zu 01.408 Parlamentarische Initiative Trennungsfrist bei Scheidung auf Klage eines Ehegatten Bericht vom 29. April 2003 der Kommission für Rechtsfragen des Nationalrates Stellungnahme des Bundesrates vom 2. Juli 2003

Sehr geehrter Herr Präsident, sehr geehrte Damen und Herren, zum Bericht vom 29. April 2003 der Rechtskommission des Nationalrates betreffend Trennungsfrist bei Scheidung auf Klage eines Ehegatten nehmen wir nach Artikel 21quater Absatz 4 des Geschäftsverkehrsgesetzes (GVG) nachfolgend Stellung.

Wir versichern Sie, sehr geehrter Herr Präsident, sehr geehrte Damen und Herren, unserer vorzüglichen Hochachtung.

2. Juli 2003

Im Namen des Schweizerischen Bundesrates Der Bundespräsident: Pascal Couchepin Die Bundeskanzlerin: Annemarie Huber-Hotz

2003-1200

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Stellungnahme 1

Ausgangslage

Am 20. März 2001 reichte Frau Nationalrätin Lili Nabholz eine parlamentarische Initiative in der Form einer allgemeinen Anregung ein. Dies mit dem Ziel, die in den Artikeln 114 und 115 des Zivilgesetzbuches (ZGB) vorgesehenen Trennungsfristen von vier Jahren auf zwei Jahre zu verkürzen.

Entsprechend dem Antrag seiner Kommission für Rechtsfragen beschloss der Nationalrat am 16. September 2002 mit 131 gegen 18 Stimmen, der Initiative Folge zu geben. Im Anschluss daran erarbeitete diese Kommission einen entsprechenden Vorentwurf und verzichtete auf die Durchführung einer Vernehmlassung.

2

Stellungnahme des Bundesrates

Den Scheidungsgründen des neuen Rechts, das am 1. Januar 2000 in Kraft getreten ist, liegt folgendes gesetzgeberisches Konzept zu Grunde: 1.

Förderung der einverständlichen Scheidung (Art. 111­112 ZGB).

2.

Nach Ablauf einer bestimmten Trennungsfrist formalisierte Scheidung auf Begehren eines Ehegatten, um das Verschuldensprinzip so weit wie möglich aus dem Gesetz zu eliminieren (Art. 114 ZGB).

3.

Vor Ablauf der für eine formalisierte Scheidung erforderlichen Trennungsfrist Scheidung im Interesse der Einzelfallgerechtigkeit: Nur derjenige Ehegatte kann die Scheidung verlangen, dem die schwer wiegenden Gründe, welche die Fortsetzung der Ehe als unzumutbar erscheinen lassen, nicht zuzurechnen sind (Art. 115 ZGB). Unter dem Begriff der Zurechnung wird auch dem Verschulden Rechnung getragen.

Nach der Scheidungsstatistik1 ist das erste Ziel erreicht worden: Jahr

2001

2002

Gesamtzahl der Scheidungen

15 778

16 388

Scheidungen auf gemeinsames Begehren

15 247

15 861

Scheidungen nach Ablauf der Trennungsfrist

310

296

Scheidungen wegen Unzumutbarkeit

221

231

2002 gab es zudem 135 Klageabweisungen. Mit über 95 Prozent Konventionalscheidungen hat die Schweiz auch im Vergleich zum Ausland einen ausgesprochen hohen Anteil an einverständlichen Scheidungen.

Dagegen zeichnete sich schon vor Inkrafttreten des total revidierten Scheidungsrechts ab, dass ein grosser Teil der Praxis an die Scheidung nach Artikel 115 ZGB 1

Angaben des Bundesamtes für Statistik, Sektion Bevölkerungsentwicklung.

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einen ausserordentlich strengen Massstab anlegen würde ­ nicht zuletzt, um unerfreulichen Streitigkeiten vorzubeugen und um den formalisierten Scheidungsgrund zu fördern, der für die Gerichte einfach anzuwenden ist. Allerdings muss dazu angemerkt werden, dass nach gewissen Rückmeldungen aus der Praxis zum Teil umso heftiger um die Kinder gestritten wird. Das Bundesgericht hat zwar korrigierend eingegriffen, indem es in BGE 127 III 133 f. dargelegt hat, dass Artikel 115 ZGB nicht nur ein Notventil sei und dass an das Vorliegen eines schwer wiegenden Grundes nicht übertriebene Anforderungen gestellt werden dürften. Die offene Formulierung von Artikel 115 ZGB müsse es vielmehr den Gerichten ermöglichen, die Umstände des Einzelfalles zu berücksichtigen und nach Recht und Billigkeit zu entscheiden. Die Praxis ist aber nach wie vor sehr streng. Seit dem Inkrafttreten des neuen Rechts ist allerdings erst relativ wenig Zeit vergangen, so dass man noch nicht von einer konsolidierten Praxis sprechen kann.

Nachdem der Nationalrat eine Motion abgelehnt hat, welche die Trennungsfrist nach der Ehedauer und dem Vorhandensein von Kindern abstufen wollte, bieten sich immer noch verschiedene Lösungen an, wenn man die Scheidung liberalisieren will.

In der Literatur2 ist vorgeschlagen worden, zwar an der vierjährigen Trennungsfrist festzuhalten, die Scheidungsklage aber bereits vor Ablauf dieser Frist zuzulassen, damit nach vier Jahren die Scheidung tatsächlich ausgesprochen werden kann.

Denkbar ist auch, Artikel 115 ZGB flexibler auszulegen, damit der Einzelfallgerechtigkeit besser Rechnung getragen werden kann. Schliesslich kann die erforderliche Trennungsfrist für eine formalisierte Scheidung verkürzt werden.

Die nationalrätliche Kommission für Rechtsfragen hat sich für die letztere Lösung entschieden und schlägt eine Halbierung der Trennungsfrist nach Artikel 114 ZGB vor. Unabhängig von der Dauer der Ehe, der wirtschaftlichen Situation des die Scheidung ablehnenden Ehegatten und der Zahl der Kinder soll statt wie bisher nach vier Jahren neu nach zwei Jahren Trennung auf Antrag eines Ehegatten in jedem Fall die Scheidung ausgesprochen werden.

Bei der Beantwortung der Frage, nach welcher Trennungsdauer eine Ehe als unheilbar und unwiderruflich gescheitert angesehen werden darf, gilt es nicht nur, das eingangs
geschilderte Konzept der Scheidungsgründe im Auge zu behalten, sondern auch dem Umstand Rechnung zu tragen, dass unter der Ehe eine auf Dauer, d.h.

grundsätzlich bis zum Tod eines Ehegatten angelegte Lebensgemeinschaft eines Mannes und einer Frau zu verstehen ist. Mit diesem Konzept der Ehe ist eine Scheidung, die einseitig ins Belieben eines Ehegatten gestellt würde, indem bloss eine relativ kurze «Kündigungsfrist» eingehalten werden müsste, kaum vereinbar. Vielmehr ist auch das Vertrauen der Partnerin oder des Partners in den Bestand der Ehe bzw. in die durch Eingehung der Ehe begründeten Rechtsverhältnisse zu schützen.

Keinen Schutz mehr verdient indessen eine Ehe, die definitiv gescheitert ist. Dem Ehegatten, der wegen der Ehe seine Lebensverhältnisse grundlegend umgestaltet hat und keinen schwer wiegenden Grund für eine Auflösung der Ehe gegeben hat, muss aber ausreichend Zeit für eine Neuorientierung eingeräumt werden. Immerhin wurden im Jahr 2001 20 Prozent der Scheidungen nach einer Ehedauer von 20 und mehr Jahren ausgesprochen.

2

Roland Fankhauser, Vom clean break zum fast break? Überlegungen zur geforderten Revision von Art. 114 ZGB, in: FamPra 3/2002, 471 ff.

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Wie schon die parlamentarische Beratung zum geltenden Artikel 114 ZGB gezeigt hat, können die Auffassungen über feste Fristen auseinandergehen. Der Ständerat votierte seinerzeit für fünf Jahre, der Nationalrat für drei Jahre, gefunden hat man sich bei vier Jahren.

Heute, das heisst relativ kurz nach dem Inkrafttreten des neuen Scheidungsrechts, beantragt die nationalrätliche Kommission, die Frist auf zwei Jahre zu senken. Sie macht dafür geltend, dass diese Frist vom scheidungswilligen Ehegatten, der kurzoder mittelfristig sein Leben neu gestalten will, weniger negativ empfunden werde.

Zwei Jahre reichten aus, um sich darüber klar zu werden, ob eine Ehe endgültig gescheitert sei. Diese Frist würde auch für den anderen Ehegatten ausreichen, der seine Lebensverhältnisse neu organisieren müsse. Artikel 115 ZGB sei dann wirklich nur noch ein Notventil. Das Revisionsziel, die einverständliche Scheidung zu fördern, bleibe erhalten.

Welche Frist gewählt wird, bleibt letztlich ein Ermessensentscheid. Der Bundesrat widersetzt sich deshalb der vorgeschlagenen Reform nicht, wenn das Parlament der Überzeugung ist, dass unabhängig von der Ehedauer jede Ehe nach zwei Jahren Trennung unwiderruflich gescheitert ist und dass der Widerstand des Ehegatten, der sich der Scheidung widersetzt, in keinem Fall mehr gerechtfertigt ist. Der Bundesrat möchte indessen auf folgende Punkte aufmerksam machen: ­

Mit dem Vorschlag der nationalrätlichen Kommission erhält die Schweiz im Vergleich zu ihren Nachbarstaaten (siehe Ziff. 2.3 des Berichts der Kommission für Rechtsfragen) ein verhältnismässig liberales Scheidungsrecht. Die Gesetzgeber von Deutschland, Österreich, Frankreich und Italien haben sich beim formalisierten Scheidungsgrund für längere Fristen entschieden.

­

Der scheidungswillige Ehegatte, der sich von seiner Partnerin oder seinem Partner endgültig trennen will, wird jede Frist als relativ lang empfinden.

Tatsache bleibt, dass ein Ehegatte, der scheiden will und keinen Scheidungsgrund hat, in Scheidungsverhandlungen zu Konzessionen gezwungen werden kann.

­

Auch mit einer Frist von zwei Jahren dürfte die Zahl von Eheschutzverfahren, die seit dem Inkrafttreten des neuen Scheidungsrechts massiv gestiegen ist, wohl kaum beträchtlich abnehmen, denn auch bei einer zweijährigen Trennungsfrist muss das Getrenntleben in vielen Fällen autoritativ geregelt werden. Da die nationalrätliche Kommission die Voraussetzung, dass die Trennungsfrist bei Eintritt der Rechtshängigkeit der Scheidungsklage abgelaufen sein muss, nicht ändert, bleibt das Eheschutzgericht hiefür zuständig.

­

Der Ehegatte, der sich heute aus berechtigten Gründen der Scheidung widersetzt und der keine Erwerbstätigkeit ausüben kann, weil er die gemeinsamen Kinder betreut, verliert insbesondere für zwei Jahre den Vorsorgeausgleich (Art. 122 ff. ZGB). Eine Kompensation über Artikel 125 ZGB ist nur beschränkt möglich.

­

Die Scheidung hat einschneidende Folgen auf die Elternrechte. Wenn bereits nach einer zweijährigen Trennungszeit einseitig die Scheidung verlangt werden kann, stellt sich die Frage, ob die Rechtsstellung der Väter nicht ähnlich wie in Deutschland und Frankreich verbessert werden sollte. Die gemeinsame elterliche Sorge setzt nämlich nach Artikel 133 ZGB immer einen gemeinsamen Antrag voraus.

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­

Das Problem des internationalen Privatrechts, dass im Ausland häufig rascher eine Scheidungsklage eingereicht werden kann als in der Schweiz (forum running), bleibt mit der beantragten Revision von Artikel 114 ZGB ungelöst.

­

Erst die Praxis wird zeigen, ob mit einer Halbierung der Trennungsfrist die Zahl der einverständlichen Scheidungen signifikant zurückgehen wird oder nicht.

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