärsrechte des Bundes zu wahren. Deshalb hat der Bundesrat verschiedene Massnahmen eingeleitet und Entscheide getroffen.

Die Eidgenössische Finanzverwaltung (EFV) nahm im April 2001 eine Lagebeurteilung vor und leitete die Vorbereitungsarbeiten im Hinblick auf die Generalversammlung der SAirGroup vom 25. April 2001. Die EFV zog die BDO Visura bei, welche den Bund in finanzwirtschaftlichen Belangen zusätzlich beriet. Die Analyse der Visura vom 11. April 2001 zeichnete eine ausserordentlich schwierige Situation bei der SAirGroup. Die Visura schloss einen bedeutenden, auch volkswirtschaftlich relevanten Schaden nicht aus. Ohne rasche Verstärkung der ausserordentlich dünnen Eigenkapitaldecke sei die Überlebensfähigkeit der SAirGroup akut gefährdet. Visura stellte auch den damals bekannten Finanzierungsbedarf der nächsten Monate dar.

Die Hauptursache der «desaströsen Entwicklung» sah die Visura in der unkontrolliert negativen Entwicklung der nicht in die Konsolidierung einbezogenen Minderheitsbeteiligungen aus der Hunter-Strategie. Dies führte dazu, dass «die ganze Wahrheit nicht aus der Bilanz und Erfolgsrechnung ersichtlich» war. Betreffend die Liquidität stützte sich die Visura auf eine Aussage des neuen Verwaltungsratspräsidenten und CEO der SAirGroup ab, wonach die Liquidität kein Problem sei. Visura gab immerhin zu bedenken, dass eine solche «Feststellung nur gemacht werden (könne), wenn konkrete Finanzierungszusagen der Banken (...) und sehr bald verbindliche Zusagen über die Zuführung von Eigenmitteln vorliegen»79.

Das EFD, das UVEK sowie das Eidgenössische Volkswirtschaftsdepartement (EVD) analysierten ihrerseits gestützt auf die Expertise der Visura die Lage und bereiteten zuhanden des Bundesrates die Anträge für die Generalversammlung der SAirGroup vom 25. April 2001 vor80. Die erwähnten Departemente stellten fest, dass die ehemals stolze SAirGroup zum Sanierungsfall geworden ist. Wegen der grossen verkehrs- und wirtschaftspolitischen Bedeutung für den Bund sahen sie bereits zu diesem Zeitpunkt ein öffentliches Interesse an einer leistungsfähigen, unabhängigen und finanziell gesunden nationalen Fluggesellschaft. Ebenso sei der Bund an einer Klärung des Debakels unter
allen Aspekten interessiert. Auch der Ernst der Lage wurde erkannt: die Sicherstellung genügender Liquidität wurde für die kurzfristige Fortführung des Konzerns als noch wichtiger erachtet als der Grad der Eigenkapitalisierung. Auch waren sich die vorbereitenden Departemente und der Bundesrat bewusst, dass die SAirGroup auf die Kooperationsbereitschaft der Banken angewiesen war, wenn eine Sanierung gelingen sollte. Eine Zwischenfinanzierung sollte kurzfristig das Überleben des Konzerns ermöglichen, um mittel- und längerfristige Lösungen anzustreben (Allianz, Fusion, Übernahme).

An der Generalversammlung der SAirGroup vom 25. April 2001 wurde eine Unterstützung der Sanierung durch die Banken vom Verwaltungsratspräsidenten und CEO der SAirGroup bestätigt. Dem Protokoll ist wörtlich zu entnehmen: «Mit Citi Group, CSFB [Credit Suisse First Boston] und Deutsche Bank konnte eine Vereinbarung getroffen werden, welche eine zusätzliche Kreditlinie von 1 Milliarde CHF 79 80

Angaben und Zitate gemäss vertraulichem Bericht der BDO Visura vom 11. April 2001 an die EFV.

Antrag des EFD, EVD und UVEK an den Bundesrat vom 17. April 2001.

5451

einräumt. Damit ist sichergestellt, dass wir die Sanierung der Gruppe in Angriff nehmen können, ohne dass die Liquidität gefährdet wäre»81. Auch in einer Medienmitteilung der SAirGroup vom 25. April 2001 wurde bestätigt, dass die Liquidität durch eine neue Kreditlinie von 1 Milliarde Franken bei Citibank, Credit Suisse First Boston und der Deutschen Bank gesichert ist. Nicht zu entnehmen sind dieser Kommunikation, dass der Vertrag über den Kredit tatsächlich erst am 11. Juli 2001 zustande gekommen ist und dabei auch nur unter gewissen Bedingungen82.

4.2.3

Die Ausübung der Aktionärsrechte an der Generalversammlung der SAirGroup vom 25. April 2001

Im Hinblick auf die Generalversammlung der SAirGroup vom 25. April 2001 hat der Bundesrat geprüft, ob Anzeichen für Pflichtverletzungen der Gesellschaftsorgane bestehen. Die markante Verschlechterung der Konzernrechnung im Geschäftsjahr 2000 wurde auf unterschätzte Risiken bei den ausländischen Airline-Beteiligungen zurückgeführt. Der Bundesrat stellte sich die Frage, ob der Verwaltungsrat beim Erwerb der Minderheitsbeteiligungen an nicht rentablen Gesellschaften im Sinne von Artikel 717 und 754 f. OR sorgfältig gehandelt hat. Die in die Vorbereitung der Generalversammlung vom 25. April 2001 involvierten Departemente (EFD, EVD, UVEK) sahen eine Verantwortlichkeit nicht primär in der Hunter-Strategie als solche, sondern in der Umsetzung der Strategie im Verlauf des Geschäftsjahrs 2000.

Anzeichen für eine Pflichtverletzung sahen sie in der Passivität des Verwaltungsrates, besonders in der zweiten Hälfte des Jahres 2000. Weil die Verletzung gesetzlicher Sorgfaltspflichten nicht auszuschliessen war, beschloss der Bundesrat am 18. April 2001, an der bevorstehenden Generalversammlung grundsätzlich gegen die Décharge des Verwaltungsrates zu stimmen. Dem amtierenden Verwaltungsratspräsidenten hat er jedoch das Vertrauen ausgesprochen. Der Bundesrat gab am 18. April 2001 auch Instruktionen für die übrigen Traktanden (z.B. Wahlen in den Verwaltungsrat) und gab dem EFD den Auftrag zu prüfen, ob gegen Organe der SAirGroup Verantwortlichkeitsklage eingereicht werden soll.

Im Weiteren hat der Bund im Hinblick auf die Generalversammlung der SAirGroup vom 25. April 2001 von seinem Auskunftsrecht Gebrauch gemacht. Die Eidgenössische Finanzverwaltung als Vertreter des Bundes unterbreitete der SAirGroup am 19. April 2001 einen kritischen und umfangreichen Fragenkatalog zu den Bereichen Hunter-Strategie, Call-/Put-Optionen und andere Finanzrisiken, Einhaltung des Organisationsreglements, Abgangsentschädigungen, Haftpflichtversicherung, Konsolidierung der Beteiligungen, Verpflichtungen der SAirGroup für eine Erhöhung der Beteiligungen, Liquidität und weitere Fragen aus der Sicht der Rechnungslegung. Die SAirGroup hat diese Fragen an der Generalversammlung schriftlich und mündlich beantwortet.

81 82

Protokoll der 75. ordentlichen Generalversammlung der Aktionäre der SAirGroup vom 25. April 2001, S. 23.

Die drei Hauptbedingungen waren: 1) ein neuer Businessplan per Datum, an dem der Kredit verlangt wird. 2) Die Verkaufsprozesse von Aktiven der SAirGroup sind soweit vorzubereiten, dass das zu verkaufende Aktivum als Pfand für den Kredit dienen kann.

3) Der Ausstieg aus den Beteiligungen in Frankreich und Belgien hat so gelöst zu sein, dass er für die drei Banken zufriedenstellend ist.

5452

An der Generalversammlung beantragte der Bund die Durchführung einer Sonderprüfung. Dies zum Einen, weil nicht alle Fragen befriedigend beantwortet wurden.

Zum Andern auch in Anbetracht der «immensen wirtschaftlichen und finanziellen Schwierigkeiten, auch der Geschwindigkeit der finanziellen Verschlechterung und der Bedeutung einer möglichst vollständigen Transparenz für die Frage der Verantwortlichkeit»83. Diesem Antrag wurde zusammen mit jenem des Kantons Zürich durch die Mehrheit der Aktionäre stattgegeben. In der Folge analysierte die Visura zusammen mit der Eidgenössischen Finanzverwaltung die von der SAirGroup erteilten Antworten vertieft. Die Visura zeigte auf, welche Fragen aus Sicht der Rechnungslegung im Rahmen der Sonderprüfung schwergewichtig weiterverfolgt werden sollten. Aufgrund dieser Analysen reichte der Bund zusammen mit dem Kanton Zürich am 23. Mai 2001 das Gesuch um Einsetzung eines Sonderprüfers gemäss Artikel 697a Absatz 2 OR ein. Das Bezirksgericht Zürich bestimmte mit Verfügung vom 20. Juli 2001 jene Fragen, die für die Sonderprüfung durch Ernst & Young AG bei der SAirGroup zugelassen wurden84.

Der Bundesrat hat bereits im Frühjahr 2001 betont, dass er an einer umfassenden Klärung des Swissair-Debakels interessiert ist. Dies nicht allein aufgrund seiner Position als Besitzer von drei Prozent des Aktienkapitals, sondern auch wegen der wirtschafts- und verkehrspolitischen Bedeutung einer leistungsfähigen, unabhängigen und finanziell gesunden nationalen Fluggesellschaft85.

4.3

Die Reaktionen von Bundesrat und Verwaltung auf die sich verschärfende Krise der SAirGroup im Herbst 2001

4.3.1

Die anfängliche politische Haltung des Bundesrates in der Swissair-Krise

Bereits im Sommer 2001 gab es parlamentarische Vorstösse, die den Bundesrat auf die katastrophalen Konsequenzen eines möglichen Konkurses der SAirGroup hinwiesen und den Bundesrat fragten, was er zur Rettung der Swissair zu tun gedenke.

Von Seiten des Parlaments erklang teilweise der Ruf an den Bundesrat, einen Beitrag zur Rekapitalisierung der SAirGroup zu leisten.

Der Bundesrat erachtete es noch anfangs September nicht als Aufgabe des Bundes, die SAirGroup mit Steuergeldern zu sanieren oder zu subventionieren. Dies, obschon der Bundesrat die schwierige Situation der SAirGroup kannte und sich auch über die volkswirtschaftliche Bedeutung der Swissair und des Flughafens Zürich für die Schweiz bewusst war86. Eine staatliche Unterstützung für die Swissair erachtete der Bundesrat insbesondere vom internationalen Recht her als problema83 84

85 86

Protokoll der 75. ordentlichen Generalversammlung der Aktionäre SAirGroup vom 25. April 2001, S. 18.

Nota bene: Mittels Sonderprüfung können lediglich Tatsachen untersucht werden.

Rechtsfragen und Ermessensentscheide von Gesellschaftsorganen oder die Frage der Angemessenheit oder Zweckmässigkeit von Geschäftsentscheiden sind nicht Gegenstand der Sonderprüfung.

Vgl. Pressemitteilung des EFD vom 19.4.2001.

Vgl. Interpellation der Sozialdemokratischen Fraktion vom 22.3.2001: Krise der SAirGroup, 01.3186.

5453

tisch. Jede staatliche Beihilfe, die den Wettbewerb durch Begünstigung bestimmter Unternehmen verfälscht oder zu verfälschen droht, sei mit dem Freihandelsabkommen von 1972 unvereinbar, hielt das EFD in einer Pressemitteilung vom 5. September 2001 fest. Der Bundesrat argumentierte ebenfalls, dass er Vertrauen in die Fähigkeit des Unternehmens hat, die schwierige Situation aus eigener Kraft zu meistern. Dabei bezog er sich auch auf das Urteil des Swissair-Managements87.

4.3.2

Die Hilferufe der SAirGroup an den Bund und die diesbezüglichen Reaktionen des Bundesrates

Am 17. September 2001 suchte der Verwaltungsratspräsident und CEO der SAirGroup mit seiner Finanzchefin den Vorsteher des EFD auf und legte dar, dass die Gruppe ab anfangs Oktober 2001 zahlungsunfähig sein könnte. Nötig sei nun 1 Milliarde Franken für die Sicherstellung der Liquidität und eine massive und nachhaltige Rekapitalisierung auf 4 Milliarden Franken Eigenkapital. Das Unternehmen legte die verschiedenen Optionen mit deren Konsequenzen dar (vom Verkauf der Gruppe über eine Rekapitalisierung bis zum Nachlassverfahren). Nur mit einer Bundesgarantie von 1 Milliarde Franken war nach Ansicht der SAirGroup eine Rekapitalisierung möglich.

Der Vorsteher des EFD vermisste zu diesem Zeitpunkt ein nachvollziehbares Sanierungs- und Restrukturierungskonzept. Trotzdem begann sich die ursprüngliche Haltung auf Bundesseite betreffend einer Staatsintervention zu wandeln. Entsprechend änderten sich auch die Antworten auf parlamentarische Vorstösse88. Am 21. September 2001 legte der Bundesrat die Eckwerte für ein Engagement des Bundes fest. Insbesondere sah er ein Engagement unter dem Ziel einer längerfristig überlebensfähigen Swissair, unter der Initiative und Führung der Wirtschaft, innerhalb der gesetzlichen Grundlage von Artikel 102 LFG89, unter dem Leitfaden des öffentlichen Interesses, unter gleichmässiger Beteiligung aller Betroffenen (Opfersymmetrie) sowie unter einer Befristung des Engagements. Ebenso bestimmte der Bundesrat für die Vorbereitung seiner Entscheide eine Delegation aus den Vorstehern des UVEK und des EFD.

Bei einem Treffen der Bundesratsdelegation mit Vertretern der SAirGroup und alt Nationalrat Ulrich Bremi am 22. September 2001 gelangte die SAirGroup erneut mit dem Wunsch einer finanziellen Unterstützung in Form von Garantien an den Bund.

Erforderlich waren nun bereits mindestens 1,5 Milliarden Franken. Immer noch vermisste der Vorsteher des EFD ein Gesamtkonzept für die Sanierung und Restrukturierung. Die Vorsteher des EFD und UVEK lehnten Bundeskredite für unspezifizierte Garantien und Liquiditätsspritzen auch mangels einer Rechtsgrundlage ab. Die Initiative ging an Herrn Bremi, der sich dafür einsetzen sollte, dass alle «Stakeholder» der SAirGroup in die Gesamtsanierung einbezogen werden.

87 88

89

Vgl. Interpellation Grobet vom 22.6.2001: Zukunft der Swissair?, 01.3408.

Vgl. Dringliche Interpellation Lombardi vom 18.9.2001: Situation der Swissair, 01.3446; Dringliche Interpellation Leutenegger Oberholzer vom 18.9.2001: Zukunft der Swissair, 01.3443.

Art. 102 LFG erlaubt dem Bund, sich am Kapital von Fluggesellschaften zu beteiligen, wenn dies im allgemeinen Interesse liegt. Keine Rechtsgrundlage besteht dagegen für andere Subventionsarten, wie à fonds perdu Beiträge, Darlehen, Garantien oder Bürgschaften.

5454

Die EFV hat der BDO Visura am 24. September 2001 den Auftrag erteilt, sie an den bevorstehenden Sanierungsgesprächen mit der SAirGroup zu beraten. Die Visura analysierte in einem Bericht vom 27. September 2001 die zur Diskussion stehenden Sanierungsvarianten. Sie wies aber ausdrücklich darauf hin, dass sie wegen des fehlenden Nachweises des wirklichen Sanierungsbedarfes durch die SAirGroup nicht in der Lage ist, zum Sanierungsumfang Aussagen zu machen. Die Visura beurteilte eine Gesamtsanierung der SAirGroup unter Beachtung des Zeitdrucks und der Risiken als nicht realistisches Szenario. Sie empfahl dem Bund darauf hinzuwirken, dass die SAirGroup Varianten in Richtung einer Auffanggesellschaft ausarbeiten sollte.

Bis am 29. September 2001 waren die Diskussionen um eine Rettung der Swissair auf eine Restrukturierung und Refinanzierung der SAirGroup als Ganzes ausgerichtet. Über den Sanierungsumfang herrschte zum ersten Mal anlässlich der Sitzung des Arbeitskreises unter der Moderation von Ulrich Bremi am 28. September 2001 einigermassen Klarheit. Etwa 7 bis 8 Milliarden Franken wären nach damaliger Beurteilung nötig gewesen, um die SAirGroup zu restrukturieren und zu refinanzieren.

Am 30. September 2001 orientierten Vertreter der SAirGroup, der Crossair sowie der CSG die Vorsteher des EFD und des UVEK über die wirtschaftliche Lage der SAirGroup. Die SAirGroup war gemäss Darstellung ab sofort zahlungsunfähig. Eine Sanierung der Gruppe hätte zwischen 8 und 9 Milliarden Franken gekostet und musste als unrealistisch bezeichnet werden. Die Vertreter des Bundesrates wurden an dieser Sitzung auch auf die negativen Konsequenzen eines Stillstands des Flugbetriebs der Swissair aufmerksam gemacht. Präsentiert wurde nun ein Geschäftsmodell für eine von der Schweiz aus operierende international tätige Airline («New Swiss Air Lines» oder «New Crossair»). An diesem Konzept sollte sich der Bund mit 500 Millionen Franken als Garantie für die Sicherstellung des Übergangs des Flugbetriebs von der Swissair auf die Crossair beteiligen. Nach einer telefonisch geführten Bundesratssitzung gaben die Vorsteher des EFD und UVEK bekannt, dass der Bundesrat mangels Rechtsgrundlage keinen Kredit gewähren und im Übrigen keiner Lösung zustimmen kann, bei welcher der Bund allein die Altlasten trägt, während die Banken in die
Zukunft investieren. Für die Überbrückung des Betriebs der Swissair und der für den Flugbetrieb wichtigen Konzerngesellschaften schlug die Bundesseite vor, dass der Bund die sich im Besitz der SAirLines befindende Beteiligung an der Crossair kauft. Auf diese Gegenofferte erhielt der Bundesrat keine Antwort.

Nach diesem Treffen zogen sich die Vertreter der Wirtschaft zurück, um sich mit den skizzierten Lösungsansätzen vertieft auseinander zu setzen. Zur Diskussion stand nicht mehr die Gesamtsanierung der SAirGroup, sondern die Aufrechterhaltung eines von der Schweiz aus international tätigen Flugbetriebs (zu den Abläufen im Einzelnen siehe Kapitel 6.2 und 6.3).

4.3.3

Der Versuch der Bundesbehörden, eine Stilllegung des Flugbetriebs der Swissair zu verhindern

Die Bemühungen des EFD, eine Stilllegung des Flugbetriebs der Swissair zu verhindern, begannen, als am 1. Oktober 2001 das EFD Kenntnis vom so genannten Term Sheet «Phoenix» erhielt, das die Banken und die SAirGroup auf der Basis des 5455

Projektes «New Crossair» in der Nacht vom 30. September 2001 auf den 1. Oktober 2001 ausarbeiteten (siehe dazu weiter unten Kapitel 6.2 und 6.3.1). Das Term Sheet enthielt die Bedingung, dass die Mittel aus dem Verkauf der Crossair-Aktien der SAirGroup an die Grossbanken ab dem 3. Oktober 2001 nicht für die Aufrechterhaltung des Flugbetriebs der Swissair verwendet werden dürfen. Das EFD erkannte darin die «grosse Gefahr, dass die gesamte Swissair-Flotte nach dem 3. Oktober 2001 am Boden bleibt (bis zur selektiven Übernahme der Flugzeuge durch die Crossair und die Konzessionserteilung an die Crossair)»90.

Betreffend die vorzeitige Stilllegung der Swissair-Flotte gab das EFD seine Einschätzung der Lage am 1. Oktober 2001 dem Bundesrat wie folgt bekannt: «Die mit dem Term Sheet der Banken realistische Gefahr einer vorzeitigen Stilllegung der Swissair-Flotte ist von erheblicher politischer und wirtschaftlicher Brisanz. Sie sollte wenn immer möglich verhindert werden»91. Das EFD sah die Hauptprobleme im erheblich ansteigenden Liquiditätsbedarf der in Liquidation gehenden Swissair (sie erhält Leistungen nur noch gegen Barzahlung bzw. Vorschuss) und in der konzessionsrechtlichen Frage (rechtzeitige Übertragung der Bewilligungen von der Swissair auf die Crossair). Das EFD erkannte die zentrale Bedeutung eines unterbruchsfreien Betriebs auch in den bereits für rund 1 Milliarde Franken ausgestellten und einkassierten Flugtickets der Swissair. Gemäss EFD lag darin eine erhebliche politische Sprengkraft, welche den Start der neuen Crossair unter keinen guten Stern stelle. Aufgrund dieser Lagebeurteilung schlug das EFD dem Bundesrat vor, den Flugbetrieb mit einem Darlehen von 100 bis 125 Millionen Franken gestützt auf Artikel 101 LFG zu überbrücken. Das Darlehen des Bundes sollte an die Bedingung geknüpft werden, dass beide Grossbanken sich an den Kosten eines unterbruchsfreien Betriebs der Swissair-Flotte beteiligen.

Dieses Angebot einer Überbrückungsfinanzierung des Swissair Flugbetriebs hat der Vorsteher des EFD bereits am Nachmittag des 1. Oktober 2001 dem Verwaltungsratspräsidenten der UBS unterbreitet (unter dem Vorbehalt der bundesrätlichen Zustimmung). Die UBS ist nicht auf das Angebot eingetreten. Sie wollte und konnte keine zusätzlichen finanziellen Mittel für die Aufrechterhaltung des Flugbetriebs
der Swissair freistellen. Entsprechende Beiträge hätten angesichts der geplanten Nachlassstundung als à-fonds-perdu abgeschrieben werden müssen. Der Vorsteher des EFD bat die UBS, sich dies nochmals zu überlegen und vor der Bundesratssitzung am Abend zu antworten. Die nach wie vor ablehnende Haltung wurde dem Vorsteher des EFD erst nach der Bundesratssitzung durch einen Mitarbeiter der UBS bestätigt.

In der Bundesratssitzung am Abend des 1. Oktober 2001 war das Risiko einer vorübergehenden Stilllegung des Flugbetriebs der Swissair ein Hauptthema. Der Bundesrat beschloss, von einem Kauf der Crossair-Aktien abzusehen, da ja die Banken bereit waren, diesen Kauf zu tätigen. Im Übrigen erwartete der Bundesrat, «dass die Banken und die Verantwortlichen für den Flugverkehr die nötigen Massnahmen in die Wege leiten, damit die Swissair trotz der eingeleiteten Nachlassstundung weiter fliegen kann, bis die neue Firma in etwa zwei Wochen den Weiterbetrieb der wichtigsten Linien sicherstellen kann»92. Dieser Erwartungshaltung hat der Bundesrat in einer Medienmitteilung des EFD vom 1. Oktober 2001 Ausdruck verliehen.

90 91 92

Aussprachepapier des EFD vom 1. Oktober 2001 zuhanden des Bundesrates.

Ebenda.

Aus dem Beschluss des Bundesrates vom 1. Oktober 2001.

5456

Am Morgen des 2. Oktober 2001 versuchte das EFD weiter, ein «Grounding» zu verhindern, indem es erneut den Kontakt zur UBS und nun auch zur CSG suchte.

Während die UBS auf ihrem Standpunkt beharrte, hätte die CSG sich an einem Überbrückungskredit spontan beteiligt. Auf Initiative der CSG erklärten sich die Grossbanken bereit, den Flugbetrieb mit Mitteln aus dem Term Sheet «Phoenix» bis am 5. Oktober 2001 zu finanzieren (zwei Tage länger als ursprünglich vorgesehen).

Der Vorsteher des EFD nahm in diesem Moment an, dass die Liquidität für den Flugbetrieb der Swissair bis am 5. Oktober 2001 gesichert ist. Wie bekannt ist, hat die Führung der SAirGroup die Swissair-Flotte am 2. Oktober 2001 dennoch stillgelegt (diese vorübergehende Einstellung des Betriebs dauerte bis am 4. Oktober 2001).

Für die nähere Schilderung der Ereignisse am 2. Oktober 2001, siehe unten Kapitel 6.2 und 6.3.

4.3.4

Zwischenergebnis zur Rolle des Bundesrates vor dem «Grounding»

Der Bundesrat hat sich in Bezug auf eine Bundesbeteiligung an der Sanierung der SAirGroup lange zurückgehalten. Wiederholte Anfragen der SAirGroup um Bundesgarantien haben die Vorsteher des UVEK und EFD sowie der Bundesrat abschlägig beantwortet. Die vom Bundesrat formulierten Eckwerte für ein Engagement des Bundes sowie die rechtlichen Grundlagen erlaubten keine Bundesbeiträge für die Sanierung der SAirGroup. Lange Zeit bestand auch Unklarheit über den Sanierungsbedarf. Als der Sanierungsbedarf der SAirGroup Ende September 2001 klar wurde und eine Sanierung der ganzen Gruppe als unrealistisch bezeichnet werden musste, stellte sich die Frage, ob der Bund das Projekt «New Crossair» unterstützt, das darauf abzielte, den Flugbetrieb der Swissair in die Crossair zu überführen und für die überschuldeten Geschäftsbereiche der SAirGroup die Nachlassstundung zu beantragen. Der Bund hätte dabei die Aufrechterhaltung des Flugbetriebs der Swissair finanzieren sollen, bis dieser auf ca. Ende Oktober 2001 auf die Crossair hätte überführt werden können. Der Bundesrat lehnte einen Bundeskredit ab, machte aber das Angebot, finanzielle Mittel mit dem Kauf der CrossairAktien frei zu stellen. Nachdem die Grossbanken und die SAirGroup in der Folge eine entsprechende Transaktion ohne den Bund planten, erachtete es der Bundesrat auch als Aufgabe der Grossbanken und der SAirGroup, entsprechende Massnahmen zur Aufrechterhaltung des Flugbetriebs der Swissair und zu einem geordneten Übergang auf die Crossair-Lösung zu treffen. Trotzdem versuchte der Vorsteher des EFD am 1. und 2. Oktober 2001 der UBS einen gemeinsamen Überbrückungskredit der Grossbanken und des Bundes schmackhaft zu machen, um ein «Grounding» zu verhindern. Da die Bundesvertreter ein Bundesengagement von einer Beteiligung der beiden Grossbanken abhängig gemacht haben und die UBS nicht darauf eintrat, hat der Bund vor dem «Grounding» keinerlei Kredite für die Aufrechterhaltung des Flugbetriebs der Swissair gesprochen. Zu den Abläufen im Einzelnen, siehe Kapitel 6.2 und 6.3.

5457

4.4

Die Massnahmen des Bundes nach dem «Grounding» und beim Aufbau der neuen Airline

Am 3. Oktober 2001 übernahm der Bund die Initiative, um den Flugbetrieb zu überbrücken und die Folgen einer gänzlichen Stilllegung der Swissair-Flotte zu vermeiden. Aufgrund eines Bundeskredites von 450 Millionen Franken konnte die Swissair den Betrieb am 4. Oktober 2001 wieder aufnehmen. Das EFD überprüfte nun die zwei Varianten für die Sicherstellung des Flugbetriebs. Unterstützt wurde es bei dieser Analyse durch die BDO Visura. Die erste Variante stützte sich auf das mit den Banken ausgehandelte Term Sheet «Phoenix». Die zweite Variante bestand in der Idee einer Auffanggesellschaft, d.h. der Bildung eines restrukturierten Flugbetriebs der Swissair, welcher im Rahmen des Nachlassverfahrens aus dieser herausgelöst wird. Obschon das EFD feststellte, dass die Führung der SAirGroup immer noch eine Auffanglösung unter dem Dach der Swissair favorisierte, stufte es das Risiko dieser Variante für den Bund als zu gross ein. Das Projekt der Auffanggesellschaft liess zu viele Fragen offen, die teilweise auch von den Entscheiden des Nachlassverwalters abhängen. Auch war der Finanzbedarf bei dieser Variante gemäss der Beurteilung des EFD gegen oben offen. Am 5. Oktober 2001 bezog der Bundesrat deshalb klar Stellung für das Projekt Phoenix als das einzige realisierbare Modell und richtete alle Massnahmen darauf aus. Ebenso setzte er eine Task Force ein. In dieser Task Force zeigte sich allmählich, dass das Projekt Phoenix zu wenig durchdacht war. Im ursprünglichen Projekt wurden manche Schwierigkeiten unterschätzt, wenn nicht gar völlig vergessen93. Drei grosse Schwierigkeiten waren: die personelle und kulturelle Integration der Swissair- und Crossair-Angestellten, die Unmöglichkeit der Übernahme des Flugbetriebs auf den 28. Oktober 2001 aus flugrechtlichen, betrieblichen und technischen Gründen94, und zudem benötigte die neue Airline eine viel umfangreichere Kapitalisierung als von den Banken vorgesehen. Der Vorsteher des EFD stellte am 10. Oktober 2001 fest, dass das Projekt Phoenix nicht wie geplant realisierbar ist. Er lud deshalb zu einem Wirtschaftstreffen ein, welches am 14. Oktober 2001 stattfand. Am 17. Oktober erklärte sich der Bundesrat grundsätzlich bereit, den reduzierten Winterflugplan der Swissair unter gewissen Bedingungen mit einer Milliarde Franken zu finanzieren. Ebenso stimmte er unter
gewissen Voraussetzungen einer Beteiligung am Aktienkapital der Crossair zu. An einem Treffen mit der Wirtschaft vom 18. Oktober 2001 zeigten sich erste Finanzierungszusagen. Der Vorsteher des EFD bemühte sich persönlich, um weitere Finanzierungszusagen zu erhalten. Beim Treffen mit der Wirtschaft am 20. Oktober 2001 stellte man fest, dass es noch erhebliche finanzielle Mittel braucht. Deshalb griff der Vorsteher des EFD auch noch am 21. Oktober 2001 persönlich zum Telefon, um die Kontakte für die Finanzierung der neuen Gesellschaft zu knüpfen. Am 22. Oktober 2001 beschloss der Bundesrat einen Kredit zur Weiterführung des 93 94

Vgl. Botschaft des Bundesrates vom 7. November 2001 über die Finanzierung des Redimensionierungskonzepts für die nationale Zivilluftfahrt, BBl 2001 6451.

Das UVEK konnte die Streckenkonzessionen für die Europa-Flüge erst am 6. Dezember 2001 erteilen. Für die Langstreckenverbindungen wurde die Lösung erst auf den 31. März 2002 gefunden. Eine Konzession der Schweiz reicht zum Betrieb einer Fluglinie nicht aus. Dies bedeutete, dass das neue Unternehmen die entsprechenden Verkehrsrechte der ausländischen Luftfahrtbehörden jene Länder benötigte, die es anfliegen wollte. Diese Verkehrsrechte sind auch heute noch ­ bis auf wenige Ausnahmen ­ bilateral geregelt.

Entsprechend aufwändig gestaltet sich die Aushandlung der Verkehrsrechte.

5458

Mittel- und Langstreckenprogramms der Swissair von 1000 Millionen Franken sowie 600 Millionen Franken für die Kapitalerhöhung bei der Crossair. Die Finanzdelegation stimmte diesen Krediten gleichentags mit knappem Mehr zu. Die Eidgenössischen Räte sprachen sich am 16. und 17. November 2001 für die Finanzierung des redimensionierten Flugbetriebs der Swissair bis Ende März 2002 und die Beteiligung an einer neuen nationalen Airline mit Bundeskrediten von insgesamt 2050 Millionen Franken aus.

Besonders hervorgehoben werden soll an dieser Stelle das Engagement des Bundes bei der Beurteilung der Liquiditätsplanung der Swissair. Da der Bund gemäss Darlehensvertrag vom 5. Oktober 2001 und Ergänzungsvertrag vom 24. Oktober 2001 einen reduzierten Flugbetrieb der Swissair bis zum 30. März 2002 finanzierte, musste sichergestellt sein, dass die Bundesgelder nur im Sinne des Vertragszweckes, nämlich für die Weiterführung des Flugbetriebs und den geordneten Übergang auf eine neue Airline verwendet wurden. Zwei Mitarbeiter der Eidgenössischen Finanzkontrolle (EFK), mit Unterstützung der BDO Visura, erstellten zu diesem Zweck tägliche Liquiditätsreporte und eine rollende Liquiditätsplanung per Ende März 2002. Erst durch die Intervention der EFK konnte wieder eine Liquiditätsplanung bei der Swissair eingerichtet werden. Durch die Ankündigung der Nachlassstundung am 1. Oktober 2001 scheint der SAirGroup die Übersicht verloren gegangen zu sein.

Die vorhandenen Planungs- und Controllinginstrumente auf Konzernstufe erlaubten gemäss EFK in der Situation nach der Nachlassankündigung und dem «Grounding» keine Planung und Bewirtschaftung der flüssigen Mittel. Auch wenn sich die Prozesse im Laufe der Zeit normalisierten, bestanden während fast der gesamten Dauer des Überwachungsauftrages der EFK Unsicherheiten über die Zahlungsflüsse.

Schliesslich ist in diesem Zusammenhang zu erwähnen, dass das BAZL nach der vorübergehenden Stilllegung der Swissair die Aufsicht gegenüber Swissair und Crossair verstärkt hat. Anlass dazu war das grosse finanzielle Engagement des Bundes sowie erhöhte Sicherheitsrisiken angesichts der ausserordentlichen Situation, in der sich die beiden Unternehmen befanden. Der Bundesrat hat dem BAZL im Januar 2002 für die Verstärkung der Aufsicht einen Nachtragskredit von 1,9 Millionen Franken gewährt.

4.5

Beurteilung der Rolle und Verantwortlichkeit von Bundesrat und Bundesverwaltung durch die GPK-S

4.5.1

Der Bund als Aktionär und Mitglied des Verwaltungsrates

Die GPK-S teilt die Einschätzung des Bundesrates, dass die Aktionärsstruktur unter der SAirGroup nicht geeignet war, eine starke Kontrollfunktion gegenüber dem Verwaltungsrat und der Geschäftsleitung wahrzunehmen95. Bis zur Generalversammlung vom April 2001 gibt es nichts Spezielles zur Rolle des Bundes als Aktionär der SAirGroup zu erwähnen. Bis 1999 nahm der Bund seinen Einfluss gegenüber der SAirGroup vor allem über die Vertretung im Verwaltungsrat wahr. Die damaligen Bundesvertreter beurteilten die Einflussmöglichkeiten in diesem Gremium indessen als gering und haben gegenüber dem Verwaltungsratspräsidenten auch 95

Botschaft betreffend das Redimensionierungskonzept, BBl 2001 6459.

5459

entsprechend interveniert (vgl. Kapitel 4.2.1). Die wesentlichen Informationsflüsse und die Entscheidfindung geschahen offenbar im Ausschuss des Verwaltungsrates, in dem der Bund nicht vertreten war.

An der Generalversammlung vom 25. April 2001 hat der Bundesrat nach Ansicht der GPK-S die adäquaten Massnahmen getroffen, um die Aktionärsrechte des Bundes zu wahren. Die GPK-S stellt fest, dass die EFV die Entscheide des Bundesrates sehr professionell vorbereitet hat. Ebenso professionell hat die EFV die Einleitung der Sonderprüfung nach der Generalversammlung vom April 2001 weiterverfolgt.

Verantwortlichkeiten könnten sich nach Ansicht der GPK-S lediglich aus der Rolle des Bundes als Mitglied des Verwaltungsrates bis im Frühjahr 1999 ergeben. Die GPK-S denkt insbesondere an die Entscheide des Verwaltungsrates im Zusammenhang mit der Hunter-Strategie96. Nach heutigen Kenntnissen wird der Zusammenbruch der Swissair in Zusammenhang mit dieser gescheiterten Strategie gebracht.

Die Frage einer allfälligen aktienrechtlichen Verantwortlichkeit des Bundes kann im Rahmen der parlamentarischen Oberaufsicht zurzeit nicht näher beurteilt werden.

Die GPK-S ist diesbezüglich auf die Ergebnisse der Untersuchung des Sachwalters angewiesen, der allfällige Verantwortlichkeiten der Gesellschaftsorgane der SAirGroup abklärt97.

4.5.2

Die Begleitung der Swissair-Krise durch den Bund nach dem 17. September 2001

Nach Ansicht der GPK-S bereitete es den Bundesvertretern Mühe, ihre Rolle in Bezug auf die zunehmenden Liquiditätsprobleme bei der SAirGroup zu finden und diese auszuüben. Diese Unsicherheit lässt sich durch verschiedene Umstände erklären: Aus ordnungspolitischen Gründen hat der Bundesrat den Handlungsspielraum für den Bund von Anfang an stark eingegrenzt. Er hat die Hauptrolle bei der Sanierung der SAirGroup der Wirtschaft überlassen. Dennoch hat er sich bereit erklärt, den Sanierungsprozess unter gewissen Bedingungen zu unterstützen und zu begleiten.

Der Bundesrat hat sich damit aber nicht zum Krisenmanager erklärt.

Die Zurückhaltung des Bundesrates erscheint der GPK-S aufgrund der damaligen Umstände nachvollziehbar. Einzuräumen ist aber auch, dass der Bundesrat schon vor dem «Grounding» gute Gründe gehabt hätte, eine Bundesintervention zu rechtfertigen und seine Eckwerte für ein Bundesengagement weniger restriktiv zu formulieren: der nahende Konkurs der SAirGroup, die seit Frühjahr 2001 vom Bundesrat mehrfach erwähnten volkswirtschaftlichen und verkehrspolitischen Interessen an einer gesunden nationalen Airline und nicht zuletzt die negativen Konsequenzen der Terroranschläge des 11. Septembers 2001 in den USA auf das weltweite Fluggeschäft. Hätte der Bundesrat die Dramatik der Entwicklung nach dem 1. Oktober

96

97

Unter der Mitgliedschaft des Bundes im Verwaltungsrat wurden in Bezug auf die HunterStrategie folgende wichtige Entscheide getroffen: Im Januar 1998 leitete der Verwaltungsrat die Hunter-Strategie in die Wege. Im September 1998 genehmigte er den Erwerb einer Beteiligung bei Air Littoral. Im Oktober 1998 bewilligte er den Kauf einer Beteiligung an LTU und im Dezember an AOM.

Siehe oben Kapitel 1.3.1.

5460

2001 vorhergesehen, hätte er womöglich diese politischen Argumente vermehrt in seine Entscheidfindung einfliessen lassen.

Aufgrund der sich dramatisch zuspitzenden Krise der SAirGroup im Laufe des Septembers 2001 musste es für den Bundesrat schwierig sein, sich einen Überblick über die jeweilige Situation zu verschaffen. Dabei wurde der Bund zunehmend in die Rolle eines nur noch reagierenden und nicht mehr agierenden Akteurs gedrängt.

Ein gemeinsamer Krisenstab zwischen allen Beteiligten des Bundes und der Privatwirtschaft hätte den Informations- und Problemlösungsprozess zweifellos erleichtert.

Bei der Begleitung der Swissair-Krise im September 2001 fehlte nach Ansicht der GPK-S eine Instanz, die kraft einer überparteilichen Autorität die Vorgänge koordiniert hat. Die durch Herrn Bremi vorgesehene Moderation wurde hinfällig, weil die Banken und die SAirGroup aufgrund des hohen Sanierungsumfanges der SAirGroup schon sehr bald an anderen Lösungen arbeiteten.

In der Zeit zwischen dem 17. September und dem 29. September 2001 stand das Ziel der Sanierung und Refinanzierung der SAirGroup als Ganzes im Vordergrund.

Gleichzeitig war für die Bundesvertreter aber kein nachvollziehbares Gesamtkonzept für die Sanierung und Restrukturierung der SAirGroup ersichtlich, es fehlte eine gesetzliche Grundlage für Bundesgarantien zur Sicherstellung der Liquidität und es herrschte Unklarheit über das Sanierungsvolumen der SAirGroup. Bezüglich der gesetzlichen Grundlage ist der Auffassung der Bundesvertreter zuzustimmen. Ein Sanierungsbeitrag des Bundes hätte nur in Form einer Beteiligung an einer Kapitalerhöhung erfolgen können (gestützt auf Art. 102 LFG)98.

Nach dem 29. September 2001 wurde der Bund angefragt, in ein Projekt der Grossbanken und der SAirGroup einzusteigen und den Flugbetrieb der Swissair aufrecht zu erhalten, bis dieser auf die Crossair übertragen werden kann. Es ging somit nicht mehr um die Unterstützung des Sanierungsprozesses der SAirGroup als Ganzes.

Nach Ansicht der GPK-S hatten die Bundesvertreter am 30. September 2001 eine rechtliche Unsicherheit, die aber nicht länger als einen Tag dauerte. Artikel 101 Absatz 1 LFG erlaubt dem Bund durchaus, einzelne Strecken mit Bundesbeiträgen aufrecht zu erhalten. Indessen erachtet es die GPK-S als eine angemessene Reaktion des Bundesrates, die
öffentlichen Gelder nicht von vorneherein als à-fondsperdu Beiträge zur Verfügung zu stellen, sondern primär mit einem Gegenwert zu verbinden.

Im Zusammenhang mit den Bemühungen der Bundesvertreter, eine Stilllegung zu verhindern, ist der GPK-S folgende Beurteilung möglich: Der Bundesrat hat die Gefahr einer Stilllegung des Flugbetriebs der Swissair und deren drastische Auswirkungen am 1. Oktober 2001 richtig eingeschätzt. Der Bundesrat hat auch richtigerweise in einer Medienmitteilung vom 1. Oktober 2001 auf das «Grounding» und seine Folgen hingewiesen. Der Vorsteher des EFD und seine Mitarbeiter haben sich ihrerseits intensiv darum bemüht, eine Stilllegung des Flugbetriebs zu verhindern.

Der Vorsteher des EFD hat gegenüber der GPK-S festgestellt, dass es womöglich ein Fehler war, dass er in Sachen Überbrückungskredit zunächst lediglich den Kontakt zu den Verantwortlichen der UBS suchte und nicht auch die CSG von Anfang an ins direkte Gespräch einbezog. Angesichts der von der UBS beanspruchten 98

Der Sanierungszweck geht über den Betrieb einzelner Strecken hinaus und ist somit von Art. 101 Abs. 1 LFG nicht erfasst, der Beiträge oder Darlehen an den Betrieb regelmässig beflogener Linien erlaubt.

5461

Federführung ­ die UBS beteiligte sich an der Transaktion der Crossair-Aktien mit 51 % ­ und angesichts der damals äusserst hektischen Umstände kann das Vorgehen des Vorstehers des EFD nach Ansicht der GPK-S nachvollzogen werden. Die GPK-S stellte sich zudem die Frage, weshalb der Bundesrat den Überbrückungskredit nicht alleine oder zusammen mit der CSG, welche ihrerseits auf Anfrage zu einem Überbrückungskredit bereit war, abwickelte. Auch diesbezüglich scheint der Bund von den Ereignissen eingeholt worden zu sein. Am 2. Oktober 2001 schien für den Bund die Liquidität der Swissair bis zum 5. Oktober 2001 gesichert.

Für die GPK-S ist keine Verantwortlichkeit der Bundesorgane für die Stilllegung des Flugbetriebs der Swissair vom 2./3. Oktober 2001 ersichtlich. Sie haben sich im Gegenteil um verschiedene Lösungen bemüht. Eine rechtliche Pflicht zur Überbrückung des Flugbetriebs der Swissair durch den Bund bestand nicht. Auch aus politischer Sicht ist nachvollziehbar, dass sich der Bundesrat primär auf die Initiative der Privatwirtschaft abgestützt hat. Als voreilig kann man aus heutiger Sicht bezeichnen, dass die Vorsteher des EFD und UVEK an einer Medienkonferenz am 2. Oktober 2001 die Schuld für das «Grounding» mit emotionalen Voten vorab den Grossbanken zuwiesen, was aber wegen dem nicht immer überzeugenden Agieren der Grossbanken in diesen Krisenstunden zum Teil verständlich war.

Das Eingreifen des Bundes nach dem «Grounding» der Swissair-Flotte kann aus ordnungspolitischen Gründen hinterfragt werden. Dies wurde im Übrigen inner- und ausserhalb des Bundes auch reichlich getan. Eine Analyse der volkswirtschaftlichen Aspekte der Swissair-Krise durch das seco vom 16. Oktober 2001 ergab, dass es aus volkswirtschaftlicher Sicht keine Rechtfertigung für eine Bundesbeteiligung am Aufbau einer Airline mit Interkontinentalanschluss gibt. Bundesgelder sollten ausschliesslich für die Krisenbewältigung in der Übergangszeit verwendet werden (für die Aufrechterhaltung der Funktionstüchtigkeit des Flughafens und das Überleben rentabler flugnaher Betriebe). Die verkehrspolitischen Gründe für die Intervention des Bundes wurden in den Anhörungen der GPK-S vom Vorsteher des UVEK deutlich relativiert. Die GPK-S misst hingegen den verkehrspolitischen Motiven erhebliche Bedeutung bei. Auch den Überlegungen des
Bundesrates zur Bedeutung des Zürcher Hubs für die Volkswirtschaft ist zuzustimmen99. Aus staatspolitischer Sicht ist bezüglich des Einschreitens des Bundes allerdings zu kritisieren, dass dem Parlament angesichts der vollendeten Tatsachen kein Entscheidungsspielraum blieb.

Positiv beurteilt die GPK-S die erfolgreiche Umsetzung der politischen Entscheide und insbesondere das Krisenmanagement der Bundesorgane nach dem 2. Oktober 2001. Mit der Einsetzung der Task Force «Luftbrücke» hat der Bundesrat den richtigen Entscheid getroffen, um die Probleme und Herausforderungen in einem organisierten Krisenstab anzugehen. Der Erfolg dieser Task Force hing nicht zuletzt mit der sehr professionellen Leitung und Organisation durch den Direktor der EFV zusammen. Die GPK-S stellt auch fest, dass sich der Vorsteher des EFD über das von ihm zu Erwartende hinaus mit ausserordentlich grossem persönlichen Einsatz dafür engagiert hat, um die finanzielle Unterstützung der Wirtschaft für das Projekt einer neuen nationalen Fluggesellschaft zu erhalten und um ein weiteres «Grounding» der Swissair Ende Oktober 2001 zu verhindern. Die GPK-S ist sich dabei durchaus bewusst, dass dieses Engagement des Vorstehers EFD je nach der künfti99

Vgl. Botschaft des Bundesrates vom 7. November 2001 über die Finanzierung des Redimensionierungskonzepts für die nationale Zivilluftfahrt, BBl 2001 6448.

5462

gen Entwicklung der nationalen Airline «Swiss» positiv oder negativ gewertet werden wird. Es stand aber im damaligen Zeitpunkt im Einklang mit den Entscheiden des Bundesrates und des Parlaments vom Herbst 2001 zugunsten einer redimensionierten nationalen Fluggesellschaft sowie unter dem Eindruck der enormen Erwartungen der Öffentlichkeit.

4.5.3

Haben die Bundesbehörden im Fall Swissair rechtzeitig gehandelt?

Es geht in diesem Kapitel um die Frage, ob die Bundesbehörden die Krise rechtzeitig erkannt haben. Diese Frage kann nicht losgelöst von den konkreten Umständen und dem Informationsstand der Bundesbehörden hinsichtlich der Swissair-Krise beantwortet werden. Bereits in den Kapiteln 4.2.2 und 4.3.3 finden sich Hinweise, wie die Bundesbehörden die Lage in Bezug auf die Swissair einschätzten und welche Massnahmen sie getroffen haben. Ebenfalls ist die Vorfrage zu beantworten, ob eine Bundesstelle ­ und wenn ja, welche ­ die Krise erkannt hat oder hätte erkennen müssen und können. Für die Beurteilung der Frage ist auch Umständen Rechnung zu tragen, die eine Krisenerkennung erschwert haben könnten.

Die GPK-S kann an dieser Stelle ein Ergebnis vorwegnehmen: keine der von der GPK-S angesprochenen Bundesstellen hat die Tragweite des wirtschaftlichen Debakels der SAirGroup und insbesondere dessen dramatische Auswirkungen (Stilllegung der Swissair-Flotte am 2. und 3. Oktober 2001) soweit vorhergesehen, dass von einer eigentlichen Früherkennung gesprochen werden kann. Die befragten Bundesstellen erklärten sich für eine Früherkennung entweder nicht zuständig oder aufgrund der Umstände nicht in der Lage.

Gewiss haben die Bundesbehörden ­ wie im Übrigen die allgemeine Öffentlichkeit ­ um die schwierige Lage der SAirGroup seit Frühjahr 2001 gewusst. Zu einem (früheren) Handeln sahen sie sich aus ganz unterschiedlichen Gründen nicht veranlasst.

Auf diese Gründe wird nachfolgend in zusammengefasster Form eingegangen.

Zunächst erfolgt ein Exkurs zu den Instrumenten der Früherkennung der Bundesverwaltung im Allgemeinen.

4.5.3.1

Exkurs: Die Früherkennung von potentiellen Problemen und Krisen durch die Bundesverwaltung im Allgemeinen

Die Geschäftsprüfungskommissionen beider Räte setzten sich anlässlich ihres Seminars im Januar 2001 mit der rechtzeitigen Erkennung von potentiellen Problemen und Krisen, insbesondere durch die Bundesverwaltung und die Politik, auseinander100. Die GPK verschafften sich einen Überblick über die Früherkennungs- und Frühwarnsysteme innerhalb und ausserhalb der Bundesverwaltung. Sie stellten fest, dass im heutigen Informationszeitalter nicht die Beschaffung der Informationen, sondern die Zusammenführung, die Bewertung und die Selektion der Informationen 100

Jahresbericht 2000/2001 der Geschäftsprüfungskommissionen und der Geschäftsprüfungsdelegation der eidgenössischen Räte, BBl 2001 5632 f.

5463

ein Problem darstellen. Als weiteres problematisches Element wurde die Übermittlung der Informationen an die politischen Entscheidungsträger identifiziert. Der Sensibilisierung dieser Entscheidungsträger kommt eine besondere Bedeutung zu.

Innerhalb der Bundesverwaltung hat jedes Amt in seinem Bereich Frühwarnfunktionen wahrzunehmen. Früherkennung wird in der Bundesverwaltung als sektorale, dezentrale Aufgabe betrieben. Dies vorab mit der Begründung, dass die massgebenden Informationen im Zuständigkeitsbereich der Linienorgane zusammenlaufen.

Überdepartemental nimmt die Bundeskanzlei als Stabstelle des Bundesrates im Sinne einer strategischen Planung eine Art Frühwarnfunktion wahr. Hingegen handelt es sich hier um eine strategische und nicht ereignisbezogene Beobachtung von Entwicklungen. Unter der Leitung der Bundeskanzlei existiert der so genannte Perspektivstab der Bundesverwaltung. Der Perspektivstab vereinigt Vertreter aus Dienststellen, die sich in Erfüllung ihrer Aufgaben mit gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und politischen Zukunftsfragen beschäftigen. Der Stab verfügt nur über geringe zeitliche und finanzielle Ressourcen. Auch das Instrument des Perspektivstabs ist auf mittel- und langfristige Trendentwicklungen (im Sinne einer langfristig vorausschauenden Politik) ausgerichtet und nimmt nicht für sich in Anspruch, eine operative Früherkennung zu betreiben, die Krisen erkennt, welche eine kurze Vorwarnzeit aufweisen und sofortige politische Entscheidungen notwendig machen, die nicht im voraus planbar sind.

Ebenfalls departements- und themenübergreifend arbeitet die sicherheitspolitische Führung. Diese «Frühwarnstelle» verfügt über vier Instrumente: der Sicherheitsausschuss des Bundesrates, die Lenkungsgruppe Sicherheit, der Nachrichtenkoordinator sowie das Lage- und Früherkennungsbüro. Sie alle spielen eine Rolle bei der Früherkennung und Bewältigung von sicherheitspolitischen Herausforderungen von nationaler Bedeutung.

4.5.3.2

Die Früherkennung der Swissair-Krise durch das BAZL

Nach Ansicht der GPK-S hätte an erster Stelle das BAZL die Lage früher erkennen und handeln können. Es ist zuständig für die Beurteilung der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit der Fluggesellschaften. In Kapitel 3.10 wurde nun aber bereits dargelegt, dass das BAZL dieser Aufgabe aus verschiedenen Gründen nur sehr zurückhaltend nachgekommen ist. Das BAZL hat die Finanzlage der Swissair nicht vertieft und systematisch überwacht. Die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit der SAirGroup erachtete es als gegeben, zumal der Konzern von den Banken immer noch Kreditzusagen erhielt (angesprochen ist hier die Kreditlinie von einer Milliarde Franken, siehe oben Kapitel 4.2.2) und bis Ende September 2001 hinein Kredite zurückbezahlte. Auch im Rahmen der Restrukturierung sollten dem Konzern durch den Verkauf von Unternehmensteilen zusätzliche finanzielle Mittel zufliessen und die dünne Eigenkapitaldecke gestärkt werden.

Aufgrund heutiger Erkenntnisse lässt sich nur sehr schwer abschätzen, ob das BAZL bei einer näheren Überwachung der Finanzsituation die Tragweite der Krise hätte früher erkennen können oder müssen und welches der Ausgang der Swissair-Krise gewesen wäre. Die umfangreichen Abklärungen der Sonderprüfung und des Sachwalters deuten darauf hin, dass es angesichts der Komplexität der finanziellen 5464

Transaktionen innerhalb der SAirGroup erst recht schwierig ist, von aussen Transparenz herzustellen.

Für die GPK-S ist unbestritten, dass das BAZL in Bezug auf die wirtschaftliche Situation von Fluggesellschaften in Zukunft verstärkte Frühwarnfunktionen wahrnehmen muss, indem es die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit im Einklang mit der EG-Verordnung 2407/92 überwacht (Näheres dazu siehe Kapitel 3.10).

4.5.3.3

Die Früherkennung der Swissair-Krise durch das Staatssekretariat für Wirtschaft (seco)

Die GPK-S hat auch das Staatssekretariat für Wirtschaft (seco) auf Früherkennungsaufgaben im Zusammenhang mit dem Fall Swissair angesprochen. Das seco ist das Kompetenzzentrum des Bundes für Wirtschaftsfragen. Ausserdem begründete der Bundesrat die Kredite des Bundes zum Aufbau einer redimensionierten nationalen Fluggesellschaft vorwiegend mit volkswirtschaftlichen und arbeitsmarktlichen Motiven. In beiden Bereichen ist das seco das federführende Bundesamt. Das seco schilderte gegenüber der GPK-S seine Rolle in Bezug auf die Erkennung der Swissair-Krise wie folgt: Das seco befasst sich mit grundsätzlichen Fragen der Wirtschaftspolitik und sorgt für geeignete Rahmenbedingungen. Was in den einzelnen Unternehmen geschieht, erfährt das seco in der Regel aus den Medien. Regelmässige Kontakte zu grösseren Unternehmen mit volkswirtschaftlicher Bedeutung gibt es nicht. Das seco hat keinerlei Rechte, bei einer Firma Einsicht zu nehmen, nur weil sie volkswirtschaftlich bedeutend ist. Hingegen pflegt es regelmässige Kontakte zu Branchenverbänden, Nicht-Regierungsorganisationen (NGO's) und Gewerkschaften. Dabei geht es aber nicht um Internes. Als eine Art Früherkennungsaufgabe beurteilt das seco die Konjunkturanalyse. Dabei handelt es sich aber um makroökonomische Analysen und um die Herstellung einer Gesamtsicht. Das Mikromanagement siedelt das seco bei den Ämtern an, die aufgrund spezieller Rechtsverhältnisse (wie z.B. bei Bewilligungen und Konzessionen) zu staatlichen Interventionen gegenüber einem Unternehmen befugt bzw. verpflichtet sind. Im Falle der Swissair ist dies gemäss seco das BAZL als Bewilligungs- und Aufsichtsbehörde über die Swissair. Dieses verfüge im Gegensatz zum seco über interne Informationen.

Im Zusammenhang mit der Swissair-Krise trat das seco dennoch auf und zwar Ende September 2001, als es den Auftrag erhielt, die volkswirtschaftliche Bedeutung eines Hub sowie die arbeitsmarktlichen und volkswirtschaftlichen Auswirkungen der Swissair-Krise abzuschätzen. Das seco stellte seine Analyse dem Vorsteher des EVD am 16. Oktober 2001 ­ d.h. nach dem «Grounding» ­ zu (vgl. Kapitel 4.5.2).

Die GPK-S ist der Auffassung, dass wirtschaftliche Vorgänge vom Bund in Zukunft vermehrt beobachtet werden müssen. Dies insbesondere in Bezug auf Unternehmen mit einer systemrelevanten volkswirtschaftlichen Bedeutung (vgl. auch Kapitel 4.6).

Dabei ist auch die Rolle des seco zu klären.

5465

4.5.3.4

Die Früherkennung der Swissair-Krise durch die Bundesstellen, welche das Dossier «Swissair» im Jahre 2001 begleiteten

Im Jahr 2001 befassten sich vorab das EFD, das UVEK und der Gesamtbundesrat mit dem Dossier «Swissair». Eine Früherkennung hätte nach Ansicht der GPK-S vor allem vor dem expliziten Hilferuf der SAirGroup am 17. September 2001 stattfinden müssen. Die Handlungen und Entscheide des EFD, des UVEK und des Gesamtbundesrates nach dem 17. September 2001 sind nach Ansicht der GPK-S nicht mehr im Sinne einer eigentlichen Früherkennung, sondern als eine Art Krisenmanagement zu betrachten.

Glaubt man einer Medienmitteilung des EFD vom 1. Oktober 2001, so hat sich die tatsächliche Tragweite des wirtschaftlichen Debakels der Swissair-Gruppe erst im Verlauf des Wochenendes vom 29./30. September 2001 und des 1. Oktobers 2001 offenbart.

Für eine Früherkennungsmöglichkeit spricht die Tatsache, dass die schwierige finanzielle Lage der SAirGroup auch den Bundesbehörden bereits ab Frühjahr 2001 bekannt war. Die vom EFD beigezogene Visura zeichnete 11. April 2001 eine ausserordentlich schwierige Situation bei der SAirGroup. Ohne rasche Verstärkung der Eigenkapitaldecke sah sie die Überlebensfähigkeit der Gruppe akut gefährdet.

Daneben gab es Umstände, die gegen die Früherkennung des dramatischen Ausgangs der Krise sprachen: Die SAirGroup selbst signalisierte lange Zeit, dass die Liquidität kein Problem darstelle. Im April 2001 mit der bereits mehrfach erwähnten Kreditlinie von 1 Milliarde Franken (siehe Kapitel 4.2.2). Im August kündigte sie den Verkauf von Unternehmensteilen an, der der Gruppe neue Liquidität und Eigenmittel zuführen sollte. Die sehr komplexe Finanzführung und Struktur des Konzerns sowie die Einbindung von etwa 50 Banken hätten es auch einem interventionsfreudigeren Bundesrat schwierig gemacht, sich einen Überblick über den Zustand einer einzelnen Tochtergesellschaft wie der Swissair zu verschaffen. Nur aufgrund des Kursverlaufes der SAirGroup-Aktie oder der Bewertung der RatingAgenturen101 (vgl. Anhang 2) konnte der tatsächliche Zustand der Swissair nicht beurteilt werden. Die Rückzahlung fälliger Kredite bis Ende September 2001 schien auch auf die Zahlungsfähigkeit der Gruppe hinzuweisen. Die GPK-S zweifelt daran, dass die SAirGroup nach aussen immer ein realistisches Bild ihrer wirtschaftlichen und finanziellen Situation gezeichnet hat. Es ist nicht Aufgabe der GPK-S zu beurteilen, ob die SAirGroup
dazu in der Lage war oder die Situation beschönigte.

Klarheit darüber wird die Untersuchung des Sachwalters bringen. Es bestehen aber bereits aufgrund des Zwischenberichts des Sachwalters an der Gläubigerversammlung vom 26. Juni 2002 Anhaltspunkte, dass die SAirGroup allenfalls gegen die Bilanzwahrheit verstossen hat (siehe oben Kapitel 1.3.1).

Natürlich konnte der Bundesrat auch nicht ahnen, dass sich die Banken von dem ehemaligen «Vorzeigeunternehmen» Swissair abwenden werden. Einen Untergang der Swissair wollte im damaligen Zeitpunkt wohl niemand wirklich wahrhaben.

101

Gemäss der Bewertung der Rating-Agentur Moody's konnten institutionelle Anleger (auch Obligationäre) noch im Juni 2001 in die SAirGroup investieren.

5466

Ebenso wenig konnte der Bundesrat die Terrorakte vom 11. September 2001 vorhersehen, welche den Niedergang der SAirGroup beschleunigten.

Die GPK-S erachtet es aufgrund der heute bekannten Umstände als unwahrscheinlich, dass der Bundesrat den tatsächlichen Ausgang der Krise der Swissair früher hätte erkennen können. Die Kommission hält es aber für durchaus möglich, dass sich die Ereignisse bei einem frühzeitigen Handeln des Bundes anders hätten abspielen können. Unter Umständen hätte dann die Swissair ihren Betrieb nicht vorübergehend stilllegen müssen (oder zumindest nicht unter den chaotischen Vorgängen) und der Aufbau einer neuen nationalen Fluggesellschaft hätte den Bund und die Steuerzahler mit grosser Wahrscheinlichkeit weniger gekostet.

Obschon der Bundesrat den dramatischen Ausgang der Swissair-Krise kaum vorhersehen konnte, hätte er bereits im Frühjahr 2001, als er die volkswirtschaftliche und verkehrspolitische Bedeutung der nationalen Fluggesellschaft und des Flughafens Zürich hervorhob, Szenarien entwerfen sollen für den Fall, dass die Restrukturierung der SAirGroup scheitert. Spätestens nach dem 17. September 2001 hätte er die Auswirkungen eines möglichen Konkurses der SAirGroup auf die Volkswirtschaft und die Folgen für den Bund umgehend analysieren müssen. Eine entsprechende Analyse des seco ist leider viel zu spät, d.h. erst nach der Stilllegung des Flugbetriebs der Swissair am 16. Oktober 2001 zuhanden des Vorstehers des EVD erfolgt.

Eine frühere Entwicklung von möglichen Szenarien hätte dem Bundesrat erlaubt, seine Rolle vor dem «Grounding» souveräner wahrzunehmen und sich nicht in eine Situation hineinmanövrieren zu lassen, in der er zu einer Intervention gedrängt wird.

4.5.3.5

Die überdepartementale Früherkennung der Swissair-Krise

Angesichts der in Kapitel 4.5.3.1 umschriebenen Aufgaben des Perspektivstabs der Bundeskanzlei ist es für die GPK-S nicht erstaunlich, dass dieser für die möglichen Entwicklungen der Swissair-Krise nicht spezifisch sensibilisiert war. Nicht nur die strategische Ausrichtung der politischen Trendentwicklung und die mangelnden Ressourcen begrenzen die Möglichkeiten des Perspektivstabs der Bundeskanzlei, den Bundesrat in Sachen Früherkennung von potentiellen Problemen und Krisen zu beraten. Es sind auch die politischen Realitäten, die diesem Stab Grenzen setzen.

Solange ein Thema auf der politischen Agenda nicht ein bestimmtes Gewicht erhält, ist es schwierig, den Bundesrat dafür zu sensibilisieren. Auf die Swissair-Krise übertragen bedeutet dies, dass der Bundesrat erst dann politischen Anlass sah zu handeln, als die Ereignisse eskaliert sind und der Schaden offensichtlich war. Vorher hielt er sich aus ordnungspolitischen Überlegungen zurück. Nach Auffassung der GPK-S müssen in Zukunft die Mitglieder des Bundesrates selbst vermehrt für die Früherkennung sensibilisiert werden.

Auch das Lage- und Früherkennungsbüro der sicherheitspolitischen Führung im VBS hat hinsichtlich der Swissair-Krise und der Stilllegung des Flugbetriebs keine Insider-Informationen erhalten. Wie erwähnt betreibt das Büro lediglich im sicherheitspolitischen Bereich Früherkennung. Angesichts der beschränkten Ressourcen wird der Begriff der Sicherheitspolitik eher eng als weit ausgelegt. Zudem machen die Departemente auch in diesem Bereich nicht selten eigene Zuständigkeiten gel-

5467

tend. Das Büro siedelt die Zuständigkeit der Früherkennung ausserhalb der Sicherheitspolitik ebenfalls in der Linie an.

4.6

Schlussfolgerungen der GPK-S aus der Geschäftsführung des Bundesrates in der Swissair-Krise

Zum Einfluss des Bundes als Aktionär und Mitglied des Verwaltungsrates der SAirGroup: Der Einfluss des Bundes als Aktionär und Mitglied des Verwaltungsrates der SAirGroup war gering. Die Strukturen der SAirGroup erlaubten es nicht, eine starke Kontrollfunktion gegenüber dem Verwaltungsrat und der Geschäftsleitung wahrzunehmen. Der Bundesrat hat die Beteiligung des Bundes an der SAirGroup vorwiegend aus Rücksicht auf mögliche Auswirkungen auf den Aktienkurs nicht abgestossen. Die Beteiligungspolitik des Bundes muss nach Ansicht der GPK-S vertieft überprüft werden.

Empfehlung 6: Überprüfung der Beteiligungen des Bundes an privatwirtschaftlichen Unternehmen Die GPK-S fordert den Bundesrat auf, die Beteiligungspolitik des Bundes an privaten Unternehmen zu überprüfen (auch bestehende Beteiligungen sind kritisch zu hinterfragen). Insbesondere sind tatsächliche oder mögliche Interessenkonflikte zu beachten. Im Falle einer Bundesbeteiligung sorgt der Bundesrat dafür, dass der Bund seine Kontroll- und Informationsrechte kritisch und nachhaltig ausüben kann.

Zu den Reaktionen des Bundesrates auf die Swissair-Krise: Der Bundesrat hat die tatsächliche Tragweite der Swissair-Krise lange Zeit verkannt.

Erst nach den Terrorakten vom 11. September 2001 in den USA und nach dem Hilferuf der SAirGroup um Unterstützung durch den Bund, begann der Bundesrat, die Rahmenbedingungen einer Bundesintervention zu definieren. Dabei setzte er restriktive Eckwerte für ein Bundesengagement. Auch nach dem 17. September 2001 erachtete es der Bundesrat als primäre Aufgabe der Wirtschaft, die Swissair zu retten, der er eine solche Aufgabe auch vollumfänglich zutraute. Die ordnungspolitischen Bedenken hat der Bundesrat erst nach dem «Grounding» der Swissair mit volkswirtschaftlichen und verkehrspolitischen Überlegungen beseitigt, um den reduzierten Betrieb der Swissair mit Bundesgeldern aufrechtzuerhalten. Ausschlaggebend für den Bundesratsentscheid zugunsten der Bundeskredite war die Kombination von volkswirtschaftlichen, arbeitsmarkt- und verkehrspolitischen Gründen.

Die Reaktionen des Bundesrates auf die Swissair-Krise sind unter den damaligen Umständen nachvollziehbar. Es vermag jedoch nach Ansicht der GPK-S nicht zu befriedigen, dass der Bundesrat intern nicht frühzeitig verschiedene Szenarien entwickelt hat für den Fall des Scheiterns der Restrukturierung der SAirGroup. Nach Ansicht der GPK-S darf der Staat nicht zu einer Intervention gedrängt werden. In 5468

der Swissair-Krise hätte sich der Bundesrat angesichts der hervorgehobenen volkswirtschaftlichen und verkehrspolitischen Bedeutung einer nationalen Airline und der klaren Lagebeurteilung (vgl. Kapitel 4.2.2) bereits im Frühjahr 2001 entsprechende Überlegungen machen können und müssen. Dies hätte dem Bundesrat erlaubt, im Herbst 2001 gezielter und besser vorbereitet in die Swissair-Krise einzugreifen.

Nach Ansicht der GPK-S braucht es eine Art «vorbehaltenen Entscheid», d.h. einen Entscheid, der im Hinblick auf eventuell eintretende Szenarien gefällt werden kann.

Im Fall Swissair wäre Gegenstand eines solchen Entscheids im Frühjahr 2001 die Frage gewesen, wie sich ein möglicher Konkurs der Swissair auswirkt und welche Entscheide der Bund zu treffen hätte. Bei tatsächlichen oder potentiellen Krisen muss der Bundesrat möglichst frühzeitig «worst case»-Szenarien entwickeln und einen Krisenstab einrichten.

Empfehlung 7: Frühzeitige Entwicklung von möglichen Szenarien Die GPK-S fordert den Bundesrat auf, in Krisensituationen, die den Bund in entscheidender Weise betreffen könnten, möglichst frühzeitig Szenarien möglicher Entwicklungen und Auswirkungen auf den Bund zu entwerfen. Er trifft gegebenenfalls vorbehaltene Entscheide und richtet rechtzeitig einen Krisenstab ein.

Zur Früherkennung von Krisen: Auch wenn die schwierige Lage der SAirGroup den Bundesakteuren durchaus bekannt war, wurde sie bis am Tag vor dem «Grounding» nicht als dramatisch beurteilt. Die bestehenden Stellen und Instrumente der Bundesverwaltung mit Früherkennungsfunktionen haben die dramatische Entwicklung mit ihren Auswirkungen auf die Volkswirtschaft und auf den Bund ebenso wenig wahrgenommen, geschweige denn vorhergesehen. Auch wenn der dramatische Ausgang der Swissair-Krise für die Bundesvertreter aufgrund der Umstände kaum voraussehbar war, muss nach Ansicht der GPK-S das Instrumentarium des Bundes zur Früherkennung von für die Politik wichtigen potentiellen Problemen weiter ausgebaut werden. Insbesondere ist die Zusammenarbeit innerhalb der Bundesverwaltung sicherzustellen. Früherkennung darf vom Bundesrat nicht ausschliesslich delegiert werden. Die Mitglieder des Bundesrates sind ebenfalls für die Früherkennung zu sensibilisieren.

Der Bund muss überdies die Lage der für die Volkswirtschaft der Schweiz bedeutenden Unternehmen
im Auge behalten. Angesichts der Bedeutung der Grossbanken für den Finanzplatz Schweiz ist eine Früherkennung in diesem Bereich aufgrund der Finanzmarktaufsicht der Eidgenössischen Bankenkommission eher entwickelt als in der übrigen Volkswirtschaft. Natürlich stellen sich bei der Früherkennung in der Wirtschaft heikle Fragen: Welche Unternehmen sind von einer volkswirtschaftlich grossen bzw. systemischen Bedeutung? Welche Wirtschaftsdaten braucht der Bund für eine Früherkennung? Gibt es entsprechende gesetzliche Grundlagen oder müssen bzw. sollen solche geschaffen werden? Beeinflusst die staatliche Früherkennung das Verhalten und die Verantwortlichkeit der privaten Akteure? etc. Die Politik darf solche Fragen nicht ausklammern, nur weil sie heikel sind. Diese Fragen haben ihre Bedeutung keineswegs erst durch die Swissair-Krise erhalten. Sie sind auch angesichts der vergangenen Privatisierungen ehemals staatlicher Domänen von erhebli5469

cher Relevanz. Das Beispiel Swissair hat gezeigt, dass die Informationslage für die Handlungsfähigkeit des Staates entscheidend ist. Entsprechend rasch müssen dem Bund Informationen zur Verfügung gestellt werden können bzw. zur Verfügung stehen, wenn seine Intervention gefragt ist.

Früherkennung kann dagegen nicht so weit gehen, dass im Voraus mögliche Krisen skizziert werden und allgemeine Pläne gemacht werden, da jede Krise nach ihren eigenen Gesetzmässigkeiten abläuft. Das Früherkennen von Krisen ist das Eine, zeitgerechtes und adäquates Handeln das Andere.

Empfehlung 8: Koordination und Weiterentwicklung der Früherkennung durch den Bund Die GPK-S fordert den Bundesrat auf, die Koordination der bestehenden Früherkennungsstellen in der Bundesverwaltung zu gewährleisten und sich selbst für die Früherkennung von potentiellen politischen Herausforderungen und Krisen zu sensibilisieren. Insbesondere ist eine Früherkennung zu entwickeln, die sich mit der Lage derjenigen Unternehmen befasst, die für die Volkswirtschaft des Landes von systemrelevanter Bedeutung sind.

Postulat 3: Früherkennung in der Volkswirtschaft Die GPK-S fordert den Bundesrat auf zu prüfen, ob für die Früherkennung der Lage der für die Volkswirtschaft der Schweiz bzw. des volkswirtschaftlichen Systems bedeutenden Unternehmen die gesetzlichen Grundlagen ausreichen oder solche geschaffen werden sollen.

Zur Verantwortlichkeit des Bundes für die Stilllegung bzw. Aufrechterhaltung des Flugbetriebs der Swissair: Die Stilllegung des Flugbetriebs der Swissair am 2./3. Oktober 2001 ist von den Bundesbehörden weder aus rechtlicher noch aus politischer Sicht zu verantworten.

Die Bundesorgane haben sich intensiv bemüht, eine Stilllegung zu verhindern und diesbezüglich konkrete Offerten gemacht. Der Bundesrat hat an der Medienkonferenz vom 1. Oktober 2001 richtigerweise auf die Konsequenzen einer Stilllegung des Flugbetriebs der Swissair hingewiesen und die Privatwirtschaft zum Handeln aufgefordert.

Nach der Stilllegung des Flugbetriebs hat sich der Bund stark engagiert und wichtige Aufgaben wahrgenommen. Die GPK-S ist der Ansicht, dass durch die Führungsrolle des Bundesrates und den Einsatz der Task Force «Luftbrücke» ein weiteres «Grounding» Ende Oktober 2001 verhindert werden konnte.

5470

5

Weitere Beurteilungen und Schlussfolgerungen

5.1

Mängel im Sanierungs- und Gesellschaftsrecht

Bei der Bewältigung der Swissair-Krise war es im September 2001 nicht geglückt, die divergierenden Interessen der Beteiligten zu bündeln. Für die GPK-S ist es nachvollziehbar, dass der Bund die Rolle eines Moderators erst übernahm, als er sich massgebend am Aufbau einer neuen Airline beteiligte. Die GPK-S stellt sich aber die Frage, ob solche Funktionen im Falle von Sanierungen nicht gesetzlich vorgesehen sein sollen. Ein vom Gesetz eingesetzter privater Sanierungsverantwortlicher könnte die divergierenden Interessen bündeln und alle Massnahmen auf das Ziel einer Sanierung ausrichten. Dies bereits bevor ein Nachlass- oder Konkursverfahren angestrebt werden muss.

Postulat 4: Bündelung der verschiedenen Interessen im Sanierungsprozess Die GPK-S fordert den Bundesrat auf zu prüfen, ob im Rahmen des Schuldbetreibungs- und Konkursgesetzes (SchKG) die Funktion eines vom Gesetz bestimmten Sanierungsverantwortlichen zu schaffen ist, der die allenfalls divergierenden Interessen in einem Sanierungsprozess bündelt und auf den Sanierungszweck ausrichtet.

Im Zusammenhang mit dem Fall Swissair wurde verschiedentlich die Meinung geäussert, das schweizerische Schuldbetreibungs- und Konkursrecht genüge den Erfordernissen der Praxis nicht und müsse in Richtung eines eigentlichen Sanierungsrechts revidiert werden102. Schlagworte waren diesbezüglich das «Chapter 11» des US-amerikanischen Konkursrechts und der Gruppenkonkurs. In der Praxis scheinen Nachlassbehörden Lücken festgestellt zu haben103. Die schweizerische Lösung wurde aber ebenso verteidigt und für grundsätzlich angemessen befunden104.

Auch im Parlament sind bezüglich des Nachlassverfahrens verschiedene Vorstösse hängig105. Sie verlangen ein Konkursrecht für Grosskonzerne oder zumindest ein Vergleich mit dem «Chapter 11» des amerikanischen Konkursrechts.

Die GPK-S ist der Auffassung, dass der Gesetzgeber diesen Hinweisen sorgfältig nachgehen muss. Ansetzen muss eine Überprüfung mit der Frage, ob das Ziel der SchKG-Revision von 1994, sanierungsfähige Unternehmen zu erhalten106, in der Praxis erreicht werden kann. Gestützt auf eine solche Vollzugsanalyse stellt sich die 102 103 104

Vgl. etwa Cash vom 2.11.2001, S. 36; Neue Zürcher Zeitung vom 19.10.2001, S. 15 ff.

Vgl. Neue Zürcher Zeitung vom 22./23. Juni 2002, S. 29.

Vgl. Daniel Hunkeler: Ist das schweizerische Nachlassvertragsrecht revisionsbedürftig?, in: Jusletter 10. Juni 2002 sowie Blätter für Schuldbetreibung und Konkurs, 2002, Heft 1, S. 7 ff; Karl Spühler, in: Neue Zürcher Zeitung vom 14.5.2002, S. 27 ff.

105 Postulat Wicki, Rechtliche Analyse als Folge des «Swissair-Debakels»; 02.3045; Motion Strahm, Reform des Konkursrechts, 01.3715; Motion Lombardi, Nach der SwissairKrise. Änderung des Bundesgesetzes über Schuldbetreibung und Konkurs?, 01.3673.

Letztere hat der Ständerat am 18.3.02 in Postulatsform überwiesen.

106 Botschaft des Bundesrates vom 8.5.91, BBl 1991 III 1.

5471

Frage, ob einzelne Bestimmungen anzupassen sind, um dem Sanierungsgedanken allenfalls besser zum Durchbruch zu verhelfen. Eine radikale Änderung des Systems unter den Vorgaben des «Chapter 11» ist nach Ansicht der GPK-S aber gut zu überlegen. Das amerikanische Verfahren ist von der Autorität der Nachlassbehörden und einem Sanierungsdogma geprägt, die eine Sanierung unter Umständen auch gegen den Willen der Gläubiger und entgegen einer volkswirtschaftlich notwendigen Strukturbereinigung erzwingen können. Das schweizerische Recht stellt demgegenüber das Sanierungsinteresse auf die gleiche Stufe wie den Gläubigerschutz. Wenn auch die amerikanische Regelung verschiedenen Fluggesellschaften erlaubte, in wirtschaftlichen Krisen den Betrieb aufrecht zu erhalten, so ist doch zu berücksichtigen, dass der Anwendungsbereich dieser Regelung angesichts des Hauptmarktes amerikanischer Fluggesellschaften vorwiegend die USA ist. Nicht so bei der SAirGroup, die hauptsächlich im Ausland um Anerkennung der Notstundung und damit um Schutz vor Gläubigern nachsuchen musste.

Die GPK-S ist dennoch der Auffassung, dass das schweizerische Recht in einzelnen Bereichen sanierungsfreundlicher ausgestaltet werden muss und die Kompetenzen der Nachlassbehörden punktuell anzupassen sind. Sie empfiehlt deshalb, bei entsprechenden Überprüfungen insbesondere die Erfahrungen der Nachlassbehörden im Fall der SAirGroup und ihrer Tochtergesellschaften beizuziehen.

Postulat 5: Ausrichtung des SchKG auf das Sanierungsziel Die GPK-S fordert den Bundesrat auf zu prüfen, wie dem Sanierungsgedanken im Rahmen des geltenden SchKG Rechnung getragen wird, wie ihm noch vermehrt Rechnung getragen werden könnte und wo sich in der Praxis Schwierigkeiten ergeben. Er wertet diesbezüglich insbesondere die Erfahrungen der Nachlassbehörden im Fall der von der Nachlassstundung betroffenen Unternehmensteilen der SAirGroup aus.

Die massgebenden Mängel sind nach Einschätzung der GPK-S nicht hauptsächlich im Bereich des Schuldbetreibungs- und Konkursrechts, sondern im Obligationenrecht (OR) bzw. in der Art und Weise zu suchen, wie sanierungsbedürftige Unternehmen dem Obligationenrecht nachleben. So kann etwa Artikel 725 OR107 nicht verhindern, dass in der Praxis die Tendenz besteht, dass die verantwortlichen Gesellschaftsorgane eine Nachlassstundung erst beantragen, wenn die Gesellschaft bereits überschuldet ist und die Fortführungsfähigkeit somit nicht mehr gegeben

107

Art 725 OR handelt vom Kapitalverlust und der Überschuldung und definiert die diesbezüglichen Anzeigepflichten wie folgt: Abs. 1: Zeigt die letzte Jahresbilanz, dass die Hälfte des Aktienkapitals und der gesetzlichen Reserven nicht mehr gedeckt ist, so beruft der Verwaltungsrat unverzüglich eine Generalversammlung ein und beantragt ihr Sanierungsmassnahmen.

Abs. 2: Wenn begründete Besorgnis einer Überschuldung besteht, muss eine Zwischenbilanz erstellt und diese der Revisionsstelle zur Prüfung vorgelegt werden.

Ergibt sich aus der Zwischenbilanz, dass die Forderungen der Gesellschaftsgläubiger weder zu Fortführungs- noch zu Veräusserungswerten gedeckt sind, so hat der Verwaltungsrat den Richter zu benachrichtigen, sofern nicht Gesellschaftsgläubiger im Rang hinter alle anderen Gesellschaftsgläubiger zurücktreten.

5472

ist108. Eine Beachtung von Artikel 725 OR kann nicht direkt erzwungen werden.

Eine Nichtbeachtung hat allenfalls verantwortlichkeitsrechtliche Auswirkungen, wobei auch eine Verantwortlichkeit nichts ändert an einer gescheiterten Sanierung.

Nach Ansicht der GPK-S müssen die im Obligationenrecht vorgesehenen Aufsichtsprozesse optimiert werden. In erster Linie bedarf es einer Revision des Rechnungslegungrechts. Es darf und kann nicht sein, dass ein Unternehmen seinen wirtschaftlichen Zustand besser darstellen kann als er tatsächlich ist. Diesbezüglich lassen sowohl die nationalen als auch die internationalen Normen (z.B. die International Accounting Standards, IAS) zu weite Spielräume offen. Spielräume, die einen Zweckoptimismus oder gar eine kreative Buchhaltung legalisieren, darf es nicht geben. Dies führt dazu, dass Aktionäre und Revisionsunternehmen einen Sanierungsbedarf schwerer erkennen, geschweige denn gegenüber dem Unternehmen nachweisen können. Die Forderung, dass die Rechnungslegung bezüglich der wirtschaftlichen Lage eines Unternehmens aussagekräftig sein muss, erscheint der GPKS als Selbstverständlichkeit, die es mit allen Mitteln umzusetzen gilt. Die GPK-S möchte an dieser Stelle auch an die Frage der Bilanzierung von Überschüssen aus freien Mitteln und Reserven der Pensionskasse erinnern. Als die SAirGroup im Konzernergebnis 1999 einen solchen Überschuss in der Grössenordnung von 1,1 Milliarden Franken nach IAS-Norm 19 in die Bilanz aufnahm und die Eigenkapitalquote damit erhöhte, entstand eine kontroverse Diskussion über die Zulässigkeit solcher Praktiken109. Das Bundesamt für Sozialversicherung (BSV) schritt ein und erliess im Oktober 2000 eine Richtlinie über die Verwendung von Pensionskassenüberschüssen, um unzulässige Bilanzierungen bei den Arbeitgeberfirmen zu verhindern.

Reformbedarf herrscht nach Ansicht der GPK-S auch im Bereich der Revisionstätigkeit. Insbesondere ein Zulassungssystem für externe Revisionsgesellschaften wie es die EU kennt, könnte die Aufsichtsprozesse optimieren. Es stellt sich auch die Frage, ob sich Revisionsgesellschaften auf eine rein formelle Betrachtungsweise der Rechnungslegung beschränken sollen oder ob die Bestätigung der Revisionsstelle auch über die wirtschaftliche und finanzielle Situation eines Unternehmens Aufschluss geben soll. Zu denken
ist schliesslich auch an Möglichkeiten, die so genannte Corporate Governance ­ d.h. die Regelung von Zuständigkeiten und Kontrollverhältnissen an der Unternehmensspitze ­ via Gesetz zu beeinflussen. Dies kann beispielsweise durch eine gesetzliche Regelung der Kriterien für die Zusammensetzung des Verwaltungsrates von Aktiengesellschaften oder durch andere Massnahmen geschehen, die die Kontrollprozesse, das Risikomanagement und die Transparenz in einer Unternehmung verbessern.

Die Transparenz der Rechnungslegung soll demnächst im Rahmen eines Bundesgesetzes über die Rechnungslegung und Revision verbessert werden. Das entsprechende Gesetzgebungsprojekt ist im Eidgenössischen Justiz- und Polizeidepartement (EJPD) hängig. Nach Ansicht der GPK-S besteht ein erheblicher politischer Handlungsbedarf zur Verschärfung bzw. Ergänzung des Obligationenrechts.

108

In dieselbe Richtung geht das Postulat Wicki: Rechtliche Analyse als Folge des «Swissair-Debakels», 02.3045.

109 Vgl. Interpellation Spoerry vom 22.03.2000: Pensionskassen IAS 19/FER 16, 00.3111 und die diesbezügliche Debatte im Ständerat, AB 2000 S 424 ff.

5473

Motion 2: Verschärfung der gesetzlichen Bestimmungen zur Rechnungslegung und Unternehmenskontrolle Die GPK-S fordert den Bundesrat auf, die Bestimmungen des Obligationenrechts im Bereich der Rechnungslegung und Unternehmenskontrolle zu verschärfen und allenfalls in einem neuen Gesetz zu regeln.

5.2

Formulierung einer neuen Luftverkehrspolitik

Nach Ansicht der GPK-S muss der Bund seine Luftverkehrspolitik aus verschiedenen Gründen aktualisieren. Die Luftverkehrspolitik sieht sich mit verschiedenen Widersprüchen konfrontiert. Einerseits sind die Unternehmen und der Staat zunehmend mit der Liberalisierung der Luftfahrt und ihren unternehmerischen und regulatorischen Konsequenzen konfrontiert. Andererseits gestaltet sich die gewerbsmässige Zivilluftfahrt auch international noch sehr protektionistisch und ist vom nationalen Charakter der Flugunternehmen geprägt. Hinzu kommt mit dem Inkrafttreten der Bilateralen Verträge am 1. Juni 2002 die Implementierung der schweizerischen in die europäische Luftverkehrspolitik. In diesem Umfeld ist der Bundesrat gefordert, eine international kompatible Luftverkehrspolitik zu formulieren.

Die Luftverkehrspolitik muss auch die Lehren aus dem Fall Swissair ziehen und die Rolle des Staates in Bezug auf die Aufrechterhaltung der Luftverkehrsinfrastruktur näher definieren. Im Fall Swissair war die staatliche Intervention aufgrund der Umstände nur schwer zu vermeiden. Es stellt sich für die Zukunft aber dennoch die Frage, wie die Luftfahrt der Schweiz strukturiert werden soll, damit ähnliche Szenarien von staatlichen Eingriffen ausbleiben.

Empfehlung 9: Neuformulierung der Luftverkehrspolitik Die GPK-S fordert den Bundesrat auf, die Luftverkehrspolitik der Schweiz angesichts der internationalen Entwicklungen neu zu formulieren und die Rolle des Staates bei der Aufrechterhaltung der Luftverkehrsinfrastruktur zu definieren. Er überprüft dabei auch die Rolle der Luftfahrtkommission.

5.3

Schutz der Konsumenten vor den Folgen einer plötzlichen Betriebsstilllegung von Fluggesellschaften

Das von der GPK-S veranlasste Gutachten verweist auf die verschiedenen Massnahmen, um die Flugpassagiere gegen die Annulierung oder Verspätung von Flügen sowie gegen die Nichtbeförderung wegen Überbuchung zu schützen110. Bislang ging es bei solchen Massnahmen nicht um die Auswirkungen eines «Grounding» wie im 110

Vgl. Gutachten, Anhang 1, Teil D, Ziff. IV.

5474

Falle der Swissair. Neuerdings werden aber vor allem innerhalb der Flugindustrie Möglichkeiten diskutiert, um die Konsumenten vor den Folgen einer überraschenden wirtschaftlichen oder technischen Stilllegung zu schützen. Im Vordergrund stehen dabei offenbar freiwillige Versicherungslösungen.

Solche Branchenlösungen haben nach Ansicht des für diese Frage zuständigen Gutachters die besten Erfolgschancen, da eine internationale Regelung im Rahmen der ICAO kaum Anklang finden wird. Der Gutachter empfiehlt, dass die Regierungen diese Bemühungen der Flugindustrie unterstützen.

Empfehlung 10: Unterstützung von Massnahmen gegen die Folgen einer plötzlichen Stilllegung des Flugbetriebs Die GPK-S empfiehlt dem Bundesrat, die internationalen Bemühungen der Flugindustrie, die Flugpassagiere vor den Folgen einer überraschenden Stilllegung des Flugbetriebs einer Fluggesellschaft zu schützen, zu verfolgen und zu unterstützen.

6

Wichtige Ereignisse im Zusammenhang mit der Stilllegung des Flugbetriebs der Swissair am 2. und 3. Oktober 2001

6.1

Einleitung

In Kapitel 4 ist die GPK-S auf die Geschäftsführung der Bundesorgane im Zusammenhang mit der Swissair-Krise eingegangen.

Obschon die Untersuchung der GPK-S hauptsächlich die Rolle von Bundesrat und Bundesverwaltung zum Gegenstand hat, interessierte sie sich auch für das Verhalten der privaten Akteure (insbesondere der SAirGroup, UBS, CSG und Crossair). Die vorübergehende Stilllegung des Flugbetriebs der Swissair hat eine politische Dimension erhalten, so dass sich eine kritische Reflexion aufdrängt. Es besteht ein Erklärungsbedarf, weshalb es soweit kam, dass der Bund mit mehr als zwei Milliarden Franken an Steuergeldern den Flugbetrieb einer privaten Gesellschaft unterstützt hat.

Die GPK-S möchte einen Beitrag zu diesem Erklärungsbedarf leisten. Sie hat deshalb die Abläufe rund um das «Grounding» in Kapitel 6.2 so weit als möglich rekonstruiert und in Kapitel 6.3 wichtige Umstände herausgegriffen und auf unterschiedliche Beurteilungen durch die privaten Akteure hingewiesen. Bei der Klärung der Umstände des «Grounding» ist allerdings zu berücksichtigen, dass sich die Ereignisse in sehr kurzer Zeit und im Spannungsfeld von verschiedenen Akteuren mit unterschiedlichen Interessen abspielten. Vieles wurde in den hektischen Tagen im September 2001 nicht schriftlich festgehalten. Ausserdem steht die Schilderung der Ereignisse unter den starken emotionalen Begleiterscheinungen des «Grounding». Aus diesen Gründen dürfte es schwierig sein, je vollständige Klarheit über alle Ereignisse und Aspekte der Stilllegung der Swissair-Flotte zu schaffen. Wider-

5475

sprüchliche Schilderungen sind deshalb durchaus möglich und diesen Umständen zuzuschreiben.

Angesichts der politischen Dimension der Ereignisse im Zusammenhang mit der Swissair-Krise sieht sich die GPK-S veranlasst, ihre Eindrücke dazu in Kapitel 6.4 festzuhalten. Diese Darstellung hat keineswegs zum Ziel, die Abklärung allfälliger rechtlicher Verantwortlichkeiten vorwegzunehmen. Erst die erweiterte Sonderprüfung, die der Sachwalter im Herbst 2002 abschliessen wird, und allfällige Verantwortlichkeitsverfahren werden Näheres zum Verlauf und Ausgang der SwissairKrise ergeben. Die GPK-S nimmt jedoch für sich aufgrund ihrer Untersuchung in Anspruch, einen Beitrag zu einer kritischen politischen Reflexion zu leisten.

6.2

Chronologie der wichtigsten Ereignisse

Bis zu den Ereignissen des 11. Septembers 2001 schätzte die SAirGroup den Restrukturierungspfad als schmal, aber gangbar ein. Die Restrukturierungspläne wurden ihrer Ansicht nach jedoch durch die Auswirkungen der Attentate in Frage gestellt. War die SAirGroup zuvor noch gegen eine Staatsintervention, änderte sie danach ihre Meinung und hoffte auf den Bund, welcher Kredite oder Garantien sprechen sollte. Vertreter der SAirGroup orientierten daher am 17. September 2001 den Vorsteher des EFD und den Direktor der EFV zum ersten Mal über die finanzielle Situation der Gruppe und verlangten eine Bundesgarantie im Betrag von 1 Milliarde Franken.

Am 22. September 2001 stellte die SAirGroup an einem Treffen mit Vertretern des Bundes und der Wirtschaft das Projekt «Swiss Air Lines» vor. Es sah die Zusammenlegung aller Flugaktivitäten von Swissair und Crossair unter einem Dach und unter einer Führung vor. Die vom Bund geforderte Summe betrug inzwischen mindestens 1,5 Milliarden Franken.

Am nächsten Tag nahm der Arbeitskreis Bremi seine Tätigkeit auf. Sein Ziel war, eine Gesamtsanierung der SAirGroup in die Wege zu leiten. In seiner Eröffnungssitzung vom 28. September 2001 wurden zum ersten Mal die Kosten einer solchen Sanierung ersichtlich ­ sie beliefen sich auf ca. 8 Milliarden Franken. Es verbreitete sich die Meinung, dass niemand ein derartiges Projekt finanzieren würde und eine Nachlassstundung wohl unausweichlich wäre. Am selben Tag wies die UBS die SAirGroup an, dass sie Zahlungsaufträge nur noch im Rahmen der auf den Einzelkonti verfügbaren Guthaben ausführen dürfe. Das «Cash-Pooling», welches von der UBS am 10. September 2001 auf Ende Oktober bzw. Ende Dezember gekündigt wurde, war dadurch faktisch aufgehoben. Dieser Schritt erfolgte nach Angaben der Bank als Reaktion auf die Abwertung der Bonität der SAirGroup durch die RatingAgentur Moody's. Die Kündigung des Cash-Poolings führte gemäss SAirGroup zu einem erhöhten Liquditätsbedarf und zu einer Erschwernis des Cash-Managements.

Sie beschwerte sich darauf bei der UBS.

Am Samstag, den 29. September 2001 fand eine Verwaltungsratssitzung der SAirGroup statt, an welcher über das weitere Vorgehen diskutiert wurde. Die Rekapitalisierung der gesamten Gruppe wurde dabei als unmachbar eingestuft. Als Alternative wurde von einem Anwalt des Büros Baker &
McKenzie, welches auch die CSG berät, das Projekt «New Crossair» präsentiert. Es sah vor, dass Strecken und Flugzeuge der Swissair in die Crossair übergeführt werden, die Swissair in der Folge den 5476

Betrieb einstelle und der Rest der SAirGroup in die Nachlassstundung gehe. Ziel war somit nicht mehr eine Sanierung der gesamten Gruppe, sondern einzig die Rettung des Fluggeschäfts. Der Verwaltungsrat der SAirGroup stimmte dem Projekt aus Mangel an Alternativen zu. Am Nachmittag bat die SAirGroup Vertreter der UBS und der CSG in ihren Hauptsitz auf den Klotener Balsberg. Aus Zeitgründen fand die auf diesen Tag anberaumte Sitzung des Crossair-Verwaltungsrates ebenfalls dort statt. Den Banken und der Crossair wurden zwei Szenarien vorgestellt: Das eine bestand darin, dass Investoren eine neue Gesellschaft gründen, die 100 % der Swissair-Aktien und 70 % der Crossair-Aktien übernehme, wobei die übrigen Teile der SAirGroup Nachlassstundung beantragen. Das zweite Szenario war das oben erwähnte Projekt «New Crossair», bei welchem Investoren 70 % der Crossair-Aktien von der SAirGroup kaufen würden. Die Banken stuften die zweite Lösung als die einzig machbare ein. Sie konnten sich jedoch nicht über die Aufteilung am Kauf der Crossair-Aktien einigen. Die Crossair zeigte sich mit dem Projekt «New Crossair» ebenfalls einverstanden.

Kurz vor dem Treffen mit dem Vorsteher des EFD und demjenigen des UVEK einigten sich die beiden Banken am 30. September 2001 über die Aufteilung der Transaktion. Die UBS übernahm mit 51 % die Federführung des Projekts. Ihren Vertretern reichte es jedoch nicht mehr, zeitgerecht in Bern zum Treffen mit den beiden Vertretern des Bundesrates sowie den Vertretern der SAirGroup, der Crossair und der CSG zu erscheinen. Sie sagten daher kurzfristig ab. Vertreter der SAirGroup, welche um dieses Treffen gebeten hatten, schilderten die negativen Auswirkungen eines kompletten Stillstands der Flotte. Die Gruppe sei auch praktisch ab sofort zahlungsunfähig. Den Vertretern des Bundesrates wurde das Projekt «New Crossair» vorgestellt. Am Abend trafen sich erneut Vertreter der Crossair, der UBS und der CSG bei der SAirGroup auf dem Balsberg. Die UBS arbeitete an Ort und Stelle die erste Version des Term Sheet «Phoenix», welche noch keine Einschränkung der Verwendung des Kaufpreises der Crossair-Aktien vorsah, aus. Die Finanzchefin der SAirGroup unterrichtete die Anwesenden über den erhöhten Liquiditätsbedarf, welcher durch eine Ankündigung der Nachlassstundung enstehen würde.

Zudem wies nach
Aussagen der UBS ein Luftrechtsexperte der Crossair auf rechtliche Bedenken und Risiken der Flugsicherheit hin, welche seiner Ansicht nach zu einer temporären Stilllegung des Flugbetriebs der Swissair führen würden. Die Vertreter der UBS gingen nach den Ausführungen des Experten davon aus, dass die Übertragung der Flugrechte erst nach einer vorübergehenden Stilllegung der Flotte möglich sein werde. Diese Neuigkeiten waren für die UBS ausschlaggebend, die Verwendung des Kaufpreises der Crossair-Aktien einzuschränken ­ sie war überzeugt, dass der Flugbetrieb nicht mehr aufrecht erhalten werden konnte. Gemäss endgültiger Version des Term Sheet, welche in den frühen Morgenstunden des 1. Oktobers 2001 abgeschlossen wurde, durfte das Geld aus dem Verkauf der Crossair Aktien nur bis am 3. Oktober 2001 zur Aufrechterhaltung des Flugbetriebs verwendet werden. Allen Beteiligten musste somit klar sein, dass spätestens für den 4. Oktober 2001 ein Grounding vorgesehen war.

Als der Vorsteher des EFD am Morgen des 1. Oktobers 2001 eine Kopie des Term Sheet erhielt, unternahm er mehrere Versuche, die Stilllegung der Flotte zu verhindern. Er unterbreitete dem Verwaltungsratspräsidenten der UBS ein Angebot, sich an einem Überbrückungskredit, der den Flugbetrieb bis Ende Monat sicherstellen sollte, zu beteiligen. Die UBS beantwortete diese Anfrage negativ, da es sich angesichts des drohenden Nachlasses um à-fonds-perdu Beträge gehalten hätte und sie 5477

keine weiteren finanziellen Risiken mehr eingehen wollte. An der abendlichen Pressekonferenz der SAirGroup wurde die Beantragung der Nachlassstundung für Swissair und Teile der SAirGroup angekündigt ­ das mögliche Grounding fand jedoch keine Erwähnung. Der Bundesrat warnte an seiner später am Abend abgehaltenen Medienkonferenz ausdrücklich vor der Stilllegung der Flotte. Des Weiteren drückte er seine Erwartung gegenüber den Banken und der SAirGroup aus, den Flugbetrieb aufrecht zu erhalten.

Am 2. Oktober 2001 wiederholte der Vorsteher des EFD das Angebot, sich zusammen mit den beiden Grossbanken an einem Überbrückungskredit zu beteiligen. Da sich der Verwaltungsratspräsident der UBS auf dem Weg in die USA befand, sprach der Vorsteher des EFD mit dessen Stellvertreter. Wiederum fiel die Antwort negativ aus. Die CSG war demgegenüber bereit, ihren Anteil am Kredit zu bezahlen. Die Banken teilten dem Bund später mit, dass ein Kompromiss gefunden worden sei.

Der Erlös aus dem Verkauf der Crossair-Aktien durfte bis am 5. Oktober zur Aufrechterhaltung des Flugbetriebs verwendet werden. Der Abschluss des Kaufvertrages betreffend die Crossair-Aktien beanspruchte mehrere Stunden. Um 18.00 Uhr wurde er unterzeichnet und das Geld aus dem Verkauf der Aktien anschliessend der SAirLines gutgeschrieben. Um das Grounding zu verhindern, war es jedoch zu spät.

Bereits um 10.00 Uhr wurden zwei Flugzeuge der Swissair in London arrestiert.

Einige Stunden später kündigte die SAirGroup die Suspendierung des Flugbetriebs an. Um 15.35 Uhr stellte die Führung der Gruppe auf Anraten des Chefs der Swissair-Flugoperationen den Flugbetrieb ein, weil sie die Sicherheit auf Grund der Überschreitung der Arbeitszeitbeschränkungen für das fliegende Personal nicht mehr gewährleisten konnte. Diese Massnahme musste aufgrund einer Verkettung verschiedener Umstände (Ankündigung der Beantragung der Nachlassstundung, Liquiditätsprobleme, Arrestierungen von Flugzeugen im Ausland, Verspätungen von Abflügen der Swissair, Verlängerung der Wartezeiten für das Flugpersonal) eingeleitet werden.

6.3

Präzisierungen zu einigen Umständen

6.3.1

Pläne zur Rettung des Flugbetriebes

Swiss Air Lines Am 10. September 2001 lud der Verwaltungsratspräsident und CEO der SAirGroup den CEO der Crossair zu sich nach Hause ein, um die äusserst schwierige Situation der Gruppe zu besprechen. Dieser wies jenen auf das Projekt «Swiss Air Lines» hin, worauf der CEO der Crossair gebeten wurde, es weiter zu entwickeln und innerhalb von zwei Wochen vorzulegen. Auf Grund der Ereignisse des 11. Septembers 2001 musste das Projekt schliesslich innerhalb weniger Tage ausgearbeitet werden. Der Verwaltungsrat der SAirGroup verabschiedete es am 20. September 2001, derjenige der Crossair am folgenden Tag. Am 22. September 2001 wurde es dem Bundesrat präsentiert ­ zwei Tage später der Öffentlichkeit. «Swiss Air Lines» sah die Integration der Kurzstreckennetze von Swissair und Crossair und die Reduktion des Langstreckennetzes der Swissair vor. Flottenplanung, Verkauf, Marketing und Costumer Services sollten zusammengeführt werden. Der CEO der Crossair wurde Leiter der neuen Einheit. Schon bald zeigte sich jedoch die Unmöglichkeit des Projektes. Es

5478

mussten einschneidendere Massnahmen getroffen werden, um die SAirGroup oder zumindest Teile davon zu retten.

New Crossair An der Verwaltungsratssitzung der SAirGroup vom 29. September 2001 stellte der Verwaltungsratspräsident und CEO der CSG, welcher ebenfalls Verwaltungsrat der SAirGroup war, den Antrag, auch Leute von der CSFB zur Sitzung beizuziehen. Sie hätten ebenfalls Lösungsvorschläge. Ein Rechtsanwalt der Kanzlei Baker & McKenzie präsentierte sodann das Projekt «New Crossair», welches den Kauf der Crossair durch Investoren und die Nachlassstundung für die Swissair und die SAirGroup vorsah. Innerhalb eines Monats sollte die Crossair die Betriebsbewilligungen und Konzessionen für den internationalen Betrieb erhalten und so zur neuen nationalen Airline werden. Eine Unterbrechung des Flugbetriebs war nicht vorgesehen.

Der Preis für die Crossair-Aktien wurde gemäss Präsentation auf ca. 250 Millionen Franken veranschlagt. Am selben Abend wurde den beiden Banken und der Crossair das Projekt auf dem Balsberg vorgestellt. Vertreter des Bundes wurden am nächsten Tag darüber unterrichtet.

Phoenix Basierend auf dem Projekt «New Crossair» arbeiteten zwei Mitglieder des Group Managing Board der UBS das Term Sheet «Phoenix» am Abend des 30. Septembers 2001 auf dem Balsberg aus. Die endgültige Version wurde um 04.20 Uhr des 1. Oktobers 2001 abgeschlossen. Die 258,8 Millionen Franken aus dem Verkauf der Crossair-Aktien durften demgemäss bis zum 3. Oktober für die Aufrechterhaltung des Flugbetriebs verwendet werden ­ solange bis gemäss damaligen Angaben der SAirGroup und der Crossair die Swissair eine ordentliche Stilllegung der Flotte sicherstellen konnte. Die Banken wollten mit der Einschränkung der Verwendung des Kaufpreises den Schutz und die Überlebensfähigkeit der flugnahen Betriebe und damit der Infrastruktur der Schweizer Flughäfen sicherstellen. Eine Unterbrechung des Flugbetriebs wurde jedoch in Kauf genommen. Ein Bridge Loan über 250 Millionen Franken, welcher der SAirLines zur Verfügung gestellt wurde, war ausschliesslich für die Aufrechterhaltung der Airline-nahen Dienstleistungsbetriebe gedacht. Die Banken stellten der Crossair des Weiteren eine «Working Capital Fazilität» (Betriebskredit)111 bis zu einem Betrag von 500 Millionen Franken und eine Kapitalerhöhung bis zu 350 Millionen Franken
zur Verfügung. Der Vorsteher des EFD erhielt das Term Sheet am Morgen des 1. Oktober 2001.

Fazit: Hatte das Projekt «Swiss Air Lines» noch die Rettung der gesamten Gruppe zum Ziel, versuchte man mit dem Konzept «New Crossair» das Fluggeschäft und einige wichtige Flugnebenbetriebe zu erhalten. Das Term Sheet «Phoenix» ist die Konkretisierung dieses Planes. Hier wurde jedoch im Gegensatz zu «New Crossair» ein Stillstand des Flugbetriebes in Kauf genommen. Durch den enormen Zeitdruck, der die Ausarbeitung der verschiedenen Pläne begleitete, schlichen sich Mängel ein, die in der Phase nach dem Grounding zu erheblichen Komplikationen führten. So wurde z.B. die Fähigkeit der Crossair, das Langstreckennetz der Swissair auf Ende Oktober 2001 zu übernehmen, falsch eingeschätzt. Des Weiteren musste die

111

Kredit, der zur Finanzierung des kurzfristigen Umlaufsvermögens bei Liquiditätsengpässen dient.

5479

geplante Kapitalerhöhung von 350 Millionen Franken letztendlich um das achtfache erhöht werden.

6.3.2

Der Überbrückungskredit von 250 Millionen Franken

Am 1. Oktober 2001 nahm der Verwaltungsratspräsident und CEO der SAirGroup mit Vertretern des Bundes Kontakt auf. Ziel war es, mit Hilfe eines Überbrückungskredits von 250 Millionen Franken eine Unterbrechung des Flugbetriebs zu verhindern. Der Vorsteher des EFD war unter gewissen Bedingungen damit einverstanden.

Die beiden Banken sollten seiner Meinung nach die eine Hälfte des Kredites übernehmen, währenddem der Bund die andere Hälfte bezahle. Am Nachmittag telefonierte der Vorsteher des EFD mit dem Verwaltungsratspräsidenten der UBS, um ihm das Angebot zu unterbreiten. Die UBS wollte sich nicht daran beteiligen, da das Geld wegen der drohenden Nachlasssituation vollständig hätte abgeschrieben werden müssen. Zudem konnte und wollte die UBS bezüglich der Swissair keine weiteren finanziellen Risiken mehr eingehen. Der Vorsteher des EFD bat den Verwaltungsratspräsidenten der UBS, ihm bis zur Bundesratssitzung, welche um 19.00 Uhr stattfinden sollte, eine definitive Antwort zu geben. Der Verwaltungsratspräsident der UBS versprach, es mit den Betroffenen ­ vor allem mit der CSG ­ zu besprechen. Gemäss späteren Auskünften der UBS ging er jedoch zu keinem Zeitpunkt dieses Gesprächs davon aus, dass dies ein formelles Angebot sei und dass die UBS dafür verantwortlich sei, ein solches Angebot an die CSG weiterzuleiten. Trotzdem rief er den Verwaltungsratspräsidenten und CEO der CSG an und fragte ihn, ob er etwas von einer Überbrückungsfinanzierung des Bundes wisse. Dieser verneinte.

Die UBS vertritt nun die Meinung, dass sie die CSG über den Notkredit unterrichtete, währenddem die CSG erklärt, sie sei über das Prinzip der Überbrückungsfinanzierung nicht informiert worden. Da der Vorsteher des EFD noch keine Antwort von Seiten der UBS erhalten hatte, versuchte ein persönlicher Mitarbeiter des Vorstehers des EFD den Verwaltungsratspräsidenten der UBS während der Bundesratssitzung zu erreichen ­ vergeblich. Der persönliche Mitarbeiter erhielt jedoch nach der Pressekonferenz der SAirGroup den Rückruf eines Mitglieds des Group Managing Board der UBS, welcher den negativen Entscheid noch einmal bestätigte.

Am nächsten Morgen versuchte der Vorsteher des EFD erneut den Verwaltungsratspräsidenten der UBS zu erreichen. Da sich dieser jedoch auf dem Weg in die USA befand, wandte sich der Vorsteher des EFD an dessen
Stellvertreter und wiederholte ihm das Angebot betreffend den Notkredit. Der Stellvertreter des Verwaltungsratspräsidenten der UBS versprach, sofort mit der CSG Kontakt aufzunehmen und die Sache zu besprechen. Unmittelbar danach telefonierte der Vorsteher des EFD mit dem Verwaltungsratspräsidenten und CEO der CSG und dem Vizepräsidenten der Geschäftsleitung, welche nichts von einer Überbrückungsfinanzierung wussten. Die UBS hätte es ihnen nicht weitergeleitet. Die CSG erklärte sich jedoch spontan bereit, ihren Teil am Überbrückungskredit zu übernehmen. Anschliessend nahm sie Kontakt zur UBS auf, welche eine Beteiligung erneut ablehnte. Während dieses Telefonats machte die CSG den Vorschlag, die Verwendung des Kaufpreises der Crossair-Aktien zur Aufrechterhaltung des Flugbetriebs bis am 5. Oktober 2001 zuzulassen. Diesem Kompromissvorschlag stimmte die UBS zu.

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Fazit: Währenddem die UBS klar gegen eine Überbrückungsfinanzierung Stellung nahm, erklärte sich die CSG auf Anfrage des Bundes bereit, daran teilzunehmen.

Der Bund seinerseits machte sein Engagement von demjenigen der Banken abhängig. Obwohl sich das EFD sehr bemühte, die Kontakte herzustellen, verlief die Kommunikation unter den drei erwähnten Akteuren in den Tagen vom 1. und 2. Oktober 2001 teilweise umständlich und unklar. Eine direkte Kommunikation, an der alle gleichzeitig hätten teilnehmen können, wäre angemessen gewesen.

6.3.3

Der Abschluss des Kaufvertrages betreffend die Crossair-Aktien am 2. Oktober 2001

Parallel zu den Bemühungen betreffend den Überbrückungskredit wurde am 2. Oktober der Kaufvertrag über die Crossair-Aktien abgewickelt. Die SAirGroup erhoffte sich von einer raschen Abwicklung Liquidität, um den Flugbetrieb aufrecht zu erhalten. Der Vertrag konnte jedoch wegen diverser Komplikationen erst nach dem Grounding unterschrieben werden. Aus diesem Grund beschuldigt die SAirGroup die UBS einer verzögerten Überweisung des Kaufpreises infolge formalistischer Vorgehensweise. Zusätzlich wirft sie den Banken vor, dass diese auf die Ausarbeitung eines Optionsvertrags zur Übernahme des Brands «Swissair» insistierten. Der Optionsvertrag war nach Angaben der SAirGroup Voraussetzung für den Abschluss des Kaufvertrags ­ obwohl dies im Term Sheet nicht so vorgesehen war. Die UBS vertritt die Ansicht, dass die beiden Verträge nicht aneinander gekoppelt waren. Der Optionsvertrag wurde nämlich ca. vier Stunden nach dem Kaufvertrag unterschrieben. Um 14.00 Uhr stellten die Vertreter der UBS gemäss eigenen Angaben den Antrag, den Kaufpreis sofort zu überweisen, sobald die SAirGroup die Aktien bringe. Die CSG hätte dies jedoch verweigert und verlangt, dass zuerst alle vertraglichen Bedingungen erfüllt sein müssten. In der Aussprache der GPK-S mit Vertretern der CSG widersprachen diese den Aussagen der UBS. Die UBS hätte nie einen derartigen Antrag gestellt. Die CSG wäre bereit gewesen, in diesem Fall den Kaufpreis zu überweisen ­ war sie doch auch bereit, am Überbrückungskredit teilzunehmen.

Betreffend die Verzögerungen des Vertragsabschlusses hielt die Crossair fest, dass ihre Vertreter Zeit benötigten, um das Vertragswerk eingehend zu studieren. So musste jeder Artikel in Rücksprache mit Anwälten im Detail geklärt werden, denn es ging im Vertrag auch um die Zukunft der Crossair. Auf Seiten der SAirGroup musste der Termin der Vertragsunterzeichung verschoben werden, da sie die für die Auslösung der Kaufpreiszahlung notwendigen Dokumente nicht rechtzeitig beibringen konnte. So war z.B. der Verwaltungsratsbeschluss der SAirGroup vom 1. Oktober 2001 betreffend der Unterzeichnung des Term Sheet nur bedingt gefasst worden.

Der Verwaltungsratspräsident und CEO der SAirGroup wurde darin ermächtigt, noch ein letztes Mal mit Wirtschaft und Bund einen Versuch zu unternehmen, die Mittel zur Verhinderung der
Betriebsunterbrechung zu beschaffen. Falls dies nicht gelinge, werde das Term Sheet genehmigt und der Verwaltungsratspräsident und CEO zur Unterschrift ermächtigt. Die Banken forderten von der SAirGroup am 2. Oktober 2001, eine Erklärung beizubringen, welche bestätigte, dass die Bedingungen zur Unterzeichnung erfüllt seien. Diese wurde um 17.30 Uhr geliefert. Der Verwaltungsratspräsident und CEO der SAirGroup wandte sich auf Grund des steigenden Zeitdrucks mehrmals an diesem Tag an die UBS, um eine Bevorschus5481

sung des Kaufpreises über 100 Millionen Franken zu erhalten. In der Erinnerung der UBS hatte er die Zahlung jedoch nicht als Vorschuss deklariert. Die UBS lehnte das Ersuchen ab, da das Geld im Nachlass nicht mehr rückforderbar gewesen wäre. Sie habe dem Verwaltungsratspräsidenten und CEO der SAirGroup auch mitgeteilt, dass er noch über genügend Liquidität verfüge. Die SAirGroup widerspricht dieser Aussage.

Fazit: Eventuelle Verzögerungen des Vertragvollzugs sind nicht einseitig einer Partei zuzuweisen. Die Unterzeichnung des Vertrages fand zudem unter enormen zeitlichem Druck statt. Zwischen der Ausarbeitung des Projekts «Phoenix» und der Unterzeichnung des Kaufvertrags lagen nicht einmal zwei Tage.

Auch wenn das Geld rechtzeitig hätte überwiesen werden können, ist es fraglich, ob die Swissair darüber hätte verfügen dürfen. Es wurde nämlich laut Vertrag der SAirLines und nicht der Swissair zur Verfügung gestellt. Nach Aussagen des Sachwalters ist in der Situation des Nachlasses ein Transfer von Liquidität innerhalb der Gruppe aus Gründen der Gläubigerbenachteiligung nicht erlaubt. Die Mittel hätten somit direkt an die Tochterfirmen bezahlt werden müssen. Aus diesem Grund sind auch die Gelder des «Bridge Loan» niemals geflossen. Die Banken erklärten sich in der Folge bereit, die Kredite direkt den flugnahen Betrieben zu gewähren.

6.3.4

Die Liquiditätslage am 2. Oktober 2001

Gemäss Angaben der SAirGroup verfügte die Swissair am Morgen des 2. Oktobers 2001 über 4,2 Millionen Franken an disponierbarer Liquidität. 20 Millionen Franken waren auf Konten der UBS zugunsten der Personaldepositenkasse der SAirGroup gesperrt. Ebenfalls gesperrt waren zusätzliche Gelder der Kasse auf Konten der CSG. 73 Millionen Franken aus einem Escrow Konto, welche am Morgen des 2. Oktober 2001 zur Verfügung gestanden wären, wurden erst nach 17.30 Uhr abgerufen. Die Ankündigung der Beantragung der Nachlassstundung erforderte nach Aussagen der SAirGroup zahlreiche rechtliche Abklärungen ihrerseits und durch den Escrow-Agenten, was die Freigabe der Gelder verzögerte. Die entsprechenden Instruktionen wurden gegen 17.00 Uhr erteilt ­ für die UBS unverständlich spät.

Gemäss deren Angaben verfügte die SAirGroup auf Konten der UBS über 34 Millionen Franken. Des Weiteren hätte die Swissair auf die Gelder aus dem EscrowKonto und über 112 Millionen Franken, welche aus juristischen Gründen auf Konten der CSG blockiert waren, zurückgreifen können. Insgesamt wären ihr somit über 200 Millionen Franken zur Verfügung gestanden. Die SAirGroup stellt sich jedoch auf den Standpunkt, dass die Swissair nach der Ankündigung der Beantragung der Nachlassstundung aus Gründen der Gläubigerbevorzugung nicht mehr über Gelder der SAirGroup verfügen konnte.

Die genannten Summen müssen relativiert werden, wenn bedacht wird, dass am 4. Oktober 2001 150 Millionen Franken benötigt wurden, um die Flugzeuge wieder starten zu lassen. Am Tag danach weitere 50 Millionen, wobei die täglichen Kosten des Flugbetriebs ansonsten bei durchschnittlich 17 Millionen Franken lagen. 4 oder auch 34 Millionen Franken hätten somit nicht gereicht, den Flugbetrieb der Swissair am 2. Oktober 2001 aufrecht zu erhalten. Der Grund für den enormen Anstieg der Liquiditätsbedürfnisse lag in der Ankündigung der Beantragung der Nachlassstundung. Die Rechnungen der Lieferanten mussten ab sofort bar beglichen werden. Die 5482

Swissair verfügte jedoch nicht über genügend Geld, um dies zu tun, umsomehr als auch die noch ausstehenden Rechnungen bar bezahlt werden mussten. Sowohl die Bevorschussung des Kaufpreises der Crossair-Aktien über 100 Millionen Franken als auch der Überbrückungskredit über 250 Millionen Franken kamen wie bereits erwähnt an diesem Tag nicht zustande.

Fazit: Die Beurteilung, ob noch genügend Liquidität vorhanden war, um am 2. Oktober 2001 den Flugbetrieb aufrecht zu erhalten, fällt aufgrund der Angaben der verschiedenen Akteure widersprüchlich aus. Spricht die SAirGroup von Liquidität, über welche die Swissair disponieren konnte, erwähnt die UBS die Gelder auf den Konten der UBS, welche der SAirGroup zur Verfügung standen. Es ist jedoch höchst fraglich, ob nach der Ankündigung der Beantragung der Nachlassstundung Gelder innerhalb der Gruppe noch verschoben werden dürfen. Die Ankündigung der Beantragung der Nachlassstundung, ohne sie jedoch eingereicht zu haben, hatte die Liquiditätsbedürfnisse explodieren lassen. Der Verwaltungsrat der SAirGroup hatte sich ungenügend auf diese Situation vorbereitet. Einerseits ging er in seiner Sitzung vom 25. September 2001 davon aus, dass die beiden schweizerischen Grossbanken ­ angesichts der enormen Schäden eines unvorbereiteten und unerwarteten Zusammenbruchs ­ die SAirGroup nicht fallen lassen werden. Andererseits wurde er am 26. September 2001 von seinen Rechtsberatern darauf hingewiesen, dass ein Nachlassverfahren keine taugliche Lösung zur Sanierung der SAirGroup sei.

Die Liquiditätssituation der SAirGroup vom 2. Oktober 2001 wird in den Untersuchungen des Sachwalters näher überprüft.

6.3.5

Ursachen des «Grounding»

Die SAirGroup sah sich vor den Ereignissen des 11. September 2001 auf einem schmalen aber gangbaren Restrukturierungspfad. Nach diesem Datum musste allerdings durch die sich stark verschlechternden Liquiditätsprognosen eine Neubeurteilung vorgenommen werden. Die Gruppe wäre ohne fremde Hilfe anfangs Oktober 2001 zahlungsunfähig. So erhoffte sie sich von Wirtschaft und Staat Gelder, welche ihr eine Sanierung erlaubt hätten. Die Verantwortlichen der SAirGroup werfen den Autoren des «Phoenix»-Plans vor, ein «Grounding» in Kauf genommen zu haben, indem sie die Verwendung des Verkaufserlöses der Crossair-Aktien nur bis zum 3. Oktober 2001 für den Flugbetrieb vorgesehen hatten und eine Bevorschussung des Kaufpreises ablehnten. Der UBS wird vorgehalten, dass sie sich weigerte am Überbrückungskredit von 250 Millionen Franken teilzunehmen und zudem die Überweisung des Kaufpreises durch eine formalistische Vorgehensweise verzögert hätte. Der unmittelbare Anlass der Einstellung des Flugbetriebs am Dienstag Nachmittag, den 2. Oktober 2001, lag in der Überschreitung der Arbeitszeitbeschränkungen für fliegendes Personal (Flight Duty Regulations), wodurch die Sicherheit nicht mehr gewährleistet war (siehe Kapitel 6.2 in fine).

Für die Vertreter der UBS lagen die Gründe für die Stillegung der Flotte der Swissair nicht in den Ereignissen der wenigen hektischen Tage vor dem «Grounding», sondern in den monatelangen Versäumnissen der Verantwortlichen der SAirGroup.

Sie hätten es verpasst, rechtzeitig die notwendigen Sanierungsmassnahmen in die Wege zu leiten. Der Notruf der SAirGroup an die UBS vom 29. September 2001 erfolgte viel zu spät, als dass die Swissair noch hätte gerettet werden können.

5483

Die andere involvierte Schweizer Grossbank, die CSG, sieht das Scheitern der SAirGroup in deren Beteiligungen an ausländischen Fluggesellschaften ­ der sogenannten Hunter-Strategie ­ begründet. Wären im Sommer 2001 die flugnahen Betriebe verkauft und die Gruppe rekapitalisiert worden, wäre ihre Rettung durchaus möglich gewesen. Mit Hilfe des Überbrückungskredits hätte auch das «Grounding» höchstwahrscheinlich verhindert werden können.

Vertreter der Crossair sind der Meinung, dass bereits vor dem 11. September 2001 klar war, dass die SAirGroup nicht überleben würde. Sie sehen daher die Ereignisse des 11. September 2001 auch nicht als Ursache der Probleme, welche die SAirGroup letztendlich zum Gang zum Nachlassrichter gezwungen haben. Der unmittelbare Grund für das «Grounding» liegt in den Augen der Crossair in der Ankündigung der Beantragung der Nachlassstundung. Ab diesem Moment mussten alle Lieferanten bar bezahlt werden, welches zur Konsequenz hatte, dass den Piloten Geld mitgegeben werden musste, um die vor Ort anfallenden Kosten zu begleichen.

Dies sei auf die Dauer technisch nicht machbar gewesen und führte bei der Besatzung zu heftigen Reaktionen, welche die Flugsicherheit gefährdeten.

Fazit: Die Ereignisse des 11. September 2001 beschleunigten die Krise der SAirGroup. Es ist jedoch klar, dass sich die SAirGroup bereits vor diesem Datum grossen Problemen gegenüber sah, die nur durch radikale Massnahmen hätten gelöst werden können. Durch die Ankündigung der Beantragung der Nachlassstundung stieg der Liquiditätsbedarf massiv an. Die Swissair erhielt Leistungen nur noch gegen Vorauszahlung und gegen die sofortige Begleichung aller fälligen Forderungen. Bereits am Morgen des 2. Oktober 2001 wurden zwei Flugzeuge der Swissair in London beschlagnahmt. Des Weiteren muss auf die emotionale Anspannung der Beteiligten hingewiesen werden, welche eine rationale Entscheidfindung erschwerte.

Diese Umstände sowie die Liquiditätsprobleme haben eine Weiterführung des Flugbetriebs verunmöglicht. Als auch die Regelungen der Arbeitszeitbeschränkungen für das fliegende Personal nicht mehr eingehalten werden konnten, beschloss die Führung der Swissair, den Flugbetrieb stillzulegen. (vgl. Kapitel 6.2 in fine).

6.4

Eindrücke der GPK-S zum Verlauf und zum dramatischen Ausgang der Swissair-Krise

Die SAirGroup als komplexes Firmenkonglomerat Durch die Umstrukturierung der Swissair im Jahre 1997 wurden verschiedene Betriebsteile ausgegliedert und verselbständigt. Es entstand ein grosses und komplexes Firmenkonglomerat. Ein solcher Unternehmenskomplex ruft nach einer klaren Organisation und Fachkompetenz auf allen Stufen. Geschaffen wurde indessen eine komplizierte, schwer überblick- und kontrollierbare Holdingstruktur (vgl. Holdingstruktur vom Jahre 2000/2001 in Anhang 3). Nach Ansicht der GPK-S bestehen Anhaltspunkte, dass diese Struktur die Führung der Gruppe tendenziell erschwerte und die entsprechenden Führungs-, Steuerungs- und Aufsichtsinstrumente entweder nicht eingerichtet waren oder nur ungenügend und vielleicht auch nicht zeitgerecht wahrgenommen wurden. Die Besonderheiten des Fluggeschäfts verlangen überdies ein eigentliches Risikomanagement und entsprechende Branchenkenntnisse. Nach den heutigen Kenntnissen der GPK-S dürften all diese Punkte, die ihren Ursprung teilweise in der komplexen Firmenstruktur von 1997 hatten, tendenziell zur Ver5484

schärfung der Probleme im Zusammenhang mit der Swissair beigetragen haben. Die Abklärungen des Sachwalters der SAirGroup werden vermutlich noch näher aufzeigen, in wie weit diese Firmenstruktur die Krise der Swissair mit beeinflusst hat.

Dramatische Zeichen einer Krise Gerüchte über die gescheiterte Unternehmensstrategie drangen in der zweiten Hälfte des Jahres 2000 an die Öffentlichkeit. Offenbar hat bereits im Sommer 2000 die McKinsey-Studie «Shield I» eine Finanzierungslücke von 3 Milliarden Franken festgestellt. Es stellt sich die Frage, ob die Strategie der SAirGroup nicht zu spät als gescheitert erklärt wurde. Nach der Führungskrise von Anfang 2001 befand sich das Management der SAirGroup in einem angeschlagenen Zustand. Hinzu kam die Gewissheit, dass der Konzern im Jahre 2000 einen Verlust von 2885 Millionen Franken schreiben musste und nur mehr über eine dünne Eigenkapitaldecke verfügte. Volkswirtschaftlich ist damit bereits im Frühjahr 2001 ein grosser Schaden eingetreten. Der Zustand der SAirGroup im Frühjahr 2001 wurde gegenüber der GPK-S von verschiedener Seite als dramatisch geschildert. Auch die UBS analysierte Ende März 2001 die Lage und gelangte zu einem alarmierenden Ergebnis.

Eine finanzielle Sanierung erschien ihr zwingend. Über die Frage, wie die Situation konzernintern beurteilt wurde, wird die Untersuchung des Sachwalters Aufschluss geben. Die GPK-S hat Hinweise erhalten, dass sich einzelne Konzernleitungsmitglieder vom wahren Ausmassen der akuten Krise überwältigt zeigten und den Verwaltungsrat bereits im Februar 2001 zum Teil schriftlich zu einschneidenden Sanierungsmassnahmen aufgefordert haben.

Nach Ansicht der GPK-S musste den Verantwortlichen der SAirGroup spätestens anfangs 2001 die prekäre finanzielle Situation der Gruppe durchaus bekannt gewesen sein. Jedoch hat man es anscheinend verpasst, daraus die entsprechenden Folgerungen zu ziehen und eine tiefgreifende und nachhaltige Sanierung des Konzerns einzuleiten.

Die Generalversammlung vom 25. April 2001 als Neubeginn Wie weggewischt waren die dramatischen Anzeichen eines nahenden Untergangs der SAirGroup, als die Generalversammlung im April 2001 von der neu gewählten Leitfigur des Konzerns zur Kenntnis nahm, wie die neue Zukunftsstrategie aussehe und dass die Liquidität durch eine Kreditlinie von 1 Milliarde Franken
bei Citibank, Credit Suisse First Boston und der Deutschen Bank gesichert sei.

Die Aktionäre und das Personal der SAirGroup, aber auch die Öffentlichkeit haben ihre Erwartungen in praktisch eine einzige Person hineinprojiziert. In eine Person allerdings, die sich immer noch auf ein angeschlagenes Management der «alten» SAirGroup stützten musste und die die Aufgaben sowie die Verantwortung eines Verwaltungsratspräsidenten und eines CEO der SAirGroup auf sich vereinigte.

Letzteres wurde aber mit der Wahl anlässlich der Generalversammlung faktisch sanktioniert. Auch wenn die Strategie eine neue war, stand die SAirGroup immer noch mit schlechten Finanzzahlen da, die ­ wie sich später im Rahmen der Zwischenrevision im Halbjahresbericht 2001 ergab ­ erst noch viel zu optimistisch waren. Die Gruppe sah sich ausserdem mit hohen Verpflichtungen aus den Beteiligungen an ausländischen Fluggesellschaften konfrontiert. Die SAirGroup gab sich aber für die Zukunft optimistisch.

5485

Auch wenn sich der neue CEO und Verwaltungsratspräsident mit enorm grossem Engagement für die SAirGroup einsetzte, war es nach Ansicht der GPK-S verhängnisvoll, alle Hoffnung auf praktisch eine einzige Person zu setzen. Diese Person hätte Übermenschliches leisten müssen, um den hohen Erwartungen und unterschiedlichen Interessen gerecht werden zu können. Anlässlich der Generalversammlung oder kurz danach hätte ein eigentlicher Krisenstab installiert werden müssen, um eine gründliche Sanierung einzuleiten. Die GPK-S ist sich aber auch bewusst, dass ein Krisenstab bei der Umsetzung einer solchen Sanierung gegen erhebliche Schwierigkeiten hätte ankämpfen müssen.

Der Zeitraum von Ende April bis Ende August 2001 Unter der Last dieser immens grossen Bürde hat der Verwaltungsratspräsident und CEO der SAirGroup einen ausserordentlichen Einsatz bei der Bereinigung der Auslandbeteiligungen gezeigt. Die Vorbereitung von Lösungen für den geordneten Ausstieg aus den ausländischen Beteiligungen hat nach Ansicht der GPK-S aber praktisch alle Managementkapazitäten gebunden. Diese fehlten dann, um eine gründliche Sanierung und Rekapitalisierung der SAirGroup, die auch vordringlich gewesen wäre, vorzubereiten. Ein eigentliches Sanierungskonzept konnte in einer solchen Situation wohl nicht erarbeitet werden. Ernüchternd ist in diesem Zusammenhang, dass trotz dieser «Bereinigungsaktion» bei den ausländischen Beteiligungen gerade heute im Rahmen des Nachlassverfahrens die entsprechenden Gesellschaften und ausländischen Staaten noch zahlreiche und hohe Forderungen geltend machen (vgl. Kapitel 1.3.2).

Grundsätzlich optimistisch gab sich die SAirGroup auch noch am 30. August 2001, als sie das Halbjahresergebnis und die nochmals dünner gewordene Eigenkapitalisierung verkündete. Um die Liquidität und Eigenkapitaldecke zu stärken, wurde die Veräusserung von Swissport und Nuance Group angekündigt. Die SAirGroup stellte aber auch fest, dass der Wandel (Turnaround) der Gruppe noch schneller herbeigeführt werden müsse.

Die Sanierungsbemühungen im September 2001 Es scheint, dass auf oberster Führungsebene der SAirGroup bereits am 10. September 2001 Notfallszenarien eingeleitet wurden. Der 11. September 2001 hat die Krise der SAirGroup beschleunigt, bereits davor war sie jedoch sehr weit fortgeschritten.

Für eine rasche Sanierung
fehlten den potentiellen Investoren die Konzepte und genauere Kenntnisse zum Umfang des Sanierungsbedarfes. Am 29. September 2001 musste eine Sanierung des ganzen Konzerns als aussichtslos erklärt werden. Die SAirGroup war spätestens Ende September 2001 faktisch zahlungsunfähig.

Nach Ansicht der GPK-S barg der von der SAirGroup gewählte schmale Sanierungspfad zu grosse Risiken in sich.

Die Stilllegung des Flugbetriebs vom 2./3. Oktober 2001 als Konsequenz der fortgeschrittenen Krise Die Stilllegung des Flugbetriebs vom 2./3. Oktober 2001 muss im Zusammenhang mit der oben geschilderten Entwicklung gesehen werden. Die Führung der SAirGroup glaubte noch bis kurze Zeit vor der Einstellung des Flugbetriebs, dass die Banken oder der Bund Geld für die Swissair zur Verfügung stellen würden. Unter diesen Voraussetzungen hat sich die SAirGroup nicht genügend für die Situation der 5486

Zahlungsunfähigkeit eingerichtet. Die Bilder der am Boden stehenden Flugzeuge lösten am 2. Oktober 2001 dann eine schockartige Reaktion aus. Es war das definitive Signal, dass jenes Unternehmen finanziell am Boden ist, das noch vor wenigen Jahren als «fliegende Bank» galt.

Vor allem die chaotische Art, wie es zur Stilllegung kam, löste Fragen und Unmut aus. Eigentlich war eine Stilllegung des Flugbetriebs der Swissair erst nach dem 3. bzw. dem 5. Oktober 2001 geplant. Die vorzeitige Bekanntgabe der SAirGroup am 1. Oktober 2001, dass sie Nachlassstundung einreichen werde, führte aber zu einer Kettenreaktion, die am 2. Oktober 2001 in einer chaotischen Stilllegung des Flugbetriebs endete. Gründliche und umfassende Vorbereitungen im Hinblick auf die Ankündigung bzw. Einreichung der Nachlassstundung hatte die SAirGroup nicht getroffen. Um das chaotische Element der Krise der Swissair zu verhindern, hätte die SAirGroup bereits viel früher Massnahmen zur Vorbereitung einer Nachlassstundung treffen müssen.

Natürlich hätte der Betrieb der Swissair mit genügend finanziellen Mitteln aufrechterhalten werden können. Die Führungsrolle bei den Transaktionen bezüglich des Kaufs der Crossair-Aktien nach dem 29. September 2001 hat die UBS beansprucht.

Es war aber auch die UBS, welche sich bereits ab Frühjahr 2001 von der SAirGroup distanziert hat. Das Vertrauensverhältnis zwischen UBS und SAirGroup hat sich zunehmend verschlechtert. Ausschlaggebend dafür mögen die unterschiedliche Auffassung bezüglich des Sanierungsbedarfes oder die Tatsache gewesen sein, dass die SAirGroup offenbar mündlich vereinbarte Stillhalteabkommen mit der UBS missachtete und Kredite an andere Bankinstitute zurückbezahlte.

Fest steht, dass in den wenigen Tagen vor dem «Grounding» im Rahmen des «Phoenix»-Plans unrealistische Szenarien entwickelt und deren Auswirkungen unterschätzt wurden. So etwa die Annahme, der Flugbetrieb der Swissair könne innerhalb weniger Wochen geordnet in die Crossair überführt werden. Ein geordneter Übergang des Flugbetriebs von der Swissair auf die Crossair hätte nur sichergestellt werden können, wenn die finanziellen, betrieblichen und rechtlichen Voraussetzungen gegeben gewesen wären. Diese Bedingungen waren nicht erfüllt. Auch haben insbesondere die Grossbanken die emotionalen und politischen Auswirkungen
einer in Kauf genommenen Stilllegung der Swissair-Flotte verkannt. Ebenso trugen sie dem Umstand zu wenig Rechnung, dass für die Umsetzung des Term Sheet «Phoenix» neben der Finanzierung des Kaufpreises für die Crossair-Aktien und dem Überbrückungskredit für die flugnahen Betriebe auch eine Finanzierung für einen geordneten Übergang vordringlich war. Dies erstaunt insofern, als der Vorsteher des EFD am 1. und 2. Oktober 2001 bezüglich eines Überbrückungskredites bei den Banken mehrmals insistierte. Ausserdem wurde im Plan «Phoenix» unterschätzt, dass eine sorgfältige Vorbereitung einer Nachlasslösung wohl mehrere Monate braucht.

Selbst ein geordnetes «Grounding» hätte zumindest vorausgesetzt, dass genügend Zeit zur Verfügung steht, um insbesondere den Kunden und dem Personal die Auswirkungen der Stilllegung zu schildern und allfällige Massnahmen betreffend die bereits ausgestellten Tickets zu treffen. Für die Vorbereitung eines geordneten «Grounding» wären nach Ansicht der GPK-S auch die drei Tage vom 1. Oktober bis zum 4. Oktober 2001, nach welchem die Banken ein «Grounding» in Kauf nahmen, knapp gewesen.

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In der Zeit nach dem 29. September 2001 bis zur Stilllegung der Swissair-Flotte haben sich die Ereignisse überstürzt und Vieles ist in beunruhigendem Masse chaotisch und ungeordnet abgelaufen. Allerdings muss erwähnt werden, dass auch die Belastung in diesen Tagen für alle Betroffenen die Grenze des Zumutbaren überschritt. Die Eskalation der Krise mit deren chaotischen Folgen führte gepaart mit der enormen Belastung der einzelnen Akteure zu einer eigentlichen Eskalation der Emotionen.

7

Schlussbemerkungen und weiteres Vorgehen

Die Untersuchung der GPK-S zur Swissair-Krise hat den Fokus auf das Handeln der Bundesbehörden gerichtet. Es sind aus heutiger Sicht keine Verantwortlichkeiten der Bundesorgane für den Verlauf und den dramatischen Ausgang der Krise ersichtlich. Eine aktienrechtliche Verantwortlichkeit des Bundes als Mitglied des Verwaltungsrates der SAirGroup könnte sich allenfalls im Rahmen der erweiterten Sonderprüfung ergeben, deren Ergebnisse der Sachwalter der SAirGroup im Herbst 2002 publizieren wird. Unter diesem Vorbehalt kann das Handeln der Bundesbehörden in der Swissair-Krise im Übrigen als sehr professionell und engagiert bezeichnet werden. Auf Bundesebene können und müssen die Lehren aus den Ereignissen im Zusammenhang mit der Swissair-Krise vorwiegend im Bereich der Aufsicht über die Zivilluftfahrt und im Bereich der Früherkennung gezogen werden.

Der Bund muss sich der zentralen Bedeutung seiner Aufsicht im Luftverkehr bewusst sein. Die GPK-S schlägt verschiedene Massnahmen vor, um die heutige Regelung und Praxis der Aufsicht des Bundes über die Zivilluftfahrt zu überprüfen und zu intensivieren.

Das Beispiel der Swissair-Krise zeigt auch, dass der Bund sich seiner Rolle in Bezug auf Krisen, die zu einer staatlichen Intervention führen können, bewusster sein muss. Dabei geht es auch darum, mögliche Krisen frühzeitig zu erkennen und verschiedene Szenarien rechtzeitig zu prüfen.

Die GPK-S kann die Swissair-Krise im Rahmen der parlamentarischen Oberaufsicht nicht abschliessend und lückenlos beurteilen und aufarbeiten. Die Ergebnisse der Untersuchung des Sachwalters, welche den Fokus auf das Handeln der Organe der SAirGroup legt, wird dazu einen weiteren wesentlichen Beitrag leisten.

Ausgehend von ihren Feststellungen und den Schlussfolgerungen in den Kapiteln 3.10, 4.6 sowie 5 hat die GPK-S dem Bundesrat 10 Empfehlungen abgegeben sowie 2 Motionen und 5 Postulate eingereicht. Diese lauten wie folgt: Motion 1: Verweis des Luftfahrtgesetzes auf das EG-Recht Die GPK-S beauftragt den Bundesrat, dem Parlament einen Entwurf zu einem revidierten Artikel 27 Absatz 2 Buchstabe c des Luftfahrtgesetzes vorzulegen. Der revidierte Artikel hat bezüglich der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit auf die Anforderungen der EG-Verordnung 2407/92 zu verweisen (vgl. Kapitel 3.10).

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Motion 2: Verschärfung der gesetzlichen Bestimmungen zur Rechnungslegung und Unternehmenskontrolle Die GPK-S fordert den Bundesrat auf, die Bestimmungen des Obligationenrechts im Bereich der Rechnungslegung und Unternehmenskontrolle zu verschärfen und allenfalls in einem neuen Gesetz zu regeln (vgl. Kapitel 5.1).

Postulat 1: Überprüfung der Zuständigkeit bei der Streckenkonzession Die GPK-S fordert den Bundesrat auf, die Regelung der Zuständigkeit bezüglich der Streckenkonzessionen im Luftfahrtgesetz zu überprüfen und darüber Bericht zu erstatten (vgl. Kapitel 3.10).

Postulat 2: Überprüfung der Befristung von Betriebsbewilligungen Die GPK-S fordert den Bundesrat auf, die Regelung der Luftfahrtgesetzgebung betreffend die Befristung und Erneuerung der Betriebsbewilligungen zu überprüfen und darüber Bericht zu erstatten (vgl. Kapitel 3.10).

Postulat 3: Früherkennung in der Volkswirtschaft Die GPK-S fordert den Bundesrat auf zu prüfen, ob für die Früherkennung der Lage der für die Volkswirtschaft der Schweiz bzw. des volkswirtschaftlichen Systems bedeutenden Unternehmen die gesetzlichen Grundlagen ausreichen oder solche geschaffen werden sollen (vgl. Kapitel 4.6).

Postulat 4: Bündelung der verschiedenen Interessen im Sanierungsprozess Die GPK-S fordert den Bundesrat auf zu prüfen, ob im Rahmen des Schuldbetreibungs- und Konkursgesetzes die Funktion eines vom Gesetz bestimmten Sanierungsverantwortlichen zu schaffen ist, der die allenfalls divergierenden Interessen in einem Sanierungsprozess bündelt und auf den Sanierungszweck ausrichtet (vgl.

Kapitel 5.1).

Postulat 5: Ausrichtung des SchKG auf das Sanierungsziel Die GPK-S fordert den Bundesrat auf zu prüfen, wie dem Sanierungsgedanken im Rahmen des geltenden SchKG Rechnung getragen wird, wie ihm noch vermehrt Rechnung getragen werden könnte und wo sich in der Praxis Schwierigkeiten ergeben. Er wertet diesbezüglich insbesondere die Erfahrungen der Nachlassbehörden im Fall der von der Nachlassstundung betroffenen Unternehmensteilen der SAirGroup aus (vgl. Kapitel 5.1).

Empfehlung 1: Verstärkung der Aufsicht des UVEK über das BAZL Das UVEK hat die Tätigkeit des BAZL enger zu begleiten und für eine regelmässige Überprüfung der Aufsichtspraxis des BAZL zu sorgen. Es schafft vermehrt Transparenz über die Aufsichtstätigkeit des BAZL (vgl. Kapitel 3.10).

5489

Empfehlung 2: Verstärkung der Aufsicht über die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit von Fluggesellschaften Die GPK-S fordert den Bundesrat auf, die Voraussetzungen für eine vertiefte Aufsicht über die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit von Fluggesellschaften zu schaffen.

Das BAZL ist anzuweisen, seine bisherige Praxis zu ändern. Die fachlichen Kompetenzen des BAZL müssen verstärkt werden, damit es die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit der Fluggesellschaften beurteilen kann. Gegenüber der Aufsichtsbehörde sind spezifische Meldepflichten der Fluggesellschaften bei finanziellen Schwierigkeiten vorzusehen (vgl. Kapitel 3.10).

Empfehlung 3: Präzisierungen für den Entzug einer Betriebsbewilligung Die GPK-S fordert den Bundesrat auf, geeignete und präzise Kriterien und Verfahren zu bestimmen, wonach das BAZL Massnahmen treffen kann, wenn ihm die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit einer Fluggesellschaft nicht mehr glaubhaft erscheint. Insbesondere präzisiert er die Voraussetzungen und Verfahrensschritte für den Entzug der Betriebsbewilligung (vgl. Kapitel 3.10).

Empfehlung 4: Regelmässige Überprüfung möglicher Interessenkonflikte durch das UVEK Das UVEK überprüft im Rahmen seiner Führungsverantwortung in regelmässigen Abständen, ob das BAZL bzw. das BFU ihre Aufgaben frei von Interessenkonflikten gegenüber den beaufsichtigten Fluggesellschaften und Luftfahrtbetrieben wahrgenommen haben (vgl. Kapitel 3.10).

Empfehlung 5: Überprüfung der personellen Ressourcen des BAZL Die GPK-S fordert den Bundesrat auf, die personellen Ressourcen des BAZL in quantitativer und qualitativer Hinsicht zu überprüfen, um ein hohes Sicherheitsniveau der Zivilluftfahrt zu gewährleisten. Er trifft die allenfalls notwendigen Massnahmen zur Gewährleistung einer qualifizierten Sicherheitsaufsicht (vgl. Kapitel 3.10).

Empfehlung 6: Überprüfung der Beteiligungen des Bundes an privatwirtschaftlichen Unternehmen Die GPK-S fordert den Bundesrat auf, die Beteiligungspolitik des Bundes an privaten Unternehmen zu überprüfen (auch bestehende Beteiligungen sind kritisch zu hinterfragen). Insbesondere sind tatsächliche oder mögliche Interessenkonflikte zu beachten. Im Falle einer Bundesbeteiligung sorgt der Bundesrat dafür, dass der Bund seine Kontroll- und Informationsrechte kritisch und nachhaltig ausüben kann (vgl. Kapitel 4.6).
Empfehlung 7: Frühzeitige Entwicklung von möglichen Szenarien Die GPK-S fordert den Bundesrat auf, in Krisensituationen, die den Bund in entscheidender Weise betreffen könnten, möglichst frühzeitig Szenarien möglicher Entwicklungen und Auswirkungen auf den Bund zu entwerfen. Er trifft gegebenenfalls vorbehaltene Entscheide und richtet rechtzeitig einen Krisenstab ein (vgl.

Kapitel 4.6).

5490

Empfehlung 8: Koordination und Weiterentwicklung der Früherkennung durch den Bund Die GPK-S fordert den Bundesrat auf, die Koordination der bestehenden Früherkennungsstellen in der Bundesverwaltung zu gewährleisten und sich selbst für die Früherkennung von potentiellen politischen Herausforderungen und Krisen zu sensibilisieren. Insbesondere ist eine Früherkennung zu entwickeln, die sich mit der Lage derjenigen Unternehmen befasst, die für die Volkswirtschaft des Landes von systemrelevanter Bedeutung sind (vgl. Kapitel 4.6).

Empfehlung 9: Neuformulierung der Luftverkehrspolitik Die GPK-S fordert den Bundesrat auf, die Luftverkehrspolitik der Schweiz angesichts der internationalen Entwicklungen neu zu formulieren und die Rolle des Staates bei der Aufrechterhaltung der Luftverkehrsinfrastruktur zu definieren. Er überprüft dabei auch die Rolle der Luftfahrtkommission (vgl. Kapitel 5.2).

Empfehlung 10: Unterstützung von Massnahmen gegen die Folgen einer plötzlichen Stilllegung des Flugbetriebs Die GPK-S empfiehlt dem Bundesrat, die internationalen Bemühungen der Flugindustrie, die Flugpassagiere vor den Folgen einer überraschenden Stilllegung des Flugbetriebs einer Fluggesellschaft zu schützen, zu verfolgen und zu unterstützen (vgl. Kapitel 5.3).

Die GPK-S erwartet, vom Bundesrat bis Ende 2002 über die aufgrund dieses Berichts getroffenen und eingeleiteten Massnahmen informiert zu werden.

19. September 2002

Im Namen der Geschäftsprüfungskommission des Ständerates Der Präsident: Michel Béguelin Der Präsident der Subkommission EDI/UVEK: Hansruedi Stadler Der Stellvertretende Sekretär: Martin Albrecht

5491

Die GPK-S hat folgende Personen angehört (Funktionsbezeichungen im Zeitpunkt der Anhörungen): Auer André, Direktor des Bundesamtes für Zivilluftfahrt Brunetti Aymo, Mitglied der Geschäftsleitung des Staatssekretariats für Wirtschaft Corti Mario A., Verwaltungsratspräsident und CEO der SAirGroup Dettling-Ott Regula, PD, Rechtsanwältin Doerig Hans-Ulrich, Vizepräsident der Geschäftsleitung und Chief Risk Officer, CSG Dosé André, CEO der Swiss International Air Lines AG Fouse Jacqualyn, Finanzchefin der SAirGroup Haller Jürg, Member of the Group Managing Board und bei der UBS zuständig für Risk Treasury and Capital Management Kälin Walter, Finanzchef der Swissair Karrer Alexander, Persönlicher Mitarbeiter von Bundespräsident Villiger, EFD Kurer Peter, Member of the Group Managing Board und Group General Counsel, UBS Leuenberger Moritz, Bundesrat, Vorsteher des UVEK Lüthi Peter, executive vice-president external relations, Swissair Mühlemann Lukas, Präsident des Verwaltungsrates und CEO der CSG Ospel Marcel, Verwaltungsratspräsident der UBS Rochat Philippe, Direktor der Air Transport Action Group Schmid Christoph, Assistent der Konzernleitung der SAirGroup Siegenthaler Peter, Direktor der Eidgenössischen Finanzverwaltung Staehelin Ernst, Advokat und Notar, Rechtsberater der Swiss International Air Lines AG Suter Marco, Member of the Group Managing Board und Group Chief Credit Officer, UBS Suter Moritz, ehem. Präsident und Delegierter des Verwaltungsrates der Crossair Syz David, Staatssekretär, Direktor des seco Villiger Kaspar, Bundespräsident, Vorsteher des EFD Werder Hans, Generalsekretär des UVEK

5492

Die GPK-S hat mit folgenden Personen ein informelles Gespräch geführt (Funktionsbezeichungen im Zeitpunkt der informellen Gespräche): Baumgarnter Samuel, Stellvertreter der Sektion internationales Privat- und Zivilprozessrecht, Bundesamt für Justiz Gasser Dominik, Abteilung Zivilprozess- und Zwangsvollstreckungsrecht, Bundesamt für Justiz Hasenfratz Paul, ehemaliger CEO der Zürcher Kantonalbank Hauri Kurt, Präsident der Eidgenössischen Bankenkommission Kläy Hanspeter, Vorsteher des Eidgenössischen Amtes für das Handelsregister Koller Heinrich, Direktor des Bundesamtes für Justiz Wüthrich Karl, Sachwalter der Swissair-Gruppe

5493

Abkürzungsverzeichnis AB ABl EG Abs.

AG aLFV AOC AOM Art.

BAZL BBl BFU Bst.

BSV bzw.

CEO CHF CSFB CSG d.h.

EDA EDI EFD EFV EG Eidg.

EJPD EPA EU EVED EWG FDO ff.

Fr.

GPK-N GPK-S ICAO JAA JAR LFG 5494

Amtliches Bulletin Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaft Absatz Aktiengesellschaft alte Luftfahrtverordnung Air Operator Certificate Französische Fluggesellschaft Artikel Bundesamt für Zivilluftfahrt Bundesblatt Büro für Flugunfalluntersuchungen Buchstabe Bundesamt für Sozialversicherung Beziehungsweise Chief Executive Officer, leitender Direktor eines Unternehmens Schweizer Franken Credit Suisse First Boston Credit Suisse Group das heisst Eidgenössisches Departement für auswärtige Angelegenheiten Eidgenössisches Departement des Innern Eidgenössisches Finanzdepartement Eidgenössische Finanzverwaltung Europäische Gemeinschaft Eidgenössisch Eidgenössisches Justiz- und Polizeidepartement Eidgenössisches Personalamt Europäische Union Eidgenössisches Verkehrs- und Energiewirtschaftsdepartement Europäische Wirtschaftsgemeinschaft Flugdienstordnung folgende Franken Geschäftsprüfungskommission des Nationalrates Geschäftsprüfungskommission des Ständerates International Civil Aviation Organisation, Internationale Zivilluftfahrt-Organisation Joint Aviation Authorities Joint Aviation Requirements Luftfahrtgesetz

LFV LTU

Luftfahrtverordnung Lufttransport-Unternehmen GmbH & Co. KG, Deutsche Fluggesellschaft Mio.

Millionen MSAS Maintenance System Approval Statement NGO's Nicht-Regierungsorganisationen OG-UVEK Organisationsverordnung für das Eidgenössische Departement für Umwelt, Verkehr, Energie und Kommunikation OR Obligationenrecht PD Privatdozentin PUK Parlamentarische Untersuchungskommission S.

Seite SAFA Safety Assessment of Foreign Aircraft SAirGroup Swissair-Gruppe SchKG Bundesgesetz über Schuldbetreibung und Konkurs seco Staatssekretariat für Wirtschaft SR Systematische Sammlung des Bundesrechts UNO United Nations Organisation, Organisation der Vereinten Nationen UVEK Eidgenössisches Departement für Umwelt, Verkehr, Energie und Kommunikation VBS Eidgenössisches Departement für Verteidigung, Bevölkerungsschutz und Sport vgl.

vergleiche VJAR-145 Verordnung über die Luftfahrzeug-Unterhaltsbetriebe VJAR-OPS 1 Verordnung über den Betrieb von Flugzeugen im gewerbsmässigen Lufttransport VLVA Verordnung über die Leistungen bei vorzeitigem Altersrücktritt z.B.

zum Beispiel

5495

Anhang 1

Gutachten für die Geschäftsprüfungskommission des Ständerates Die Aufsichtspflicht des BAZL im Zusammenhang mit dem «Grounding» der Swissair Philippe Rochat Dr. iur Genf vom 2. September 2002

5496

Regula Dettling-Ott PD Dr. iur., Rechtsanwältin Winterthur

Inhaltsverzeichnis Auftrag und Vorgehen A. Die rechtliche Grundlage der Aufsichtspflicht des BAZL I.

Überblick über die gesetzlichen Grundlagen für die Aufsichtspflicht über Fluggesellschaften 1 Schweizerisches Recht 2 EG-Recht II.

Betriebsbewilligungen: Die gesetzlichen Grundlagen für die Erteilung, die Überwachung, die Erneuerung und den Entzug einer Betriebsbewilligung für gewerbsmässigen Luftverkehr 1 Grundlagen 1.1 Art. 27 LFG 1.2 Art. 103 LFV 1.3 Zum Umfang der vom BAZL erteilten Betriebsbewilligungen 2 Die Anforderungen des schweizerischen Rechts zur Erteilung einer Betriebsbewilligung im Einzelnen 2.1 Kategorien von Anforderungen 2.2 Angaben über operationelle und technische Anforderungen 2.3 Angaben zur wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit 2.4 Die Prüfung der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit 2.5 Die Praxis des BAZL zur Prüfung der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit der Antragsteller 2.6 Exkurs: Die Anforderungen an die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit bei Fluggesellschaften in einer Holdingstruktur 3 Die Anforderungen der EG-Verordnung 2407/92 zur Erteilung einer Betriebsbewilligung 3.1 Allgemeine Bemerkung zur Anwendung der EG-Verordnung 2407/92 3.2 Die Anforderungen der EG-Verordnung 2407/92 im Einzelnen 4 Die Anforderungen des schweizerischen und europäischen Rechts über die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit eines Antragstellers im Vergleich 5 Die laufende Überwachung der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit von Bewilligungsinhabern 5.1 Grundlage des schweizerischen Rechts für die laufende Überwachung (Art. 102 LFV) 5.2 Die laufende Überprüfung von Bewilligungsinhabern gemäss EG-Verordnung 2407/92 5.3 Die Praxis des BAZL zur laufenden Überwachung der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit bisheriger Genehmigungsinhaber 6 Die Erneuerung der Betriebsbewilligung 6.1 Die Erneuerung nach schweizerischem Recht 6.2 Die Erneuerung einer Betriebsbewilligung gemäss der EGVerordnung 2407/92

5497

7

III.

IV.

Der Entzug einer Betriebsbewilligung 7.1 Der Entzug nach schweizerischem Recht 7.2 Widerruf und Sistierung gemäss der EG-Verordnung 2407/92 7.3 Divergenz zwischen Art. 102 LFV und Art. 5 EG-Verordnung 2407/92 7.4 Die Praxis des BAZL zum Entzug und der Sistierung von Betriebsbewilligungen 8 Anforderungen an die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit bei der Änderung der Geschäftstätigkeit oder der Umstrukturierung eines Flugunternehmens 8.1 Art. 107 Abs. 3 LFV 8.2 Die Vorgaben der EG-Verordnung 2407/92 8.3 Divergenz zwischen Art. 107 LFV und EG-Verordnung 2407/92 Erteilung, Beaufsichtigung und Entzug einer Streckenkonzession 1 Die Erteilung von Streckenkonzessionen 1.1 Zu den Begriffen Streckenkonzession, Betriebs- und Beförderungspflicht 1.2 Die Erteilung der Streckenkonzession nach schweizerischem Recht 1.3 Erteilung der Streckenkonzession gemäss EG-Verordnung 2408/ 92 2 Sistierung und Entzug von Streckenkonzessionen 3 Die Praxis des UVEK zu Erteilung, Beaufsichtigung und Entzug einer Streckenkonzession Die Aufsichtspflicht des BAZL als gesetzliche Aufgabe 1 Die Funktion der Aufsichtspflicht in einem liberalisierten Umfeld 2 Die Aufsicht über die operationelle und technische Sicherheit als primäre Aufgabe der Aufsichtsorgane 3 Die Überwachung der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit als Teil der Aufsichtspflicht 4 Die Aufteilung der Aufsichtspflicht zwischen UVEK und BAZL 5 Das Inkrafttreten des Bilateralen Luftverkehrs- abkommens: Personelle Auswirkungen 5.1 Die heutige Personalsituation 5.2 Künftiger Bedarf

B. Die Ausübung der Aufsichtspflicht gegenüber der Swissair I.

Einführung II.

Umwandlung der Swissair in eine Holding III. Rücktritt des Bundes aus dem Verwaltungsrat der SAirGroup IV. Übertragung der Betriebskonzession V.

Erteilung eines Luftverkehrsbetreiberzeugnisses (AOC) und Erneuerung der allgemeinen Betriebsbewilligung für die Durchführung von Flügen im Nichtlinienverkehr VI. Erteilung einer Streckenkonzession

5498

VII.

Erteilung einer allgemeinen Betriebsbewilligung für die gewerbsmässige Beförderung von Personen und Gütern 1 Zusammenhang 2 Prüfung des Gesuchs der Swissair und der Beilagen 3 Finanzielle Aussichten und flüssige Mittel VIII. Ausübung der laufenden Aufsicht, insbesondere 2001 1 Technische und operationelle Aufsicht 2 Wirtschaftliche und finanzielle Aufsicht IX. Ausübung der Auskunfts- und Meldepflicht durch die Swissair X.

Stilllegung der Swissair-Flotte am 2. und 3. Oktober 2001 XI. Sistierung oder Entzug der allgemeinen Betriebsbewilligung?

C. Personelle Verflechtungen?

D. Vergleich mit der Praxis ausländischer Luftfahrtbehörden I.

Vorbemerkungen II.

Kurze Untersuchung der Lage in verschiedenen Ländern 1 Deutschland 2 Niederlande 3 Frankreich 4 Grossbritannien 5 Australien 6 Kanada 7 USA III. Vergleichende Beurteilung IV. Schutz der Konsumenten vor den Folgen einer Stillegung E. Prüfungen der ICAO I.

Allgemeines II.

Prüfung des BAZL im November 2000 III. Vergleich der Bemerkungen der ICAO mit denen der Gutachter F. Inspektionen der Swissair im Rahmen des europäischen SAFA-Programms G. Die Luftfahrtkommission I.

Die gesetzlichen Grundlagen II.

In der Kommission behandelte Themen seit 1997 1 Sitzung vom 2. Dezember 1997 2 Sitzung vom 10. März 1998 3 Sitzung vom 15. September 1998 4 Sitzung vom 13. März 2001 5 Sitzung vom 30. Oktober 2001 6 Sitzung vom 30. November 2001 7 Zusammenfassung der Diskussionen über die Aufsichtspflicht in der Luftfahrtkommission 5499

III.

Die Rolle der Kommission beim Swissair-Debakel

H. Zusammenfassung und Schlussfolgerung I. Empfehlungen Beilagenverzeichnis

5500

Auftrag und Vorgehen Am 15. Mai 2002 hat der Präsident der Geschäftsprüfungskommission des Ständerates (GPK-S) die Unterzeichnenden beauftragt, ein Gutachten über die Rolle des BAZL beim Zusammenbruch der Swissair zu erstellen. Die GPK-S hat zusammen mit den Gutachtern den Auftrag formuliert (Anhang 1). Die Gutachter haben die Bearbeitung der gestellten Fragen wie folgt aufgeteilt: Frau Dettling-Ott hat die Kapitel A., G. I. und II., Herr Rochat die Kapitel B., C., D., E., F. und G. III. bearbeitet. Die Gutachter haben ihr Vorgehen koordiniert, tragen jedoch für die jeweiligen Antworten allein die Verantwortung. Das gilt auch für die Zusammenfassung und Schlussfolgerungen (Kapitel H.). Die Empfehlungen (Kapitel I.) haben die Gutachter zusammen verfasst.

Die Gutachter haben dem Bundesamt für Zivilluftfahrt (BAZL) am 21. Mai 2002 schriftlich Fragen unterbreitet (Anhang 2a). Am 14. Juni 2002 haben sie die schriftlichen Antworten auf diese Fragen erhalten (Anhang 2b).

Es fanden die folgenden Besprechungen statt: ­

27. Mai 2002 in Bern mit dem Direktor des BAZL, Herrn André Auer

­

7. Juni 2002 in Bern mit den Herren André Auer, Daniel Ruhier, Urs Haldimann, Otto Aaregger und Matthias Suhr, BAZL

­

13. Juni 2002 in Bern mit dem Generalsekretär des UVEK, Herrn Dr. Hans Werder und dem stv. Generalsekretär des UVEK, Herrn André Schrade

­

21. Juni 2002 in Bern mit den Herren André Schrade, stv. Generalsekretär des UVEK, Roland Wittwer, Fürsprecher im Generalsekretariat des UVEK und Hans Rudolf Dörig, stv. Generalsekretär UVEK

Zudem gab es verschiedene Kontakte mit Verantwortlichen von ausländischen Luftfahrtbehörden sowie mit Experten aus dem Ausland. Sie haben gewünscht, nicht namentlich zitiert zu werden.

Zusätzlich haben die Gutachter die in Anhang 3 genannten Unterlagen eingesehen und für das Gutachten verwendet. Diese Unterlagen haben sie von der GPK-S, vom BAZL, vom UVEK sowie von weiteren Quellen ausserhalb der Bundesverwaltung erhalten.

Die Gutachter wurden bei ihrer Arbeit von Dr. iur. Christian Conti, Rechtsanwalt in Winterthur, unterstützt.

5501

A.

I.

1

Die rechtliche Grundlage der Aufsichtspflicht des BAZL Überblick über die gesetzlichen Grundlagen für die Aufsichtspflicht über Fluggesellschaften Schweizerisches Recht

Gestützt auf Artikel 3 LFG112 übt der Bundesrat durch das UVEK die Aufsicht über die Luftfahrt aus (Art. 3 Abs. 1 LFG). Die «unmittelbare Aufsicht» nimmt das BAZL wahr (Art. 3 Abs. 2 LFG).

Eine der Aufgaben des BAZL ist die Ausstellung von Betriebsbewilligungen für Unternehmen des gewerbsmässigen Luftverkehrs. Diese Betriebsbewilligungen werden für schweizerische Unternehmen aufgrund von Artikel 27 LFG und Artikel 100 ff. LFV113 erteilt. Das BAZL ist auch zuständig für die Erneuerung und den Entzug von Betriebsbewilligungen. Damit beaufsichtigt es Flugunternehmen, die gewerbsmässig Beförderungen anbieten.

Für die gewerbsmässige Beförderung von Personen und Gütern im Linienverkehr ­ im Verhältnis zu den EU-Mitgliedstaaten auch im Nicht-Linienverkehr ­ braucht ein Luftfahrtunternehmen zusätzlich eine Streckenkonzession, um auf einer bestimmen Route oder auf bestimmten Routen Verkehrsdienste anzubieten. Streckenkonzessionen stellt das UVEK aus; das Departement ist auch zuständig für deren Erneuerung und Entzug und beaufsichtigt damit die Inhaber von Streckenkonzessionen.

2

EG-Recht

Seit dem 1. Juni 2002 ist die Schweiz durch das Inkrafttreten der Bilateralen Verträge zwischen der Schweiz und der Europäischen Gemeinschaft in luftrechtlicher Hinsicht den Mitgliedstaaten der EU gleichgestellt. Ausgenommen sind bestimmte Verkehrsrechte, die erst später gewährt bzw. ausgehandelt werden sollen. Zusammen mit dem sektoriellen Luftverkehrsabkommen hat die Schweiz aufgrund des «acquis communautaire» die bei der Unterzeichnung des Abkommens (Juni 1999) geltenden Verordnungen und Richtlinien der EU auf dem Gebiet des Luftrechts übernommen114. Dazu gehören zwei Verordnungen, welche den Betrieb von Fluggesellschaften betreffen: Die EG-Verordnung 2407/92 regelt die Erteilung von Betriebsgenehmigungen115, die EG-Verordnung 2408/92 die Genehmigung, auf einer

112

Bundesgesetz über die Luftfahrt (Luftfahrtgesetz, LFG) vom 21. Dezember 1948, SR 748.0.

Verordnung über die Luftfahrt (Luftfahrtverordnung, LFV) vom 14. November 1973, SR 748.01.

114 Vgl. dazu Regula Dettling-Ott, Das Abkommen über den Luftverkehr, in: Bilaterale Verträge Schweiz-EG, Ein Handbuch, 2002, S. 461 ff.

115 Verordnung (EWG) Nr. 2407/92 des Rates über die Erteilung von Betriebsgenehmigungen an Luftfahrtunternehmen vom 23. Juli 1992, ABl. EG Nr. L 240 vom 24. August 1992, S. 1. Die EG-Verordnung 2407/92 spricht von «Betriebsgenehmigung» statt von «Betriebsbewilligung»; die Begriffe sind identisch und werden in diesem Gutachten synonym gebraucht.

113

5502

bestimmten Strecke Flugdienste anzubieten116. Direkt anwendbar sind diese beiden Verordnungen in der Schweiz erst seit dem 1. Juni 2002. Sie sind jedoch bereits seit 1998 für die Auslegung von schweizerischen Bestimmungen zu berücksichtigen, soweit der schweizerische Gesetzgeber bei der Revision des LFG und der LFV von 1998 wesentliche Punkte der Verordnungen ­ gerade im Bereich der Betriebsbewilligungen ­ wörtlich übernahm.

Die EG-Verordnung 2407/92 enthält in Artikel 3 Absatz 1 die Grundlage für die Aufsichtspflicht über Bewilligungsinhaber: Die Mitgliedstaaten dürfen Betriebsgenehmigungen nur erteilen oder ihre Gültigkeit aufrecht erhalten, wenn die Voraussetzungen der Verordnung erfüllt sind.

II.

1 1.1

Betriebsbewilligungen: Die gesetzlichen Grundlagen für die Erteilung, die Überwachung, die Erneuerung und den Entzug einer Betriebsbewilligung für gewerbsmässigen Luftverkehr Grundlagen Art. 27 LFG

Schweizerische Fluggesellschaften, die gewerbsmässig Passagiere, Gepäck und Fracht befördern, brauchen gestützt auf Artikel 27 LFG eine Betriebsbewilligung117.

Die Anforderungen für die Bewilligung umschreibt das Gesetz zusammengefasst wie folgt (Wortlaut der Bestimmung in Anhang 4): ­

im schweizerischen Luftfahrzeugregister eingetragene Luftfahrzeuge;

­

Benützungsrechte auf einem schweizerischen Flughafen;

­

fachliche Eignung und Organisation, um einen sicheren und möglichst ökologischen Betrieb der Luftfahrzeuge zu gewährleisten;

­

wirtschaftliche Leistungsfähigkeit;

­

zuverlässiges Finanz- und Rechnungswesen;

­

ausreichende Versicherung;

­

Luftfahrzeuge, die dem jeweiligen Stand der Technik entsprechen, mindestens den international vereinbarten Mindeststandards bezüglich Lärm und Schadstoffen.

116

Verordnung (EWG) 2408/92 des Rates über den Zugang von Luftfahrtunternehmen der Gemeinschaft zu Strecken des innergemeinschaftlichen Flugverkehrs vom 23. Juli 1992, ABl. EG Nr. L 240 vom 24. August 1992, S. 8.

117 Gemäss Art. 29 LFG benötigen ausländische Fluggesellschaften, soweit Staatsverträge nichts anderes vorsehen, eine Bewilligung des Bundesamtes. Die Anforderung für die Erteilung dieser Bewilligung gehen weniger weit.

5503

1.2

Art. 103 LFV

Artikel 103 LFV präzisiert die Anforderungen; zusätzlich werden verlangt (zusammengefasst, voller Wortlaut der Bestimmung in Anhang 5): ­

Eintrag im schweizerischen Handelsregister;

­

Tatsächliche Kontrolle des Unternehmens und mehrheitliches Eigentum durch Schweizer Bürger bzw. Ausländer, die Schweizer Bürgern oder schweizerischen Unternehmen durch einen Staatsvertrag gleichgestellt sind.

Bei Aktiengesellschaften muss mehr als die Hälfte des Aktienkapitals aus Namenaktien bestehen und sich mehrheitlich im Eigentum von Schweizer Bürgern befinden bzw. in mehrheitlichem Eigentum von Ausländern, die Schweizer Bürgern oder schweizerischen Unternehmen durch einen Staatsvertrag gleichgestellt sind;

­

Luftverkehrsbetreiberzeugnis, das insbesondere die Flugbetriebs- und Unterhaltsorganisation regelt;

­

die vom Gesuchsteller betriebenen Luftfahrzeuge müssen die Mindestanforderungen für die vorgesehenen Dienste erfüllen;

­

Verfügung über mindestens ein Luftfahrzeug (als Halter oder als ausschliesslicher Berechtigter);

­

Flugbesatzungen mit genügenden Ausweisen;

­

Benützungsrechte auf einem schweizerischen Flughafen;

­

Glaubhaftmachen, dass das Unternehmen aufgrund von realistischen Annahmen seinen Verpflichtungen während 24 Monaten nach Aufnahme der Tätigkeit jederzeit nachkommen kann;

­

Glaubhaftmachen, dass das Unternehmen aufgrund von realistischen Annahmen für die fixen und variablen Kosten gemäss seinem Wirtschaftsplan während drei Monaten nach Aufnahme der Tätigkeit ohne Berücksichtigung von Betriebseinnahmen aufkommen kann.

Die LFV gewichtet die einzelnen Anforderungen nicht, ermächtigt jedoch das BAZL in begründeten Fällen bei der Erteilung einer Betriebsbewilligung Ausnahmen zu gewähren bezüglich des Eintrages im Handelsregister, der Kontrolle und den Eigentumsverhältnissen, der Beteiligung und der Benützungsrechte118. Daraus ist zu schliessen, dass die Anforderungen bezüglich des Luftverkehrsbetreiberzeugnisses119, der Flugbetriebs- und Unterhaltsorganisation120, der verfügbaren Flugzeuge121, der Flugbesatzungen122 und der wirtschaftlichen Voraussetzungen123 immer erfüllt sein müssen, wenn das BAZL eine Betriebsbewilligung für gewerbsmässigen Luftverkehr erteilt124.

118 119 120 121 122 123 124

Art. 103 Abs. 4 LFV.

Air Operator Certificate, AOC.

Art. 103 Abs. 1 lit. d LFV.

Art. 103 Abs. 1 lit. e und f LFV; vorbehalten Art. 103 Abs. 3 LFV.

Art. 103 Abs. 1 lit. g LFV.

Art. 103 Abs. 1 lit. i LFV.

Die Tragweite von Art. 103 Abs. 1 lit. i LFV wird in Teil A, Ziff. II/2.3 ausführlich dargelegt.

5504

1.3

Zum Umfang der vom BAZL erteilten Betriebsbewilligungen

a) Erteilte Bewilligungen Ende April 2002 waren vom BAZL die folgenden Betriebsbewilligungen ausgestellt worden: 82 Unternehmen mit Flächenflugzeugen, 36 Unternehmen mit Helikoptern und 50 für Ballonunternehmen. In den Jahren 2000 und 2001 hat das BAZL nach eigenen Angaben für die gleichen Kategorien insgesamt 6 bzw. 0 bzw. 7 neue Bewilligungen erteilt; 1998 und 1999 hat es deren 5 bzw. 4 bzw. 10 ausgestellt125.

b) Verweigerte Bewilligungen In Bezug auf Unternehmen mit Flächenflugzeugen hat das BAZL bis heute keinem Gesuchsteller die Erteilung einer Betriebsbewilligung förmlich verweigert. In allen Fällen, in welchen ein Gesuchsteller die Voraussetzungen für die Erteilung einer Betriebsbewilligung nicht erfüllte, wurde das Gesuch vorzeitig zurückgezogen126.

2 2.1

Die Anforderungen des schweizerischen Rechts zur Erteilung einer Betriebsbewilligung im Einzelnen Kategorien von Anforderungen

Im Folgenden wird aufgezeigt, welche Anforderungen das BAZL zu prüfen hat, wenn es eine Betriebsbewilligung erteilt. Dabei werden die technischen und operationellen Anforderungen nur summarisch dargestellt (Kap. 2.2) und die Anforderungen, die auf Bestätigung von Dritten beruhen (nachfolgend c) nicht speziell erörtert.

Die Ausführungen beschränken sich auf die Anforderungen welche das BAZL aufgrund der Selbstdeklaration des Antragstellers bewerten muss (nachfolgend b).

a) Vom BAZL materiell geprüfte Anforderungen Bestimmte gesetzliche Anforderungen für die Erteilung einer Betriebsbewilligung prüft das BAZL durch eigene Mitarbeiter. Dazu gehören in erster Linie die technischen und operationellen Anforderungen für die Ausstellung des Luftverkehrsbetreiberzeugnisses und den Nachweis der Wartungsorganisation127. Dabei handelt es sich um zwei eigenständige Verfahren, die je mit einem Zeugnis abgeschlossen werden128. Im eigentlichen Verfahren der Erteilung einer Betriebsbewilligung prüft das BAZL nur, ob die erwähnten Zeugnisse gültig sind.

b) Selbstdeklaration des Gesuchstellers Verschiedene Anforderungen der LFV prüft das BAZL anhand von Dokumenten, die der Gesuchsteller auf Grund von eigenen Unterlagen oder Berechnungen erstellt.

Dazu gehört insbesondere die Kopie des Aktionärsregisters und die Angaben über die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit. Das BAZL muss aufgrund dieser Unterlagen

125 126 127 128

Antworten BAZL auf Fragen 1 und 2 (Anhang 2b).

Antworten BAZL auf Frage 4 (Anhang 2b).

Siehe Teil A, Ziff. II/2.2.

Siehe Teil A, Ziff. II/2.2.

5505

entscheiden, ob der Gesuchsteller die entsprechenden gesetzlichen Anforderungen glaubhaft gemacht hat129.

c) Bestätigungen Dritter Das BAZL verlangt in verschiedenen Punkten einen Nachweis, deren Richtigkeit es nicht selber nachprüft, weil es sich um amtliche Dokumente handelt, um Auszüge aus öffentlichen Registern oder weil die Dritten, welche die Bestätigung ausstellen, zu deren Bestätigung abschliessend zuständig sind. In diesen Punkten genügt es, wenn dem BAZL die entsprechenden Papiere vorliegen.

Zu diesen Nachweisen gehören der Handelsregistereintrag, inkl. Nachweis des Aktienkapitals und der Zeichnungsberechtigung, der Nachweis der Benützungsrechte auf einem schweizerischen Flughafen und der Nachweis von Luftfahrzeugen, die im schweizerischen Luftfahrzeugregister eingetragen sind.

2.2

Angaben über operationelle und technische Anforderungen

Gestützt auf die gesetzlichen Grundlagen prüft das BAZL, ob ein Antragsteller operationell und technisch die Voraussetzungen erfüllt, um gewerbsmässig Personen und Güter zu befördern. Es beurteilt, ob Flugzeuge vorhanden sind, die den gesetzlichen Anforderungen entsprechen und deren Betrieb in Übereintimmung mit den gesetzlichen Vorgaben organisiert ist, ob der Gesuchsteller über eine geeignete Wartungsorganisation verfügt und ob er Benützungsrechte auf einem schweizerischen Flughafen hat.

Die technischen und operationellen Voraussetzungen prüft das BAZL, indem es verlangt, dass der Antragsteller über ein Luftverkehrsbetreiberzeugnis (AOC) verfügt. Dieses Zeugnis wird aufgrund europaweit vereinheitlichter Normen, den Joint Aviation Requirements (JAR)130 ausgestellt, welche durch die Joint Aviation Authorities (JAA)131 erlassen wurden. Die Schweiz hat die Vorschriften der JAA gestützt auf Artikel 6a LFG in Verordnungen übernommen. Damit erübrigte sich, dass der schweizerische Gesetzgeber eigene Anforderungen für die Ausstellung eines AOC formuliert132. Das BAZL muss und darf deshalb in Bezug auf die operationellen Voraussetzungen nur verlangen, was in den JAR enthalten ist. Verfügt der Antragsteller einer Betriebsbewilligung bereits über ein gültiges AOC, kann und muss dieses für die Ausstellung einer Betriebsbewilligung genügen. Hat der Antragsteller noch kein AOC, stellt das BAZL dieses aus; dieses Verfahren ist aufwändig und dauert mehrere Wochen bis Monate, weil das BAZL sämtliche operationellen Aspekte des Flugbetriebs prüft (Flughandbücher (Manuals), welche die Flugverfah-

129 130

Siehe Teil A, Ziff. II/2.4.

JAR gibt es über die Herstellung, den Betrieb und den Unterhalt von Flugzeugen sowie über die Ausweise für Flugpersonal.

131 Die JAA ist eine Stiftung nach holländischem Recht, in der sich zahlreiche europäische Luftfahrtbehörden ­ darunter auch das BAZL ­ zusammengeschlossen haben. Sie bezweckt die Entwicklung und Einführung von gemeinsamen Sicherheitsstandards und Verfahren.

132 Verordnung über den Betrieb von Flugzeugen im gewerbsmässigen Lufttransport (VJAR­OPS 1) vom 8. September 1997, SR 748.127.8.

5506

ren festlegen, Crew Training inkl. Zulassung ausländischer Piloten und Ausbildung der vorgesehenen Piloten, Ground Operations inkl. Security).

Im weiteren muss der Antragsteller nachweisen, dass er für die eingesetzten Flugzeuge über eine Wartungsorganisation verfügt, die den gesetzlichen Anforderungen entspricht: Auch hier gibt es JAR, welche Anforderungen festlegen und von der Schweiz übernommen wurden (MSAS, Maintenance System Approval Statement133). Entweder stellt das BAZL das MSAS selber aus oder es überprüft, ob der Antragsteller ein gültiges MSAS vorweisen kann.

Im Rahmen des vorliegenden Rechtsgutachtens äussert sich die Gutachterin nicht zur Frage, wie die Arbeit des BAZL bei der Ausstellung des AOC und des MSAS zu bewerten ist. In diesem Punkt muss auf die Beurteilung der ICAO abgestellt werden134.

2.3

Angaben zur wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit

a) Die gesetzlichen Anforderungen (Art. 27 Abs. 2 lit. c LFG und Art. 103 Abs. 1 lit. i LFV) Nach Artikel 27 Absatz 2 Buchstabe c LFG darf eine Betriebsbewilligung nur erteilt werden, wenn das Unternehmen «wirtschaftlich leistungsfähig ist und über ein zuverlässiges Finanz- und Rechnungswesen verfügt». Artikel 27 Absatz 4 LFG ermächtigt den Bundesrat, die Voraussetzungen für die verschiedenen Betriebsarten festzusetzen. Dies hat er in Artikel 103 LFV getan und in Absatz 1 Buchstabe i spezifiziert, wie das Unternehmen die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit glaubhaft machen muss.

Gemäss Artikel 103 Absatz 1 Buchstabe i LFV darf eine Betriebsbewilligung nur erteilt werden, wenn der Gesuchsteller glaubhaft machen kann, er verfüge über genügend finanzielle Mittel, um seinen Verpflichtungen während 24 Monaten nach Aufnahme der Tätigkeit nachzukommen und die fixen und variablen Kosten des Flugbetriebs während drei Monaten (90 Tagen) nach Aufnahme der Tätigkeit unabhängig von den Betriebseinnahmen decken zu können. Artikel 103 Absatz 1 Buchstabe i LFV verlangt damit kumulativ, dass aus finanzieller Sicht der Betrieb nach Aufnahme der Tätigkeit während zwei Jahren gesichert ist und der Antragsteller während drei Monaten nach Aufnahme der Tätigkeit über ausreichende Liquidität verfügt, um die Flugzeuge betreiben zu können, unabhängig davon, ob ihm aus dem Betrieb Einnahmen zufliessen.

In welcher Form der Gesuchsteller das vom Gesetz verlangte «zuverlässige Finanzund Rechnungswesen» nachweisen muss, spezifiziert die LFV nicht.

b) Die vom BAZL verlangten Angaben Ein internes Arbeitspapier des BAZL mit dem Titel «Management System, Process Air Transport Companies», Blatt «Financial and Economics» (Anhang 6) zeigt auf, welche Dokumente das BAZL seit der Gesetzesrevision von 1998 vom Gesuchstel-

133

Verordnung über die Luftfahrzeug-Unterhaltsbetriebe (VJAR-145) vom 20. Oktober 1995, SR 748.127.3.

134 Siehe Teil E, Ziff. II.

5507

ler verlangt; diese Punkte werden vom Gesuchsteller gemäss einem Musterbrief verlangt (Anhang 7): ­

Beglaubigte Unternehmensbilanz und Erfolgsrechnung;

­

Nachweis der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit ­ Verfügung über ein zuverlässiges Finanz- und Rechnungswesen ­ Finanzplan (Businessplan) für mindestens 24 Monate ­ Budget der fixen und variablen Kosten für drei Monate ­ Prüfung der Eigenmittel ­ Eröffnungsbilanz bei neuen Unternehmungen135.

Weiter geht die Beschreibung der Anforderungen nicht. Insbesondere wird nicht spezifiziert, welchen Anforderungen der Businessplan genügen muss und welche Angaben zu den «fixen und variablen Kosten»136 zu liefern sind; es wird auch nicht spezifiziert, welche Angaben die Eröffnungsbilanz enthalten muss. Ebensowenig verlangt das BAZL auf den Formularen, dass Gesuchsteller die behaupteten Angaben durch Belege nachweisen müssen (zum Beispiel Auszüge von Bankkonten137).

2.4

Die Prüfung der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit

a) Pflichtgemässes Ermessen bei der Prüfung Ob der Antragsteller wirtschaftlich leistungsfähig ist, muss das BAZL ­ wie alle übrigen Voraussetzungen ­ nach pflichtgemässem Ermessen beurteilen (Willkürverbot, Rechtsgleichheits- und Verhältnismässigkeitsgebot, Treu und Glauben)138. Dies bedeutet insbesondere, dass das BAZL die Angaben des Antragstellers und die massgeblichen Unterlagen überprüft und bei Zweifeln an deren Richtigkeit weitere Nachforschungen tätigt.

b) Beweismass für die Prüfung: Glaubhaftmachung Artikel 103 Absatz 1 Buchstabe i LFV verlangt keinen strikten Nachweis der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit des Antragstellers139. Es genügt, wenn der Antragsteller das Vorliegen dieser Voraussetzung glaubhaft macht. Damit wird das Beweismass im Vergleich zum vollen Beweis reduziert. Was unter Glaubhaftmachen

135 136

Aufstellung gemäss Blatt LV 3-11-IA-I50 (Anhang 6).

In der Betriebswirtschaftslehre werden als fixe Kosten die Kosten bezeichnet, die von der Produktionsmenge unabhängig sind. Ihre Höhe ist immer gleich, unabhängig davon, wieviel produziert wird. Als variable Kosten werden die Kosten bezeichnet, die von der Produktionsmenge abhängig sind. Die Kosten für jede produzierte Einheit bleiben dabei etwa konstant, vgl. Armin Seiler, Accounting, BWL in der Praxis, 1998, S. 173.

137 Nach Angaben des BAZL wurden Auszüge von Bankkonton verlangt. Die Gutachterin konnte diese Angaben aus Zeitgründen nicht systematisch überprüfen.

138 BGE 126 II 115 mit Verweisen.

139 Siehe Teil A, Ziff. II/2.3/b.

5508

­ im Gegensatz zum vollen Beweis ­ zu verstehen ist, ist nicht klar140. Die LFV selber enthält keine Definition.

Für die Anordnung einer vorsorglichen Massnahme im Zivilprozess oder Verwaltungsverfahren bedeutet Glaubhaftmachen, dass es genügt, wenn der Richter oder die Behörde das Vorhandensein einer Tatsache für überwiegend wahrscheinlich hält.

Nicht erforderlich ist, dass sämtliche Zweifel beseitigt sind. Der volle Beweis würde demgegenüber verlangen, dass der Richter oder die Behörde vom Vorhandensein der Tatsache überzeugt ist141.

Die Definition des Glaubhaftmachens im Bereich von vorsorglichen Massnahmen kann für die Ausstellung einer Betriebsbewilligung jedoch nicht unbesehen übernommen werden. Im Verfahren für die Erteilung einer Betriebsbewilligung geht es nicht um eine bloss vorläufige, sondern um die definitive Regelung eines Sachverhalts. Artikel 103 Absatz 1 Buchstabe i LFV verlangt zudem nicht nur die Beurteilung feststehender Tatsachen, sondern auch eine Prognose über die Zukunft. Daraus ergeben sich Unterschiede mit Bezug darauf, was Glaubhaftmachen bedeutet: ­

Das BAZL muss die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des Antragstellers aufgrund von Angaben beurteilen, die vom Antragsteller selbst stammen.

Eine materielle Überprüfung dieser Angaben würde über den Zweck von Artikel 27 Absatz 2 Buchstabe c LFG und Artikel 103 Absatz 1 Buchstabe i LFV hinausgehen und wohl auch den Rahmen eines Verwaltungsverfahrens sowie die Möglichkeiten einer Verwaltungsbehörde sprengen. Mit Bezug auf die vom Antragsteller eingereichten Unterlagen bedeutet Glaubhaftmachen daher, dass sich das BAZL auf die Angaben des Antragstellers und die von ihm erstellten Unterlagen verlassen darf, sofern kein begründeter Anlass zu Zweifeln an deren Richtigkeit besteht.

­

Ob der Antragsteller während eines Zeitraums von 3 bzw. 24 Monaten nach Aufnahme der Tätigkeit seinen Verpflichtungen nachkommen kann, ist keine feststehende Tatsache, sondern hängt von zahlreichen Umständen ab, die in der Zukunft eintreten und zum Teil ausserhalb des Einflussbereichs des Antragstellers liegen. Diesbezüglich kann ein strikter Beweis nicht verlangt werden. Der Antragsteller kann naturgemäss die Einhaltung seiner Verpflichtungen nur glaubhaft machen.

Praktisch bedeutet dies, dass das BAZL seiner Prognose notwendigerweise Annahmen zu Grunde legen muss. Diese Annahmen müssen realistisch sein. Es genügt nicht, dass sie bloss mit überwiegender Wahrscheinlichkeit belegen, der Antragsteller könne seine Verpflichtungen über einen Zeitraum von zwei Jahren bzw.

140

In der französischen Fassung dieser Bestimmung wird «glaubhaft machen» mit «prouver de manière crédible» übersetzt. Trotz dieser ungenauen Übersetzung deutsch/französisch kann nach Auffassung der Gutachterin nicht davon ausgegangen werden, dass die Luftfahrtverordnung in Art. 103 Abs. 1 lit. i eine zusätzliche Beweisform zwischen der üblichen Glaubhaftmachung und dem (vollen) Beweis einführen wollte.

141 Die Definitionen für das Glaubhaftmachen variieren. Für das öffentliche Recht siehe etwa Kölz/Häner, Verwaltungsverfahren und Verwaltungsrechtspflege des Bundes, 2. Aufl., 1998, N 289; Rhinow/Koller/Kiss, Öffentliches Prozessrecht und Justizverfassungsrecht des Bundes, 1996, N 913. Für das Zivilprozessrecht siehe etwa Vogel/Spühler, Grundriss des Zivilprozessrechts, 7. Aufl., 2001, § 10 N 25 f. Auch im Sozialversicherungsrecht genügt vielfach der Beweisgrad der überwiegenden Wahrscheinlichkeit, vgl. etwa BGE 121 V 204, 208.

5509

90 Tagen nach Aufnahme der Tätigkeit einhalten. Vielmehr sollte aufgrund der vorhanden finanziellen Angaben angenommen werden können, dass der Antragsteller bei einer normalen Entwicklung des Unternehmens und des wirtschaftlichen Umfelds seinen Verpflichtungen nachkommen kann.

c) Die Prüfung der einverlangten Dokumente im Einzelnen aa) «Beglaubigte Unternehmensbilanz» und Erfolgsrechnung bzw. Eröffnungsbilanz Der Begriff «beglaubigte Unternehmensbilanz und Erfolgsrechnung»142 ist auslegungsbedürftig143. Eindeutig definiert sind «Unternehmensbilanz und Erfolgsrechnung»: Es handelt sich um Dokumente, die gemäss der kaufmännischen Buchführung i.S. des Obligationenrechts zu erstellen sind (Art. 958 ff. OR)144. Für Aktiengesellschaften verfeinert das OR die Rechnungslegungsvorschriften in Artikel 662 ff. OR145.

Weniger klar ist, was das BAZL mit «beglaubigt» verlangt. «Beglaubigt» ist ein Begriff aus dem Notariatswesen und bezeichnet die Bestätigung eines Notars. Wenn mit diesem Begriff eine Bestätigung des Notars gemeint ist, wird sich dies auf die Beglaubigung der Unterschrift(en) gemäss Artikel 961 OR beziehen. Nach dieser Vorschrift müssen die mit der Geschäftsführung betrauten Personen, der Firmeninhaber bzw. die persönlich haftenden Gesellschafter die Bilanz und die Betriebsrechnung unterzeichnen. «Beglaubigte Unternehmensbilanz und Erfolgsrechnung» würde bedeuten, dass diese Unterschriften zu beglaubigen sind.

Denkbar und naheliegend ist demgegenüber, dass das BAZL die Kriterien der EG-Verordnung 2407/92146 übernehmen wollte, wonach ­ sofern verfügbar, ­ «der geprüfte Abschluss des vorausgegangenen Geschäftsjahres» vorzulegen ist (Anhang A, Ziff. 1).

Liegt dem BAZL eine geprüfte Bilanz und Erfolgsrechnung vor, bedeutet diese Prüfung «eine Zusicherung, dass die finanzielle Lage des Unternehmens im Rahmen der gesetzlichen Vorschriften und der angewandten Rechnungslegungsnormen dargestellt ist»147. Das BAZL kann sich darauf verlassen, «dass die Prüfung und Beurteilung der Buchführung und der Jahresrechnung durch einen fachlich ausgewiesenen und unabhängigen Prüfer durchgeführt wurde»148.

In Anbetracht der dargestellten Überlegungen ist es aus Sicht der Gutachterin sinnvoll und genügend, wenn das BAZL vom Antragstellern einer Betriebsbewilligung eine geprüfte (testierte) Bilanz und Erfolgsrechnung
verlangt. Dabei ist zu beachten, dass seit dem 1. Juni 2002 und dem Inkrafttreten des Luftverkehrsabkommens die notwendige Einschränkung «sofern verfügbar» gilt, weil ein Antragsteller möglicherweise die Geschäftstätigkeit erst aufnimmt. In diesen Fällen kann das BAZL nur 142 143 144

145 146 147 148

Siehe Teil A, Ziff. II/2.3/b.

Siehe nachfolgender Abschnitt.

Vgl. dazu ausführlich Schweizer Handbuch der Wirtschaftsprüfung, 1998, HRSG Treuhand-Kammer der Wirtschaftsprüfer, Steuer- und Treuhandexperten Band 1, Ziff. 2, S. 7 ff.

Eingehend OR-Neuhaus, Kommentar zum schweizerischen Privatrecht, 1993, Art. 958 ff., insb. Art. 964 N 4 OR.

Siehe Teil A, Ziff. II/3.

Schweizer Handbuch der Wirtschaftsprüfung, 1998, Band 2, S. 3.

Schweizer Handbuch der Wirtschaftsprüfung, 1998, Band 2, S. 3.

5510

eine Eröffnungsbilanz verlangen, die ­ naturgemäss ­ nicht «geprüft» sein kann im dargestellten Sinn.

Die Vorlage der geprüften Bilanz- und Erfolgsrechnung kann jedoch nicht genügen, um den Nachweis der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit zu erbringen. Das BAZL muss prüfen, ob darin alle Zahlen enthalten sind, die es zur Beurteilung der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit braucht und es muss die darin enthaltenen Zahlen beurteilen, um zu entscheiden, ob der Gesuchsteller die Voraussetzungen von Artikel 103 Absatz 1 Buchstabe i LFV erfüllt149.

bb) Exkurs: Angaben zur wirtschaftlichen Situation eines Flugunternehmens gemäss «Financial Data» Form der ICAO Von der ICAO150 gibt es zwei Formulare151, mit dem die ICAO jährlich die statistischen Angaben über die im internationalen Luftverkehr152 tätigen Unternehmen erhebt. Die darin verwendete Klassifizierung reflektiert gleichzeitig die Standards der Rechnungslegung vieler US amerikanischer und europäischer Airlines153 und damit die wichtigsten wirtschaftlichen Daten einer Fluggesellschaft.

Die Angaben für ein Flugunternehmen, das Flüge im Linienverkehr anbietet, sind nach den folgenden Kriterien aufzuschlüsseln (Formular in Anhang 8): ­

Profit and Loss Statement (Erfolgsrechnung)

­

Balance Sheet (Bilanz)

­

Statement of Retained Earnings (Entwicklung der Reserven)

Die von der ICAO geforderten Angaben154 umfassen insgesamt 54 Detailpositionen.

Flugunternehmen, die im Nicht-Linienverkehr tätig sind, müssen weniger Angaben liefern; das Formular umfasst nur zwei Kategorien (Formular in Anhang 9): ­

Profit and Loss Statement (Erfolgsrechnung)

­

Balance Sheet (Bilanz)

Die von der ICAO geforderten Angaben155 enthalten 20 Detailpositionen.

Die genannten Angaben muss ein Unternehmen während seiner ganzen Tätigkeit als Fluggesellschaft seiner Aufsichtsbehörde melden. Aus dieser Überlegung wäre es durchaus gerechtfertigt, wenn man den Raster des ICAO-Formulars berücksichtigt, um die Angaben zu definieren, die ein Antragsteller für eine Betriebsbewilligung in Bezug auf die Bilanz und auf die Erfolgsrechnung vor der Aufnahme der Tätigkeit melden muss. Die Spezifikationen der ICAO können auch im Hinblick auf die Anwendbarkeit der EG-Verordnung 2407/92 nützlich sein, weil diese bei der Ertragsrechnung eine «Aufschlüsselung in luftverkehrsspezifische und andere Tätig149 150 151 152

153 154 155

Siehe dazu Teil A, Ziff. II/2.3/b.

International Civil Aviation Organisation (Internationale Zivilluftfahrt-Organisation), eine der UNO angeschlossene Organisation mit Sitz in Montreal, Kanada.

Air Transport Reporting Form, Financial Data.

Für den nationalen Verkehr ist die ICAO nicht zuständig; sie fordert jedoch ihre Mitgliedstaaten auf, auch für die bloss national tätigen Flugunternehmen die entsprechenden Angaben zu melden, Reporting Instructions, 1. Abschnitt.

Rigas Doganis, Flying off Course. The Economics of International Airlines, 2. Auflage 1991, S. 107 f. mit Verweis auf ICAO, Digest of Statistics, Series F, Financial Data.

Das Formular enthält zusätzliche Erläuterungen.

Das Formular enthält zusätzliche Erläuterungen.

5511

keiten» verlangt (Art. 2 lit. f EG-Verordnung 2407/92156). Das Statement of Retained Earnings (Entwicklung der Reserven) kann vor allem für die Kontrolle der Bewilligungsinhaber und für die Erneuerung einer Betriebsbewilligung relevant sein157.

cc) Verfügung über ein zuverlässiges Rechnungswesen Die Anforderung «Zuverlässiges Finanz- und Rechnungswesen» wird in den von BAZL benutzen Formularen nicht näher spezifiziert. Bei Gesellschaften, die der Pflicht zur kaufmännischen Buchführung unterliegen, ist eine solche Spezifikation nicht notwendig, weil das Obligationenrecht die Anforderungen definiert158. Das BAZL kann sich in diesem Punkt darauf beschränken, die Prüfung auf offensichtliche Mängel oder Fehler zu beschränken. Bei Antragstellern, die nicht der Pflicht zur kaufmännischen Buchführung unterliegen (z.B. Flugsportgruppen, die als Vereine organisiert sind), hat das BAZL jedoch nach objektiven und eigenen Kriterien zu prüfen, ob ein zuverlässiges Finanz- und Rechnungswesen vorhanden ist159.

dd) Finanzplan und Wirtschaftsplan Artikel 103 Absatz 1 Buchstabe i LFV verpflichtet den Antragsteller, einen Wirtschaftsplan einzureichen, der glaubhaft belegt, dass der Antragsteller während drei Monaten nach Aufnahme der Tätigkeit unabhängig von Betriebseinnahmen die fixen und variablen Kosten decken kann.

Die vom BAZL verwendeten Formulare definieren nicht, welchen Anforderungen der Wirtschaftsplan genügen muss. Es bestehen nach dem Wissen der Gutachterin auch keine internen Richtlinien160. Hingegen spezifiziert die EG-Verordnung 2407/92 in Artikel 2 die Anforderungen an den Wirtschaftsplan161: Es ist «eine genaue Beschreibung der vom Luftfahrtunternehmen beabsichtigten gewerblichen Tätigkeiten in dem betreffenden Zeitraum, insbesondere in bezug auf die Marktentwicklung und die Investitionsvorhaben einschliesslich ihrer finanziellen und wirtschaftlichen Auswirkungen»162. Berücksichtigt man diese Definition, zeigt sich, dass mit dem Wirtschaftsplan ein Businessplan gemeint ist163.

Ebenso fehlt eine Definition des Begriffs Finanzplan (Budget). Er wird auch in der EG-Verordnung 2407/92 nicht näher umschrieben. Das leuchtet ein, weil man annehmen kann, dass ein Wirtschaftsplan ein Budget umfasst und in diesem Sinn ein (separater) Finanzplan nur den Inhalt des geforderten Wirtschaftsplans verdeutlicht.

156 157 158 159 160

161 162 163

Siehe Teil A, Ziff. II/3.2.

Siehe Teil A, Ziff. II/6.

Siehe Teil A, Ziff. II/2.4/c/aa.

Vgl. z.B. die Kriterien des Schweizer Handbuchs der Wirtschaftsprüfung, 1998, Band 1, S. 7 ff.

Es gab eine interne Richtlinie von 11. März 1980, die jedoch auf die Ausstellung von Betriebsbewilligungen unter dem alten Recht, d.h. bis 1998 zugeschnitten war (Anhang 10).

Siehe Teil A, Ziff. II/3.2.

Art. 2 lit. e EG-Verordnung 2407/92.

Nach Auskunft einer Fachperson wird im schweizerischen Treuhand- und Revisionswesen der Ausdruck «Wirtschaftsplan» nicht verwendet.

5512

2.5

Die Praxis des BAZL zur Prüfung der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit der Antragsteller

Gemäss den Angaben des BAZL prüft eine Person (Sachbearbeiter) die Dossiers der Antragsteller auf das Kriterium der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit. Diese Person hat eine kaufmännische Ausbildung und Erfahrung in der Versicherungsbranche. Eine/n Mitarbeiter/in mit speziellen betriebswirtschaftlichen Kenntnissen einer Fluggesellschaft gab und gibt es nicht im «Prozessteam Luftverkehrsbetriebe», das beim BAZL für die Beurteilung der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit von Antragstellern zuständig ist. Das BAZL hat entsprechendes Know-How auch nicht in einer anderen Abteilung der Bundesverwaltung oder extern eingeholt164.

Beaufsichtigt wird die Person, welche die Dossiers der Antragsteller prüft, vom Leiter des «Prozessteams Luftverkehrsbetriebe». Dieser Leiter verfügt über eine jahrelange Erfahrung und kann die Angaben der Antragsteller aufgrund dieser Erfahrung beurteilen. Damit hängt jedoch die Beurteilung der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit eines Antragstellers, insbesondere in schwierigen Fällen, weitgehend von der Person dieses Teamleiters ab165.

Die von der Gutachterin eingesehenen Dossiers von Antragstellern zeigen, dass die Qualität der Angaben stark variiert. Einige Dossier enthalten einen auf den ersten Blick umfangreichen Businessplan, der jedoch ein Standardprodukt einer Beratungsfirma ist und dem BAZL in der gleichen Art/Aufmachung und mit den gleichen Formulierungen für andere Bewerber eingereicht wurde. Auffallend ist auch, dass die Gesuchsteller dank Computerprogrammen Tabellen füllen können, die in sich zwar stimmen mögen, aber nicht durch Fakten (Einsatzpläne, Arbeitsverträge, Kontoauszüge) belegt sind. Einzig die Kopien von Miet- oder Kaufverträgen für Flugzeuge sind in den Dossiers regelmässig zu finden.

2.6

Exkurs: Die Anforderungen an die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit bei Fluggesellschaften in einer Holdingstruktur

Das schweizerische Recht enthält keine Regeln über den Nachweis der finanziellen Leistungsfähigkeit von Fluggesellschaften, die in einer Holdingstruktur eingebunden sind166. Die Beurteilung der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit ist komplexer, wenn die eigentliche Fluggesellschaft als Tochtergesellschaft soweit in eine Holdingstruktur eingebunden ist, dass ihr wirtschaftliches Schicksal untrennbar mit demjenigen der Dachgesellschaft verknüpft ist. Die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit der Tochtergesellschaft wird nicht mehr getrennt dargestellt und kann auch nicht mehr getrennt überprüft werden. Denkbar ­ und in der Praxis vorgekommen ­ ist, dass die Tochtergesellschaft (Fluggesellschaft) für sich allein betrachtet den gesetzlichen Anforderungen der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit nicht genügt und nur mit der Unterstützung der Dachgesellschaft den Nachweis erbringen könnte.

164 165 166

Antworten BAZL auf Fragen 18 und 19 (Anhang 2b).

Siehe Antworten BAZL auf Frage 8 (Anhang 2b).

Entsprechende spezifische Regeln fehlen auch im EG-Recht; Anhang A zur EGVerordnung 2407/92 verlangt nur, dass der Antragsteller Angaben zur Beziehung zwischen den Unternehmen machen sollte, wenn er zu einer Unternehmensgruppe gehört; vgl. Teil A, Ziff. II/3.2.

5513

Das BAZL hat sich in dieser Situation damit geholfen, dass es von der Muttergesellschaft eine Patronatserklärung verlangte, mit der sich diese verpflichtete, für die Verbindlichkeiten der Tochter aufzukommen. Die Wirksamkeit solcher Patronatserklärungen ist umstritten167. In der Regel haben sie einen unverbindlichen Charakter168. Verbindlich sind sie nur dann, wenn die Muttergesellschaft eine Garantie zu Gunsten der Tochtergesellschaft abgibt169. Als glaubhafter Nachweis der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit dürfte eine solche Garantie deshalb nur genügen, wenn dem BAZL Angaben vorliegen, dass (anstelle der Tochtergesellschaft) die Dachgesellschaft über die geforderte wirtschaftliche Leistungsfähigkeit verfügt. Allenfalls ist sogar zu fordern, dass die Dachgesellschaft diese Eventualverpflichtung gegenüber der Tochter in ihrer Bilanz aufführt.

In einem von der Gutachterin eingesehenen Dossier fand sich eine als «Patronatserklärung» bezeichnete Erklärung, in der sich die Muttergesellschaft verpflichtete, für die Verbindlichkeiten der Tochtergesellschaft aufzukommen. Soweit ersichtlich hat diese Patronatserklärung für das BAZL genügt, um bei der Gesuchstellerin (Tochtergesellschaft) die finanzielle Leistungsfähigkeit als gegeben zu betrachten. Das BAZL scheint von der Muttergesellschaft keine zusätzlichen Unterlagen eingefordert zu haben, um deren wirtschaftliche Leistungsfähigkeit abzuklären.

In einem anderen Dossier Belair hielt das BAZL in einem Fact-Sheet vom 11. Oktober 2001 zum Nachweis der finanziellen Leistungsfähigkeit fest, das Aktienkapital der Gesuchstellerin betrage nur gerade x Millionen Franken. Trotz einer Erklärung der Muttergesellschaft, mit allen angemessenen Mitteln dafür zu sogen, dass die Gesuchstellerin ihren finanziellen Verpflichtungen jederzeit nachkommen kann, sei bei der Prüfung der Gesuche für den Linienverkehr eine Neubeurteilung der finanziellen Lage ­ auch in Berücksichtigung der Halbjahresbilanz des vorangegangenen Jahres ­ vorzunehmen.

(Diese Anmerkung wurde nach dem «Grounding» der Swissair erstellt. Sie deutet darauf hin, dass das BAZL nach dem Zusammenbruch der Swissair der Frage der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit grössere Aufmerksamkeit widmete).

3 3.1

Die Anforderungen der EG-Verordnung 2407/92 zur Erteilung einer Betriebsbewilligung Allgemeine Bemerkung zur Anwendung der EG-Verordnung 2407/92

Seit dem 1. Juni 2002 ist in der Schweiz für die Ausstellung von Betriebsbewilligungen für Luftfahrtunternehmen die EG-Verordnung 2407/92 massgebend170.

Deren Vorschriften über die Erteilung einer Betriebsgenehmigung sind jedoch auch für den Zeitraum vor dem Inkrafttreten zu beachten, soweit mit der Revision des LFG das schweizerische Recht bereits damals Vorschriften des EG-Rechts über167

Vgl. dazu Beat Brechbühl, Haftung aus erwecktem Konzernvertrauen, Diss. 1998, S. 127 f.

168 Jean Nicolas Druey, Konzernrecht, Urteilsbesprechung zu BGE 120 II 331, SZW 1995, S. 93, insb. 96.

169 Anton K. Schnyder, Patronatserklärungen ­ Haftungsgrundlage für Konzernobergesellschaften, SJZ 1990, S. 57, insb. 60 ff.

170 Vorne FN 115.

5514

nommen hat. Die Botschaft zur Revision des Luftfahrtgesetzes von 1998 erwähnt die Anpassung an das europäische Recht nicht ausdrücklich; aus dem Abschnitt «Verhältnis zum europäischen Recht» geht jedoch hervor, dass beim revidierten LFG nur bei der Erneuerung/Dauer einer Betriebsbewilligung eine Abweichung vom EG-Recht gewollt war171.

Die EG-Verordnung 2407/92 gilt für alle Flugunternehmen, die gewerbsmässig Personen befördern, sei es im Linienverkehr, sei es im Nicht-Linienverkehr (Art. 2 lit. c der Verordnung)172.

Die EG-Verordnung 2407/92 spezifiziert in Artikel 5 und im Anhang die Anforderungen an die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit eines Luftfahrtunternehmens.

3.2

Die Anforderungen der EG-Verordnung 2407/92 im Einzelnen

Artikel 5 der EG-Verordnung verlangt bezüglich der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit bei einem erstmaligen Antrag auf Erteilung einer Betriebsgenehmigung, dass das Lufttransportunternehmen «glaubhaft nachweisen [kann], dass es seinen unter realistischen Annahmen festgelegten derzeitigen und möglichen Verpflichtungen während eines Zeitraumes von 24 Monaten nach Aufnahme der Tätigkeit jederzeit nachkommen kann» (Abs. 1 lit. a). Zudem muss es «glaubhaft nachweisen können, dass es für seine unter realistischen Annahmen ermittelten fixen und variablen Kosten der Tätigkeit gemäss seinen Wirtschaftsplänen während eines Zeitraums von drei Monaten nach Aufnahme der Tätigkeit ohne Berücksichtigung von Betriebseinnahmen aufkommen kann» (Abs. 1 lit. b).

Der Anhang der Verordnung (Abschnitt A.) präzisiert, welche Dokumente der Antragsteller bei einer erstmaligen Antragstellung hinsichtlich der finanziellen Eignung vorlegen muss (wörtliche Wiedergabe): ­

Der letzte Stand der Ertragsrechnung und, sofern verfügbar, der geprüfte Abschluss des vorausgegangenen Geschäftsjahres.

­

Eine Plan-Bilanz einschliesslich Gewinn- und Verlustrechnung für die kommenden zwei Jahre.

­

Ausgangsdaten für geplante Aufwendungen und Erträge bei Posten wie Treibstoff, Flugpreisen und Luftfrachtraten, Löhnen und Gehältern, Wartung, Abschreibung, Wechselkursschwankungen, Flughafengebühren, Versicherung usw.; Verkehrs-/ Ertragsprognosen.

­

Angaben zu den Anlaufkosten im Zeitraum zwischen der Antragstellung und dem Beginn der Tätigkeit, mit Erläuterung des entsprechenden Finanzierungskonzepts.

­

Angaben zu bestehenden und geplanten Finanzierungsquellen.

171

Botschaft zur Änderung des Luftfahrtgesetzes vom 28. Mai 1997, Sonderdruck Nr. 97.046, S. 13.

172 Joachim Rosengarten/Klaus-Dieter Stephan, The Licensing of German Air Carriers in Germany under Regulation 2407/92 ­ A General Overview, in Air & Space Law 1998, 67 ff.

5515

­

Angaben zu den Gesellschaftern, einschliesslich Angabe der Staatsangehörigkeit und der Art der zu haltenden Anteile sowie die Satzung. Gehört der Antragsteller einer Unternehmensgruppe an, so sollten Angaben zur Beziehung zwischen den Unternehmen gemacht werden.

­

Cash-flow-Prognosen und Liquiditätspläne für die ersten beiden Jahre nach Beginn der Tätigkeit.

­

Angaben zur Finanzierung des Kaufs/zum Leasing von Luftfahrzeugen, bei Leasing einschliesslich Vertragsbedingungen.

Die Verordnung 2407/92 enthält auch Bestimmungen, die präzisieren, welche Anforderungen der Bewilligungsinhaber während der Dauer der Betriebsbewilligung erfüllen muss173.

4

Die Anforderungen des schweizerischen und europäischen Rechts über die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit eines Antragstellers im Vergleich

Vergleicht man die Anforderungen des schweizerischen und des EG-Rechts, die ein Antragsteller einer Betriebsbewilligung erfüllen muss, zeigt sich, dass das schweizerische Recht die zentralen Vorgaben mit der Revision von 1998 vollständig übernommen hat: Während 24 Monaten nach Aufnahme der Tätigkeit muss der Antragsteller seinen finanziellen Verpflichtungen jederzeit nachkommen können und während drei Monaten nach Aufnahme der Tätigkeit muss der Antragsteller unabhängig von Betriebseinnahmen den Betrieb aufrecht erhalten können.

Anders als das schweizerische Recht spezifiziert die EG-Verordnung 2407/92 genauer, welche Belege der Antragsteller einreichen muss. Solange diese Verordnung in der Schweiz nicht direkt anwendbar war (bis 1. Juni 2002), fehlten entsprechende Spezifikationen für schweizerische Bewilligungsverfahren.

Zwischenergebnis: Bei der Erteilung einer Betriebsbewilligung hat das BAZL die gesetzlichen Anforderungen in operationeller, technischer und wirtschaftlicher Hinsicht zu prüfen. Die Überprüfung der technischen und operationellen Vorgaben erfolgt aufgrund international vereinheitlichten Kriterien (JAR). Die Prüfung der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit erfolgte bis zum Inkrafttreten des Bilateralen Luftverkehrsabkommens zwischen der EG und der Schweiz aufgrund des schweizerischen Rechts. Das BAZL muss prüfen, ob der Antragsteller seine wirtschaftliche Leistungsfähigkeit glaubhaft macht. Die LFV spezifiziert in Bezug auf diesen Nachweis nicht, welche einzelnen Angaben ein Antragsteller zu machen hat. Das BAZL prüft die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit nach den von ihm präzisierten Kriterien, wobei diese Kriterien nicht in internen Richtlinien festgehalten sind, sondern vor allem aufgrund der Erfahrung eines langjährigen Mitarbeiters definiert sind. Spezifische Kenntnisse für die Beurteilung der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit eines Antragsteller hat das BAZL nicht bei anderen Bundesstellen oder extern eingeholt. Seit dem Inkrafttreten des Bilateralen Luftverkehrsabkommens sind die präziseren Vorgaben der EG-Verordnung (2407/92) über die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit von Antragstellern anwendbar.

173

Siehe Teil A, Ziff. II/5.2.

5516

5

Die laufende Überwachung der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit von Bewilligungsinhabern

Sowohl das schweizerische Recht wie die EG-Verordnung 2407/92 verpflichten die Inhaber einer Betriebsbewilligung, die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit während der Dauer der Bewilligung zu erhalten.

5.1

Grundlage des schweizerischen Rechts für die laufende Überwachung (Art. 102 LFV)

a) Keine spezielle Regelung im schweizerischen Recht Im schweizerischen Recht ist der Grundsatz, dass ein Inhaber der Betriebsbewilligung die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit erhalten muss, nicht ausdrücklich genannt. Ebenso fehlt eine Vorschrift darüber, wie die Aufsichtsbehörde den Erhalt der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit während der Dauer der Betriebsbewilligung prüfen muss. Nur die Einhaltung und die Kontrolle der technischen und operationellen Anforderungen während der Dauer der Betriebsbewilligung ist in den JAROPS vorgeschrieben und die Aufsichtsbehörden müssen mindestens einmal jährlich «audits» durchführen, um die Einhaltung der entsprechenden Vorschriften zu kontrollieren.

Trotzdem ergibt sich auch aus dem schweizerischen Recht, dass Bewilligungsinhaber die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit erhalten müssen. Gestützt auf Artikel 102 LFV kann das BAZL die Betriebsbewilligung entziehen, wenn die Voraussetzungen für deren Erteilung nicht mehr erfüllt sind174. Damit muss der Inhaber einer Betriebsbewilligung jederzeit dafür sorgen, dass er während der Dauer der Betriebsbewilligung die Voraussetzungen für deren Erteilung erfüllt, wenn er nicht riskieren will, dass ihm das BAZL die Betriebsbewilligung gestützt auf Artikel 102 LFV entzieht. Umgekehrt bedeutet Artikel 102 LFV, dass das BAZL während der Dauer einer Betriebsbewilligung überprüfen kann, ob der Bewilligungsinhaber nach wie vor über die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit verfügt, die ihn berechtigte, eine Betriebsbewilligung zu erhalten.

b) Der unklare Wortlaut von Art. 102 in Verbindung mit Art. 103 Abs. 1 lit. i LFV Es ist nicht klar, welche «Voraussetzungen für ihre Erteilung» in Artikel 102 LFV gemeint sind, soweit dies die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit betrifft. Bezieht sich dieser Passus auf Artikel 27 Absatz 2 Buchstabe c LFG oder auf Artikel 103 Absatz 1 Buchstabe i LFV? Im ersten Fall müsste die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit i.S. von Artikel 27 Absatz 2 Buchstabe c LFG jederzeit bestehen; im zweiten Fall müsste sie während der Dauer «von 24 Monaten nach Aufnahme der Tätigkeit» gegeben sein und der Antragsteller müsste über genügend Liquidität für «drei Monate nach Aufnahme der Tätigkeit» verfügen175. Würde man diesen zweiten Fall

174 175

Zu dieser Bestimmung im einzelnen siehe Teil A, Ziff. II/7.1.

Im Einzelnen dazu Teil A, Ziff. II/2.3/a.

5517

als richtig betrachten, müsste geklärt werden, ob Artikel 103 Absatz 1 Buchstabe i LFV nur den darin definierten Zeitraum «nach Aufnahme der Tätigkeit» regelt, nicht aber die Zeit danach.

Der Wortlaut von Artikel 102 bzw. von Artikel 103 LFV lässt keine eindeutige Antwort zu. Auch die Materialien zum LFG und zur LFV geben über diesen Punkt keinen Aufschluss: Er wurde weder im Parlament noch bei der Ausarbeitung der Verordnung diskutiert.

Eindeutiger ist die Antwort, wenn man den Sinn und Zweck dieser Bestimmungen betrachtet:

176

­

Artikel 27 LFG verlangt, dass Fluggesellschaften in der Lage sind, ihren möglichen und tatsächlichen finanziellen Verpflichtungen nachzukommen.

­

Artikel 102 LFV will erreichen, dass der Inhaber einer Betriebsbewilligung nicht von den Anforderungen abweicht, die bei der Ausstellung der Betriebsbewilligung erfüllt sein mussten. Für die technischen und operationellen Vorschriften liegt der Sinn und Zweck einer solchen Vorschrift auf der Hand: Ihre Einhaltung ist eine zwingende Voraussetzung für einen sicheren Flugbetrieb. Es wäre nicht zu rechtfertigen, dass ein Flugunternehmen nur im Zeitpunkt der Erteilung einer Betriebsbewilligung die technischen und operationellen Anforderungen erfüllt und während des Betriebs davon abweichen darf. Nachdem das LFG neben den operationellen und technischen Vorschriften jedoch auch die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit und ein zuverlässiges Finanz- und Rechnungswesen als eigenständiges Kriterium für die Erteilung einer Betriebsbewilligung nennt, muss man bei der Auslegung von Artikel 102 davon ausgehen, dass die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit i.S. von Artikel 27 Absatz 2 Buchstabe c LFG während der (ganzen) Dauer der Betriebsbewilligung gegeben sein muss.

­

Artikel 103 Absatz 1 Buchstabe i LFV will erreichen, dass die Aufnahme der Tätigkeit des Inhabers einer Betriebsbewilligung abgesichert ist, nachdem er seine Betriebstätigkeit aufgenommen hat. Für diese Situation ist es angebracht und sinnvoll, vom Bewilligungsinhaber zu fordern, dass er 90 Tage lang den Flugbetrieb aufrecht erhalten kann, auch wenn ihm noch keine Einnahmen zufliessen. Wenn der Betrieb einmal läuft, kann der Bewilligungsinhaber mit Betriebseinnahmen rechnen; in diesem Sinn ist Artikel 103 Absatz 1 Buchstabe i eine spezielle Regelung für die ersten 90 Tage bzw. für die ersten 24 Monate eines Flugunternehmens. Sie auf die ganze Dauer der Betriebsbewilligung auszudehnen, wäre nicht sachgerecht und entspricht offenbar auch nicht der Realität: In der Praxis ist es nach den der Gutachterin zur Verfügung stehenden Angaben üblich, dass Fluggesellschaften über genügend Liquidität für 20 bis 30 Tage verfügen.

­

Artikel 103 LFV wollte für Betriebsbewilligungen die Vorgaben der EG-Verordnung 2407/92 übernehmen176. Diese Verordnung trifft jedoch für die Kontrolle über Bewilligungsinhaber eine gesonderte Regelung, die anders ist als diejenige für erstmalige Anträge. Die EG-Verordnung 2407/92 verlangt für Bewilligungsinhaber nur, dass diese eine Cash-flow Prognose

Siehe Teil A, Ziff. II/3.2.

5518

und Liquiditätspläne für 12 Monate vorlegen und damit nachweisen, dass sie die tatsächlichen und möglichen Verpflichtungen für die kommenden 12 Monate einhalten können (Art. 5 Abs. 5 EG-Verordnung 2407/92)177.

c) Die von der Gutachterin vorgeschlagene Auslegung von Art. 103 LFV in Bezug auf die laufende Überwachung von Bewilligungsinhabern Aufgrund der dargestellten Überlegungen scheint es der Gutachterin gerechtfertigt, dass (auch) gestützt auf das schweizerische Recht von Bewilligungsinhabern verlangt wird, während der Dauer der Bewilligung die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit zu erhalten und diese glaubhaft zu machen. Hingegen kann aufgrund des schweizerischen Rechts nicht verlangt werden, dass ein Bewilligungsinhaber jederzeit die Voraussetzungen erfüllt, die Artikel 103 Absatz 1 Buchstabe i LFV für die Aufnahme der Tätigkeit fordert. Insbesondere scheint es aus den dargelegten Gründen178 nicht gerechtfertigt, von Bewilligungsinhabern zu fordern, dass sie jederzeit während 90 Tagen unabhängig von Betriebseinnahmen ihren Verpflichtungen nachkommen können.

d) Fehlende Präzisierungen für die laufende Überwachung der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit von Bewilligungsinhabern Die vorgeschlagene Auslegung von Artikel 102 bzw. 103 Absatz 1 Buchstabe i LFV löst nicht das Problem, dass im schweizerischen Recht für die Zeitperiode, die den in Artikel 103 Absatz 1 Buchstabe i LFV genannten Perioden folgt, keine Kriterien vorhanden sind, welche die Anforderungen an die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit bis zum Ablauf der Gültigkeit der Betriebsbewilligung spezifizieren. Das BAZL hätte eigene Kriterien entwickeln müssen, um die weitere finanzielle Eignung der Bewilligungsinhaber zu bewerten. Es hätte näher umschreiben müssen, unter welchen Voraussetzungen es von sich aus Angaben zur wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit, insbesondere Einsicht in die Betriebsführung und Geschäftsunterlagen, verlangen will. Soweit ersichtlich haben solche Kriterien nicht bestanden.

Seit dem Inkrafttreten des sektoriellen Luftverkehrsabkommens zwischen der EG und der Schweiz hat sich ein solcher Kriterien-Katalog ­ aus rechtlicher Sicht179 ­ jedoch erübrigt, weil seither die EG-Verordnung 2407/92 auch in dieser Beziehung massgebend ist und eine spezifische Regelung enthält180.

e) Die Auskunfts- und Meldepflicht für
Bewilligungsinhaber gestützt auf Art. 107 Abs. 1 LFV Gestützt auf Artikel 107 Absatz 1 LFV kann das BAZL jederzeit Einblick in die Betriebsführung und Geschäftsunterlagen eines Bewilligungsinhabers verlangen, und der Bewilligungsinhaber muss die für die Erstellung der Luftverkehrsstatistik notwendigen Angaben liefern. Aufgrund dieser Bestimmung hätte das BAZL bestimmen dürfen, dass ein Bewilligungsinhaber regelmässig Angaben über die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit einreichen muss und es hätte die dazu notwendigen Unterlagen spezifizieren können. Die bereits erwähnten finanziellen Kenn177 178 179

Siehe Teil A, Ziff. II/5.3.

Siehe Teil A, Ziff. II/5.1/b.

Aus Gründen der Transparenz und der Rechtssicherheit wäre es trotzdem wünschbar, in der Luftfahrtverordnung auf diese Kriterien zu verweisen.

180 Siehe folgender Abschnitt, Ziff. 5.2.

5519

ziffern, die jedes Unternehmen für die ICAO-Statistik einreichen muss, wären für eine solche Prüfung mindestens teilweise geeignet gewesen, wurden jedoch vom BAZL nicht verwertet181.

5.2

Die laufende Überprüfung von Bewilligungsinhabern gemäss EG-Verordnung 2407/92

Die EG-Verordnung 2407/92 enthält spezifische Anforderungen, die ein Inhaber einer Betriebsbewilligung in wirtschaftlicher Hinsicht erfüllen muss. Dabei unterscheidet die Verordnung zwischen einer Überprüfung, die durch eine Meldung des Bewilligungsinhabers ausgelöst wird, weil dieser sein Streckennetz oder die Grössenordnung der Tätigkeit ändert, und der Überprüfung des bisherigen Betriebes auf Initiative der Aufsichtsbehörde (Art. 5 Abs. 3 und Abs. 5). Im zweiten Fall kann die Genehmigungsbehörde «jederzeit und in jedem Fall, in dem es klare Hinweise dafür gibt, dass ein von [ihr] genehmigtes Luftfahrtunternehmen finanzielle Probleme hat», die finanzielle Leistungsfähigkeit des Unternehmens bewerten und die Genehmigung aussetzen oder widerrufen, wenn dieses seinen «tatsächlichen und möglichen Verpflichtungen» während eines Zeitraums von 12 Monaten nicht mehr nachkommen kann (Art. 5 Abs. 5 erster Satz).

Der Anhang zur EG-Verordnung 2407/92 spezifiziert, welche Unterlagen die Behörden zur Beurteilung der weiteren finanziellen Eignung bisheriger Genehmigungsinhaber prüfen müssen (Abschnitt C): ­

Geprüfter Abschluss, der spätestens sechs Monate nach Ablauf des betreffenden Zeitraums zur Verfügung stehen muss, und erforderlichenfalls der letzte Stand der intern aufgestellten Bilanz.

­

Eine Plan-Bilanz einschliesslich Gewinn- und Verlustrechnung für das kommende Jahr.

­

Zahlenangaben über zurückliegende und geplante Aufwendungen und Erträge bei Posten wie Kraftstoffpreisen, Löhnen und Gehältern, Wartung, Abschreibung, Wechselkursschwankungen, Flughafengebühren, Versicherung usw.; Verkehrs-/Ertragsprognosen.

­

Cash-flow-Prognosen und Liquiditätspläne für das kommende Jahr.

Schliesslich verpflichtet die EG-Verordnung 2407/92 in Artikel 5 Absatz 6 die Inhaber einer Betriebsbewilligung, «ohne unangemessene Verzögerung» den geprüften Abschluss für das vorangegangene Geschäftsjahr vorzulegen. Diese Pflicht bedeutet für die Aufsichtsbehörde, dass sie den vorgelegten Abschluss prüfen und entscheiden muss, ob sie gemäss Artikel 5 Absatz 6 weitere Unterlagen nach Anhang Buchstabe C der EG-Verordnung 2407/92 einfordern will.

181

Siehe Teil A, Ziff. II/2.4/c/bb.

5520

5.3

Die Praxis des BAZL zur laufenden Überwachung der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit bisheriger Genehmigungsinhaber

Die Gutachterin hat keine Unterlagen gefunden oder erhalten, die darauf hinweisen, dass das BAZL die finanzielle Eignung bisheriger Bewilligungsinhaber systematisch und im Rahmen der normalen Aufsichtspflicht überprüft hat. Das BAZL wurde jedoch tätig, wenn es aus anderen Quellen (Presse) oder vom Bewilligungsinhaber selber von finanziellen Schwierigkeiten erfuhr182. Bei Publikumsgesellschaften hat ein Vertreter des BAZL jeweils die Bilanzpressekonferenz von Fluggesellschaften besucht und deren Geschäftsberichte erhalten und gelesen. Nach Angaben des BAZL wurden auch die Kennziffern, die Flugunternehmen für die Statistik der ICAO abliefern müssen183, nicht analysiert sondern nur nach Montreal weitergeleitet.

Zwischenergebnis: Gestützt auf das schweizerische Recht muss der Inhaber einer Betriebsbewilligung seine wirtschaftliche Leistungsfähigkeit aufrecht erhalten. Nach Auffassung der Gutachterin kann jedoch von einem Bewilligungsinhaber nicht verlangt werden, dass er jederzeit die Anforderungen von Artikel 103 Absatz 1 Buchstabe i LFV erfüllt. Im schweizerischen Recht fehlen Kriterien, die ein Bewilligungsinhaber in Bezug auf die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit erfüllen muss.

Auch das BAZL hat diese nicht definiert. Das BAZL hat in der Praxis soweit ersichtlich die finanzielle Leistungsfähigkeit von Inhabern einer Betriebsbewilligung nicht von sich aus systematisch überwacht, obwohl es aufgrund von Artikel 107 LFV jederzeit Einblick in die Betriebsführung und Geschäftsunterlagen eines Bewilligungsinhabers verlangen kann. Es wurde in einzelnen Fällen tätig, wenn es durch die Presse oder vom Bewilligungsinhaber selber von finanziellen Schwierigkeiten erfuhr. Gestützt auf die seit dem 1. Juni 2002 geltende EG-Verordnung 2407/92 ist die Kontrolle von Bewilligungsinhabern klar geregelt und auch für das BAZL massgebend.

6 6.1

Die Erneuerung der Betriebsbewilligung Die Erneuerung nach schweizerischem Recht

Eine Betriebsbewilligung ist gemäss Artikel 27 Absatz 3 LFG bzw. Artikel 101 LFV zeitlich zu beschränken und kann für höchstens fünf Jahre erteilt werden. Auf Gesuch des Bewilligungsinhabers kann sie erneuert werden. Das BAZL beschränkt die Gültigkeit einer Betriebsbewilligung nach der Ersterteilung in der Regel auf ein Jahr, in einigen Fällen auf drei bis sechs Monate. Auf Gesuch hin wird die Bewilligung in der Regel für fünf Jahre erneuert184.

182 183 184

Siehe Schreiben BAZL/Air Engiadina AG vom 19. Mai 2000 (Anhang 11).

Siehe Teil A, Ziff. II/2.4/c/bb.

Antworten BAZL auf Frage 9 (Anhang 2b).

5521

a) Die Überprüfung der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit bei der Erneuerung einer Betriebsbewilligung Das schweizerische Recht enthält keine Vorschriften darüber, nach welchen Kriterien die Aufsichtsbehörde die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des Antragstellers bei der Erneuerung der Betriebsbewilligung überprüfen muss.

Massgebend muss auch hier sein, dass Artikel 27 Absatz 2 Buchstabe c LFG verlangt, eine Betriebsbewilligung dürfe nur erteilt werden, wenn der Bewilligungsinhaber wirtschaftlich leistungsfähig ist und über ein zuverlässiges Finanz- und Rechnungswesen verfügt. Unklar ist jedoch, ob der Antragsteller bei der Erneuerung ­ wie bei der erstmaligen Ausstellung einer Betriebsbewilligung ­ die Voraussetzungen gemäss Artikel 103 Absatz 1 Buchstabe i LFV erfüllen und glaubhaft machen muss, dass er während 24 Monaten seinen finanziellen Verpflichtungen nachkommen und während 90 Tagen die Kosten unabhängig von Betriebseinnahmen decken kann.

Die Überlegungen, die nach Auffassung der Gutachterin im Zusammenhang mit der laufenden Überwachung der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit von Bewilligungsinhabern für eine enge Auslegung von Artikel 103 Absatz 1 Buchstabe i LFV sprechen185, gelten auch für die Erneuerung einer Betriebsbewilligung. Die Kriterien, die Artikel 103 Absatz 1 Buchstabe i LFV aufstellt, sind speziell auf die erste Aufnahme der Tätigkeit eines Luftfahrtunternehmens ausgerichtet. Sie sind deshalb nicht anwendbar, um die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit eines Bewilligungsinhabers bei der Erneuerung der Betriebsbewilligung zu überprüfen.

b) Fehlende Kriterien für die Beurteilung der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit bei der Erneuerung einer Betriebsbewilligung Die Feststellung, dass Artikel 103 Absatz 1 Buchstabe i LFV für die Erneuerung einer Betriebsbewilligung nicht anwendbar sein soll, entlastet das BAZL nicht davon, die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des Antragstellers und das Vorhandensein eines zuverlässigen Finanz- und Rechnungswesens bei der Erneuerung einer Betriebsbewilligung zu überprüfen. Soweit ersichtlich gibt es dafür ­ wie für die Überwachung von Bewilligungsinhabern186 ­ keine Kriterien.

In Bezug auf die Prüfung der Anforderung «zuverlässiges Finanz- und Rechnungswesen» können die gleichen Grundsätze gelten, die bei der erstmaligen Ausstellung einer
Betriebsbewilligung anzuwenden sind187. Hingegen ist offen, für welche Dauer der Antragsteller bei der Erneuerung nachweisen muss, dass er seinen finanziellen Verpflichtungen nachkommen kann und mit welchen Unterlagen er diese Leistungsfähigkeit glaubhaft machen muss. Naheliegend und sachlich gerechtfertigt wäre es, dass das BAZL diesen Nachweis schon vor dem 1. Juni 2002 gemäss den in EGVerordnung 2407/92 Anhang Buchstabe C festgesetzten Kriterien für den Erhalt der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit verlangt hätte188, indem es die in Anhang Buch-

185 186 187 188

Siehe Teil A, Ziff. II/5.1/c.

Siehe Teil A, Ziff. II/5.1/d.

Siehe Teil A, Ziff. II/2.3.

Siehe Teil A, Ziff. II/5.2.

5522

stabe C genannten Dokumente aufgrund einer internen Weisung189 vom Antragsteller einverlangt hätte. Soweit ersichtlich gab es jedoch keine entsprechende (interne) Regelung.

6.2

Die Erneuerung einer Betriebsbewilligung gemäss der EG-Verordnung 2407/92

Die EG-Verordnung 2407/92 enthält keine Bestimmungen zur Erneuerung einer Betriebsbewilligung, weil die nach der Verordnung erteilten Betriebsbewilligungen unbefristet sind190. Gemäss Artikel 11 gelten die Betriebsbewilligungen, solange das Luftfahrtunternehmen den Verpflichtungen der Verordnung nachkommt. Die EG-Verordnung 2407/92 hält jedoch ausdrücklich fest, dass die Mitgliedstaaten vorschreiben können, die Gültigkeit einer Betriebsbewilligung sei auf ein Jahr beschränkt und danach alle fünf Jahre zu überprüfen (Art. 11 Abs. 1).

Weil es unter der EG-Verordnung 2407/92 keine Erneuerung mit einer entsprechenden Überprüfung der Antragsteller gibt, enthält sie eine spezifische Bestimmung über die Überprüfung von Bewilligungsinhabern191. Solange ein Bewilligungsinhaber diese Kriterien erfüllt, hat er Anspruch auf die Betriebsbewilligung (Art. 11 Abs. 1). Folgerichtig darf unter der EG-Verordnung 2407/92 auch das Landesrecht für die Erneuerung einer Betriebsbewilligung nicht weitere Nachweise verlangen, als für die Aufrechterhaltung der Bewilligungsinhaber erforderlich sind. Diese Kriterien sind in Anhang Buchstabe C der Verordnung definiert192.

Zwischenergebnis: Das schweizerische Recht befristet die Dauer einer Betriebsbewilligung. Sie wird auf Antrag des Bewilligungsinhabers erneuert. Auch bei der Erneuerung einer Betriebsbewilligung muss der Antragsteller die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit i.S. von Artikel 27 Absatz 2 Buchstabe c LFG glaubhaft machen.

Es fehlen jedoch im schweizerischen Recht spezifische Bestimmungen über die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit bei der Erneuerung einer Betriebsbewilligung.

Nach Auffassung der Gutachterin sind die Anforderungen von Artikel 103 Absatz 1 Buchstabe i LFV für die Erneuerung einer Betriebsbewilligung nicht anwendbar.

Das BAZL hat keine eigenen Kriterien festgesetzt, die für die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit bei der Erneuerung einer Betriebsbewilligung anwendbar sind. Sofern das schweizerische Recht an der Befristung der Betriebsbewilligung festhält (was zulässig ist), muss die Erneuerung einer Betriebsbewilligung geregelt werden. Dafür dürfen seit dem 1. Juni 2002 nur die Kriterien massgebend sein, welche die EG-Verordnung 2407/92 Anhang Buchstabe C nennt.

189

Eine interne Weisung zur Spezifizierung der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit gab es bereits, um die entsprechenden Bestimmungen des LFG vor der Revision von 1998 zu konkretisieren; Anhang 10 und vorne FN 160.

190 Art. 3 Abs. 2 EG-Verordnung 2407/92.

191 Siehe Teil A, Ziff. II/5.3.

192 Siehe Teil A, Ziff. II/5.2.

5523

7

Der Entzug einer Betriebsbewilligung

Sowohl das schweizerische Recht wie das Recht der Europäischen Gemeinschaft regeln den Entzug einer Betriebsbewilligung. Die anwendbare EG-Verordnung 2407/92 spricht in diesem Zusammenhang von «widerrufen oder aussetzen» (Art. 5 Abs. 5), während die LFV nur den Entzug nennt (Art. 102 LFV). In der Praxis braucht aber auch das BAZL beide Formen des Entzuges: Den Widerruf einer Betriebsbewilligung und deren Sistierung193.

7.1

Der Entzug nach schweizerischem Recht

a) Art. 102 LFV Mit der Revision von 1998 wurde Artikel 102 LFV in der heutigen Form eingeführt194: Art. 102 LFV Das Bundesamt kann die Betriebsbewilligung entziehen, wenn: a. die Voraussetzungen für ihre Erteilung nicht mehr erfüllt sind b. Vorschriften wiederholt oder in grober Weise verletzt werden; oder c. Auflagen nicht erfüllt werden.

Die Bestimmung definiert die Voraussetzungen für den Entzug einer Betriebsbewilligung und räumt dem BAZL beim Entzug einer Betriebsbewilligung ein Ermessen ein («kann entziehen»). Dieses Ermessen muss das BAZL ­ wie jede andere Behörde ­ pflichtgemäss ausüben195.

Bei Entzug der Betriebsbewilligung ist ­ wie bei der laufenden Überwachung der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit von Bewilligungsinhabern ­ offen, ob das BAZL die Betriebsbewilligung widerrufen muss, sobald der Bewilligungsinhaber die Voraussetzungen von Artikel 103 Absatz 1 Buchstabe i LFV nicht mehr erfüllt oder ob

193 194

Siehe Teil A, Ziff. II/7.4.

Auch die frühere Fassung der LFV regelte den Entzug einer Betriebsbewilligung (Art. 122 aLFV), wobei zu beachten ist, dass die konzessionierten Unternehmen damals keine Betriebsbewilligung brauchten und diese Vorschrift nur für Unternehmen galt, die gewerbsmässigen Nicht-Linienverkehr betrieben. In der alten Form lauteten die Voraussetzungen für den Entzug: «Art. 122 aLFV 1 Das Bundesamt entzieht die Bewilligung, wenn ­ die Voraussetzungen finanzieller oder anderer Art für einen sicheren und ordnungsgemässen Betrieb nicht mehr erfüllt sind oder ­ bestehende Vorschriften wiederholt oder in grober Weise verletzt werden.

2 Es kann die erteilte Bewilligung entziehen, wenn Auflagen nicht erfüllt werden.

(...)».

195 In der Luftfahrtkommission kam es zu einer Diskussion um diese «Kann-Formulierung»; die Luftfahrtkommission wollte sie streichen; das BAZL setzte sich mit seinen Argumenten für die «Kann-Formulierung» durch ­ nach Ansicht der Gutachterin zu Recht; vgl. Protokoll der Sitzung der Luftfahrtkommission vom 10. März 1998, S. 5 (Anhang 12); Stellungnahme des BAZL zur Revision der Luftfahrtverordnung, Papier ohne Datum und Unterschrift (Anhang 13); Stellungnahme des UVEK an den Bundesrat vom 29. September 1998, S. 3 (Anhang 14).

5524

diese Vorschrift nur für Fluggesellschaften gilt, welche zum ersten Mal eine Betriebsbewilligung beantragen.

Die Überlegungen, die im Zusammenhang mit der laufenden Überwachung der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit von Bewilligungsinhabern und bei der Erneuerungen von Betriebsbewilligungen für eine enge Auslegung von Artikel 103 Absatz 1 Buchstabe i LFV sprechen196, gelten auch für den Entzug: Wenn ein Bewilligungsinhaber die Anforderungen in Bezug auf die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit nicht mehr erfüllt, sind die Voraussetzungen für deren Erteilung nicht mehr erfüllt und das BAZL hat zu prüfen, ob es die Betriebsbewilligung entziehen muss. Es wäre jedoch nicht sachgerecht, die Betriebsbewilligung bereits zu entziehen, wenn der Bewilligungsinhaber die Voraussetzungen von Artikel 103 Absatz 1 Buchstabe i LFV nicht mehr erfüllt, weil diese auf die Situation bei der Aufnahme der Tätigkeit zugeschnitten sind.

b) Fehlende Kriterien für den Entzug im schweizerischen Recht Bereits bei der Darstellung der Frage, nach welchen Kriterien ein Bewilligungsinhaber während der Dauer einer Betriebsbewilligung und bei deren Erneuerung die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit nachweisen muss, hat sich gezeigt, dass im schweizerischen Recht entsprechende Kriterien fehlen: Es ist nicht klar, nach welchen Voraussetzungen die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit eines Bewilligungsinhabers geprüft wird. Damit gibt es auch keine definierten Vorgaben, die bestimmen, unter welchen Bedingungen einem Bewilligungsinhaber die Betriebsbewilligung wegen fehlender wirtschaftliche Leistungsfähigkeit entzogen werden muss und in welchen Schritten ein solcher Entzug erfolgt.

Nach Auffassung der Gutachterin hätte das BAZL die Kriterien für den Entzug einer Betriebsbewilligung in einer Weisung festsetzen sollen. Dies war insbesondere geboten, solange das Bilaterale Luftverkehrsabkommen noch nicht in Kraft und damit die EG-Verordnung 2407/92 noch nicht anwendbar war. Insbesondere hätte das BAZL damit definieren können, wie vorzugehen ist, falls es nicht mehr davon überzeugt ist, dass ein Bewilligungsinhaber über die vom LFG geforderte wirtschaftliche Leistungsfähigkeit verfügt. Eine solche Weisung hätte die Grundlage bilden können, um Fälle zu beurteilen, in welchen die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des Bewilligungsinhabers
gefährdet ist. Im Rahmen des pflichtgemässen Ermessens («kann entziehen»197) muss das BAZL einen schwierigen und folgenschweren Entscheid fällen, der auf klar definierte Entscheidgrundlagen angewiesen ist: Entzieht es die Bewilligung, kommt es zu einem von der Aufsichtsbehörde angeordneten «Grounding»; das betreffende Unternehmen wird dadurch wirtschaftlich zusätzlich geschwächt oder verliert sogar die Möglichkeit, seine wirtschaftliche Leistungsfähigkeit wieder herzustellen. Anderseits ist die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit eine gesetzliche Voraussetzung einer Betriebsbewilligung, auf deren Einhaltung das BAZL nicht verzichten darf.

Im Einzelnen wird das BAZL in den Fällen, in welchen es einen Entzug erwägen muss, vom Bewilligungsinhaber Geschäftsunterlagen zu verlangen haben. Dabei hätten auch schon vor dem Inkrafttreten des Bilateralen Luftverkehrsabkommen die, in Anhang Buchstabe C der EG-Verordnung 2407/92 aufgeführten Unterlagen als 196 197

Siehe Teil A, Ziff. II/5.1/c.

Siehe Teil A, Ziff. II/7.1.

5525

Grundlage dienen können, nachdem mit der Revision von 1998 das Schweizer Recht an das europäische Recht angepasst worden war. Ebenso wird es einen Auszug aus dem Betreibungsregister verlangen müssen, sowie Garantien von Dritten, wenn die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des Bewilligungsinhabers den gesetzlichen Anforderungen nicht genügt.

c) Ereignisse, die zum Entzug der Betriebsbewilligung führen Auch ohne spezifische Kriterien gemäss dem vorhergehenden Absatz gibt es Ereignisse, die das BAZL veranlassen müssen, den Entzug der Betriebsbewilligung zu prüfen oder den Entzug sofort anzuordnen. Dazu gehören die Zahlungsunfähigkeit des Bewilligungsinhabers, z.B. die Einreichung eines Gesuches um Nachlassstundung oder die Eröffnung des Konkurses. Mit diesen Handlungen erklärt entweder der Bewilligungsinhaber selber, dass er nicht mehr wirtschaftlich leistungsfähig ist oder diese Tatsache ergibt sich aus der Handlung einer anderen Behörde (Konkurseröffnung).

Bei der Eröffnung des Konkurses steht nicht zur Debatte, ob der Entzug angeordnet werden muss: Mit dem Konkurs verliert der Bewilligungsinhaber die Fähigkeit, über sein Vermögen zu verfügen (Art. 204 SchKG); seinen wirtschaftlichen Verpflichtungen kann er damit nicht mehr nachkommen.

7.2

Widerruf und Sistierung gemäss der EG-Verordnung 2407/92

Die EG-Verordnung 2407/92 regelt den Entzug der Betriebsbewilligung in Artikel 5 Absatz 5. Die Behörden können eine Betriebsbewilligung jederzeit sistieren oder widerrufen, wenn sie nicht mehr davon überzeugt sind, dass das Luftfahrtunternehmen während eines Zeitraums von zwölf Monaten seinen tatsächlichen und möglichen Verpflichtungen nachkommen kann. Dabei ist massgebend, was die EGVerordnung 2407/92 in Anhang Buchstabe C an Angaben verlangt, um die wirtschaftliche Situation des Unternehmens zu beurteilen: Geprüfter Abschluss, eine Plan-Bilanz mit Gewinn- und Verlustrechnung für das kommende Jahr, Angaben (in Zahlen) über zurückliegende und künftige Aufwendungen und Erträge, Cash-Flow Prognosen und Liquiditätspläne für 12 Monate198. Das sind die gleichen Vorgaben, welche die Verordnung für die weitere finanzielle Eignung verlangt; dies ist folgerichtig, weil unter der EG-Verordnung 2407/92 einem Bewilligungsinhaber die Betriebsbewilligung entzogen werden kann, sobald er die Vorschriften über die weiterführende Eignung nicht mehr erfüllt199.

7.3

Divergenz zwischen Art. 102 LFV und Art. 5 EG-Verordnung 2407/92

Die Vorgaben der EG-Verordnung 2407/92 zeigen, dass in Bezug auf die Voraussetzungen für den Entzug der Betriebsbewilligung zwischen dem schweizerischen und dem EG-Recht eine Divergenz besteht: Das EG-Recht regelt den Entzug der 198 199

Siehe Teil A, Ziff. II/5.2.

Siehe Teil A, Ziff. II/5.2.

5526

Betriebsbewilligung präzis, während die entsprechenden Bestimmungen des schweizerischen Rechts auslegungsbedürftig sind. Im Unterschied zum EG-Recht fehlen im schweizerischen Recht auch definierte Massnahmen, welche die Aufsichtsbehörde ergreifen muss, wenn sie der Auffassung ist, dass ein Flugunternehmen wirtschaftlich nicht mehr leistungsfähig ist und sie deshalb den Entzug der Betriebsbewilligung prüfen muss. Die von der Gutachterin konsultierten Dokumente deuten nicht darauf hin, dass diese Diskrepanz beabsichtigt war.

7.4

Die Praxis des BAZL zum Entzug und der Sistierung von Betriebsbewilligungen

Nach Angaben des BAZL hat es bisher Betriebsbewilligungen nur aufgrund von entsprechenden Anträgen der Inhaber aufgehoben oder sistiert200. Es gab soweit ersichtlich keine Fälle, in welchen das BAZL aufgrund eigener Initiative eine Betriebsbewilligung entzogen oder sistiert hat.

Zwischenergebnis: Gemäss schweizerischem Recht kann das BAZL eine Betriebsbewilligung entziehen, wenn der Bewilligungsinhaber die Voraussetzung der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit nicht mehr erfüllt. Im schweizerischen Recht fehlen präzise Kriterien, die bestimmen, unter welchen Voraussetzungen die Betriebsbewilligung entzogen werden muss. Die EG-Verordnung 2407/92 setzt solche Kriterien fest.

8

8.1

Anforderungen an die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit bei der Änderung der Geschäftstätigkeit oder der Umstrukturierung eines Flugunternehmens Art. 107 Abs. 3 LFV

Das schweizerische Luftrecht regelt seit der Revision von 1998 in Artikel 107 Absatz 3 LFV, welche Geschäftsvorgänge201 ein Bewilligungsinhaber dem BAZL melden muss und übernahm damit die Vorgaben des (damals künftigen) EG-Rechts.

Es sind Geschäftsvorgänge, welche die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit eines Bewilligungsinhabers beeinflussen können. Artikel 107 LFV regelt auch den Zeitpunkt der Meldepflicht:

200 201

­

Aufnahme von Flügen nach einem Kontinent oder Gebiet, der/das vorher nicht angeflogen wurde; Meldung «zum voraus»;

­

Alle beabsichtigten Zusammenschlüsse oder Übernahmen; Meldung «zum voraus»;

­

Jede Änderung des Eigentums an Einzelbeteiligungen, die 10 % oder mehr des gesamten Beteiligungskapitals des Unternehmens oder seiner Mutteroder Dachgesellschaft ausmachen; Meldung innert 14 Tagen.

Anworten BAZL auf Frage 5 (Anhang 2b).

Die Meldepflicht für «besondere Vorfälle» ist in Art. 107 Abs. 2 LFV festgehalten.

5527

Diese Meldepflicht belegt in erster Linie, dass das BAZL aufgrund der gesetzlichen Vorgaben davon ausgehen kann, es werde über Geschäftvorgänge orientiert, welche die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit eines Unternehmens beeinflussen. Gleichzeitig bedeutet die Meldepflicht, dass das BAZL im Rahmen seiner Aufsichtspflicht deren Einhaltung kontrollieren muss. Die gemeldeten Vorgänge können schliesslich dazu führen, dass das BAZL im Rahmen seiner Aufsichtspflicht prüfen muss, ob der Bewilligungsinhaber nach wie vor die gesetzlichen Vorgaben erfüllt, sei es in Bezug auf die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit, sei es in Bezug auf andere gesetzliche Anforderungen.

8.2

Die Vorgaben der EG-Verordnung 2407/92

Die EG-Verordnung 2407/92 regelt in Artikel 5 Absatz 3 und in Anhang B Änderungen der Geschäftstätigkeit oder der Umstrukturierung eines Flugunternehmens.

Gemäss dieser Bestimmung sind die folgenden Sachverhalte meldepflichtig: ­

Aufnahme von Flügen nach einem Kontinent oder Gebiet, der/das vorher nicht angeflogen wurde;

­

Änderung der Art oder der Anzahl der eingesetzten Luftfahrzeuge;

­

Wesentliche Änderung der Grössenordnung der Tätigkeit;

­

Beabsichtigte Zusammenschlüsse oder Übernahmen;

­

Jede Änderung des Eigentums an Einzelbeteiligungen, die 10 % oder mehr des gesamten Beteiligungskapitals des Luftfahrtunternehmens oder seiner Muttergesellschaft oder der letztlichen Muttergesellschaft ausmachen; Meldepflicht innert 14 Tagen.

Artikel 5 Absatz 3 letzter Satz hält fest, dass es genügt, wenn das Unternehmen zwei Monate vor dem «Bezugszeitraum»202 einen Wirtschaftsplan für zwölf Monate einreicht, der die geplante Änderung enthält. Anhang B der EG-Verordnung 2407/92203 detailliert zusätzlich, welche Angaben im Einzelnen zu liefern sind: ­

Sofern erforderlich, letzter Stand der intern aufgestellten Bilanz und des geprüften Abschlusses des vorausgegangenen Geschäftsjahres;

­

Genaue Angaben zu allen geplanten Änderungen, z.B. Änderung der Art des Dienstes, beabsichtigte Übernahmen oder Zusammenschlüsse, Änderungen hinsichtlich des Gesellschaftskapitals, Änderungen hinsichtlich der Gesellschafter usw.;

­

Eine Plan-Bilanz mit Gewinn- und Verlustrechnung für das laufende Geschäftsjahr einschliesslich aller geplanten Änderungen der Struktur oder der Tätigkeiten, die für die Finanzlage erheblich sind;

202

Die deutsche Formulierung scheint nicht sehr klar; aufgrund der englischen, französischen und spanischen Fassung wird deutlich, dass der Plan zwei Monate vor dem Zeitpunkt einzureichen ist, ab dem dieser gelten soll.

203 Angaben, die zur Beurteilung der weiteren finanziellen Eignung von Genehmigungsinhabern erforderlich sind, wenn diese eine für ihre Finanzlage erhebliche Veränderung ihrer Strukturen oder Tätigkeiten planen.

5528

­

Zahlenangaben über zurückliegende und geplante Aufwendungen und Erträge bei Posten wie Kraftstoff, Flugpreisen und Luftfrachtraten, Löhnen und Gehältern, Wartung, Abschreibung, Wechselkursschwankungen, Flughafengebühren, Versicherung usw.; Verkehrs-/Ertragsprognosen;

­

Cash-flow-Prognosen und Liquiditätspläne für das kommende Jahr, einschliesslich aller geplanten Änderungen der Struktur oder der Tätigkeiten, die für die Finanzlage erheblich sind;

­

Angaben zur Finanzierung des Kaufs/zum Leasen von Luftfahrzeugen, bei Leasing einschliesslich Vertragsbedingungen.

8.3

Divergenz zwischen Art. 107 LFV und EG-Verordnung 2407/92

Die beiden vorhergehenden Abschnitte zeigen, dass das schweizerische Recht und das EG-Recht auch in Bezug auf die Überwachung von neuen Geschäftsvorgängen bei Bewilligungsinhabern divergieren und das EG-Recht weit präziser ist, obwohl auch in diesem Punkt beabsichtigt war, das schweizerische Recht dem EG-Recht anzupassen204. Das schweizerische Recht (Art. 107 LFV) erfasst zwar die gleichen wirtschaftlichen Vorgänge (neue Flugroute(n), Zusammenschlüsse, Beteiligungsverhältnisse), verzichtet aber auf eine definierte Meldefrist, auf die Meldepflicht bei der Veränderung der Flotte und bei der Änderung der Grössenordnung der Tätigkeit (vobehalten Meldepflicht unter dem Air Operator Certificate). Im schweizerischen Recht fehlt zudem ein Katalog von Unterlagen, welche die Bewilligungsinhaber gemäss der EG-Verordnung 2407/92 in den genannten Fällen unterbreiten müssen.

Bis zum 1. Juni 2002 mussten schweizerische Flugunternehmen nur die ­ in diesem Punkt ­ weniger rigorosen Bestimmungen des schweizerischen Rechts erfüllen. Seit dem Inkrafttreten des bilateralen Luftverkehrsabkommens sind auch für die schweizerischen Bewilligungsinhaber und damit auch für das BAZL die Anforderungen von Artikel 5 der EG-Verordnung 2407/92 massgebend. Damit erübrigt es sich ­ rein juristisch gesehen ­ das schweizerische Recht anzupassen, weil die EG-Verordnung anwendbar ist.

Zwischenergebnis: Inhaber einer Betriebsbewilligung müssen dem BAZL bestimmte Geschäftsvorgänge melden, welche die Voraussetzungen beeinflussen können, die zur Erteilung der Betriebsbewilligung geführt hatten, insbesondere auch die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit. Das BAZL muss im Rahmen seiner Aufsichtspflicht prüfen, ob die Bewilligungsinhaber dieser Meldepflicht nachkommen und ob die gemeldeten Veränderungen die Erteilung der Betriebsbewilligung beeinflussen. Im schweizerischen Recht fehlen spezifische Angaben, welche Unterlagen und Informationen ein Bewilligungsinhaber vorlegen muss. Die EG-Verordnung 2407/92 dagegen enthält zu diesem Punkt ausführliche Angaben, die seit dem 1. Juni 2002 auch für Inhaber einer schweizerischen Betriebsbewilligung massgebend sind.

204

Siehe Teil A, Ziff. II/8.

5529

III.

1 1.1

Erteilung, Beaufsichtigung und Entzug einer Streckenkonzession Die Erteilung von Streckenkonzessionen Zu den Begriffen Streckenkonzession, Betriebs- und Beförderungspflicht

Während Jahrzehnten wurde in der zivilen Luftfahrt gestützt auf das Chicago Abkommen205 zwischen Linien- und Nichtlinienverkehr unterschieden. Gesellschaften, die Linienverkehr betrieben, bedienten Strecken, die ihre Heimatstaaten aufgrund von bilateralen Luftverkehrsabkommen ausgehandelt hatten. Solange zwischen Linien- und Nichtlinienverkehr streng unterschieden wurde, zeichnete sich Linienverkehr dadurch aus, dass die Gesellschaften aufgrund einer Konzession, die ihnen im nationalen Recht eine Monopolstellung einräumte, die Linie regelmässig nach Flugplan bedienen und die Beförderungen öffentlich im Einzelverkauf anbieten mussten206. Mit der Konzession wurde eine Betriebs- und Beförderungspflicht verbunden. Nichtlinienverkehr richtete sich dagegen nach der Nachfrage (Bedarf), war nicht plan- und regelmässig, und der Flug wurde der Öffentlichkeit nicht als einzelne Dienstleistung angeboten (sog. Charterverkehr); eine Betriebs- und Beförderungspflicht bestand nicht207.

Mit der Liberalisierung, die Ende der 70er Jahre in den USA begann, wurde die Abgrenzung zwischen Linien- und Nichtlinienverkehr unscharf. Seit der Verwirklichung der Liberalisierung in der EU208 wird im EG-Recht nicht mehr zwischen Linien- und Nichtlinienverkehr unterschieden. Dort, wo die traditionellen bilateralen Luftverkehrsabkommen weiterhin gelten, ist die Unterscheidung jedoch nach wie anwendbar (z.B. im Verhältnis zwischen der Schweiz und China, wo aufgrund des anwendbaren bilateralen Luftverkehrsabkommens jeder Staat nur ein Unternehmen bezeichnen kann, das die Strecken bedient209).

Diesen unterschiedlichen Strukturen im internationalen Luftverkehr musste das schweizerische Recht bei der Revision von 1998 Rechnung tragen: Für die gewerbsmässige Beförderung von Personen und Gütern im Linienverkehr braucht es eine Streckenkonzession (Art. 28 LFG), wobei eine solche erteilt werden muss, wenn der Antragsteller die gesetzlichen Voraussetzungen erfüllt (sog. Anspruchskonzession). Mit der Konzession wird eine Betriebs- und Beförderungspflicht verbunden (Art. 111 LFV). Wenn aufgrund der bilateralen Abkommen nur eine beschränkte Anzahl von Unternehmen die Luftverkehrslinie bedienen kann, regelt die LFV, nach welchen Kriterien zwischen mehreren Bewerbern entschieden wird (Art. 115 Abs. 2 LFV). Gesellschaften, die im Nichtlinienverkehr gewerbsmässig 205 206 207

Abkommen über die internationale Zivilluftfahrt vom 7. Dezember 1944, SR 0.748.

Vgl. dazu auch Art. 110 LFV.

Vgl. dazu Verordnung über die Abgrenzung des Linienverkehrs vom übrigen gewerbsmässigen Luftverkehr, SR 748.128.

208 Die Liberalisierung erfolgte in drei Stufen; das letzte Liberalisierungspaket trat 1997 in Kraft, siehe Christian Jung, Die Marktordnung des Luftverkehrs ­ Zeit für neue Strukturen in einem liberalisierten Umfeld, ZLW 1998, S. 308 und S. 499; Ronald Schmid, Das Dritte Massnahmenbündel der EG-Kommission zur Errichtung des Binnenmarktes im Luftverkehr (Juni 1992), Transportrecht 1993, S. 89.

209 Abkommen vom 12. November 1973 zwischen dem Schweizerischen Bundesrat und der Regierung der Volksrepublik China über den zivilen Luftverkehr, SR 0.748.127.192.49.

5530

Personen und Güter befördern wollen, brauchen dazu auch nach der Gesetzesrevision von 1998 nur eine Betriebsbewilligung.

Für die Swissair wurde bei der Gesetzesrevision von 1998 bei in Bezug auf die von ihr durchgeführten Linienflüge eine Sonderregelung getroffen: Rechte aus bestehenden Konzessionen blieben erhalten, sofern sie zum Zeitpunkt des Inkrafttretens tatsächlich genutzt wurden (Schlussbestimmung der Änderung vom 26. Juni 1998 zum LFG). Damit konnte die Swissair bis zum Ablauf ihrer damals geltenden Streckenkonzession im Jahr 2008 die von ihr bedienten Strecken unter den bisherigen Bedingungen befliegen210.

1.2

Die Erteilung der Streckenkonzession nach schweizerischem Recht

a) Die Voraussetzungen des LFG und der LFV Das schweizerische Recht regelt die Erteilung einer Streckenkonzession in Artikel 28 LFG und in Artikel 110 ff. LFV. Nur Inhaber einer Betriebsbewilligung erhalten eine Streckenkonzession. Damit kann die LFV für die Erteilung von Streckenkonzessionen auf Anforderungen verzichten, die bereits im Zusammenhang mit der Erteilung der Betriebsbewilligung verlangt wurden211. Die LFV regelt entsprechend in den Vorschriften über die Erteilung einer Streckenkonzession nur Aspekte, die sich spezifisch im Zusammenhang mit der Erteilung der Streckenkonzession stellen: Konzessionspflichten, Erteilung, Dauer, Entzug und Heimfall sowie Änderung und Übertragung (Art. 110 bis 118 LFV). Die Konzession wird vom UVEK erteilt212.

Die LFV enthält keine spezifischen Regeln über die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit von Gesuchstellern oder Konzessionsinhabern. Das ist auch nicht notwendig, weil bereits die Betriebsbewilligung diesen Aspekt regelt und das Departement eine Streckenkonzession nur Inhabern einer Betriebsbewilligung erteilen darf (Art. 28 Abs. 1 LFG). In wirtschaftlicher Hinsicht wird bei der Erteilung einer Streckenkonzession nur verlangt, dass der Gesuchsteller Angaben macht über die Wirtschaftlichkeit der betreffenden Strecke (Art. 114 Abs. 1 lit. f LFV), ohne dass dem Departement die Kompetenz eingeräumt wird, das Gesuch abzuweisen, falls es der Ansicht ist, die betreffende Linie könne nicht wirtschaftlich betrieben werden.

b) Konzessionspflichten nach geltendem Recht (Art. 111 LFV) Die LFV regelt die Konzessionspflichten in Artikel 111. Das konzessionierte Unternehmen muss seine Flugpläne und Tarife dem Departement unterbreiten und der Öffentlichkeit in geeigneter Weise zugänglich machen. Zudem hat es sicherzustellen, dass die bekanntgemachten Flugpläne und Tarife eingehalten werden. Die LFV hält ausdrücklich fest, dass «Art und Umfang der Betriebs- und Beförderungspflicht» in der Konzession geregelt werde.

210 211 212

Siehe Teil B, Ziff. IV.

Stellungnahme des UVEK an den Bundesrat vom 29. September 1998, S. 8 (Anhang 14).

Diese Kompetenz wird im LFG nicht ausdrücklich geregelt, ergibt sich aber aus Art. 28 Abs. 2 LFG («Das Departement prüft [...]»).

5531

Mit diesen Bestimmungen hält das schweizerische Recht in der revidierten Fassung von 1998 an der Betriebs- und Beförderungspflicht fest. Es weicht damit vom europäischen Recht ab, weil die entsprechende EG-Verordnung 2408/92213 keine Betriebs- und Beförderungspflicht enthält214. Das BAZL und das UVEK nahmen diese Diskrepanz bewusst in Kauf, weil damit «die Konzessionsbehörde auf die Rechtslage im Einzelnen eingehen und die Pflichten in angemessener Weise in der Konzession festschreiben [kann]»215. Weiter hielt das UVEK fest, die Betriebs- und Beförderungspflicht hänge «letztlich mit dem Charakter des Linienverkehrs als Teil des öffentlichen Verkehrs zusammen»216.

Alle Konzessionen des UVEK ­ und damit auch diejenigen der Swissair217 ­ enthielten eine Betriebs- und Beförderungspflicht218.

c) Die Konzessionspflichten vor der Revision von 1998 Vor der Revision des LFG von 1998 musste das Departement bei der Erteilung von einer sog. Betriebskonzession die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit prüfen bzw. der Gesuchsteller musste sie nachweisen (Art. 104 Abs. 1 lit. i aLFV). Wenn die finanziellen Grundlagen «offensichtlich ungenügend» waren, konnte das Departement die Konzession verweigern (Art. 105 Abs. 3 lit. c aLFV).

In der Konzession der Swissair vom 19. Dezember 1966 war die Firma verpflichtet worden, finanzielle Reserven zu bilden: Art. 13 Die Konzessionärin hat vom Reingewinn 1/10 dem allgemeinen Reservefonds zuzuweisen, bis dieser die Hälfte des Aktienkapitals erreicht. Die übrigen Einzelheiten werden in den Statuten der Gesellschaft festgesetzt.

Damit war die Swissair aufgrund ihrer Konzession bis 1996 verpflichtet gewesen, jährlich 1/10 ihres Reingewinns dem Reservefonds zuzuweisen, bis die Hälfte des Aktienkapitals erreicht war. Mit Verfügung des UVEK vom 23. Dezember 1996 wurde diese Klausel ersatzlos gestrichen219.

213 214 215 216 217

Vorne FN 116.

Siehe dazu folgender Abschnitt.

Stellungnahme des UVEK an den Bundesrat vom 29. September 1998, S. 7 (Anhang 14).

Stellungnahme des UVEK an den Bundesrat vom 29. September 1998, S. 7 (Anhang 14).

Konzession vom 19. Dezember 1966, Art. 5 und Art. 6, übertragen mit Verfügung des UVEK vom 23. Mai 1997 auf die neu gegründete Gesellschaft Swissair Schweizerische Luftverkehr AG (Anhang 15).

218 In einem von der Gutachterin eingesehenen Dossier fand sich eine Konzession mit dem folgenden Wortlaut in Bezug auf die Betriebs- und Beförderungspflicht: Swisswings, Konzession vom 25. September 2001: Die Betriebs- und Beförderungspflicht: Das konzessionierte Unternehmen hat alle Vorkehrungen zu treffen, um den Betrieb im Rahmen der technischen und personellen Möglichkeiten gemäss den unterbreiteten und veröffentlichten Flugplänen durchführen und aufrechterhalten zu können. Das konzessionierte Unternehmen hat alle Vorkehrungen zu treffen, um Passagiere und Güter gemäss den vom BAZL genehmigten Allgemeinen Beförderungsbedingungen sowie den Normen der Internationalen Zivilluftfahrt-Organisation ICAO über die Beförderung gefährlicher Güter mit Luftfahrzeugen und den dazugehörigen technischen Vorschriften zu befördern (eingesehen beim BAZL am 28.6.02).

219 Auskunft des BAZL an Philippe Rochat.

5532

1.3

Erteilung der Streckenkonzession gemäss EG-Verordnung 2408/92

Die EG-Verordnung 2408/92220 hält in Artikel 3 fest, dass die betroffenen Mitgliedstaaten den Luftfahrtunternehmen der Gemeinschaft Verkehrsrechte auf Strecken der Gemeinschaft erteilen. Als «Luftfahrtunternehmen der Gemeinschaft» gelten gemäss Artikel 2 Buchstabe a die Luftfahrtunternehmen mit einer gültigen Betriebsbewilligung. Diese wird in der EU gemäss der EG-Verordnung 2407/92221 ausgestellt. Mit der Formulierung von Artikel 3 in der EG-Verordnung 2408/92 sorgt das EG-Recht dafür, dass jeder Inhaber einer Betriebsbewilligung das Recht hat, auf den Strecken der Gemeinschaft gewerblichen Luftverkehr zu betreiben (Streckenzugang). Auf die Unterscheidung zwischen Linienverkehr und Nichtlinienverkehr wird verzichtet.

Die EG-Verordnung 2408/92 regelt, unter welchen Bedingungen dieser Streckenzugang eingeschränkt werden kann. Dazu gehören Gründe des Umweltschutzes (Art. 8 und 9); die mangelnde wirtschaftliche Leistungsfähigkeit ist kein Grund, den Streckenzugang zu beschränken. Eine entsprechende Bestimmung ist auch nicht notwendig, weil die Vorschriften über die Betriebsbewilligung dafür sorgen, dass Fluggesellschaften mit ungenügender wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit ihren Betrieb einstellen müssen222.

2

Sistierung und Entzug von Streckenkonzessionen

Im Unterschied zum EG-Recht enthält das schweizerische Recht auch nach der Revision von 1998 Vorschriften über den Entzug einer Streckenkonzession. Gemäss Artikel 93 LFG und Artikel 112 LFV kann das Departement die Streckenkonzession entziehen, wenn der Konzessionär seine Pflichten in schwerer Weise oder wiederholt verletzt hat oder wenn die für die Erteilung erforderlichen Voraussetzungen nicht mehr erfüllt sind (Art. 112 Abs. 2 LFV). In «Notlage[n] oder bei veränderten Verhältnissen» kann das Departement den Konzessionär von einzelnen oder allen auferlegten Pflichten befreien oder ihm andere Erleichterungen gewähren (Art. 111 Abs. 2 LFV).

Der Entzug einer Streckenkonzession ist damit nach schweizerischem Recht eine präventive Massnahme oder eine Sanktion. Wenn die für die Erteilung massgebenden Voraussetzungen nicht mehr erfüllt sind, entzieht das Departement präventiv die Konzession(en), wenn schwere oder wiederholte Pflichtverletzungen vorgekommen sind, werden diese durch den Entzug sanktioniert.

Die genannten Voraussetzungen für den Entzug einer Streckenkonzession zeigen, dass mangelnde wirtschaftliche Leistungsfähigkeit nicht genügen kann, um einem Konzessionär die Streckenkonzession zu entziehen. Erst wenn der Konzessionär aus wirtschaftlichen Gründen ohne entsprechende Genehmigung Flüge annulliert oder Passagiere stehen lässt, verletzt er seine Beförderungspflicht und schafft damit einen Grund, um ihm die Streckenkonzession(en) zu entziehen. Diese Regelung ist sachgerecht: Auch unter schweizerischem Recht darf das Departement nur eine Streckenkonzession erteilen, wenn eine Betriebsbewilligung vorliegt. Diese kann wegen 220 221 222

Vorne FN 116.

Siehe Teil A, Ziff. II/3.

Siehe Teil A, Ziff. II/7.2.

5533

mangelnder wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit entzogen werden. Sobald die Betriebsbewilligung aufgehoben ist, besteht gemäss Artikel 28 Absatz 3 LFG und Artikel 112 Absatz 2 LFV ein Grund, die Konzession zu entziehen, weil die für die Erteilung gültigen Voraussetzungen (Betriebsbewilligung) nicht mehr erfüllt sind.

Sofern das BAZL die Inhaber einer Betriebsbewilligung auch in Bezug auf ihre wirtschaftliche Leistungsfähigkeit genügend überwacht, ist aufgrund der Verknüpfung zwischen Betriebsbewilligung und Streckenkonzession dafür gesorgt, dass das Departement wirtschaftlich ungenügenden Fluggesellschaften die Streckenkonzession(en) entzieht und es keine Konzessionsinhaber gibt, die aus wirtschaftlichen Gründen ihre Betriebs- und Beförderungspflicht nicht erfüllen können. Damit ist auch ­ vom Gesetz her ­ dem Schutz des öffentlichen Interessen Rechnung getragen, dass der Luftverkehr Teil der öffentlichen Verkehrsinfrastruktur ist und insbesondere der Anspruch der Passagiere auf eine zuverlässige Beförderung geschützt werden soll223.

3

Die Praxis des UVEK zu Erteilung, Beaufsichtigung und Entzug einer Streckenkonzession

Formell ist das UVEK für die Erteilung oder den Entzug einer Streckenkonzession zuständig, wobei das BAZL einen Antrag stellt. In der Praxis ist das UVEK den Anträgen des BAZL gefolgt. Verkehrspolitische Aspekte führten gelegentlich zu Diskussionen, ob die Konzession erteilt werden dürfe (z.B. bei drohender Konkurrenzierung der Bahn durch eine Luftfahrtgesellschaft).

Ende April 2002 waren zwei Unternehmen Inhaber einer oder mehrerer Streckenkonzessionen, Ende Oktober 2001 waren es noch 5 gewesen224. Das UVEK hat auch schon Streckenkonzessionen verweigert225 oder bereits ausgestellte Konzessionen entzogen226.

Zwischenergebnis: Fluggesellschaften, die im Linienverkehr gewerbsmässig Personen und Güter befördern, brauchen dafür neben der Betriebsbewilligung eine Streckenkonzession des UVEK. Für Strecken von und nach Ländern der EU erübrigt sich die Erteilung einer Streckenkonzession, weil ein Unternehmen für den Linienwie auch für den Nichtlinienverkehr gemäss EG-Verordnung 2408/92 Anspruch hat auf die Erteilung von Verkehrsrechten, sofern es über eine Betriebsbewilligung verfügt. Im Rahmen der Erteilung einer Streckenkonzession hat das UVEK die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit der Fluggesellschaft nicht zu prüfen. Das schweizerische Recht unterstellt den Inhaber einer Streckenkonzession einer Betriebs- und Beförderungspflicht; wenn der Streckeninhaber diese nicht (mehr) erfüllen kann, besteht ein Grund, ihm die Streckenkonzession zu entziehen.

223

In der Luftfahrtindustrie werden Versicherungsmodelle geprüft, die dafür sorgen sollen, dass Passagiere bei einem Grounding für die Kosten entschädigt werden, die durch eine Ersatzbeförderung entstehen, siehe Teil D, Ziff. IV.

224 Wie viele neuen Streckenkonzessionen das UVEK zwischen 1994 und 2001 ausgestellt hat, kann der Aufstellung gemäss Anhang 16 entnommen werden. Vgl. weiter Anhang 17 betreffend der vom UVEK in dieser Periode erneuerten Streckenkonzessionen.

225 Antworten BAZL auf Frage 24 (Anhang 2b).

226 Antworten BAZL auf Frage 25 (Anhang 2b).

5534

IV.

1

Die Aufsichtspflicht des BAZL als gesetzliche Aufgabe Die Funktion der Aufsichtspflicht in einem liberalisierten Umfeld

Die Luftfahrtindustrie ist in einer Phase des strukturellen Wandels: Die Liberalisierung bewirkt weltweit, dass Luftverkehr heute unter veränderten Bedingungen stattfindet: Das System beschränkter Verkehrsrechte wird durch den «Open Sky» abgelöst; auf Strecken, wo diese Liberalisierung stattgefunden hat, kann jede Fluggesellschaft Verkehrsdienste anbieten. Der Staat vergibt nicht mehr eine beschränkte Anzahl von Konzessionen, sondern jede Unternehmung, welche die gesetzlichen Voraussetzungen erfüllt, hat Anspruch darauf, auf dieser Strecke Flüge anzubieten.

Mit der Liberalisierung wurden auch gesetzliche Vorschriften über die Tarife aufgehoben: Die Unternehmung entscheidet, zu welchen wirtschaftlichen Bedingungen sie Flüge anbietet.

In vielen Staaten ­ darunter die Schweiz ­ wurde mit der Liberalisierung das Konzept abgelöst, dass eine nationale Fluggesellschaft mit staatlicher Beteiligung den hauptsächlichen Luftverkehr im Linienverkehr abwickelt. Die Fluggesellschaften wurden privatisiert; damit zog sich der Staat aus der direkten Mitwirkung bei der nationalen Fluggesellschaft zurück. Das war auch in der Schweiz der Fall: 1998 wurde das Monopol der Swissair aufgehoben (Revision des LFG), die Beteiligung des Bundes reduziert, und der Vertreter der Bundes im Verwaltungsrat der Swissair trat zurück227.

Der Rückzug staatlicher Vertreter aus dem Verwaltungsrat von (ehemals sog. nationalen) Fluggesellschaften bedeutet, dass der Staat nur über die Aufsichtsbehörde Auskünfte über die wirtschaftliche Lage von Fluggesellschaften erhalten und sie gegebenenfalls beeinflussen kann. Aus dieser Sicht hat sich die Funktion und die Rolle der Aufsichtsbehörden mit der Liberalisierung verändert.

Mit der Liberalisierung wurde der Zugang zum Markt geöffnet: Fluggesellschaften haben einen Anspruch auf eine Betriebsbewilligung und ­ für Strecken zwischen der Schweiz und Staaten der EU ­ auch auf die Ausübung von Verkehrsrechten, sofern sie die gesetzlichen Bedingungen erfüllen. Die Aufsichtspflicht bei der Überprüfung dieser gesetzlichen Anforderungen ist die einzige und entscheidende Möglichkeit des Staates, die Qualität der Dienstleistungen von Luftfahrtunternehmen zu beeinflussen. Die Liberalisierung des Luftverkehrs bedeutet damit nicht, dass sich der Einfluss staatlicher Organe im Luftverkehr vermindert hat;
er hat sich in erster Linie verändert. Staatliche Organe üben ihren Einfluss nicht mehr aus, indem sie sich direkt an den Flugunternehmen beteiligen, sondern indem sie deren Betrieb im Rahmen der Aufsichtspflicht überwachen.

227

Siehe Teil B, Ziff. III.

5535

2

Die Aufsicht über die operationelle und technische Sicherheit als primäre Aufgabe der Aufsichtsorgane

Auch und gerade in einem liberalisierten Umfeld kommt den Aufsichtsorganen im Luftverkehr eine zentrale Bedeutung zu, weil das Gefährdungspotential von Flugzeugen gegenüber Passagieren und unbeteiligten Dritten hoch ist. Primär müssen die Aufsichtsbehörden über Flugunternehmen für einen sicheren Betrieb sorgen. Das BAZL hat aus dieser Sicht zu Recht auch bei der Personalpolitik der technischen und operationellen Überwachung von Bewilligungsinhabern Priorität eingeräumt.

Die Aufsicht über die operationellen und technischen Voraussetzungen ist aufwändig: Sie beinhaltet die Aufsicht über mehr als 80 Flugunternehmen228. Dazu gehören die tägliche Überprüfung des Flugbetriebs, wöchentliche Massnahmen wie z.B.

Überprüfung der Einsatzbereitschaft der Flotte, die periodische Inspektion von Flugzeugen, die Überprüfung der Flughandbücher mit den Flugverfahren. Ähnliche Arbeiten fallen an bei der Aufsicht über die Wartungsorganisation. Im Zusammenhang mit der Umstrukturierung von Crossair nach dem «Grounding» der Swissair und nach den beiden Unfällen mit einer Crossair Maschine (Niederhasli 2000, Bassersdorf 2001) hat das BAZL diese operationelle technische Aufsicht in Bezug auf Crossair/Swiss International Air Lines Ltd. intensiviert.

Schliesslich ist im Zusammenhang mit der Aufsicht über operationelle und technische Anforderungen zu erwähnen, dass die einzuhaltende Vorschriften zunehmend durch Standards der Joint Aviation Authorities229 definiert sind. Das BAZL muss deshalb die gesetzlichen technischen und operationellen Anforderungen nicht mehr selber definieren, sondern (bloss) deren Einhaltung überwachen. Die Gutachterin kann nicht beurteilen, ob diese Tatsache zu einer Entlastung des BAZL führt oder das Gegenteil bewirkt.

3

Die Überwachung der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit als Teil der Aufsichtspflicht

Sowohl das schweizerische wie auch das EG-Recht verlangen, Flugunternehmen müssten in jeder Hinsicht zuverlässig sein, also auch in Bezug auf ihre wirtschaftliche Leistungsfähigkeit. In den Begründungserwägungen zur EG-Verordnung 2407/92 heisst es entsprechend: «Zur Sicherstellung zuverlässiger und angemessener Dienstleistungen ist zu gewährleisten, dass die Luftfahrtunternehmen stets auf einer wirtschaftlich soliden Grundlage und einem hohen Sicherheitsniveau operieren.»

Unter diesen Voraussetzungen scheint es problematisch, wenn das BAZL seine Aufsichtspflicht auf operationelle und technische Aspekte beschränkt und die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit insbesondere während der Dauer einer Betriebsbewilligung erst überprüft, wenn es sicherheitsrelevante Mängel festgestellt hat. Die wirtschaftliche Solidität eines Flugunternehmens ist eine der Voraussetzungen, die sowohl bei der Erteilung der Betriebsbewilligung als auch während deren Dauer als selbständiges Kriterium erfüllt sein muss; dies aus folgenden Gründen: 228 229

Antworten BAZL auf Frage 1 (Anhang 2b).

Siehe Teil A, Ziff. II/2.2.

5536

4

­

Genügende finanzielle Grundlagen als Voraussetzung für einen sicheren Betrieb: Die Sicherheit eines Flugbetriebs hängt davon ab, dass der Gesuchsteller einen solchen Betrieb finanzieren kann; er muss flugtüchtige Flugzeuge kaufen oder leasen können, die Wartung bezahlen, Ersatzteile und Flugbenzin kaufen und die Flugzeuge jeweils auf den gesetzlich vorgeschriebenen Stand der Technik bringen können. Insbesondere die präventiven Massnahmen zur Erhöhung der Flugsicherheit sollen nicht durch wirtschaftliche Schwierigkeiten des Unternehmens gefährdet sein.

­

Finanzielle Mindestanforderungen, um bei einem Antragsteller für eine Betriebsbewilligung finanzielle Seriosität sicherzustellen: Die LFV limitiert die Anforderungen an die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit auf die ersten 24 Monate bzw. bezüglich Liquidität auf die ersten drei Monate der Betriebstätigkeit. Damit erhält die Bestimmung den Charakter einer finanziellen Eintrittshürde. Die Anforderungen sollen verhindern, dass Betriebsbewilligungen an Unternehmen erteilt werden müssen, die ohne genügende finanzielle Mittel im Fluggeschäft tätig sein wollen und die nach kurzer Zeit den Betrieb aus Mangel an Geld wieder einstellen müssen.

­

Genügende finanzielle Mittel, um die Betriebs- und Beförderungspflicht zu erfüllen: Luftverkehr ist Teil der Verkehrsinfrastruktur. Es besteht ein öffentliches Interesse, dass Flüge, welche die Behörden genehmigt haben, tatsächlich ausgeführt werden und die Reisenden die Leistungen benützen können, die eine Fluggesellschaft anbietet230.

Die Aufteilung der Aufsichtspflicht zwischen UVEK und BAZL

Es wurde bereits dargestellt, dass das UVEK die Oberaufsicht über das BAZL ausübt231; diese vom Gesetz vorgesehene Aufteilung der Aufsichtspflicht wird in der Praxis angewendet. In materieller Hinsicht nimmt das UVEK nach den der Gutachterin zur Verfügung stehenden Angaben direkten Einfluss auf die Entscheidfindung, wenn es um verkehrspolitische Grundsatzfragen geht232 und bei der Personalpolitik des BAZL. Im Rahmen der finanziellen Aufsicht über das BAZL entscheidet das UVEK, wie viel Personal dem BAZL zur Verfügung steht. Aus den der Gutachterin zur Verfügung stehenden Unterlagen wird ersichtlich, dass dieser Punkt Gegenstand von Diskussionen ist zwischen dem UVEK und dem BAZL.

5

Das Inkrafttreten des Bilateralen Luftverkehrsabkommens: Personelle Auswirkungen

Weder das BAZL noch das UVEK haben nach eigenen Angaben im Hinblick auf das Inkrafttreten des Bilateralen Luftverkehrsabkommens besondere Vorkehrungen in personeller Hinsicht getroffen. Der Vergleich zwischen dem schweizerischen und dem EG-Recht hat jedoch gezeigt, dass bisher im schweizerischen Recht spezifische 230 231 232

Siehe Teil A, Ziff. III/1.1.

Siehe Teil A, Ziff. I/1.

Siehe Teil A, Ziff. III/3.

5537

Melde- und Aufsichtspflichten weniger streng formuliert waren als im EG-Recht.

Wollen das BAZL und das UVEK den neuen Anforderungen gerecht werden, müssen sie ­ in erster Linie jedoch das BAZL ­ organisatorische Massnahmen treffen.

Ob dies mit dem vorhandenen Personal möglich ist, kann die Gutachterin nicht beurteilen, weil dazu die Arbeitsbelastung der einzelnen Mitarbeiter geprüft werden müsste. Es müsste auch aufgrund der konkreten Personalsituation entschieden werden, ob das BAZL für die Überprüfung wirtschaftlicher Vorgänge andere Mitarbeiter/innen braucht, d.h. solche mit einer qualifizierten wirtschaftlichen Ausbildung.

5.1

Die heutige Personalsituation

Zwischen 1995 und 2001, d.h. im Zeitraum, in welchem das revidierte LFG und die revidierte LFV in Kraft getreten sind, ist der Personalbestand beim BAZL um ca.

10 % gestiegen. Im Aufsichtsbereich für gewerbsmässige Flugbetriebe waren 1995 für die Aufsicht der Flugoperationen 450 Stellenprozente vorhanden, bis im 2001 hat sich diese Zahl verdoppelt auf 900 Stellenprozente233. Insgesamt sind heute im Team «Zulassung und Aufsicht Luftfahrtbehörden» 17,5 Stellen zugeteilt234.

5.2

Künftiger Bedarf

Es ist der Gutachterin nicht möglich, im Rahmen dieses Gutachtens zu beurteilen, ob dem BAZL für die Erfüllung seiner gesetzlichen Aufgaben genügend Personal zur Verfügung steht und ob dieses Personal für die Wahrnehmung seiner Aufgaben genügend qualifiziert ist. Insbesondere kann nicht definiert werden, ob und wenn ja wie viele Personen notwendig sind, um die seit 1. Juni 2002 geltenden wirtschaftlichen Anforderungen gemäss EG-Verordnung 2407/92 zu überprüfen. Aufgrund der gesetzlichen Vorgaben war die Überwachung der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit schon vor dem Inkrafttreten der Verordnung eine der Aufgaben des BAZL.

Angesichts der Tatsache, dass das BAZL bis heute dieser Aufgabe klar zweite Priorität eingeräumt hat, ist davon auszugehen, dass das BAZL für diese Aufgabe neue, qualifizierte Mitarbeiter braucht.

B.

Die Ausübung der Aufsichtspflicht gegenüber der Swissair Einführung

I.

Auf der Grundlage der im ersten Teil dieses Berichts erfolgten rechtlichen Überlegungen ist nun zu prüfen, unter welchen Bedingungen das BAZL seine Aufsichtspflicht gegenüber der Swissair ausübte.

Diese Prüfung basiert auch auf der Analyse und dem Vergleich von Informationen aus unterschiedlichen Quellen (amtliche Dokumente, interne Mitteilungen, mündliche Erklärungen, usw.), die es nicht immer erlaubten, die Lage vollständig und 233 234

Antworten BAZL auf Frage 14, insb. Beilagen 6a, 6b und 6d (Anhang 2b).

Antworten BAZL auf Frage 6 (Anhang 2b).

5538

objektiv zu erfassen. Der Gutachter war darauf bedacht, sich soweit wie überhaupt möglich an Tatsachen zu halten. Manchmal war er in Anbetracht schwierig nachzuvollziehender Hypothesen allerdings gezwungen, sich seine Meinung nach gesundem Menschenverstand und gestützt auf fundierte Erfahrung im betreffenden Bereich zu bilden.

Da es sehr aufwändig gewesen wäre, die Ausübung der Aufsichtspflicht des BAZL über eine längere Zeitspanne zu untersuchen, wurde vereinbart, sich an die fünf letzten Jahre zu halten, und mit der Restrukturierung der Swissair in den Jahren 1996/97 zu beginnen. Dieser Zeitpunkt fällt zusammen mit der Aufhebung des Monopols von Artikel 103 bei der letzten Revision des Bundesgesetzes über die Luftfahrt (LFG).

Diese bedeutende Restrukturierung steht denn auch am Anfang der Ereignisse, die schliesslich zum Verschwinden von SAirGroup und Swissair führten. Um den schrittweisen Niedergang der Swissair bis zur Stilllegung ihrer Flotte am 2. und 3. Oktober 2001 besser zu verstehen, müssen allerdings noch zwei andere, weiter zurückliegende Ereignisse erwähnt werden: Die Ablehnung des EWR durch das Schweizer Volk im Dezember 1992, und zwei Jahre später das Misslingen einer Allianz mit KLM, SAS und Austrian (Projekt Alcazar).

Diese beiden Ereignisse haben die Umwandlung der Swissair in eine Holding sowie den nachfolgenden Entscheid für eine Partnersuche im Sinne der sogenannten Hunter-Strategie235 stark beeinflusst; die dramatischen Folgen für die schweizerische Fluggesellschaft sind hinlänglich bekannt.

II.

Umwandlung der Swissair in eine Holding

Die Schaffung der SAirGroup gab Anlass zu zahlreichen Diskussionen und Briefwechseln zwischen der Swissair und der Bundesverwaltung, insbesondere dem UVEK und dem BAZL; dies mit dem Ergebnis, dass der Bundesrat am 9. April 1997 ­

die Änderung der Statuten der nationalen Gesellschaft genehmigte, und

­

der finanziellen Beteiligung sowie der Vertretung des Bundes im Verwaltungsrat ausschliesslich auf der Ebene der Dachholding SAirGroup zustimmte236.

Der zweite Beschluss sollte den Bund in die Lage versetzen, im Bereich der Luftfahrtpolitik seinen Einfluss auf angemessenem Niveau auszuüben, und zwar so sehr und so lange, als die Swissair «die gemischtwirtschaftliche schweizerische Unternehmung» im Sinne des alten Artikels 103 LFG bliebe. Er war das Ergebnis der ausdrücklichen Versicherung der Swissair, dass die SAirGroup Alleinaktionärin von SairLines sei, und diese ihrerseits Alleinaktionärin von Swissair Airline237.

235

Botschaft des Bundesrates vom 7. November 2001 über die Finanzierung des Redimensionierungskonzeptes für die nationale Zivilluftfahrt (BBl 2001 6444).

236 Bundesratsbeschluss vom 9. April 1997 betreffend die Reorganisation der Swissair, auf Antrag des UVEK vom 19. März 1997 (Anhang 18).

237 Brief des Verwaltungsratspräsidenten der Swissair an den Vorsteher des UVEK vom 27. Februar 1997 (Anhang 19).

5539

Diese Struktur wurde seinerzeit vom BAZL und den anderen befragten Bundesinstanzen als ein Mittel zur Stärkung der finanziellen Grundlage der Luftfahrtgesellschaft und ihrer Fähigkeit, neue Allianzen einzugehen, verstanden, verbunden mit einer Verbesserung des Börsenkurses der Aktien der Gruppe. Dies mag der Grund dafür sein, dass, wie sich aus den eingesehenen Dokumenten und den Gesprächen mit dem BAZL und dem UVEK ergibt, die Komplexität der neuen Strukturen, der Mangel an finanzieller Transparenz oder das Fehlen getrennter Jahresberichte von Tochtergesellschaften und Swissair-Gesellschaft nie kritisiert oder in Frage gestellt wurden, wie dies seither nun der Fall gewesen ist.

Damals war jedermann überzeugt, dass die SAirGroup als Alleinaktionärin von SAirLines, und SairLines ihrerseits als Alleinaktionärin der Swissair der Luftfahrtgesellschaft beistehen würden, sollte sie eines Tages in Schwierigkeiten geraten.

Diese Verpflichtung, welche sich stillschweigend aus der Korrespondenz der Swissair ergab238, hätte, worauf im ersten Teil des vorliegenden Berichts bereits hingewiesen wurde, deutlicher formuliert werden müssen239.

Eine solche Verpflichtung wog umso mehr, als die Swissair-Flotte ­ die Flotte macht in der Regel den wichtigsten Aktiv-Posten einer Luftfahrtgesellschaft aus ­ sich in einer selbständigen Rechtseinheit (Flightlease) wiederfand. Sie war auch insofern angebracht, als der Luftverkehrsbetrieb verwundbarer wurde, nachdem Bereiche wie beispielsweise Bordverpflegung, Betreuung am Boden oder der Zollfreiverkauf von Waren an andere unabhängige Tochtergesellschaften übertragen worden waren.

Der Gutachter möchte an dieser Stelle daran erinnern, dass das Transportgeschäft im Luftverkehr die kleinsten Gewinnmargen abwirft240, während die Tätigkeiten am Boden wesentlich höhere und stabilere Margen generieren. Diese Überlegungen haben wahrscheinlich auch mit dem am Rande der Restrukturierung getroffenen Entscheid zu tun, die Langstreckenflüge der Swissair auf den Flughafen Zürich zu konzentrieren; dies nachdem die Rentabilität der Langstreckenflüge von und nach Genf mangels direktem Ausgleich mit anderen gewinnbringenden Tätigkeiten der SAirGroup in Cointrin (wie Zollfreiverkäufe, Catering und Bodenbetreuung) nicht mehr gewährleistet war.

III.

Rücktritt des Bundes aus dem Verwaltungsrat der SAirGroup

Im Frühling 1999 kündigten die beiden Vertreter des Bundes im Verwaltungsrat der SAirGroup, die Herren Hans Werder (UVEK) und Dieter Syz (PTT) ihren Rücktritt an. Dies entsprach der Absicht, wie sie von Bund und anderen öffentlich-rechtlichen Körperschaften bei der Revision des Luftfahrgesetzes und der Aufhebung des Swissair-Monopols bekundet worden war, nicht mehr am inskünftig privaten Management der Gruppe direkt teilzunehmen241.

238 239 240

Vorne FN 130.

Siehe Teil A, Ziff. II/2.6.

Gemäss den internationalen Finanzkreisen lag der durchschnittliche Jahresgewinn der Luftfahrtgesellschaften seit 1947 unter 1 %.

241 Erklärung von Herrn Hans Werder bei seiner Aussprache mit den Gutachtern.

Siehe Teil B, Ziff. I.

5540

Dieser doppelte Rücktritt erfolgte auch im Hinblick auf die Bildung eines verkleinerten Verwaltungsrates, der besser in der Lage sein sollte, die wichtigen Entscheidungen zu fällen. Nach Auffassung von Herrn Werder hatte die grosse Anzahl von Verwaltungsräten sowie die Gefahr von Indiskretionen dazu geführt, dass die Entscheidungen mehr und mehr im Verwaltungsratsauschuss getroffen worden waren242.

Diesem Rücktritt hätte der schrittweise Verkauf der SAirGroup-Aktien des Bundes folgen müssen. Um den Aktienkurs durch eine umfangreiche Veräusserung nicht zu beeinträchtigen, wurde ein solcher Verkauf jedoch nie durchgeführt. Zudem sollte ein negatives Signal an die anderen Aktionäre und die Öffentlichkeit vermieden werden. Gleichzeitig hatte die Gruppe mit zunehmenden Schwierigkeiten zu kämpfen.

Damals fand der Wille der öffentlich-rechtlichen Körperschaften, sich von der SAirGroup zurückzuziehen, breite Unterstützung. Im Nachhinein sei ­ selbst wenn es angesichts der Ereignisse in der Zwischenzeit billig erscheinen mag ­ die Frage erlaubt, ob dem Bund überhaupt noch genügend Informationsquellen blieben, um die dramatische Situation in Bezug auf die Verschlechterung des Managements der Gruppe richtig einschätzen zu können. Die Frage ist umso berechtigter, als der Bund und der Kanton Zürich die zwei wichtigsten Einzelaktionäre der SAirGroup waren (und blieben)243.

Nach Auffassung des Gutachters war es für die zentrale Bundesverwaltung wahrscheinlich nicht angemessen, einen hohen Verantwortlichen des UVEK, von dem das BAZL abhängig ist, als Swissair-Verwaltungsrat zu haben, sollte doch die Luftfahrtaufsicht in voller Unabhängigkeit ausgeübt werden können. Nichtsdestotrotz muss ein wichtiger Aktionär in der Lage sein, sich über die Rentabilität seiner Investitionen ins Bild zu setzen. Handelt es sich überdies um eine öffentlichrechtliche Körperschaft, muss der besagte Aktionär auch über den Schutz der allgemeinen Interessen, die bei derartigen Investitionen an erster Stelle stehen, wachen können.

Unter diesen Umständen erscheint der Einsitz des Direktors der Eidgenössischen Finanzverwaltung im Verwaltungsrat der SWISS als befriedigende Lösung, zumindest solange der Bund einer der Hauptaktionäre des neuen Unternehmens bleibt. In seiner Eigenschaft als Verwaltungsrat verfügt Herr P. Siegenthaler jedenfalls
über angemessene Kontrollmöglichkeiten in Bezug auf die Interessen und Ziele des Bundes als Aktionär (aber auch als wichtiger Gläubiger des Unternehmens). Insofern ist, wie das Finanzdepartement betont, das Risiko der Überlagerung mit der Luftfahrtaufsicht auf ein absolutes Minimum beschränkt. Das soll die beiden Instanzen (Eidgenössische Finanzverwaltung und BAZL) allerdings nicht daran hindern, sich jeweilen abzusprechen, um im öffentlichen Interesse das Bestmögliche aus dieser dualistischen Rolle herauszuholen.

242 243

Ebenda.

Botschaft des Bundesrates vom 7. November 2001, in BBl 2001 6443.

5541

IV.

Übertragung der Betriebskonzession

Im Anschluss an ihre Restrukturierung hat die SAirGroup eindringlich um Übertragung der im alten Recht vorgesehenen (und im neuen Recht durch die doppelte Voraussetzung der allgemeinen Betriebsbewilligung und der Streckenkonzession ersetzten) Betriebskonzession von der alten auf die neue Swissair-Gesellschaft ersucht244. Bei dieser Gelegenheit hat die Gruppe dem BAZL alle Dokumente gemäss dem alten Artikel 112 LFV geliefert, das heisst insbesondere den Voranschlag und den Finanzplan für 6 Monate, sowie die Kapitalstruktur der neuen Gesellschaft: 150 Millionen CHF, gehalten zu 100 % von SairLines245.

Ferner wurden die Regierungen der interessierten Kantone und die öffentlichen Transportunternehmen, deren Interessen im Spiel sind (SBB und PTT) gemäss Artikel 112 Absatz 3 der alten LFV angehört246. Einwände wurden nicht erhoben, ausser von Seiten des Kantons Genf, der darum ersuchte, dass die Frage der Konzessionsdauer nicht vor der Revision des Luftfahrgesetzes behandelt werde.

Auf dieser Basis und nach Vernehmlassung des BAZL, nahm das UVEK am 23. Mai 1997 die Übertragung der Konzession vor. Demgegenüber wies es das Gesuch der SAirGroup auf gleichzeitige Verlängerung der besagten Konzession bis zum 31. Dezember 2011 ab, und beharrte auf dem früher festgelegten 31. Dezember 2008 als Endzeitpunkt247.

Der Gutachter stellte nach Gesprächen mit den Verantwortlichen des BAZL fest, dass die wirtschaftliche und finanzielle Situation offensichtlich keinen Anlass zu einer besonderen Prüfung bei dieser Übertragung gab. Es trifft zu, dass die damaligen Verhältnisse keine ernsthaften Fragen aufwarfen.

V.

Erteilung eines Luftverkehrsbetreiberzeugnisses (AOC) und Erneuerung der allgemeinen Betriebsbewilligung für die Durchführung von Flügen im Nichtlinienverkehr

Beim Inkrafttreten der Verordnung über den Betrieb von Flugzeugen im gewerbsmässigen Lufttransport (VOJAR-OPS 1, SR 748.127.8) am 1. April 1998, erhielt die Swissair ihr erstes Luftverkehrsbetreiberzeugnis (Air Operator Certificate, AOC)248.

Es handelt sich um ein ausschliesslich technisches und operationelles Dokument, das Strukturen, Verfahren und Handbücher der Transporteure auf europäischere Ebene festlegt und harmonisiert und deren diesbezüglichen Rechte und Pflichten bestimmt249.

244 245 246

Siehe Teil A, Ziff. III/1.1.

Brief der SAirGroup an das BAZL vom 12. Mai 1997 (Anhang 20).

Verfügung EVED vom 23. Mai 1997 betreffend die Übertragung der Konzession der Swissair, Schweizerische Luftverkehr AG, Zürich, vom 19. Dezember 1966 für die gewerbsmässige Beförderung von Personen und Gütern (Anhang 21).

247 Ebenda.

248 Luftverkehrbetreiberzeugnis Nr. 1017 vom 31. März 1998, gültig bis 31. März 2003 (Anhang 22).

249 Siehe Teil A, Ziff. II/2.2.

5542

Parallel dazu hat das BAZL die allgemeine Betriebsbewilligung, worüber die Swissair für die Durchführung von gewerbsmässigen Flügen im Nichtlinienverkehr verfügte, bis zum 31. Dezember 2000 erneuert250. Diese Bewilligung war nach altem Recht zur Ausübung der Charter-Tätigkeit erforderlich, welche die Swissair zusätzlich zu ihren Haupttätigkeiten im regulären Linienverkehr versah. Sie hätte mit dem Inkrafttreten des revidierten LFG und der revidierten LFV am 15. November 1998 durch die allgemeine Betriebsbewilligung für die gewerbsmässige Beförderung von Personen und Gütern ersetzt werden sollen. Da eine solche neue Bewilligung der Swissair erst am 29. Dezember 2000 erteilt wurde, blieb die alte Bewilligung bis zu diesem Zeitpunkt in Kraft251.

Bei der Ausstellung der oben erwähnten Dokumente waren die wirtschaftlichen und finanziellen Fragen nicht Gegenstand einer besonderen Prüfung. Es trifft zu, dass solches in Verbindung mit der Erteilung eines AOC252 nicht Pflicht ist und sich dies bei der Erneuerung einer Bewilligung für eine sehr sekundäre Tätigkeit auch nicht rechtfertigte.

VI.

Erteilung einer Streckenkonzession

Das UVEK erteilte am 13. Juli 1999 der Swissair eine Streckenkonzession für die gewerbsmässige Beförderung von Personen und Gütern auf regulären Linien, dies in Übereinstimmung mit Artikel 28 LFG und 110 ff. LFV253.

Die vom BAZL vorbereitete Verfügung des UVEK erging nicht gestützt auf ein formelles Gesuch der Swissair. Ferner stützte sie sich auf kein gemäss Artikel 114 ff.

LFV verlangtes Dokument ab und ihr ging auch keine (neue) Konsultation der betroffenen Kreise voraus.

Gemäss BAZL rechtfertigte sich in diesem Fall die Anwendung der Bestimmungen der LFV nicht, weil die Erteilung dieser Streckenkonzession sich direkt aus den Schlussbestimmungen des LFG, so wie sie anlässlich der Revision vom 26. Juni 1998 angenommen worden waren, ergab254. Tatsächlich wurden die Rechte und Pflichten der Swissair bei der Erteilung dieser Streckenkonzession weder geändert noch verlängert, so dass insofern lediglich die diesbezüglichen Bestimmungen der am 23. Mai 1997 auf die neue Swissair übertragenen Betriebskonzession vom 19. Dezember 1996 in der neuen vorgeschriebenen Form zu übernehmen waren255.

Es sind im Übrigen praktische Erwägungen, die zur Verfügung vom 13. Juli 1999 geführt haben. Es schien nämlich nötig, die Situation der Swissair für den Fall in Ordnung zu bringen, dass andere Unternehmen ­ im vorliegenden Fall Easy Jet Switzerland ­ die durch die Swissair zum Zeitpunkt des Inkrafttretens der Gesetzesrevision erworbenen (und tatsächlich von ihr ausgeübten) Rechte bestreiten sollten.

250 251 252 253 254

255

Allgemeine Betriebsbewilligung vom 1. April 1998 für die Ausführung gewerbsmässiger Flüge im Nichtlinienverkehr, gültig bis 31. Dezember 2000 (Anhang 23).

Siehe Teil B, Ziff. VII.

Siehe Teil A, Ziff. II/2.2.

Streckenkonzession vom 13. Juli 1999 (Anhang 24). Siehe Teil A, Ziff. III/3.

«Rechte aus bestehenden Konzessionen bleiben erhalten, soweit sie zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieser Änderung tatsächlich genutzt wurden. Sie werden in Streckenkonzessionen überführt.» (SR 748.0).

Siehe Teil B, Ziff. IV.

5543

Nach Auffassung des Gutachters waren das UVEK und das BAZL rechtlich nicht verpflichtet und hatten auch keinen technischen oder wirtschaftlichen Grund, anders vorzugehen. Die operationelle Aufsicht gab keinen Anlass zu einer Korrektur. Die Rentabilität der konzessionierten Linien stand nicht in Frage. Ferner hatte der allgemeine Gesundheitszustand des Unternehmens ­ der im Zusammenhang mit einer Streckenkonzession nicht zwingend geprüft werden muss, da er an die allgemeine Betriebsbewilligung gebunden ist256 ­ noch zu keinen Fragen oder Gerüchten geführt, die Gesuche um Klärung von Seiten der Luftfahrbehörden gerechtfertigt hätten.

VII.

1

Erteilung einer allgemeinen Betriebsbewilligung für die gewerbsmässige Beförderung von Personen und Gütern Zusammenhang

In der Zeitspanne zwischen der Erteilung der Streckenkonzession am 13. Juli 1999 und der Erteilung einer allgemeinen Betriebsbewilligung für die gewerbsmässige Beförderung von Personen und Gütern gemäss Artikel 27 LFG und 100 ff. LFV 18 Monate später, das heisst am 29. September 2000, veränderte sich die allgemeine Lage der Swissair erheblich257.

Um die Verfügung vom 29. Dezember 2000 ­ sie bildet offensichtlich das Herzstück der Prüfung der Tätigkeiten des BAZL im ganzen Swissair-Debakel ­ besser einordnen zu können, müssen kurz die wichtigsten Informationen in Erinnerung gerufen werden, welche die Aufmerksamkeit der Mitarbeiter des BAZL, die Ende 2000 zu entscheiden hatten, weckten (oder wecken konnten oder wecken mussten). Dabei fällt auf, dass mit den Tatsachen selektiv umgegangen wurde, was aus heutiger Sicht beim Leser unterschiedliche Eindrücke hinterlassen muss. Auch blieben die Signale in Bezug auf die Swissair bis Ende 2000 noch verhältnismässig widersprüchlich, während sie ab 2001 mehr und mehr zu Ungunsten des Unternehmens tendierten.

Während die konsolidierten finanziellen Ergebnisse der SAirGroup 1997 und 1998 ausserordentlich günstig ausfielen ­ 324 Millionen bzw. 361 Millionen CHF258 ­, wiesen die Zahlen für 1999 einen leichten Rückgang auf mit einem angekündigten und durch die Revisoren ausgewiesenen Gewinn von 273 Millionen CHF.

Dieser Rückgang erfolgte, nach einigen ausserordentlich guten Jahren, im Rahmen eines generellen Einbruchs in der Luftfahrtindustrie. Nach den Statistiken von OACI und IATA259 hatte die Entwicklung der konsolidierten Ergebnisse der SAirGroup zwischen 1998 und 1999 nichts Ungewöhnliches. Sie erschien sogar etwas weniger ungünstig als diejenige der hauptsächlichsten Konkurrenten.

256 257 258

Siehe Teil A, Ziff. III/3.

Betriebsbewilligung vom 29. Dezember 2000 (Anhang) Siehe Teil A, Ziff. II/2.3/a.

1997 und 1998 verzeichnete die Swissair die besten finanziellen Ergebnisse; das gleiche gilt für die Sabena, die in ihrer Geschichte einzig 1998 einen Gewinn erzielte.

259 International Air Transport Association (Internationaler Luftverkehrsverband); ein Verband der regulären Luftfahrtgesellschaften.

5544

Die zweite Hälfte 1999 ist ebenfalls durch (zwei) bedeutende Ereignisse geprägt, deren negative Auswirkungen auf den Geschäftsgang der Gruppe, insbesondere der Swissair, unbestritten sind, auch wenn sie unmöglich quantifiziert werden können.

Dabei handelt es sich um die beiden nacheinander erfolgten Entscheidungen der Austrian Airlines vom 21. September 1999, dann der Delta Airlines am 13. Oktober 1999, die Partnerschaft mit der Swissair zu beenden260. Die schweizerische Gesellschaft stand somit unvermittelt ohne starke Partner da ­ insbesondere ohne die durch die Hunter-Strategie sichtlich abgeschreckte nordamerikanische Delta ­, und dies ein Jahr nachdem sie bereits durch die Katastrophe von Halifax stark gebeutelt worden war261.

Während des Jahres 2000 führten weitere Ereignisse zu Zweifel und Fragen. Im Juli beispielsweise trat der Amerikaner J. Katz aus der Generaldirektion der Swissair zurück. Parallel dazu begann die Presse auf den erheblichen Finanzbedarf zur Unterstützung der ausländischen Partner, insbesondere der LTU in Deutschland, hinzuweisen, verbunden mit der Feststellung, dass der Aktienkurs der SAirGroup stark nach unten tendiere262.

An der Bilanzpressekonferenz für das erste Halbjahr 2000 machte die SAirGroup ihre unbefriedigende finanzielle Lage publik, dies unter Hinweis auf die Verschlechterung der Ergebnisse bei einigen Partnern, die Erhöhung der Treibstoffpreise, die Dollar-Hausse und eine stets grösser werdende Konkurrenz263.

Erstaunlicherweise schienen diese Elemente die Bewertungsfirma Moody's nicht zu beunruhigen; sie platzierte die Swissair im September 2000 weiterhin unter den vier besten Investitionen im Sektor Luftfahrtgesellschaften.

2

Prüfung des Gesuchs der Swissair und der Beilagen

In diesem grob skizzierten Umfeld beantragte die Swissair am 5. Dezember 2000 die Erteilung einer allgemeinen Betriebsbewilligung (Anhang 27), dem gemäss Artikel 103 LFV folgende Dokumente beigelegt waren:

260

261 262 263 264

­

Nachweis, dass es sich bei der Swissair Aktiengesellschaft um ein schweizerisches Unternehmen handelt

­

Auszug aus dem Handelsregister des Kantons Zürich

­

Liste der Verwaltungsräte264 und der Mitglieder der Unternehmensleitung

­

Nachweis der Eigentumsverbindungen zwischen SAirGroup, SAirLines und Swissair

Austrian schloss sich der Star Alliance an, während Delta sich mit der Air France zur Allianz Skyteam verband. Siehe René Luchinger, Swissair, Histoire secrète de la débacle, Editions Bilan, S. 216.

229 Tote beim Flugzeugunglück SR 111 am 3. September 1998 vor der kanadischen Küste.

René Luchinger, a.a.O., S. 255.

Protokoll der 75. ordentlichen Generalversammlung der Aktionäre, 25. April 2001, p. 4 (Anhang 26).

Herr P. Bruggisser ist der einzige Swissair-Verwaltungsrat.

5545

­

AOC vom 31. März 1998265

­

Nachweis der Benützungsrechte auf den Flughäfen Genf und Zürich

­

Geschäftsbericht der SAirGroup für 1999, einschliesslich Rechnung und Revisorenberichte, sowie die Berichte der verschiedenen Tätigkeitsbereiche der Tochtergesellschaften der Gruppe266.

Die Art und Weise, wie die Swissair den Antrag ausfüllte, liess vordergründig an ein Gesuch um Erteilung einer Bewilligung denken; auf Grund der Angaben und beigelegten Dokumente handelte es sich jedoch effektiv um eine Erneuerung, übte das beantragende Unternehmen doch bereits eine Tätigkeit im Sinne einer gewerbsmässigen Beförderung von Personen und Gütern, wie sie die Bewilligung vorsieht, aus. Dokumente, die technische und finanzielle Belange betrafen (Flugzeuge und Besatzungen bzw. Eröffnungsbilanz, Finanzplan und die Finanzaussichten für die ersten zwei Betriebsjahre), wie sie von neuen Unternehmen verlangt werden, mussten somit nicht vorgelegt werden.

Die Prüfung der von der Swissair vorgelegten Dokumente warf kein besonderes Problem auf, und der Gutachter kann bestätigen, dass diesbezüglich keinerlei Anlass zu Fragen bestand, insbesondere was die technischen und operationellen Aspekte anbelangt.

3

Finanzielle Aussichten und flüssige Mittel

Fragen wirft hingegen die Tatsache auf, dass zur Begründung des Gesuchs einzig die finanziellen Ergebnisse des Jahres 1999 verlangt und eingereicht wurden, dies insbesondere in Anbetracht der Entwicklung der Verhältnisse bis Dezember 2000, wie sie oben dargelegt wurde.

Es trifft zwar zu, dass die konsolidierten Abschlüsse der SAirGroup für 1999 ein sehr positives Ergebnis (273 Millionen CHF) auswiesen, während die SAirLines einen Jahresgewinn von 35 Millionen CHF verbuchte, dass sich die Bundesaufsicht auf die Swissair, welche seit Schaffung der Holding keine getrennten Geschäftsberichte und Rechnungen mehr vorlegte, beschränkte267, dass die Rechnungen nach den Bestimmungen über die Aktiengesellschaften (Art. 662 und 665 ff. OR) und des SWX Swiss Exchange gebührend geprüft wurden268, dass das BAZL seine wirtschaftliche und finanzielle Aufsicht einzig im Bestreben ausübte, in technischer und operationeller Hinsicht die Voraussetzungen für einen zuverlässigen Flugdienst zu gewährleisten269.

265 266 267 268 269

Siehe Teil B, Ziff. V.

Brief des UVEK vom 31. Oktober 2001 an die Subkommission EDI/UVEK, S. 2.

Siehe Teil B, Ziff. II.

Brief des UVEK vom 31. Oktober 2001 an die Subkommission EDI/UVEK, S. 2.

Ebenda.

5546

All dies ändert jedoch nichts daran, dass die Informationen und Gerüchte über die Verschlechterung der Lage ungeachtet der besonderen Verhältnisse eine strengere Kontrolle gerechtfertigt hätten, zumal gerade auch aus Anlass der Erneuerung der allgemeinen Betriebsbewilligung.

Wohl haben nach Angaben des BAZL zu diesen Fragen Gespräche mit der Swissair stattgefunden. Diese machte indessen unter Hinweis auf die laufenden bedeutenden Umstrukturierungen der Gruppe geltend, es sei ihr unmöglich, rasch verlässliche finanzielle Schätzungen vorzulegen. Gleichzeitig bestätigte sie, dass (a) die finanziellen Ergebnisse des ersten Halbjahres 2000 ausgeglichen, und (b) für 2002 genügend flüssige Mittel vorhanden seien. Im Übrigen verpflichtete sie sich, das BAZL über die weiteren Entwicklungen auf dem Laufenden zu halten und ihm so bald wie möglich zuverlässige Angaben über die finanziellen Aussichten vorzulegen Wie bereits im ersten Teil des vorliegenden Berichts dargetan, ist Artikel 27 Absatz 2 Buchstabe c LFG strikt anzuwenden. Diese Auslegung wird durch die ab 1. Juni 2002 in der Schweiz geltende europäische Gesetzgebung bestätigt und zusätzlich noch dadurch unterstrichen, dass für das folgende Jahr Finanzpläne verlangt werden270.

Der Experte nimmt nicht an, dass das BAZL die Erteilung (Erneuerung) der von der Swissair beantragten allgemeinen Betriebsbewilligung hätte verweigern können oder müssen. Dies wäre weder auf Grund der geltenden gesetzlichen Bestimmungen, noch auf Grund der Umstände gerechtfertigt gewesen.

Eine solche Massnahme hätte denn auch nur dann Sinn gemacht, wenn die Voraussetzungen für einen sicheren und zuverlässigen Betrieb offensichtlich nicht mehr erfüllt gewesen wären. Im vorliegenden Fall waren diese Bedingungen erfüllt und hätten verifiziert werden können271.

Die bis am 31. Dezember 2005 erteilte Bewilligung hätte aber auf einen früheren Zeitpunkt begrenzt oder wenigstens mit der Auflage verbunden werden können, binnen nützlicher Frist einen Finanzplan für 2000/2001 vorzulegen. Es trifft zu, dass im Zeitpunkt der Erteilung der allgemeinen Bewilligung, das heisst am 29. Dezember 2000, von der SAirGroup erwartet werden durfte, rasch Vorinformationen über die Rechnung 2000 vorzulegen, was dann in den ersten Monaten 2001 der Fall war.

VIII.

1

Ausübung der laufenden Aufsicht, insbesondere 2001 Technische und operationelle Aufsicht

Die technische und operationelle Aufsicht der Swissair wurde vom BAZL während der ganzen untersuchten Zeit (1996­2001) nach den geltenden Bestimmungen ausgeübt, und zwar durch Koordinationssitzungen, Teilnahme von Inspektoren an internen Sitzungen des Unternehmens, Fachdiskussionen, Berichtsprüfungen, Audits nach den europäischen JAR-Bestimmungen272, unangemeldete Kontrollen, usw.273.

270 271 272 273

Siehe Teil A, Ziff. II/7.

Siehe Teil B, Ziff. XI.

Siehe Teil A, Ziff. II/2.2.

Brief des UVEK vom 15. Januar 2002 an die Subkommission EDI/UVEK, S. 1­3.

5547

Zwar gewann der Gutachter nur ein sehr allgemeines Bild von den Umständen dieser Aufsicht, doch fand er jedenfalls nicht den geringsten Anhaltspunkt für Versäumnisse oder Mängel im Flottenunterhalt oder in Bezug auf die operationelle Swissair-Führung. Besondere Zwischenfälle sind bis zur Stillegung am 2. und 3. Oktober 2001 und danach nicht bekannt geworden. Mit Ausnahme unbedeutender Mängel ergaben auch die SAFA-Inspektionen keine gravierenden Probleme274. Der einzige diesbezügliche Vorbehalt figuriert im kanadischen Untersuchungsbericht über die Katastrophe von Halifax275. Es handelt sich um einen rein formellen Vorbehalt im Hinblick auf die Schlussfolgerungen der kanadischen Experten in den kommenden Monaten.

2

Wirtschaftliche und finanzielle Aufsicht

Im Rahmen der Anstrengungen zur Restrukturierung und Neuausrichtung der durch den Verwaltungsrat der SAirGroup im November 2000 lancierten Strategie waren während der ersten Hälfte 2001 gewichtige Änderungen zu verzeichnen. So erfolgte die Ablösung von Herrn P. Bruggisser an der Spitze der Gruppe durch Herrn M. Suter, dann durch Herrn M. Corti. Die Expansionsstrategie wurde aufgegeben, erste Tochtergesellschaften oder Beteiligungen wurden verkauft und Kosteneinsparungen durchgeführt oder geplant.

An der Generalversammlung der Aktionäre der SAirGroup vom 25. April 2001 wurde ein Defizit von 2885 Millionen CHF ausgewiesen. Es wurde eine spezielle Kontrolle beschlossen und ein neues Revisionsorgan bestimmt. Ferner wurden die Aktionäre darüber informiert, dass die Gruppe eine neue Kreditlinie von 1 Milliarde CHF erhalten habe276.

Diese Kreditlinie war eigentlich dazu bestimmt, die früheren Kredite, welche die SAirGroup im Laufe des ersten Halbjahres 2002 zurückzahlen musste, zu ersetzen, weil die Fristen für die Rückzahlung nicht mehr verlängert wurden277. Der Betrag der zurückgezahlten Kredite war ursprünglich auf 1 Milliarde CHF geschätzt, wurde aber dann durch Herrn M. Corti auf 777 Millionen CHF korrigiert; die UBS ihrerseits schätzte den Gesamtbetrag dieser durch die SAirGroup während des ersten Halbjahres 2001 zurückbezahlten Gelder auf etwa 1,6 Milliarden CHF.

Diese etwas spärlichen Daten über das erste Halbjahr 2001 sollten in Erinnerung gerufen zu werden, um zu zeigen, wie komplex die Strukturen der SAirGroup und wie zahlreich die Banken waren, mit denen sie Geschäftsbeziehungen unterhielt278.

Während dieser Periode fanden zwischen der Swissair und dem BAZL zahlreiche Kontakte statt. Herr M. Corti und Herr A. Auer kamen im März und April 2001 zweimal zusammen, während sich die Begegnungen mit Herrn P. Bruggisser seinerzeit sehr in Grenzen gehalten hatten. Ferner fanden zwischen Herrn D. Ruhier, Betriebschef Lufttransport und Herrn P. Luethi, Vizepräsident der SAirGroup und 274 275 276 277

Siehe Teil F.

Siehe Teil B, Ziff. VII/1.

Mit besonderen Auflagen verbundener Kredit von CitiGroup, Deutscher Bank und CSFB.

Kredite verschiedener Banken (UBS, Nordea, CIC, Basler Kantonalbank, Dresdnerbank) und anderer Gläubiger.

278 Gemäss Angaben der Verantwortlichen der SAir-Group waren mehr als 50 Banken betroffen.

5548

zuständig für Aussenbeziehungen, im Beisein ihrer Mitarbeiter mehrere Koordinationssitzungen oder telefonische Kontakte statt.

Die Liquiditätsprobleme wurden auf breiter Ebene besprochen, ebenso die Anstrengungen zur Restrukturierung und die Aussichtungen zur Ablösung von Verpflichtungen und zum Verkauf von Beteiligungen und Tochtergesellschaften. Nach Angaben ihrer Gesprächspartner im BAZL machten die Swissair-Verantwortlichen hinsichtlich der kurz- und mittelfristigen Aussichten stets einen zuversichtlichen Eindruck, so dass sie es nicht als erforderlich erachteten, genauere Bewertungen zu veranlassen oder die Meinung aussenstehender Experten einzuholen.

Vor allem gingen die Verantwortlichen des Amtes davon aus, dass die SAirGroup, solange sie Kredite zurückzahlen und erhebliche Kredite erhalten konnte, noch über genügend flüssige Mittel verfügte.

IX.

Ausübung der Auskunfts- und Meldepflicht durch die Swissair

An dieser Stelle stellt sich Frage, ob die Swissair ihrer Auskunfts- und Meldepflicht gemäss Artikel 107 LFV ausreichend nachgekommen ist279. Für den Gutachter liegen keine Gründe vor, daran zu zweifeln, dass die Swissair dem BAZL in Bezug auf die Ereignisse in ihrem Betrieb und in Bezug auf ihre Absichten zur Restrukturierung oder Beteiligung an anderen Unternehmen korrekt Auskunft erteilt hat.

Hingegen stellt sich die Frage, ob die Swissair, spontan oder auf Ersuchen des BAZL, ihre wirtschaftliche und finanzielle Lage immer realitätsgerecht dargestellt hat. Da gegen drei ehemalige leitende Angestellte der SAirGroup280 eine Strafklage hängig ist und der Nachlassverwalter, Herr K. Wüthrich, anstelle der Spezialkontrolle eine eigene Untersuchung zur Feststellung der Verantwortlichen in diesem Debakel eröffnet hat281, 282, sind die Schlussfolgerungen dieser Untersuchungen abzuwarten, um diese Frage beantworten zu können.

Der Experte hat den Eindruck, dass Herr M. Corti und seine Mitarbeiter während der ganzen untersuchten Zeitspanne die Lage nie wirklich ganz überblickten, dies, nebst anderen Faktoren, aus Gründen der komplexen Gruppenstrukturen, der sehr starken Konzentration des Finanzmanagements bei Herrn P. Bruggisser, der im Januar 2001 von einem Tag auf den anderen abtrat, sowie mangels eines Finanzmanagers zwischen Mai 2000 und Juni 2001.

Daraus kann geschlossen werden, dass streng genommen die Auskunftspflicht nicht verletzt wurde, zumal sie sich hinsichtlich der finanziellen Belange nicht ausdrücklich aus Artikel 107 LFV ergibt und ferner auf die SAirGroup nicht anwendbar ist, sondern nur auf das Unternehmen Swissair als Inhaber der allgemeinen Betriebsbewilligung.

279 280 281 282

Siehe Teil A, Ziff. II/8.

Gemäss Schweizer Presse vom 19. Juni 2002.

Siehe Teil B, Ziff. VIII/2.

Gemäss Schweizer Presse vom 27. Juni 2002.

5549

X.

Stilllegung der Swissair-Flotte am 2. und 3. Oktober 2001

Im Juli 2001 herrschte ein gewisser Optimismus, und zwar auf Grund eines neuen Restrukturierungsprogramms und einer scheinbaren Stabilisierung der Ergebnisse im ersten Halbjahr. Diskutiert wurde auch eine Finanzspritze von etwa 4,5 Milliarden CHF liquider Mittel ab diesem Zeitpunkt bis Ende 2002, insbesondere durch den Verkauf gewinnbringender Tochtergesellschaften.

Ende August zeigte die durch den neuen KPMG-Revisor korrigierte Rechnung 2000 eine weitere Abnahme des Eigenkapitals der Gruppe283, was zu einer weiteren Schwächung des Vertrauens der Finanzmärkte in die Zukunft der SAirGroup führte.

Dies hinderte den Bundesrat nicht daran, sein Vertrauen in die Fähigkeit der Swissair, die Lage aus eigener Kraft zu meistern, zu bekräftigen. Dies ergibt sich aus seiner Erklärung vom 5. September als Antwort auf eine Interpellation von Nationalrat C. Grobet. Der Bundesrat versicherte, dass er von den grossen Schwierigkeiten der Swissair Kenntnis habe, zog aber keine Staatshilfe in Form von Darlehen in Betracht.

Die Ereignisse vom 11. September und ihre weitreichenden wirtschaftlichen und finanziellen Auswirkungen änderten die Lage rasch und dramatisch. Die meisten Fluggesellschaften verzeichneten grosse Einnahmenverluste284. Die SAirGroup war zudem noch zusätzlich von der Wertverminderung ihrer zum Verkauf stehenden Tochtergesellschaften und dem diesbezüglichen Mangel an Interesse betroffen.

Trotz dieser nicht voraussehbaren Verschlechterung zahlte die Gruppe am 27. September noch eine Verpflichtung von 100 Millionen CHF zurück und verschob einen aus Angestellteneinlagen stammenden Betrag in der Grössenordnung von 118 Millionen CHF auf ein Sperrkonto. Gleichzeitig kündigte die UBS ihre Verträge mit cash pooling.

Auf die Ereignisse des Wochenendes vom 29. und 30. September zwischen Bern und Zürich sowie die öffentliche Ankündigung der SAirGroup am Montagabend des 1. Oktobers, Nachlassstundung zu erwirken, braucht an dieser Stelle nicht weiter eingegangen zu werden.

Während dieser letzten Periode dauerten die Kontakte zwischen dem BAZL und der Swissair fort, doch verlagerten sich die Beziehungen von der Luftfahrt auf die politische und wirtschaftliche Ebene. Das BAZL nahm an den Diskussionen um die flüssigen Mittel und die Refinanzierung teil, doch lagen die Entscheidungen der Bundesbehörden fortan
beim Bundesrat.

Gemäss den Informationen des BAZL reichte die Crossair am Montag, den 1. Oktober beim Amt ein Gesuch ein, einen Teil der Kurz- und Mittelstreckenflüge der Swissair auf eigene Rechnung zu übernehmen. Dem lag die Annahme zu Grunde, dass die Swissair-Flotte stillgelegt würde. Diesem Gesuch gab das BAZL im Laufe des Grounding statt. Dadurch konnte sich ein Teil der Swissair-Passagiere den Folgen der Stilllegung entziehen.

283 284

Das Eigenkapital wurde am 31. Dezember 2000 auf 716 Millionen CHF reduziert.

Die Rede ist von 60 Millionen CHF pro Woche für die Swissair.

5550

Es ist nicht Sache des Gutachters, sich über die Gründe der Stilllegung der SwissairFlotte zu äussern, wie sie Herr M. Corti im Verlauf des 2. Oktobers mangels genügender flüssiger Mittel beschloss, um dadurch die allmähliche Blockierung aller Flugzeuge auf den ausländischen Flughäfen zu verhindern. Die Kontroverse zur Höhe der verfügbaren flüssigen Mittel am 2. Oktober kann hier nur am Rand erwähnt werden. Demgegenüber zweifelt der Gutachter nicht daran, dass die öffentliche Bekanntmachung des Gesuchs um Nachlassstundung entscheidend zum Grounding beigetragen hat, indem nun nicht nur die Lieferanten alle Zahlungen in Bargeld verlangten, sondern auch zahlreiche Gläubiger danach trachteten, vor dem Inkrafttreten der Stundung mit allen verfügbaren Mitteln die Rückerstattung ihrer Forderungen zu erwirken.

Verlangt ein Unternehmen die Rechtswohltat einer Nachlassstundung285, zumal wenn seine Aktiven über die ganze Welt verstreut sind, wäre es besser, dass es seine Absicht erst in dem Augenblick öffentlich bekannt macht, in welchem der Richter entscheiden kann. Im Fall der Swissair erfolgte die Bekanntmachung am 2. Oktober, doch trat die Stundung erst am 5. Oktober in Kraft.

XI.

Sistierung oder Entzug der allgemeinen Betriebsbewilligung?

Betrachtet man die Entwicklung der Lage der Swissair im Lauf des Jahres 2001, kann man sich fragen, ob eine Sistierung oder ein Entzug ihrer allgemeinen Betriebsbewilligung für die gewerbsmässige Beförderung von Personen und Gütern gerechtfertigt gewesen wäre286.

Der Gutachter zweifelt nicht daran, dass eine solche Massnahme hätte ergriffen werden müssen, wenn die technischen und operationellen Bedingungen für einen sicheren Betrieb nicht mehr erfüllt gewesen wären; oder wenn die Swissair in Konkurs gefallen wäre und sie die Sistierung ihrer Bewilligung nicht selbst beantragt hätte287.

Eine Massnahme im Sinne eines Entzugs oder einer Sistierung hätte die Aussichten der Swissair für eine Gesundung sehr negativ beeinflusst, und zwar so sehr und so lange, als das Unternehmen und die SAirGroup noch über genügend flüssige Mittel verfügten oder darauf hoffen konnten, solche Mittel zu erhalten. Umgekehrt hätte eine derartige Massnahme ab dem Zeitpunkt, an dem sich diese Hoffnung zerschlug, das heisst insbesondere nach den Ereignissen des 11. September 2001, möglicherweise erlaubt, die Stilllegung der Flotte besser in den Griff zu bekommen, statt das Grounding, wie es schlussendlich ablief, erleben zu müssen. Aus rein rechtlicher Sicht hätte ein unverzüglicher Entzug der Betriebsbewilligung indessen Probleme

285

Die schweizerische Nachlassstundung entspricht in gewissem Masse den Bestimmungen gemäss Kapitel 11 des amerikanischen Rechts, die es den amerikanischen (Luftfahrt-)Gesellschaften erlauben, sich oft über Jahre hinweg vor ihren Gläubigern zu schützen.

286 Siehe Teil A, Ziff. II/7.4.

287 Swiss World Airways (SWA) hat im Dezember 1998 beim BAZL die Sistierung ihrer generellen Betriebsbewilligung beantragt; dem Gesuch wurde entsprochen.

5551

aufgeworfen. Nach Auffassung des Gutachters hätte das BAZL vorerst entscheiden müssen, ob die Voraussetzungen von Artikel 102 LFV erfüllt waren288.

In diesem Zusammenhang dürfte der Hinweis interessieren, dass das BAZL während des Wochenendes vom 29. und 30. September jedenfalls einen Sistierungsentscheid betreffend die allgemeine Betriebsbewilligung der Swissair vorbereitete. Es stellte sich die Frage, ob ein solcher Entscheid am Vormittag des 2. Oktobers zu treffen sei, doch wurde aus Gründen, die wahrscheinlich mit der Staatsraison zusammenhängen, darauf verzichtet. War es wirklich nötig, dass der Bund das Risiko auf sich nahm, als Hauptverantwortlicher des Grounding dazustehen?

C.

Personelle Verflechtungen?

Das BAZL hat schon immer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter eingestellt, die von der Swissair ausgebildet wurden oder für sie gearbeitet hatten. Im beschränkten Markt der schweizerischen Luftfahrt ist es praktisch unmöglich, ausserhalb der Luftfahrtunternehmen, Flughäfen, Flugdienste, usw. Schweizer Fachleute zu finden, die über die erforderliche Berufserfahrung verfügen. Dies gilt vor allem für die technischen und operationellen Bereiche, in denen sehr spezifische Kenntnisse verlangt werden.

Im Anschluss an den Bericht von Dr. N. Oberholzer wurden die Verflechtungsfragen in diversen Erlassen geregelt, insbesondere in der Weisung des UVEK vom 18. Dezember 1998289. Bezüglich der Aufsicht über die Swissair hat der Gutachter von Seiten des damit betrauten Personals des BAZL keinerlei Willfährigkeit festgestellt. Obwohl fast 25 Prozent der Sachbearbeiter für den Flugbetrieb, namentlich im technischen und operationellen Bereich, vor ihrer Einstellung im BAZL bei der Swissair arbeiteten290, scheint ihr Urteil dadurch nicht beeinflusst worden zu sein.

Man kann sich sogar fragen, ob dieser, innerhalb des BAZL transparent gemachte Aspekt, nicht im Gegenteil die Betroffenen bewogen hat, ihre Kontrollaufgaben mit besonderer Gründlichkeit wahrzunehmen, um jeden diesbezüglichen Zweifel auszuräumen.

Neben diesen Überlegungen ist jedoch ein allgemeinerer Aspekt psychologischer Art zu erwähnen, der mit dem Ruf zusammenhängt, den die Swissair in der Schweiz und im Ausland bis zum «Grounding» am 2. und 3. Oktober 2001 genoss und der auch den dadurch ausgelösten Schock erklärt!

Es soll hier keineswegs eine Art Gefälligkeit bei der Beurteilung der Finanzlage der Swissair durch das BAZL angedeutet werden. Tatsache ist aber, dass die von dieser Gesellschaft während mehrerer Jahrzehnte regelmässig gelieferten Finanzberichte nie ernsthaft Fragen aufgeworfen haben. Nun wird normalerweise die Wachsamkeit des Aufsichtspersonals geweckt, wenn es bei einem Unternehmen wiederholt Anzeichen finanzieller Schwierigkeiten gibt, so wie die Durchsuchung von Passagieren in den Flughäfen nach einem Zwischenfall viel gründlicher ausfällt als nach einer längeren Periode ohne Anschlag gegen die zivile Luftfahrt.

288 289

Siehe Teil A, Ziff. II/7.4.

Weisung über die Tätigkeit von Bediensteten des BAZL und des BFU in Luftfahrtunternehmen (Beilage 28).

290 Stand 2001 und 2002.

5552

Der Gutachter ist nicht der Meinung, diesem Faktor komme im vorliegenden Fall eine grosse Bedeutung zu. Er könnte indessen dazu beigetragen haben, dass die Auswirkungen der Restrukturierung auf die finanzielle Transparenz der SAirGroup beim Luftbetrieb etwas oberflächlich eingeschätzt wurden und vielleicht auch, dass die Verschlechterung der Lage in den Jahren 2000 und 2001 erst mit einer gewissen Verspätung erkannt wurde.

In diesem Zusammenhang ist jedoch daran zu erinnern, dass die Bundesbehörden damals die Auffassung vertraten, ihre Aufsicht über die Luftfahrtunternehmen beschränke sich auf die Prüfung der technischen und operationellen Bedingungen für einen zuverlässigen Flugbetrieb. So musste der Bundesrat in seiner Botschaft vom 7. November 2001 ausführen: «Der Bund prüft deshalb nicht, ob ein Unternehmen gewinnbringende Geschäfte führt oder Aktionäre und Gläubiger vor finanziellen Verlusten geschützt werden. Die Festsetzung der strategischen Ziele sowie die finanzielle Verantwortung liegen ausschliesslich bei den für das privatwirtschaftliche Unternehmen verantwortlichen Organen. [...] Eine ständige Kontrolle der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit der Luftverkehrsunternehmen sieht das Luftrecht nicht vor»291.

D.

I.

Vergleich mit der Praxis ausländischer Luftfahrtbehörden Vorbemerkungen

Interessante Hinweise gibt ein Vergleich der oben beschriebenen Praxis der schweizerischen Luftfahrtbehörden mit derjenigen ausländischer Amtsstellen, die bei der Ausübung ihrer Aufsichtsfunktion ähnliche Situationen zu bewältigen hatten oder haben könnten.

Ein solcher Vergleich drängt sich auch auf, weil die Verordnung der Europäischen Union über die Erteilung von Betriebsgenehmigungen an Luftfahrtunternehmen292 seit dem 1. Juni 2002 in der Schweiz direkt anwendbar ist. Wie im ersten Teil des vorliegenden Berichts dargelegt, gibt es keinen eigentlichen Widerspruch zwischen der europäischen Regelung und der Schweizer Praxis (vor dem 1. Juni 2002), die sich weitgehend an dieser Regelung orientiert, vor allem was die Erteilung der ersten Betriebsbewilligung und die unter bestimmten Bedingungen zu prüfenden Finanzunterlagen betrifft. Die EG-Verordnung 2407/92 schafft jedoch einen strengeren und umfassenderen Rahmen für die finanzielle und wirtschaftliche Aufsicht und verlangt eine ständige Kontrolle293.

Auch wenn die EG-Verordnung 2407/92 dies nicht ausdrücklich festhält, dient die wirtschaftliche und finanzielle Aufsicht dem Geist dieses Erlasses entsprechend einem eigenen Zweck. Einerseits gilt sie als wichtiges Indiz oder gar als Garant für die technische und operationelle Zuverlässigkeit eines Luftfahrtunternehmens, die in der Verantwortung des Staates liegt; andererseits sichert diese Aufsicht auch das gute Funktionieren des europäischen (Binnen)marktes im Luftverkehrswesen, indem 291

Botschaft über die Finanzierung des Redimensionierungskonzeptes für die nationale Zivilluftfahrt, BBl 2001 6443.

292 Verordnung (EWG) Nr. 2407/92 des Rates vom 23. Juli 1992. Siehe Teil A, Ziff. II/3.

293 Ibidem.

5553

die Kontinuität der von den EU-Flugunternehmen erbrachten Verkehrsdienste im Interesse der Gesellschaft insgesamt und der Konsumenten im Besonderen nach Möglichkeit gewährleistet wird.

II.

1

Kurze Untersuchung der Lage in verschiedenen Ländern Deutschland

Bei der Umsetzung der EG-Verordnung 2407/92, die stark von der deutschen Gesetzgebung und Praxis geprägt ist, üben die Luftfahrtbehörden auf wirtschaftlicher, technischer und operationeller Ebene eine systematische Kontrolle aus. Diese Aufgabe wird von drei verschiedenen Departementen mit einem Personalbestand von insgesamt 60 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern wahrgenommen. Rund 10 von ihnen sind im Wirtschaftsdepartement tätig und verfügen im Allgemeinen über eine Wirtschaftsausbildung und/oder über Erfahrung als Buchhaltungsexperten oder als Revisoren im privaten Sektor. Die Finanzlage von 160 Luftfahrtunternehmen wird auf diese Weise regelmässig geprüft, um ihre wirtschaftliche Leistungsfähigkeit sicherzustellen. Diese Prüfung dient zudem als Hinweis für eine eventuell erforderliche Verstärkung der Kontrolle in den technischen und operationellen Bereichen.

Werden finanzielle Schwierigkeiten entdeckt, bespricht die Aufsichtsbehörde diese zuerst informell, dann formell mit dem betroffenen Unternehmen. Falls danach keine merkliche Verbesserung eintritt, kann die Lizenz zeitlich begrenzt, abgeändert bzw.

in schweren Fällen ausgesetzt oder entzogen werden.

2

Niederlande

Die holländischen Fluggesellschaften brauchen eine wirtschaftliche und eine technische Lizenz. Die Überprüfung der Finanzlage erfolgt jährlich (Prüfung der Tätigkeitsberichte, der Rechnung und der Zukunftsaussichten) und wird verstärkt, sobald Schwierigkeiten vermutet werden, und sei es lediglich auf Grund von Gerüchten.

Auch wenn angesichts der in der EG-Verordnung 2407/92 festgelegten Bedingungen (die vorherige holländische Regelung war in dieser Beziehung strenger) die Sistierung oder der Entzug einer Lizenz schwierig erscheinen, können diese Massnahmen dennoch erwogen werden. Im Fall von Air Holland, zum Beispiel, wurde eine befristete Sistierung verfügt, bis das Unternehmen die vom Transportministerium definierten finanziellen Bedingungen wieder erfüllt.

Die wirtschaftliche und finanzielle Kontrolle wird nur von zwei bis drei Inspektoren mit juristischer Ausbildung ausgeübt, während in einem grössenmässig mit demjenigen der Schweiz vergleichbaren Markt mehrere Dutzend Experten für die technische und operationelle Überwachung besorgt sind.

5554

3

Frankreich

Frankreich übt in Anwendung der EG-Verordnung 2407/92 nicht allein die ständige technische und operationelle Aufsicht über die französischen Fluggesellschaften aus, sondern stützt sich überdies auf spezifische Indikatoren, um deren wirtschaftliche Leistungsfähigkeit und Liquiditäten (Zahlung der Sozialleistungen, Darlehensrückzahlung, usw.) zu prüfen. Hegt die Direction générale de l'aviation civile (DGAC) auf dieser Grundlage Zweifel an der finanziellen Gesundheit eines Unternehmens, wendet sie sich an den Conseil supérieur de l'aviation marchande (CSAM), eine unabhängige Kommission, die monatlich tagt. Im CSAM sind die betroffenen Ministerien vertreten. Ebenfalls Einsitz in dieser Kommission haben Vertreter der Abgeordnetenkammer und des Senats, lokaler Körperschaften, der Fluggesellschaften, der Handelskammer, der Gewerkschaften, usw.

Der CSAM hört die Geschäftsleitung der fraglichen Gesellschaft an und empfiehlt dem Transportminister Massnahmen (z.B. Umwandlung einer definitiven in eine befristete Lizenz), die innerhalb einiger Monate eine Sanierung ermöglichen sollen.

Falls die Probleme nach Ablauf dieser Frist weiterbestehen, kann der CSAM die Aussetzung oder den Entzug der Lizenz beantragen. Seine Empfehlungen werden vom zuständigen Ministerium meistens befolgt.

Die wirtschaftlichen und finanziellen Fragen werden von rund 15 Beamten behandelt. Mit den technischen und operationellen Angelegenheiten sind in Paris und an den Regionalsitzen der DGAC mehr als 200 Experten betraut.

4

Grossbritannien

Bei der britischen Luftfahrtbehörde gibt es für den Vollzug der EG-Verordnung 2407/92 ebenfalls eine doppelte, technische und wirtschaftliche Aufsicht. Der Konsumentenschutz ist der Hauptgrund für die wirtschaftliche Kontrolle, die regelmässig erfolgt, dennoch aber eher beschränkt bleibt, da von den sechs in der Wirtschaftsabteilung beschäftigten Personen lediglich zwei entsprechend ausgebildete Fachleute für Finanzfragen zuständig sind. Ausserdem betrifft diese Kontrolle nur die etwa dreissig Unternehmen, die Flugzeuge mit mehr als 19 Sitzen führen.

Die technische und operationelle Aufsicht obliegt rund 130 Fachleuten, deren Untersuchungen sich auf alle britischen und nordirischen Operateure erstrecken.

5

Australien

In Australien wurde die Luftfahrt stark liberalisiert, vor allem der Binnenverkehr, der auch von Gesellschaften betrieben werden darf, die vollständig unter ausländischer Kontrolle stehen. Die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit der Unternehmen wird nur soweit geprüft als sie sich auf die technischen und operationellen Bedingungen auswirkt. Hingegen setzt die Zuteilung der Flugrechte im internationalen Verkehr genügende Finanzmittel voraus, um diese Rechte kontinuierlich zu nutzen.

Sie unterliegt der Beurteilung durch eine unabhängige Kommission.

Etwa 150 Personen in der australischen Verwaltung sind der technischen und wirtschaftlichen Aufsicht über den Luftverkehr zugeteilt.

5555

6

Kanada

Die wirtschaftliche Aufsicht über die Fluggesellschaften in Kanada wird ähnlich wahrgenommen wie in Australien, nämlich nach dem Motto freedom to fly, freedom to fail294. Innerhalb der Verwaltung für die zivile Luftfahrt (Transport Canada) herrscht eine strenge Trennung zwischen der technischen und der wirtschaftlichen Abteilung. Die erste überprüft die operationelle Sicherheit, während die zweite die finanzielle Lage der Flugunternehmen genau überwacht, ohne jedoch in die Geschäftsleitung oder die Bemühungen zur Verbesserung der Lage einzugreifen.

Die wirtschaftliche Abteilung beschäftigt nur sechs Personen.

7

USA

Die Luftfahrtbehörde (FAA) sorgt für eine strenge sicherheitsbezogene Überwachung der amerikanischen Fluggesellschaften (und der in den USA tätigen ausländischen Gesellschaften), sowohl auf technischer wie auf operationeller Ebene. Diese Überwachung wird verstärkt, wenn die Finanzlage eines Unternehmens zu Besorgnis Anlass gibt. Die FAA interveniert hier jedoch nicht direkt, ausser um vor allfälligen Mängeln bei den Sicherheitsvorkehrungen zu warnen.

Die Aufsicht in wirtschaftlicher und finanzieller Hinsicht obliegt dem Verkehrsdepartement (DOT), von dem die FAA völlig unabhängig ist. Falls es bei einer amerikanischen Fluggesellschaft Anzeichen finanzieller Schwierigkeiten gibt ­ die meist von den zahlreichen vor Ort tätigen Bediensteten der FAA aufgedeckt werden ­ verstärkt das Departement seine Aufsicht mittels einer Spezialeinheit (Airline Fitness Division) und zwingt die Gesellschaft, detaillierte Informationen und Einschätzungen zu liefern bzw. die Operationen einzuschränken oder gar einzustellen.

Es scheint, dass das DOT in einem Fall aus rein wirtschaftlichen oder finanziellen Gründen von sich aus die Sistierung der Lizenz verfügte. Bisher wurde eine solche Verwaltungsmassnahme jedoch in der Regel erst getroffen, nachdem ein Unternehmen seine Tätigkeit eingestellt hatte.

III.

Vergleichende Beurteilung

In den untersuchten Ländern ist die technische und operationelle Aufsicht klar vorrangig; dies entspricht dem Chicago Abkommen und den ICAO-Normen, die sämtliche Aspekte der Luftfahrttätigkeit betreffen, sich aber strikt auf Sicherheitsund Rechtmässigkeitsaspekte ohne Rücksicht auf wirtschaftliche und finanzielle Auswirkungen beschränken295.

Was die Ausübung der wirtschaftlichen und finanziellen Aufsicht sowie die verfügbaren Finanzmittel anbelangt, wiesen die Erhebungen weniger grundsätzliche Unterschiede aus als vielmehr Nuancen. Die effektive Kontrolle hängt stark vom allgemeinen politischen Umfeld ab: in den Ländern, in denen der Staat von jeher in die Wirtschaftstätigkeit eingreift, unterliegen die Fluggesellschaften einer rigorosen 294 295

Freiheit zu fliegen, Freiheit zu scheitern.

Siehe Teil E.

5556

Kontrolle. In weniger interventionistischen Staaten begnügt man sich mit einer eher laschen Kontrolle der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit und der Liquiditäten.

Selbst wenn die einschlägige Regelung die Aussetzung oder den Entzug einer Lizenz zulässt, wird eine solche Massnahme zumeist vermieden. Dies ist in Grossbritannien, Kanada und Australien der Fall, wo Regelungen und Praxis am liberalsten zu sein scheinen.

In den USA ist die wirtschaftliche und finanzielle Kontrolle allerdings strenger als der allgemeine politische Rahmen es vermuten liesse. Die amerikanische Verwaltung hat in der Zivilluftfahrt schon immer eine sehr aktive Rolle gespielt und sich zum Beispiel geweigert, die Kontrolle des Luftverkehrs auszulagern (diese bleibt in der Zuständigkeit der FAA) oder die Privatisierung von Flughäfen zu fördern.

Obwohl die grössten Fluggesellschaften Privatunternehmen sind, mischt sich der Zentralstaat ohne weiteres bei Streikdrohungen in die Geschäftsleitung ein oder unterstützt die Unternehmen bei grossen Schwierigkeiten auch finanziell.296 Dieses besondere Umfeld erklärt auch, warum die USA eine stärkere wirtschaftliche Kontrolle ausüben als die meisten anderen angelsächsischen Länder.

Dennoch gilt die Sistierung oder der Entzug einer Lizenz wegen finanzieller oder wirtschaftlicher Bedenken, mit anderen Worten ein organisiertes «Grounding», selbst in den USA als allerletztes Mittel. Aus operationellen Überlegungen werden Lizenzen weit häufiger entzogen.297 Dasselbe Bild ergibt sich in Kontinentaleuropa, wo die Aussetzung einer Lizenz aus wirtschaftlichen Gründen umso schwieriger erscheint als die betroffenen Verkehrsunternehmen auf nationaler und internationaler Ebene eine wichtige Rolle spielen.

Die Einsetzung einer unabhängigen Kommission wie in Frankreich298 könnte den Entscheid auf politischer Ebene erleichtern. Da die vom Conseil supérieur de l'aviation marchande behandelten Fragen bekannt sind, ist die öffentliche Meinung auf diese Weise vorgewarnt, wenn eine Massnahme mit allenfalls grossen Auswirkungen ansteht. Umgekehrt ist es in einzelnen Fällen gerade wegen dieser Öffentlichkeit unmöglich, mit der erwünschten Diskretion und Gelassenheit Sanierungsmassnahmen zu erörtern, die in der Regel vor einer Sistierung erwogen werden.

Bei den Finanzmitteln ist ein genauer Vergleich schwer
anzustellen, weil sich die interne Organisation der Luftfahrtbehörden in den betrachteten Staaten stark unterscheidet.

Auf technischer und operationeller Ebene gibt es hingegen offenbar keine grossen Unterschiede, wie wir es anhand der von der ICAO299 durchgeführten Prüfungen sehen werden. Nach Aussagen der Verantwortlichen, insbesondere in der Schweiz, scheint ziemlich überall ein Finanzmangel zu herrschen. Die Ressourcen wurden nirgends an die stark wachsende Zahl der zu überwachenden Unternehmen angepasst.

296

Das Weisse Haus und der Kongress haben nur einige Tage gebraucht, um nach den Attentaten des 11. September 2001 den in Schwierigkeiten steckenden amerikanischen Fluggesellschaften rund 5 Milliarden Dollar zur Verfügung zu stellen.

297 Hier sei an den Fall Valujet erinnert, einer amerikanischen Fluggesellschaft, die Anfang der 90er Jahre nach einem Unfall in Florida ihre Tätigkeit einstellen musste.

298 Siehe Teil D, Ziff. II/3.

299 Siehe Teil E, Ziff. II.

5557

Nur Frankreich, die USA und Deutschland verfügen anscheinend auf wirtschaftlichem und finanziellem Gebiet über genügend Mittel und Fachleute. Anderswo ­ das gilt auch für die Schweiz300 ­ üben meist Juristen diese Kontrolle aus, zusätzlich zu den Aufgaben, die sie im Zusammenhang mit der Reglementierung und der Luftverkehrspolitik zu erfüllen haben. Dies soll nicht heissen, diese Nichtspezialisten hätten sich keine entsprechende Erfahrung aneignen können; es zeigt aber, dass die finanzielle Aufsicht erst in letzter Zeit ausgebaut wurde, während sie bis zur Mitte der 90er Jahre als eher zweitrangig galt.

Dem Gutachter drängt sich der Gedanke auf, die Luftfahrtbehörden seien durch die Ereignisse des 11. September 2001 und danach durch das Verschwinden von Swissair und Sabena dazu bewogen worden, die wirtschaftliche Aufsicht zu verstärken.

Die riesigen Finanzprobleme, mit denen die grossen Fluggesellschaften zu kämpfen hatten und noch haben301 offenbaren die Empfindlichkeit dieses Sektors und bestätigen, dass die verfügbaren Liquiditäten in der Regel nur für einige Wochen oder schlimmstenfalls einige Tage genügen.302

IV.

Schutz der Konsumenten vor den Folgen einer Stillegung

Die Auflage für Fluggesellschaften, jederzeit über genügend Liquiditäten zu verfügen (z.B. für drei Monate wie bei einer Erstbewilligung), wird im Allgemeinen für die Gewährleistung der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit nicht als zweckmässig erachtet. Die dazu befragten Verantwortlichen der Zivilluftfahrt befürchten eine zu starke Benachteiligung derjenigen Gesellschaften, die diese zu erfüllen hätten.

Würde diese Auflage aber als allgemein gültig erklärt, so müssten Milliarden von Dollar und Franken eingefroren werden, was für die Luftfahrtindustrie in ihrem heutigen Zustand nicht verkraftbar wäre.

Wie lassen sich also unter diesen Bedingungen die Konsumenten vor einer unerwarteten Stillegung schützen? Diesem Aspekt müssen sich die politischen Verantwortlichen und die betroffene Industrie in erster Linie widmen.

In diesem Sinn werden diverse Massnahmen getroffen, um die Luftpassagiere gegen ­

die Annullierung oder Verspätung von Flügen

­

die Nichtbeförderung wegen Überbuchung

zu schützen.

300 301

Ein erster Finanz- (und Versicherungs-)experte wurde 2002 im BAZL eingestellt.

Die gesamten Verluste der Luftfahrtgesellschaften der IATA werden für 2001 auf etwa 12 Milliarden US-Dollar geschätzt; dazu kommen allein für den amerikanischen Inlandverkehr Nettoverluste in der Grössenordnung von 5 Milliarden US-Dollar. Für 2002 werden Gesamtverluste der Industrie von zwischen 4 und 8 Milliarden US-Dollar vorausgesagt.

302 Siehe Teil A, Ziff. II/5.1/b. Nur Iberia (Liquiditäten für drei Monate) und Air France schienen Ende Juni 2002 finanziell einigermassen gesund, während beispielsweise US Airways unter den Schutz des amerikanischen Konkursgesetzes gestellt wurde (Kapitel 11), und United Airlines eine ähnliche Lösung anstrebt.

5558

Die europäischen Fluggesellschaften sind freiwillig übereingekommen, ihre Handelspraktiken in dieser Hinsicht zu verbessern303. Zudem sollen sie gemäss einer Revision der EU-Regelung gezwungen werden, die Passagiere bei Überbuchung oder Verspätung künftig zu entschädigen bzw. zu betreuen.304 Bislang geht es bei solchen Massnahmen nicht direkt um die Auswirkungen eines «Groundings» wie im Falle der Swissair am 2. und 3. Oktober 2001. Bei der damaligen Stillegung erhielten die Passagiere, die ihr Swissair-Ticket bei einer IATAReiseagentur gekauft hatten (3/4 der Betroffenen) im Übrigen über die Kompensierungsmechanismen der Internationalen Luftfahrtbehörde eine Entschädigung.305 In der IATA wird zudem über Möglichkeiten diskutiert, die Konsumenten besser vor einem solchen Risiko zu schützen. Es geht darum, freiwillige Massnahmen zu beschliessen, um die Umbuchung der von einem wirtschaftlichen oder technischen «Grounding» betroffenen Passagiere auf eine andere Gesellschaft oder einen anderweitigen Ausgleich zu erleichtern. Denkbar wäre der Abschluss von Versicherungsverträgen durch die interessierten Flugunternehmen. Die Konsumenten würden automatisch und schnell entschädigt oder ihre Tickets würden von den anderen, auf die gleiche Weise versicherten Gesellschaften, akzeptiert.

Nach Ansicht des Gutachters haben im heutigen Umfeld freiwillige Verpflichtungen der Flugunternehmen die besten Erfolgschancen, da eine internationale Regelung im Rahmen der ICAO kaum Anklang finden wird. Eine Unterstützung durch die Regierungen, um die Bemühungen der Industrie zu fördern, wäre dabei sicherlich hilfreich.

E.

I.

Prüfungen der ICAO Allgemeines

Die Schweiz und die anderen 186 Staaten, die bisher das Abkommen über die internationale Zivilluftfahrt (Chicago Abkommen, 1944306) ratifiziert haben, sind verpflichtet, die Sicherheit des Luftverkehrs zu gewährleisten, für den sie auf ihrem Territorium und in ihrem Luftraum die Verantwortung tragen307.

303

304

305 306

307

Das Airline Passenger Service Commitment wurde anlässlich des Dialogs zwischen der Europäischen Zivilluftfahrtkonferenz (ECAC) und der EU mit der europäischen Luftfahrtindustrie am 10. Mai 2001 in Lissabon unterbreitet.

Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über eine gemeinsame Regelung für Ausgleichs- und Betreuungsleistungen für Fluggäste im Falle der Nichtbeförderung und bei Annullierung oder grosser Verspätung von Flügen (KOM (2001) 784 endg, 2001/0305 (COD).

IATA Clearing House.

Nur 6 Staaten haben das Chicago Abkommen (noch) nicht ratifiziert: Dominikanische Republik, Liechtenstein, Saint-Kitts-et-Nevis, Vatikan, Timor und Tuvalu, was seine Universalität beweist.

Das Chicago Abkommen bekräftigt die volle und ausschliessliche Lufthoheit jedes Staates im Luftraum über seinem Hoheitsgebiet (Art. 1). Daraus ergibt sich ein Monopol des Staates für alle Tätigkeiten im Luftverkehr und damit die Verantwortung gegenüber den anderen Staaten, auch wenn diese Tätigkeiten von unabhängigen, öffentlichrechtlichen oder privaten Unternehmen ausgeübt werden.

5559

Das Chicago Abkommen beruht auf der Solidarität der Staaten. Diese müssen der Kontrolle durch die anderen Staaten voll vertrauen können. Ausländische Piloten und Luftfahrzeuge, die in den Luftraum eines Staates eingelassen werden, müssen internationalen Normen genügen; der Herkunftsstaat verpflichtet sich, für ihre Einhaltung zu sorgen.308 Diese internationalen Normen wurden von der ICAO, die am Ende de 90er Jahre ein globales Programm von Prüfungen für die Aufsicht über die Sicherheit in allen Mitgliedstaaten entwickelte, angenommen309. Diese Prüfungen sollen gewährleisten, dass die zuständigen Luftfahrtbehörden ihre Aufgaben mit angemessenen Mitteln und gemäss den ICAO-Normen bezüglich Personallizenzen, technischem Betrieb der Luftfahrzeuge und Luftfahrtzertifikaten ausüben (Beilagen 1, 6 und 8 zum Chicago Abkommen)310.

II.

Prüfung des BAZL im November 2000

Beim BAZL wurde vom 1.­8. November 2000 eine Inspektion durchgeführt. Die Gutachter der ICAO311 verfassten einen detaillierten Bericht, auf dessen Grundlage das BAZL einen Aktionsplan mit konkreten Massnahmen zur Behebung der festgestellten Mängel ausarbeitete312.

Gemäss Schlussfolgerungen des ICAO-Berichts erfüllt das BAZL seine Aufsichtsfunktion über die Sicherheitsanforderungen in befriedigender Weise. Es wurden jedoch in Bezug auf die Regelung der Luftfahrt im Allgemeinen und hinsichtlich Delegierung bestimmter technischer Aufgaben an verwaltungsexterne Fachleute punktuelle Mängel festgestellt (die seither behoben wurden).

Die ICAO beanstandete weiter die ungenügenden Ressourcen in den drei inspizierten Bereichen. Unterdessen hat sich die Lage durch die strukturelle Reorganisation seit dem 1. Januar 2001 und die Einstellung von zwei zusätzlichen Sachverständigen im Verlauf des Sommers 2001 verbessert.

Nach Aussagen der ICAO-Verantwortlichen bilden die in der Schweiz gemachten Beobachtungen keine Ausnahme. Ein Mangel an qualifiziertem Personal wurde in den meisten untersuchten Regionen und Staaten erkannt. Gründe dafür sind Budgetbeschränkungen sowie die Übergabe zahlreicher, ursprünglich von den Staaten selbst wahrgenommener Aufgaben an unabhängige, öffentlich-rechtliche oder private Stellen (Flugbetrieb, Flughafenbewirtschaftung und Flugverkehrsdienste). Den Luftfahrtbehörden entgingen auf diese Weise immer mehr Einnahmen (Gebühren), die es ihnen bisher ermöglicht hatten, einen beträchtlichen Teil ihrer Aufsichtsfunktionen zu finanzieren.

308 309

Artikel 37 des Chicago Abkommens.

Entscheid der Direktoren der Zivilluftfahrt der ICAO-Mitgliedstaaten anlässlich einer Konferenz im November 1997, von der ICAO-Versammlung 1998 bestätigt.

310 Die ICAO-Versammlung, die nach den Ereignissen des 11. September zusammentrat, dehnte die Prüfungen auf Sicherheitsfragen (illegale Handlungen gegen die Zivilluftfahrt) aus sowie auf die Leitung der Flughäfen und der Flugverkehrsdienste.

311 Audit Final Report of the Federal Office for Civil Aviation of Switzerland, Bern, 1 to 8 November 2000, ICAO (Vertraulich).

312 Civil Aviation Authority of Switzerland, Actionplan presented on 12 January 2001 (Beilage 29).

5560

Die ICAO-Normen decken alle technischen und operationellen Bereiche ab, die mit der Sicherheit der internationalen Zivilluftfahrt zusammenhängen, betreffen hingegen finanzielle und wirtschaftliche Aspekte nicht direkt. Die Prüfung der ICAO umfasste denn auch weder die Regelung der nicht-technischen Anforderungen für die Erteilung und die Erneuerung von Betriebsbewilligungen und Streckenkonzessionen, noch die entsprechenden Ressourcen und Kompetenzen des BAZL.

III.

Vergleich der Bemerkungen der ICAO mit denen der Gutachter

Die Feststellungen der Gutachter decken sich mit denjenigen der ICAO: Das BAZL verfügt insgesamt für die technische und operationelle Aufsicht über ausreichende Kompetenzen, wobei angesichts der Anzahl der zu überprüfenden Unternehmen die Ressourcen nicht ganz genügen. Die im Zusammenhang mit dem zusätzlichen Aufwand beim Übergang Swissair-Crossair-Swiss erfolgte Aufstockung der Mittel des BAZL dürfte die betroffenen Kreise beruhigen, vor allem die Eidgenössische Luftfahrtkommission, die in dieser Hinsicht Besorgnis geäussert hatte313.

F.

Inspektionen der Swissair im Rahmen des europäischen SAFA-Programms

Das globale Prüfungsprogramm der ICAO wird durch das SAFA-Programm (Beurteilung der Sicherheit ausländischer Flugzeuge) ergänzt, das im Rahmen der Europäischen Zivilluftfahrtkonferenz (ECAC) umgesetzt wurde, der die Schweiz mit 37 anderen Staaten angehört314.

Das SAFA-Programm bezweckt die punktuelle Inspektion aller Flugzeuge, die auf einem europäischen Flughafen landen. Dabei werden die Borddokumente und Handbücher, die Lizenzen der Besatzung, sowie der Zustand des Flugzeugs und der obligatorischen Sicherheitsausrüstungen in der Kabine überprüft.

Während sich die Prüfungen der ICAO an die nationalen Luftfahrtbehörden richten, gelten die SAFA-Inspektionen den Flugunternehmen. Die von den SAFA-Inspektoren315 entdeckten kleineren Mängel werden direkt mit dem Bordkommandanten geregelt. Grössere Mängel werden der Aufsichtsbehörde des Unternehmens gemeldet. Wenn die Sicherheit des Flugzeugs oder der Passagiere gefährdet erscheint, kann das Flugzeug zurückgehalten oder mit einer operationellen Beschränkung belegt werden (Leerflug).

Bisher fanden mehr als 12 000 SAFA-Inspektionen statt, die Hunderten von Fluggesellschaften und sonstigen Betreibern von Geschäftsflugzeugen galten. Die Inspektoren des BAZL nahmen in Genf und Zürich sowie auf den schweizerischen Regionalflughäfen aktiv an diesen Inspektionen teil.

313 314 315

Siehe Teil G, Ziff. II/7.

Safety Assessment of Foreign Aircraft, von der ECAC 1996 lanciertes SAFA-Programm.

Die Inspektoren werden von den nationalen Luftfahrtbehörden zur Verfügung gestellt (zwei vom BAZL).

5561

Swissair-Flugzeuge wurden zwischen 1997 und 2002 bei mindestens 40 Inspektionen in London, Oslo, Stockholm, Frankfurt, München, Hamburg, Düsseldorf, Berlin, Stuttgart, Amsterdam, Paris, Lyon, Nizza, Basel-Mülhausen, Prag, Bukarest, Warschau und Skopje geprüft. Laut den Inspektionsberichten wurde nichts Ungewöhnliches entdeckt, ausser einigen administrativen Details, wie etwa das Fehlen des Ablaufdatums auf einem Erste-Hilfe-Kasten oder auf einem Feuerlöscher.

Aus diesen Berichten können keine endgültigen Schlüsse gezogen werden. Interessant ist jedoch die Feststellung, dass die SAFA-Inspektoren während des ganzen Zeitraums, in dem die Swissair in der Krise steckte, keinerlei Veränderung in Bezug auf die Sicherheit beobachteten.

G.

I.

Die Luftfahrtkommission Die gesetzlichen Grundlagen

Gestützt auf Artikel 5 LFG ernennt der Bundesrat «für die Begutachtung wichtiger Fragen der Luftfahrt eine Luftfahrtkommission von mindestens sieben Mitgliedern».

In der Verordnung über die Luftfahrtkommission316 wurden die Einzelheiten geregelt. Gemäss Artikel 1 sind in der Kommission die «besonders interessierten Kreise und Landesteile, die schweizerischen Unternehmungen des Luftverkehrs und die Privatluftfahrt angemessen vertreten (...)». Heute besteht die Luftfahrtkommission aus 20 Mitgliedern (Liste in Anhang 30). Sie tritt jährlich mindestens zweimal zusammen. Zusätzlich kann der Vorsteher des UVEK weitere Sitzungen einberufen, wenn Fragen vorliegen, deren Behandlung dringlich ist (Art. 4 Abs. 2). Ebenso kann jedes Mitglied mit einer begründeten Eingabe an den Präsidenten die Einberufung der Kommission zu einer ausserordentlichen Sitzung beantragen (Art. 4 Abs. 3).

Gemäss Artikel 6 kann die Kommission Spezialausschüsse bilden und auswärtige Experten beiziehen soweit das UVEK damit einverstanden ist.

Gestützt auf die Verordnung können die Aufgaben und die Arbeit der Luftfahrtkommission wie folgt zusammengefasst werden:

316

­

Sie begutachtet «wichtige Fragen der Luftfahrt» (Art. 3 Abs. 1). Insbesondere können Gutachten der Kommission eingeholt werden über Fragen der Rechtsetzung, der Luftverkehrspolitik, des weiteren Ausbaus der Flugplätze und der Flugsicherung und des Subventionswesen (Art. 3 Abs. 2). Schliesslich können der Kommission Beschwerden an die Rekurskommission UVEK zur Stellungnahme unterbreitet werden (Art. 3 Abs. 3).

­

Das BAZL nimmt an den Sitzungen der Kommission mit beratender Stimme teil. Der Präsident der Kommission kann auch andere Abteilungen der Bundesverwaltung einladen mit beratender Stimme an den Sitzungen teilzunehmen. Ebenso kann er Dritte zur Auskunft an die Sitzungen einladen (Art. 8).

­

Die Kommission erstattet ihre Berichte an den Vorsteher des UVEK. In den Berichten wird auch der Standpunkt einer allfälligen Minderheit wiedergegeben, wenn diese das verlangt (Art. 9).

­

Der Präsident der Luftfahrtkommission kann bei Bedarf eine nationale Luftverkehrskonferenz einberufen. Diese bezweckt, «einem weiterem Kreis von Verordnung über die Luftfahrtkomission vom 5. Juni 1950, SR 748.112.3.

5562

Interessenten der Luftfahrt Aufschluss über den Stand der Entwicklung zu geben und Anregungen entgegenzunehmen» (Art. 11).

II.

In der Kommission behandelte Themen seit 1997

Gemäss den Protokollen der Sitzungen der Luftfahrtkommission hat sich die Luftfahrtkommission in den letzten fünf Jahren mit den folgenden Themen befasst:

1

Sitzung vom 2. Dezember 1997 ­

Diskussion des Berichts «Lufthygienische Massnahmen des Bundes und der Kantone»;

­

Teilrevision der Luftfahrtverordnung (insb. Art. 102­119 LFV);

­

Information des BAZL über folgende Geschäfte: ­ Swissworld Airways ­ Flughafen Basel-Mulhouse (Investitionsbedarf) ­ Orientierung über ICAO Konferenz 1997 (Sicherheit der Zivilluftfahrt) ­ Hauptarbeitsziele des BAZL für 1998 mit den Prioritäten «Überprüfung der Aufsichtstätigkeit des Amtes. Wie soll das BAZL im Jahr 2003 bis 2004 aussehen?»317 ­ Inkraftsetzen des revidierten Luftfahrtgesetzes und der Luftfahrtverordnung ­ acht weitere Ziele, die im Zusammenhang mit diesem Gutachten nicht von primärer Bedeutung sind.

An dieser Sitzung kam schliesslich unter dem Titel «Verschiedenes» auf Anfrage von Herrn Roland Müller die mittelfristige Personalpolitik des BAZL zur Sprache.

Herr Direktor André Auer erklärt gemäss Protokoll, dass auf Salärebene bis Ende 2000 ein Minus von 7 % anstehe, dass Entlassungen nicht ausgeschlossen seien und im Jahr 2000 «keine Wiederwahl» erfolge. Ein Mitglied der Kommission bemerkt, es sei stossend, dem BAZL nicht die nötigen Ressourcen zur Verfügung zu stellen, man solle die wichtigen Aufsichtsfunktionen des BAZL nicht vergessen. Zwei Mitglieder, darunter der Präsident, schlagen vor, «Personalpolitik» an einer nächsten Sitzung zu traktandieren um eine Stellungnahme der Luftfahrtkommission auszuarbeiten. Das Protokoll hält fest, Herr Auer sei um jede Hilfe in dieser Sache dankbar doch befürchte er, dies würde als «Vetterliwirtschaft» empfunden. «Herr Auer ist der Ansicht, dass es andere Möglichkeiten und Wege gibt um denselben Effekt zu erzielen.»318

317 318

Protokoll der Sitzung vom 2. Dezember 1997, S. 7 (Anhang 31).

Protokoll der Sitzung vom 2. Dezember 1997, S. 8 (Anhang 31).

5563

2

Sitzung vom 10. März 1998 ­

Vorstellung der Belastungsgrenzwerte für den Lärm der Landesflughäfen;

­

Entwurf der Teilrevision der Luftfahrtverordnung, insb. Artikel 100­125 LFV, wobei der im Zusammenhang mit diesem Gutachten interessierende Artikel 102 LFV zu einer Abstimmung führte und die Luftfahrtkommission auf Antrag des BAZL die «Kann-Formulierung» mit sieben zu zwei Stimmen annahm319. Artikel 103 Absatz 1 Buchstabe i LFV wurde in dieser Sitzung nicht besprochen;

­

Gesuch der Alpar AG zur Änderung der Betriebszeiten des Flughafens BernBelp; Frage der Pistenverlängerung. Unter dem Titel «Verschiedenes» verlangt ein Mitglied, dass die Personalpolitik des BAZL für die nächste Sitzung traktandiert werde.

3

Sitzung vom 15. September 1998 ­

Kerosinabgabe;

­

Immissionsgrenzwerte bezüglich der Landesflughäfen;

­

Taxes on International Aviation;

­

Personelle und finanzielle Mittel des BAZL: Ein Mitglied der Kommission hat festgestellt, dass das BAZL trotz guten Willens überlastet ist und seinen Aufgaben nicht mehr zeitgerecht nachkommen kann. Das Mitglied befürchtet, «dass das ganze aus dem Ruder läuft». Dem BAZL würden aus Spargründen keine neuen Stellen gewährt. Das Mitglied stellt den Antrag, dass die Luftfahrtkommission dem Bundesrat empfiehlt, dem BAZL unverzüglich die nötigen finanziellen Mittel zur Erfüllung seiner Aufsichtsaufgaben zur Verfügung zu stellen. Gemäss Protokoll bestätigt Herr Auer die geschilderte Situation und erwähnt, dass es sich «um seine grösste Sorge handelt». Herr Auer hält fest, dass seine mehrmaligen Bemühungen um neue Stellen nur einmal (Vorstoss Spörry) in einer Erhöhung der Stellen resultierte (4 Stellen). Diese Stellen seien der Abteilung Infrastruktur und Umwelt zugeteilt worden. Gemäss Herr Auer seien zusätzlich ca. 10 neue Stellen nötig um wieder «in den grünen Bereich zu kommen». Schliesslich hält das Protokoll fest: «Das Amt macht, was es kann, aber ohne zusätzliche Mittel ist es in absehbarer Zeit nicht möglich, die jetzige Situation zu bewältigen. Ohne die Unterstützung wird das Amt gezwungen sein, auf gewisse Aufsichtsaufgaben zu verzichten320».

Gemäss Protokoll zieht der Präsident der Kommission die folgenden Schlussfolgerungen: ­

319 320

Aufgrund der Zunahme des Luftverkehrs haben die Aufgaben des BAZL zugenommen, die Personalbestände wurden indessen nicht entsprechend angepasst;

Siehe Teil A, Ziff. II/7.1.

Protokoll der Sitzung vom 15. September 1998, S. 6 letzter Abschnitt (Anhang 32).

5564

­

Beim BAZL wird zur Zeit eine Gesamtprüfung durchgeführt, die darauf hinzielt, interne Prozessabläufe zu optimieren;

­

Die Aufsichtsfunktion des BAZL ist aber trotz der eingeleiteten Massnahmen gefährdet. Der Amtsdirektor hat Bedenken, dass das Amt selbst seine Kernaufgaben im Bereich Aufsicht nicht mehr befriedigend wahrnehmen kann. Er quantifiziert den zusätzlichen Stellenbedarf mit rund 10 Stelleneinheiten;

­

Die Kommission sieht zur Aufrechterhaltung der Sicherheit im Luftverkehr dringenden Handlungsbedarf.

Die Kommission unterstützt die Schlussfolgerungen ohne Gegenstimme321.

4

5

Sitzung vom 13. März 2001 ­

Situation SAirGroup-Présentation par M. Peter Lüthi;

­

Provision de Montréal/Révision de la Convention de Varsovie;

­

Information über Verhandlungen mit Deutschland (Staatsvertrag), Zürich Unique Airport (Erneuerung der Konzession), Flughafen Genf (Erneuerung der Betriebskonzession), Flughafen Basel (Belastung Mehrwertsteuer), Lärm-Immissionsgrenzwerte, SAFA, Ecolight.

Sitzung vom 30. Oktober 2001

Die Kommission diskutiert die Folgen des Terroranschlages vom 11. September 2001 und die Folgen des Zusammenbruchs der Swissair für die Schweizerische Luftfahrt. Im Verlauf der Diskussion stellt ein Mitglied der Kommission die Rolle der Luftfahrtkommission als beratendes Organ des Bundesrates in der heutigen Situation zur Diskussion. Der Präsident erläutert, dass die LFK bei dieser Entwicklung der Ereignisse, in der der Zeitfaktor eine entscheidende Rolle spielt, nicht in der Lage ist, den Bundesrat in einer Krisensitzung zu beraten. Die LFK ist dazu zu gross und zu wenig flexibel. Er ist der Meinung, dass sich die LFK mit künftigen Strategien für den schweizer Luftverkehr befassen muss. Gemäss Protokoll pflichtet der Direktor des BAZL dieser Auffassung bei322. Ein Mitglied der Kommission fragt während der Diskussion, ob das BAZL als Vertreter des Bundes einerseits und als Aufsichtsbehörde anderseits beim Aufbau der neuen Fluggesellschaft nicht in einem möglichen Gewissenskonflikt bezüglich neuer Luftfahrtgesellschaft/übrige Luftfahrtunternehmen steht. Herr Auer verneint dies und verweist darauf, dass der Bundeskredit kurzfristig gedacht ist und in der neuen Fluggesellschaft aus Gründen der Unabhängigkeit der Aufsichtsbehörde keine Vertreter des BAZL in den Verwaltungsrat Einsitz nehmen werden323.

321 322 323

Protokoll der Sitzung vom 15. September 1998, S. 8 (Anhang 32).

Protokoll der Sitzung vom 30. Oktober 2001, S. 3, Ziff. 3.2 (Anhang 33).

Protokoll der Sitzung vom 30. Oktober 2001, S. 4, Ziff. 3.2 am Ende (Anhang 33).

5565

6

Sitzung vom 30. November 2001 ­

Bundesgesetz über die Kontrolle der Technischen Sicherheit

­

Swissair-Krise: Standpunkt und Präsentation Phoenix plus;

­

Betriebskonzept Zürich;

­

Airline Passenger Service Commitment;

­

Problem der Mehrwertsteuer im Bereich des Flugverkehrs.

7

Zusammenfassung der Diskussionen über die Aufsichtspflicht in der Luftfahrtkommission

Aus den Protokollen, die der Gutachterin zur Verfügung gestanden haben, geht hervor, dass die Luftfahrtkommission in einer Sitzung die Personalpolitik des BAZL diskutiert hat und der Direktor des BAZL auf einen erhöhten Personalbedarf aufmerksam gemacht hat324. Der Direktor wies darauf hin, dass das Amt ohne zusätzliche Stellen gezwungen wäre auf gewisse Aufsichtsaufgaben zu verzichten. In späteren Sitzungen wurde die Personalsituation des BAZL nicht mehr behandelt. Die Situation der SAirGroup wurde in einer Sitzung325 von einem Vertreter der Swissair (Leiter External Relations) dargestellt. Die Kommission verwarf den Vorschlag eines Mitglieds, wonach dem Bundesrat vorgeschlagen werden solle, der Präsident der Luftfahrtkommission habe im Verwaltungsrat der SAirGroup Einsitz zu nehmen.

Die Mitglieder der Kommission waren der Ansicht, dass es nicht angezeigt sei, Vertreter der Politik in ein privates Unternehmen zu integrieren.

III.

Die Rolle der Kommission beim Swissair-Debakel

Die Rolle der Kommission hat sich im Lauf der Jahre verändert, je nach den anstehenden Fragen und den Hauptakteuren ­ Kommissionsmitglieder oder Vertreter der Bundes. Angesichts der komplexer werdenden Problematik und der zwischen internationalen und regionalen Organisationen, den Staaten und einer zunehmend unabhängigeren Luftfahrtindustrie aufgesplitterten Zuständigkeiten, verlor dieses konsultative Organ an Bedeutung.

Die Eidgenössische Luftfahrtkommission hat demnach bei der Entwicklung der Swissair-Angelegenheit nicht die aktive Rolle gespielt, die manche erwartet oder gewünscht hätten, obwohl sie mehrmals (insbesondere an drei Sitzungen im Jahr 2001) informiert wurde und sich auch mit Vertretern der SAirGroup, des BAZL, des Kantons Zürich und der Industrie traf.

Nach den Aussagen von Herrn Riccardo Gulloti, dem damaligen Kommissionspräsidenten, musste die Kommission einsehen, dass sie weder über die Mittel noch über die Befähigung verfügte, sich an der Krisenbewältigung zu beteiligen. Ihre Mitglieder hatten nicht alle die nötigen Kenntnisse, um fundiert Stellung zu nehmen.

Ausserdem hätte sich die Frage nach der Vertraulichkeit gestellt, insbesondere im 324 325

Sitzung vom 15. September 1998.

Sitzung vom 13. März 2001.

5566

Zusammenhang mit der Weitergabe von Informationen an Konkurrenzunternehmen, die in der Kommission vertreten sind.

Die Gesetzgebung sieht im Übrigen keine Anhörung der Kommission bei der Erteilung oder Erneuerung von Konzessionen bzw. Bewilligungen an Luftfahrtunternehmen vor.

Herr Rolf Lüthi, seit Anfang 2002 Präsident der Kommission beabsichtigt, die Rolle dieses Konsultativorgans (wieder) mehr ins Licht zu rücken, vor allem bei der Konzipierung der schweizerischen Luftfahrtpolitik in Berücksichtigung der internationalen Entwicklung (Liberalisierung, Teilnahme am europäischen Markt) und der Ereignisse, welche die Luftfahrt in der Schweiz stark in Mitleidenschaft gezogen haben.

H.

Zusammenfassung und Schlussfolgerung 1.

Das schweizerische Recht verlangt, dass das BAZL über Flugunternehmen eine Aufsicht ausübt und prüft, ob sie die gesetzlichen Anforderungen in operationeller, technischer und wirtschaftlicher Hinsicht erfüllen. Die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit von Flugunternehmungen ist eine der Voraussetzungen für einen sicheren Betrieb.

2.

Das schweizerische Recht definiert, welche Anforderungen in Bezug auf die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit erfüllt sein müssen, wenn das BAZL zum ersten Mal eine Betriebsbewilligung ausstellt.

3.

Das schweizerische Recht geht davon aus, dass die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit während der Dauer der Betriebsbewilligung erhalten bleibt, definiert aber nicht, welche Anforderungen ein Bewilligungsinhaber im Einzelnen erfüllen muss. Nach Auffassung der Gutachterin sind es nicht die gleichen Anforderungen, welche die LFV bei der erstmaligen Erteilung einer Betriebsbewilligung verlangt. Das schweizerische Recht bestimmt auch nicht, wie oft und aufgrund welcher Kriterien die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit eines Bewilligungsinhabers nachweisen bzw. zu prüfen ist. Die (klare) Anforderung der EG-Verordnung 2407/92 wurden bei der Revision des LFG/LFV von 1998 für die Überwachung der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit von Bewilligungsinhabern nicht übernommen. Ebensowenig enthält das schweizerische Recht eine Meldepflicht, die besagt, dass der Bewilligungsinhaber dem BAZL während der Dauer einer Betriebsbewilligung Unterlagen zur wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit einreichen muss.

4.

Gestützt auf das schweizerische Recht kann das BAZL eine Betriebsbewilligung sistieren oder widerrufen, wenn die gesetzlichen Voraussetzungen über die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit eines Bewilligungsinhabers nicht mehr erfüllt sind. Das schweizerische Recht spezifiziert jedoch die Voraussetzungen für den Entzug wegen fehlender wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit nicht. Die Voraussetzungen für den Entzug sind nach Auffassung der Gutachterin nicht bereits gegeben, wenn der Bewilligungsinhaber nicht mehr die Anforderungen erfüllt, welche die LFV bei der erstmaligen Erteilung einer Betriebsbewilligung fordert. Kriterien für den Entzug der Betriebsbewilligung sind von besonderer Bedeutung, weil der Entzug der Betriebsbe-

5567

willigung durch die Aufsichtsbehörde einem behördlich angeordneten «Grounding» gleichkommt.

5.

Das schweizerische Recht verknüpft mit der Erteilung einer Streckenkonzession für den Linienverkehr ­ ausdrücklich anders als das EG-Recht ­ eine Betriebs- und Beförderungspflicht. Damit kommt nach Auffassung der Gutachterin zum Ausdruck, dass Luftverkehr Teil der Verkehrsinfrastruktur ist.

Die Sicherung des Beförderungsanspruches von einzelnen Passagieren auch in den Fällen, in welchen eine Fluggesellschaft überraschend den Betrieb einstellen muss, lässt sich jedoch auch mit einer entsprechenden Versicherung abdecken.

6.

Das EG-Recht (EG-Verordnung 2407/92) regelt klar, nach welchen Kriterien und mit welchen Massnahmen die Aufsichtsbehörden die Aufsicht über die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit eines Antragstellers sowie eines Bewilligungsinhabers wahrnehmen müssen. Diese Regelung ist in der Schweiz seit dem 1. Juni 2002 anwendbar. Aus rechtlichen Gründen (direkte Anwendbarkeit des EG-Rechts) erübrigt es sich, dass im schweizerischen Recht die bestehenden Lücken in Bezug auf die Überwachung der wirtschaftliche Leistungsfähigkeit von Bewilligungsinhabern beseitigt werden müssen. Aus Gründen der Transparenz und der Rechtssicherheit wäre es trotzdem wünschbar, dass auch die Luftfahrtverordnung die entsprechenden Kriterien nennt.

7.

Das BAZL hat die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit bei der Erteilung einer Betriebsbewilligung jeweils überprüft; hingegen hat es der Aufsicht über die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit von Bewilligungsinhabern zweite Priorität eingeräumt und diese soweit ersichtlich nur aufgrund von Pressemitteilungen über finanzielle Schwierigkeiten von Bewilligungsinhabern oder durch Teilnahme an Bilanzpressekonferenzen und Lektüre der eingereichten Geschäftsberichte von Publikumsgesellschaften wahrgenommen. Es gibt soweit ersichtlich auch keine internen Weisungen, die den zuständigen Mitarbeitern/Mitarbeiterinnen seit der Gesetzesrevision von 1998 als Grundlage für eine entsprechende Beurteilung dienen können.

8.

Es steht zur Debatte, ob das BAZL für die Wahrnehmung seiner Aufsichtspflicht insbesondere im Hinblick auf die Überprüfung der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit von Bewilligungsinhabern zusätzliches Personal braucht.

Die Gutachterin kann diese Frage nicht abschliessend beurteilen, weil nicht klar ist, ob die internationale Rechtsvereinheitlichung im Bereich der Luftfahrt (insbesondere JAR) zu einem erhöhten Personalbedarf führt oder ob diese im Gegenteil das BAZL davon entlastet, technische und operationelle Vorschriften für Luftfahrtunternehmen selber zu definieren und sich die Arbeit des BAZL in diesem Bereich reduziert. Ausgewiesen scheint jedoch, dass das BAZL in seiner Personalpolitik berücksichtigen muss, dass es Fachpersonen braucht, welche die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit einer Fluggesellschaft beurteilen können.

9.

Was die Aufsicht über die Swissair zwischen der Restrukturierung der SAirGroup (1996) und der Flottenstillegung (2001) anbelangt, meinen die Gutachter, das BAZL habe eine ständige und angemessene Aufsicht über die

5568

Einhaltung der technischen und operationellen Bedingungen für einen zuverlässigen Flugbetrieb ausgeübt.

10. Eine weniger restriktive Auslegung ihrer Aufsichtspflicht bezüglich wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit der Luftfahrtunternehmen durch die Bundesbehörden hätten es dem BAZL ermöglicht, bei der Umwandlung des Unternehmens in eine Holding mehr Einsicht in die Finanzlage zu erhalten und danach, bei der Erteilung der allgemeinen Betriebsbewilligung im Dezember 2000, eine umfassende und realistische Einschätzung der Liquiditäten in den Jahren 2000 und 2001 anzufordern. In Anbetracht der komplizierten Situation der Swissair kann jedoch nicht unbedingt davon ausgegangen werden, dass selbst die Verantwortlichen des Unternehmens eine zuverlässige Einschätzung hätten abgeben können.

11. Das BAZL zog die Aussetzung der allgemeinen Betriebsbewilligung der Swissair in Erwägung, verzichtete aber kurz vor dem «Grounding» am 2. Oktober darauf. Nach Ansicht des Gutachters wäre eine Sistierung unter den gegebenen Voraussetzungen denn auch nicht zweckmässig gewesen.

12. Der Schutz der Konsumenten vor den Folgen eines «Grounding» muss auf internationaler Ebene angegangen werden. Der Gutachter meint, die Luftfahrtindustrie sei in der Lage, befriedigende Lösungen zu finden.

13. Der Gutachter ist nicht der Meinung, personelle Verflechtungen hätten die Ausübung der Aufsichtspflicht des BAZL gegenüber der Swissair beeinflusst.

14. Die Kompetenzen und Ressourcen des BAZL sind in Berücksichtigung der jeweiligen Grösse des Marktes mit denjenigen ausländischer Luftfahrtbehörden vergleichbar. Die der finanziellen Aufsicht beigemessene Bedeutung variiert von einem Staat zum anderen, je nach dem allgemeinen Interventionsgrad in die wirtschaftlichen Tätigkeiten.

15. Die Prüfung vom November 2000 durch die ICAO hat es dem BAZL ermöglicht, die Ressourcen auf technischer und operationeller Ebene aufzustocken. Der von der ICAO festgestellte Mangel an verfügbaren Mitteln ist fast überall zu beobachten.

16. Die Eidgenössische Luftfahrtkommission wurde bei der Bewältigung der Swissair-Krise nicht aufgefordert, eine aktive Rolle zu spielen, noch hatte sie den Wunsch dazu. Sie beabsichtigt jedoch, sich voll und ganz an der Weiterentwicklung der schweizerischen Luftfahrtpolitik zu beteiligen, die ihr nach der kürzlichen Krise unumgänglich erscheint.

I.

Empfehlungen 1.

Definieren der Anforderungen an die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit von Bewilligungsinhabern; Übernahme der entsprechenden Bestimmungen der EG-Verordnung 2407/92 ins schweizerische Recht.

2.

Überprüfen, ob es nach dem Inkrafttreten des Bilateralen Luftverkehrsabkommens zwischen der EG und der Schweiz noch sinnvoll ist, die Betriebs-

5569

bewilligung zeitlich zu befristen und deren periodische Erneuerung zu verlangen.

3.

Spezifizieren der einzelnen materiellen Kriterien für die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit von Antragsstellern und Bewilligungsinhabern durch Weisungen des BAZL, damit Antragstellern und Bewilligungsinhabern entsprechende Dokumente ausgehändigt werden können und den Mitarbeitern des BAZL Bewertungskriterien zur Verfügung stehen.

4.

Einführung einer Bestätigung/Meldepflicht von Bewilligungsinhabern über deren wirtschaftliche Leistungsfähigkeit. Meldepflicht von Bewilligungsinhabern bei finanziellen Schwierigkeiten.

5.

Festlegen des Vorgehens des BAZL, wenn Anlass besteht zu Zweifeln über die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit eines Bewilligungsinhabers. Ansetzen einer Nachfrist zur Herstellung des rechtmässigen Zustandes, Vorlegen eines Planes, falls die Bewilligung entzogen werden muss.

Beilagenverzeichnis (Die Beilagen werden nicht veröffentlicht) 1.

Gutachterauftrag

2.

Fragekatalog Gutachter/BAZL vom 21. Mai 2002 und Antworten BAZL vom 14. Juni 2002 mit Beilagen 1­11

3.

Liste der Dokumente, die für das GPK-S Gutachten von den Gutachtern eingesehen und verwendet wurden

4.

Artikel 27 LFG im Wortlaut

5.

Artikel 103 LFV im Wortlaut

6.

Managment System, Financial and Economics

7.

Musterbrief BAZL für Betriebsbewilligung mit Formular

8.

ICAO Air Transport Reporting Form, Financial Data ­ Scheduled Airlines

9.

ICAO Air Transport Reporting Form, Financial Summary ­ Non-Scheduled Operators

10. BAZL-Interne Richtlinien für die Prüfung der finanziellen Mittel vom 14. November 1973 11. Schreiben BAZL/Air Engiadina AG vom 19. Mai 2000 12. Protokoll der Luftfahrtkommission vom 10. März 1998 13. Stellungnahme BAZL zur Änderung der Luftfahrtverordnung 14. Stellungnahme UVEK an den Bundesrat betreffend Änderung der Luftfahrtverordnung 15. Konzession der Swissair vom 19. Dezember 1966 und Verfügung des UVEK vom 23. Mai 1997 16. Liste neuer Streckenkonzessionen 17. Liste erneuerten Streckenkonzessionen

5570

18. Beschluss des Bundesrates vom 9. April 1997 betreffend Reorganisation der Swissair 19. Schreiben VR-Präsident der Swissair/Bundesrat Moritz Leuenberger vom 27. Februar 1997 20. Schreiben SAirGroup/BAZL vom 12. Mai 1997 21. Verfügung UVEK vom 23. Mai 1997 betr. Übertragung der Konzession der Swissair 22. AOC Nr. 1017 der Swissair 23. Allg. Betriebsbewilligung der Swissair (Nichtlinienverkehr) vom 1. April 1998 24. Streckenkonzession der Swissair vom 13. Juli 1999 25. Betriebsbewilligung der Swissair vom 29. Dezember 2000 26. Protokoll der 75. GV der Aktionäre der SAirGroup vom 25. April 2001 27. Gesuchsformular Swissair für die Erteilung einer Betriebsbewilligung 28. Weisung UVEK 18. Dezember 1998 29. Aktionsplan des BAZL vom 12. Januar 2001 30. Liste der Mitglieder der Luftfahrtkommission 31. Protokoll der Luftfahrtkommission vom 2. Dezember 1997 32. Protokoll der Luftfahrtkommission vom 15. September 1998 33. Protokoll der Luftfahrtkommission vom 30. Oktober 2001

Genf/Winterthur, 2. September 2002 Regula Dettling-Ott

Philippe Rochat

5571

Anhang 2

Entwicklung der SAirGroup Namensaktien 1999­2001 auf der Basis des Monatsendkurses (in CHF) Tägliche Entwicklung der SAirGroup Namensaktien im Jahre 2001 (in CHF) Swissair Rating History

5572

5573 0.00

50.00

100.00

150.00

200.00

250.00

300.00

350.00

400.00 Entwicklung der SAirGroup Namensaktien 1999-2001 auf der Basis des Monatsendkurses (in CHF)*

J a n F 99 e b M 99 rz Ap 9 9 r M 9 ai 9 Ju 99 n Ju 99 Au l 9 9 g S 99 e p O 99 k N t 99 ov D 99 ez Ja 9 9 n F 00 e b M 00 r z Ap 0 0 r M 00 ai Ju 00 n Ju 00 Au l 0 0 g Se 0 0 p O 00 k N t 00 ov D 00 ez Ja 0 0 n Fe 01 b M 0 rz 1 Ap 0 1 r M 0 ai 1 Ju 01 n Ju 01 A l 01 u g S 01 e p O 01 k N t 01 ov D 01 ez 01

5574

Swissair Rating History August 28, 2000 January 26, 2001 April 2, 2001 June 19, 2001 September 18, 2001 October 2, 2001

Obtains A3 rating from Moody's A3, under review for possible downgrade Downgraded to Baa3 Downgraded to Ba3 Downgraded to B2 Downgraded to Ca

August 28, 2000 SairGroup obtains a long term rating of A3 from Moody's January 26, 2001 MOODY'S PLACES A3 LONG-TERM ISSUER RATING OF SAIRGROUP UNDER REVIEW FOR POSSIBLE DOWNGRADE Frankfurt, January 26, 2001 ­ Moody's Investors Service today placed the A3 longterm issuer rating for SAirGroup under review for possible downgrade. The action was prompted by the company's announced change of strategy and the expectation that its medium term earnings will be weaker than originally expected. The review will focus on management's strategy to return the group's airline business including the international interests to profitability and postive cash flows.

While acknowledging that SAirGroup will maintain its diversification strategy of airline and related aviation businesses like catering, logistics, ground handling and IT, the review will focus on contemplated changes to SAirGroup's market presence in the airline busieness including possible new alliances, streamlining of operations to realize cost efficiencies, and on measures to strengthen the financial flexibility of the group.

Moody's will also assess the changing competitive landscape in the airline industry with consolidation, international alliances, and: increasing price pressure in spite of rising fuel cost. In this respect, SairGroup faces particular challenges in turning its major international affilates into cost-efficient and quality service providers, given the slow integration process for the three French carriers and labor disputes in Belgium relating to flag carrier Sabena. The review will also extend to SAirGroup's funding and liquidity strategy.

SAirGroup, headquartered in Zurich, Switzerland, is a diversified aviation group with operations in airline, aircraft maintenance, ground handling, catering, airport retailing, facility management and IT solutions. The group generated revenues of about CHF 7,5 billion in the first half of 2000 and recorded a net result of CHF 3 million.

April 2, 2001 MOODY'S DOWNGRADES SAIRGROUP'S (SWITZERLAND) LONG-TERM ISSUER RATING TO Baa3 FROM A3 AND SHORT-TERM RATING TO P-3 FROM P-2; CONTINUES REVIEW FOR POSSIBLE DOWNGRADE Frankfurt, April 02, 2001 ­ Moody's Investors Service has today downgraded the long-term issuer rating of SAirGroup («SAirGroup»), the diversified Swiss aviation group, to Baa3 from A3 and the short-term rating to P-3 from P-2. The rating action 5575

was prompted by the company's failure to turn around its partner airlines in the near term and, the need for additional restructuring efforts to limit group exposure to these activities and to reposition itself in the consolidating global airline industry.

While the national flag-carrier status is fäctored into Moody's ratings, the downgrade reflects the prospects for depressed cash generation over the medium term, the expected significant funding needs during 2001 and the resulting constrained financial flexibility irrespective of planned asset sales. The ratings remain under review for possible downgrade, reflecting the limited range of options available to management to develop a comprehensive cash generative strategy for the group, possible lengthy negotiations with the other shareholders in the affiliated airlines, and potential delays in effecting asset sales and other financing measures.

Today's announcement by SAirGroup presents a stark reversal to its corporate strategy. Instead of building a strong network of international carriers in the «Qualiflyer Alliance» by taking substantial equity stakes and management control of partner airlines, the company will now focus its activities on the core SAirGroup ­ these being the Swissair, Crossair and the aviation-related businesses. Severing its ties from Sabena, the Belgian carrier, the regional French airlines AOM, Air Littoral and Air Liberte and, perhaps, reducing its interest in other airline affiliates could amount to a long, costly, and politically-charged exercise.

While the strategic reorientation of SAirGroup is expected to create substantial long term benefits for the group in the short-term it will cause additional funding needs, part of which can be met through asset sales. However, the assets to be disposed of have been significant contributors to the company's cash flow and will leave a narrow range of profitable activities to support the future strategy, which is yet to be defined.

SAirGroup's extraordinary funding plan depends to a large extent on asset sales in a period when market values for most businesses are depressed. Potential delays in the disposal plans are covered by the group's substantial liquid resources. In addition to that the company is in the process to secure a SFr 1.0 billion revolving back-up facility. Moody's
current Baa3 rating, however, anticipates that the company will implement its financing strategy swiftly and realise the forecasted asset proceeds so that a possible shortfall would not create undue reliance on the credit facility.

Should the credit quality of SAirGroup weaken further, then the status as the Swissflag carrier and possible government support will become more important considerations in Moody's rating analysis. Whilst the room for public subsidies is limited through bilateral treaties and Switzerland's relationship with the European Union (EU), other forms of support for SAirGroup are possible.

Swissair Group, headquartered in Zurich, Switzerland, is a diversified aviation group with operations in airline, aircraft maintenance, ground handling, catering, airport retailing, facility management and IT solutions. In 2000 the group generated revenues about SFr 16,2 billion and recorded a net loss of SFr 2,9 billion.

5576

June 19, 2001 MOODY'S DOWNGRADES TO Ba3 THE LONG-TERM ISSUER RATING FOR SWISSAIR GROUP AND THE SHORT-TERM RATING TO NOT-PRIME; CONTINUES RATING REVIEW IN DISCUSSION WITH MANAGEMENT Frankfurt, June 19, 2001 ­ Moody's today downgraded the long-term issuer rating of Swissair Group («Swissair»), the diversified Swiss aviation group, to Ba3 from Baa3 and the short-term rating to Not Prime from Prime-3. The rating action reflects the potential for significantly higher exit costs at the partnér airlines in France (Air Littoral, AOM, Air Liberte) and in Belgium (Sabena). Thereby, Moody's acknowledges management's determination to resolve the situation rapidly as promised in an announcement of April 25. The rating downgrade is also based on increased pressure on Swissair's core operations due to high fuel costs and the impact of an economic downturn on the airlines and the airline related businesses such as catering.

Although the flag carrier status is factored into the ratings, Moody's notes that so far there has been no indication of tangible support by the Swiss government and that the room for direct subsidies is limited through Switzerland's relationship with the EU.

The ongoing rating review will focus on the costs, which may arise from Swissair's exit from its partner airlines, the proceeds and timing of asset disposals and the potential for strengthening the company's equity base as well as its strategy to secure the required liquidity through the restructuring process.

Swissair Group (formerly «SAirGroup»), headquartered in Zurich, Switzerland, is a diversified aviation group with operations in airline, aircraft maintenance, ground handling, catering, airport retailing, facility management and IT solutions. In 2000 the group generated revenues about SFr 16,2 billion and recorded a net loss of SFr 2,9 billion.

September 18, 2001 MOODY'S DOWNGRADES TO B2 FROM B1 THE LONG TERM ISSUER RATING FOR SWISSAIR GROUP; CONTINUES REVIEW FOR POSSIBLE FURTHER DOWNGRADE Frankfurt, September 18, 2001 ­ Moody's today downgraded the long-term issuer rating of Swissair Group («Swissair»), the diversified Swiss aviation group, to B2 from B 1 and confirmed the short-term rating of Not-Prime. The rating agency continues the review for possible further downgrade. The action reflects the expectation of deteriorating
values for air traffic related assets as a result of the lower international air travel following the resurgence of terrorist activity and a generally depressed economic climate, and likely financial constraints for industry buyers.

Swissair's liquidity plan is critically dependent on the timely receipt of substantial disposal proceeds.

Moody's notes, that while the airline operations of the group are moderately exposed to the North Atlantic routes (24 % of revenues), in particular a significant part of the catering operations' revenue stream (GateGourmet) is derived by US major airlines and European carriers with strong operations on the North Atlantic.

Both effects place pressure on the expectations for operating cash flows from Swissair's core activities following the downsizing of its business portfolio.

5577

In addition to that, Moody's believes that the company's plan for debt reduction will be more difficult to achieve as a result of the recent terrorist activities and the economic downturn. The reduced air travel volumes are likely to result in a reluctance to invest in aviation assets such as aircraft or aviation related businesses, and thereby lowering the market value of such assets. In light of Swissair Group's asset disposal program which includes the third party business of the Flightlease aircraft portfolio, the airport retailer Nuance and the ground handling entity Swissport, this may impact the ability to conclude these disposals on time and receive the proceeds needed to secure the liquidity position and effect the necessary debt repayments.

The rating review will continue to focus on the timing and progress of the asset disposal program. It will also assess the financial impact of a temporary decline in Trans-Atlantic and other air traffic on the group's operations as a consequence of the, recent plane hijackings and general depressed economic climate in Europe and the USA.

SAirGroup, headquartered in Zurich, Switzerland, is a diversified aviation group with operations in airline, aircraft maintenance, ground handling, catering, airport retailing, facility management and IT solutions. In 2000 the group generated revenues of about SFr 16,2 billion and recorded a net loss of SFr 2,9 billion.

September 26, 2001 MOODY'S COMMENTS ON TREATMENT OF BONDS AND LOANS OF SWISSAIR GROUP; B2 LONG TERM ISSUER RATING REMAINS ON REVIEW FOR POSSIBLE DOWNGRADE Frankfurt, September 26, 2001 ­ Moody's Investors Service will continue to review for possible downgrade the B2 long-term issuer rating of Swissair Group («Swissair»), the diversified Swiss aviation group.

Members of the Swiss government in a joint effort with Swissair's management, the banks and the Swiss business community have set up a working group to develop a plan for the restructure and recapitalization of the company with the goal to keep the Swiss airline in operation. Under current circumstances, Moody's sees a high potential for demands of a debt waiver or equity for debt swap, which would constitute default with a low expected recovery. While this demand could affect both, bonds and loans the severity of loss experience to bondholders
and banks may be significantly different. Moody's has not assigned individual ratings to specific classes of debt. Its issuer rating does not reflect the individual loss severity of particular instruments. Should there be a proposal for a financial restructuring, then Moody's will take further rating action subject to the required contributions by the various classes of debt.

At this stage, Moody's attaches a high probability to an eventual debt restructuring.

However, the proposal may well distinguish between the two primary classes of senior, unsecured debt, i.e. bank debt and bond obligations. Even though ranking legally pari-passu, this may lead to different recovery rates for the two classes of lenders. While there may be a strong interest by the working group parties to protect the retail investors in Swissair's bonds and to preserve the capital market confidence, the bank lenders most likely will have to share in the loss if a liquidation of the company is to be avoided. In Moody's scenarios the severity of loss on the bank loans could be 5578

very substantial, reflective of a low Caa rating. If the bonds are indeed exempted from the restructuring and benefit from a recapitalization they could well represent a credit quality above the current B2 issuer rating of Swissair.

In terms of Swissair's core operations, Moody's expects that the recent terrorist activities in the United States and the expected slowdown in international air traffic will create pressure on the company's operating performance, as well as on its asset disposal program and the tight liquidity situation. The expected revenue losses in particular on the long-haul routes as well as the US airlines' intentions to cut food service significantly in order to reduce costs will weaken the cash flow generating ability further. Moody's notes that in particular the value of GateGourmet, Swissair's catering entity, will weaken given the significant revenue share derived from the US airlines and the expected long term nature of deterioration of demand for airline catering in the US market.

The review will continue to monitor the progress and timeliness of the asset disposal program, the impact of the recent terrorist attack and the economic downturn on the company's core operations, and on management's recently announced strategy to downsize the fleet and to reduce costs. It will also focus on the probability of a distressed exchange and the expected loss for the two debt classes as part of a rescue plan for the company Swissair Group, headquartered in Zurich, Switzerland, is a diversified aviation group with operations in airline, aircraft maintenance, ground handling, catering, airport retailing, facility management and IT solutions. In the first half of 2001, the group generated revenues of about SFr 8,2 billion and recorded a net loss of SFr 234 million October 2, 2001 MOODY'S DOWNGRADES TO Ca THE LONG TERM ISSUER RATING OF SWISSAIR GROUP Frankfurt, October 02, 2001 ­ Moody's Investors Service today downgraded to Ca from B2 the long term issuer rating of Swissair Group («Swissair»). The action was prompted by the announcement of the company to sell the 70 % participation in Crossair to two banks for CHF 260 million and to file for bankruptcy protection for SAirGroup, SAirlines and Flightlease. It is currently planned that Crossair will take over two thirds of Swissair's airline
operations. With that rating action, Moody's concludes the review initiated in January 2001.

The Ca rating reflects Moody's view that a restructuring of the company's outstanding debt as part of the reorganization process will likely involve significant losses, if compared to par value, for unsecured lender, banks as well as bondholders.

Compared to the huge amounts of unsecured debt retained by Swissair, its unencumbered assets are limited leaving little room for a satisfactory pay-out. Moody's believes that with the transfer of the major part of its flight operations to Crossair the cash flow potential of the remaining Swissair activities will be weak and the value of the non-airline operations (GateGourmet, Swissport, Nuance etc.) is deteriorating quickly. SAirGroup, SAirLines and Flightlease, the aircraft leasing subsidiary, have already declared a moratorium for their debt service. Swissair is the guarantor for bonds issued by finance subsidiaries of Swissair.

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Swissair Group, headquartered in Zurich, Switzerland, is a diversified aviation group with operations in airline, aircraft maintenance, ground handling, catering, airport retailing, facility management and IT solutions. In the first half of 2001, the group generated revenues about CHF 8,1 billion and recorded a net loss of CHF 234 million.

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Anhang 3

Die Konzernstruktur der SAirGroup am 1. Januar 2000 Die Konzernstruktur der SAirGroup am 24. März 2001

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Inhaltsverzeichnis Zusammenfassung

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1 Kontext und Untersuchungsgegenstand 1.1 Die Krise der Swissair als Anlass der Untersuchung 1.2 Rahmen und Gegenstand der Untersuchung der GPK-S 1.3 Abgrenzung zu anderen Untersuchungen 1.3.1 Die Untersuchung der Verantwortlichkeit der Organe der SAirGroup durch den Sachwalter 1.3.2 Weitere Verfahren und Abklärungen

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2 Vorgehen und Untersuchungsmassnahmen

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3 Die Aufsicht des Bundes über die Zivilluftfahrt 3.1 Einleitung 3.2 Allgemeines 3.3 Die Aufsicht über die operationelle und technische Sicherheit 3.3.1 Kurze Umschreibung der diesbezüglichen Aufgaben des BAZL 3.3.2 Beurteilung der Aufsicht des BAZL über operationelle und technische Voraussetzungen durch Fachkreise 3.4 Die Prüfung und Überwachung der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit als Teil der Aufsichtspflicht 3.4.1 Gesetzliche Regelung und deren Auslegung durch das BAZL 3.4.2 Die Anforderungen an die Prüfung der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit gemäss Gutachten vom 2. September 2002 3.4.2.1 Die Anforderungen bei der Erteilung der Betriebsbewilligung 3.4.2.2 Die Anforderungen an die laufende Überwachung der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit von Bewilligungsinhabern 3.4.2.3 Die Anforderungen bei der Erneuerung der Betriebsbewilligung 3.4.2.4 Die Voraussetzungen für den Entzug einer Betriebsbewilligung wegen fehlender wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit 3.4.2.5 Die Anforderungen bei der Meldepflicht gemäss Art. 107 Abs. 3 LFV 3.4.2.6 Bedeutung der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit bei der Streckenkonzession 3.4.2.7 Die Anforderungen an die personellen Ressourcen des BAZL bei der Prüfung und Überwachung der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit 3.5 Die Aufsichtspflicht des UVEK über das BAZL 3.6 Die Prüfung der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit der Swissair im Rahmen der Krise

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3.6.1 Die Prüfung der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit der Swissair bei der Erneuerung der Betriebsbewilligung im Dezember 2000 3.6.1.1 Der Standpunkt des BAZL 3.6.1.2 Feststellungen und Beurteilungen gemäss Gutachten 3.6.2 Die Beurteilung der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit der Swissair im Jahre 2001 3.6.2.1 Die Sichtweise des BAZL 3.6.2.2 Die Frage nach dem Entzug oder der Sistierung der Betriebsbewilligung der Swissair 3.7 Interessenkonflikte und personelle Verflechtungen zwischen dem BAZL und den Fluggesellschaften 3.7.1 Ergebnisse und Massnahmen aus früheren Untersuchungen 3.7.2 Heutige Beurteilung der Interessenkonflikte durch das UVEK 3.7.3 Beurteilung im Rahmen des Gutachtens vom 2. September 2002 3.8 Vergleich der Aufsicht ausländischer Luftfahrtbehörden 3.9 Die Würdigung des Gutachtens vom 2. September 2002 durch das UVEK und BAZL 3.10 Beurteilung und Schlussfolgerungen der GPK-S 4 Die Geschäftsführung von Bundesrat und Bundesverwaltung in der Swissair-Krise 4.1 Überblick über die Rolle(n) des Bundes im Verlauf der Krise 4.2 Die Wahrnehmung der Aktionärsrechte durch den Bund und seine Rolle als Mitglied des Verwaltungsrates 4.2.1 Vor dem Jahre 2001 4.2.2 Die Lagebeurteilung des Bundes im Frühjahr 2001 4.2.3 Die Ausübung der Aktionärsrechte an der Generalversammlung der SAirGroup vom 25. April 2001 4.3 Die Reaktionen von Bundesrat und Verwaltung auf die sich verschärfende Krise der SAirGroup im Herbst 2001 4.3.1 Die anfängliche politische Haltung des Bundesrates in der Swissair-Krise 4.3.2 Die Hilferufe der SAirGroup an den Bund und die diesbezüglichen Reaktionen des Bundesrates 4.3.3 Der Versuch der Bundesbehörden, eine Stilllegung des Flugbetriebs der Swissair zu verhindern 4.3.4 Zwischenergebnis zur Rolle des Bundesrates vor dem «Grounding» 4.4 Die Massnahmen des Bundes nach dem «Grounding» und beim Aufbau der neuen Airline 4.5 Beurteilung der Rolle und Verantwortlichkeit von Bundesrat und Bundesverwaltung durch die GPK-S 4.5.1 Der Bund als Aktionär und Mitglied des Verwaltungsrates 4.5.2 Die Begleitung der Swissair-Krise durch den Bund nach dem 17. September 2001

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4.5.3 Haben die Bundesbehörden im Fall Swissair rechtzeitig gehandelt?

4.5.3.1 Exkurs: Die Früherkennung von potentiellen Problemen und Krisen durch die Bundesverwaltung im Allgemeinen 4.5.3.2 Die Früherkennung der Swissair-Krise durch das BAZL 4.5.3.3 Die Früherkennung der Swissair-Krise durch das Staatssekretariat für Wirtschaft (seco) 4.5.3.4 Die Früherkennung der Swissair-Krise durch die Bundesstellen, welche das Dossier «Swissair» im Jahre 2001 begleiteten 4.5.3.5 Die überdepartementale Früherkennung der Swissair-Krise 4.6 Schlussfolgerungen der GPK-S aus der Geschäftsführung des Bundesrates in der Swissair-Krise 5 Weitere Beurteilungen und Schlussfolgerungen 5.1 Mängel im Sanierungs- und Gesellschaftsrecht 5.2 Formulierung einer neuen Luftverkehrspolitik 5.3 Schutz der Konsumenten vor den Folgen einer plötzlichen Betriebsstilllegung von Fluggesellschaften 6 Wichtige Ereignisse im Zusammenhang mit der Stilllegung des Flugbetriebs der Swissair am 2. und 3. Oktober 2001 6.1 Einleitung 6.2 Chronologie der wichtigsten Ereignisse 6.3 Präzisierungen zu einigen Umständen 6.3.1 Pläne zur Rettung des Flugbetriebes 6.3.2 Der Überbrückungskredit von 250 Millionen Franken 6.3.3 Der Abschluss des Kaufvertrages betreffend die Crossair-Aktien am 2. Oktober 2001 6.3.4 Die Liquiditätslage am 2. Oktober 2001 6.3.5 Ursachen des «Grounding» 6.4 Eindrücke der GPK-S zum Verlauf und zum dramatischen Ausgang der Swissair-Krise

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7 Schlussbemerkungen und weiteres Vorgehen

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Die GPK-S hat folgende Personen angehört

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Die GPK-S hat mit folgenden Personen ein informelles Gespräch geführt

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Abkürzungsverzeichnis

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Anhang 1: Gutachten für die Geschäftsprüfungskommission des Ständerates

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Anhang 2: Entwicklung der SAirGroup Namensaktien 1999­2001 auf der Basis des Monatsendkurses (in CHF) Tägliche Entwicklung der SAirGroup Namensaktien im Jahre 2001 (in CHF) Swissair Rating History

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Anhang 3: Die Konzernstruktur der SAirGroup am 1. Januar 2000 Die Konzernstruktur der SAirGroup am 24. März 2001

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