zu 03.421 Parlamentarische Initiative Kehrichtverbrennungsanlage (KVA) des Kantons Tessin Bericht vom 4. September 2003 der Kommission für Umwelt, Raumplanung und Energie des Ständerates Stellungnahme des Bundesrates vom 19. November 2003

Sehr geehrter Herr Präsident, sehr geehrte Damen und Herren, zum Entwurf der UREK-S vom 4. September 2003 für eine Änderung der Bestimmungen über Bundesbeiträge im Gewässerschutzgesetz (GSchG) nehmen wir nach Artikel 21quater Absatz 4 des Geschäftsverkehrsgesetzes (GVG) nachfolgend Stellung.

Wir versichern Sie, sehr geehrter Herr Präsident, sehr geehrte Damen und Herren, unserer vorzüglichen Hochachtung.

19. November 2003

Im Namen des Schweizerischen Bundesrates Der Bundespräsident: Pascal Couchepin Die Bundeskanzlerin: Annemarie Huber-Hotz

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Stellungnahme 1

Ausgangslage

Mit Schreiben vom 4. September 2003 ersuchte die Kommission für Umwelt, Raumplanung und Energie des Ständerates (UREK-S) den Bundesrat, zum Entwurf einer Änderung des Bundesgesetzes über den Schutz der Gewässer (Gewässerschutzgesetz; GSchG) Stellung zu nehmen.

Der vorliegende Entwurf geht auf die Parlamentarische Initiative Lombardi vom 4. Oktober 2002 (02.462) zurück, welche verlangt, die für die Gewährung von Bundesbeiträgen an Abfallanlagen massgeblichen Bestimmungen des GSchG so zu ändern, dass auch die im Kanton Tessin geplante Anlage vom Bund finanziell unterstützt werden kann. Zu diesem Zweck soll Artikel 62 Absatz 2 GSchG dahingehend ergänzt werden, dass ein Subventionsanspruch bestehen bleibt, wenn vor dem ursprünglichen Ablauf der Frist, d.h. vor dem 1. November 1999, eine Baubewilligung vorlag, das Bauprojekt aber aus Gründen ausserhalb des Einflussbereiches des Kantons geändert und neu bewilligt werden muss.

Die UREK-S hat am 1. Mai 2003 einstimmig beschlossen, die ursprünglich von Ständerat Lombardi eingereichte Parlamentarische Initiative durch eine Initiative der Kommission zu ersetzen; dies nicht zuletzt, um eine raschere Verabschiedung des Geschäftes zu ermöglichen. Am 4. September 2003 hat die UREK-S eine entsprechende Vorlage und den Bericht zur Parlamentarischen Initiative Kehrichtverbrennungsanlage (KVA) des Kantons Tessin verabschiedet.

2

Stellungnahme des Bundesrates

2.1

Allgemeine Überlegungen

Gestützt auf das Gewässerschutzgesetz (GSchG) hat der Bund seit 1971 Subventionen an Abwasser- und Abfallanlagen ausgerichtet, die praktisch allen Kantonen zugute kamen. Mit verschiedenen Änderungen des GSchG hat das Parlament dann aber in den neunziger Jahren die Bestimmungen über Bundessubventionen zunehmend restriktiver ausgestaltet und damit die längerfristige Politik des Bundes auf die Beendigung der Subventionierung von Abfallanlagen ausgerichtet.

Mit dem Gewässerschutzgesetz vom 24. Januar 1991 hat der Bund die Subventionierung von Abfallanlagen in finanzstarken Kantonen schliesslich eingestellt. Für finanziell mittelstarke und schwache Kantone wurde dagegen eine Übergangsfrist von fünf Jahren, d.h. bis 31. Oktober 1997, aufgenommen. Bei der Beratung der Änderung des GSchG vom 20. Juni 1997 wurde der für die Subventionierung von Kehrichtverbrennungsanlagen (KVA) massgebliche Absatz 2 des Artikels 62 GSchG im Sinne eines Antrages von Ständerat Respini ergänzt. Damit erhielt der Bundesrat die Kompetenz, die für Subventionen massgebliche Frist für Regionen, die noch nicht über die notwendigen Kapazitäten verfügen, bis spätestens 31. Oktober 1999 zu verlängern, falls die Umstände dies erfordern. Auf Antrag der Kantone Bern und Tessin, welche zu diesem Zeitpunkt noch nicht über die notwendigen Anlagen verfügten, hat der Bundesrat mit Beschluss vom 20. Dezember 1999 für die

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beiden Kantone Bern und Tessin die Frist für das Vorliegen erstinstanzlicher Verfügungen bis zum 31. Oktober 1999 verlängert.

Aus ökologischen Gründen strebt der Bund seit Jahren die Verbrennung der nicht verwertbaren brennbaren Abfälle an. Seit dem 1. Januar 2000 ist die direkte Ablagerung brennbarer Abfälle verboten. Damit diese Regelung umgesetzt werden kann, sind ausreichende Verbrennungskapazitäten notwendig. Bund und Kantone haben seit 1992 die kantonalen Planungen der KVA koordiniert und dabei eine angemessene Kapazität und eine ausgewogene regionale Verteilung angestrebt. Die KVA Tessin war von Beginn weg in der Planung des Bundes und der Kantone enthalten.

2.2

Zum Spezialfall der KVA Tessin

In Übereinstimmung mit der gesamtschweizerischen Planung des Bundes beabsichtigt der Kanton Tessin den Bau einer KVA in Giubiasco. Das heute vorliegende Projekt einer konventionellen KVA ersetzt das im Jahr 2000 gestoppte Projekt einer Thermoselect-Anlage. Für diese Anlage lag seinerzeit eine auf das konkrete Vorhaben zugeschnittene, im September 1999 erteilte Baubewilligung vor. Diese Anlage wäre demnach mit Bundesbeiträgen unterstützt worden, nicht aber die neu geplante Anlage, für welche bis heute noch keine erstinstanzliche Baubewilligung vorliegt.

Die mit der vorliegenden Parlamentarischen Initiative beantragte Änderung des GSchG im Sinne einer erneuten Fristverlängerung ist die einzige Möglichkeit, um die geplante KVA im Kanton Tessin mit Bundesbeiträgen unterstützen zu können.

Ohne Gesetzesänderung müssten heute die Bundesbeiträge aus formalen Gründen ­ dem zu späten Vorliegen einer erstinstanzlichen Baubewilligung ­ verweigert werden.

Die KVA Tessin ermöglicht die Behandlung der Abfälle nahe am Ort ihrer Entstehung. Dies spart Transportkosten und vermeidet die Umweltbelastung durch lange Transportwege. Wie eine Abschätzung des Kantons Tessin zeigt, würden bei einer Entsorgung der Abfälle in Anlagen in der Ostschweiz innerhalb von 25 Jahren Transportkosten entstehen, die praktisch den Investitionskosten der KVA Tessin entsprächen. Der Bau der KVA Tessin ist somit aus ökologischen und ökonomischen Gründen gleichermassen sinnvoll.

2.3

Zur vorgeschlagenen Gesetzesänderung im Detail

Der von der Kommission verabschiedete Gesetzesentwurf zur Ergänzung von Artikel 62 Absatz 2 des Gewässerschutzgesetzes vom 24. Januar 1991 ist zweckmässig und erlaubt es, die für Beiträge massgebliche Frist zu verlängern, ohne dass ein neuerlicher Bundesratsentscheid notwendig wird.

2.4

Finanzielle und finanzpolitische Überlegungen

Die im Kanton Tessin geplante Anlage verursacht Investitionskosten von rund 250 Millionen Franken. Die beitragsberechtigten Kosten werden ungefähr 200 Millionen Franken betragen. Gemäss GSchG beträgt der Subventionssatz 25 Prozent der beitragsberechtigten Kosten. Gestützt auf die von der UREK-S vorgeschlagene 8045

Gesetzesänderung können an die KVA Tessin Bundesbeiträge in der Höhe von rund 50 Millionen Franken geleistet werden. Die Gewährung von Bundesbeiträgen verbilligt die Behandlung der Abfälle in der KVA Tessin um etwa 30 Franken pro Tonne, d.h. von rund 220 auf 190 Franken pro Tonne.

Wie erwähnt haben Bundesrat und Parlament die für Subventionen massgeblichen Bestimmungen wiederholt restriktiver ausgestaltet. Gleichzeitig verfolgten Bundesrat und Parlament konsequent das Ziel, die Gewährung von Subventionen an die Kantone nicht von Einzelfallentscheiden im Zusammenhang mit Einsprachen gegen konkrete Projekte abhängig zu machen. So wurde mit der Änderung des GSchG vom 20. Juni 1997 das für Subventionen massgebliche Kriterium des Baubeginns durch das Kriterium «erstinstanzliche Bewilligung» ersetzt. Bei der Beratung dieser Änderung des GSchG wurde der für die Subventionierung von KVA entscheidende Artikel 62 GSchG dahingehend ergänzt, dass der Bundesrat die Kompetenz erhielt, die massgebliche Frist zu verlängern. Gestützt auf diese Kompetenz hat der Bundesrat die Frist für die beiden Kantone Tessin und Bern ein erstes Mal verlängert. Dies war nicht zuletzt deshalb notwendig, weil aus technischen Gründen bei der in Thun geplanten Anlage eine Projektänderung und damit eine neue Baubewilligung nötig wurden.

Der Bundesrat und das Parlament haben somit in der Vergangenheit mit ihren Entscheiden den Anspruch auf Subventionen auch dann bestätigt, wenn dieser durch einen zufälligen, nicht dem Kanton anzulastenden Grund verfallen wäre.

Die gegenwärtige kritische Lage der Bundesfinanzen und die im Rahmen des Entlastungsprogrammes 2003 insbesondere im Bereich der Abwasser- und Abfallanlagen notwendigen Kürzungen erleichtern den Entscheid zu Gunsten einer Fristverlängerung nicht. Weil Bundesbeiträge an Abfallanlagen erst ausbezahlt werden, wenn die entsprechenden Investitionen getätigt sind, wird eine erste Zahlung voraussichtlich im Jahr 2007 fällig. Werden die Beschlüsse der Eidgenössischen Räte zum Entlastungsprogramm 03 berücksichtigt, so sind unter der Rubrik «Abwasser und Abfallanlagen» noch die folgenden Mittel eingestellt: 2004 155 Millionen, 2005 114 Millionen, 2006 121 Millionen und 2007 80 Millionen. Diese Mittel reichen aus, um die alten Verpflichtungen im Bereich der Abwasser- und Abfallanlagen bis
spätestens 2008 abzubauen, auch wenn 2007 eine erste Zahlung für die KVA Tessin erfolgt. In den folgenden zwei oder drei Jahren kann die Auszahlung der Bundesbeiträge an die KVA Tessin abgeschlossen werden.

2.5

Zusammenfassende Stellungnahme

Das Parlament hat sich in der Vergangenheit bereits einmal für die Verlängerung der für Subventionen massgeblichen Frist ausgesprochen, um damit Bundesbeiträge an den im Kanton Tessin vorgesehenen Bau einer KVA zu ermöglichen. Die vorberatende Kommission des Ständerates hat sich einstimmig für die nun vorgeschlagene Vorlage ausgesprochen. In Anbetracht der mit dem Bau der KVA Tessin verbundenen Vorteile unterstützt der Bundesrat die in der Vergangenheit klar zum Ausdruck gebrachte Haltung des Parlamentes und befürwortet die vorgeschlagene Gesetzesänderung.

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