zu 03.448 Parlamentarische Initiative «Medien und Demokratie» Bericht vom 3. Juli 2003 der Staatspolitischen Kommission des Nationalrates zu einem neuen Artikel 93a der Bundesverfassung Stellungnahme des Bundesrates vom 3. September 2003

Sehr geehrter Herr Präsident, sehr geehrte Damen und Herren, zum Bericht vom 3. Juli 20031 der Staatspolitischen Kommission des Nationalrates zu einem neuen Artikel 93a der Bundesverfassung (parlamentarische Initiative «Medien und Demokratie») nehmen wir nach Artikel 21quater Abatz 4 des Geschäftsverkehrsgesetzes (GVG) nachfolgend Stellung.

Wir versichern Sie, sehr geehrter Herr Präsident, sehr geehrte Damen und Herren, unserer vorzüglichen Hochachtung.

3. September 2003

Im Namen des Schweizerischen Bundesrates Der Bundespräsident: Pascal Couchepin Die Bundeskanzlerin: Annemarie Huber-Hotz

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BBl 2003 5357

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2003-1869

Stellungnahme 1

Ausgangslage

Die Staatspolitische Kommission des Nationalrates (SPK-N) schlägt in ihrem Bericht einen neuen Artikel 93a der Bundesverfassung (BV) vor. Ziel der neuen Verfassungsbestimmung ist die Förderung der Vielfalt der Unabhängigkeit der Medien, weil diese in den letzten Jahren insbesondere auf kantonaler, regionaler und lokaler Ebene von Konzentrationsprozessen betroffen waren. Die Kommission will mit dem «Medienartikel» die Grundlage für eine zukunftsgerichtete Medien- und insbesondere auch Pressepolitik in der Schweiz schaffen.

Eine explizite Verfassungsgrundlage soll eine zielgerichtetere Presseförderung erlauben als die heutige Verbilligung der Posttaxen für den Zeitungs- und Zeitschriftenversand, welche sich auf Artikel 15 des Postgesetzes (SR 783.0) stützt.

Die SPK-N stellt in ihrem Bericht nicht nur den Text für einen Verfassungsartikel zur Diskussion. Darüber hinaus skizziert sie bereits mögliche Grundzüge für ein zukünftiges Förderungskonzept. Sie befürwortet einen Systemwechsel hin zu einer direkten Subventionierung von Presseerzeugnissen, sofern diese bestimmte Kriterien erfüllen. Der Bericht führt neun mögliche Kriterien auf, auf deren Grundlage ein Presseerzeugnis direkt finanziell unterstützt werden könnte. Es handelt sich um unverbindliche Vorschläge der Kommission, welche in einem späteren Gesetzgebungsprozess (Medienvielfaltsgesetz) definitiv ausgehandelt werden müssten.

Auf Ersuchen der Kommission hat der Bundesrat das Eidgenössische Departement für Umwelt, Verkehr, Energie und Kommunikation (UVEK) mit der Durchführung eines Vernehmlassungsverfahrens beauftragt. Aus dem Bericht des UVEK vom Juni 2003 zu den Ergebnissen der Vernehmlassung ergibt sich, dass die neue Vorlage der Staatspolitischen Kommission mehr Akzeptanz findet als der Vorentwurf der SPKN für einen Bundesbeschluss über Medien und pressepolitische Massnahmen von 1999. Die Stossrichtung des neuen Vorentwurfs (Schaffen einer neuen Verfassungsbestimmung sowie Wechsel von der indirekten zur direkten Medienförderung) wurde von der Mehrheit der Kantone und der politischen Parteien eher positiv, von der Medienbranche tendenziell eher negativ aufgenommen.

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Stellungnahme des Bundesrates

Der Bundesrat anerkennt die wichtige Funktion der Medien und namentlich der Presse für die demokratische Willensbildung. Gerade eine direkte Demokratie mit föderalistischen Strukturen ist auf eine Medienlandschaft angewiesen, in der die Vielfalt der Meinungen zum Ausdruck kommt. Die Verfassung garantiert die Medienfreiheit in einer eigenen Bestimmung und unterstreicht dadurch die besondere Bedeutung der Medien für den gesellschaftlichen Diskurs und die Demokratie.

Gemäss dem Bericht der SPK-N soll der vorgeschlagene Medienartikel in erster Linie eine Grundlage für ein neues Presseförderungskonzept darstellen. Auf diesem Wege soll versucht werden, allfälligen negativen Folgen von Konzentrationstendenzen entgegenzuwirken und auch auf kantonaler bzw. regionaler Ebene eine Presse6251

vielfalt zu sichern. Aus Sicht des Bundesrates sollten an einen solchen Ansatz jedoch keine übertriebenen Hoffnungen geknüpft werden. Punktuelle Fördermassnahmen vermögen die geschilderten und durch wirtschaftliche Zwänge diktierten Entwicklungen kaum nachhaltig zu beeinflussen. Wollte man durch öffentliche Gelder eine weitere Verminderung der Titelzahl verhindern oder gar das bis heute eingetretene Titelsterben wenigstens teilweise rückgängig machen, wären dazu Summen nötig, die durch öffentliche Haushalte nicht aufgebracht werden können. Dazu kommt, dass mit einer ausgebauten staatlichen finanziellen Unterstützung der Presse zumindest potenziell die Gefahr einer Abhängigkeit des journalistischen Schaffens vom Staat verbunden ist, welche aus demokratischer Sicht problematisch werden könnte.

Auch der Bundesrat verfolgt mit grosser Aufmerksamkeit die anhaltende Tendenz zur Konzentration, welche die Entwicklung der schweizerischen Medienlandschaft seit Jahren prägt. Es trifft zu, dass mit solchen Konzentrationstendenzen die Gefahr einer übermässigen Akkumulation von Meinungsmacht verbunden ist. Solche Entwicklungen sind aber nicht nur negativ zu beurteilen. Sie sind Ausdruck eines strukturellen Wandels, der letztlich das wirtschaftliche Überleben der Medien in einem stets härter werdenden Konkurrenzkampf ermöglicht und sicherstellt, dass die einzelnen Medienunternehmen über die kritische Grösse und die Wirtschaftskraft verfügen, welche für einen professionellen und qualitativ hochstehenden Journalismus notwendig sind. Der Bericht der Kommission trägt dieser Ambivalenz der Medienkonzentration aus Sicht des Bundesrates zu wenig Rechnung. Die vorwiegend quantitative Optik der Ausführungen2 setzt auf die Erhaltung von Strukturen, die den sich wandelnden Anforderungen an eine funktionsfähige Presse kaum gerecht werden können.

Der Bundesrat anerkennt, dass die heutige Praxis der Presseförderung Mängel hat und in vielen Teilen wenig zielkonform ist. Die vom UVEK in Auftrag gegebene ECOPLAN-Studie hat die kritischen Punkte aufgezeigt und mögliche Lösungen skizziert. Vor diesem Hintergrund hat der Bundesrat auch bei verschiedenen Gelegenheiten Bereitschaft signalisiert, das heutige Förderungskonzept zu überprüfen und zu optimieren.3 Auf diesem Wege den Strukturwandel der Medienlandschaft erheblich beeinflussen
zu wollen, ist aber wenig realistisch. Es kann wohl höchstens darum gehen, durch Fördermassnahmen den Kostendruck zu mildern, um journalistische Leistungen im Interesse von Gesellschaft und Demokratie zu ermöglichen, die bei einer reinen Marktfinanzierung nicht erbracht werden könnten.

Inwiefern für eine solche moderate Presseförderung neue verfassungsrechtliche Grundlagen geschaffen werden müssen, bedarf einer vertieften Prüfung. Artikel 35 Absatz 1 BV gibt zwar den staatlichen Behörden den allgemeinen Auftrag, «für die tatsächliche Verwirklichung der Grundrechte zu sorgen, d.h. alle geeigneten Mittel einzusetzen, um das angestrebte Ziel zu erreichen. (...) Der Auftrag enthält (...)

auch die Verpflichtung der staatlichen Behörden, sich so zu verhalten, dass die Grundrechte geschützt und gefördert werden (positive Funktion).»4 Weder Artikel 17 noch Artikel 35 Absatz 1 BV begründen jedoch Kompetenzen des Bundes.

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So etwa auf S. 13 des Berichts, wonach die Diskursvielfalt unter Umständen «durch zwei kleinere Zeitungen besser gewährleistet» werden kann als durch eine grosse Zeitung.

AB 2001 N 1710 und AB 2002 N 1762 Botschaft über eine neue Bundesverfassung vom 20. November 1996, BBl 1997 I 192.

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Der Bundesrat verschliesst sich nicht grundsätzlich der Aufnahme eines Artikels in die Bundesverfassung, welcher Bundeskompetenzen im Medienbereich schaffen würde, die über diejenigen des Radio- und Fernsehartikels in Artikel 93 BV hinausgehen. Vorher wäre aber die Notwendigkeit einer solchen Bestimmung eingehend zu prüfen und zu belegen. Eine solche Prüfung hätte aus einer gesamtheitlichen medienpolitischen Optik zu erfolgen, die nicht in erster Linie vom Ziel einer strukturerhaltenden Presseförderung bestimmt wird. Schliesslich müsste auch die Abstimmung zwischen dem geltenden Radio- und Fernsehartikel und einer allfälligen neuen Verfassungsnorm sorgfältiger vorgenommen werden, als das im Bericht der Kommission der Fall ist. Solch weitergehende Prüfungsschritte können allerdings nicht Gegenstand der hier vorgelegten bundesrätlichen Stellungnahme sein.

Dies gilt nicht zuletzt darum, weil die Kommission die Frist zur Stellungnahme sehr kurz angesetzt hat.

Zusammenfassend ergibt sich, dass der Bundesrat den von der SPK-N vorgelegten Entwurf für einen Medienartikel nicht unterstützen kann. Das dahinter stehende Konzept der Presseförderung strebt eine zu ambitiöse Strukturerhaltung an und hat im Markt wenig Aussicht auf erfolgreiche Realisierung. Der Bundesrat stellt sich aber weiterhin hinter eine massvolle und zielführende Presseförderung, welche journalistische Leistungen im Interesse von Gesellschaft und Demokratie ermöglicht. Er ist auch bestrebt, die Mängel des heute praktizierten Konzepts zu beheben. Sollte sich nach sorgfältiger Prüfung erweisen, dass eine funktionierende Medienlandschaft auf Massnahmen angewiesen ist, welche nur mit einer verfassungsrechtlichen Bundeskompetenz realisiert werden können, ist auch für den Bundesrat die Aufnahme einer entsprechenden Bestimmung in die Verfassung denkbar.

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