Grundsätze des Bundesrates für die Rüstungspolitik des VBS vom 29. November 2002

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Veranlassung und Grundlagen

Der Bundesrat verabschiedetete am 9. Dezember 1996 Grundsätze für die Rüstungspolitik. In Folge der Reformprojekte VBS XXI, Armee XXI und GR XXI sind diese neu zu formulieren. Grundlagen dafür sind der Bericht des Bundesrates an die Bundesversammlung über die Sicherheitspolitik der Schweiz vom 7. Juni 1999 und das Armeeleitbild vom 24. Oktober 2001. Die Rüstungspolitik hat sich auf die beim Bund für diese Aufgaben vorgesehenen und verfügbaren Mittel auszurichten. Die Budgethoheit des Parlaments bleibt dabei vorbehalten.

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Definition und Auftrag der Rüstungspolitik

Definition Die Rüstungspolitik definiert die Art und Weise, wie die Rüstungsbeschaffung in ihren Grundzügen erfolgen soll. Sie umfasst alle Phasen des Rüstungsablaufs: neben Evaluationen und Beschaffungen als Kernaktivitäten auch Instandhaltung sowie Entsorgung von Rüstungsgütern. In diesem Zusammenhang regelt sie Fragen der nationalen und internationalen Kooperation mit der Industrie. Zudem umfasst die Rüstungspolitik auch die Beschaffung von Wissen und Know-how, welches die Beherrschung der notwendigen Technologiefähigkeiten im Rüstungsbereich gewährleistet.

Ausgangspunkt der Rüstungspolitik sind militärische Bedürfnisse der Schweizer Armee. Die Rüstungspolitik legt die Rahmenbedingungen und Grundsätze fest, um eine an wirtschaftlichen Prinzipien orientierte und zeitgerechte Versorgung der Armee mit einer ausreichenden Ausrüstung sicherzustellen.

Auftrag Die Rüstungspolitik wird im VBS durch die involvierten Stellen gemäss den normativen, politischen, strategischen und operativen Vorgaben im Rahmen der geltenden Kompetenzregelungen betreut und umgesetzt. Die Gruppe Rüstung bzw. das Beschaffungs- und Technologiezentrum erarbeitet im Auftrag des Departementsbereichs Verteidigung die Grundlagen für Entscheidungen, woher und mit welchen Partnern die erforderlichen Rüstungsgüter für die Armee beschafft werden sollen.

Dabei werden für die Fälle, in denen die Beschaffung ausserhalb der Schweiz erfolgt, Möglichkeiten der direkten und indirekten Beteiligung der Schweizer Industrie (Offset- oder Kompensationsgeschäfte) sowie der Teilnahme an Kooperationsprojekten abgeklärt.

Die Beschaffung von Rüstungsgütern und zivilen Gütern sowie der Baubereich unterstehen den Grundsätzen des öffentlichen Beschaffungswesens.

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Rahmenbedingungen der Rüstungspolitik

Die Rüstungspolitik muss sich den Herausforderungen stellen, die sich aus der Sicherheitspolitik, der Armee XXI und dem anhaltenden Kostendruck herleiten. Sie muss gleichzeitig die Auswirkungen des Technologiewandels, der zunehmenden Komplexität moderner Rüstungsgüter sowie der fortschreitenden Konzentration im internationalen Rüstungsmarkt berücksichtigen. Das VBS erarbeitet in diesem Kontext eine Technologiestrategie, die Schnittstellen mit der vorliegenden Rüstungspolitik hat.

Die Schweiz ist für Rüstungsgüter stark vom Ausland abhängig. Trotz Auslandabhängigkeit im Rüstungsbereich ist die Schweizer Armee auf Autonomie, d.h. auf eine inländische Industriebasis in spezifischen Bereichen angewiesen.

Für den Fall, dass für die Schweiz eine konkrete militärische Bedrohung akut würde, kann die Armee XXI im Sinne eines Aufwuchses angepasst werden. Zum Aufwuchs gehört neben der Erhöhung des Armeebestandes, der Konkretisierung der Doktrin und einer Intensivierung der Ausbildung auch die Anpassung der Ausrüstung und Bewaffnung. Die Rüstungspolitik hat deshalb den Auftrag, abzuklären, mit welchen Mitteln aus welchen Märkten die Ausrüstung und Bewaffnung für einen Aufwuchs in nützlicher Frist beschafft werden könnte.

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Grundsätze der Rüstungspolitik

4.1

Ziel

Ziel der Rüstungspolitik ist die rechtzeitige, langfristige, verlässliche und an wirtschaftlichen Prinzipien orientierte Erfüllung der Bedürfnisse nach Gütern, Bauten und Dienstleistungen für die Armee und den Bevölkerungsschutz.

4.2

Wirtschaftlichkeit

Die Rüstungspolitik des Bundes orientiert sich an den Kriterien der Sparsamkeit, der Wirtschaftlichkeit und der Ökologie. Veränderungen des Umfeldes müssen dadurch berücksichtigt werden, dass die eingesetzten Ressourcen und angewandten Abläufe laufend optimiert werden.

Sämtliche Rüstungsaktivitäten richten sich nach dem Grundsatz des Wettbewerbs und beachten die Vorgaben des öffentlichen Beschaffungswesens des Bundes. Voraussetzungen für einen funktionierenden Wettbewerb in der Beschaffung sind u.a.

die Anwendung internationaler Standards und der Kauf handelsüblichen Materials.

Die Tätigkeiten während der Nutzungsphase werden ebenfalls dem Wettbewerb unterstellt.

Bereits zu Beginn von Evaluationsverfahren sind Kosten-Nutzen-Überlegungen einzubringen. In einem iterativen Prozess zwischen Auftraggeber (Armee) und Auftragnehmer (Gruppe Rüstung/Beschaffungs- und Technologiezentrum) erfolgt eine Kosten-Nutzen-Optimierung, bei der nicht nur Beschaffungskosten, sondern die vollständigen Lebenswegkosten einbezogen werden.

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Durch die konsequente Anwendung materialwirtschaftlicher Prozesse soll das Einkaufpotenzial optimiert und ausgeschöpft werden. Gleichartige Güter werden grundsätzlich von einer Beschaffungsstelle zentral beschafft.

4.3

Internationale Kooperation

Die materielle Ausrüstung der Armee soll vermehrt mit derjenigen unserer Nachbarstaaten und anderer Partnerstaaten kompatibel sein, d.h. internationalen Standards entsprechen. Dadurch wird die Interoperabilität, welche die Rahmenbedingungen der Neutralitätspolitik beachtet, gefördert. Helvetisierungen sind aus Wirtschaftlichkeitsgründen zu vermeiden. Eigenentwicklungen sind die Ausnahme und kommen nur in Frage, wenn alternative Lösungen weniger wirtschaftlich sind.

Internationale Kooperationsmöglichkeiten sind bereits im Rahmen der Rüstungsund Beschaffungsplanung abzuklären und wirtschaftliche Optimierungsmöglichkeiten sind zu prüfen. Im Hinblick auf Kooperationen sollen die Beschaffungsstellen Kompetenzen erhalten, insbesondere im Finanzbereich, um an mehrjährigen Entwicklungs- und Beschaffungsprojekten auf internationaler Ebene zu partizipieren.

Soweit notwendig, werden die Rechtsgrundlagen entsprechend angepasst. Der Auftraggeber definiert seine Bedürnisse im Rahmen des Auftrags an die Gruppe Rüstung bzw. das Beschaffungs- und Technologiezentrum.

Im Bereich der Rüstungsbeschaffung muss die Schweiz ihre Informationsbasis verbreitern, indem sie sich unter Beachtung neutralitätspolitischer Rahmenbedingungen internationalen Gremien anschliesst, die sich mit Evaluation und Beschaffung im Rüstungsgüterbereich befassen. Sie schöpft daneben auch weiterhin alle Möglichkeiten der bilateralen Zusammenarbeit mit Partnerstaaten im Rüstungsbereich aus.

Die Mögichlichkeiten und Grenzen internationaler Kooperation werden durch die Aussen- und Sicherheitspolitik bestimmt. Die Rüstungspolitik hält die neutralitätspolitischen Rahmenbedingungen ein.

4.4

Schweizerische Industriebasis

Die Industriebasis der Schweiz ist von sicherheitspolitischer Bedeutung. Um im Wettbewerb bestehen zu können, ist sie gehalten, sich dem jeweiligen Wandel der geforderten strategischen Kernfähigkeiten und den Technologiefeldern anzupassen.

Die Schweizer Industriebasis, welche auch das Gewerbe umfasst, gewährleistet, dass für die Armee wesentliche Leistungen erbracht werden können. Voraussetzung dafür ist, dass die Schweizerische Industriebasis wettbewerbsfähig ist. Strukturpolitik kommt nur in Betracht, soweit sie aus sicherheitspolitischen Gründen notwendig ist.

Die Gruppe Rüstung bzw. das Beschaffungs- und Technologiezentrum entscheidet gemäss den Kriterien der vorliegenden Rüstungspolitik, in welchen Bereichen und in welcher Form die Schweizer Industrie beizuziehen ist und schliesst entsprechende Verträge ab. Die sicherheitspolitischen Rahmenbedingungen sowie die vom Auftraggeber Verteidigung geforderten strategischen Kernfähigkeiten und Technologiefelder, bilden die Basis für entsprechende Entscheide.

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Teilnahme der Schweizer Industrie an internationalen Kooperationsprojekten Die Mitwirkung der Schweiz und der Schweizer Industrie im Rahmen internationaler Wehrtechnikkooperation erfordert eine enge Zusammenarbeit zwischen allen Partnern.

Die schweizerische Aussen- und Aussenwirtschaftspolitik unterstützt internationale Kooperation der Schweiz und der Schweizer Industrie. Es wird eine institutionalisierte Zusammenarbeit zwischen Beschaffungsstellen und den Partnern im Bereich der Aussen- und Aussenwirtschaftspolitik etabliert.

Im Hinblick auf vermehrte internationale Kooperationen ist eine Harmonisierung der Exportvorschriften im Rüstungsgüterbereich zwischen der Schweiz und den Partnerstaaten Europas anzustreben.

Indirekte Beteiligungen der Schweizer Industrie Offset- oder Kompensationsgeschäfte bei Beschaffungen im Ausland haben sich rüstungs- und wirtschaftspolitisch bewährt. Offsetgeschäfte sollen weiterhin dazu dienen, der Schweizer Industrie den Zugang zu ausländischen Märkten zu öffnen bzw. ihre Stellung in diesen Märkten zu stärken. Offsetgeschäfte sollen insbesondere auch zum Erwerb von zusätzlichem Know-how führen und damit zu zusätzlichem Auftrags- und Exportvolumen, wenn die Schweizer Industrie ihre Leistungen zu wettbewerbsfähigen Bedingungen anbieten kann. Die konkrete Ausgestaltung der Offset-Politik erfolgt durch die Gruppe Rüstung bzw. das Beschaffungs- und Technologiezentrum.

Information und Kommunikation Beschaffungsstellen/Industrie Im Rahmen einer offenen Informationspolitik erfolgt eine regelmässige und frühzeitige Information der interessierten Industrie über den aktuellen Stand der Planung, über Beschaffungsvorhaben, internationale Kooperationsprojekte und über Möglichkeiten direkter und indirekter Industriebeteiligungen.

Wertschöpfungspartnerschaft Armee/Wirtschaft Zwischen Armee und Wirtschaft besteht ein partnerschaftliches Verhältnis, das sich auch im Rahmen der Rüstungspolitik manifestiert, insbesondere durch einen interessen- und kostenoptimierten Einbezug der Schweizer Industriebasis im Beschaffungsbereich im Rahmen von Industriebeteiligungen, internationaler Kooperation, Instandhaltung und Materialwirtschaft, indem sich die Armee auf ihren Kernauftrag beschränkt, d.h. auf jene Aufgaben, die den Einsatz militärischer Kräfte in allen Lagen zwingend erfordern. Für
die Zusammenarbeit zwischen Armee- und Industriebasis wird eine zeitgemässe Informations- und Kommunikationspolitik auf der Basis von E-Business und E-Commerce betrieben.

Eignerstrategie des Bundesrates für die Rüstungsunternehmen des Bundes Die Eidgenössischen Rüstungsbetriebe wurden im Rahmen der Ausgliederung auf den 1. Januar 1999 in gemischtwirtschaftliche, privatrechtliche Aktiengesellschaften überführt. Der Bund hält die Kapital- und Stimmenmehrheit an der Beteiligungsgesellschaft RUAG. Der Bundesrat hat die Eignerstrategie für die Rüstungsunternehmen des Bundes erlassen und die strategischen Ziele des Bundesrates in diesem Bereich festgelegt. Diese werden periodisch überprüft und bei Bedarf angepasst. Die Eignerstrategie berücksichtigt die Rüstungspolitik, insbesondere die vorgängig aufgeführten Rahmenbedingungen und Grundsätze zur Schweizer Industriebasis, zu der 417

auch die RUAG-Unternehmen gehören. Die RUAG wird grundsätzlich wie jeder andere Lieferant behandelt und es wird wo immer möglich eine echte Wettbewerbssituation geschaffen. Die Eignerstrategie richtet sich auf die Bedürfnisse des Bundes als Mehrheitsaktionär der RUAG aus. In der Eignerstrategie legt der Bundesrat seine Interessen zugunsten der Landesverteidigung und Armee gegenüber der RUAG fest, räumt der RUAG aber auch die in Teilbereichen notwendige Autonomie ein. Zwischen Eignerstrategie und Rüstungspolitik bestehen enge Zusammenhänge, wobei die Rüstungspolitik thematisch breiter und der Eignerstrategie RUAG übergeordnet ist.

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Umsetzung der Rüstungspolitik

Die Umsetzung der Rüstungspolitik ist Sache des VBS und dessen Departementsbereiche, die im Rahmen der Kompetenzregelung auf normativer, politischer, strategischer und operationeller Ebene handeln. Die Auftraggeber des Departementsbereiches Verteidigung und die Auftragnehmer der Gruppe Rüstung bzw. des Beschaffungs- und Technologiezentrums sorgen für die Integration der Rüstungspolitik in die intern geltenden Vorschriften sowie für den Erlass der notwendigen Ausführungsvorschriften für die Umsetzung der Rüstungspolitik im jeweiligen Organisations- und Kompetenzbereich sowie für die Koordination mit den Partnern.

Im Rahmen der mittelfristigen Planung wird die erforderliche Konkretisierung vorgenommen, insbesondere betreffend Evaluation, Beschaffung, Instandhaltung und Entsorgung sowie internationaler Kooperationsvorhaben.

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Schlussbestimmungen

Diese Grundsätze des Bundesrates für die Rüstungspolitik des VBS sind ab 1. Januar 2003 gültig. Sie ersetzen die Grundsätze des Bundesrates für die Rüstungspolitik vom 9. Dezember 1996.

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Im Namen des Schweizerischen Bundesrates Der Bundespräsident: Kaspar Villiger Die Bundeskanzlerin: Annemarie Huber-Hotz

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