01.408 Parlamentarische Initiative Trennungsfrist bei Scheidung auf Klage eines Ehegatten Bericht der Kommission für Rechtsfragen des Nationalrats vom 29. April 2003

Sehr geehrter Herr Präsident, Sehr geehrte Damen und Herren, wir unterbreiten Ihnen gemäss Artikel 21quater Absatz 3 des Geschäftsverkehrsgesetzes (GvG) den vorliegenden Bericht. Gleichzeitig erhält der Bundesrat Gelegenheit zur Stellungnahme.

Die Kommission beantragt mit 15 zu 2 Stimmen bei 1 Enthaltung, dem vorliegenden Gesetzesentwurf zuzustimmen.

29. April 2003

Im Namen der Kommission Die Präsidentin: Anita Thanei

2003-1005

3927

Übersicht Das neue Scheidungsrecht ist am 1. Januar 2000 in Kraft getreten. Seither wird es immer wieder kritisiert. Namentlich die Trennungsfrist von vier Jahren, nach der ein Ehegatte die Scheidung gegen den Willen des (der) anderen verlangen kann, wird von den Praktikerinnen und Praktikern als zu lang und zu belastend eingestuft.

Damit kommt die von Nationalrätin Lili Nabholz eingereichte Parlamentarische Initiative, mit der sie eine Verkürzung der Frist auf zwei Jahre verlangte, einem Bedürfnis nach.

Die vierjährige Trennungsfrist hat sich negativ ausgewirkt. Ein Ehegatte kann die Scheidung aus irgendeinem Grund verweigern und damit den anderen dazu zwingen, den Ablauf dieser Frist abzuwarten. Weil diese Frist nicht selten als zu lange empfunden wird, kann der scheidungswillige Ehegatte Druck ausgesetzt sein. Er kann sich lediglich auf Artikel 115 ZGB berufen. Nach dieser Bestimmung kann ein Ehegatte die Scheidung vor Ablauf der vierjährigen Frist verlangen, wenn ihm die Fortsetzung der Ehe aus schwerwiegenden Gründen, die ihm nicht zuzurechnen sind, nicht zugemutet werden kann. Der subsidiäre Scheidungsanspruch wird damit wichtiger, als vom Gesetzgeber beabsichtigt.

Dank der Verkürzung der Trennungsfrist auf zwei Jahre kann dieser Missstand korrigiert werden, ohne dass dadurch die Ehegatten zu einer zu raschen und zu leichtfertigen Scheidung veranlasst würden.

3928

Bericht 1

Ausgangslage

1.1

Parlamentarische Initiative

Am 20. März 2001 hat Nationalrätin Lili Nabholz eine Parlamentarische Initiative eingereicht, mit der sie die Artikel 114 und 115 des Zivilgesetzbuches (ZGB)1 so ändern wollte, dass die vierjährige Trennungsfrist, nach der ein Ehegatte auf Scheidung klagen kann, auf zwei Jahre verkürzt werde.

Am 5. November 2001 hat die Kommission für Rechtsfragen des Nationalrats die Parlamentarische Initiative vorgeprüft. Mit 14 gegen 5 Stimmen bei 3 Enthaltungen hat sie beantragt, ihr Folge zu geben. Eine Kommissionsminderheit wollte über eine Motion den Bundesrat beauftragen, einen Entwurf für eine Neuregelung der Trennungsfrist nach den Artikeln 114 und 115 ZGB zu erarbeiten, die die Ehedauer und allfällige minderjährige Kinder berücksichtigt2.

Am 16. September 2002 folgte der Nationalrat der Kommissionsmehrheit und beschloss mit 131 gegen 18 Stimmen, der Initiative Folge zu geben. Die Motion der Kommissionsminderheit wollte er hingegen mit 125 gegen 21 Stimmen nicht überweisen.3 Gestützt auf Artikel 21quater Absatz 1 des Geschäftsverkehrsgesetzes (GvG)4 hat der Nationalrat seine Kommission für Rechtsfragen beauftragt, einen Gesetzesentwurf auszuarbeiten.

1.2

Arbeiten der Kommission

Die Kommission für Rechtsfragen des Nationalrats hat sich am 17. Februar und am 29. April 2003 mit dieser Initiative befasst. Sie hat beschlossen, sich auf die Verkürzung der Trennungsfrist bei Scheidung auf Klage eines Ehegatten zu beschränken.

Damit trägt sie dem Umstand Rechnung, dass der Nationalrat die Motion der Kommissionsminderheit (01.3645) klar abgelehnt hat. Damit berücksichtigt sie aber auch, dass die Auswirkungen des neuen Scheidungsrechts auf Grund eines Postulats (00.3681. Po. Jutzet. Anwendung des neuen Scheidungsrechts) einer generelleren und eingehenderen Prüfung unterzogen werden. Dieses Postulat wurde vom Nationalrat am 20. März 20015 angenommen. Der Bundesrat wird damit eingeladen, bei den Praktikern des neuen Scheidungsrechtes (Richterinnen und Richter, Anwältinnen und Anwälte bzw. deren Organisationen und andere) Berichte über die Erfahrungen mit dem neuen Scheidungsrecht einzuholen und auf Grund der Ergebnisse gegebenenfalls frühzeitig eine Gesetzesrevision in die Wege zu leiten. Die Umfrage

1 2 3 4 5

SR 210 01.3645 Mo RK-N (01.408) (Minderheit Thanei). Trennungsfrist bei Scheidung auf Klage eines Ehegatten.

AB N 16.09.2002 SR 171.11 AB N 20.03.2001

3929

soll 2003 durchgeführt werden; der entsprechender Bericht wird wohl kaum vor Ende dieses Jahres erhältlich sein.

Die Kommission hat am 29. April 2003 den vorliegenden Bericht und den Gesetzesentwurf mit 15 zu 2 Stimmen bei 1 Enthaltung gutgeheissen.

2

Grundzüge des Entwurfes

2.1

Entstehung des geltenden Rechts

2.1.1

Scheidungsgründe

Das alte Recht kannte neben einer Generalklausel (Art. 142 aZGB) besondere Scheidungsgründe, nämlich Ehebruch, Nachstellung nach dem Leben, Misshandlung und Ehrenkränkung, Verbrechen und unehrenhafter Lebenswandel, böswillige Verlassung, Geisteskrankheit, Scheidung wegen Ablaufs einer gerichtlich angeordneten Trennung (Art. 137­141 und 148 aZGB). Vor dem Inkrafttreten des geltenden Rechts stützten sich rund 98,6 Prozent der Ehescheidungen auf den allgemeinen Scheidungsgrund der tiefen Zerrüttung des Verhältnisses (Art. 142 Abs. 1 aZGB).

Spezifische Verfahrensbestimmungen gab es aber keine. Spätestens während des Verfahrens einigten sich die meisten Ehegatten auf die Scheidung. Die Gerichte stützten sich einzig auf die gemeinsame Erklärung der Parteien und überprüften die Zerrüttung der ehelichen Verhältnisse oft nur summarisch. Nach Absatz 2 dieser Bestimmung konnte die Ehe trotz tiefer Zerrüttung nicht geschieden werden, wenn die Schuld an der Zerrüttung vorwiegend dem klagenden Ehegatten zuzurechnen war und der andere Ehegatte sich der Scheidung widersetzte. Nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung war ein Widerstand gegen die Scheidung nach 15 Jahren faktischer Trennung unter Vorbehalt des Gegenbeweises missbräuchlich.6 Mit dem neuen Scheidungsrecht wollte der Gesetzgeber der gesellschaftlichen Entwicklung Rechnung tragen und die Scheidungsgründe formalisieren. Auf den Begriff des Verschuldens, der im alten Recht sowohl bei den Scheidungsgründen als auch in Bezug auf die Folgen noch von grosser Bedeutung war, sollte soweit wie möglich verzichtet werden. Zudem sollten Streitigkeiten zwischen den Ehegatten über die Scheidungsgründe so weit wie möglich unterbunden werden.7 Es gibt nun drei Scheidungsgründe; zwei davon sind neu, nämlich die Scheidung auf gemeinsames Begehren (Art. 111 und 112 ZGB) und die Scheidung auf Klage eines Ehegatten nach einer bestimmten Trennungsfrist (Art. 114 ZGB). Sind die Bedingungen (gemeinsames Begehren oder Trennung) erfüllt, so gilt die Ehe als endgültig gescheitert. Dabei handelt es sich um eine gesetzliche, nicht widerlegbare Vermutung8.

6

7 8

Botschaft des Bundesrates vom 15. November 1995 über die Änderung des Schweizerischen Zivilgesetzbuches (Personenstand, Eheschliessung, Scheidung, Kindesrecht, Verwandtenunterstützungspflicht, Heimstätten, Vormundschaft und Ehevermittlung), BBl 1996 I 1, 17 f., 82.

Sutter/Freiburghaus, Kommentar zum neuen Scheidungsrecht, Zürich 1999, Ziffer 2 S. 45.

Sutter/Freiburghaus, op. cit., Ziffer 10 S. 47 , Ziffer 4 zu Art. 114 S. 90.

Perrin J.-F., Les causes du divorce selon le nouveau droit in: Etudes de droit suisse, Bern 1999, S. 23.

3930

Die Scheidung kann subsidiär auch wegen Zerrüttung verlangt werden, wenn dem Ehegatten, der die Scheidung verlangt, nicht zugemutet werden kann, das Ende der Trennungsfrist abzuwarten (Art. 115 ZGB).

Die Scheidungsgründe wurden so konzipiert, um die Scheidung auf gemeinsames Begehren gegenüber der Streitscheidung zu fördern.9

2.1.2

Die Dauer des Getrenntlebens

Artikel 114 ZGB beruht auf der Idee, es könne nach einer gewissen Zeit des Getrenntlebens vermutet werden, die Ehe sei derart zerrüttet, dass die Scheidung verschuldensunabhängig ausgesprochen werden kann. Nach Auffassung des Bundesrates sollte die Trennung so lange gedauert haben, dass die Scheidung nicht einer eigentlichen Verstossung gleichkommt und dass auch ein Interesse besteht, sich mit dem Partner oder der Partnerin über die Scheidung zu verständigen. Gleichzeitig sollte die Trennungsfrist aber auch nicht zu lange sein, damit die Eheleute ihr Leben kurz- oder mittelfristig wieder neu gestalten können. Auf der Grundlage der Arbeiten der Expertenkommission und der Ergebnisse der Vernehmlassung befand der Bundesrat, eine fünfjährige Trennungsfrist bilde einen vertretbaren Scheidungsgrund. Diese Frist machte seiner Ansicht nach eine Härteklausel überflüssig. Sie stellte zudem die Scheidung auf gemeinsames Begehren in den Vordergrund und stärkte den zentralen Wert der Institution «Ehe».10 Eine Härteklausel hingegen würde nur wieder Tür und Tor öffnen für Verschuldenselemente.

Die Dauer der Trennungsfrist war in den parlamentarischen Beratungen besonders umstritten.

Der Nationalrat11 folgte in seiner ersten Beratung über die Artikel 114 und 115 ZGB dem Bundesrat und dem Ständerat12 nicht, welche eine fünfjährige Trennungsfrist vorschlugen, und sprach sich statt dessen mit 63 zu 33 Stimmen für eine dreijährige Frist aus. Seiner Auffassung nach reicht diese Frist, um sich mit der Scheidungsfrage auseinander zu setzen, ohne die Eheleute zu zwingen, gegen den Willen des einen noch länger verheiratet zu bleiben. Auch trage diese Frist dem Umstand Rechnung, dass ein Drittel der Ehen nach kurzer Zeit geschieden würden. Der Ständerat hielt in seiner zweiten Beratung13 an der fünfjährigen Trennungsfrist fest mit der Begründung, dass die Scheidung im gegenseitigen Einverständnis vor der Scheidung auf Klage Vorrang haben sollte, was bei einer zu kurzen Trennungsdauer nicht garantiert werden könne. Der Nationalrat14 hielt in der zweiten Beratung an der dreijährigen Trennungsfrist fest. Doch die Mehrheit fiel diesmal deutlich geringer aus: 69 Ratsmitglieder stimmten für den nationalrätlichen, 62 für den ständerätlichen Vorschlag. Im Differenzbereinigungsverfahren hat der Ständerat15 mit 18 gegen 14 Stimmen
beschlossen, die Trennungsdauer auf vier Jahre festzulegen. Drei Jahre seien für den Ehegatten in der schwächeren Position zu wenig. Seine Kommission 9 10 11 12 13 14 15

Erwähnte Botschaft, BBl 1996 I 1, 82 f.

Erwähnte Botschaft, BBl 1996 I 1, 90 ff.

AB N 15.­16.12.1997 AB S 25.09.1996 AB S 12.03.1998 AB N 15.06.1998 AB S 18.06.1998

3931

hingegen empfahl, sich dem Beschluss des Nationalrats anzuschliessen. Sie beurteilte eine Frist von fünf Jahren als zu lang, wenn man bedenke, dass ein Drittel aller Ehen nach einer kürzeren Dauer scheitert. Zudem bestehe bei einer längeren Dauer die Gefahr, dass häufig auf Artikel 115 ZGB zurückgegriffen und dieser weiter ausgelegt werde, als ursprünglich vorgesehen. Der Nationalrat16 hat sich schliesslich mit 101 gegen 32 Stimmen dem Beschluss des Ständerats angeschlossen und dies, obwohl eine Minderheit auf die Gefahr hinwies, Artikel 115 ZGB könnte seinen Status als Ausnahmebestimmung verlieren, wenn die Frist nach Artikel 114 ZGB zu lange ist.

2.2

Umsetzung des geltenden Rechts

Es hat sich dann in der Praxis rasch herausgestellt, dass die in den parlamentarischen Beratungen geäusserten Bedenken betreffend eine lange Trennungsfrist zutreffen.

Neben den Scheidungen auf gemeinsames Begehren gibt es weiterhin Streitscheidungen. In diesen Fällen erweist sich das neue Recht als unbefriedigend. Die beiden neuen Artikel 114 und 115 ZGB führten bereits zu zahlreichen Bundesgerichtsentscheiden.

Wenn sich die Ehegatten, über die Scheidung nicht verständigen können, muss die vierjährige Trennung abgewartet werden, sofern die Vorraussetzungen von Artikel 115 ZGB nicht erfüllt sind. In der Praxis zeigt sich, dass der Widerstand gegen eine Scheidung nicht so sehr in der Hoffnung auf eine Versöhnung gründet17. Vielmehr kann er etwa auf dem Wunsch beruhen, sich an seinem Ehegatten zu rächen oder Druck auszuüben, um das Sorgerecht für die Kinder zu erhalten, finanzielle oder erbschaftliche Vorteile zu erhalten, oder aber auf fremdenpolizeilichen Gründen.

Die Eheleute müssen häufiger an die Gerichte gelangen, um ihr getrenntes Leben und insbesondere die finanziellen Aspekte zu regeln. Oft sind sie nicht bereit, während der vier Jahre finanzielle Konzessionen zu machen. Deshalb rufen sie den Richter oder die Richterin an, sobald sich ihre persönliche Situation verändert. Seit dem Inkrafttreten des neuen Scheidungsrechts hat denn auch die Zahl der Eheschutzverfahren zugenommen. Die Eheleute erscheinen also öfter, als ihnen lieb ist, vor Gericht, und die Konflikte werden nun nicht mehr so sehr in den Scheidungsverfahren ausgetragen, als vielmehr in den Eheschutzverfahren.

Die vierjährige Trennungsfrist kann vor allem in seit langem zerrütteten Ehen als lange und schwierig empfunden werden. Der Trennungsprozess zieht sich dahin und kann emotional sehr belastend sein. In vielen Fällen scheint die Frist unverhältnismässig: Die Scheidung ist nämlich in den ersten sechs Ehejahren besonders häufig18.

Damit sich scheidungswillige Eheleute nach kürzerer Frist scheiden lassen können, berufen sie sich auf schwerwiegende Gründe, die eine Fortsetzung der Ehe im Sinne von Artikel 115 ZGB unerträglich macht. Der klagende Ehegatte breitet dann seine persönlichen und intimen Gründe aus, die seiner Meinung nach die Ehe unerträglich 16 17 18

AB N 23.06.1998 BGE 126 III 404, 5C.242/2001 Sutter/Freiburghaus, op. cit., S. 11.

3932

machen. Damit kommt die Verschuldensfrage, die man bei der Revision beseitigen wollte, wieder ins Spiel. Überdies ist es sehr schwierig, die Behauptungen über das Privatleben der Eheleute zu beweisen.

In seiner Rechtsprechung19 präzisiert das Bundesgericht, dass nach Wille des Gesetzgebers Artikel 115 ZGB restriktiver ausgelegt werden muss als Artikel 142 aZGB. Im neuen Recht geht es nicht mehr darum, ob einem Ehegatten das Zusammenleben während unbestimmter Zeit zugemutet werden darf, sondern darum, ob ihm zugemutet werden darf, die rechtliche Verbindung während vier Jahren fortzusetzen. Dabei muss nach Artikel 115 ZGB festgestellt werden, ob ihm das Fortbestehen der rechtlichen Verbindung seelisch zugemutet werden darf. Mit anderen Worten, es muss abgeklärt werden, ob die geistig-emotionale Reaktion, auf deren Grundlage der Ehegatte eine Fortsetzung der rechtlichen Bindung während vier Jahren als unerträglich empfindet, objektiv nachvollziehbar ist20. Ohne eine solche Auslegung bestünde die Gefahr, dass Artikel 115 ZGB wie schon Artikel 142 aZGB zur Regel würde, und dies zulasten der formalisierten Scheidungsgründe, was dem Willen des Gesetzgebers widerspräche.

Das Bundesgericht hat in einem Entscheid vom 8. Februar 200121 präzisiert, dass die Fortsetzung der Ehe unzumutbar ist, wenn das Fortbestehen der rechtlichen Verbindung während vier Jahren für einen Ehegatten objektiv unerträglich ist.

Zudem dürfe an das Vorhandensein schwerwiegender Gründe keine übertriebenen Anforderungen gestellt werden. Es muss im Einzelfall eruiert werden, ob eine Fortsetzung der ehelichen Verbindung bis zum Ablauf der Trennungsfrist objektiv unzumutbar ist. Deshalb ist es weder möglich noch wünschbar, Kategorien von Umständen zu bilden, die im Sinne von Artikel 115 ZGB schwerwiegende Gründe sein könnten. Nach Bundesgericht muss es die offene Formulierung von Artikel 115 ZGB den Gerichten ermöglichen, die Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen und nach Recht und Billigkeit (Art. 4 ZGB) zu entscheiden.22 Eine flexiblere Auslegung in Bezug auf das Vorliegen eines schwerwiegenden Grundes ist durch den Willen des Gesetzgebers, die Scheidung von der Verschuldensfrage loszulösen, allerdings weitgehend ausgeschlossen23.

Im erwähnten Entscheid hat das Bundesgericht entschieden, dass Gewalt, die die physische und
psychische Gesundheit bedroht, schwerwiegende Gründe nach Artikel 115 ZGB sein kann, namentlich wenn die Ehefrau von ihrem Mann geschlagen wurde und anschliessend während langer Zeit psychisch intensiv behandelt werden musste24. Später hat das Bundesgericht dagegen entschieden, dass fehlender Wille der Eheleute, die Gemeinschaft wieder aufzunehmen, die Tatsache, dass beide von 19

20 21 22 23

24

BGE 126 III 404, 127 III 129, 127 III 342, 5C.63/2001, 127 III 347, 5C.35/2001, 5C.227/2001, 128 III 1, 5C.281/2001, 5C.242/2001, 5C.156/2001, 5C.272/2001, 5C.221/2001, 5C.46/2002, 5C.18/2002.

Insbesondere BGE 5C.18/2002.

BGE 127 III 129, Erw. 3.

BGE 126 III 404, 127 III 129 Rumo-Jungo A., Die Unzumutbarkeit der Fortsetzung der ehelichen Gemeinschaft bzw.

der Ehe nach altem und neuem Scheidungsrecht: übergangsrechtliche Probleme in: Recht 2/2001, S. 82ff.; Jutzet Erwin, Streifzüge durch abgeschlossene und bevorstehende ZGB-Novellen in: Freiburger Zeitschrift für Rechtsprechung , Sondernummer «10 Jahre FZR»/2002, S. 47 ff., 51 f.

BGE 127 III 129, siehe auch 5C.156/2001; 126 III 404 und 5C.35/2001 (Sie verneinen das Vorhandensein schwerwiegender Gründe).

3933

einem neuen Partner ein Kind haben bzw. haben werden, der eine sich wieder verheiraten will und die Scheidung für die Ehefrau ohne wirtschaftliche Nachteile wäre, nicht genügt, um das Festhalten an der Ehe als unzumutbar zu erklären25.

Indem der Gesetzgeber sich dafür entschieden hat, der Scheidung auf gemeinsames Begehren den Vorrang zu geben, wollte er die Ehegatten dazu bringen, sich über die Scheidung und ihre Folgen im Interesse aller beteiligten Personen zu verständigen.

In Konfliktfällen kann die restriktive Anwendung von Artikel 115 ZGB die unerwünschte Folge haben, dass das Verhältnis der Gatten noch verschlechtert wird. Wer sich der Scheidung entgegenstellt, wird dazu neigen, übertriebene Bedingungen zu stellen. Und wer die Scheidung wünscht, wird dazu gedrängt, sich mit seinem Gatten in grosszügiger Weise zu einigen.

2.3

Rechtsvergleich

Die skandinavischen Staaten sehen kurze Trennungsfristen vor: Möglich ist eine Scheidung in Dänemark und Norwegen ein Jahr seit der behördlichen Trennung, zwei Jahre seit der faktischen Trennung. In Schweden und Finnland wird die Scheidung auf einseitigen Antrag eines Ehegatten gegen den Willen des andern nach einer Bedenkfrist von sechs Monaten ausgesprochen; diese Bedenkfrist entfällt, wenn die Ehegatten bereits seit zwei Jahren getrennt leben.

Komplexer ist das Bild in unseren Nachbarstaaten: In Frankreich wird nach einer Trennungsfrist von sechs Jahren das Scheitern der Ehe unwiderleglich vermutet (Art. 237 CCfr). Vorher ist eine Scheidung möglich wegen Unerträglichkeit einer Fortsetzung der ehelichen Gemeinschaft auf Grund schwerer oder wiederholter Verfehlungen gegen die Eheverpflichtungen (Art. 242 CCfr). In Deutschland gilt eine Trennungsfrist von drei Jahren (§ 1566 Abs. 2 BGB). Leben die Ehegatten noch nicht ein Jahr getrennt, so kann die Ehe geschieden werden, wenn die Fortsetzung der Ehe für den Antragsteller aus Gründe, die in der Person des anderen Ehegatten liegen, eine unzumutbare Härte darstellen würde (§ 1565 Abs. 2 BGB) Das Gericht kann die Scheidung aber aufschieben, wenn sie in materieller oder persönlicher Hinsicht für den beklagten Ehegatten oder für die Kinder eine ausserordentliche Härte bedeuten würde (§ 1568 BGB). In Österreich kann jeder Ehegatte die Scheidung verlangen, wenn die häusliche Gemeinschaft seit drei Jahren aufgehoben ist; dem Scheidungsbegehren wird aber nicht stattgegeben, wenn nach der Überzeugung des Gerichts die Wiederherstellung einer dem Wesen der Ehe entsprechenden Lebensgemeinschaft zu erwarten ist. Die Scheidung ist auf Verlangen des beklagten Ehegatten auch abzuweisen, wenn die Zerrüttung allein oder überwiegend vom klagenden Ehegatten verschuldet ist und den beklagten Ehegatten die Scheidung härter träfe als den klagenden Ehegatten die Abweisung der Scheidungsklage. Ein unbedingter Scheidungsanspruch besteht nach sechs Jahren (§ 55 EheG). In Italien kann ein Ehegatte nach drei Jahren die Scheidung verlangen, doch muss die Trennung gerichtlich angeordnet sein. Eine faktische Trennung genügt nicht (Art. 3 G über die Auflösung der Ehe).

25

BGE 5C.242/2001 vom 11. Dezember 2001.

3934

2.4

Verkürzung der Trennungsfrist bei Scheidung auf Klage eines Ehegatten

Nach Auffassung der Kommission korrigiert eine Verkürzung der Trennungsfrist von vier auf zwei Jahre die Mängel des geltenden Rechts. Eine zweijährige Trennungsfrist wird vom scheidungswilligen Ehegatten, der kurz- oder mittelfristig sein Leben neu gestalten will, weniger negativ empfunden. Diese Wartezeit ist erträglicher, und damit wird die Versuchung, sich auf Artikel 115 ZGB zu berufen, deutlich verringert. So wird das mit der Revision angestrebte Ziel erreicht und Artikel 115 ZGB erhält in Theorie und Praxis seine ursprünglich beabsichtigte subsidiäre Bedeutung.

Einen Ehegatten während vier Jahren an der Scheidung zu hindern, obwohl seine Ehe zerrüttet ist und es keine Chance auf eine dauerhafte Versöhnung gibt, kann die Institution Ehe nicht stärken. Es ist eine Tatsache, dass gegenüber früher Ehen tendenziell immer rascher geschieden werden und dass es kaum möglich ist, mit der Beibehaltung strenger Regeln gegen diese Entwicklung anzukämpfen. Der Wille allein, dass die Institution Ehe in unserer Gesellschaft weiterhin grundlegenden Stellenwert haben soll, rechtfertigt nicht, eine Trennungsfrist beizubehalten, die von der Lehre, von der Praxis und von vielen Eheleuten als zu lang eingestuft wird26.

Die Trennungsfrist muss es den Eheleuten ermöglichen, sich eingehend mit den Folgen ihrer ehelichen Verbindung auseinander zu setzen. Sie müssen in der Lage sein, in Kenntnis der Sachlage zu entscheiden, ob sie nach einer Zeit des Getrenntlebens wieder zusammenleben können und wollen. Die Trennungsfrist muss es auch dem Ehegatten, der die Scheidung allenfalls aus materiellen Gründen nicht will, erlauben, sein Leben neu zu organisieren, dies vor allem nach einer langjährigen Ehe. Eine Verkürzung der Trennungszeit auf zwei Jahre beeinträchtigt diesen Prozess nicht. Zwei Jahre reichen, um sich darüber klar zu werden, ob eine Ehe endgültig gescheitert ist oder nicht. Sie reichen auch für den Ehegatten, der sein Leben neu organisieren muss. Auch eine allfällige Besuchsregelung ist nach zwei Jahren klar.

Die Distanz, die sich eingestellt hat, erlaubt mehr Gelassenheit im Hinblick auf die Scheidung, und die Chancen einer einvernehmlichen Scheidung sind grösser. Im andern Fall, wo die Beziehung konfliktbehaftet bleibt, würden auch zwei zusätzliche Jahre Wartezeit keine Verbesserung bringen.

Die vorgeschlagene
Revision ist im Einklang mit dem bewährten System der Scheidungsgründe. Je kürzer die Frist von Artikel 114 ZGB angesetzt wird, desto weniger wird auf die Unzumutbarkeit der Fortsetzung der Ehe wegen schwerwiegender Gründe ausgewichen werden. Bei einer zweijährigen Trennungsfrist wird Artikel 115 ZGB aber immer noch einen Anwendungsbereich haben. Nicht auszuschliessen ist, dass bei einer Herabsetzung der Frist nach Artikel 114 ZGB für einzelne Ehepartner inskünftig weniger Anreiz besteht, sich über die Scheidung und deren Folgen zu einigen. Das unbestrittene Revisionsziel, im Interesse aller Beteiligten die Scheidung auf gemeinsames Begehren gegenüber der Streitscheidung zu 26

Rumo-Jungo A., Die Unzumutbarkeit der Fortsetzung der ehelichen Gemeinschaft bzw.

der Ehe nach altem und neuem Scheidungsrecht: übergangsrechtliche Probleme in: Recht 2/2001, S. 82 ff, 84; Weber R., Zusammenfassung und Kritik des BGE 127 III 129 in: AJP/PJA 4/2001, S. 466 ff, 469 f.

Vetterli R., Die Scheidung auf Klage in der Praxis in: AJP/PJA 1/2002, S. 102 ff., 108.

3935

fördern und die übrigen Scheidungsgründe auf dieses Ziel hin auszurichten, bleibt aber unberührt. Auch eine zweijährige Trennungszeit ist lange genug, um die Scheidung auf gemeinsames Begehren nicht über Gebühr zurückzudrängen, zumal die Verfahrensdauer zur gesetzlichen Trennungszeit hinzukommt.

Die Kommission ist der Auffassung, dass selbst bei einer kürzeren Trennungsfrist kein Anlass besteht, eine Härteklausel einzuführen, die es ermöglicht, die Scheidung aufzuschieben, wenn sie für einen der Gatten ausserordentliche und übermässig harte Folgen haben sollte. Gewisse Länder (z.B. Deutschland, England, Frankreich, Österreich) kennen solche Klauseln; sie sind allerdings umstritten und werden selten angewandt27. Der Hauptnachteil dieser Klausel ist, dass sie dem Verschuldensbegriff, den man möglichst aus dem Scheidungsrecht verbannt haben wollte, wieder die Türe öffnen.

Angesichts des nachweislichen Bedürfnisses, die Trennungsfrist bei Scheidung auf Klage eines Ehegatten zu ändern, ist nach Auffassung der Kommission zu legiferieren, ohne den Bericht des Bundesrates zum Postulat Jutzet «Anwendung des neuen Scheidungsrechts» (00.3681) abzuwarten.

2.5

Trennungsfrist bei rechtshängigen Scheidungsprozessen

Nach dem Vorbild von Artikel 7b Absatz 1 SchlT ZGB sind für Scheidungsprozesse, die von einer kantonalen Instanz zu beurteilen sind, mit dem Inkrafttreten des neuen Rechts auch die neuen Scheidungsvoraussetzungen nach den Artikeln 114 und 115 E ZGB anwendbar (Art. 7c E SchlT ZGB). Für die Gutheissung der Klage auf Scheidung nach Artikel 114 E ZGB genügt ein zweijähriges Getrenntleben im Zeitpunkt des Inkrafttretens des neuen Rechts; nicht abzustellen ist auf den Zeitpunkt der Klageeinreichung (vgl. BGE 126 III 401). Im Falle eines vor einer kantonalen Instanz rechtshängigen Prozesses wegen Unzumutbarkeit der Fortsetzung der Ehe (Art. 115 ZGB) kann die Ehe aufgrund des Ablaufs der zweijährigen Trennungszeit (Art. 114 E ZGB) geschieden werden.

Ist ein Urteil des Bundesgerichts vor Inkrafttreten des neuen Rechts ­ und somit nach «bisherigem» Recht ­ ergangen und der Fall an die kantonale Instanz zurückgewiesen worden, so ist im kantonalen Verfahren nach der Rückweisung das neue Recht anwendbar, sofern es inzwischen in Kraft getreten ist. Im Übrigen entscheidet das Bundesgericht nach bisherigem Recht, wenn für die Rechtskontrolle des angefochtenen Urteils ebenfalls das bisherige Recht massgebend ist.

27

Erwähnte Botschaft, BBl 1996 I 1, 42 f.

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3

Finanzielle und personelle Auswirkungen

Die Änderung der Artikel 114 und 115 ZGB führt weder für den Bund noch für die Kantone und die Gemeinden zu Mehrausgaben oder zu zusätzlichem Personalaufwand. Man kann davon ausgehen, dass dank dieser Gesetzesänderungen die Anzahl zivilgerichtlicher Verfahren sinkt.

4

Verfassungsmässigkeit

Die Kompetenz des Bundes, im Zivilrecht Vorschriften zu erlassen, stützt sich auf Artikel 122 Absatz 1 der Bundesverfassung.

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