Lage- und Gefährdungsanalyse Schweiz nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 Bericht des Bundesrates an das Parlament vom 26. Juni 2002

Sehr geehrte Frau Präsidentin, sehr geehrter Herr Präsident, sehr geehrte Damen und Herren, wir unterbreiten Ihnen den Bericht über die Lage- und Gefährdungsanalyse Schweiz nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 mit dem Antrag, den Bericht zur Kenntnis zu nehmen.

Wir versichern Sie, sehr geehrte Frau Präsidentin, sehr geehrter Herr Präsident, sehr geehrte Damen und Herren, unserer vorzüglichen Hochachtung.

26. Juni 2002

Im Namen des Schweizerischen Bundesrates Der Bundespräsident: Kaspar Villiger Die Bundeskanzlerin: Annemarie Huber-Hotz

1832

2002-1437

Zusammenfassung I.

Nach den Ereignissen vom 11. September 2001 verlangten verschiedene Parlamentarierinnen und Parlamentarier wie auch Parteien vom Bundesrat in verschiedenen Vorstössen eine Lage- und Gefährdungsanalyse für die Schweiz. Neben der Darstellung und Bewertung des Istzustandes sollten namentlich neue Bedrohungsformen wie moderner Terrorismus, Umweltkriminalität, Cyberkriminalität, Schmuggel, Waffen, Proliferation und organisierte Kriminalität (OK) untersucht und Lücken bei deren Bekämpfung aufgezeigt werden.

Die vorliegende Lage- und Gefährdungsanalyse bezieht sich spezifisch auf jene Fragen, die in den beiden gleich lautenden Motionen FDP (NR) und Merz (SR) (Nachrichtendienste und Staatsschutz optimieren; 01.3545 bzw. 01.3569) und den beiden gleich lautenden Interpellationen FDP (NR) und Fünfschilling (SR) (Lagebeurteilung nach den Terroranschlägen; 01.3552 bzw. 01.3576) aufgeworfen wurden. Der Wortlaut der Vorstösse sowie die entsprechenden Antworten bzw. Stellungnahmen des Bundesrates sind im Anhang wiedergegeben.

Der vorliegende Bericht beinhaltet eine aktuelle umfassende Lagedarstellung im Hinblick auf die in den Vorstössen aufgeworfenen Fragen und zeigt unter Berücksichtigung der Veränderungen unseres sicherheitspolitischen Umfeldes den Handlungsbedarf bei der Prävention und Repression in den Bereichen Terrorismus, Gewaltextremismus und verschiedener Kriminalitätsformen auf. In den drei Hauptkapiteln des Berichts «Lageanalyse», «Verfügbare Mittel und Lücken» sowie «Ergriffene oder beabsichtigte Massnahmen» werden ausgehend von der Lagedarstellung im Sinne einer Auslegeordnung die verschiedenen bereits getroffenen oder initiierten gesetzgeberischen und instrumentellen Massnahmen dargestellt und auf diejenigen verwiesen, welche aus der Sicht des Bundesrates noch Gegenstand separater Berichte und Anträge sein sollen.

II.

Die Lageanalyse kommt im Wesentlichen zu folgenden Schlussfolgerungen: Gestützt auf eine aktuelle Analyse von Zielen und Funktionsweisen der Terrororganisationen ist die Wahrscheinlichkeit gering, dass die Schweiz und Schweizer Personen an sich ein primäres Ziel terroristischer Akte werden. Angesichts der Potenziale und Absichten terroristischer Organisationen ist es jedoch jederzeit möglich, dass die Schweiz oder ihre Einwohnerinnen und Einwohner von Terrorakten
betroffen sein können. Terrorismus- und extremismusrelevante Aktivitäten in der Schweiz können nicht nur eine Beeinträchtigung der inneren Sicherheit darstellen, sondern indirekt auch zu politischem Druck auf die Schweiz durch Staaten führen, die in direktem Konflikt mit entsprechenden Organisationen stehen.

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Grundsätzlich müssen die Gefährdungsannahmen des Sicherheitspolitischen Berichtes 2000 nicht angepasst werden. Geändert hat sich vor allem die Wahrnehmung um die Dimension der eigenen Verwundbarkeit als moderne Technologiegesellschaft, die Einschätzung der zeitlichen Vorbereitungsphase und die Bedeutung der internationalen und innerstaatlichen Kooperation zwischen verschiedenen Behörden.

Hoch entwickelte und international stark vernetzte Volkswirtschaften bieten aber auch anderen kriminellen Organisationen Entfaltungsmöglichkeiten. Schwerpunkttätigkeiten der so genannten OK sind Drogen-, Menschen- und Waffenhandel, Korruption, Erpressung sowie die damit verbundene Geldwäscherei. Anlass zur Sorge geben mögliche Querverbindungen zwischen OK und terroristischen Gruppierungen. Obschon keine Erkenntnisse vorliegen, wonach es in der Schweiz zu einer Einflussnahme grösseren Umfangs des organisierten Verbrechens auf Politik und Wirtschaft gekommen wäre, konnten punktuelle Aktivitäten krimineller Organisationen festgestellt werden, die darauf abzielen, sich die Vorzüge unseres Wirtschafts- und Finanzplatzes zu Nutze zu machen.

III.

Im Hinblick auf die verfügbaren Mittel und Lücken kann festgestellt werden, dass die Bekämpfung von Terrorismus, gewalttätigem Extremismus und OK, wie überhaupt die Aufrechterhaltung der inneren und äusseren Sicherheit vermehrt zur gemeinsamen Aufgabe der Staatengemeinschaft werden und einer grundsätzlichen Prüfung neuer Zusammenarbeitsformen in Bund und Kantonen sowie mit ausländischen Behörden und internationalen Organisationen bedürfen.

Eine massgeschneiderte Verstärkung der nachrichtendienstlichen und polizeilichen Mittel und ein Aufbau der entsprechenden Fähigkeiten zur Bekämpfung der neuen Bedrohungen dauert eine gewisse Zeit und sollte deshalb zügig an die Hand genommen werden. Durch die Ereignisse vom 11. September 2001 wurden schon zuvor erkannte gesetzliche Lücken bei der präventiven Informationsbeschaffung und Informationsbearbeitung akzentuiert. Eine wachsende Bedeutung kommt auch dem Schutz diplomatischer Vertretungen, internationaler Organisationen und Konferenzen zu.

Aufgrund der internationalen Verflechtungen ergibt sich für die Schweiz nicht nur eine Verpflichtung für einen effektiven und effizienten Selbstschutz, sondern ebenfalls eine Mitverantwortung über
die Landesgrenzen hinaus und somit die Notwendigkeit zur Kooperation. Wichtige Eckpfeiler sind die Mitarbeit in den Gremien der UNO, der Euro-Atlantischen Partnerschaft sowie in den Rüstungskontrollgremien.

Dank der bestehenden Gesetzgebung und Kooperationsbereitschaft haben unilaterale Massnahmen, wie der US-Patriot Act, keine unmittelbaren Auswirkungen auf die Schweiz. Die Bemühungen der Europäischen Union gehen in die Richtung eines Raums der Sicherheit, des Rechts und der Freiheit, wozu der Ausbau des Grenzschutzes, die europaweite Abstimmung der Asylpolitik sowie der Aufbau einer europäischen Polizeiorganisation (Europol) gehören. Die Schweiz ist von diesen Bemühungen ausgeschlossen.

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IV.

Aus den festgestellten Lücken leiten sich von der Schweiz demnächst zu ergreifende oder bereits in Umsetzung befindliche Massnahmen in folgenden wichtigen Bereichen ab: In Umsetzung der Resolutionen des UN-Sicherheitsrates wurden umfangreiche Vermögenswerte eingefroren. Der Informationsaustausch und Rechtshilfeverkehr mit ausländischen Behörden wurde intensiviert. Die dafür eigens eingesetzte «Task Force Terror USA» im Bundesamt für Polizei nimmt im Rahmen von Ermittlungsverfahren umfangreiche Abklärungen vor. Sofortmassnahmen wurden auch für den Schutz der Bevölkerung (ABC-Massnahmen), der diplomatischen Vertretungen und der Luftfahrt getroffen.

Zur Schliessung gewisser rechtlicher Lücken hat der Bundesrat bereits am 7. November 2001 die Verordnung über Massnahmen gegen die Gruppierung Al Qaïda erlassen und gleichzeitig beschlossen, das Übereinkommen zur Bekämpfung der Finanzierung des Terrorismus sowie das Übereinkommen zur Bekämpfung terroristischer Bombenanschläge beschleunigt zu ratifizieren und umzusetzen. Aus diesen Schritten ergibt sich eine Strafrechtsrevision, die eine neue, allgemeine Terrorismusstrafnorm sowie eine eigenständige Strafnorm der Terrorismusfinanzierung einführt und weitere Bundesgesetze anpasst. Weitere Rechtssetzungsarbeiten und andere Projekte (wie z. B. Bekämpfung der Internet-Kriminalität oder Einrichtung der Koordinationsstelle Menschenhandel Menschenschmuggel) zielen insbesondere auf eine Verstärkung der nationalen und internationalen Zusammenarbeit bei der allgemeinen Kriminalitätsbekämpfung. Die bevorstehenden Verhandlungen der Schweiz mit der EU über eine engere Zusammenarbeit mit den Mitgliedsstaaten der Abkommen von Schengen und Dublin erhalten vor diesem Hintergrund zusätzlich Aktualität und Bedeutung.

Ferner werden im Rahmen der bereits angelaufenen Überprüfungen zum Bundesgesetz über Massnahmen zur Wahrung der inneren Sicherheit (BWIS) die Möglichkeiten einer Verbesserung der präventiven Informationsbeschaffung geprüft und diese mit den in Frage stehenden Grundrechten, aber auch den Kontrollmöglichkeiten, abgewogen.

Schliesslich unterstützt die Schweiz auch Schwerpunktprojekte in internationalen Gremien wie Europarat, OSZE oder Euro-Atlantische Partnerschaft, die sich vermehrt auf Terrorbekämpfung ausrichten.

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Bericht 1

Einleitung

1.1

Anlass und Auftrag

Nachdem seit Anfang der 90er-Jahre die Zahl terroristischer Anschläge weltweit zurückgegangen ist, war 1999 und 2000 wieder eine markante Zunahme und 2001 paradoxerweise erneut eine leichte Abnahme zu verzeichnen.1 Bei den Anschlägen sind jedoch insgesamt immer mehr Opfer zu beklagen; 2001 verzeichnete das US-Aussenministerium mit 3547 Todesopfern einen Rekord. Speziell in Europa, aber auch in Teilen Afrikas und Südamerikas oder Südostasiens war im Verlauf der letzten zehn Jahre ein Wiederaufleben terroristischer Aktivitäten festzustellen. Im Gegensatz zu früheren Jahren weiteten die meisten aktiven terroristischen Bewegungen ihre Operationen über die nationalen oder regionalen Grenzen hinaus aus. Dabei nutzten sie gesetzliche Lücken im Hinblick auf das Territorialprinzip bei der Verfolgung von Straftaten aus; bisweilen konnten sie auf erhebliche logistische und finanzielle Unterstützung zurückgreifen. Hinzu kam, dass aufgrund technologischer Entwicklungen im Bereich der Waffen und Sprengstoffe die eingetretenen oder zu befürchtenden Folgen eines Terroranschlags immer verheerender wurden.

Nach den terroristischen Anschlägen vom 11. September 2001 in New York und Washington gewann die Frage der Terrorismusprävention und -abwehr an Bedeutung und Dringlichkeit. Zahlreiche Staaten revidierten oder revidieren ihre Gesetzgebung und schnüren auch finanziell und personell bedeutende Pakete zur Verstärkung der zuständigen Dienste und Massnahmen.

Parlamentarierinnen und Parlamentarier wie auch Parteien beauftragten in verschiedenen Vorstössen den Bundesrat2 mit einer Lage- und Gefährdungsanalyse für die 1 2

Patterns of Global Terrorism 2001, U.S. Department of State, May 2002 Parlamentarische Vorstösse zu den Terroranschlägen vom 11. September 2001, soweit vom Bundesrat bis Ende Mai 2002 behandelt: ­ 01.1114 ­ Einfache Anfrage Pfister Theophil, eingereicht 05.10.2001, NR, Terroranschläge. Rasterfahndung, erledigt.

­ 01.1148 ­ Einfache Anfrage Gross Andreas, eingereicht 14.12.2001, NR, Die Schweiz und die Uno-Resolution Nr. 1373, Antwort des Bundesrates 13.02.2002, erledigt.

­ 01.3545 ­ Motion Freisinnig-demokratische Fraktion, Nachrichtendienste und Staatsschutz optimieren, eingereicht 04.10.01, NR, Erklärung des Bundesrates 30.11.2001: Der Bundesrat beantragt, die Motion in ein Postulat umzuwandeln, Diskussion verschoben.

­ 01.3552 ­ Interpellation Freisinnig-demokratische Fraktion, Lagebeurteilung nach den Terroranschlägen, eingereicht 04.10.01, NR, 14.12.2001, NR, Diskussion verschoben.

­ 01.3569 ­ Motion Merz Hans-Rudolf, Nachrichtendienste und Staatsschutz optimieren, eingereicht 04.10.2001, SR, 30.11.2001, Erklärung des Bundesrates: Der Bundesrat beantragt, die Motion in ein Postulat umzuwandeln, 10.12.2001, SR: Die Motion wird in Form eines Postulates überwiesen.

­ 01.3576 ­ Interpellation Fünfschilling Hans, Lagebeurteilung nach den Terroranschlägen, eingereicht 04.10.01, SR, 10.12.2001, SR, erledigt.

­ 01.3612 ­ Interpellation Sutter Marc E., Terrorbekämpfung in der EU. Auswirkungen auf die Schweiz, eingereicht 05.10.01, NR, Erklärung Urheberin/Urheber: teilweise befriedigt, 14.12.2001, NR, Diskussion wird verschoben.

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Schweiz. Neben der Darstellung und Bewertung des Istzustandes soll namentlich im Hinblick auf zum Teil neue Bedrohungsformen wie moderner Terrorismus, Umweltkriminalität, Cyberkriminalität, Schmuggel, Waffen, Proliferation, Verletzung elektronischer Urheberrechte und organisierte Kriminalität (OK) untersucht werden, in welchen Bereichen Lücken bestehen. Im Weiteren ist aufzuzeigen, wo aus der Sicht des Bundesrates gesetzgeberischer bzw. instrumenteller Handlungsbedarf besteht.

Weiter wurde der Bundesrat aufgefordert, die «Umfassende Risikoanalyse Schweiz» einer Neubeurteilung zu unterziehen, insbesondere den Aspekt der Überprüfung möglicher sensibler Ziele von Terroranschlägen auszuleuchten, und mögliche Risiken bei besonders komplexen Anlagen mit hohem Schadenspotenzial sowie die gesellschaftlichen, ökologischen und ökonomischen Schadenspotenziale durch terroristische Akte zu beurteilen. Dem Parlament ist darüber Bericht zu erstatten, und es sind aufgrund der aktuellen Bedrohungslage der Handlungsbedarf und die erforderlichen Massnahmen einschliesslich Finanzbedarf aufzuzeigen.

Der Bundesrat hielt in seiner Antwort auf die Motion Merz3 und das Postulat Leutenegger Oberholzer4 fest, dass sich der Inhalt eines solchen Berichtes mit den Bestrebungen des Bundes zu einer umfassenden Berichterstattung über die innere Sicherheit sowie zur nachrichtendienstlichen Koordination deckt. In Anbetracht der komplexen Fragestellung und der derzeit rasanten Lageentwicklung in zahlreichen der angesprochenen Bereichen konnte für die Frühjahrssession durch die Lenkungsgruppe Sicherheit erst ein Zwischenbericht erstellt werden.5 Wegen der Verwandtheit der Materie hat der Bundesrat auch beschlossen, die entsprechenden Vorstösse gemeinsam zu beantworten.

3 4 5

­ 01.3626 ­ Motion Leu Josef, Neue nachrichtendienstliche Kultur für neue Herausforderungen, eingereicht 05.10.01, NR, Erklärung des Bundesrates 21.11.2001: Der Bundesrat ist bereit, die Motion entgegenzunehmen. 14.12.2001, NR, bekämpft; Diskussion verschoben.

­ 01.3633 ­ Postulat Leutenegger Oberholzer Susanne, Terroranschläge. Neue Beurteilung der Risikosituation der Schweiz, Erklärung des Bundesrates 21.11.2001: Der Bundesrat ist bereit, das Postulat entgegenzunehmen. 14.12.2001, NR, Annahme.

­ 01.3702 ­ Motion Christlichdemokratische Fraktion, Fernhaltung unter Sicherheitsaspekten unerwünschter Personen, eingereicht 04.12.2001, NR, Erklärung des Bundesrates 15.03.2002: Der Bundesrat beantragt, die Motion in ein Postulat umzuwandeln, im Plenum noch nicht behandelt.

­ 01.3703 ­ Motion Baumann J. Alexander, Effizienz in der Terrorismusbekämpfung, eingereicht 04.12.2001, NR, Erklärung des Bundesrates 13.02.2002: Der Bundesrat beantragt, die Motion in ein Postulat umzuwandeln, im Plenum noch nicht behandelt.

­ 01.3704 ­ Motion Christlichdemokratische Fraktion, Beseitigung von Schwachstellen in der Terrorismusprävention, eingereicht 04.12.2001, NR, Erklärung des Bundesrates 27.02.2002: Der Bundesrat beantragt, die Motion in ein Postulat umzuwandeln.

22.03.2002, NR, bekämpft, Diskussion verschoben.

­ 02.1012 ­ Einfache Anfrage Rechsteiner Paul, eingereicht am 12.03.2002, NR, Patriot Act. Erledigt.

­ 02.3061 ­ Motion Christlichdemokratische Fraktion, Lufttransport und Terrorismus.

Verstärkung der Sicherheit, eingereicht 14.03.2002, NR, Erklärung des Bundesrates 22.05.2002: Der Bundesrat beantragt, die Motion in ein Postulat umzuwandeln; im Plenum noch nicht behandelt.

01.3569 ­ Motion Merz Hans-Rudolf, Nachrichtendienste und Staatsschutz optimieren.

01.3633 Postulat Leutenegger Oberholzer Susanne, Terroranschläge. Neue Beurteilung der Risikosituation der Schweiz.

Vgl. die Ausführungen der Departementschefin des EJPD anlässlich der Beratung der Vorstösse Merz und Fünfschilling am 10. Dezember 2001 im Ständerat.

1837

Der Zwischenbericht konzentrierte sich ausschliesslich auf den Terrorismus und klammerte die weiteren Kriminalitätsbereiche aus. Er wurde von der Lenkungsgruppe Sicherheit Mitte Februar 2002 verabschiedet und am 27. Februar 2002 vom Bundesrat zur Kenntnis genommen. Er beschloss, den Zwischenbericht der Lenkungsgruppe Sicherheit der Geschäftsprüfungsdelegation vorzulegen. Aufgrund deren Gutachten und auf Antrag des EJPD beschloss der Bundesrat am 15. März 2002 weiter, den Zwischenbericht ausschliesslich den Urhebern der Vorstösse zuzuleiten. Für das weitere Vorgehen entschied die Lenkungsgruppe Sicherheit, für die Beantwortung der parlamentarischen Vorstösse zwei separate Berichte zu erstellen.

Die vorliegende Lage- und Gefährdungsanalyse beantwortet ausschliesslich die Fragen der Vorstösse 01.3545 Motion FDP, 01.3569 Motion Merz, 01.3552 Interpellation FDP sowie 01.3576 Interpellation Fünfschilling. Die Beantwortung des Postulates 01.3633 Leutenegger Oberholzer erfolgt mit einem anderen Bericht.

Der vorliegende Bericht wurde von der Lenkungsgruppe Sicherheit am 23. Mai und 4. Juni 2002 beraten, vom Sicherheitsausschuss des Bundesrates per 11. Juni 2002 verabschiedet und vom Bundesrat am 26. Juni 2002 genehmigt.

1.2

Zweck und Aussagegehalt des Berichtes

Der vorliegende Lage- und Gefährdungsbericht will eine aktuelle umfassende Lagebeurteilung der von den Urhebern angesprochenen Fragen aus Sicht der dafür zuständigen Behörden leisten und den konkreten Handlungsbedarf im Bereich der Prävention und Repression von Terrorismus, Gewaltextremismus und verschiedener Kriminalitätsformen aufzeigen. Er ist mit den bisher zur Terrorismus- und Kriminalitätsproblematik erstellten Berichten des Bundes abgestimmt: So mit dem Sicherheitspolitischen Bericht 2000, mit dem Bericht des Bundesrates vom 19. Dezember 2001 an den UN-Sicherheitsrat über die von der Schweiz ergriffenen Massnahmen zur Bekämpfung des Terrorismus und seiner Finanzierung (UN-Resolution 1373) wie auch mit dem vom Bundesamt für Polizei (BAP) herausgegebenen Bericht zur inneren Sicherheit (Sommer 2002).

Der konkrete Handlungsbedarf im Bereich der Prävention und Repression von Terrorismus, Gewaltextremismus, OK und weiteren Kriminalitätsformen wird an den Mitteln und Massnahmen gemessen, für deren Überprüfung und Umsetzung der Bundesrat zum Teil schon vor den Ereignissen vom 11. September 2001 einen Auftrag erteilt hatte. Die folgende Darstellung beschränkt sich auch auf einen Überblick wichtigster Reformprojekte.

1.3

Begriffe und Abgrenzungen

1.3.1

Terrorismus- und Extremismusbegriff

Definition umstritten Der Begriff Terrorismus ist schwierig zu definieren, da sich Gebrauch und Bedeutung des Wortes im Verlauf der Zeit immer wieder verändert haben, um sich dem politischen Umfeld jeder Epoche anzupassen. Im Eigen- oder Fremdverständnis wird Gewalt gegen eine politische Ordnung aus dem Untergrund unter gewissen 1838

Umständen immer auch als Kampf einer Befreiungs- oder Selbstverteidigungsbewegung, als Form der berechtigten Vergeltung oder gar als Kriegführung einer regulären Armee verstanden. Wie problematisch die einheitliche Begriffsfindung ist, zeigt die Tatsache, dass sich z. B. die Europäische Union erst Anfang Dezember 2001 unter dem Druck der Ereignisse auf eine einheitliche Definition des Terrorismus geeinigt hat.6 Das Phänomen kann durch drei Elemente umschrieben werden: 7 Erstens muss eine systematische Androhung oder Anwendung von Gewalt vorliegen, zweitens müssen die Täter organisiert sein und planmässig zusammenarbeiten, und drittens müssen sie politische oder religiöse Ziele verfolgen. Mitunter verfolgen Terrororganisationen sekundär auch materielle Ziele und sind so im weiteren Sinne kriminelle Vereinigungen. Die Terrorakte sind nicht für sich alleine zu betrachten, sondern stehen meist in einem Umfeld von Befreiungs- und Kleinkriegen, von Extremismus und OK. Ebenso ist der Terrorismus zumeist Ausdruck ungelöster politischer, sozialer und wirtschaftlicher Probleme sowie eine Form von Gewalt von Nichtherrschenden gegen Herrschende.8 Die Gewalt kann sich gegen Personen oder Sachen (Gebäude, Fahrzeuge usw.) richten und kann von sehr unterschiedlicher Intensität sein (z. B.

Einsatz von Sprengmittel). Die Opfer sind dabei in vielen Fällen und mit zunehmender Tendenz nicht direkt die Zielobjekte, sondern auch Tatmittel der Terroristen. Ein Terrorakt will eine Schockwirkung in einer möglichst breiten Öffentlichkeit erzielen; meist werden daher die Medien auch in die Aktionen einbezogen. Das politische Ziel kann darauf gerichtet sein, die Behörden zu einem konkreten (politischen) Verhalten zu nötigen. Es werden in der Regel strategische Ziele angestrebt, etwa die politische Selbstständigkeit oder die Änderung der Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung. Derartige politische Zielsetzungen unterscheiden die terroristische Kriminalität von der organisierten oder gewöhnlichen Kriminalität, deren Motivation materielle Vorteile sind. Ziel terroristischer Aktivitäten ist nicht die illegale materielle Bereicherung; der Aufbau finanzieller Ressourcen wird vielmehr als Mittel für die Ausführung der Terrorakte selbst oder für einen politischen Zweck verstanden.

6

7

8

Vgl. dazu: Bericht über die Rolle der Union beim Kampf gegen den Terrorismus, A5-0273/2001, 2001/2016 (INI), Brüssel, 12. Juli 2001; und: Verordnung des Rates über spezifische, gegen bestimmte Personen und Organisationen gerichtete restriktive Massnahmen zur Bekämpfung des Terrorismus KOM 2001 713, 2001/0228 (CNS), Brüssel, 30. November 2001.

Vgl. zuletzt in der Verordnung über Massnahmen zur Wahrung der inneren Sicherheit (VWIS) vom 27. Juni 2001 (SR 120.2): «Terroristische Aktivitäten: Bestrebungen zur Beeinflussung oder Veränderung von Staat und Gesellschaft, die durch die Begehung oder Androhung von schweren Straftaten sowie mit der Verbreitung von Furcht und Schrecken verwirklicht oder begünstigt werden sollen.» Vgl. dazu die Definition, die sich an der Empfehlung 1426 (1999) des Europarates orientiert. Demnach kann als terroristischer Akt «jede von Einzelpersonen oder Gruppen unter Anwendung von Gewalt und Drohung mit Gewalt begangene Tat gegen ein Land, seine Einrichtungen oder seine Bevölkerung im Allgemeinen oder einzelne Individuen [definiert werden], mit der aus separatistischen, extremistisch-ideologischen, fanatischreligiösen oder subjektiv-irrationalen Motiven ein Zustand des Schreckens bei offiziellen Stellen, bei bestimmten Einzelpersonen oder gesellschaftlichen Gruppen oder ganz allgemein in der Öffentlichkeit angestrebt wird.» (siehe Entschluss des Europaparlaments zum Kampf gegen den Terrorismus; Abl. C 055 vom 24.2.1997).

1839

Vorgeschlagene strafrechtliche Definition Im Rahmen einer vorgeschlagenen Strafrechtsrevision (vgl. Kap. 3.2.1 und 4.2.2) mit einer neuen, allgemeinen Terrorismusstrafnorm (Art. 260quinquies E-StGB) sowie einer eigenständigen Strafnorm der Terrorismusfinanzierung (Art. 260sexies E-StGB) wird der Straftatbestand wie folgt umschrieben: ­

Wer ein Gewaltverbrechen begeht, um die Bevölkerung einzuschüchtern oder einen Staat oder eine internationale Organisation zu einem Tun oder Unterlassen zu nötigen, wird mit Zuchthaus bestraft.

­

In besonders schweren Fällen, namentlich wenn durch die Tat viele Menschen verletzt oder getötet werden, kann der Täter mit lebenslänglichem Zuchthaus bestraft werden.

­

Strafbar ist auch der Täter, der die Tat im Ausland verübt.

Einbezug des Gewaltextremismus in die Lageanalyse In der folgenden Gefährdungsanalyse werden deshalb Gruppen, die im Ausland in einem weiter gefassten Terrorismusbegriff explizit als Terrorgruppen bezeichnet werden, entsprechend ihren Straftaten in der Schweiz unter dem Aspekt des «Gewaltextremismus» und nicht explizit unter dem Aspekt des «Terrorismus» behandelt. Schliesslich muss einschränkend beigefügt werden, dass im vorliegenden Zwischenbericht die schweizerischen gewaltextremistischen oder gewaltorientierten Bewegungen bewusst ausgeklammert werden, so z. B. der heimische Links- und Rechtsextremismus oder gewalttätige Gruppen der Antiglobalisierungsbewegung.

Ihr Gewaltpotenzial kann zum jetzigen Zeitpunkt auf die Schweiz bezogen und mit Schweizer Massstäben gemessen nicht generell als «terroristisch» bezeichnet werden.

1.3.2

Was ist organisierte Kriminalität?

Wie im Bereich des Terrorismus ist es schwierig, OK als Phänomen in einer einfachen Definition zu erfassen. Die besondere Bedrohung durch organisierte Kriminalität im Unterschied zu allgemeiner oder auch bandenmässiger Kriminalität wird generell darin gesehen, dass kriminelle Organisationen mit ihrer Einflussnahme auf wirtschaftliche und politische Entscheidungen eine eigentliche illegale Parallelordnung in der Gesellschaft errichten und dadurch transparente demokratische Prozesse gefährden können. Speziell in Ländern, die von der OK stark betroffen sind, steht die Unterwanderung der Wirtschaft, die Bedrohung des Wettbewerbs durch Monopolisierung, unfriendly takeovers, Verdrängung mittels illegal erworbener Finanzkraft oder auch direkter Druckmittel im Vordergrund. Darüber hinaus gefährden die Systeme von einer gewissen Dimension an die politische Willensbildung, stellen Entscheidungsfreiheit von Bürgern und Bürgerinnen und letztlich die Demokratie in Frage. Ähnlich wird das Phänomen auch im UNO-Übereinkommen gegen transnationale OK definiert, das die Schweiz Ende 2000 als eines der ersten Länder unterzeichnet hat.

Diese über die Einzeldelikte hinausgehende übergeordnete Gefährdung der öffentlichen Sicherheit oder der Willens- und Entscheidungsfreiheit der Bevölkerung rechtfertigte aus Sicht des Schweizerischen Gesetzgebers analog zu den meisten an1840

deren Ländern die Schaffung eines neuen Straftatbestandes. Dieser Tatbestand sollte als so genannter Auffangtatbestand insbesondere dort greifen, wo eine Zuordnung von Delikten zu einzelnen Akteuren aufgrund der arbeitsteiligen und abgeschotteten Struktur krimineller Organisationen nicht möglich ist.

Die Notwendigkeit, die Beteiligung an oder die Unterstützung einer kriminellen Organisation in der Schweiz unter Strafe zu stellen, ergab sich aber auch daraus, dass die Schweiz dadurch andere Länder ­ in denen die OK unter Umständen eine noch ernsthaftere Bedrohung als in der Schweiz darstellte ­ mittels internationaler Rechtshilfe in der Bekämpfung krimineller Organisationen unterstützen kann.

Die konkrete Ausgestaltung des Artikels in der Schweiz lehnte sich denn auch bewusst an die kriminologische Definition des organisierten Verbrechens an, die sich international herauskristallisiert hat: Organisiertes Verbrechen liegt dort vor, wo Organisationen in Annäherung an die Funktionsweise internationaler Unternehmen hochgradig arbeitsteilig, stark abgeschottet, planmässig und auf Dauer angelegt sind und durch Begehung von Delikten sowie durch Teilnahme an der legalen Wirtschaft möglichst hohe Gewinne anstreben. Die Organisation bedient sich dabei der Mittel der Gewalt, Einschüchterung, Einflussnahme auf Politik und Wirtschaft. Sie weist regelmässig einen stark hierarchischen Aufbau auf und verfügt über wirksame Durchsetzungsmechanismen für interne Gruppennormen. Ihre Akteure sind dabei weitgehend austauschbar.9 Da kriminelle Organisationen aber sehr unterschiedliche Strukturen aufweisen und diese Strukturen zudem rasch an neue Gegebenheiten anpassen können, kann der Tatbestand im Gesetz keine abschliessende Definition der Organisation enthalten.

Neuere Entwicklungen zeigen zum Beispiel auf, dass einige kriminelle Organisationen weniger nach einem hierarchischen Muster wie zum Beispiel die italienische Mafia, sondern netzwerkartig aus verschiedenen, mehr oder weniger lose miteinander verbundenen spezialisierten Gruppen bestehen, die sich für grössere Operationen zusammenfinden, dazwischen aber auch individuell agieren.

2

Lageanalyse

2.1

Allgemeine Lage innere Sicherheit

Wandel des sicherheitspolitischen Umfelds Die Schweiz mit ihrer offenen demokratischen Gesellschaft, mit ihrem hohen Wohlstandsniveau, ihrer liberalen Wirtschaftsordnung und ihrem weltweit grossen Wirtschaftsnetz stellt auch eine Plattform für das internationale Verbrechen dar. Gewaltbereiter Extremismus jeglicher Couleur macht nicht vor Landesgrenzen Halt. Der internationale Terrorismus hat eine neue Dimension erreicht. Instabilität und Konflikte auch in weit entfernten Gebieten können sich auf die innere Sicherheit der Schweiz auswirken. Solche Spannungen können sich auf Angehörige der Konfliktparteien, die in der Schweiz leben, übertragen.

9

Botschaft über die Änderung des Schweizerischen Strafgesetzbuches und des Militärstrafgesetzes (Revision des Einziehungsrechts, Strafbarkeit der kriminellen Organisation, Melderecht des Financiers) vom 30. Juni 1993, BBl 1993 III., S. 281.

1841

Fluchtbewegungen werden oft von Schlepperorganisationen und Kriminellen ausgenützt. Die Mobilität führte in den letzten Jahren ganz allgemein zu einer spürbaren Zunahme des Kriminaltourismus. All das sprengt die Grenzen des Handlungsspielraumes nationaler Sicherheits- und Strafverfolgungsbehörden. Eine «Grenze-dichtPolitik» löst aber keine Probleme und ist angesichts der wirtschaftlichen Verflechtungen unseres Landes ­ Tourismus, Grenzgänger, Warenverkehr ­ praktisch illusorisch. Der Wandel unseres sicherheitspolitischen Umfeldes hat auch das Lagebild der inneren Sicherheit verändert. Auch die diesem Bereich zugeordneten Gefahren und Risiken haben vermehrt grenzüberschreitenden Charakter angenommen, wozu die Entwicklung der elektronischen Kommunikation (Internet) beigetragen hat.

Instabilitäten und Konflikte in zum Teil weit entfernten Gebieten wirken sich direkt auf die innere Sicherheit der Schweiz aus. Die Abgrenzung zwischen innerer und äusserer Sicherheit wird dadurch schwieriger.

Gültige Gefährdungsannahme des Sicherheitspolitischen Berichts 2000 Grundsätzlich müssen die Gefährdungsannahmen des Sicherheitspolitischen Berichtes 2000, die dem Armeeleitbild und dem Leitbild Bevölkerungsschutz zu Grunde gelegt worden sind, nicht angepasst werden. Geändert hat sich vor allem die Wahrnehmung um die Dimension der eigenen Verwundbarkeit als moderne Technologiegesellschaft sowie die Einschätzung der zeitlichen Vorbereitungsphase: Im Gegensatz zur klassischen militärischen Bedrohung gibt es bei terroristischen Anschlägen oft keine Vorwarnzeit. Das Spektrum der Bedrohungen wird weiterhin vermehrt durch Dynamik, Komplexität und verminderte Bedeutung des geografischen Raumes bestimmt. Der 11. September 2001 bestätigt den Trend zu unkonventionellen, asymmetrischen Bedrohungsformen.

2.2

Aktuelle Formen des internationalen Terrorismus

2.2.1

Sozialrevolutionärer und ethnisch-nationalistischer Terrorismus

Im Rückblick auf die Jahrzehnte nach dem Zweiten Weltkrieg kann von einer Stagnation gewisser Formen von Terrorismus gesprochen werden.

Zunehmende Legitimationsverluste in Westeuropa Mit dem Ende des Kalten Krieges wurden den sozialrevolutionären Terrorgruppen nicht nur in Europa, sondern auch weltweit die Legitimation und materiellen Grundlagen entzogen. Trotz der fortschreitenden wirtschaftlichen und politischen Integration Europas bleiben gewisse Fronten in Autonomiekonflikten bestehen (Baskenland, Korsika). Einzelne Konflikte, in denen gewisse Gruppen mit terroristischen Mitteln gegen die Staatsgewalt kämpften, konnten beigelegt werden (Südtirol), andere werden durch kontinuierliche Friedensprozesse teilweise entschärft (Nordirland).

Ungelöste Konflikte in Randregionen und Übersee Umgekehrt sind mit der Auflösung kommunistischer oder von der Sowjetunion unterstützter Regimes in den historisch konfliktgeladenen Regionen Südosteuropas, im Mittleren Osten sowie in Zentralasien neue Konflikte mit ethnischen Hintergrün1842

den ausgebrochen. Durch die zum Teil schon zuvor eingesetzte Arbeits- und Flüchtlingsmigration sind unter anderem die demokratischen Gesellschaften Westeuropas direkt mit diesen Konflikten und damit auch mit der Problematik ausländischer gewaltextremistischer Organisationen konfrontiert worden.

Rückwirkungen auf die Schweiz Exemplarisch sind vier ungelöste Konflikte zu nennen, von denen besonders auch die Schweiz betroffen ist: Der politisch-ethnische Konflikt zwischen Tamilen und Singhalesen im Nordosten Sri Lankas, der Kampf der Kurden um einen autonomen Status auf dem Territorium der Türkei, Syriens, Iraks und Irans, die Autonomie- und Minderheitskonflikte im südlichen Balkan (vor allem in Kosovo und Mazedonien) sowie der Nahostkonflikt.

Ethnisch motivierte Terrororganisationen dieser Konfliktregionen legen sich gegenwärtig aufgrund von Interventionen beziehungsweise Druck der internationalen Gemeinschaft eine gewisse Zurückhaltung auf. Im Falle des Nahostkonflikts besteht das grosse Risiko, dass sich einige Gruppierungen zunehmend radikalisieren.

2.2.2

Islamistischer10 Terrorismus

Zunehmende Bedeutung religiöser Komponenten Seit es den politischen Terrorismus gibt, überhöhen gewisse Gruppen ihre Zielsetzungen mit religiösen Argumenten. Dennoch dominiert bei diesen Gruppen meist die politische und nicht die religiöse Überzeugung. Gewisse Strömungen eines in den letzten Jahren in allen grossen Weltreligionen erstarkten Fundamentalismus sind zum Teil in religiös motivierte Terrorgruppen entartet. Die Gründe dafür sind vielfältig. Dazu gehören z. B. der Erfolg der islamischen Revolution im Iran (1979), der Verlust der Anziehungskraft kommunistischer Ideologien durch den Zusammenbruch der Sowjetunion (1991), die Verunsicherung der wirtschaftlich retardierenden Nationalstaaten im Zuge der Globalisierung oder gesellschaftliche Faktoren wie Bevölkerungswachstum und Verlust von sozialer Sicherheit, Armut und Perspektivlosigkeit.

Islamischer Fundamentalismus als Klammer gewalttätiger Gruppen Seit Anfang der 80er-Jahre des 20. Jahrhunderts ist in der islamischen Welt der Trend erkennbar, dass terroristische Gewaltakte verstärkt religiös und weniger politisch begründet sind. So dient der islamistische Fundamentalismus gewalttätigen Gruppierungen als gemeinsame Klammer zur Rekrutierung von Aktivisten und Sympathisanten.

In diese Zeit fallen auch die Bestrebungen verschiedener Golfstaaten (SaudiArabien, Vereinigte Emirate, Kuwait), mit religiösen Unterstützungsorganisationen einen stärkeren Einfluss auf die muslimischen Bevölkerungsgruppen des afrikani10

Um den Unterschied zwischen rein religiösem und politisch-extremistischem Fundamentalismus sprachlich hervorzuheben, wird «Islam» als Attribut einmal als «islamisch» (rein religiöse Bedeutung) und «islamistisch» (Verbindung religiösfundamentalistischer Geltungsansprüche mit politisch-extremistischen Ansprüchen) verwendet.

1843

schen Kontinents auszuüben. Arabische Länder befürchteten einerseits, dass afrikanische Staaten, insbesondere der Sudan, zu sehr unter den Einfluss Libyens geraten könnten. Andererseits wollte Saudi-Arabien mit dem Aufbau eines internationalen Netzwerkes in den muslimischen Staaten ein Gegengewicht zum erfolgreichen schiitischen Islam unter Ajatollah Khomeiny setzen und unterstützte deshalb die von der Muslimbruderschaft geschaffenen Organisationsstrukturen. Die Bruderschaft war 1928 von Hasan al-Banna in Ägypten mit dem Ziel gegründet worden, in allen islamischen Ländern eine Gesellschaft nach dem wahabitischen Modell11 einzurichten.

Die Muslimbruderschaft beeinflusste in der Folge viele islamistische Bewegungen wie z. B. die palästinensische Hamas, die algerische Islamische Heilsfront (FIS) oder die tunesische En Nahdha.

Rolle islamischer Nichtregierungsorganisationen im heiligen Krieg In Afghanistan wurden für Muslime aus der ganzen islamischen Welt paramilitärische Ausbildungsstätten für den «Djihad»12 (heiligen Krieg) eingerichtet. Nach der Ausbildung engagierten sich einige dieser geschulten Fundamentalisten in einer Reihe von Nichtregierungsorganisationen (NGOs) wie Islamic International Relief Organization, Al-Haramain, Society for the Revival of Islamic Heritage oder Wafa.

Die beiden erstgenannten Organisationen werden von Saudi-Arabien, die dritte von Kuwait unterstützt. Wafa, die von einem privaten Fonds aus den Golfstaaten getragen wird, hat in Afghanistan verschiedene Projekte im Gesundheits-, Ernährungsund Infrastrukturbereich durchgeführt.

Der von diesen Organisationen verkündete Islam legt grosses Gewicht auf die Rechtgläubigkeit im Sinne einer Rückkehr zu den Ursprüngen der Glaubenslehre.

Gemäss ihrem Selbstverständnis spielen diese NGOs eine wichtige Rolle im Djihad, da sie die Gläubigen in ihrem (geistigen) «Kampf» auch humanitär und wirtschaftlich unterstützen. Diese NGOs führten ihrerseits wiederum zur Gründung einer Vielzahl von Organisationen in Zentralasien, im Balkan, im Nahen Osten, im Kaukasus oder in anderen Konfliktgebieten, wo muslimische Bevölkerungsteile in innerstaatliche Auseinandersetzungen verwickelt waren oder noch sind.

Brennpunkte der Gewalt Die Zahl der Konfrontationen islamistischer Gruppen mit der Staatsgewalt ihrer Heimatstaaten hat zugenommen,
obschon die betroffenen Länder ihre Repression verstärkt haben. Zu diesem Trend hat neben der zunehmenden Intoleranz gewisser Staaten in der arabischen Welt auch die Verschlechterung der israelisch-palästinensischen Beziehungen mit beigetragen. Terroristische Gewalt hat sich bis jetzt regional sehr unterschiedlich geäussert. Obschon in Algerien terroristische Gruppen nach wie vor ein grosses Risikopotenzial darstellen, scheinen deren Ziele doch mehr

11

12

Strenge Richtung des sunnitischen Islams, begründet von Scheich Mohammed Ibn Abdul Wahhab im 18. Jh. Der Wahhabismus erhebt den Anspruch auf einen reinen Islam, verbunden mit der Ablehnung fremder kultureller Einflüsse. Die gegenwärtige saudiarabische Regierung versteht sich als Schutzherrin dieser Glaubensrichtung und trachtet, diese auf möglichst vielen Wegen zu verbreiten.

Jihad heisst «Anstrengung auf dem Wege Gottes» und darf nicht allein auf den heiligen Krieg gegen die Ungläubigen bezogen werden. Der grosse Jihad ist der innere geistige Kampf jedes Einzelnen zur Erfüllung des Gottesgesetzes, während der kleine Jihad den kriegerischen Einsatz bezeichnet.

1844

und mehr ihren politischen Charakter zu verlieren; ihre Legitimität, die sie aus dem Rückhalt in der Bevölkerung ableiten, scheint zu schwinden.

Anders präsentiert sich die Lage im Nahen Osten. Der in Frage gestellte israelischpalästinensische Friedensprozess hat den Einfluss und die Legitimität islamistischer und politisch dissidenter Gruppen in der Region gestärkt. Diese Gruppen verfolgen politische Ziele, aber sie haben der Gewalt als Methode zur Durchsetzung ihrer Forderungen nicht abgeschworen. Auch andere Organisationen, wie die ägyptische Gamaa al Islamija, die noch vor der politischen Einbindung stehen, scheinen der Gewalt noch nicht definitiv abgesagt zu haben.

2.2.3

Afghanistan, Pakistan und Usama Bin Laden

Islamistische Widerstandsbewegung in Afghanistan Afghanistan ist seit dem Ende der sowjetischen Besetzung (1979­1989) von den militanten Islamisten des internationalen Jihads zur Propagierung ihres Projekts benutzt worden ­ und wird noch heute dazu genutzt, wie dies der anhaltende Guerillakrieg gegen die USA und die ISAF aufzeigt. Als Folge der US-amerikanischen Intervention in Afghanistan nach den Anschlägen vom 11. September 2001 und dem Untergang des Taliban-Regimes hat sich die Mehrzahl der überlebenden Terroristen in die pakistanischen Stammesgebiete abgesetzt, die dem Widerstand bereits während des Kampfes gegen die sowjetischen Besatzer in den 80er-Jahren als Rückzugsgebiete gedient hatten. Der Sieg über die Sowjetunion hat den afghanischen Kämpfern und den sie unterstützenden Arabern sowie asiatischen Islamisten eine Aura der Unbesiegbarkeit verliehen. Neben anderen Protagonisten wird auch Usama Bin Laden als Bezwinger der Sowjets gesehen.

Während des Widerstandes gegen die sowjetische Besatzung hat Usama Bin Laden die Rekrutierung und Zuführung von arabischen Kämpfern nach Afghanistan sowie den Aufbau von Ausbildungslagern für dieselben organisiert. Hauptsächlich durch den Verbleib amerikanischer Soldaten in Saudi-Arabien nach dem Ende des Golfkrieges 1991 motiviert, hat Bin Laden seine militärischen Aktivitäten nie eingestellt. Diese dienen ihm dazu, seine Ziele zu erreichen, nämlich die amerikanischen Soldaten aus Saudi-Arabien zu vertreiben, Jerusalem zu befreien und die islamischen Gebiete in einem islamistischen Gottesstaat zu vereinen.

Zwischen 1989 und der Machtergreifung der Taliban 1996 hielt sich Bin Laden nicht in Afghanistan auf, sondern widmete sich zunächst in Saudi-Arabien und anschliessend im Sudan unter anderem dem Aufbau seiner Wirtschaftsinteressen (diese dienten und dienen ihm noch heute zur Finanzierung seiner politischen und terroristischen Aktivitäten). Dort pflegte er auch enge Kontakte zum islamistischen Regime unter dem Einfluss von Hassan Al-Tourabi. In diese Periode fällt auch die Gründung seiner eigenen Organisation ­ der Al Qaïda. Nach seiner Rückkehr nach Afghanistan 1996 schloss sich Usama Bin Laden mit Mullah Omar, dem Chef der Taliban, zusammen und stellte die Kontrolle über die von ihm für den Kampf gegen die Sowjets errichteten Infrastruktur und
Ausbildungslager wieder her. Dies ermöglicht es der Al Qaïda, die talentiertesten Kämpfer für ihre eigenen Aktivitäten zu rekrutieren. Darüber hinaus erleichterte diese Kontrolle das Knüpfen enger Verbindungen zu anderen terroristischen Gruppierungen ­ so auch mittels der Gründung der Internationalen Islamischen Front für den Jihad gegen Juden und Kreuzfahrer.

1845

Wachsender Fundamentalismus in Pakistan Das bewusst als islamischer Staat gegründete Pakistan ist seit dem Afghanistankrieg mit dem zunehmenden Einfluss fundamentalistischer islamischer Gruppen konfrontiert; ihr Spektrum reicht von ausgesprochen radikalen bis zu gemässigten Reformern. Das gegenwärtige Regime hat sich bis jetzt von jenen islamischen Bewegungen distanziert, die sich selbst nicht klar von den islamistischen Gruppen abgrenzen.

Islamisten kontrollieren zahlreiche Koranschulen (Madrassa), von denen einige auch als Ausbildungsstätten des heiligen Krieges dienen. Indische Behörden werfen Pakistan immer wieder vor, islamistische Gruppen, die sich an den Partisanenkämpfen im Kaschmirgrenzkonflikt beteiligten, zu unterstützen.

Usama Bin Laden unter Terrorverdacht Nach ihrer mehrheitlichen Rückkehr in ihre Heimatstaaten widmeten sich die in Afghanistan ausgebildeten Kämpfer der Errichtung neuer Gruppierungen und hielten den Kontakt zu Bin Ladens Organisation aufrecht. In der Folge führten diese ­ so in Nordafrika und Südostasien ­ verschiedene Operationen durch. Die Festnahme von vier Personen im Dezember 2000 in Frankfurt (unter dem Verdacht, in Europa verschiedene Attentate geplant zu haben) sowie nach dem 11. September 2001 in Deutschland, Beneluxstaaten, Frankreich, Italien und Spanien könnten zeigen, dass Bin Ladens Netzwerke auch nach Europa reichen.

Die Anschläge gegen die US-Botschaften in Daressalam und Nairobi (1998), gegen das US-amerikanische Kriegsschiff USS Cole im Hafen von Aden (2000) und am 11. September 2001 gegen das World Trade Center in New York und das Pentagon in Washington sowie den Flugzeugabsturz in Pennsylvania sind der Al Qaïda direkt zuzurechnen. Es handelte sich dabei um direkt gegen die USA gerichtete Anschläge.

Weitere Anschläge islamistischer Terroristen in den vergangenen Jahren ­ wie z. B.

das Attentat von Luxor (1997), die Entführung der Air India 814 (1999) oder das verhinderte Schuhbomben-Attentat auf American Airlines 63 (Dezember 2001) ­ gehen auf das Konto der beschriebenen «assoziierten» Gruppierungen oder Zellen.

Weiterhin aktive Al Qaïda Obwohl die Aktivitäten der Organisation Al Qaïda in Afghanistan praktisch unterbunden worden sind, bleibt das Schicksal ihres Führers, Usama Bin Laden, ungeklärt. In Europa konnten mehrere islamistische
Terrorzellen aufgedeckt werden, die bereits vor den Anschlägen in den USA Gegenstand von Untersuchungen waren.

Hauptsächlich handelte es sich dabei um Gruppierungen und Zellen von extremistischen, islamistischen Bewegungen ausserhalb der Al Qaïda, welche aber eng mit der Organisation von Usama Bin Laden «assoziiert» sind. So wurden seit Ende 2000 mehrere Mitglieder operationeller und logistischer Zellen in Deutschland, den Beneluxstaaten, Italien, Frankreich, Spanien und Grossbritannien sowie auch in Asien festgenommen.

Insofern ist die Annahme berechtigt, dass die von zahlreichen Staaten unternommenen Operationen, internationalen Untersuchungen und Sicherheitsmassnahmen die Aktivitäten islamistischer Terrororganisationen behindern. Es ist aber schwierig einzuschätzen, inwieweit diese Massnahmen zur Schwächung dieser Bewegungen im Allgemeinen und der Al Qaïda im Speziellen beitragen. Es ist zu befürchten, dass die finanziellen, logistischen und operationellen Netzwerke noch nicht vollständig unschädlich gemacht werden konnten. In der Vergangenheit wurde beobachtet, dass 1846

solche Zellen nach einem «Stillhaltemodus» funktionieren und jederzeit aktiviert werden können.

Demzufolge kann die Möglichkeit eines Anschlags in Europa im Verlauf der nächsten Monate nicht völlig ausgeschlossen werden, wobei die Urheber sowohl direkt von der Al Qaïda abhängen als auch nur lose Beziehungen zu dieser Organisation unterhalten könnten ­ auch wenn bis anhin keine der aufgedeckten Terrorzellen in direkten Zusammenhang mit Bin Laden gebracht werden konnte. Insbesondere ist mit weiteren Attentaten gegen westliche Interessen, in erster Linie in islamischen Ländern zu rechnen, wie es die mutmasslichen Anschläge auf die Synagoge in Djerba (11.4.2002, gegen deutsche Touristen) und französische Techniker in Karachi (8.5.2002) verdeutlichen.

Diese Strategie ermöglicht es der Al Qaïda und ihren «assoziierten» Gruppierungen, den Druck zugleich auf jene europäischen und muslimischen Staaten zu erhöhen, welche die USA im Kampf gegen den Terrorismus unterstützen. Schliesslich ist zu befürchten, dass die Al Quaïda in absehbarer Zeit versuchen wird, einen grösseren Anschlag gegen US-amerikanische Ziele zu verüben, muss sie doch beweisen, dass sie nach wie vor existiert.

2.2.4

Terrorfinanzierung

Seit den Terroranschlägen vom 11. September 2001 in den USA ist die Suche nach Geldern, mit denen die Anschläge finanziert wurden, ein wichtiger Ermittlungsstrang. Damit rückte auch die grundsätzliche Frage nach der Finanzierung terroristischer Aktivitäten ins Blickfeld des Interesses.

Geldquellen Bei den Quellen zur Terrorismusfinanzierung muss grundsätzlich unterschieden werden zwischen legalen und illegalen Quellen. Unter den legalen Quellen finden sich staatliche Finanzierungen, private Spenden, Erträge aus legalen Finanzgeschäften, Einnahmen aus gewissen humanitären und Non-Profit-Organisationen, Geldsammelaktionen, Einnahmen aus dem Verkauf von Zeitschriften oder Mitgliederbeiträge an Parteien, welche die Organisationen unterstützen. Illegale Gelder stammen aus der Kleinkriminalität, aus der organisierten Kriminalität (OK) ­ dabei vor allem aus dem Drogen- und Waffenhandel ­, aber auch aus Entführungen, Banküberfällen, Geldfälscherei und Schutzgelderpressungen.

Die hauptsächliche Schwierigkeit bei den Ermittlungen zur mutmasslichen Terrorismusfinanzierung aus legalen Quellen ist die Beweisbarkeit. Gibt es klare Hinweise, dass Gelder der Finanzierung terroristischer Aktivitäten dienen, können diese blockiert werden.

Prinzipiell stehen alle Finanzierungstypen allen Arten von Terrororganisationen zur Verfügung. Tendenziell13 lässt sich aber feststellen, dass Terrororganisationen vom separatistischen oder marxistisch-leninistischen Typ, wie der Kongress für Freiheit und Demokratie in Kurdistan (KADEK, frühere PKK), die LTTE, die UÇK oder die 13

Jean-Louis Bruguière: «Financing of Terrorism». Vortrag anlässlich eines Symposiums des Bundesnachrichtendienstes zur Geldwäsche und Terrorfinanzierung vom 25. Oktober 2001 in München.

1847

ETA, andere Quellen nutzen als islamistische Terrororganisationen wie zum Beispiel die Al Qaïda. Islamistische Terrororganisationen finanzieren sich vor allem über staatliche Finanzen, Privatvermögen14, Gelder aus Non-Profit-Organisationen oder Spenden15, separatistische Terrororganisationen eher über Geldsammelaktionen, Verkauf von Zeitschriften, den Erlös aus Aktivitäten der Kleinkriminalität, der OK und der Schutzgelderpressungen.

Es ist wichtig, die Quellen der Terrorismusfinanzierung erkennen und blockieren zu können. Da die Gelder meist vom Ursprungsort bis zum eigentlichen Einsatz verschlungene Wege zurücklegen, müssen auch die Transfersysteme im Auge behalten werden, denn auch sie bieten ermittlungstechnische Angriffsfläche.

Transfersysteme Auch bei den Transfersystemen lassen sich zwei Arten unterscheiden: die Systeme der legalen Finanzmärkte und die Untergrund-Bankensysteme. Fliesst das Geld über das öffentliche Bankensystem, werden dieselben Methoden genutzt wie bei der Geldwäscherei, falls es sich um inkriminierte Gelder handelt. Für die Ermittlung stellen sich demzufolge dieselben Probleme wie bei der Geldwäschereiermittlung.

Allerdings sind auch Transaktionen über bekannte Bankensysteme wegen der oft nur kleinen Beträge, die überwiesen werden, schwierig zu erkennen.

Man geht davon aus, dass die Terroranschläge vom 11. September 2001 zwischen 350 000 Dollar und fünf Millionen Dollar16 gekostet haben. Wird diese Geldmenge auf die zur Vorbereitung benötigten Jahre und die mutmassliche Zahl der Empfänger umgerechnet, hätte keine Finanztransaktion die übliche Schwelle für verdächtige Transaktionen überschritten.

Islamistische Geldströme ­ diese und islamistische Terrororganisationen stehen seit dem 11. September 2001 im Mittelpunkt der Ermittlungsanstrengungen ­ werden unabhängig von ihren legalen oder illegalen Verwendungszwecken oft über so genannte Hawala-Systeme transferiert.

Hawalas sind archaische Geldtransfersysteme, die vor allem im Mittleren Osten und in Asien verbreitet sind. Für illegale Transaktionen eignen sie sich insofern, als die Finanztransaktionen nicht mit schriftlichen oder elektronischen Aufzeichnungen (paper trail) dokumentiert werden. Die Fahndung nach illegalen Transaktionen wird verunmöglicht oder zumindest ausserordentlich erschwert.

Das Hawala-System
besteht aus einem auf Vertrauen und Clanstrukturen basierenden Netzwerk von Personen in verschiedenen Ländern und mit verschiedensten Aktivitäten. Eine Filiale kann beispielsweise ein Gemüsehändler in der Schweiz sein. Eingeweihte können ihm Bargeld abgeben mit der Anweisung, diese an eine Person in einem anderen Land zu transferieren. Der Gemüsehändler informiert eine andere Vertrauensperson im entsprechenden Land per E-Mail, Telefon oder Fax und weist diesen an, dem Empfänger die entsprechende Summe auszuzahlen. Der Empfänger ist im Besitz eines Kennworts, aufgrund dessen ihm das Geld ausbezahlt 14 15 16

Nicht zuletzt aus dem Vermögen von Usama Bin Laden selbst, das auf ca. 300 Millionen Dollar geschätzt wird.

Vor allem Spenden innerhalb des weltweit verbreiteten Systems von gewissen radikalen Koranschulen dienen der Finanzierung von terroristischen Aktivitäten.

BND-Symposium zur Geldwäsche und Terrorfinanzierung vom 25. Oktober 2001 in München.

1848

wird. Das Geld wird physisch zu einem anderen Zeitpunkt überwiesen oder durch Gegengeschäfte ausgeglichen. Als Entschädigung für den Transfer werden Gebühren verlangt.17 Es wird angenommen, dass die Finanztransaktionen von Usama Bin Ladens Terrornetzwerk Al Qaïda vorwiegend in dieser Art vonstatten gehen. Eine umfassende nachrichtendienstliche Arbeit ist auch hier nötig, um Hinweise auf diese Geldströme zu erhalten.

2.2.5

Gefährdung der Luftsicherheit

Flugzeug als Waffe Durch das Vorgehen bei den Anschlägen vom 11. September 2001 hat die terroristische Bedrohung auch bezüglich Luftsicherheit eine neue Dimension erreicht. Erstmals wurden entführte Flugzeuge nicht nur als Mittel zum Zweck (politische Forderungen, Freipressung von politischen Häftlingen, Erpressung von Lösegeld usw.), sondern direkt und gezielt als Waffe eingesetzt. Bewusst wurde dabei auch der Verlust mehrerer Tausend Menschenleben in Kauf genommen. Die Wahrscheinlichkeit eines solchen Anschlagsszenarios wurde bis anhin als gering eingestuft; 1994 hatte noch ein geplanter Selbstmordanschlag mit Ziel Paris (Entführung eines AirbusFlugzeugs von Algier nach Marseille durch die algerische GIA) verhindert werden können.

2.2.6

Terrorismus mit nichtkonventionellen Mitteln (CBR-Substanzen)

Gewachsene Befürchtungen nach dem 11. September 2001 Die Brutalität der Anschläge vom 11. September 2001 liessen die Befürchtung wachsen, dass terroristische Gruppierungen auch nichtkonventionelle Mittel einsetzen könnten. Diese Perzeption wurde durch die unmittelbar danach aufgetretenen Anthrax-Anschläge einer bis jetzt unbekannten Täterschaft zusätzlich geschürt. Diese Befürchtung gründet darüber hinaus auf dem Hintergrund des Sarin-Anschlags der japanischen Sekte Aum Shinrikyo in der Tokioter U-Bahn vom 20. März 1995, bei dem zwölf Personen starben und mehr als 5500 verletzt wurden, und der seit Anfang der 90er-Jahre beobachteten Tendenz zunehmender Opferzahlen einzelner Terroranschläge (bei insgesamt weniger Anschlägen).

Unter nichtkonventionellen Mitteln sind Massenvernichtungswaffen im engeren Sinne (chemische, biologische und nukleare Waffen) und ­ insbesondere im terroristischen Kontext ­ chemische, biologische und radiologische Substanzen (CBRSubstanzen) zu verstehen. Dem Einsatz von Massenvernichtungswaffen schien bisher jedoch die terroristische Logik zu widersprechen: Terroristische Gruppierungen wollen durch den Einsatz bzw. die Androhung von Gewalt gegen symbolische oder 17

Streng islamistisches Denken verbietet Geldausleihe gegen Zinsen. Daher ist der Ertrag von ausgeliehenem Kapital entweder vom Ertrag des damit finanzierten unternehmerischen Vorhabens abhängig oder wird über Gebühren verrechnet, die etwa dem westlichen Zinsertrag entsprechen.

1849

zufällige Ziele konkrete politische, ideologische oder religiöse Zielsetzungen erreichen. Terrorismus kann somit als «Gewalt zwecks Kommunikation» verstanden werden. Dies gilt auch für die Anschläge vom 11. September 2001 ­ trotz den hohen Opferzahlen.

Ein Einsatz nichtkonventioneller Mittel und insbesondere von Massenvernichtungswaffen müsste als Zeichen für einen «irrationalen» Terrorismus, in erster Linie als Demonstration nach innen und nicht als solche nach aussen gewertet werden.

Dies könnte allenfalls auf folgende Kreise zutreffen: religiöse und quasireligiöse Endzeitgruppierungen (wie Aum Shinrikyo), kleine, brutalisierte, extremistische oder sozial gestörte Gruppierungen sowie Einzelgänger mit einem tiefen Hass gegen die Gesellschaft (wie der Rechtsextreme Timothy McVeigh, der das Attentat von Oklahoma City vom 19.4.1995 verübte).

Für die terroristische Bedrohung durch nichtkonventionelle Mittel sind neben der Bereitschaft, diese zu gebrauchen, deren tatsächliche Verfügbarkeit und die Fähigkeit, diese auch einzusetzen, entscheidende Faktoren. Die Herstellung von Massenvernichtungswaffen übersteigt auf absehbare Zeit die Kapazitäten terroristischer Gruppierungen oder von Einzelpersonen. Daher steht im terroristischen Kontext der indirekte Einsatz von CBR-Substanzen im Vordergrund.

Nuklearterrorismus Im nuklearen Bereich kann davon ausgegangen werden, dass die Herstellung einer Nuklearwaffe das Potenzial einer terroristischen Gruppierung erheblich übersteigt.

Daher stehen die Entwendung einer Nuklearwaffe, der Diebstahl von radioaktivem Material und ein Angriff auf eine nukleare Installation im Vordergrund.

Der Zerfall der UdSSR weckte Befürchtungen, dass nukleare Gefechtsköpfe entwendet werden und in falsche Hände geraten könnten. Bis zum heutigen Zeitpunkt gibt es jedoch keine verlässlichen Hinweise dafür, dass nukleare Gefechtsköpfe aus dem ehemals sowjetischen Arsenal tatsächlich verschwunden sind.

Mit Hilfe von radioaktivem Material aus Medizin, ziviler Industrie oder Forschung könnte eine terroristische Gruppierung eine radiologische Waffe herstellen. Deren Explosion wird nicht direkt zu einer hohen Zahl von Todesopfern führen (jedenfalls nicht sofort), doch aufgrund der freigesetzten radioaktiven Strahlung kann so, je nach verwendetem Material, ein grösseres Gebiet für lange
Zeit verstrahlt werden.

Medizinische Strahlenquellen sind praktisch weltweit vergleichsweise einfach erhältlich, doch werden erhebliche Mengen von solchem Material benötigt, um eine starke, grossflächige Verstrahlung zu erzielen. Die psychologischen Auswirkungen eines Einsatzes von radioaktivem Material sind jedoch nicht zu vernachlässigen.

Durch einen Angriff auf eine nukleare Installation könnte Radioaktivität indirekt freigesetzt werden. Mit Sabotageaktionen lassen sich vergleichsweise nur geringere Schäden hervorrufen; der Beschuss eines Kernkraftwerks mit einer Panzerabwehrlenkwaffe wird kaum zum Austritt von Radioaktivität führen. Nach dem 11. September 2001 stellt sich die Frage nach der Gefährdung von Kernkraftwerken durch einen möglichen Angriff mit einem entführten Linienflugzeug. Das Containment neuerer Werke ist, zumindest in den westlichen Staaten, auch darauf ausgelegt, einem solchen Aufprall zu widerstehen. In den Staaten der vormaligen Sowjetunion genügt das Containment dieser Anforderung jedoch vielfach nicht.

1850

Biologischer Terrorismus Biologische Agenzien sind überall dort verfügbar, wo sie natürlich vorkommen (endemisch sind) oder gelagert werden (z. B. in spezialisierten Labors oder Universitätsinstituten). Die Isolierung und Identifikation eines Pathogens bedingt Vorkenntnisse; dies gilt noch viel mehr für den Umgang mit demselben ­ insbesondere für Humanpathogene, wie z. B. Pocken oder Pest. Die Herstellung eines biologischen Agens in hoch stehender Qualität bedingt ein grosses Know-how. Die Produktion des in den USA zum Einsatz gekommenen Anthrax (sehr feine, nicht klumSHQGH 6SRUHQ LP P%HUHLFK E]Z GLH 0DQLSXODWLRQ YRQ KRFK DQVWHFNHQGHQ Humanpathogenen bedingen Wissen und eine entsprechende Infrastruktur.

Nach der Herstellung stellt auch die Ausbringung eines biologischen Agens, namentlich von nicht ansteckenden Agenzien wie Sporen oder Toxinen, die Täter vor nicht unerhebliche Hürden. Sollen mit dem Einsatz nicht ansteckender Agenzien massenhaft Opfer verursacht werden, bedingt dies den Gebrauch von B-Kampfstoffen in einer Menge über 100 kg. Für die Verbreitung hoch ansteckender Agenzien werden dagegen keine grossen Mengen benötigt: zehn mit Pocken infizierte Selbstmordattentäter können vergleichsweise einfach eine Kettenreaktion auslösen, die rasch zum Tod einer Vielzahl von Menschen führen kann. Pockenviren sind jedoch nicht ganz so einfach erhältlich, was die Wahrscheinlichkeit einer solchen Attacke wiederum sehr klein macht.

Anthrax-Fälle in den USA Die Anthrax-Fälle in den USA im Herbst 2001 haben eindrücklich aufgezeigt, wie hoch die massenpsychologische Wirkung von eigentlich sehr begrenzten Anschlägen sein kann. Bei den versandten Milzbrandsporen handelte es sich um ein qualitativ äusserst hoch stehendes Präparat und um einen sehr virulenten Stamm, mit dem nach offiziellen Angaben nur in wenigen Labors in den USA, Kanada und Grossbritannien geforscht worden ist. Die Ermittlungsbehörden gehen schwergewichtig davon aus, dass es sich bei der Täterschaft um einen oder mehrere im vormaligen amerikanischen B-Waffen-Programm oder noch in einem amerikanischen Militärlabor in der defensiven Forschung tätige Wissenschaftler handeln könnte; dennoch wird eine ausländische Täterschaft nicht generell ausgeschlossen.

Chemischer Terrorismus Im chemischen Bereich ist in erster Linie der Einsatz eines
chemischen Kampfstoffs oder einer toxischen Chemikalie denkbar. Der Einsatz von im militärischen Sinn munitionierten C-Waffen steht weniger im Vordergrund ­ auch wenn nicht ausser Acht gelassen werden darf, dass nach wie vor grosse Bestände an C-Waffen in der ehemaligen Sowjetunion, z. T. ungenügend gesichert, gelagert werden.

Die Wahl eines für ein allfälliges terroristisches Attentat eingesetzten Agens hängt von der Verfügbarkeit der zu dessen Herstellung nötigen chemischen Substanzen und von dem in der Gruppierung vorhandenen Know-how ab. Nach der Herstellung stellt die Ausbringung eines chemischen Agens die Täter vor erhebliche Hürden ­ vor allem wenn massenhaft Opfer verursacht werden sollen, bedingt dies den Einsatz relativ grosser Mengen von Kampfstoffen oder toxischen Chemikalien.

1851

Nichtkonventionelle Mittel im Besitz der Al Qaïda?

Nach den Anthrax-Anschlägen in den USA wurde darüber spekuliert, ob Usama Bin Laden und Al Qaïda darin verwickelt sein könnten. Bin Laden hat in der Vergangenheit in mehreren Interviews sein eindeutiges Interesse an der Beschaffung und am Einsatz von Chemie- und Nuklearwaffen bekundet. Trotz zahlreichen Hinweisen über Versuche der Al Qaïda, Massenvernichtungswaffen und insbesondere radiologische Substanzen zu beschaffen, liegen derzeit keine gesicherten Hinweise dafür vor, dass die Organisation Usama Bin Ladens tatsächlich über Chemie- und Nuklearwaffen verfügt. Aufgrund der derzeitigen Erkenntnisse von Experten ist davon auszugehen, dass Al Qaïda in geringen Mengen über toxische Chemikalien (namentlich Blausäure) und biologische Toxine (Botulinum-Toxin und Rizin) sowie über das Wissen für deren Einsatz verfügt. Diese könnten vorab bei improvisierten Anschlägen gegen Einzelpersonen oder kleinere Gruppen eingesetzt werden, jedoch nicht für einen Anschlag grösseren Ausmasses.

Gefährdung der Schweiz und das Risiko weltweit Nach den Anschlägen vom 11. September 2001 und den Anthrax-Fällen in den USA lässt sich der Einsatz von nichtkonventionellen Mitteln durch terroristische Gruppierungen nicht mehr ausschliessen. Neben der Bereitschaft, solche Mittel einzusetzen, bedingt ein Einsatz auch deren Verfügbarkeit und die Fähigkeit, diese einzusetzen (insbesondere, falls damit massenhaft Opfer verursacht werden sollen). Gruppierungen oder Einzelpersonen, von denen angenommen werden muss, dass sie bereit wären, nichtkonventionelle und insbesondere CBR-Substanzen einzusetzen, sind in erster Linie im Umfeld religiöser oder quasireligiöser Endzeitsekten oder Gruppierungen sowie brutalisierter Einzelpersonen oder Gruppierungen zu suchen.

Ein Einsatz von CBR-Substanzen durch terroristische Gruppierungen oder Einzelpersonen dürfte jedoch ­ wie bei den jüngsten Anthrax-Fällen ­ kleineren Ausmasses sein und nicht zu massenhaften Opfern führen. Es ist aber gerade aufgrund der Anthrax-Fälle zu erwarten, dass ein improvisierter Anschlag mit toxischen Chemikalien, biologischen Toxinen oder radioaktiven Materialien massive psychologische Auswirkungen haben und so potenziell enorme wirtschaftliche Konsequenzen zeitigen könnte. Darüber hinaus sind ­ insbesondere im Fall
der Al Qaïda ­ aber auch Anschläge gegen Anlagen, welche gefährliche Substanzen herstellen oder enthalten, durchaus möglich.

Hinweise auf eine konkrete Bedrohung der Schweiz in der beschriebenen Art liegen derzeit nicht vor. Die Wahrscheinlichkeit eines improvisierten Anschlages mit CBRSubstanzen weltweit ­ namentlich gegen US-amerikanische oder jüdisch-israelische Interessen ­ ist insgesamt als relativ klein einzuschätzen, darf aber nicht ausgeschlossen werden. Vor allem hätten diese beträchtliche psychologische Folgen für die gesamte Bevölkerung einer betroffenen Region.

1852

2.2.7

Allgemeine Beurteilung der Anschläge vom 11. September 2001

Vorzeichen vorhanden Vorzeichen für einen bevorstehenden grossen Anschlag waren in den USA und im Ausland durch die vielen blinden Alarme in den letzten drei Jahren vorhanden. Die Verletzbarkeit urbaner Zentren und repräsentativer Gebäude hatte sich schon mit den Anschlägen auf das World Trade Center 1993 und auf das Verwaltungsgebäude von Oklahoma 1995 gezeigt. Schreckensszenarien in dieser Form wurden ferner durch literarische und sicherheitspolitische Studien vertieft und hatten die Realität schon vorweggenommen. Nachdem vor allem US-Gefährdungsstudien Ende der 1990er-Jahre die elektronische Kriegführung (Cyberwar) und die Verbreitung von Massenvernichtungsmitteln in den Vordergrund gestellt haben, muss nun bei der Lagebeurteilung den klassischen Mitteln des Terrorismus (Sprengstoffanschläge, Entführungen usw.) wieder ein grösseres Gewicht eingeräumt werden.

Ungewisse Vorwarnzeit In Bezug auf die Vorwarnzeit muss zwischen der klassischen Kriegsgefahr und den direkten oder indirekten Auswirkungen von extremistischer und terroristischer Gewalt ein grundsätzlicher Unterschied gemacht werden. Im ersten Fall geht es um eine strategische Vorwarnung oder sogar Früherkennung. Im Falle von Terroranschlägen geht es um eine taktische Vorwarnung. Die Frage ist dann nicht mehr, ob bestimmte Gruppierungen Gewalt anwenden werden, sondern nur mehr wann und wo. Falls die Terroristen entsprechend kurzfristig ihre Anschläge planen, kann sich dabei auch die theoretisch maximale Vorwarnzeit auf Tage reduzieren.

Früherkennung aufgrund nachrichtendienstlicher Tätigkeiten Weiter haben die durch die bisherigen Ermittlungen offen gelegten aufwändigen Vorbereitungen des Anschlags gezeigt, dass terroristische Täter jahrelang legal, integriert und unauffällig als so genannte «Schläfer» in den Industriegesellschaften leben können. «Schläfer» kennzeichnen sich gerade dadurch, dass sie lange Zeit keine deliktischen Handlungen unternehmen und erst schlagartig aktiv werden. Dieses Verhalten ist besonders aus der Spionageabwehr seit langem bekannt. Dies bedeutet, dass die nach dem Ende des kalten Krieges weltweit verringerten Anstrengungen der klassischen nachrichtendienstlichen Tätigkeit (Nachrichtenbeschaffung über Infiltration und Agenten) gegenüber den steigenden Ausgaben für moderne Instrumente der elektronischen Aufklärung
ihre Bedeutung behalten, um verborgene Strukturen rechtzeitig erkennen zu können.

Zusammenhang mit internationalem Engagement der USA Bei der Beurteilung der Anschläge vom 11. September 2001 muss ferner von deren Zusammenhang mit dem internationalen Engagement der USA ausgegangen werden, da die Anschläge bewusst auf die USA gezielt haben. Die Ereignisse haben auch deutlich gezeigt, dass neben den erhöhten Sicherheitsmassnahmen den Ursachen der Probleme intensiv nachgegangen werden muss.

1853

Mögliche Auswirkungen auf das internationale Umfeld Die Anschläge vom 11. September 2001 haben folgende mögliche Auswirkungen auf das internationale Umfeld: ­

Weltweit wurde die hohe Verletzlichkeit moderner Industriegesellschaften und die Bedeutung des Schutzes von kritischen und symbolträchtigen Infrastrukturen einmal mehr deutlich.

­

Bisherige sicherheitspolitische Handlungsmuster wurden in Frage gestellt.

Dies betrifft insbesondere den Einfluss von nichtstaatlichen Akteuren, die zunehmende Bedeutung von asymmetrischer Kriegführung sowie die präventive Informationsbeschaffung der Nachrichtendienste.

­

Das weltweite Operieren der Terrorgruppen erfordert eine Intensivierung der internationalen Zusammenarbeit zur Bekämpfung des Terrorismus.

­

Die Verfolgung der Al-Qaïda-Organisation hat gezeigt, wie sich Terrororganisationen nicht zuletzt auch im Rahmen weltweiter Migrations- und Fluchtbewegungen aus Krisengebieten ein Netzwerk aufbauen können.

­

Die Anschläge haben die Kooperationsbereitschaft zwischen den Grossmächten spezifisch im Bereich der Terrorismusbekämpfung gestärkt. Solange es keine neuen Anschläge gibt, ist es wahrscheinlich, dass wegen der unterschiedlichen Interessenlagen verschiedener Staaten die so genannte globale Allianz gegen den Terrorismus in der heutigen Geschlossenheit langfristig nicht Bestand haben wird. Es steht aber ausser Frage, dass die Staatengemeinschaft der Bekämpfung des Terrorismus und seiner Finanzierung auf absehbare Zeit grösste Bedeutung zumessen wird.

­

Schliesslich wurde mit den Anschlägen bestätigt, dass die modernen Industriegesellschaften weiterhin mit einem grossen Spektrum möglicher Gefährdungen ­ auch der des klassischen Terrorismus ­ rechnen müssen.

2.3

Folgen terroristischer Aktivitäten im Ausland für die Schweiz

2.3.1

Betroffenheit der Schweiz seit den 1960er-Jahren

1960er-Jahre: Entkolonialisierung und PLO-Terror Die Schweiz war nicht in gleichem Masse vom Terrorismus betroffen wie die umliegenden Staaten. Mit abwechselnder Intensität wurde die innere Sicherheit jedoch schon mit der Entkolonialisierung in den 1960er-Jahren durch ethno-nationalistische resp. separatistische Terrorismusaktionen tangiert. Im Oktober 1960 wurde der kamerunische Arzt und Politiker Felix Moumie in Genf ermordet; der Verdacht fiel auf die französische Terrororganisation Rote Hand. Einen Höhepunkt erreichte die terroristische Gewalt international agierender Befreiungsbewegungen nach 1968 in ganz Europa. Auch die Schweiz war davon betroffen. Dies zeigten 1969 der palästinensische Anschlag auf eine israelische Verkehrsmaschine in Kloten und der durch eine Bombe verursachte Absturz einer Swissair-Maschine in Würenlingen. Ein halbes Jahr später, am 6. September 1970, entführten erneut palästinensische Terroristen eine DC-8 der Swissair und zwei weitere ausländische Verkehrs-

1854

flugzeuge in das jordanische Zerqa und sprengten die gekaperten Verkehrsmaschinen.

1970er-Jahre: Sozialrevolutionärer Terrorismus Anfang der 1970er-Jahre gab es enge Beziehungen zwischen der linksanarchistischen Gruppe Bändlistrasse in Zürich zur Baader-Meinhof-Gruppe in Deutschland.

1977 wurden nach einem Grenzzwischenfall in Fahy (JU) Angehörige der deutschen Roten Armee Fraktion (RAF) festgenommen; vier RAF-Angehörige überfielen 1979 eine Bank in Zürich. 1980 kam es zu einem Schusswechsel zwischen der Polizei und einem Exponenten einer deutschen rechtsextremen Splittergruppe mit Todesfolgen.

1980er-Jahre: Internationaler Terrorismus und Staatsterrorismus In den 1980er-Jahren wurden immer wieder Sprengstoffanschläge und Geiselnahmen verübt sowie ausländische Botschaften besetzt (Besetzung der polnischen Botschaft 1982, zahlreiche Anschläge der armenischen Untergrundarmee ASALA in den 1980er-Jahren, mehrfache Geiselnahmen von Schweizer Bürgern im Libanon Ende 80er-Jahre). 1987 endete die Entführung einer Maschine der Air Afrique mit 145 Personen in Genf Cointrin mit der Festnahme des libanesischen Luftpiraten der proiranischen Hisbollah, nachdem er einen französischen Passagier erschossen hatte.

Die Schweiz wurde auch als günstiger Ausgangspunkt für die politische Propaganda und zur Vorbereitung von Anschlägen oder für die Beschaffung der dazu notwendigen Logistik missbraucht. 1982 wurde der libysche Geschäftsträger abberufen, weil er auch als Sicherheitsrisiko für die Schweiz eingestuft wurde. Im Falle Lockerbie (1988) führten Spuren in die Schweiz. Wie der internationale Terrorismus auch direkt ausländische Staatsangehörige in der Schweiz treffen konnte, zeigte sich 1990 im Falle der Ermordung des iranischen Oppositionspolitikers Kazem Radjavi in Coppet/VD. Nach der Ermordung des ehemaligen iranischen Ministerpräsidenten Bakhtiar in Paris am 27. August 1991 wurden zwei der mutmasslichen Täter in der Schweiz gestellt und an Frankreich ausgeliefert.

1990er-Jahre: Ethnischer Gewaltextremismus In den 1990er-Jahren standen gewalttätige Aktionen extremistischer kurdischtürkischer Gruppen im Vordergrund (Anschläge der Kurdischen Arbeiterpartei PKK auf türkische Einrichtungen 1993, Botschaftsbesetzungen 1999, Bundeshausbesetzung 2000). Die 1990er-Jahre waren zudem davon geprägt, dass das schweizerische
Exil von Exponenten gewaltextremistischer Gruppen Algeriens (FIS, GIA) für die illegale Beschaffung von Waffen und Sprengstoff oder für Propaganda missbraucht wurde. Ende der 1990er-Jahre wurden Beschaffungsnetzwerke der tamilischen Unabhängigkeitsorganisation Liberation Tigers of Tamil Eelam (LTTE) in der Schweiz aufgedeckt und im Zusammenhang mit dem Kosovokonflikt die Spendensammlungen und illegalen Waffentransfers verfolgt. Dass Schweizer im Ausland ahnungslos Opfer von Terroranschlägen werden können, zeigte besonders dramatisch das Attentat islamistischer Terroristen in Luxor im Jahre 1997.

1855

Innenpolitisch motivierte Gewalttaten In der Schweiz kam es auch immer wieder zu innenpolitisch motivierten Gewalttaten, die in die Nähe terroristischer Gewalt zu zählen waren. Erinnert sei an die sich seit Anfang 60er-Jahre über drei Jahrzehnte hinstreckenden Sprengstoffanschläge und Brandstiftungen verschiedener politischer Gruppen, die auch Todesopfer forderten.

2.3.2

Aktive Gruppen in der Schweiz

Aktuelle Lageeinschätzung mit Schwerpunkten Die folgende aktuelle Lageeinschätzung fokussiert ausschliesslich diejenigen ausländischen gewaltextremistischen bzw. terroristischen Organisationen, die über die Emigration in der Schweiz agieren. Diese Gruppen benutzen das Territorium nicht alle aus den gleichen Gründen. Motiv und Ziele können sich in historischer, gesellschaftlicher, wirtschaftlicher und strategischer Hinsicht unterscheiden. Das relative Gewicht ihrer Aktivitäten unterscheidet sich je nach Organisation und kann sich über die Zeit hinweg verändern. Die schweizerischen Komponenten der LTTE oder der PKK nehmen zum Beispiel eine Schlüsselrolle im internationalen Netzwerk dieser Organisationen ein.

Arabisch-islamistische Gruppen Arabisch-islamistische Gruppen nordafrikanischer und nahöstlicher Provenienz haben in der Schweiz bis anhin keine direkten terroristischen Aktivitäten entwickelt.

Vertreter einiger Gruppen benutzen unser Land aber als Aufenthaltsraum. Verschiedene humanitäre Hilfsfonds, die mit diesen Gruppen in Verbindung stehen, haben in der Schweiz eine Niederlassung und führen unter den Landsleuten sowie in der Öffentlichkeit Geldsammlungen durch. Die islamistischen Gruppen agieren weniger öffentlich sichtbar als andere Organisationen und sind mit ihren Organisationsstrukturen auch anpassungsfähiger und vorsichtiger. Sie besitzen wegen ihrer weltweiten Verflechtung mit dem gesellschaftlichen und religiösen Gefüge der Moslems das grösste Potenzial für ein künftiges Wachstum.

Mit der erneuten Ausweitung des israelisch-palästinensischen Konflikts in den letzten Monaten wurden zahlreiche Solidaritätskundgebungen in der arabisch-muslimischen Welt, in Europa und in den USA organisiert. In diesem Zusammenhang kam es 2001 in der Schweiz auch zu drei Anschlägen mit Sprengsätzen, zu denen sich eine linksextreme Gruppe bekannte. Im Gegensatz zum benachbarten Ausland waren jedoch jüdische Einrichtungen wie Synagogen nicht Ziel von Vandalenakten.

Allerdings dienten die Kundgebungen als Forum für Aufrufe zum heiligen Krieg und zu Racheaktionen gegen den Staat Israel.

Angesichts der beträchtlichen sozialen und wirtschaftlichen Probleme in Marokko, Tunesien und Ägypten könnten islamistische Kräfte weiter gestärkt werden; was allerdings nicht ausdrücklich bedeutet, dass sich das politische
Klima ­ mit Gewaltakten ähnlich wie in Algerien ­ notwendigerweise verschärfen muss. Kontakte politischer Oppositionsbewegungen reichen auch in die Schweiz. So zählt z. B. die tunesische Bewegung En Nahdha in der Schweiz zahlreiche Mitglieder und kann sich auf eine weltweite Solidaritätsorganisation stützen. Je nach Entwicklung der politi-

1856

schen Lage könnten sich diese Bewegungen radikalisieren und dazu neigen, vermehrt Gewaltakte in ihren Heimatstaaten zu verüben.

In der Schweiz sind auch humanitäre Hilfsorganisationen tätig, die vom Ausland öffentlich verdächtigt werden, Verbindungen zu arabisch-islamistischen Gruppen zu unterhalten oder direkt in kriegerische Konflikte verwickelt zu sein. In einem Fall handelt es sich um die Islamic Relief Worldwide mit Niederlassung in Genf (vor April 2001 in Basel). Ihr erklärtes Ziel ist es, einen Beitrag zur weltweiten Armutsbekämpfung zu leisten. Sie soll jedoch durch ihre internationalen Vertretungen auch Kontakte über Albanien mit islamistischen Freiwilligen im Kosovokonflikt gepflegt haben. Schon Mitte der 1990er-Jahre unterstützte die in Genf ansässige humanitäre Hilfsorganisation Aide directe die Mudschaheddin-Einheit der bosnischen Armee.

Sie stand auch unter dem Verdacht, für diese Einheit Freiwillige rekrutiert zu haben.

Weitere humanitäre Hilfs- oder Wohltätigkeitsorganisationen in der Schweiz sind grösseren bekannten internationalen Organisationen angeschlossen, die zum Teil selbst unter Verdacht stehen, terroristische Aktivitäten zu unterstützen. Dazu gehört der Wohltätigkeitsausschuss für die Solidarität mit Palästina (Comité de Bienfaisance pour la Solidarité avec la Palestine CBSP), welcher der islamistischen Palästinenserorganisation Hamas nahe steht. Derzeit liegen jedoch keine Hinweise vor, dass Mittel des CBSP oder anderer in der Schweiz niedergelassener Organisationen tatsächlich für die Finanzierung von Terrorakten verwendet worden wären.

Usama Bin Laden und Al Qaïda Die Schweiz wurde von den mutmasslichen Urhebern der Anschläge vom 11. September 2001 nicht als logistische Basis oder als Ausbildungsort missbraucht. Nach dem gegenwärtigen Stand der Ermittlungen hielten sich einzelne Täter in der Schweiz nur zwecks Transits in andere europäische Länder auf. Die Schweizer Behörden wurden schon vor den Anschlägen in den USA immer wieder mit Verdächtigungen wegen möglicher Verbindungen Usama Bin Ladens zu seinem in der Schweiz lebenden Halbbruder konfrontiert. Diese Verdächtigungen haben sich bisher nie erhärtet. Seit Jahren wird auch vermutet, dass die Firmengruppe Al Taqwa/Nada Management mit Niederlassungen in Lugano und Sitz auf den Bahamas sowie im Fürstentum Liechtenstein
Verbindungen zu islamistischen Terrorgruppen hat. Mehrfache Abklärungen der Bundespolizei verliefen negativ. Die Geschäftsführung der Firmengruppe war auch schon im Jahr 2000 in anderen Zusammenhängen Gegenstand von Untersuchungen der Bankenkommission. Nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 sind nun neuerliche Ermittlungen im Gang.

Der Bundesrat hat gestützt auf Artikel 184 und 185 der Bundesverfassung am 7. November 2001 die Al Qaïda sowie deren allfälligen Nachfolge- oder Hilfsorganisationen verboten. Das Verbot bezieht sich auch auf Tarn- oder Nachfolgegruppierungen sowie Organisationen oder Gruppierungen, welche in Führung, Zielsetzung und Mitteln mit der Al Qaïda übereinstimmen oder in ihrem Auftrag handeln. Bislang sind in der Schweiz keine Strukturen oder Einzelpersonen der Organisation festgestellt worden. Das Verbot hat vor allem präventive Wirkung und ist bis zum 31. Dezember 2003 befristet.

1857

Ethnisch albanische Extremisten Seit Beginn der krisenhaften Entwicklungen in Südosteuropa ist die Schweiz in besonderem Masse von den Aktivitäten extremistischer Gruppen aus jener Region betroffen. So sind insbesondere Exponenten radikaler kosovo-albanischer Vereinigungen politisch aktiv. Sie verfügen über gute Netzwerke, doch ist ihre Basis bedeutend weniger breit als während des Krieges im Kosovo. Innerhalb und auch zwischen der grossen serbischen und kosovo-albanischen Bevölkerungsgruppe in der Schweiz kam es bis jetzt zu keinen gewaltsamen Aktionen. Die Tätigkeiten extremistischer kosovo-albanischer Gruppen bergen jedoch stets das Risiko, dass bei Verschärfung der regionalen Konflikte (Südserbien, Mazedonien) die grosse Diaspora für Anwerbung, Rekrutierung, Finanzierung und illegale Waffenbeschaffung der bewaffneten Gruppierungen missbraucht wird. Wichtige Führungspersonen militanter kosovo-albanischer und mazedonisch-albanischer Parteien leben oder lebten mit Flüchtlingsstatus in der Schweiz.

Extremistische kurdisch-türkische Gruppen Die Schweiz bildet eine wichtige Basis verschiedener extremistischer kurdischtürkischer Gruppen. Die PKK (seit April 2002 KADEK) führt seit Jahren immer wieder Sammelaktionen unter Kurdinnen und Kurden in der Schweiz durch. Die gesammelten Gelder werden mit hoher Wahrscheinlichkeit auch für die finanzielle Unterstützung des bewaffneten Flügels der PKK verwendet. Nach den Besetzungsaktionen mit Geiselnahmen und gewaltsamen Protesten im Zusammenhang mit der Festnahme des Kurdenführers Abdullah Öcalan (15.2.1999) befolgte die PKK in weiten Teilen den von Öcalan befohlenen Gewaltverzicht. Die PKK-Führung propagierte mit ihrer so genannten «neue Politik» einen Friedenskurs. Es muss jedoch weiterhin damit gerechnet werden, dass die kurdische Arbeiterpartei PKK sowohl in der Türkei als auch im europäischen Ausland bereit ist, jederzeit gewaltextremistisch zu handeln. Die hohe Agitationsbereitschaft dieser und anderer Organisationen zeigte sich z. B. in der kurzzeitigen Besetzung eines Bundeshauszimmers am 19. Dezember 2000 durch verschiedene Vertreter linksextremer türkisch-kurdischer Gruppen, welche sich mit der Revolte und Hungerstreikaktion von Häftlingen in türkischen Gefängnissen solidarisierten.

Unter dem neuen Namen KADEK will die Organisation den Bruch mit
der blutigen Vergangenheit signalisieren. Die Tatsachen, dass Öcalan als Führer gewählt und mit den Begriffen «Freiheit» und «Kurdistan» an für die Türkei inakzeptablen Begriffen im Namen festgehalten wird, zeigen jedoch Widersprüche auf. Es ist davon auszugehen, dass die Änderung ohne Einfluss auf die aktuelle Lage bleibt. Die Wahrscheinlichkeit für gewalttätige Aktionen ist gegenwärtig gering. Die Anfang Mai aufdatierte EU-Terrorliste nennt zwar die PKK, jedoch nicht die KADEK.

Extremistische tamilische Unabhängigkeitsorganisation Die srilankische tamilische Unabhängigkeitsorganisation LTTE ist in der in der Schweiz lebenden tamilischen Emigration stark verankert. Sie betreibt in ganz Europa Propaganda und sammelt Geld zur Finanzierung des Kampfes auf Sri Lanka.

Regelmässig tritt die LTTE durch Geldsammel- und Propagandatätigkeit bei Grossanlässen der tamilischen Gemeinschaft in der Schweiz in Erscheinung. Bei den Feiern zum «Heroes Day» in den Jahren 1999 und 2000 wurde jeweils für den Kampf der LTTE in Sri Lanka geworben und grosse Spendenbeträge eingesammelt.

1858

Der Bundesrat hat auf Antrag des EJPD und des EDA der LTTE während der «Heroes Day»-Feier vom 2. Dezember 2001 in Granges-Paccot im Kanton Freiburg Geldsammlungen und Gewalt verherrlichende Propaganda verboten.

2.3.3

Terroristische Ziele inner- und ausserhalb der Schweiz

Keine Drohungen direkt gegen die Schweiz Wie verschiedene Vorfälle gezeigt haben, können inner- und ausserhalb der Schweiz Personen und Einrichtungen durch Terrorakte bedroht werden, die sich nicht direkt gegen die Schweiz richten. Dazu gehören einerseits ausländische Personen, Vertretungen und weltweit agierende Firmen in der Schweiz. Betroffen davon sind symbolische Ziele wie Regierungsgebäude, Auslandsvertretungen oder internationale Konferenzen. Andererseits sind Schweizer immer wieder terroristische «Gelegenheitsziele», wie zum Beispiel am 17. November 1997 in Luxor (unter den 58 ermordeten Touristen stammten 36 aus der Schweiz). Hauptziel dieses Massakers war es, die Tourismusbranche zu schädigen und damit die ägyptische Wirtschaft und Regierung zu schwächen.

Schweizer Zivilluftfahrt nach 1970 nie mehr direktes Ziel Die Schweizer Zivilluftfahrt war seit der Anschlagswelle 1969/1970 nie mehr direktes Ziel eines Terroranschlags. Schweizer Bürger wurden allerdings immer wieder Opfer terroristischer Drohungen, Entführungen oder Anschläge gegen die internationale Zivilluftfahrt. Terrorkommandos steuerten bei Entführungen auch Schweizer Flughäfen an, so zuletzt 1987 Genf Cointrin.

Nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 in den USA und nach dem versuchten Sprengstoffanschlag gegen eine Maschine der American Airlines von Ende Dezember 2001 mussten auch auf den Flughäfen der Schweiz die schon ausserordentlich strengen Sicherheitsvorkehrungen verschärft werden.

Gezielte und zufällige Betroffenheit Nachfolgend eine Zusammenstellung der jüngsten Ereignisse, bei denen Schweizer oder ausländische Einrichtungen in der Schweiz betroffen waren.

­

Ende Dezember 1999 befanden sich bei einer Flugzeugentführung von Kathmandu/Nepal nach Kandahar/Afghanistan unter den 178 Fluggästen vier Schweizer, darunter ein führender Industrieller. Die Entführer, Mitglieder der panislamischen Terroristengruppe Harakat al Mujahedeen, erschossen einen ausländischen Passagier.

­

Am 22. April 2001 brachten protschetschenische Geiselnehmer im Luxushotel «Swissôtel» in Istanbul 120 Personen, darunter 12 Schweizer, in ihre Gewalt. Den protschetschenischen Geiselnehmern ging es in erster Linie um die weltweite Aufmerksamkeit für den Kaukasuskonflikt.

­

In Kolumbien muss trotz Friedensverhandlungen, die auch unter Mitwirkung der Schweiz stattfinden, immer noch mit Terroranschlägen, Ermordungen und Verschleppungen von Zivilisten, Geiselnahmen und Erpressung von Lösegeldern gerechnet werden. Unter den zahlreichen entführten Zivilisten 1859

in Kolumbien befand sich im Jahr 2001 auch ein Schweizer; er kam nach dreiwöchigen diskreten Vermittlungen wieder frei.

­

2001 beschädigten in der Schweiz militante Gegner der israelischen und US-amerikanischen Politik im Nahen Osten mit Sprengsätzen private Einrichtungen dieser Staaten.

­

Zwei Schweizer Staatsangehörige mit Wohnsitz in den USA befanden sich bei den Ereignissen vom 11. September 2001 unter den Todesopfern.

­

Eine Schweizer Staatsbürgerin wurde am 17. März 2002 bei einem Bombenattentat auf eine protestantische Kirche im Diplomatenviertel von Islamabad leicht verletzt. Der Anschlag forderte fünf Todesopfer.

Insgesamt gibt es keine Anzeichen dafür, dass die Schweiz an sich ein primäres Ziel terroristischer Akte werden könnte. Angesichts der Potenziale und Absichten terroristischer Organisationen ist es jedoch jederzeit möglich, dass die Schweiz oder ihre Einwohner von Terrorakten betroffen sein können. Gestützt auf eine aktuelle Analyse von Zielen und Funktionsweisen der Terrororganisationen kann die Wahrscheinlichkeit von Anschlägen auf die Schweiz und Schweizer Personen als direktes Ziel als klein eingestuft werden.

Die US-Regierung warnte am 20. Mai 2002 die Öffentlichkeit, dass mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit mit neuen Terroranschlägen der Al Quaïda gegen die Vereinigten Staaten zu rechnen ist, wobei sich über den Zeitpunkt solcher Attentate keine Aussagen machen lassen.

2.3.4

Propaganda, Rekrutierung und Finanzierung

Grundrechtsgarantien Ausländische politische Gruppen haben in der Schweiz dank Grundrechtsgarantien seit je einen relativ grossen Handlungsspielraum. Spendengeld- und Propagandaaktionen haben zwar in der Regel nur beschränkte Auswirkungen auf die innere Sicherheit. Die Schweiz hat jedoch aus Gründen der inneren und äusseren Sicherheit kein Interesse daran, als Hort und Finanzierungsquelle für die Aktivitäten von Organisationen zu dienen, die sich terroristischer Mittel bedienen.

KADEK Die Geldbeschaffung (Spendensammlung respektive -einziehung, Mitgliederbeiträge, Einnahmen aus dem Verkauf von Zeitschriften, aber auch vermutete Beziehungen zum Drogenhandel) ist neben der politischen Öffentlichkeitsarbeit und der politischen Ausbildung der Kader eine wichtige Aktivität der KADEK in der Schweiz.

Zunehmend ist die KADEK auch bestrebt, wie andere extremistische Organisationen, ihr Finanzierungsspektrum auszuweiten und sich zunehmend auf legale Geschäftsaktivitäten zu konzentrieren. Hierfür hat sie die als Berufsverband konzipierte Internationale Kurdische Arbeitgeberunion (KARSAZ) geschaffen. Das Ziel dieser Organisation ist, ein unabhängiges kurdisches Finanz- und Wirtschaftssystem in Europa aufzubauen und zu betreiben. Die Hauptzentrale der KARSAZ soll in Frankfurt eingerichtet werden, wo die PKK bereits ein entsprechendes Geschäftshaus erworben hat.

1860

LTTE Ihren Kampf finanzieren die Liberation Tigers of Tamil Eelam (LTTE) hauptsächlich durch nach Europa, den USA, Kanada und Australien emigrierte Tamilen. Die Gelder stammen vor allem aus Spendengeldsammlungen, Veranstaltungen und Geschäftserlösen.

Die Aktivitäten der LTTE konzentrieren sich in der Schweiz besonders auf Propaganda und Geldbeschaffung. Die meisten Gelder stammen aus Spendengeldsammlungen, Veranstaltungen, Geschäftserlösen (People Shops) und einer «Sittu» genannten Mischform aus Kredit und Spiel. Die gesamten Einnahmen der LTTE in der Schweiz belaufen sich jährlich auf schätzungsweise 15 Millionen Franken.

Der Bundesrat hat den LTTE während der «Heroes Day»-Feier vom 2. Dezember 2001 in Granges-Paccot im Kanton Freiburg Geldsammlungen und Gewalt verherrlichende Propaganda verboten.

Bis ungefähr Ende 1998 waren Geldsammlungen der LTTE in der Schweiz oft mit psychischer und/oder physischer Gewalt verbunden. Seit Anfang 1999 ist ein Wandel bei den Sammelaktionen festzustellen. Die LTTE bemühen sich, im Zusammenhang mit Spendenaktionen keine Rechtsbrüche mehr zu begehen.

UÇK Mit Ausbruch des Kosovokonfliktes wurde die Schweiz ein Stützpunkt zur Mittelbeschaffung. Die bekannten Kosovospendenfonds sind in der Schweiz weiterhin aktiv, wenn auch die Spendeneingänge stark rückläufig sind. Die Kollekten werden offiziell immer für humanitäre Zwecke erhoben. Solange keine andere Verwendung bewiesen werden kann und keine strafrechtsrelevanten Tatbestände mit den Spendenaktionen im Zusammenhang stehen, besteht für die Strafverfolgungsbehörden keine Handlungsmöglichkeit.

Aus der Schweiz sollen auch via die Geschäftsstrukturen albanischer Reisebüros Geldbeträge in Millionenhöhe nach Albanien, Mazedonien und in den Kosovo transferiert werden. Dieses Geld stammt jedoch nachweislich grösstenteils aus dem illegalen Drogenhandel.

Al Qaïda Im Zusammenhang mit den Anschlägen vom 11. September 2001 hat sich ein Grossteil der Ermittlungsaktivitäten der Schweizer Strafverfolgungsbehörden auf mögliche Finanzierungsquellen der Al Qaïda konzentriert.

Die Schweiz hat neben der Einfrierung von Vermögenswerten von mehr als 40 Millionen Franken (siehe Kapitel 4.3) auch gezielte Ermittlungen durchgeführt.

Bereits am 7. November 2001 hat die Bundesanwaltschaft zusammen mit der Bundeskriminalpolizei (BKP)
in den Büros der Finanzgesellschaft Nada Management (frühere Al-Taqwa) Hausdurchsuchungen durchgeführt und verdächtige Personen befragt. Mehrere Bankkonten wurden blockiert, darunter eines von Ahmed Huber, einem zum Islam konvertierten, rechtsextremen Schweizer. Es konnten allerdings bislang keine Verbindungen zur Al Qaïda bewiesen werden.

1861

Am 18. April 2002 führte die Bundesanwaltschaft mit der BKP in den Kantonen Graubünden und Tessin in mehreren Firmen und Privatwohnungen weitere Hausdurchsuchungen durch. Hintergrund der Massnahme war der Verdacht auf Terrorismusfinanzierung. Es wurden Dokumente beschlagnahmt, aber keine Verhaftungen vorgenommen.

2.3.5

Rückzugsgebiet und Transitland

Erhöhtes Risiko durch verschärfte ausländische Gesetzgebung Wie aufgezeigt, dient die Schweiz seit den 1960er-Jahren terroristisch agierenden Einzelpersonen und Gruppen immer wieder als Rückzugsgebiet und Transitland. Die Verschärfung ausländischer Gesetzgebungen oder explizite Verbote von Organisationen (z. B. 1993 Verbot der PKK in Deutschland, Terrorism Act 2000 in Grossbritannien, US Patriot Act 2001, Erweiterung nationaler und internationaler Terrorlisten nach dem 11. September 2001) erhöht stets das Risiko, dass Gruppen mit Verbindungen zu einer Exilgemeinde in der Schweiz ihre Aktivitäten in unser Land verlagern.

Spuren europäischer und internationaler Terrornetzwerke Im Zusammenhang mit europäischen Terrorgruppen führten Spuren immer wieder in die Schweiz. In den Nachbarländern wurden in den letzten Jahren verschiedene Mitglieder internationaler Terrorgruppen für frühere Anschläge vor Gericht gestellt.

Dabei wurden auch Kontakte sichtbar, die über die Schweiz liefen. So wurden in den vergangenen zwei Jahren Verbindungen der Roten Brigaden in die Schweiz nachgewiesen; ein Tatverdächtiger wurde ausgeliefert, ein weiteres mutmassliches Mitglied wurde in Zürich am 10. März 2002 festgenommen. Im Falle der korsischen Terroranschläge durch den Front Libération National Corse (FLNC) gingen im Jahr 2000 französische Ermittlungsbehörden einer Schweizer Spur nach. Im Rahmen einer europaweiten präventiven Antiterroroperation im Vorfeld der Fussballweltmeisterschaft 1998 in Frankreich wurden auch in der Schweiz zwei sich illegal aufhaltende Algerier festgenommen. Eine international gesuchte mutmassliche deutsche Aktivistin der baskischen Untergrundorganisation ETA wurde Mitte März 2002 an der Schweizer Grenze in Präventivhaft genommen.

Die Schweiz wurde und wird immer wieder von islamistischen Organisationen für illegale Aktivitäten missbraucht. Insbesondere Mitglieder extremistischer Organisationen aus dem Maghreb (Algerien und Tunesien) sind bestrebt, ihre Netzwerke auch in der Schweiz aufzubauen. Ausser einem noch nicht bestätigten Fall gibt es keine Hinweise, dass Verbindungen von islamistischen Aktivisten von der Schweiz aus in den Raum Pakistan oder Afghanistan führen.

Nicht auszuschliessen ist jedoch, dass sich in der Schweiz unauffällig so genannte «Schläfer» aufhalten. Wie die von Anschlägen
betroffenen Länder zeigen, sind den Behörden für deren Erkennung bei den zur Verfügung stehenden präventiven Massnahmen bezüglich Nützlichkeit, Verhältnismässigkeit und Grundrechtsverträglichkeit Grenzen gesetzt.

1862

2.3.6

Verwicklung in andere kriminelle Aktivitäten

Terrororganisationen werden immer wieder in Zusammenhang mit anderen kriminellen Aktivitäten wie Waffen- oder Drogenhandel gebracht.

Interessenkongruenz mit Schwerstkriminalität im Balkan Im Kosovo und in den angrenzenden Gebieten sind verschiedene ethnisch albanische bewaffnete Gruppen, insbesondere die UCK, mit den Netzwerken der Schwerstkriminalität verstrickt, da sie für die Kampfführung auf deren logistische und finanzielle Unterstützung angewiesen sind. Es besteht zudem eine Interessenkongruenz dieser Gruppen und der Schwerstkriminalität. Es gibt klare Hinweise, dass ­ ähnlich wie im Kosovo ­ Netzwerke extremistischer ethnischer Albanergruppen auch in der Schweiz mit der organisierten Kriminalität (Heroin- und Kokainhandel, Rotlichtmilieu, Menschenhandel, Geldwäscherei) verhängt sind.

Beziehungen lassen sich auch zwischen kosovo-albanischen extremistischen Unterstützungsgruppen und kriminellen Aktivitäten im Bereich des Waffenhandels aufzeigen. Beispiele dafür sind zwei in der Schweiz aufgedeckte Waffenschmuggelfälle der Jahre 1998 und 1999. Ein weiterer Fall von Waffenhandel und -schmuggel aus der Schweiz in das Kampfgebiet in Mazedonien hat analoge Vorgehensmuster gezeigt.

Kurdisch-türkische Gruppen und Drogenhandel Seit Jahren besteht der Verdacht, dass auch die PKK in Teilbereichen mit der OK verstrickt ist und durch kurdische Drogenhändler mittelbar an Rauschgiftgeschäften partizipiert. Exponenten aus dem Umfeld der Organisation sind zunehmend in Strafuntersuchungen im Zusammenhang mit Schutz- und Spendengelderpressung, Verdacht auf Drogenhandel und Ähnliches verwickelt. Diese Vermutungen konnten bis jetzt zumindest für die Schweiz noch nicht belegt werden.

2.4

Organisierte Kriminalität und andere Kriminalitätsformen

2.4.1

Organisierte Kriminalität generell

Das organisierte Verbrechen hat globale Ausmasse angenommen und könnte sich zu einer der grössten Bedrohungen für Gesellschaft, Staat und Wirtschaft entwickeln.

Seine Einnistung in das normale Geschäftsleben durch Geldwäscherei, Korruption sowie den Aufkauf von Firmen und Immobilien bedroht die wirtschaftliche und gesellschaftliche Stabilität besonders in den jungen Demokratien in Osteuropa.

Auch die Staaten selbst, bzw. ihre Wirtschaftspolitik oder ihr Polizei- und Gerichtswesen, sind Infiltrationsziele der OK. Schwerpunkte der zum Teil untereinander vernetzten Gruppierungen der OK sind Drogen-, Menschen- und Waffenhandel, Korruption, Erpressung sowie die damit verbundene Geldwäscherei. Anlass zur Sorge geben mögliche Querverbindungen zwischen ihnen und terroristischen Gruppierungen.

1863

Hoch entwickelte und international stark vernetzte Volkswirtschaften bieten kriminellen Organisationen viele Möglichkeiten zur Einnistung und zur Reinwaschung von Gewinnen. Auch die Schweiz muss sich mit solchen Risiken auseinander setzen.

Das föderalistische System, die knappen Polizeimittel und das Abseitsstehen von wichtigen europäischen Institutionen komplizieren die Bekämpfung dieser Gefahr.

Obschon keine Erkenntnisse vorliegen, wonach es in der Schweiz zu einer Einflussnahme grösseren Umfangs des organisierten Verbrechens auf Politik und Wirtschaft gekommen wäre, konnten in der Vergangenheit punktuelle Aktivitäten krimineller Organisationen festgestellt werden, die darauf abzielen, sich die Vorzüge unseres Wirtschafts- und Finanzplatzes zu Nutze zu machen. Im Vordergrund steht dabei die Reinvestition der im Ursprungsland der kriminellen Organisation verbrecherisch erworbenen Gewinne. Es ist deshalb wichtig, auch die Zusammenarbeit mit den Ursprungsländern krimineller Organisationen weiter zu vertiefen.

Für die Schweiz sind im Zusammenhang mit der Bekämpfung der OK verschiedene Regionen von besonderer Bedeutung. So ist die Gemeinschaft unabhängiger Staaten (GUS), darunter besonders Russland, als eine Region mit einem hohen Bedrohungspotenzial im Bereich der OK anzusehen. In der Schweiz stehen verschiedene Personen aus der GUS im Verdacht, für kriminelle Organisationen Geldwäscherei zu betreiben. In einigen Fällen konnte dies mittlerweile auch gerichtlich belegt werden.

Eine weitere Intensivierung der Zusammenarbeit mit der GUS könnte mithelfen, zusätzliche Informationen über illegale Aktivitäten krimineller Organisationen mit Herkunft aus der GUS zu gewinnen.

Des Weiteren bilden kriminelle Organisationen aus Südosteuropa und insbesondere dem Balkan eine ernst zu nehmende Bedrohung. Besonders in der Bundesrepublik Jugoslawien, in Albanien, Mazedonien und im Kosovo ist der Einfluss krimineller Gruppen auf das wirtschaftliche, politische und soziale Leben gross.

Speziell Gruppierungen ethnischer Albaner verfügen über Strukturen, mit denen sie in ganz Europa agieren können. Dabei wird die Möglichkeit, auf Verwandte und Bekannte zurückzugreifen, die ihre Heimat verlassen haben und sich in anderen Staaten ­ besonders in der Schweiz und anderen Staaten Westeuropas ­ niedergelassen haben,
genutzt. Verbindungen bestehen zur italienischen Mafia, aber auch zu serbischen und bulgarischen kriminellen Gruppierungen. Schwerpunkt der kriminellen Aktivitäten ethnischer Albaner in der Schweiz ist der Drogenhandel. Einzelne Ermittlungsverfahren bestätigen zudem die Verwicklung von kosovo-albanischen Reisebüros in Geldwäscherei. Bezüge zu Gruppierungen ethnischer Albaner zum Menschenhandel und -schmuggel sind belegt. Trotz diesen Erkenntnissen konnten aber bislang nur selten kriminelle Strukturen in der Schweiz umfassend aufgezeigt werden.

Bezüge zur Schweiz bestehen aber auch bei anderen Gruppen der OK. Zu nennen sind hier z. B. die italienische Mafia und westafrikanische Gruppen. Auf einigen Gebieten fehlen aber noch gesamtschweizerische Erkenntnisse.

1864

2.4.2

lllegaler Betäubungsmittelhandel

Gemäss Schätzungen der UNO konsumierten Ende der 90er-Jahre weltweit zirka 180 Millionen Menschen illegale Betäubungsmittel. Dabei steht weltweit Cannabis an erster Stelle, gefolgt von den synthetischen Drogen, Kokain und Opiaten wie Heroin. Das Marktvolumen des illegalen Betäubungsmittelhandels wird auf rund 400 Milliarden US-Dollar geschätzt18.

Offene Drogenszenen gibt es in der Schweiz praktisch keine mehr. In den Strassenhandel sind drogenabhängige Schweizerinnen und Schweizer, Minderjährige sowie junge Händler aus Westafrika und dem Balkan involviert. Heroinhandel und -konsum haben sich stabilisiert und gehen tendenziell zurück. Der Heroinmarkt wird mehrheitlich von Tätergruppen aus dem Balkan, besonders dem Kosovo und Mazedonien, kontrolliert. Herkunftsgebiet von Heroin ist vor allem Afghanistan.

Am 17. Januar 2002 hatte die afghanische Übergangsregierung ein Verbot für Produktion und Handel mit Drogen angekündigt. Die diesjährige Opiumernte wurde ursprünglich vom UNO­Drogenkontrollprogramm (United Nations International Drug Control Program) auf ungefähr 3000 bis 3300 Tonnen geschätzt. Die nun von den afghanischen Behörden zerstörten 16 000 Hektaren Opiumkulturen bedeuten somit einen Einbruch auf dem Opiummarkt von rund einem Drittel. Obwohl viele der lokalen Kriegsherren vom Opiumanbau leben, unterstützen sie die Regierung.

Durch die Zerstörung von Teilen der afghanischen Opiumernte könnte auf dem Schweizer Markt innert 12 bis 18 Monaten zu einer Heroinknappheit oder zumindest einem Preisanstieg kommen, da das Heroin für den Schweizer Markt zu über 80 Prozent aus Opium aus Afghanistan hergestellt ist. Allerdings sind noch grosse Lagerbestände in Afghanistan und angrenzenden Ländern vorhanden, die diese Verknappung mindestens teilweise ausgleichen könnten.

Handel mit und Konsum von Kokain nehmen tendenziell zu. Der Kokainmarkt wird zwar noch durch Gruppierungen von Angehörigen einzelner afrikanischer und lateinamerikanischer Staaten dominiert, doch haben sich auch hier mittlerweile Tätergruppen aus dem Balkan etabliert. Wichtige Dreh- und Angelpunkte des internationalen Kokainhandels sind Brasilien, Kolumbien und die karibischen Inseln.

Produktion, Handel und Konsum von Cannabis steigen kontinuierlich, wohl auch in Antizipation der Konsumliberalisierung bei Cannabis. Immer häufiger wird
Cannabis von Minderjährigen konsumiert. Produktion und Handel werden vorab durch Schweizer Staatsangehörige kontrolliert. Gewisse lokale Cannabismärkte zeichnen sich durch einen hohen Organisationsgrad aus. Stark zugenommen hat der so genannte Drogentourismus, bei dem Käufer und Konsumenten aus den Nachbarländern zum Cannabiskauf in die Schweiz reisen.

Eine steigende Tendenz ist bei den synthetischen Drogen festzustellen. Handel und Konsum so genannter Thai-Pillen konzentrieren sich auf das Rotlichtmilieu. Die hier aktiven Tätergruppen sind Asiaten, u. a. Thailänder und Vietnamesen. Handel und Konsum von vorab in Europa und besonders den Niederlanden produziertem Ecstasy konzentrieren sich auf die Technoszene. Ohne erkennbare Strukturen sind hier vor allem Jugendliche und junge Erwachsene aktiv. Allgemein ist ein Trend zum gleichzeitigen Konsum verschiedener Drogen (Polytoxikomanie) festzustellen.

18

Jahresbericht der UNDCP 2000.

1865

Die Tätergruppen in den Drogenmarktsegmenten Heroin und Kokain sind sehr gut organisiert und strukturiert, zeichnen sich durch hohe Flexibilität und Anpassungsfähigkeit aus und gehen professionell vor. Die Angehörigen dieser Gruppierungen halten sich oft illegal in der Schweiz auf oder ersuchen hier um Asyl. Festzustellen ist zudem eine steigende Bereitschaft zur Gewaltanwendung.

2.4.3

Menschenhandel / Menschenschmuggel19

Internationale Schätzungen gehen davon aus, dass jährlich 100 000 bis 200 000 Personen als Opfer von Menschenhandel nach Westeuropa gelangen, darunter viele Frauen aus osteuropäischen Ländern.20 Auf die Grösse der Schweiz umgerechnet bedeutet dies, dass hier zu Lande bis zu 3000 Personen Opfer von Menschenhandel sein dürften. Ein guter Teil von ihnen dürfte sich illegal prostituieren. Laut Erkenntnissen der kantonalen Polizeikorps ist aber auch im Bereich der mit Kurzaufenthaltsbewilligungen anwesenden Caberettänzerinnen damit zu rechnen, dass sich ein grosser Teil neben der offiziellen Tätigkeit illegal prostituiert.

Speziell beim Handel mit Frauen aus Osteuropa sind Bezüge zu Gruppierungen ethnischer Albaner belegt. So verfügt eine Gruppe über ein internationales Beziehungsgeflecht und ist in sechs Schweizer Kantonen im Bereich des Frauenhandels und überdies im Bereich der Rotlichtkriminalität tätig.

Von der Polizei erkannte Fälle von Menschenhandel sind relativ selten. So werden jährlich etwa 30 Fälle von Menschenhandel polizeilich verfolgt, mit einer grossen Dunkelziffer ist zu rechnen.

Nebst den genannten Entwicklungen beim Menschenhandel zeichnet sich international auch eine Veränderung im reinen Menschenschmuggel ab. Während sich früher viele illegale Migranten selber durchgeschlagen haben oder von Verwandten über die Grenze gebracht wurden, existiert heute in diesem Bereich eine eigentliche Schmuggelbranche. So werden nach UNO-Angaben heute über 200 Millionen Migranten in den Händen von Menschenschmugglern vermutet.21 Da in der Schweiz die Zuständigkeiten für Migrationsfragen auf verschiedene Ämter verteilt sind, die Strafverfolgung bis Ende 2001 ausschliesslich in kantonaler Hand war (heute besteht bei OK-Verdacht Bundesermittlungskompetenz) und die Strafmasse noch relativ tief sind, bestehen praktisch keine gesicherten Erkenntnisse über den Menschenschmuggel in Richtung Schweiz. Immerhin sind im Jahr 2001 356 Schlepper vom Grenzwachtkorps festgestellt und 41 Einreisesperren wegen Menschenschmuggels erlassen worden. Es ist allerdings mit einer grossen Dunkelziffer zu rechnen. Die im 19

20 21

Menschenhandel ist ein Delikt gegen die Selbstbestimmung der Betroffenen. Es geht um die sexuelle Ausbeutung, die Ausbeutung ihrer Arbeitskraft oder im Extremfall um Organhandel. Menschenschmuggel hingegen ist der illegale Transport von Menschen über Staatsgrenzen, ohne dass sie danach z. B. zu Arbeitsleistungen gezwungen werden.

Verletzt werden damit durch die Leistung von Beihilfe zur illegalen Einreise primär die Interessen des Zielstaates. In der Realität gehen diese beiden Formen aber oft ineinander über, wenn z. B. geschmuggelte Menschen die Geldforderung der Schmuggler durch Schwarzarbeit im Zielland ableisten müssen.

Gemäss Schätzungen des Europarates, der EU und der Internationalen Organisation für Migration (IOM).

Press Release UN Protocol Against Smuggling of Migrants, Palermo, 14. Dezember 2000.

1866

Bundesamt für Polizei (BAP) einzurichtende interdepartementale Koordinationsstelle Menschenhandel Menschenschmuggel (KS MM) soll denn auch als eine ihrer Hauptaufgaben ein Lagebild erarbeiten und die Bekämpfung dieser Phänomene koordinieren.

2.4.4

Cyberkriminalität

Die Computertechnologie entwickelt sich rasant, das Internet wächst weiterhin exponenziell. Informationsinfrastrukturen sind durch konventionelle physische Attacken ebenso gefährdet wie durch elektronische Angriffe (Viren, Trojaner, Hakking, Flooding, Distributed Denial of Service). Cyberkriminalität umfasst zum einen bekannte Kriminalitätsformen, die neu mit den Mitteln der Informationstechnologie begangen werden (Verbreitung von rassendiskriminierendem und rechtsextremem Gedankengut, Aufruf zu Gewalttaten, Kinderpornografie, Betrug, Geldwäscherei).

Zum andern gehören zur Cyberkriminalität spezifisch neue Deliktsformen (unbefugte Datenbeschaffung, unbefugtes Eindringen in ein Datenverarbeitungssystem, Datenbeschädigung, betrügerischer Missbrauch einer Datenverarbeitungsanlage).

Bei der Tatbegehung findet vor allem das globale Computernetzwerk Internet als zentrales Übertragungs- und Zugangsmedium Verwendung. Grund zur Sorge bereitet die Möglichkeit, dass terroristische Gruppen oder Gruppen der OK das Knowhow von Hackern für ihre Zwecke ausnützen könnten. Erste Fälle von Cyberkriminalität von Gruppen wie der italienischen Mafia konnten bereits belegt werden.

Das Schweizerische Strafgesetzbuch (StGB) enthält zwar die relevanten Straftatbestände (Artikel 143, 143bis, 144bis, 147, 150, 150bis). Die Verfolgung von Straftaten im Bereich der Informationsinfrastrukturen gestaltet sich aber dennoch verhältnismässig schwierig. Insbesondere können sich die Strafverfolgungsbehörden bei der Beantwortung der Frage der strafrechtlichen Verantwortung von Internet-Providern im Bereich der Cyberkriminalität nicht auf eine gefestigte Rechtsprechung stützen22.

Auch führt die kantonale Zuständigkeit der Strafverfolgung in diesem Bereich immer wieder zu Problemen, sind doch die Bedrohungen für die Informationsinfrastrukturen genuin international und bereitet zum Teil nur schon die Festlegung der Verantwortung für die Strafverfolgung Schwierigkeiten. Konsequenterweise muss auch die Bekämpfung international koordiniert erfolgen.

In der Schweiz bestehen momentan keine statistischen Erkenntnisse über das Ausmass von Cyberkriminalität. Im Ausland sind die Fallzahlen aber seit einigen Jahren stark ansteigend, verschiedene Fälle von international verbreiteten Virenattacken und so genannten Denial-of-Service-Angriffen haben die grosse Verletzlichkeit elektronischer Netzwerke aufgezeigt.

2.4.5

Wirtschaftskriminalität / Schmuggel

Der international bedeutende Finanzplatz und die im internationalen Vergleich gute wirtschaftliche Situation lassen in der Schweiz domizilierte Personen und Firmen zu 22

Unter der Leitung des Bundesamtes für Justiz ist eine Expertengruppe daran, den gesetzgeberischen Regelungsbedarf im Bereich der «Netzwerkkriminalität» auszuloten.

1867

attraktiven potenziellen Opfern von Wirtschaftskriminellen werden. Genaue Erhebungen für die Schweiz bestehen nicht, das Schadensausmass wird auf zwischen 1,5 und 5,5 Milliarden Franken jährlich geschätzt.

Aufgrund der bei wirtschaftskriminellen Straftaten oft gegebenen Internationalität und Komplexität ist die internationale Zusammenarbeit von Justiz- und Polizeibehörden unabdingbar. Eine weitere wesentliche Rolle in der Bekämpfung der Wirtschaftskriminalität spielt die Zeitkomponente, da sich Finanztransaktionen aufgrund der globalen Vernetzung der Informationsinfrastrukturen immer rascher abwickeln lassen. Weiter an Bedeutung gewinnen wird zudem das Internet.

Beim Schmuggel werden Abgaben auf bestimmten Gütern umgangen oder Güter eingeführt, die im Zielland verboten sind. Die Umgehung von Abgaben ist für organisierte Gruppen nur noch beim Schmuggel bestimmter Waren lukrativ, wo beispielsweise aus gesundheitspolitischen oder protektionistischen Gründen hohe Steuern anfallen. Wegen der grossen landesspezifischen Unterschiede beim Endverkaufspreis verspricht gerade der Zigarettenschmuggel hohe Gewinne. Jährlich werden weltweit rund 5500 Milliarden Zigaretten auf den Markt gebracht. Schätzungen gehen davon aus, dass es sich bei zirka 6,5 Prozent des Marktvolumens um geschmuggelte Zigaretten handelt. Allein der Europäischen Union und ihren Mitgliedsstaaten gehen nach eigenen Angaben Einnahmen in Milliardenhöhe verloren.

Nebst Einzelpersonen und kleineren Gruppierungen, die Zigaretten in relativ geringen Mengen aus einem Land mit tiefen Endverkaufspreisen in eines mit höheren Preisen einführen, sind im Zigarettenschmuggel vor allem grössere Gruppen aktiv.

Diese bedienen sich eines Systems von Zwischenhändlern und Firmen, über das arbeitsteilig grosse Warenmengen verschoben werden. Zigarettenschmuggel in dieser aufwändigen Ausprägung muss als OK eingestuft werden. In Erscheinung treten unter anderem Gruppierungen aus dem Balkan, insbesondere Zusammenschlüsse ethnischer Albaner. Die Zigaretten werden oft über die so genannte Balkanroute in den west- und mitteleuropäischen Raum geschmuggelt. Wichtigster Ausgangspunkt der Schmuggeltätigkeit ist Montenegro.

Einen eigentlichen organisierten Zigarettenschmuggel zum steuerlichen Nachteil der Schweiz gibt es nicht. Die Schweiz wird jedoch hin und wieder
für Schmuggeltätigkeiten durch in der Schweiz wohnhafte Personen mit vermutetem Bezug zur OK zum Nachteil von EU-Staaten benützt. Auch erfolgt die Finanzierung teilweise über die Schweiz.

2.4.6

Geldwäscherei

Auf dem Finanzplatz Schweiz verwalteten inländische Bankstellen im Jahr 2000 in Kundendepots Wertschriften im Wert von insgesamt gut 3700 Milliarden Franken.

In der grenzüberschreitenden Vermögensverwaltung hat der Schweizer Finanzplatz einen Marktanteil von schätzungsweise 30 bis 40 Prozent.

Die Schweiz verfügt zwar mit den StGB-Artikeln 305bis (Geldwäscherei) und 305ter (mangelnde Sorgfalt bei Finanzgeschäften und Melderecht), dem Geldwäschereigesetz sowie der Kombination von staatlicher Kontrolle und Selbstregulierung über ein auch international in Fachkreisen anerkanntes Dispositiv zur Bekämpfung der Geldwäscherei. Dennoch riskiert der hiesige Finanzplatz wegen seiner Grösse und 1868

internationalen Bedeutung weiterhin, für Geldwäscherei und zur Deponierung von Potentatengeldern missbraucht zu werden. Im Bereich des E-Banking mittels Internet bestehen gewisse Lücken in der Kontrolle und der Gesetzgebung. Zudem ist der Kontrolle der Spielbanken, die sich wegen ihres hohen Bargeldaufkommens für Geldwäscherei eignen, besondere Aufmerksamkeit zu schenken.

2.4.7

Umweltkriminalität

Die Schweiz ist mit ihrer fortschrittlichen Umweltschutzgesetzgebung und dem gut ausgebauten Recyclingsystem ­ zum Teil mit vorgezogenen Entsorgungsgebühren ­ für Umweltkriminalität grundsätzlich wenig anfällig. So wurde bereits 1987 die Verordnung über den Verkehr mit Sonderabfällen (VVS, SR 814.610) erlassen. Die Schweiz gehörte damit zu den ersten Staaten, die sowohl den landesinternen als auch den grenzüberschreitenden Verkehr mit umweltgefährdenden Abfällen regelten. Sie ist auch Signatarstaat und hält momentan die Präsidentschaft des einschlägigen Basler Übereinkommens.23 Das Risiko illegaler Abfallexporte ist damit als verhältnismässig klein einzuschätzen.

Zur Umweltkriminalität gehört nach internationalem Verständnis auch der Handel zum Beispiel mit geschützten Tieren, geschützten tropischen Hölzern. Auch hier ist die Schweiz Mitglied der einschlägigen internationalen Konventionen.

Umweltkriminalität ist in der Schweiz generell relativ schlecht untersucht. In der Europäischen Union bestehen Bestrebungen, die Strafverfolgung in diesem Bereich zu intensivieren und die Umweltkriminalität zu einem Arbeitsgebiet von Europol zu machen. Wenn auch die scharfen Kontrollen in der Schweiz dafür sorgen, dass die Schweiz nicht Exportland von Sondermüll oder Importland von geschützter Flora und Fauna wird, sind weiterhin Anstrengungen nötig, damit die Schweiz nicht künftig als Organisationsbasis für solche Aktivitäten benützt wird.

3

Verfügbare Mittel und Lücken

3.1

Nachrichtendienste

3.1.1

Rollen von Inland- und Auslandnachrichtendienst

Frühzeitiges Erkennen grenzüberschreitender Aktivitäten Terrorismusbekämpfung (eine Aufgabe der Strafverfolgungsbehörden) setzt die frühzeitige Erkennung terroristischer Aktivitäten («Terrorismuserkennung») und damit die Beschaffung von Informationen voraus. In der Informationsbeschaffung ist zwischen jener über das Inland und jener im und über das Ausland zu unterscheiden. Darüber hinaus arbeiten sowohl der Dienst für Analyse und Prävention (DAP) als Inlandnachrichtendienst als auch der Strategische Nachrichtendienst (SND) als Auslandnachrichtendienst der Schweiz eng mit ihren ausländischen Partnern zusammen.

23

Basler Übereinkommen über die Kontrolle der grenzüberschreitenden Verbringung gefährlicher Abfälle und ihrer Entsorgung (SR 0.814.05).

1869

Die Anschläge vom 11. September 2001 haben die Bedeutung einer verstärkten Zusammenarbeit zwischen dem DAP als Inlandnachrichtendienst und dem SND als Auslandnachrichtendienst der Schweiz zur frühzeitigen Erkennung von die Schweizer Grenze überschreitenden terroristischen Aktivitäten aufgezeigt. Auch die Verhinderung eines Anschlags mit nichtkonventionellen Mitteln hängt namentlich von der Beschaffung von Informationen über Fähigkeiten und unmittelbaren Absichten potenzieller terroristischer Akteure im Ausland und insbesondere in der Schweiz ab.

Aktivitäten ausländischer terroristischer Gruppierungen in der Schweiz erfolgen nicht losgelöst, sondern im Rahmen von deren internationalen Netzwerken. Daraus ergibt sich in der Terrorismuserkennung die Notwendigkeit einer verstärkten Zusammenarbeit zwischen Inland- und Auslandnachrichtendienst.

Koordination und Einbindung in die Entscheidfindung des Bundesrates Die Analyse des Krisenmanagements im Rückblick auf die Ereignisse vom 11. September 2001 führt direkt zur grundsätzlichen und zentralen Frage der Einbindung der Nachrichtendienste in die Entscheidfindung von Regierungen. In der Regel ist nicht die Früherkennung an sich das Problem, sondern die Schwierigkeit, sektorielle Risiken und Gefahren als übergeordnete politische Probleme zu erkennen. In der Regel verfügen die Dienststellen über genügend Indizien, doch kommt es nicht zur rechtzeitigen politischen Bewertung und Priorisierung ihrer Berichte.

Sachverhalte werden oft erst dann als Probleme wahrgenommen, wenn diese sich schon äusserlich als solche präsentieren; dann ist es in der Regel für präventive Massnahmen zu spät und eher Krisenmanagement angesagt.

Defizite im Bereich der nachrichtendienstlichen Zusammenarbeit im Interesse der Lagebeurteilung und der Führungsfähigkeit des Bundesrates wurden in der Schweiz zuletzt im Zusammenhang mit der Problematik der nachrichtenlosen Vermögen und der BSE-Krise (1996/1997) offen gelegt und analysiert. Verschiedene parlamentarische Vorstösse bewirkten 1998/1999 eine Neuorganisation der sicherheitspolitischen Führung des Bundesrates.

Mit der Reorganisation der sicherheitspolitischen Führung (Sicherheitsausschuss des Bundesrates, Lenkungsgruppe Sicherheit, Nachrichtenkoordinator sowie Lage- und Früherkennungsbüro) hat der Bundesrat an strategischer
Übersicht und Handlungsfähigkeit gewonnen (Weisung über die Organisation der sicherheitspolitischen Führung vom 3.11.1999). Am 20. Februar 2002 stellte ein Bericht des Sicherheitsausschusses an den Bundesrat fest, dass sich diese neue Struktur bewährt hat. Einen zentralen Stellenwert hat dabei die Doppelfunktion der Lenkungsgruppe Sicherheit, die neben der Lageanalyse auch für die Entwicklung von sicherheitspolitischen Optionen zuhanden des Sicherheitsausschusses zuständig ist.

Informationsbeschaffung im Inland Die Verhinderung und teilweise die Bekämpfung von Terrorismus und gewalttätigem Extremismus fällt unter das Bundesgesetz über Massnahmen zur Wahrung der inneren Sicherheit (BWIS; SR 120). Die Überwachung einschlägiger Organisationen, um die Strukturen, Tätigkeiten und Ziele terroristischer Netze frühzeitig zu erkennen, erfordert entsprechende Möglichkeiten der Informationsbeschaffung. In Bezug auf die politische Betätigung sowie auf die Ausübung der Meinungs-, Koalitions- und Versammlungsfreiheit ist die Beschaffung von Informationen und deren weitere Bearbeitung nur dann erlaubt, wenn der begründete Verdacht besteht, dass 1870

die Ausübung dieser Rechte als Vorwand genommen wird, um terroristische, nachrichtendienstliche oder gewaltextremistische Tätigkeiten vorzubereiten oder durchzuführen.

Die eigentlichen Informationsbeschaffungstätigkeiten sind in Art. 14 Abs. 2 BWIS abschliessend aufgezählt: Auswerten öffentlich zugänglicher Quellen, Einholen von Auskünften, Einsicht in amtliche Akten, Entgegennahme und Auswerten von Meldungen, Nachforschen nach der Identität oder dem Aufenthalt von Personen, Beobachten von Vorgängen an öffentlichen und allgemein zugänglichen Orten (auch mittels Bild- und Tonaufzeichnungen) sowie Feststellen der Bewegungen und der Kontakte von Personen.

Der Einsatz strafprozessualer Zwangsmassnahmen wie auch das Beobachten von Vorgängen in privaten Räumen ist im Rahmen der Prävention nicht erlaubt, sondern erst nach Eröffnung eines förmlichen gerichtspolizeilichen Ermittlungsverfahrens zulässig (Art. 14 Abs. 3 BWIS). Das BWIS sieht auch keine anderen Massnahmen vor, welche zur Wahrung der inneren Sicherheit hoheitlich angeordnet werden könnten.

3.1.2

Präventive Zusammenarbeit mit Ausländerbehörden

Sicherheitspolizeilich motivierte Einreisesperren Der DAP im Bundesamt für Polizei (BAP) verfügt gestützt auf Art. 13 Abs. 1 des Bundesgesetzes vom 26. März 1931 über Aufenthalt und Niederlassung der Ausländer (ANAG; SR 142.20) Einreisesperren gegen Personen, die die innere oder äussere Sicherheit der Schweiz gefährden könnten.

Diese Massnahme erlaubt, erkannten oder verdächtigen Exponenten gewaltorientierter Organisationen die Einreise in die Schweiz und den Aufenthalt in der Schweiz zu verbieten. Sie wird denn auch seit Jahren erlassen.

In seltenen Fällen hat der Bundesrat Personen, die die innere oder äussere Sicherheit der Schweiz gefährdeten, gestützt auf Art. 121 Abs. 2 der Bundesverfassung (früher Art. 70 BV) aus der Schweiz ausgewiesen.

Allerdings wird damit wegen der mangelnden Kontrollmöglichkeiten an der Grenze und im Inland nicht jede ausgeschriebene Person von der Schweiz ferngehalten werden können.

Asylrechtliche Verfahren Gemäss Art. 53 des Asylgesetzes (SR 142.31) wird Flüchtlingen kein Asyl gewährt, wenn sie wegen verwerflicher Handlungen dessen unwürdig sind oder wenn sie die innere oder die äussere Sicherheit der Schweiz verletzt haben oder gefährden.

Es liegt auf der Hand, dass das Agieren von hier lebenden Asylbewerbern, die eine gewaltorientierte Aktivität planen, nur im Untergrund stattfindet. Vor diesem konspirativen Hintergrund ist es für das BAP äusserst schwierig, vorhandene konkrete Elemente für eine Gefährdung der inneren oder äusseren Sicherheit der Schweiz vorzubringen.

Das BAP geht bezüglich der Einschätzung, ob jemand für die Sicherheit unseres Landes ein Risiko darstellt oder nicht, besonders sorgfältig vor. Vorliegende Infor1871

mationen werden dahingehend überprüft, ob im Einzelfall Anzeichen für ein Verhalten vorliegen, das geeignet ist, Befürchtungen im Hinblick auf die innere und äussere Sicherheit der Schweiz zu wecken. Sodann wird dieses Bild in Zusammenhang mit allgemeinen Erkenntnissen über die entsprechende Risikogruppe und ihren Bezug zu unserem Land weiter ausgeleuchtet. Aus Gründen des Quellenschutzes ist es jedoch nicht in jedem Fall möglich, gegenüber dem Bundesamt für Flüchtlinge (BFF) und der Asylrekurskommission (ARK) detaillierte Stellungnahmen abzugeben.

Das BAP kann seine Erkenntnisse bezüglich einer allfälligen Gefährdung der Staatssicherheit eines Asylsuchenden bloss in der Form einer Empfehlung abgeben, und es ist Sache des BFF resp. der ARK, wie sich diese Information in einem Asylentscheid auswirkt.

Komplexe Asylverfahren und Rechtsmittel erlauben Asylsuchenden oft, sich lange in der Schweiz aufzuhalten. Zudem können von ihren Heimatbehörden gesuchte Extremisten wegen des Non-Refoulement-Prinzips nicht in ihr Heimatland weggewiesen werden, und andere Länder sind meist nicht bereit, diese Personen aufzunehmen.

3.1.3

Gesetzliche Lücken im Inlandbereich

Verfassungsgestützte Verfügungen statt gesetzliche Regelungen Während die Verhängung sicherheitspolizeilich motivierter Einreisesperren in Anwendung von Art. 13 des Bundesgesetzes über Aufenthalt und Niederlassung der Ausländer (ANAG; SR 142.20) zu erfolgen hat, sind weitere gegebenenfalls notwendige Massnahmen durch den Bundesrat, direkt gestützt auf die Bundesverfassung zu erlassen. Neben Ausweisungen nach Art. 121 Abs. 2 BV stehen diesbezüglich namentlich Verfügungen und befristete Verordnungen gemäss Art. 184 Abs. 3 und Art. 185 Abs. 3 BV in Frage (Beziehungen zum Ausland beziehungsweise äussere und innere Sicherheit).

Diese Feststellungen führen zur Erkenntnis, dass das BWIS, in gewissem Gegensatz zu den Erwartungen, die sein Titel weckt, kaum aktive Massnahmen zur Wahrung der inneren Sicherheit enthält. Geregelt ist vorab die Datenbearbeitung, wobei die Beschaffung unverbindlich ist und auf Beschaffungsmassnahmen, welche die Privatsphäre tangieren, weitgehend verzichtet wird.

Die Regelung oder Bündelung konkreter Massnahmen zur präventiven Wahrung der inneren Sicherheit fehlt grundsätzlich (z. B. fremdenpolizeiliche Massnahmen, Verbote und Verfügungen zum Schutz der inneren Sicherheit usw.). Deshalb muss nach wie vor auf die verfassungsunmittelbaren Kompetenzen des Bundesrates gegriffen werden (z. B. Verbot der Al Qaïda oder Verfügung gegen Sammelaktion der Tamil Tigers), um punktuell sicherheitsnotwendige Massnahmen zu treffen. Eine ordentliche gesetzliche Grundlage besteht hierfür nicht.

Gerade im Zug der allgemeinen Übereinstimmung der Staatengemeinschaft zur Solidarität im Kampf gegen Terrorismus wäre es aber sinnvoll, wenn die notwendigen exekutiven Befugnisse im Rahmen stufengerechter Erlasse an die zuständigen Behörden delegiert werden und die Grundsätze des Verfahrens und des Rechtsschutzes auf Gesetzesstufe garantiert werden. So kann auch der Gesetzgeber seinen 1872

Teil der Verantwortung für die Wahrung der inneren Sicherheit (vgl. Art. 173 Abs. 1 Bst. a Bundesverfassung) aktiv wahrnehmen.

Lücken bei der präventiven Überwachung Abklärungen in Geheim- oder Privatbereichen gestalten sich aufgrund der bestehenden gesetzlichen Grundlagen, insbesondere was die präventiven Telefonkontrollen betrifft, als schwierig. Die Schweizer Staatsschutzorgane können hier in der internationalen Zusammenarbeit unter den Nachrichten- und Sicherheitsdiensten übliche Standardabklärungen nicht vornehmen, weil die Zugänge zu Fernmeldedaten, Observationen im Privatbereich oder dem Postgeheimnis unterstehenden Informationen auch in wichtigen Fällen nicht möglich sind. So endet die Aufklärung von terroristischen oder extremistischen Netzwerken oft an der Schweizer Grenze, weil hier die Beziehungen unter erkannten Exponenten nicht mehr aufgeklärt werden können.

Ein Beispiel hierzu sind die von italienischen Behörden festgestellten Kontakte von Mailänder Islamistenkreisen, welche gemäss Informationen aus Fernmeldeüberwachungen die Ausbildung von Extremisten in Afghanistan über Personen in Genf und Zürich organisierten. Die Schweizer Staatsschutzorgane konnten bezüglich dieser Personen keine mit Italien vergleichbaren Massnahmen zur weiteren Informationsbeschaffung ergreifen. Eine direkte Ansprache kam mit Rücksicht auf die italienische Operation nicht in Frage, weshalb diese Personen in der Schweiz weitgehend unbehelligt blieben.

Lücken in der Praxis der Staatsschutzorgane In der Praxis der Erfüllung der Aufgaben des BWIS durch die Staatsschutzorgane bestehen vor allem Lücken in ­

den grundsätzlichen Aufgabenbereichen des Staatsschutzes (gemäss Art. 2 BWIS),

­

der Informationsbeschaffung (Art. 14 BWIS),

­

der Informationsbearbeitung bei (vorerst) unklaren Sachverhalten,

­

der Regelung von konkreten Massnahmen zur Verhinderung von Gefährdungen der inneren Sicherheit und

­

der Lagedarstellung im Verbund mit den Kantonen.

3.2

Strafverfolgungsbehörden

3.2.1

Straftatbestand des Terrorismus

Geltende Rechtslage Das schweizerische Strafrecht kennt keinen expliziten Straftatbestand zum Terrorismus. Die Strafverfolgung terroristischer Bestrebungen stützt sich in der Schweiz auf eine Reihe von allgemeinen Strafnormen, die bei der Vorbereitung oder Durchführung von terroristischen Gewaltakten zur Anwendung kommen können, so z. B.

vorsätzliche Tötung und Mord (StGB Art. 111, 112), Freiheitsberaubung und Entführung (Art. 183), Geiselnahme (Art. 185), Sprengstoffdelikte (Art. 224ff), Ver-

1873

breitung menschlicher Krankheiten (Art. 231) oder öffentliche Aufforderung zu Verbrechen oder zu Gewalttätigkeit (Art. 259). Dazu gehören auch die Straftatbestände der Geldwäscherei (Art. 305bis), strafbare Vorbereitungshandlungen (Art. 260bis) oder die Zugehörigkeit zu einer kriminellen Organisation (Art. 260ter).

Für all diese strafbaren Handlungen sind Freiheitsstrafen vorgesehen. Schwere Strafen sind insbesondere dann vorgesehen, wenn die Straftat das Leben und die körperliche Unversehrtheit mehrerer Personen gefährdet oder erhebliche Schäden anrichtet. Anstiftung, Mittäterschaft und Versuch sind strafbar.

Ohne diese spezifisch auf die Terrorismusbekämpfung ausgerichteten Bestimmungen des schweizerischen Strafrechts wurden diese Normen während längerer Zeit für die Erfordernisse der Terrorismusbekämpfung als ausreichend betrachtet.

Vorbereitungshandlungen für bestimmte strafbare Handlungen werden ebenfalls geahndet (Art. 260bis StGB), und dies noch bevor eine geplante terroristische Handlung zur Ausführung gelangt. Mit dieser Norm kann den vorbereitenden Tätigkeiten für einen terroristischen Akt und namentlich auch seiner Finanzierung ein Ende gesetzt werden. Die Bestimmung sieht eine Freiheitsstrafe von bis zu fünf Jahren vor.

Die verbrecherische Natur bestimmter Handlungen wird auch auf die Beteiligung an einer kriminellen Organisation und auf die Unterstützung einer derartigen ­ insbesondere terroristischen ­ Organisation ausgeweitet (Art. 260ter StGB). Die Höchststrafe für diese strafbare Handlung ist eine Gefängnisstrafe von fünf Jahren.

Diese Bestimmung kann aber nur unter bestimmten Voraussetzungen angewendet werden.

Notwendige Gesetzesanpassungen durch Beitritt zu UNO-Übereinkommen Mit Beschluss vom 7. November 2001 hat der Bundesrat das EJPD beauftragt, bis Mitte 2002 Bericht und Antrag für die Ratifizierung des Internationalen Übereinkommens zur Bekämpfung der Finanzierung des Terrorismus sowie für den Beitritt zum Internationalen Übereinkommen zur Bekämpfung terroristischer Bombenanschläge zu unterbreiten.

Das Übereinkommen zur Bekämpfung terroristischer Bombenanschläge verpflichtet die Vertragsstaaten in erster Linie zur Bestrafung von Attentaten mit Sprengsätzen oder anderen tödlichen Vorrichtungen und stellt die diesbezügliche internationale Zusammenarbeit sicher. Es ist
mit dem geltenden schweizerischen Recht kompatibel und schafft keine neuen Verpflichtungen. Gleiches gilt über weite Strecken auch für das Übereinkommen zur Bekämpfung der Finanzierung des Terrorismus. So sind die darin enthaltenen Pflichten bezüglich Beschlagnahme und Einziehung, Rechtshilfe und Auslieferung sowie Sorgfaltspflichten der Finanzinstitute durch die schweizerische Rechtsordnung abgedeckt. Auch die im Zentrum des Übereinkommens stehende Verpflichtung zu möglichst umfassender Bestrafung der Terrorismusfinanzierung wird mit den geltenden Bestimmungen des Schweizerischen Strafgesetzbuches weitgehend eingelöst: So können die vom Übereinkommen umschriebenen Finanzierungshandlungen neben Anstiftung und Gehilfenschaft zu gemeinen Straftaten insbesondere auch als strafbare Vorbereitungshandlungen (Art. 260bis StGB) bzw. als Unterstützung einer kriminellen Organisation (Art. 260ter StGB) sanktioniert werden. Allerdings verlangt Artikel 2 des Übereinkommens die Strafbarkeit der Terrorismusfinanzierung unabhängig vom Nachweis, dass die Vermögenswerte tatsäch1874

lich für einen Terrorakt Verwendung fanden. Auch muss die blosse Gehilfenschaft an der versuchten Finanzierung pönalisiert werden. Weil das Übereinkommen die Strafbarkeit auch nicht an das Handeln einer kriminellen Organisation knüpft, bedarf es eines eigenständigen Auffangtatbestandes der Terrorismusfinanzierung im schweizerischen Recht. Im Weiteren setzt Artikel 5 des Übereinkommens die Verantwortlichkeit juristischer Personen für Terrorismusfinanzierung voraus (vgl.

Kap. 3.2.2 und 4.2.2).

Bedingungen der Auslieferung Nach allgemeinen Rechtsgrundsätzen kann ein Staat bis jetzt trotz identischen Strafnormen zwischen den ersuchenden und ersuchten Staatswesen die Auslieferung eines Verdächtigen ablehnen, wenn das Delikt politisch motiviert war und der Täter im Tatortstaat möglicherweise kein faires Strafverfahren erhalten würde. Rechtsgrundlage für die Auslieferung von «Terroristen» im europäischen Raum ist bislang das europäische Übereinkommen vom 27. Januar 1977 zur Bekämpfung des Terrorismus (SR 0.353.3) innerhalb der Mitgliedsstaaten des Europarates. Die Schweiz hat das Abkommen am 19. Mai 1983 ratifiziert. Das Schweizer Strafrecht erfasst seit 1981 auch die Vorbereitung solcher Straftaten (Art. 260bis StGB), vermeidet jedoch den Hinweis auf die politische Motivation. Das Übereinkommen nennt folgende Deliktgruppen und verbietet bei deren Vorliegen die Einrede des politischen Delikts: Verbrechen in oder an Flugzeugen, schwere Angriffe auf das Leben, die körperliche Unversehrtheit oder die Freiheit von völkerrechtlich geschützten Personen, Entführungen, Geiselnahmen und schwer wiegende Freiheitsentziehungen, Sprengstoffdelikte und Delikte mit automatischen Schusswaffen.

Grundsätzlich ist die Schweiz aber in der Lage, auf jedes von einem Staat vorgelegte Rechtshilfeersuchen in strafrechtlichen Sachen rasch zu reagieren, und zwar auch dann, wenn bezüglich der Rechtshilfe kein bilaterales oder multilaterales Abkommen besteht.

3.2.2

Unterbindung von Propaganda und Finanzbeschaffung

Unterschiedlicher Handlungsspielraum für die Unterbindung von Propaganda und Beschaffungstätigkeiten Die Schweizer Gesetzgebung bietet für die Einschränkung von Propagandanetzwerken und Beschaffungstätigkeiten wenig Handlungsspielraum. Der bis am 1. Juli 1998 bestehende Bundesratsbeschluss vom 29. Dezember 1948 betreffend staatsgefährliches Propagandamaterial (Propagandabeschluss) wurde mit der Inkraftsetzung des BWIS 1999 aufgehoben. Um Propagandanetzwerke und Beschaffungstätigkeiten von Terrorgruppen in der Schweiz einschränken zu können, müssen grundsätzlich die öffentlichen Interessen an einer Verhinderung z. B. von Geldsammelaktionen die privaten Interessen der Betroffenen überwiegen, und die getroffene Massnahme muss sich als verhältnismässig erweisen.

So haben in den vergangenen Jahren Geldsammlungen verschiedener Exilgruppen ­ wie z. B. die der LTTE und PKK ­ zu einer Vielzahl von Protesten und Interventionen des Auslands geführt. Ausländischen sicherheitspolitischen Entscheidträgern ist das geltende schweizerische Recht mit seinen besonderen Einschränkungen nicht 1875

oder nur wenig bekannt und zum Teil kaum verständlich. Massnahmen, die von der Schweiz gegen Einzelpersonen und Organisationen (Massnahmen zur Wahrung der inneren Sicherheit, Waffenerwerbs- und -tragverbot, Asylwiderruf und Einleitung von Strafverfahren) eingeleitet werden, genügen dort nicht, wo Personen ihre Aktivitäten von der Schweiz aus im Ausland ausüben, respektive deren Aufenthalt zwar in der Schweiz geregelt ist, sie aber mehrheitlich z. B. in den Krisengebieten politisch aktiv sind. Damit kann der Eindruck entstehen, die Schweiz toleriere oder unterstütze terroristische Aktivitäten. Propaganda und Rekrutierungsaktivitäten in der Schweiz belasten aber auch die Beziehungen der Schweiz zu verschiedenen Staaten der betroffenen Regionen. Ausländische Interventionen gefährden schliesslich auch die Rückführungen von abgewiesenen Asylbewerbern.

Aufklärung der Finanzierungsströme Die Aufklärung der Finanzierungsströme terroristischer Gruppen ist heute allgemein als besonders wichtig für die internationale Sicherheit erkannt. Sie kann auch für die Einleitung von Strafverfahren in der Schweiz von grösstem Interesse sein, weil teilweise erst bei genaueren Kenntnissen von Kontostand, Berechtigten, Herkunft und Weiterleitung der Gelder ein relevanter Tatverdacht für strafbare Handlungen zu Stande kommt.

Finanzierungskanäle, gesammelte Gelder, Zugriffsberechtigte, Verwendung oder Weiterleitungen ins Ausland zu Gunsten von terroristischen Gruppierungen wie die UÇK Mazedonien, die AKSH (Albanische Nationalarmee, eine radikale Absplitterung der UÇK), die Tamil Tigers, die PKK und zahlreiche andere können heute in der Schweiz mit den präventiv-polizeilichen Mitteln kaum aufgeklärt werden. Die strafrechtliche Gesetzgebung eröffnet bei Strafverfahren zwar den Zugang zu allen Bankinformationen. Hier nutzen diese Gruppen aber bis jetzt gezielt den Umstand aus, dass zwischen Geldsammlungen und konkreten, evtl. erst künftigen Straftaten keine strafrechtlich relevanten Verbindungen bestehen. Sie können oft sogar offen Geld beschaffen und Schweizer Konten benützen, ohne in Strafverfahren verwickelt zu werden. Mit der geplanten neuen, allgemeinen Terrorismusstrafnorm in Verbindung mit der eigenständigen Strafnorm der Terrorismusfinanzierung machen sich künftig aber diejenigen strafbar, die in der Absicht, ein
solcherart qualifiziertes Verbrechen zu finanzieren, Vermögenswerte sammeln oder zur Verfügung stellen.

Strafverfolgung in Einzelfällen Die Strafverfolgung von Propagandaaktionen oder Rekrutierungstätigkeiten ist zwar in Einzelfällen möglich, doch bietet das schweizerische Recht wenig Möglichkeiten im präventiven Bereich. Auch machen Opfer der ethnischen Gruppen der Tamilen und Kurden z. B. im Falle von Nötigung oder Erpressung kaum je Anzeigen.

So werden zum Beispiel Propaganda, Spendenaufrufe und patriotisch gefärbte Berichterstattung von kriegerischen Aktivitäten der ethnisch albanischen bewaffneten Gruppen in Südserbien und Mazedonien europaweit über Publikationen verbreitet, deren Herausgeber und Besitzer in der Schweiz wohnhaft ist. Mutmasslich rassendiskriminierende oder kriegshetzerische Artikel führten in zwei Fällen zu Strafanzeigen wegen Verdachts auf Verletzung der Rassismusstrafnorm.

Möglichkeiten zur Blockierung von Geldern in der Schweiz 1876

Es gibt verschiedene Möglichkeiten, wie Gelder blockiert beziehungsweise eingefroren werden können: ­

Im Rahmen eines Strafverfahrens, wenn dieses durch die Strafverfolgungsbehörden eröffnet wurde und eine entsprechende richterliche Verfügung zur Sperrung von Vermögenswerten erlassen wurde.

­

In Zusammenhang mit einer Verdachtsmeldung nach Artikel 9 Geldwäschereigesetz (SR 96.055), wenn der Verdacht besteht, dass die involvierten Vermögenswerte in Zusammenhang mit Geldwäscherei (Artikel 305bis StGB) stehen, aus einem Verbrechen herrühren oder der Verfügungsmacht einer kriminellen Organisation (Artikel 260ter StGB) unterliegen (nur kurzfristig bis zum Entscheid über die Eröffnung eines Strafverfahrens).

­

Sperrmöglichkeiten von Vermögenswerten aufgrund vom Bundesrat erlassener Verordnungen24. Aufgrund dieser Verordnungen werden automatisch Gelder gesperrt, die in Zusammenhang stehen mit natürlichen oder juristischen Personen, die in einem speziellen Anhang zur Verordnung erwähnt sind. Eine strafbare Handlung muss hier nicht speziell nachgewiesen werden.

Es ist festzuhalten, dass das Bankgeheimnis in der Schweiz einem Gerichtsverfahren nicht im Wege steht. Es kann aufgehoben werden, wenn um Rechtshilfe ersucht wird oder ein Strafverfahren eingeleitet worden ist. Die zuständigen Behörden sind gegebenenfalls befugt, Guthaben einzufrieren, die mutmasslich zur Durchführung krimineller oder terroristischer Aktivitäten verwendet werden.

Internationale Vereinbarungen Die Schweiz ist Gründungsmitglied der Financial Action Task Force (FATF) und arbeitete aktiv an der Abfassung der «40 Empfehlungen» zur Bekämpfung der Geldwäscherei dieser Gruppe mit.

3.2.3

Bekämpfung der organisierten Kriminalität und anderer Kriminalitätsformen

Anstrengungen des Bundes in den letzten Jahren Der Bund hat in den letzten Jahren in der Gesetzgebung grosse Anstrengungen unternommen (Geldwäschereigesetz, Korruptionsstrafrecht, Revision des Internationalen Rechtshilfegesetzes, Gesetz über Massnahmen zur Wahrung der inneren Sicherheit, Gesetz über die Verbesserung der Rechtsstaatlichkeit und Effizienz in der Strafverfolgung, Waffengesetz, Zwangsmassnahmen im Ausländerrecht). In Einführung begriffen ist eine neue, allgemeine Terrorismusstrafnorm, eine eigenständige Strafnorm der Terrorismusfinanzierung sowie die strafrechtliche Unternehmenshaftung, mit der unter anderem auch Delikte wie Korruption und Bestechung besser geahndet werden sollen. Insgesamt hat die Schweiz einen im internationalen Vergleich sehr hohen Rechtsstandard erreicht.

24

Z. B. die Verordnung über Massnahmen gegenüber den Taliban (Afghanistan); vom 2. Oktober 2000 (SR 946.203) oder die Verordnung über die Massnahmen gegenüber der Bundesrepublik Jugoslawien vom 23. Juni 1999 (SR 946.207).

1877

Effizienzvorlage und USIS In der Bekämpfung der organisierten Kriminalität (OK) und anderer Kriminalitätsformen wurden in den letzten Jahren ebenfalls grosse Fortschritte gemacht. So wurde die Errichtung eines Bundesstrafgerichts in die Wege geleitet, und die kantonalen Strafprozessordnungen sollen in den nächsten Jahren durch ein Eidgenössisches Strafprozessgesetz abgelöst werden. Mit der so genannten «Effizienzvorlage» übernimmt der Bund seit Anfang 2002 von den Kantonen die Kompetenzen zur Bekämpfung der OK und komplexer Fälle von Wirtschaftskriminalität. Das erfordert einen Ausbau von Bundesanwaltschaft, BAP und Bundesgericht. Mit dem Umbau des BAP und der verstärkten Unterstützung des Schweizerischen Polizeiinstituts in Neuenburg sind dafür die notwendigen strukturellen Voraussetzungen geschaffen worden.

Mögliche weitere Verbesserungen und Effizienzsteigerungen auch bei der Bekämpfung jenes grossen Teils der Kriminalität, die nicht in Bundeskompetenz liegt, werden im Rahmen des Projektes USIS (Überprüfung des Systems der inneren Sicherheit) thematisiert werden.

Doch die Verbrechensbekämpfung ist nicht nur eine Sache des Staates allein. Vor allem im Bereich der OK ist die Zusammenarbeit mit den Hauptbetroffenen, der Wirtschaft, ein entscheidender Faktor. Deshalb unterstützt der Bund zusammen mit den Kantonen und der Wirtschaft die Ausbildung von Fachleuten zur Bekämpfung der Wirtschaftskriminalität an den Wirtschaftsfachhochschulen von Luzern und Neuenburg.

Telekommunikationsüberwachung und Verdeckte Ermittlungen Der Bundesrat hat auch im Bereich Telekommunikationsüberwachung und verdeckte Ermittlungen dem Parlament neue Gesetze vorgelegt. Das Bundesgesetz betreffend die Überwachung des Post- und Fernmeldeverkehrs (BÜPF) trat am 1. Januar 2002 in Kraft. Allerdings besteht bereits wieder Bedarf zur Anpassung des im Gesetz abschliessend festgelegten Straftatenkatalogs. Ferner führt die rasante technische Entwicklung im Telekommunikationsbereich zu laufenden Anpassungen (siehe dazu Kap. 4.2.3).

Für die Bekämpfung verschiedener Formen von Schwerstkriminalität ist das Instrument der Verdeckten Ermittlungen als polizeiliche Massnahmen unverzichtbar. Ein entsprechender Gesetzesentwurf möchte die seit Jahren erkannten Lücken schliessen; er befindet sich seit Dezember 2001 in der parlamentarischen Beratung (vgl.

Kap. 4.2.4).

3.2.4

Polizeiliche und justizielle Zusammenarbeit mit der EU

Verstärkung des Sicherheitsdispositivs Die sicherheitspolitische Lage der Schweiz erheischt als angemessene Antwort auf die OK, den Terrorismus und die Wirtschaftskriminalität, deren Akteure schon seit langem global handeln, eine möglichst starke und effiziente Zusammenarbeit vorab mit den europäischen Staaten. Ohne die Bedeutung der internen Sicherheitsmassnahmen minimieren zu wollen, muss festgestellt werden, dass ein optimales 1878

Sicherheitsdispositiv nur über eine Verstärkung der polizeilichen und justiziellen Zusammenarbeit mit der EU erreicht werden kann. Dasselbe gilt in der Asyl- und Migrationspolititk: Die Migrationsbewegungen allgemein und die Anzahl von Asylsuchenden und Personen ohne Aufenthaltsrecht in der Schweiz hängen nicht nur von migrationsauslösenden Faktoren in den Herkunftsstaaten ab, sondern werden wesentlich auch von der Zusammenarbeit unter den europäischen Ziel- und Transitstaaten in diesem Bereich bestimmt.

Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts Im Rahmen der Schaffung des so genannten «Raumes der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts» wirkt die EU bereits seit Längerem auf eine Verstärkung der Zusammenarbeit im Kampf gegen die internationale OK und den Terrorismus hin.

Mit «Schengen/Dublin» hat die EU dabei ein ehrgeiziges Netz im Bereich der polizeilichen und justiziellen Kooperation sowie der Visa- und Asylpolitik errichtet.

Dazu gehören neben vereinheitlichten Visa- und Asylbestimmungen insbesondere vernetzte Polizeikräfte und ­ vor allem ­ zentralisierte Informationssysteme.

«Schengen/Dublin» stellt für die innere Sicherheit der Schweiz somit einen zentralen Punkt dar. Dies umso mehr, als unser Land aufgrund seiner geografischen Lage ­ abgesehen von Liechtenstein ­ vollständig von «Schengen-Staaten» umschlossen ist. Ohne Einbezug unseres Landes in das Sicherheitsdispositiv der EU besteht die Gefahr, dass die Schweiz zur Drehscheibe der grenzüberschreitenden OK und des internationalen Terrorismus sowie zum Einfallstor und zum Ausweichgebiet für die illegale Migration wird. Dabei wird die Schweiz immer auch von der Verlagerung der Personenkontrollen im Schengen-Verbund an die Aussengrenzen betroffen sein, ob sie sich dem Sicherheitsverbund der EU anschliessen wird oder nicht. Dasselbe gilt mit Blick auf die bevorstehende EU-Osterweiterung, welche ­ zusammen mit der schwer kontrollierbaren «blauen Grenze» im Süden Europas ­ verstärkte mittelbare Auswirkungen auf die Schweiz haben könnte. Das Problem ist auch in der EU erkannt; die Bekämpfung der Ursachen und die Kontrollen werden laufend ausgebaut.

Asyl- und migrationsspezifische Aspekte Die sicherheitspolitischen Belange können nicht losgelöst von den asyl- und migrationsspezifischen Aspekten beurteilt werden. Auch hier ist das
Verhältnis der Schweiz zur EU entscheidend: Ein wesentliches staatliches Instrument zur Steuerung der illegalen Migration als grenzüberschreitendes Phänomen verkörpert in Europa das Dubliner Abkommen, welches in naher Zukunft in eine gemeinschaftsrechtliche Verordnung umgegossen wird, sowie seine Umsetzungsinstrumente. Für die Schweiz bestehen diesbezüglich keine gleichwertigen innerstaatlichen Handlungsoptionen. Eine umfassende Beteiligung an Dublin, einschliesslich der informatisierten Datenbank «Eurodac» zur Erfassung der Erstasylsuchenden, wäre deshalb zunächst ein wesentlicher Schritt, um in die institutionelle Zusammenarbeit der EU im Asyl- und Migrationsbereich eingebunden zu werden. Zudem würden dadurch im europäischen Raum eingereichte Zweitgesuche auch für die Schweiz offen gelegt, und die Schweiz würde aufgrund der in «Dublin» vorgesehenen Zuständigkeitsregeln auch in die Zusammenarbeit der EU-Staaten mit Norwegen und Island in diesem Bereich einbezogen und entlastet.

1879

Schengen und Dublin Nicht ohne Auswirkungen auf die Migrationsbewegungen sind die visumspolitischen Weichenstellungen. Gegenwärtig stimmt die Schweiz ihre Visumspolitik in autonomer Weise weitgehend auf jene der EU ab. Damit kann sie jedoch nur einen ­ allerdings wesentlichen ­ Nachteil unseres Abseitsstehens von Europa kompensieren: Über die Anerkennung des «Schengen-Visums» in der Schweiz kann die Benachteiligung des schweizerischen Wirtschaftsstandortes und Tourismuslandes vermindert werden. Der Zugriff auf die EU-weite Datenbank zwecks Kontrolle vor der Visumserteilung bleibt jedoch verwehrt.

In Anbetracht der bestehenden Verhältnisse bleibt «Schengen/Dublin» wohl der einzige realistische Aufhänger, wenn eine verstärkte Zusammenarbeit mit der EU in den Bereichen Justiz, Polizei, Asyl und Migration gesucht wird. Der autonome Nachvollzug vermindert den Nachteil einer Assoziierung an «Schengen/Dublin», welcher sich in Form eines institutionellen Ungleichgewichts bei der Weiterentwicklung des Acquis manifestiert, keineswegs, sondern führt vielmehr auf den gänzlichen Verzicht bei der Ausgestaltung des künftigen Acquis. Der autonome Nachvollzug kann zudem weder hinsichtlich der verschiedenen Datenbanken, noch im Bereich der Visa- und Asylpolitik praktiziert werden.

Eine über «Schengen/Dublin» hinausgehende Zusammenarbeit zwischen der Schweiz und der EU mittels eines EU-Beitritts schliesslich steht zurzeit aus innenpolitischen Gründen nicht zur Diskussion.

3.2.5

Auswirkungen des US-Patriot Act auf die Schweiz

Gesetzgeberische Anstrengungen in den USA Seit den Terroranschlägen vom 11. September 2001 steht in den USA die Bekämpfung des Terrorismus im Zentrum auch der gesetzgeberischen Anstrengungen. Der USA-Patriot Act vom 26. Oktober 2001 enthält einerseits zahlreiche Bestimmungen mit polizeilichem Charakter: Darunter fallen die Vereinfachung der elektronischen und telefonischen Überwachung, der verstärkte Schutz der Landesgrenzen zur Unterbindung der illegalen Immigration sowie die Verstärkung der Zusammenarbeit zwischen Polizei und Geheimdiensten. Andere Bestimmungen mit straf- und strafprozessrechtlichem Charakter verschärfen die Strafandrohungen für terroristische Handlungen sowie die Polizeihaft gegenüber Ausländern unter Terrorismusverdacht.

Andererseits umfasst der Patriot Act ein vollständiges Geldwäschereigesetz (Money Laundering Abatement Act). Dieses führt in den USA Regeln ein, welche in zahlreichen anderen Ländern und insbesondere in der Schweiz schon seit längerer Zeit gelten (beispielsweise Verbesserung der Kundenidentifikation sowie stärkere und effizientere Überwachung der Tätigkeiten der Banken und der Wertschriftenhändler).

Neues Geldwäschereigesetz gegen Personen und Organisationen im Ausland Das neue Geldwäschereigesetz geht vom Grundgedanken aus, dass vor allem ausländische Kunden des amerikanischen Bankenwesens ein potenzielles Sicherheitsrisiko darstellen. Die Verschärfung des Instrumentariums richtet sich hauptsächlich gegen Personen und Organisationen mit Wohnsitz im Ausland. Dem 1880

US-Schatzamt wird eine wichtige Rolle in der Umsetzung dieses Gesetzes zukommen: Es wird eine Vielzahl von Verordnungen erlassen müssen, welche das Gesetz konkretisieren.

Keine unmittelbare Auswirkungen auf die Schweiz In Bezug auf die polizeilichen und strafrechtlichen Bestimmungen des USA-Patriot Act sind unmittelbare Auswirkungen auf die Schweiz nicht ersichtlich. Als bedeutender Finanzplatz ist die Schweiz besonders von den neuen Geldwäschereibestimmungen betroffen. Durch die Einführung neuer Anforderungen an die Finanzintermediäre (z. B. Verbesserung der Kundenidentifikation und der Sorgfaltspflichten) sowie die erweiterte Unterstellung des Finanzsektors (z. B. der Wertpapierhändler) unter die Geldwäschereibestimmungen, die in der Schweiz bereits seit längerem eingeführt sind, tragen die USA dazu bei, Lücken im internationalen Antigeldwäscherei-Dispositiv zu schliessen und den Kampf gegen die internationale Finanzkriminalität zu verstärken. Im Gegensatz zur Schweiz war man allerdings in den USA nicht entschlossen, den gesamten Nichtbankenbereich umfassend zu reglementieren.

Die Bestimmungen des USA-Patriot Act richten sich nicht gegen den Finanzplatz Schweiz. Zum einen verfügt der Finanzplatz Schweiz über ein weit gehendes und international anerkanntes Antigeldwäscherei-Dispositiv, zum anderen bestehen bei der internationalen Zusammenarbeit zwischen den amerikanischen und den schweizerischen Strafverfolgungsbehörden die nötigen Instrumente und die nötige Kooperationsbereitschaft für einen effizienten und rechtlich einwandfreien Austausch von relevanten Informationen. Ob die im Gesetz enthaltenen Sanktionsmöglichkeiten die künftigen internationalen Finanzbeziehungen beeinträchtigen werden, hängt wesentlich davon ab, wie die amerikanische Administration mit den gesetzlichen Instrumenten umgehen wird.25

3.3

Internationale polizeiliche Zusammenarbeit

Bestehende enge Zusammenarbeit mit ausländischen Polizeibehörden Die Anschläge vom 11. September 2001 haben neben einer erforderlichen Verstärkung der nationalen Zusammenarbeit auch die Notwendigkeit einer verstärkten internationalen polizeilichen Zusammenarbeit unterstrichen. Dies trifft auch für die internationale Zusammenarbeit zwischen Nachrichten- und Sicherheitsdiensten einerseits und andererseits für die nationale Zusammenarbeit des Inland- und Auslandnachrichtendienstes zu.

Die Schweiz arbeitet bereits heute eng mit den ausländischen Polizeibehörden zusammen. Der Interpol-Kanal wird zur Verbreitung polizeilicher Informationen, für Unterstützungsgesuche, jedoch auch für Rechtshilfeersuchen verwendet. Zur Erleichterung der Strafverfolgung sind in verschiedenen europäischen Ländern sowie in den USA Verbindungspersonen des BAP stationiert. Die Schweiz hat mit allen Nachbarländern bilaterale Abkommen über die polizeiliche Zusammenarbeit abgeschlossen und mit ihnen zusammen eine besonders enge Sicherheitszusammen25

Vgl. dazu: Antwort des Bundesrates vom 8. Mai 2002 auf 02.1012 Einfache Anfrage Rechsteiner Paul, eingereicht 12.03.2002, NR, Patriot Act. Erledigt.

1881

arbeit auf dem Gebiet der grenzüberschreitenden Kriminalitätsbekämpfung vereinbart.

Task Force bei Interpol Im kriminalpolizeilichen Bereich auf globaler Ebene hat Interpol seit den Terroranschlägen vom 11. September eine ständige Task Force eingerichtet. Die Generalversammlung von Interpol hat am 25. September 2001 eine Resolution verabschiedet, welche die Anschläge in den USA verurteilt. Gleichzeitig wurde ein Massnahmenpaket angeregt, wie sich Interpol künftig vermehrt in der Bekämpfung des internationalen Terrorismus engagieren kann. Die Schweiz arbeitet seit Jahren intensiv mit Interpol zusammen. Sie verfolgt die künftige Entwicklung von Interpol bei der angesprochenen Terrorismusbekämpfung und wird, entsprechend den eigenen Prioritäten und Ressourcen im jeweiligen Einzelfall, einen aktiven Beitrag in Arbeitsgruppen oder auf strategischer Ebene leisten.

Terrorbekämpfung höchste Priorität bei Europol Auf europäischer Ebene ist namentlich Europol zu erwähnen. Für das Jahr 2002 hat Europol sein Jahresprogramm dahin gehend ergänzt, dass die Bekämpfung des Terrorismus als eine der höchsten Prioritäten eingestuft worden ist. Zudem erhält Europol ab dem kommenden Jahr operative Befugnisse in dem Sinn, dass die Organisation gemeinsame Ermittlungsteams mit den Mitgliedsstaaten bilden kann. Für die Schweiz ist eine Mitgliedschaft bei Europol nicht möglich, da deren Statuten hierfür die EU-Mitgliedschaft vorsehen. Europol hat jedoch durch den Rat der Justiz- und Innenminister der EU ein Mandat erhalten, mit Drittstaaten ein Kooperationsabkommen zu vereinbaren. Die Schweiz und Europol haben die Verhandlungen hinsichtlich eines Kooperationsabkommens am 18. September 2001 erfolgreich beendet. Es ist vorgesehen, dass das Abkommen nach der Behandlung in den zuständigen EU-Gremien 2002 unterzeichnet wird. Eine Zusammenarbeit mit Europol wird erst nach der Ratifizierung möglich sein.

3.4

Spezielle Formen antiterroristischer Einsätze ziviler und militärischer Art

Terrorismusbekämpfung ist primär eine zivile Aufgabe der Polizei und des Staatsschutzes. Die Armee kann die Behörden ­ wie z. B. beim Botschaftsschutz ­ subsidiär unterstützen, wenn die Mittel von Bund und Kantonen in personeller, materieller oder zeitlicher Hinsicht nicht ausreichen (Artikel 67, Absatz 2 des Militärgesetzes). Sie kann dabei folgende Beiträge zur inneren Sicherheit leisten: Personenschutz, Objektschutz, Schutz von Konferenzen und internationalen Veranstaltungen, Unterstützung des Grenzwachtkorps, Abwehr schwer wiegender Bedrohung der inneren Sicherheit, Wahrung der Lufthoheit und Kontrolle des international definierten Luftrechts.

1882

3.5

Sicherheit im Luftverkehr

Die Schweiz ist Mitglied der Europäischen Zivilluftfahrt-Konferenz (ECAC), die mittlerweile 38 Mitgliedsstaaten zählt und deren Ziel es u. a. ist, in enger Zusammenarbeit mit der Internationalen Zivilluftfahrt-Organisation ICAO die Sicherheit des europäischen Luftverkehrssystems zu gewährleisten. Zu diesem Zweck hat die ECAC ein europäisches Aufsichtsprogramm für Sicherheitsmassnahmen auf Flughäfen entwickelt; dies erfolgte unter aktiver Mitwirkung der Schweiz.

Die Schweiz beteiligt sich an diesem Aufsichtsprogramm sowohl in Inspektionsteams als auch durch das Zulassen von Inspektionen auf schweizerischen Flughäfen.

Damit soll sicher gestellt werden, dass die Vorschriften der ECAC in Dokument 30, ihrem Grundsatzpapier für Sicherheitsfragen, von den Mitgliedsstaaten tatsächlich erfüllt werden.

Angesichts der überwiegenden Bedeutung internationaler Zusammenarbeit gerade im Bereich der Sicherheit der Zivilluftfahrt engagiert sich die Schweiz auch im Rahmen der ICAO, die heute 187 Mitgliedsstaaten zählt. Dadurch konnte sie zahlreiche Projekte massgebend mitprägen, wie insbesondere die Revision von Anhang 17 (Security) zum Übereinkommen von Chicago. Als Reaktion auf die Terroranschläge vom 11. September führte die ICAO am 19./20. Februar 2002 eine Ministerkonferenz über Sicherheitsmassnahmen in der Luftfahrt durch. Dabei wurde die Einführung eines obligatorischen und weltweiten Aufsichtsprogramms über Sicherheitsmassnahmen in der Luftfahrt beschlossen.

Der Bundesrat erklärte am 22. Mai 2002 auf eine entsprechende Motion zum Problem Lufttransport und Terrorismus (Mo 02.3061 CVP vom 14.03.2002)26, dass die Umsetzung der neuen internationalen Richtlinien sowie die langfristige und dem Gefahrenpotenzial angepasste Weiterführung nationaler Sicherheitsmassnahmen (Einsatz von Festungswächtern, Grenzwächtern und Polizeibeamten) ohne zusätzlichen gesetzgeberischen Akt erreicht werden können.

3.6

Internationale Rahmenbedingungen

3.6.1

UNO

Der Kampf gegen den internationalen Terrorismus war schon vor dem 11. September 2001 ein Hauptanliegen unseres Landes. Zwar wurden wir in der Vergangenheit glücklicherweise von terroristischen Anschlägen weitgehend verschont.

Hingegen gilt es in erster Linie zu verhindern, dass unser Land von Terroristen als Durchgangsstation oder logistische Basis missbraucht wird. Das Engagement der Schweiz zeigt sich unter anderem daran, dass zehn der insgesamt zwölf Antiterrorismus-Übereinkommen der UNO bereits ratifiziert und umgesetzt sind. Zudem wurde das Übereinkommen zur Bekämpfung der Finanzierung des Terrorismus von der Schweiz schon am 13. Juni 2001 unterzeichnet.

26

02.3061 ­ Motion Christlichdemokratische Fraktion, Lufttransport und Terrorismus.

Verstärkung der Sicherheit, eingereicht 14.03.2002, NR, Erklärung des Bundesrates 22.05.2002: Der Bundesrat beantragt, die Motion in ein Postulat umzuwandeln; im Plenum noch nicht behandelt.

1883

Im Gefolge der Terroranschläge in den USA hat die Schweiz ihren Willen und die Fähigkeit zur internationalen Zusammenarbeit unter Beweis gestellt. So wurden unter anderem in Umsetzung der Resolutionen des UN-Sicherheitsrates umfangreiche Vermögenswerte eingefroren; es wurde ein intensiver Informationsaustausch und Rechtshilfeverkehr mit ausländischen Behörden an die Hand genommen und ein eigenes Ermittlungsverfahren eröffnet, in dessen Rahmen die dafür eigens eingesetzte Task Force Terror USA umfangreiche Abklärungen trifft.

3.6.2

Europäische Union

Terrorbekämpfung als vorrangiges Ziel der EU In den Mitgliedsstaaten der Europäischen Union wiesen bislang die Rechtsvorschriften zur Bekämpfung des Terrorismus eine erhebliche Bandbreite auf. Im Unionsvertrag wird der Terrorismus jedoch ausdrücklich als Form der Kriminalität genannt, die es auf der Ebene der Europäischen Union durch die Entwicklung eines gemeinsamen Vorgehens im Bereich der polizeilichen und justiziellen Zusammenarbeit in Strafsachen sowie durch die Annäherung der Strafvorschriften der Mitgliedsstaaten zu verhüten und zu bekämpfen gilt.

Nach den Ereignissen vom 11. September 2001 hat der Europäische Rat erklärt, dass die Bekämpfung des Terrorismus eines der vorrangigen Ziele der Europäischen Union sein wird. Am 21. Oktober erklärte der Rat, dass diesbezüglich die Zusammenarbeit zwischen den operativen Dienststellen, die für die Terrorbekämpfung zuständig sind, zu stärken sei, so zum Beispiel Europol, Eurojust, Nachrichtendienste und die Justizbehörden.

Europäischer Haftbefehl Der Europäische Rat beschloss am 21. September 2001, dass ein europäischer Haftbefehl eingeführt und eine gemeinsame Definition des Begriffs Terrorismus angenommen wird. Dieser Haftbefehl soll das derzeitige System der Auslieferung zwischen den Mitgliedsstaaten ersetzen. Mit dem europäischen Haftbefehl wird die Möglichkeit dafür geschaffen, dass eine Justizbehörde eine gesuchte Person direkt einer anderen Justizbehörde überstellt. Gleichzeitig bleiben die Grundrechte und Grundfreiheiten gewahrt.

EU-Aktionsplan zur Terrorismusbekämpfung Mitte April 2002 umfasste der EU-Aktionsplan, über dessen Sachstand die EU-Kommission regelmässig berichtet, folgende erlassene und geplante Massnahmen: ­

Entwurf eines Rahmenbeschlusses über die Vollstreckung von Entscheidungen über die Sicherstellung von Vermögensgegenständen oder Beweismitteln in der EU.

­

Ausbau der Amtshilfe bei der Verhütung und Bekämpfung terroristischer Handlungen durch polizeiliche und justizielle Zusammenarbeit.

­

Verbesserung der Zusammenarbeit zwischen Europol und den US-Strafverfolgungsbehörden.

1884

­

Aushandlung eines Auslieferungs- und Rechtshilfeabkommens zwischen der EU und den USA.

­

Aufnahme einer Terrorismusklausel in alle Abkommen mit Drittländern.

­

Verbesserung der Zusammenarbeit zwischen Europol und Eurojust bei der Terrorismusbekämpfung.

­

Aktualisierung der im Rahmen des Gemeinsamen Standpunkts 2002/931/GASP27 aufgestellten Liste der Personen, Gruppen und Organisationen, die an terroristischen Handlungen beteiligt sind.

­

Beratungen zum Problem des Bioterrorismus im Rahmen der Gruppe Katastrophenschutz, des Militärausschusses und des Ausschusses für die zivilen Aspekte der Krisenbewältigung.

­

Prüfung der Nützlichkeit des Einsatzes des Schengener Informationssystems für die Terrorismusbekämpfung.

­

Intensivierung der Zusammenarbeit mit Russland über die Bekämpfung der (organisierten) Kriminalität im Allgemeinen und über die Terrorismusbekämpfung im Besonderen.

­

Regelmässige Erörterung der Terrorismusbekämpfung im Rahmen der Aussenbeziehungen der Union.

Der spanische Vorsitz hat Anfang April 2002 einen Beschlussentwurf über die verstärkte Zusammenarbeit der Polizei- und Justizbehörden eingebracht, der unter anderem die Einrichtung von justiziellen und polizeilichen Kontaktpunkten in jedem Mitgliedsstaat vorschlägt.

Parallel zu den bestehenden Formen der Zusammenarbeit im Kampf gegen die internationale Kriminalität sind gegenwärtig Gespräche über eine Mitwirkung der Schweiz bei bestimmten Instrumenten der Europäischen Union im Gange (Europol, Schengen).

3.6.3

Rüstungskontroll- und Abrüstungspolitik

Schweiz Mitglied aller wichtigen Abkommen Die Schweiz ist sämtlichen multilateralen Abkommen über Rüstungskontrolle und Abrüstung im Bereich der Massenvernichtungswaffen beigetreten: dem nuklearen Nichtweiterverbreitungsvertrag (NPT), dem nuklearen Teststoppvertrag (CTBT), dem Biologiewaffenübereinkommen (BWÜ) und dem Chemiewaffenübereinkommen (CWÜ). Darüber hinaus beteiligt sie sich an allen multilateralen Vereinbarungen, die der Nichtweiterverbreitung von Massenvernichtungswaffen und deren Technologien dienen: der Vereinbarung von Wassenaar (Dual-use-Güter), dem Raketentechnologie-Kontrollregime, der Australiengruppe (biologischer und chemischer Bereich) und der Gruppe der Nuklearlieferländer. Diese internationalen Rechtsnormen und Vereinbarungen wurden in die nationale Gesetzgebung überführt und durch Verordnungen den praktischen Erfordernissen angepasst.

27

Abl L 344 vom 28.12.2001, S. 90.

1885

Diese internationalen Abkommen und Vereinbarungen richten sich in erster Linie gegen staatliche Akteure. Indirekt sind diese aber auch gegen mögliche terroristische Gruppierungen wirksam, die beabsichtigen könnten, Anschläge mit nichtkonventionellen Mitteln durchzuführen.

Rahmenkredite zur Förderung der Abrüstung und Nonproliferation In Erfüllung der Motion Paupe (SR 0035195s) haben EDA und VBS eine gemeinsame Botschaft vorbereitet, welche einen mehrjährigen Rahmenkredit zur Förderung der Abrüstung und Nonproliferation von Massenvernichtungswaffen vorsieht. Der Schwerpunkt liegt dabei auf der Unterstützung der Vernichtung von Chemiewaffen in der Russischen Föderation. Damit wird auch ein Beitrag zur Verhinderung von terroristischen Anschlägen mit Massenvernichtungswaffen geleistet.

2001 sind in Genf die Verhandlungen über das Protokoll zur Überwachung des Verbots biologischer Waffen (B-Waffen) ohne Ergebnis zu Ende gegangen; die Verhandlungen wurden bis zum September 2002 ausgesetzt. Gescheitert waren die Verhandlungen schon Ende Juli, als die USA erklärten, dass ein solches Abkommen völlig inakzeptabel sei, weil es die nationale Sicherheit der USA gefährde. Die Schweiz hatte sich mit Genf um den Sitz der vorgesehenen neuen Organisation zur Überwachung der Einhaltung des B-Waffen-Übereinkommens beworben.

4

Ergriffene oder beabsichtigte Massnahmen

4.1

Präventive Massnahmen im Bereich der inneren Sicherheit

4.1.1

Befristetes Verbot der Al Qaïda und erweiterte Auskunftspflichten

Der Bundesrat hat gestützt auf Artikel 184 und 185 der Bundesverfassung am 7. November 2001 die Al Qaïda sowie deren allfälligen Nachfolge- oder Hilfsorganisationen verboten. Das Verbot bezieht sich auch auf Tarn- oder Nachfolgegruppierungen sowie Organisationen oder Gruppierungen, welche in Führung, Zielsetzung und Mitteln mit der Al Qaïda übereinstimmen oder in ihrem Auftrag handeln.

Das Verbot hat vor allem präventive Wirkung und ist bis zum 31. Dezember 2003 befristet.

Ebenfalls mit Beschluss vom 7. November 2001 machte der Bundesrat zudem von seiner Kompetenz gemäss Art. 13 Abs. 3 BWIS Gebrauch und erweiterte in Form einer bis zum 31. Dezember 2002 befristeten Verordnung die Auskunftspflichten von Behörden und Organisationen, die öffentliche Aufgaben erfüllen. Er räumte ihnen zusätzlich ein Melderecht ein. Damit soll die präventive Beschaffung von Informationen verbessert werden. Zusätzliche Informationen sind namentlich nötig, um Angehörige und Strukturen von Terrororganisationen in der Schweiz ausfindig zu machen.

1886

4.1.2

Überprüfung der Rechtssetzung des präventiven Staatsschutzes

Zusätzliche Aktualität seit dem 11. September 2001 Mit der Überprüfung der Rechtssetzung im Bereich der inneren Sicherheit wurde schon im Herbst 2000 im Zusammenhang mit Massnahmen gegen den Rechtsextremismus begonnen. Im Bereich Rassismus/Hooliganismus sollen im Laufe 2002 eine Vernehmlassungsvorlage über entsprechend neue Straftatbestände (rassendiskriminierende Kennzeichen oder Gründung rassendiskriminierender Vereinigungen) und Rechtsgrundlagen für die Beschlagnahme entsprechenden Propagandamaterials erstellt werden.

Nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 gewann die Frage präventiver Staatsschutzmassnahmen an Bedeutung und Dringlichkeit. Zahlreiche Staaten revidierten oder revidieren ihre Gesetzgebung in Bezug auf die Terrorbekämpfung und schnüren auch finanziell und personell bedeutende Pakete zur Verstärkung der zuständigen Dienste und Massnahmen.

In den Regelungsbereichen des präventiven Staatsschutzes des BWIS besteht aufgrund dieser Überprüfung Analyse-, Handlungs- bzw. Überprüfungsbedarf in folgenden Gebieten: ­

grundsätzliche Umschreibung der Aufgabengebiete des Staatsschutzes,

­

Informationsbeschaffung (u.a. Mittel der präventiven Post- und Fernmeldeüberwachung, technische Überwachung und Nutzung von Tarnidentitäten und Tarnstrukturen analog im strafprozessualen Bereich),

­

Informationsbearbeitung (Umfang der Bearbeitung besonders schützenswerter Personendaten z. B. im Grenzbereich von religiös motiviertem Extremismus),

­

aktive Massnahmen (Fernhalte- und Ausweisungsmassnahmen, Organisations- und Tätigkeitsverbote),

­

Lagedarstellung (Datenbearbeitungskompetenzen des Bundeslagezentrums).

Beachtung rechtsstaatlicher und freiheitlicher Grundsätze Bei diesen Vorschlägen zur Ergänzung der gesetzlichen Grundlagen im Bereich der inneren Sicherheit ist festzuhalten, dass sich allfällige neue Massnahmen in den Rahmen der bestehenden rechtsstaatlichen und freiheitlichen Grundsätzen der Schweiz einreihen müssen. Die Güterabwägung zu den staatlichen Eingriffen in Freiheits- und Persönlichkeitsrechte haben nicht nur den Eingriff für die Betroffenen zu berücksichtigen, sondern auch die Gefahr der Verletzung dieser Rechte durch Terrorismus und Extremismus. Es versteht sich von selbst, dass besonders eingreifende Massnahmen von besonderen Anforderungen für deren Anordnung und besonderen Aufsichts- und Kontrollmassnahmen flankiert werden müssten.

1887

4.1.3

Fremdenpolizeiliche Massnahmen

Die Vertretungen im Ausland, die Grenzübergänge und die kantonalen Fremdenpolizeibehörden sind angewiesen worden, der Echtheit und dem rechtmässigen Besitz von Reisedokumenten besonderes Augenmerk zu schenken.

Das Bundesamt für Ausländerfragen (BFA) hat zur wirksamen Verhütung von Fälschungen vor kurzem eine neue Visumsvignette eingeführt. Es wurde ein System für die Elektronische Visum-Ausstellung (EVA) entwickelt. Zurzeit sind etwa 70 Vertretungen und beinahe alle Grenzübergänge angeschlossen. Bis Ende Jahr sollen zusätzliche 25 bis 30 Vertretungen dazu kommen (4 Vertretungen in Spanien/Portugal; 5 Vertretungen in Afrika; Teheran [Juni 2002], Abu Dhabi, Dubai, Riad, Jeddah, Kuwait; Tirana, Skopje, Tiflis, Ljubljana; Dhaka, Islmabad, Karachi; evtl.

Tunis, Beirut, Damaskus, Tripolis; St. Domingo und Port-au-Prince). Im Jahr 2003 schliesslich sollen dann noch 30 Vertretungen angeschlossen werden (vor allem die Vertretungen in den USA und Kanada). Durch dieses System wird der Informationsaustausch erheblich erleichtert.

Die Grenzübergänge haben den Auftrag erhalten, die Einreisekontrollen aus Gründen der Sicherheits­ und Migrationspolitik zu verschärfen, die Vertretungen im Ausland die geltenden Weisungen auf restriktive Art und Weise zu handhaben.

4.2

Massnahmen in der Strafverfolgung

4.2.1

Ermittlungsverfahren und Rechtshilfeersuchen nach dem 11. September 2001

Am 15. September 2001 hat die Bundesanwaltschaft ein gerichtspolizeiliches Ermittlungsverfahren eingeleitet, um mögliche Verbindungen zwischen in der Schweiz vorgefallenen Tatbeständen und den in den Vereinigten Staaten verübten Terroranschlägen aufzudecken. Die Schweiz hat die im Rahmen eines von den Vereinigten Staaten eingereichten Rechtshilfeersuchens angeforderten Angaben rasch zur Verfügung gestellt und die verlangten Untersuchungshandlungen eingeleitet.

Die Schweiz reichte bei den amerikanischen Behörden überdies ihrerseits Rechtshilfeersuchen ein.

Im Bundesamt für Polizei (BAP) ist ein Sonderstab (Task Force Terror USA) eingesetzt worden, und zwar einerseits zur Koordination der in der Schweiz eingeleiteten Strafuntersuchung und andererseits zur Sicherstellung der Zusammenarbeit mit den ausländischen Behörden. Parallel dazu ist eine departementsübergreifende Arbeitsgruppe Terrorismus unter Federführung des EDA eingesetzt worden. Diese Gruppe hat namentlich die Vereinbarkeit der schweizerischen Rechtsordnung mit der Resolution 1373 des Sicherheitsrats untersucht.

1888

4.2.2

Revision des Strafgesetzbuches

Neue Terrorismusstrafnorm und eigenständige Strafnorm der Terrorismusfinanzierung Im Zentrum der vorgeschlagenen Strafrechtsrevision steht eine neue, allgemeine Terrorismusstrafnorm (Art. 260quinquies E-StGB) sowie eine eigenständige Strafnorm der Terrorismusfinanzierung (Art. 260sexies E-StGB). Sodann soll die Bestimmung über die Verantwortlichkeit des Unternehmens, die von den Räten im Rahmen der Revision des Allgemeinen Teils des StGB materiell bereits bereinigt worden ist, von jener Vorlage in die vorliegende Revision übergeführt werden. Dabei wird diese Bestimmung um die neuen Strafnormen der Artikel 260quinquies und 260sexies E-StGB als Anlasstaten für die primäre Haftung des Unternehmens ergänzt. Verfolgung und Beurteilung von Terrorismus und Terrorismusfinanzierung werden künftig nach Massgabe von Artikel 340bis StGB der Bundesgerichtsbarkeit unterstellt.

Mit dem allgemeinen Terrorismustatbestand des Entwurfs wird ermöglicht, das spezifische Unrecht von Terroranschlägen mit strengerer Strafe abzugelten. Die Strafnorm kommt dann zum Zug, wenn der Täter ein Gewaltverbrechen begeht, um eine Bevölkerungsgruppe einzuschüchtern oder einen Staat oder eine internationale Organisation zu nötigen. Die Terrorismusfinanzierung knüpft an diese Definition an und bestraft diejenigen, die in der Absicht, ein solcherart qualifiziertes Verbrechen zu finanzieren, Vermögenswerte sammeln oder zur Verfügung stellen.

Die vorgeschlagenen neuen Strafnormen ermöglichen es auf der einen Seite, Lücken bei der Erfassung von Terrorismus und dessen Unterstützung zu schliessen und den Anforderungen des Übereinkommens gegen die Terrorismusfinanzierung vollumfänglich zu entsprechen. Auf der anderen Seite wird namentlich durch das Erfordernis des absichtlichen Handelns und die Beschränkung auf Gewaltverbrechen sichergestellt, dass kein Risiko einer zu weit gehenden und ungewollten Pönalisierung besteht.

4.2.3

Anpassung weiterer Bundesgesetze

Bundesgesetz betreffend die Überwachung des Post- und Fernmeldeverkehrs Beim Erlass des Bundesgesetzes betreffend die Überwachung des Post- und Fernmeldeverkehrs (BÜPF) vom 6. Oktober 2000 (Botschaft des Bundesrates vom 1. Juli 1998, BBl 1998 4241) wurde nicht darauf geachtet, den Deliktskatalog auch den laufenden Revisionen des Strafgesetzes anzupassen. Die Lücken betreffen überdies auch das Waffen- und Korruptionsstrafrecht. Das BÜPF trat am 1. Januar 2002 in Kraft. Der Bundesrat hat schon im Zusammenhang mit Massnahmen gegen den Rechtsextremismus mit Beschluss vom 2. Oktober 2000 dem EJPD den Auftrag erteilt, den Straftatenkatalog des BÜPF zu prüfen und konkrete Vorschläge zu unterbreiten.

Der Deliktskatalog soll im Rahmen der geplanten Anpassung des Strafgesetzbuches zu Terrorismus und Finanzierung des Terrorismus zusätzlich noch mit den Tatbeständen Völkermord, Rassendiskriminierung, Korruption, öffentliche Aufforderung zu Verbrechen oder zu Gewalttätigkeiten ergänzt werden.

1889

Diese Anpassungen wären ein wichtiger Bestandteil einer effizienten Extremismusund Terrorismusbekämpfung.

Bundesgesetz über die kriminalpolizeilichen Zentralstellen und Geldwäschereigesetz Die Anpassung des Strafgesetzbuches zu Terrorismus und Finanzierung des Terrorismus macht auch entsprechende Änderungen des Bundesgesetzes über kriminalpolizeiliche Zentralstellen des Bundes sowie des Bundesgesetzes zur Bekämpfung der Geldwäscherei im Finanzsektor notwendig. Hier soll dementsprechend bei den Verdachtsgründen auch die Mitwirkung bei terroristischen Organisationen aufgenommen werden.

4.2.4

Bundesgesetz über die verdeckte Ermittlung

Das EJPD hat bereits 1995 einen Vorentwurf für ein Bundesgesetz über die verdeckte Ermittlung (BVE) vorgelegt. 1998 folgte die Botschaft zu diesem Gesetz, in dem die entsprechenden Polizeimethoden als unverzichtbar dargestellt wurden. Dazu hat die Rechtskommission des Nationalrats einen Gegenentwurf ausgearbeitet.

Dem Entwurf der Rechtskommission wurde am 11. Dezember 2001 im Nationalrat zugestimmt. Der Gesetzesentwurf wird im Sommer 2002 von den ständerätlichen Gremien beraten. Erste Anpassungen wurden durch die Rechtskommission des Ständerates am 23. Mai vorgenommen. Bei der verdeckten Ermittlung werden Polizeibeamte mit einer eigenen «Legende» ausgestattet und ins kriminelle Milieu eingeschleust. Dort sollen sie Fakten ermitteln, die dazu beitragen, besonders schwere Straftaten aufzuklären. Da die bewusste Täuschung mutmasslicher Delinquenten rechtsstaatlich nicht unbedenklich ist, muss der Einsatz von V-Leuten einer richterlichen Genehmigung unterstellt werden. Offen ist noch, ob das Gesetz aufzählen soll, bei welchen Delikten überhaupt verdeckt ermittelt werden darf (Deliktskatalog).

4.2.5

Revision Waffengesetz

Aufgrund der schon vor dem 11. September 2001 festgestellten Lücken soll das Waffengesetz in folgenden Punkten revidiert werden: Neuerungen betreffen die verbesserte Kontrolle des Waffenhandels, vor allem im Bereich des Privathandels, die Unterstellung von Soft-Air-Guns und anderer Imitationswaffen unter das Waffengesetz, die Ausgliederung der Messer (mit einigen Ausnahmen) aus dem Waffengesetz, die Erfassung missbräuchlich getragener gefährlicher Gegenstände, die Schaffung einer zentralen Schusswaffenspuren-Auswertung, die Einführung eines Besitzverbots für besonders gefährliche Waffen, das Verbot des anonymen Anbietens von Waffen, die Einführung einer Markierungspflicht für Feuerwaffen und die Ergänzung der Strafbestimmungen.

1890

4.2.6

Internationale organisierte Kriminalität, Cyberkriminalität

Wie bereits erwähnt, sind verschiedene Rechtssetzungsprojekte in Arbeit, eine weitere Verstärkung der internationalen Zusammenarbeit wird angestrebt. Speziell der mit der Effizienzvorlage verbundene Ausbau von Bundesanwaltschaft, BAP und Bundesgericht sollte mittelfristig zu einer Verbesserung der Strafverfolgung bei komplexen Verfahren in den Bereichen organisierte Kriminalität (OK) und Wirtschaftskriminalität führen. Bei der Rekrutierung sollen je nach Verlauf und Erfahrung im Sinne einer rollenden Planung Anpassungen vorgenommen werden.

Eine spezielle Problematik stellt sich in jenen Kriminalitätsbereichen, in denen der Bund nicht oder nur in Ausnahmefällen über Ermittlungskompetenzen verfügt, die aber ebenfalls starke internationale Bezüge und Vernetzungen aufweisen können.

Konkret sind hier die Cyberkriminalität generell zu nennen, Pädophilie auf dem Internet als eine Form der Cyberkriminalität, aber auch Menschenhandel und Menschenschmuggel, wo Bundeskompetenz ebenfalls nicht immer gegeben ist. Hier will das EJPD mit zwei neuen im BAP angesiedelten Koordinationsstellen zu einer verbesserten Prävention und Strafverfolgung sowohl im nationalen als auch im internationalen Rahmen beitragen.

Koordinationsstelle zur Bekämpfung der Internetkriminalität (KOBIK) Auf den 1. Januar 2003 wird gemeinsam mit den Kantonen eine nationale Koordinationsstelle zur effizienteren Bekämpfung der Internet-Kriminalität geschaffen. Dazu hat der Bundesrat bereits neue Stellen im BAP bewilligt. Mit der neuen Koordinationsstelle wird das Internet-Monitoring wieder aufgenommen und ein einheitlicher Ansprechpartner für das Ausland geschaffen. An den bestehenden Ermittlungskompetenzen des Bundes oder der Kantone ändert sich mit der Einrichtung der Koordinationsstelle nichts. Zu den Aufgaben der Koordinationsstelle gehören: ­

Erkennen von strafbaren Missbräuchen des Internets (Monitoring),

­

Koordination der Ermittlungen (Clearing),

­

national angelegte Analysen der Internet-Kriminalität.

Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter werden von spezifischen Computerprogrammen unterstützt. Für den Betrieb der nationalen Koordinationsstelle werden neun zusätzliche Stellen geschaffen. Zwei Drittel der Kosten werden von den Kantonen übernommen.

Koordinationsstelle Menschenschmuggel Menschenhandel (KS MM) Sofern die Finanzen es zulassen, sollen noch auf Ende 2002 oder auf Anfang 2003 erste Stellen für die Schaffung einer Koordinationsstelle Menschenschmuggel Menschenhandel (KS MM) geschaffen werden. Diese im BAP angesiedelte Stelle soll folgenden Zielen dienen: ­

Intensivierung und Koordinierung der internationalen Zusammenarbeit im Bereich Menschenschmuggel und Menschenhandel,

­

Schaffung einer Kontaktstelle für die nationale und internationale Zusammenarbeit im Bereich der Bekämpfung der Schleusungskriminalität und des Menschenhandels,

1891

­

Koordinierung und soweit nötig Zentralisierung des Nachrichten- und Informationswesens in diesen Bereichen, Sicherstellung und Verbesserung der Analyse,

­

Koordinierung der Massnahmen der zuständigen Dienststellen des Bundes und der Kantone,

­

Aufbereitung der notwendigen politischen Entscheidgrundlagen.

Die Schaffung dieser Zentralstelle ist insbesondere notwendig zur Umsetzung der Zusatzprotokolle gegen Menschenschmuggel und Menschenhandel zum UNOÜbereinkommen gegen transnationale OK. Der Bundesrat hat im Januar 2002 diese Zusatzprotokolle genehmigt und die Ermächtigung zur Unterzeichnung erteilt. Für die Umsetzung des Zusatzprotokolls gegen Menschenhandel ist auch eine Anpassung des Straftatbestandes des Menschenhandels gemäss Artikel 196 Strafgesetzbuch notwendig. Die Überprüfung bzw. Anpassung der Gesetzgebung ist bereits an die Hand genommen worden.

4.3

Wirtschaftliche Sanktionsmassnahmen

UN-Sanktionen Die Schweiz hat die nach dem 11. September 2001 gefällten Entscheide des Sanktionsausschusses des UN-Sicherheitsrats betreffend Afghanistan systematisch umgesetzt: Es handelt sich dabei um die Einfrierung von Vermögenswerten von natürlichen und juristischen Personen, die mit terroristischen Gruppierungen und Organisationen in Beziehung stehen. Auf rund 70 Bankkonten wurden insgesamt etwa 40 Millionen Schweizer Franken eingefroren.

Überdies haben die zuständigen schweizerischen Behörden sämtlichen Finanzintermediären die Listen mit den Namen der natürlichen und juristischen Personen übermittelt, die ihnen von den amerikanischen Behörden zugestellt wurden. Die Finanzintermediäre wurden an ihre Sorgfaltspflicht, besonders auf dem Gebiet der Geldwäscherei, erinnert. 95 Meldungen, die in direktem Zusammenhang zu den Terrorattacken in den USA standen, wurden von der Meldestelle für Geldwäscherei (MROS) an die Bundesanwaltschaft weitergeleitet28.

FATF Nach den Ereignissen vom 11. September 2001 hat die Schweiz die Übernahme acht spezifischer Zusatzempfehlungen der FATF zur Terrorismusbekämpfung unterstützt und sich verpflichtet, sie bis Juni 2002 umzusetzen. Diese acht Empfehlungen beziehen sich unter anderem auf die Problematik der Kriminalisierung der Terrorismusfinanzierung, alternativer Formen der Geldüberweisung oder der Non-ProfitOrganisationen. Der diesbezügliche schweizerische Massnahmenkatalog ist bereits weitgehend kompatibel.

28

Vgl. 4. Jahresbericht der Meldestelle für Geldwäscherei, Mai 2002.

1892

4.4

Internationale Zusammenarbeit

4.4.1

Ratifizierung der UNO-Übereinkommen

Der UNO-Sicherheitsrat forderte mit der Resolution Nr. 1373 vom 28. September 2001 sämtliche Staaten auf, spezifische Massnahmen zur Bekämpfung des internationalen Terrorismus zu ergreifen. Zudem wurden die Staaten ersucht, dem für die Überwachung der Einhaltung der Resolution zuständigen Ausschuss einen Bericht über die von ihnen ergriffenen Massnahmen vorzulegen. Am 7. November 2001 betraute der Bundesrat das EDA mit der Koordination dieses Berichts. An seiner Sitzung vom 19. Dezember 2001 hat der Bundesrat den Bericht über die von der Schweiz ergriffenen Massnahmen zur Bekämpfung des Terrorismus und seiner Finanzierung genehmigt und dem UN-Sicherheitsrat übermittelt. In einem ersten Teil wird das Engagement der Schweiz gegen Terrorismus dargelegt. In einem zweiten Teil werden diejenigen Mittel aufgelistet, über welche die Schweiz zur Erfüllung der Forderungen des Sicherheitsrats in der Terrorismusbekämpfung verfügt, und die Massnahmen, die sie in diesem Zusammenhang ergriffen hat oder zu ergreifen gedenkt.29 Der Bundesrat hat sich zum Ziel gesetzt, im Laufe des Jahres 2002 den Übereinkommen zur Unterdrückung terroristischer Bombenanschläge und gegen die Finanzierung terroristischer Aktivitäten beizutreten. Mit der Ratifizierung dieser beiden Konventionen wird die Schweiz Partei sämtlicher UNO-Übereinkünfte in Verbindung mit der Terrorismusbekämpfung sein.

4.4.2

Bekämpfung der tieferen Ursachen im Rahmen von Europarat und OSZE

Die dauerhafte Beseitigung der tieferen Ursachen des Terrorismus ist ein besonderes Anliegen, das im Rahmen von Europarat und der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) verfolgt wird. Die Entwicklungszusammenarbeit, der Kampf gegen das organisierte Verbrechen (zum Beispiel Menschen-, Drogen- und Waffenhandel) und die Achtung der Menschenrechte, des Rechtsstaates und der Demokratie tragen zu einem Klima der Stabilität und der Sicherheit bei.

Ebenso wichtig ist es, dass der Terrorismus unter Achtung der Menschenrechte und des humanitären Völkerrechtes bekämpft wird. Der Europarat und die OSZE wollen darin besonders nach dem 11. September eine wesentliche Rolle wahrnehmen.

Koordination der Instrumente des Europarats Die Schweiz unterstützt die Arbeit des Europarats auf dem Gebiet der Terrorismusbekämpfung und nimmt daran aktiv teil. Sie präsidiert die Sondergruppe des Leitungsausschusses für die Menschenrechte, die mit der Ausarbeitung von Richtlinien betraut ist, die den Mitgliedsstaaten im Kampf gegen Bewegungen behilflich sein sollen, die für die Grundwerte und -prinzipien des Europarats eine Bedrohung darstellen. Daneben ist sie auch Mitglied der multidisziplinären Gruppe betreffend den

29

Vgl. www.eda.admin.ch/fighting-terrorism; 01.1148 ­ Einfache Anfrage Gross Andreas, eingereicht 14.12.2001, NR, Die Schweiz und die UNO-Resolution Nr. 1373, Antwort des Bundesrates 13.02.2002, erledigt.

1893

Terrorismus, deren Auftrag namentlich darin besteht, die Kohärenz der durch die verschiedenen Organe des Europarats im Bereich der Terrorismusbekämpfung durchgeführten Arbeiten sicherzustellen und zu ermitteln, in welchem Umfang die Instrumente des Europarats auf diesem Gebiet auf den neuesten Stand zu bringen sind.

Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit (OSZE) Die Schweiz nahm an der Ausarbeitung des Aktionsplans für die Terrorismusbekämpfung teil, der am 4. Dezember 2001 vom Ministerrat der OSZE in Bukarest verabschiedet wurde und die Verwendung der Instrumente dieser Organisation für den Kampf gegen die tieferen Ursachen des Terrorismus bezweckt. Die Konferenz von Bishkek im Dezember 2001, an der die Schweiz ebenfalls teilnahm, bot erstmals Gelegenheit, diesen Aktionsplan auf eine regionale Ebene zu übertragen.

Der Bukarest-Aktionsplan, den 55 Staaten unterzeichnet haben, möchte in Zusammenarbeit mit der UNO bei der Koordination der weltweiten und regionalen Bemühungen gegen den Terrorismus mithelfen. Die Schweiz unterstützt diese Bemühungen. Ihre Schwerpunkte sind dabei die Implementierung des Verhaltenskodex über politisch-militärische Aspekte der Sicherheit sowie des Dokuments über kleine und leichte Waffen.

4.4.3

Euro-Atlantische Partnerschaft

Der Euro-Atlantische Partnerschaftsrat (EAPC), das beratende Gremium der von der NATO und 27 Partnerstaaten getragenen Partnerschaft für den Frieden (PfP), richtete seit dem 11. September 2001 sein Tätigkeitsprogramm unter anderem auch an der Thematik der Terrorismusbekämpfung aus. Die EAPC-Botschafter gaben am 12. September 2001 eine Solidaritätserklärung mit den USA ab und hielten fest, der EAPC solle als Rahmen für den Informationsaustausch und für die Koordination praktischer Aktivitäten genutzt werden. Die internationale Bekämpfung des Terrorismus wurde an allen Botschaftertreffen, am PfP-Planungssymposium (Januar 2002), insbesondere aber an einem EAPC-Seminar in Warschau (Februar 2002) thematisiert. Dabei wurde die Überzeugung geäussert, dass die Reaktion auf den Terrorismus ein neues Zusammengehen von Sicherheitskräften sowohl aus dem militärischen wie auch ­ und vor allem ­ aus dem zivilen Bereich notwendig mache.

Entsprechend wurden neue Organisationsformen gefordert. Das Kapitel «International Fight Against Terrorism» im EAPC-Aktionsplan 2002 bis 2004 wurde substanziell erweitert. Dieses Kapitel sieht unter anderem die Einsetzung von Zusammenarbeitsprogrammen zwischen den Mitgliedsstaaten zur Verstärkung ihrer Kapazitäten für die Verhütung und Bekämpfung chemischer, biologischer und atomarer Anschläge gegen die Zivilbevölkerung vor. Das Warschauer Seminar ging auf ein finnisch-schwedisches Diskussionspapier «EAPC and Terrorism» zurück und brachte eine Vielzahl von Vorschlägen auf den Tisch, die u.a. Inventarisierung von Gesetzestexten, Informationsaustausch, Proliferation von Massenvernichtungswaffen und Terrorismus sowie Zusammenarbeit in der zivilen Notfallplanung umfassen.

Im Rahmen der zivilen Notfallplanung im EAPC wurde ein Aktionsplan zur Verbesserung des zivilen Vorbereitungsstandes gegen mögliche ABC-Anschläge verabschiedet. Die Euro-Atlantische Koordinierungszentrale für Katastrophenhilfe hat 1894

Zugang zu diesem Inventar und könnte als «Clearing House» zur Koordination von Unterstützungsleistungen dienen.

Die Terrorismusbedrohung wurde auch im Rahmen der Konferenz der Nationalen Rüstungsdirektoren, der Forschungs- und Technologieorganisation, des Wirtschaftskomitees und des Wissenschaftskomitees aufgegriffen.

Den EAPC-Aussen- und Verteidigungsministern wurde anlässlich der Frühjahrstreffen im Mai und Juni 2002 ein Tätigkeitsbericht vorgelegt. Unter Vermeidung von Doppelspurigkeiten sollen nun die vorliegenden Ideen weiter bearbeitet werden.

Es ist die Absicht, dem NATO/EAPC-Gipfel vom November in Prag einen Partnerschaftsaktionsplan gegen den Terrorismus zu unterbreiten.

4.4.4

Abrüstung und Nonproliferation

Die Schweiz misst der Bekämpfung der unkontrollierten Verbreitung und des Missbrauchs leichter Waffen grosse Bedeutung zu. Die Schweizer Behörden ergreifen die nötigen Massnahmen zur Umsetzung des entsprechenden Aktionsprogramms der UNO und des diesbezüglichen OSZE-Dokuments. Sie unterstützen die Durchführung dieser Massnahmen auf regionaler und internationaler Ebene. Darüber hinaus haben die Schweiz und Frankreich eine Initiative zur Rückverfolgbarkeit, Markierung und Registrierung leichter Waffen lanciert.

Die Schweiz plant, zu den internationalen Bemühungen um eine Förderung der Chemiewaffenabrüstung in Russland beizutragen. Die in Erfüllung der Motion Paupe (SR 00.3519s) vorbereitete Botschaft stellt dieses Vorhaben in den Kontext der schweizerischen Rüstungskontroll- und Abrüstungspolitik. Die Botschaft sieht Finanzierungsbeiträge für die Unterstützung der weltweiten Abrüstung und Nonproliferation von Massenvernichtungswaffen vor. Ziel der Botschaft ist es u.a., zu verhindern, dass Massenvernichtungswaffen oder das für deren Herstellung relevante Wissen in die Hände von Terroristen geraten.

Die Schweiz stellt der Organisation für das Verbot chemischer Waffen chemisches Schutz- und Erkennungsmaterial zur Verfügung. Im Rahmen der 5. Revisionskonferenz des Chemiewaffenübereinkommens schlug die Schweiz eine Ausweitung der Rechtshilfe vor.

Schliesslich unterstützte die Schweiz die Veröffentlichung des Werks «Public health response to biological and chemical weapons» durch die Weltgesundheitsorganisation (WHO). Sie gewährte der WHO finanzielle Unterstützung in Hinblick auf die Wiedereinsetzung von Task Forces, die in der Lage sind, die bei militärischen oder terroristischen Vorkommnissen verwendeten biologischen Wirkstoffe rasch zu identifizieren.

1895

4.5

Schutz diplomatischer Vertretungen und Luftsicherheit

Einsatz von Armeeformationen Im Nachgang der Ereignisse vom 11. September 2001 und der amerikanischen Intervention in Afghanistan waren die diplomatischen Vertretungen und Einrichtungen der USA und der beteiligten Länder einer erhöhten Bedrohung ausgesetzt.

Deshalb sind vom Bund vorsorgliche Schutzmassnahmen angeordnet worden. Ende Oktober 2001 beschloss der Bundesrat, die Gesuche der Kantone Genf und der Stadt Bern um die subsidiäre Unterstützung ihrer Polizeikräfte in der Bewachungsaufgabe durch Angehörige des Festungswachtkorps (FWK) zu bewilligen. Am 21. November stellte der Kanton Bern ein erneutes Begehren um zusätzliche Unterstützung seiner Polizeiformationen in der Stadt Bern durch das FWK bzw. um Anordnung eines Assistenzdienstes. Weil aber erstens die Durchhaltefähigkeit des FWK über eine längere Zeit nicht gewährleistet hätte werden können und zweitens die Einsatzreserve des Bundes zur Wahrung der Handlungsfreiheit gebunden worden wäre, beschloss der Bundesrat am 7. Dezember 2001, den Einsatz von Armeeformationen im Assistenzdienst, beginnend ab dem 17. Dezember 2001. Am 13. Februar 2002 hat der Bundesrat beschlossen, dass der Einsatz der Armee bis längstens Ende Juni 2003 dauert.

Gestützt wurde der Einsatz auf Artikel 67 des Militärgesetzes.

Dem Bundesbeschluss über den Einsatz der Armee zum Schutz ausländischer Vertretungen bis längstens zum 30. Juni 2003 haben am 11. März 2002 der Nationalrat und am 13. März der Ständerat zugestimmt (BBl 2002 2801).

In der Zwischenzeit kann davon ausgegangen werden, dass diese Sicherheitsmassnahmen noch über längere Zeit aufrechterhalten werden müssen.

Mehr Polizeikräfte für die Botschaftsbewachung und Luftsicherheit Im Rahmen der Behandlung der Empfehlungen der Projektleitung USIS (Überprüfung des Systems der Inneren Sicherheit der Schweiz) beschloss der Bundesrat am 25. Oktober 2001 als Sofortmassnahme die Aufstockung der Personalbestände für Botschaftsbewachungen in Genf (um 15 Einheiten) und in Bern (um 30 Einheiten) für das Jahr 2002 mit anschliessender sukzessiver Verstärkung bis zum Endbestand von 80 (Bern) bzw. 120 (Genf) sowie im Bereich der Sicherheit im Luftverkehr den Abschluss von Leistungsvereinbarungen mit jenen Kantonen, die dazu bereit sind.

4.6

Schutzkonzepte gegen nonkonventionelle Waffen

Massnahmenkonzepte für ABC-Ereignisse Nach den Anthrax-Fällen gab es in der Schweiz über 1000 mutmassliche AnthraxDrohungen (wovon in 200 Fällen eine Intervention als nötig erachtet worden ist) ­ alle erwiesen sich jedoch als Fehlalarme. In der Folge wurden in der Schweiz verschiedene Schutzmassnahmen ergriffen, u.a. der Kauf von 3,5 Millionen Dosen Pockenimpfstoff.

1896

Konzepte für ein effizientes Management im Falle eines ABC-Ereignisses (und somit auch eines Anschlags mit CBR-Substanzen) liegen vor. Verschiedene Fachkommissionen prüfen und treffen nötigenfalls die zum Schutz der Bevölkerung nötigen Massnahmen.

Aufgrund der zu erwartenden psychologischen und medialen Auswirkungen eines terroristischen Anschlags mit CBR-Substanzen (aber auch eines ABC-Ereignisses) ist die Notwendigkeit der Ausarbeitung einer entsprechenden klaren Kommunikationsstrategie erkannt worden.

Einberufung einer Fachkommission im B-Bereich Als Reaktion auf die aktuell erhöhte Bedrohungslage im B-Bereich ist eine Fachkommission einberufen worden, der Schlüsselpersonen aus Bund und Kantonen und die führenden Fachexperten des Landes angehören. Unter der Koordination dieser Fachgruppe erarbeiteten und verbreiteten das Bundesamt für Gesundheit (BAG) und das Labor Spiez in Zusammenarbeit mit der Kantonsärzte-Vereinigung und dem BAP ein Informationsblatt für die Bevölkerung sowie verschiedene Empfehlungen für die Kantone. Im Auftrag des Bundesrats hat die Fachkommission dafür zu sorgen, dass genügend Impfstoffe verfügbar sind; sie prüft zudem regelmässig die Frage von Impfungen für hoch exponiertes Fachpersonal oder die Gesamtbevölkerung.

Auch in den Kantonen beraten Fachleute die zuständigen politischen Behörden und Krisenstäbe beispielsweise über Massnahmen zur Prävention, Information und Intervention. Speziell für die Laboratorien besteht ein umfassendes Kontrollregime; insbesondere ist der Umgang mit Anthrax in der Schweiz streng reglementiert und kontrolliert.

5

Anhang: Vorstösse

5.1

Ständerat 01.3569 Motion Merz Nachrichtendienste und Staatsschutz optimieren

Wortlaut der Motion vom 4. Oktober 2001 1.

Der Bundesrat wird beauftragt, die Nachrichtendienste und den Staatsschutz auszubauen und eine Teilrevision des Bundesgesetzes über Massnahmen zur Wahrung der inneren Sicherheit und des Militärgesetzes bzw. anderer betroffener Erlasse einzuleiten. Namentlich in folgenden Bereichen sind Änderungen vorzuschlagen: ­ Informationsbeschaffung (strategische elektronische Aufklärung, Vorverlagerung Beschaffungsschwelle, Ausbau der Fernmelde- und Postüberwachung, Eindringen in fremde EDV-Systeme usw.); ­ Einsatz verdeckter Ermittler; ­ Informations- und Datenverarbeitung (Aufbewahrung, Weitergabe an Dritte); ­ Ausbau und Verstärkung der parlamentarischen Kontrolle (beispielsweise analog der Bundesrepublik Deutschland); ­ Schaffung eines Straftatbestandes der Zugehörigkeit zu einer terroristischen Organisation.

1897

2.

Der Bundesrat wird beauftragt, im Nachgang zu den terroristischen Anschlägen in New York und Washington, eine umfassende Lage- und Gefährdungsanalyse für die Schweiz zu erstellen. Neben der Darstellung und Bewertung des Istzustandes gilt es namentlich im Hinblick auf neue Bedrohungsformen wie Terrorismus, Umweltkriminalität, Cyberkriminalität, Schmuggel, Waffen und Proliferation elektronischer Urheberrechte und die klassische organisierte Kriminalität zu untersuchen, in welchen Bereichen Lücken bestehen. Im Weiteren ist aufzuzeigen, wo aus der Sicht des Bundesrates gesetzgeberischer bzw. instrumenteller Handlungsbedarf besteht.

Schliesslich hat der Bundesrat konkrete Vorschläge für das weitere Vorgehen vorzulegen.

Den eidgenössischen Räten ist spätestens in der Frühjahrssession 2002 Bericht zu erstatten.

Begründung Nicht erst die schrecklichen Ereignisse vom 11. September 2001 in den USA machen deutlich, dass sich die internationale Staatengemeinschaft auf neue Formen der Bedrohung einzustellen hat. Auch die Schweiz hat den Handlungsbedarf erkannt. Die internationale Zusammenarbeit wurde verstärkt, und es sind länderspezifisch Massnahmen im Bereich der Prävention getroffen worden. Auch das Leitbild zur «Armee XXI» trägt der asymmetrischen Bedrohungslage Rechnung. Unabhängig davon wird aber eine Optimierung der Nachrichtendienste und des Staatsschutzes notwendig sein.

Experten weisen darauf hin, dass die in der Schweiz geltenden gesetzlichen Bestimmungen im Bereich der Prävention im internationalen Vergleich unzureichend sind. Es zeigt sich, dass man die in der Prävention aktiven Organe im Nachgang zur Fichenaffäre in ihrer Handlungsfähigkeit zu stark eingeschränkt hat.

Stellungnahme des Bundesrates Ein Ausbau von Staatsschutz und Nachrichtendiensten kann nach Auffassung des Bundesrates nur beschlossen werden, wenn hierzu eine Gefährdungs- und Lageanalyse ausgearbeitet ist. Eine solche Analyse, wie sie in Ziffer 2 der Motion verlangt wird, muss deshalb konkreten Aufträgen zur Legiferierung vorangehen. Erst aufgrund der Ergebnisse der Analyse wird auch transparent, welche zusätzlichen Ressourcen allenfalls anbegehrt werden müssen bzw. welche Priorisierungen vorgenommen werden können. Eine Entgegennahme der Motion mit ihren detaillierten Vorgaben für die Erarbeitung von neuen Bestimmungen wäre nach Auffassung des Bundesrates deshalb übereilt.

Ziffer 2 der Motion verlangt die Erstattung eines Berichtes. Aus formellen Gründen kann dieser Teil des Vorstosses nicht als Motion, sondern lediglich als Postulat entgegengenommen werden. Artikel 22 des Geschäftsverkehrsgesetzes lautet: «Die Motion beauftragt den Bundesrat, den Entwurf zu einem Bundesgesetz oder Bundesbeschluss vorzulegen oder eine Massnahme zu treffen.» Artikel 22bis des Geschäftsverkehrsgesetzes lautet: «Das Postulat beauftragt den Bundesrat zu prüfen und Bericht zu erstatten ...» Inhaltlich deckt sich das Anliegen mit den Bestrebungen des Bundes zu einer umfassenden Berichterstattung über die innere Sicherheit sowie zur nachrichtendienstli-

1898

chen Koordination. In Anbetracht der komplexen Fragestellung und der derzeit rasanten Lageentwicklung in zahlreichen der angesprochenen Bereiche kann auf den genannten Termin möglicherweise erst ein Zwischenbericht erstattet werden.

Erklärung des Bundesrates Der Bundesrat beantragt, die Motion in ein Postulat umzuwandeln.

Chronologie: 10.12.2001 SR Die Motion wird in Form eines Postulates überwiesen

5.2

Ständerat 01.3576 Interpellation Fünfschilling Lagebeurteilung nach den Terroranschlägen

Wortlaut der Interpellation vom 4. Oktober 2001 Die Terroranschläge vom 11. September 2001 gegen die USA haben die Weltöffentlichkeit schockiert. Es muss davon ausgegangen werden, dass die anhaltende Unsicherheit über die Vereinigten Staaten hinaus auch in der Schweiz politische, gesellschaftliche und wirtschaftliche Auswirkungen haben wird. In einigen Bereichen werden sich Korrekturen aufdrängen, um die Verunsicherung zu überwinden und die Sicherheit zu erhöhen.

1.

Bisher hat der Bundesrat begrüssenswerte sektorielle Stellungnahmen zu konkreten Folgen der Terroranschläge vorgenommen. In welcher Form gedenkt er gegenüber der Schweizerischen Bevölkerung eine umfassende Lagebeurteilung bezüglich der Sicherheit in der Schweiz und der erwarteten Auswirkungen der Terroranschläge vorzunehmen?

2.

Welche volkswirtschaftliche Auswirkungen direkter und indirekter Art erwartet der Bundesrat, insbesondere für die Exportwirtschaft, die Tourismuswirtschaft und die Luftfahrtunternehmungen?

3.

Nachrichtendienste und Strafverfolgungsbehörden müssen bezüglich der Finanzierung von Terroranschlägen und -organisationen auch Finanztransaktionen überwachen können. Gleichzeitig muss das Bankkundengeheimnis gegenüber allen übrigen Kreisen integral erhalten bleiben. Mit welchen Massnahmen stellt der Bundesrat sicher, dass die Privatsphäre unbescholtener Bürgerinnen und Bürger gewahrt werden kann und das Bankkundengeheimnis nicht unter dem Vorwand der Terrorismusbekämpfung unterhöhlt wird?

4.

In welchen Bereichen und welchen europäischen und internationalen Organisationen kann sich die Schweiz nach Ansicht des Bundesrates stärker in der Terrorismusprävention und -bekämpfung engagieren? Ist er nicht auch der Meinung, dass die Schweiz die Initiative für eine internationale Antiterrorismus-Konferenz ergreifen sollte?

5.

Teilt der Bundesrat unsere Ansicht, dass sich eine Gesamtsicherheitskonzeption Schweiz aufdrängt und die USIS-Projekte zu beschleunigen sind?

Wie lange schätzt der Bundesrat die Vorwarnzeit bezüglich kriegerischer und kriegsähnlicher Bedrohungen heute ein?

1899

6.

Welche Massnahmen sieht der Bundesrat konkret vor, um die Sicherheit gefährdeter Anlagen und Institutionen gegenüber den terroristischen Bedrohungen zu optimieren?

7.

Wie beurteilt der Bundesrat den heutigen Vorbereitungsgrad der Bevölkerung bezüglich der Bewältigung von atomaren, biologischen und chemischen Katastrophen in der Schweiz oder im benachbarten Ausland, die durch Terroranschläge ausgelöst werden könnten?

8.

Im Zusammenhang mit den Fahndungen nach den Verantwortlichen der Terroranschläge sind so genannte «Schläfer» aufgetaucht. Ausgebildete Terroristen, die jahrelang legal, integriert und unauffällig auch in unserem Land leben. Welche Massnahmen gedenkt der Bundesrat zu ergreifen im Staatsschutz, insbesondere in den Bereichen Prävention, internationale Zusammenarbeit, Datenaustausch und -aufbewahrung und bezüglich des «Schläfer»-Phänomens?

Ohne Begründung Antwort des Bundesrates zu 1: Es handelt sich vorliegend um eine sehr komplexe Fragestellung, zu deren Beantwortung derzeit noch nicht alle Elemente vorliegen; gewisse Punkte werden voraussichtlich gar erst in historischer Rückschau schlüssig beurteilt werden können.

Die Lagebeurteilungen des Bundes sind schon bisher laufend departementsübergreifend und koordiniert im Rahmen der Lenkungsgruppe und des Sicherheitsausschusses, auch unter Einbezug weiterer Departemente, erfolgt. Der Sicherheitsausschuss hat seine Beurteilungen an den Bundesrat weitergegeben und ­ soweit möglich ­ wurde auch die Öffentlichkeit orientiert.

Der Bundesrat sieht vor, eine umfassende Lagebeurteilung vorzunehmen, wenn genügend Fakten und eine gewisse Distanz zu den umittelbaren Ereignissen vorliegen. Im Rahmen der aktuellen parlamentarischen Vorstösse zur Terrorlage ist eine Berichterstattung bis zur nächsten Frühlingssession der eidgenössischen Räte vorgesehen.

zu 2: Die Weltkonjunktur hat im bisherigen Verlauf des Jahres 2001 erheblich an Schwung eingebüsst. Den entsprechenden Anstoss zur weltweiten Konjunkturabkühlung hatten die Wirtschaftsabschwächung in den USA und der starke Anstieg der Erdölpreise gegeben. Mit der sich global verlangsamenden Inlandnachfrage ging Hand in Hand eine akzentuierte Wachstumsverlangsamung des Welthandels einher.

Die Terroranschläge vom 11. September in den USA brachten ein zusätzliches Element der Unsicherheit über die zukünftige Wirtschaftsentwicklung. Die direkten Verluste an Wirtschaftsaktivität, ausgenommen bei der Zivilluftfahrt und im Tourismus, sind eher gering einzuschätzen, hingegen erlitt das Vertrauen der Haushalte und Unternehmungen in den weiteren Wirtschaftsverlauf Einbussen. Es ist mit einer vermehrt abwartenden Haltung zu rechnen. Anzumerken ist indessen, dass die Geldund Finanzpolitik, Erstere allerdings schon vor den Anschlägen vom 11. September, mit expansiv wirkenden Massnahmen reagierten.

1900

Gemäss den verfügbaren Prognosen darf davon ausgegangen werden, dass insbesondere die US-Wirtschaft, aber auch die übrigen Volkswirtschaften des OECDRaums in der 2. Jahreshälfte 2002 wieder spürbare Wachstumsraten verzeichnen werden.

Für die Schweiz als stark mit der Weltwirtschaft verflochtene Volkswirtschaft gehen die Prognostiker von einem grundsätzlich gleichen Konjunkturprofil wie im OECDRaum aus. Im Jahre 2002 ist mit einem vergleichsweise langsamen Wachstum, aber kaum substanziellen Beschäftigungsproblemen zu rechnen. Nach Stagnationstendenzen beim Export infolge der weltweiten Konjunkturflaute sollten sich im Jahresverlauf wieder deutliche Besserungstendenzen einstellen.

Von den Terroranschlägen am härtesten betroffen sind zweifellos die Luftfahrt und die Flugzeugindustrie sowie der Tourismus als unmittelbar nachgelagerter Wirtschaftszweig. Die Experten rechnen in den USA mit einem einmaligen Rückgang von etwa 13 Prozent der Reise- und Tourismusausgaben. Der Schweizer HotelierVerein meldet einen Buchungsrückgang in den Hotels von etwa 10 Prozent. Die negativen Auswirkungen werden insbesondere im Jahr 2001 und zu Beginn des nächsten Jahres eintreten. Die Luftfahrt und der Tourismus werden sich wahrscheinlich rascher erholen als zunächst angenommen. Man geht von einem Vförmigen Branchenkonjunkturverlauf aus. Ende des nächsten Jahres dürften Luftfahrt und Tourismus wieder auf den Wachstumspfad zurückkehren, sofern keine weiteren gewichtigen Ereignisse eintreten.

Ausgehend von der Annahme, dass von politischen und militärischen Entwicklungen keine bedeutenden Einflüsse ausgehen, dürften die Attentate ­ für sich allein genommen ­ mittel- und längerfristig keine bedeutenden Auswirkungen auf die Wirtschaftsentwicklung haben. Der Verlust an Menschen und Sachwerten ist zweifellos erheblich, doch sind sie in Relation zu setzen mit anderen Katastrophen, die in der Vergangenheit bisweilen schwerer wiegende Folgen gehabt haben. Die Unsicherheiten sind aber wegen des Kampfes gegen den Terrorismus, der zurzeit schwergewichtig in Afghanistan geführt wird, und der bleibenden Bedrohung durch den Terrorismus beträchtlich.

zu 3: Aufgrund der Beliebtheit des Schweizer Finanzplatzes gibt es immer wieder Gerüchte, aber auch konkrete Hinweise, wonach terroristische Organisationen Schweizer Finanzinstitute für
ihre Zwecke missbrauchen. Soweit es sich um strafrechtlich konkretisierte Verdachtslagen handelt, die im Rahmen von internationalen Rechtshilfeersuchen in Strafsachen oder von eigenen schweizerischen Strafermittlungen untersucht werden können, stellt das Bankkundengeheimnis für die Behörden keine Hürde dar.

Bei nachrichtendienstlichen Verdachtslagen und bei der Abklärung von Gefährdungslagen sind allerdings den Präventionsbehörden enge Schranken gesetzt. Den Staatsschutzorganen ist es nicht erlaubt, bei rein fiskalischen Interessen Informationen an das Ausland weiterzugeben. Im Rahmen der bereits angelaufenen Überprüfungen zum geltenden Bundesgesetz über Massnahmen zur Wahrung der inneren Sicherheit (BWIS) wird den Möglichkeiten der präventiven Informationsbeschaffung nachgegangen und diese mit den in Frage stehenden Grundrechten, aber auch den Kontrollmöglichkeiten abgewogen. Der Bundesrat wird den eidgenössischen

1901

Räten gegebenenfalls eine Botschaft zur Revision des BWIS unterbreiten, das einen entsprechenden Regelungsentwurf enthält.

zu 4: Bei der Bekämpfung des Terrorismus ist die internationale Zusammenarbeit von herausragender Bedeutung. Dabei stehen namentlich multinationale bzw. supranationale Zusammenschlüsse und Organisationen im Vordergrund, die sich bei der Prävention und Bekämpfung des Terrorismus engagieren.

Im kriminalpolizeilichen Bereich auf globaler Ebene gilt es, Interpol zu erwähnen, das seit den Terroranschlägen vom 11. September eine ständige Task Force eingerichtet hat. Die Generalversammlung von Interpol hat am 25. September 2001 eine Resolution verabschiedet, welche die Anschläge in den USA verurteilt. Gleichzeitig wurde ein Massnahmenpaket angeregt, wie sich Interpol künftig vermehrt in der Bekämpfung des internationalen Terrorismus engagieren kann. Die Schweiz arbeitet seit Jahren intensiv mit Interpol zusammen. Sie verfolgt die künftige Entwicklung von Interpol bei der angesprochenen Terrorismusbekämpfung und wird, entsprechend den eigenen Prioritäten und Ressourcen im jeweiligen Einzelfall, einen aktiven Beitrag in Arbeitsgruppen oder auf strategischer Ebene leisten.

Auf europäischer Ebene ist namentlich Europol zu erwähnen. Für das Jahr 2002 hat Europol sein Jahresprogramm dahin gehend ergänzt, dass die Bekämpfung des Terrorismus als eine der höchsten Prioritäten eingestuft worden ist. Zudem erhält Europol ab dem kommenden Jahr operative Befugnisse in dem Sinn, dass die Organisation gemeinsame Ermittlungsteams mit den Mitgliedsstaaten bilden kann. Für die Schweiz ist eine Mitgliedschaft bei Europol nicht möglich, da deren Statuten hierfür die EU-Mitgliedschaft vorsehen. Europol hat jedoch durch den Rat der Justiz- und Innenminister der EU ein Mandat erhalten, mit Drittstaaten ein Kooperationsabkommen zu vereinbaren. Die Schweiz und Europol haben die Verhandlungen hinsichtlich eines Kooperationsabkommens am 18. September 2001 erfolgreich beendet. Es ist vorgesehen, dass das Abkommen nach der Behandlung in den zuständigen EU-Gremien 2002 unterzeichnet wird. Eine Zusammenarbeit mit Europol wird erst nach der Ratifizierung möglich sein.

Im Bereich der nachrichten- und sicherheitsdienstlichen Zusammenarbeit ist die Schweiz seit langem sehr gut in die internationalen Zusammenarbeitsformen
eingebunden. Die Zusammenarbeit der Sicherheits- und Nachrichtendienste, welche die europäischen Innenminister nach dem 11. September vereinbart haben, findet auf Basis dieser bestehenden informellen Gremien statt. Der schweizerische Dienst für Analyse und Prävention ist auch hier als assoziierter Partner integriert.

Daneben gibt es eine Reihe weiterer Organisationen wie beispielsweise die UNO oder die OSZE, die sich bei der Bekämpfung und Prävention des Terrorismus engagieren. So führen namentlich die OSZE und die UN ODCCP in Bischkek, Kirgistan, am 13./14. Dezember 2001 gemeinsam eine internationale Counter-TerrorismusKonferenz durch. Die Schweiz beteiligt sich an solchen Organisationen nach Massgabe ihrer Bedeutung und der schweizerischen Möglichkeiten.

Eine Sonderkommission der UNO, welche aufgrund der Resolution 51/210 der Generalversammlung gegründet wurde, prüft derzeit die Einberufung einer Konferenz auf hohem Niveau zur Diskussion der weiteren internationalen Reaktion auf den Terrorismus in allen seinen Formen. Derzeit ist hierzu noch kein Entscheid in 1902

der UNO gefallen. Eine separate Initiative der Schweiz ist bei dieser Sachlage nach Auffassung des Bundesrates nicht sinnvoll.

zu 5: Zu USIS Der Bericht USIS I mit einer Analyse des Istzustandes und einer Darstellung der Stärken und Schwächen des heutigen Systems konnte der Öffentlichkeit am 5. April 2001 vorgestellt werden, nachdem er vorgängig durch den Bundesrat und die Konferenz der kantonalen Justiz- und Polizeidirektoren (KKJPD) zur Kenntnis genommen worden war.

Am 24. Oktober 2001 wurde der Bericht USIS II vom Bundesrat zur Kenntnis genommen. Der Bundesrat hat über das weitere Vorgehen im Projekt USIS Beschlüsse gefasst und die weiter zu verfolgenden groben Sollvarianten für die Zukunft und die Sofortmassnahmen festgelegt. Am 8. November 2001 hat sich auch die KKJPD inhaltlich zum Bericht USIS II ausgesprochen und über die gleichen Fragen entschieden.

Vom Zeitplan her wird im Herbst 2002, also in einem Jahr, die detaillierte Ausarbeitung der gewählten Sollvarianten vorliegen. Im Frühling 2003 liegt dann der Schlussbericht zu USIS vor.

Bis zum heutigen Zeitpunkt ist es im Projekt USIS gelungen, Experten von Bund (EFD, EJPD, EDA und VBS) und Kantonen zu integrieren und gesamthafte Lösungen gemeinsam zu suchen.

Die Projektorganisation hat sich also bewährt, und es geht darum, USIS im Rahmen des ­ im Verhältnis zum sehr umfassenden Auftrag ­ zweifellos engen Zeitplans konsequent weiter zu verfolgen. Der Bundesrat ist deshalb der Auffassung, dass sich keine Änderungen des Projekts USIS aufdrängen, weil im Rahmen von USIS II bereits über die zeitlich vorzuziehenden, dringlichen Massnahmen, die so genannten Sofortmassnahmen, entschieden werden konnte. Es ist von grosser Bedeutung, dass der Bundesrat im Rahmen der Umsetzung der Sofortmassnahmen, die Anfang 2002 anlaufen wird, auch die nötige Unterstützung seitens des Parlamentes erhält.

Zu den Vorwarnzeiten Das Spektrum der möglichen Bedrohungen umfasst verschiedene Gewaltstufen: vom zwischenstaatlichen Krieg über Auswirkungen der Raketenproliferation bis zur extremistischen oder terroristischen Gewalt. Diese Bedrohungen betreffen die Schweiz in sehr unterschiedlichem Ausmass. Als Tendenz ist festzustellen, dass jene Bedrohungen und Gefahren, die am wahrscheinlichsten sind, die Schweiz nicht in ihrer Existenz bedrohen, obwohl sie Teile der
Bevölkerung massiv treffen können.

Zwischenstaatliche Kriege, die in manchen Weltregionen weiterhin an der Tagesordnung sind, sind im direkten Umfeld der Schweiz auf absehbare Zeit nicht zu erwarten. Es ist zu berücksichtigen, dass die Schweiz von demokratischen Staaten umgeben ist, deren Politik weder durch kontinentale Machtansprüche oder militärisches Konkurrenzdenken geprägt ist ­ Bestrebungen, welche in der europäischen Vergangenheit wiederholt zu kontinentalen Kriegen geführt haben.

Zudem gehören unsere Nachbarstaaten mehrheitlich Europas einzigem Militärbündnis an. Dieses hätte ein äusserer Angreifer vor einem terrestrischen Angriff auf die 1903

Schweiz zu überwinden. Einer grundsätzlichen Änderung dieser Umstände müssten vergleichbare Umwälzungen im sicherheitspolitischen Umfeld der Schweiz vorangehen. Die Zeitdauer, in der sich solche Veränderungen effektiv zu einer ernst zu nehmenden Kriegsgefahr entwickeln könnten, dürfte länger sein als alle Vorwarnzeiten, mit welchen die Schweiz im letzten Jahrhundert rechnen konnte.

Die Schweiz ist aber von zwischenstaatlichen und innerstaatlichen Konflikten an der Peripherie Europas oder ausserhalb Europas indirekt betroffen. Dasselbe gilt auch für dadurch ausgelöste extremistische und terroristische Aktivitäten. Die Schweiz läuft Gefahr, als Transitland und rückwärtige Basis von Terroristen genutzt zu werden. Auf ihrem Boden können Anschläge gegen ausländische Interessen erfolgen, auch wenn die Schweiz an sich nicht zu den direkten Zielen der Terroristen gezählt werden muss. Schliesslich besteht das Risiko, dass Schweizer Bürgerinnen und Bürger im Ausland ohne gezielte Absicht zu Opfern solcher Anschläge werden.

In Bezug auf die Vorwarnzeit muss zwischen der klassischen Kriegsgefahr und den direkten oder indirekten Auswirkungen von extremistischer und terroristischer Gewalt ein grundsätzlicher Unterschied gemacht werden. Im ersten Fall geht es um eine strategische Vorwarnung oder sogar Früherkennung. Im Falle von Terroranschlägen geht es um eine taktische Vorwarnung. Die Frage ist dann nicht mehr, ob bestimmte Gruppierungen Gewalt anwenden werden, sondern nur mehr wann und wo. Falls die Terroristen entsprechend kurzfristig ihre Anschläge planen, kann sich dabei auch die theoretisch maximale Vorwarnzeit auf Tage reduzieren.

zu 6: Zum Schutz von Anlagen und Institutionen, welche in Bezug auf eine terroristische Bedrohung ein Gefährdungspotenzial aufweisen, bestanden schon bisher Sicherheitskonzepte. Trotzdem fordern die jüngsten innen- wie aussenpolitischen Ereignisse Handlungsbedarf. So hat es die aktuelle Lage mit sich gebracht, dass die Gefährdung für die einzelnen Anlagen und Institutionen neu beurteilt und die bisher angeordneten Sicherheitsmassnahmen überprüft und wo notwendig angepasst werden. Für die ausländischen Vertretungen und die internationalen Organisationen wurden die Schutzmassnahmen markant erhöht. Insbesondere werden die kantonalen Polizeikorps zurzeit auch durch militärische
Formationen unterstützt, um das vom Bund angeordnete umfangreiche Sicherheitsdispositiv über längere Zeit aufrecht erhalten zu können.

Die Erkenntnisse aus den Vorfällen in den Vereinigten Staaten und in Zug werden in zukünftigen Sicherheitskonzepten zweifelsohne ihren Niederschlag finden. Trotz allen Vorkehrungen wird dennoch in Bezug auf kriminelle und terroristische Anschläge stets ein Restrisiko bestehen bleiben.

zu 7: Der Bundesrat verfolgt die Entwicklung der nationalen und internationalen Bedrohungslage im Bereich der atomaren, biologischen und chemischen Waffen mit grosser Aufmerksamkeit. Auf Stufe Bund wurden zeit- und lagegerecht die nötigen Massnahmen eingeleitet. Es liegen zu allen drei Bereichen Konzepte für ein effizientes Management bei einem ABC-Ereignisfall vor. Verschiedene Fachkommissionen decken mit den dort konzentrierten Spezialisten den Handlungsbedarf zum Schutze der Bevölkerung ab. Dies geschieht unter der Verantwortung und Führung des Bundesrates.

1904

So ist zum Beispiel als Reaktion auf die aktuell erhöhte Bedrohungslage im B-Bereich eine B-Fachkommission einberufen worden, welche Schlüsselpersonen aus Bund und Kantonen und die führenden Fachexperten des Landes vereinigt.

Unter der Koordination dieser B-Fachgruppe erarbeiteten und verbreiteten das Bundesamt für Gesundheit (BAG) und das Labor Spiez, in Zusammenarbeit mit der Kantonsärzte-Vereinigung und dem Bundesamt für Polizei, ein Informationsblatt für die Bevölkerung sowie verschiedene Vorgehensempfehlungen für die Kantone.

Im Auftrag des Bundesrates hat die B-Fachkommission dafür zu sorgen, dass genügend Impfstoffe verfügbar sind. Sie prüft lagegerecht die Frage der Notwendigkeit von Impfungen von hoch exponiertem Fachpersonal oder der Gesamtbevölkerung.

Bei der Bewältigung von Katastrophen und Notlagen tritt nötigenfalls auch die Zivilschutzorganisation des VBS in Aktion, die eng mit den Fachpartnern in Bund und Kantonen zusammenarbeitet und mit ihren Mitteln (wie z. B. Schutzräume, AC-Schutzmaterial usw.) wichtige Aufgaben übernehmen kann.

Die Kantone verfügen sodann mit ihren, in verschiedenen Departementen tätigen Fachleuten (Ärzte/Tierärzte, Biologen, Chemiker, Physiker, Polizei, Rettungsdienste) und andern Spezialisten über Instanzen, welche die zuständigen politischen Behörden und Krisenstäbe bei einem ABC-Ereignisfall und auch in dessen Vorfeld bezüglich Lagebeurteilung und Handlungsanträgen im Bereich Sofortmassnahmen, Information, Prävention, Intervention und Eventualplanung zum Schutz der Bevölkerung beraten.

zu 8: Der Bundesrat verweist hierzu auf die bereits vor dem 11. September angelaufenen Arbeiten zur Überprüfung des präventiven Instrumentariums und die Beteiligung der Schweiz an den internationalen Gremien im Bereich der nachrichten- und sicherheitsdienstlichen, aber auch der kriminalpolizeilichen Zusammenarbeit.

Die zuständigen Schweizer Dienste arbeiten im Rahmen der aktuellen gesetzlichen Grundlagen, vor allem des BWIS und ­ im Fall von strafrechtlichen Verdachtslagen ­ der Bundesstrafprozessordnung. Zur Verbesserung der Möglichkeiten der Informationsbeschaffung im Bereich der Prävention hat der Bundesrat ausserdem am 7. November 2001 von seiner gesetzlichen Kompetenz Gebrauch gemacht und die Auskunftspflichten von Behörden, Amtsstellen und Organisationen mit
öffentlichen Aufgaben gegenüber den Staatsschutzorganen ausgedehnt. Damit wurden namentlich erweiterte Voraussetzungen geschaffen, bei Vorliegen konkreter Informationen notwendige Abklärungen zu treffen, die für die Wahrung der inneren Sicherheit erforderlich sind. Mit dem Verbot der Al Qaïda hat er ferner die strafrechtliche Erfassung terroristischer Bestrebungen verbessert.

Zur «Schläfer»-Problematik und den Anschlägen vom 11. September ist anzumerken, dass in keinem betroffenen Land konkrete Terrorvorbereitungen erkannt wurden. «Schläfer» kennzeichnen sich gerade dadurch aus, dass sie lange Zeit keine deliktischen Handlungen unternehmen und erst schlagartig aktiv werden. Dieses Verhalten ist besonders aus der Spionageabwehr seit langem bekannt. Die Schweiz verfolgt nun die Anstrengungen, weitere verborgene Strukturen zu erkennen, im von den Terrorzellen betroffenen Ausland aufmerksam.

1905

Allfällige weiter gehende Massnahmen zur Erkennung von «Schläfern», als diese gegenwärtig in den schweizerischen Rechtsgrundlagen vorgesehen sind, müssen auf ihre Nützlichkeit, ihre Verhältnismässigkeit und insbesondere ihre Grundrechtsverträglichkeit beurteilt werden. Der Wunsch nach öffentlicher Sicherheit darf und wird nicht zu einem Überwachungsstaat führen.

Chronologie: 10.12.2001 SR Erledigt.

1906

Inhaltsverzeichnis Zusammenfassung

1833

1 Einleitung 1.1 Anlass und Auftrag 1.2 Zweck und Aussagegehalt des Berichtes 1.3 Begriffe und Abgrenzungen 1.3.1 Terrorismus- und Extremismusbegriff 1.3.2 Was ist organisierte Kriminalität?

1836 1836 1838 1838 1838 1840

2 Lageanalyse 2.1 Allgemeine Lage innere Sicherheit 2.2 Aktuelle Formen des internationalen Terrorismus 2.2.1 Sozialrevolutionärer und ethnisch-nationalistischer Terrorismus 2.2.2 Islamistischer Terrorismus 2.2.3 Afghanistan, Pakistan und Usama Bin Laden 2.2.4 Terrorfinanzierung 2.2.5 Gefährdung der Luftsicherheit 2.2.6 Terrorismus mit nichtkonventionellen Mitteln (CBR-Substanzen) 2.2.7 Allgemeine Beurteilung der Anschläge vom 11. September 2001 2.3 Folgen terroristischer Aktivitäten im Ausland für die Schweiz 2.3.1 Betroffenheit der Schweiz seit den 1960er-Jahren 2.3.2 Aktive Gruppen in der Schweiz 2.3.3 Terroristische Ziele inner- und ausserhalb der Schweiz 2.3.4 Propaganda, Rekrutierung und Finanzierung 2.3.5 Rückzugsgebiet und Transitland 2.3.6 Verwicklung in andere kriminelle Aktivitäten 2.4 Organisierte Kriminalität und andere Kriminalitätsformen 2.4.1 Organisierte Kriminalität generell 2.4.2 lllegaler Betäubungsmittelhandel 2.4.3 Menschenhandel / Menschenschmuggel 2.4.4 Cyberkriminalität 2.4.5 Wirtschaftskriminalität / Schmuggel 2.4.6 Geldwäscherei 2.4.7 Umweltkriminalität

1841 1841 1842 1842 1843 1845 1847 1849 1849 1853 1854 1854 1856 1859 1860 1862 1863 1863 1863 1865 1866 1867 1867 1868 1869

3 Verfügbare Mittel und Lücken 3.1 Nachrichtendienste 3.1.1 Rollen von Inland- und Auslandnachrichtendienst 3.1.2 Präventive Zusammenarbeit mit Ausländerbehörden 3.1.3 Gesetzliche Lücken im Inlandbereich 3.2 Strafverfolgungsbehörden 3.2.1 Straftatbestand des Terrorismus 3.2.2 Unterbindung von Propaganda und Finanzbeschaffung 3.2.3 Bekämpfung der organisierten Kriminalität und anderer Kriminalitätsformen

1869 1869 1869 1871 1872 1873 1873 1875 1877 1907

3.3 3.4 3.5 3.6

3.2.4 Polizeiliche und justizielle Zusammenarbeit mit der EU 1878 3.2.5 Auswirkungen des US-Patriot Act auf die Schweiz 1880 Internationale polizeiliche Zusammenarbeit 1881 Spezielle Formen antiterroristischer Einsätze ziviler und militärischer Art 1882 Sicherheit im Luftverkehr 1883 Internationale Rahmenbedingungen 1883 3.6.1 UNO 1883 3.6.2 Europäische Union 1884 3.6.3 Rüstungskontroll- und Abrüstungspolitik 1885

4 Ergriffene oder beabsichtigte Massnahmen 4.1 Präventive Massnahmen im Bereich der inneren Sicherheit 4.1.1 Befristetes Verbot der Al Qaïda und erweiterte Auskunftspflichten 4.1.2 Überprüfung der Rechtssetzung des präventiven Staatsschutzes 4.1.3 Fremdenpolizeiliche Massnahmen 4.2 Massnahmen in der Strafverfolgung 4.2.1 Ermittlungsverfahren und Rechtshilfeersuchen nach dem 11.

September 2001 4.2.2 Revision des Strafgesetzbuches 4.2.3 Anpassung weiterer Bundesgesetze 4.2.4 Bundesgesetz über die verdeckte Ermittlung 4.2.5 Revision Waffengesetz 4.2.6 Internationale organisierte Kriminalität, Cyberkriminalität 4.3 Wirtschaftliche Sanktionsmassnahmen 4.4 Internationale Zusammenarbeit 4.4.1 Ratifizierung der UNO-Übereinkommen 4.4.2 Bekämpfung der tieferen Ursachen im Rahmen von Europarat und OSZE 1893 4.4.3 Euro-Atlantische Partnerschaft 4.4.4 Abrüstung und Nonproliferation 4.5 Schutz diplomatischer Vertretungen und Luftsicherheit 4.6 Schutzkonzepte gegen nonkonventionelle Waffen 5 Anhang: Vorstösse 5.1 Ständerat 01.3569 Motion Merz 5.2 Ständerat 01.3576 Interpellation Fünfschilling

1908

1886 1886 1886 1887 1888 1888 1888 1889 1889 1890 1890 1891 1892 1893 1893

1894 1895 1896 1896 1897 1897 1899