03.012 Botschaft zum Bundesbeschluss über den Einsatz der Armee im Assistenzdienst zugunsten der zivilen Behörden und im Rahmen des Staatsvertrages mit Frankreich anlässlich des G8-Gipfels in Evian vom 1. bis 3. Juni 2003 vom 12. Februar 2003

Sehr geehrte Herren Präsidenten, sehr geehrte Damen und Herren, wir unterbreiten Ihnen die Botschaft zu einem einfachen Bundesbeschluss über den Einsatz der Armee im Assistenzdienst zugunsten der zivilen Behörden und im Rahmen des Staatsvertrages mit Frankreich anlässlich des G8-Gipfels in Evian vom 1. bis 3. Juni 2003 mit dem Antrag auf Zustimmung.

Wir versichern Sie, sehr geehrte Herren Präsidenten, sehr geehrte Damen und Herren, unserer vorzüglichen Hochachtung.

12. Februar 2003

Im Namen des Schweizerischen Bundesrates Der Bundespräsident: Pascal Couchepin Die Bundeskanzlerin: Annemarie Huber-Hotz

2003-0182

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Übersicht Vom 1. bis 3. Juni 2003 findet der nächste Gipfel der G8 in Evian-les-Bains statt.

Auf Anfrage des französischen Präsidenten hatte der damalige Bundespräsident Kaspar Villiger die Unterstützung der Schweiz zugesagt.

Die Probleme der Sicherheit rund um den Gipfel erfordern ausserordentliche Massnahmen der Eidgenossenschaft, die über das normale Mass der Polizeiaufgaben hinausgehen, die in die Kompetenz der direkt betroffenen Kantone fallen. Zudem wird der Assistenzdienst der Armee, im Gegensatz zu allen bisherigen subsidiären Einsätzen, eine neue Dimension in Form der grenzüberschreitenden Kooperation beinhalten.

Die Sicherheit im Grenzraum, auf dem Genfersee und im Luftraum kann nur dann wirksam gewährleistet werden, wenn die Schweiz und Frankreich ihre Souveränität für eine befristete Zeitdauer und in einem klar definierten, begrenzten geografischen Raum gemeinsam ausüben. Zu diesem Zweck werden die Schweiz und Frankreich einen bilateralen Staatsvertrag abschliessen.

Der Bundesrat hat Mitte Januar 2003 auf Anfrage der Kantone Genf, Waadt und Wallis einen subsidiären Sicherungseinsatz der Armee in Aussicht gestellt.

Das Gefährdungspotenzial der internationalen Konferenz ist aufgrund ihrer medialen Aufmerksamkeit, ihrer Visibilität und ihrer Symbolkraft hoch. Die Bedrohungsanalyse geht von zwei unterschiedlichen Annahmen aus: Einerseits sind Einzelpersonen, Delegationen, Einrichtungen oder Objekte einem Sicherheitsrisiko ausgesetzt. Andererseits muss mit globalisierungskritischen Kundgebungen grösseren Ausmasses, mit Sachbeschädigungen und Ausschreitungen gerechnet werden.

Auf bilateraler Ebene hat die Schweiz stets unterstrichen, dass für zu erwartende öffentlich-politische Kundgebungen ein Ort auf französischem Territorium gefunden werden müsse.

Die Mittel und die kantonalen polizeilichen Sicherheitskräfte der drei betroffenen Kantone reichen nicht aus, um die Sicherheit einer solchen Veranstaltung in ausreichendem Masse zu gewährleisten, selbst dann nicht, wenn sie durch andere Polizeikorps verstärkt werden. Damit sind die Voraussetzungen für einen Einsatz der Armee im Assistenzdienst erfüllt.

Zur Gewährleistung der Sicherheit rund um den G8-Gipfel in Evian wird aufgrund der heutigen Lagebeurteilung von rund 4500 Angehörigen der Armee im Assistenzdienst ausgegangen. Der
Assistenzdienst dauert längstens vom 22. Mai bis am 5. Juni 2003.

Da es um einen Einsatz von mehr als 2000 Angehörigen der Armee geht, muss die Bundesversammlung den Einsatz genehmigen.

Der subsidiäre Sicherungseinsatz der Armee wird von Formationen der Armee im Rahmen des angepassten Kurstableau 2003 als Ganzes oder in Teilen geleistet. Dazu kommen Berufspersonal des Festungswachtkorps und der Luftwaffe. Das Grenzwachtkorps wird zusätzlich durch Angehörige der Armee unterstützt. Zur Sicherheit

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im Luftraum wird für die Dauer des G8-Gipfels der Luftraum über der Region für den Luftverkehr eingeschränkt.

Frankreich und die Schweiz tragen prinzipiell die Verantwortung für die Sicherheit auf ihrem Hoheitsgebiet. Zur grenzüberschreitenden militärischen Zusammenarbeit wird es insbesondere auf dem Wasser (Genfersee) und in der Luft kommen. Diese Zusammenarbeit wird im vorgesehenen Staatsvertrag mit Frankreich geregelt.

Die vorläufigen Gesamtkosten des Armeeeinsatzes von rund 4,0 Millionen Franken können voraussichtlich vollumfänglich im Rahmen der bewilligten Kredite des VBS aufgefangen werden. Dem Bund erwachsen demzufolge keine zusätzlichen Ausgaben. Den Kantonen werden aus dem Armeeeinsatz keine Kosten weiter verrechnet. Die Leistungen, welche die Armee im Bereich der Führungsunterstützung und Logistik zu Gunsten Frankreichs erbringt, werden zum Selbstkostenpreis bzw. nach dem Gebührentarif VBS in Rechnung gestellt. Die Regelung dieser Kostenabgeltung durch Frankreich ist auch Gegenstand des Staatsvertrages.

Sollten die von der Armee effektiv erbrachten Leistungen wesentlich über den gegenwärtigen Annahmen liegen, behält sich das VBS vor, im Nachgang zum Einsatz der Armee im Assistenzdienst auf dem ordentlichen Wege die Aufhebung der Kreditsperre oder einen Nachtragskredit zu beantragen.

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Botschaft 1

Allgemeiner Teil

1.1

Ausgangslage

Vom 1. bis 3. Juni 2003 findet auf Einladung des französischen Präsidenten, Jacques Chirac, der nächste Gipfel der G8 in Evian-les-Bains, Frankreich, statt. Er wird kombiniert mit dem sogenannten Nouveau Partenariat pour le Développement de l'Afrique (NEPAD) und umfasst somit auch die Dimension «Afrika». Präsident Chirac hat im Sommer 2002 den damaligen schweizerischen Bundespräsidenten darüber informiert und um schweizerische Unterstützung in den Bereichen Logistik, Schutz und Sicherheit sowie Information gebeten. Bundespräsident Kaspar Villiger hat Anfang August 2002 die Unterstützung der Schweiz zugesagt.

Anlässlich des Gipfeltreffens vom 1. bis 3. Juni 2003 in Evian werden in einem Zeitraum von fünf bis sechs Tagen im Bassin Lémanique die Regierungschefs der acht wirtschaftlich führenden Nationen der Welt und rund 20 weitere Staats- bzw. Regierungschefs aus Entwicklungs- und Schwellenländern erwartet. Diese werden durch offizielle Delegationen, die nach Schätzungen rund 10 000 Personen umfassen, begleitet. Hinzu kommen mehr als 3000 Medienvertreter. Hauptanreisedestination wird der Genfer Flughafen Cointrin sein. Die Kerndelegationen der G8-Staatschefs werden in Evian selbst untergebracht. Es ist geplant, das Gros der Teilnehmer auf der schweizerischen Seite des Genfersees, im Raum Lausanne ­ Montreux zu beherbergen. Es ist davon auszugehen, dass die Konferenz zehntausende Globalisierungskritiker aus aller Welt mobilisieren wird.

Die Massnahmen im Bereich von Schutz und Sicherheit zur Durchführung des G8Gipfels im Bassin Lémanique verlangen von der Schweiz Beiträge, welche das übliche Mass an Komplexität und Umfang übersteigen. Der Bundesrat ist gewillt, sich diesen Herausforderungen mit Blick auf den Konferenzstandort Schweiz, insbesondere Genf, zu stellen und Frankreich bei der Durchführung des Gipfels zu unterstützen.

Der Bundesrat ist sich bewusst, dass die der Schweiz zufallenden Leistungen die Kantone ­ vor allem im Bereich von Schutz und Sicherheit ­ vor Aufgaben stellen, die nur durch subsidiäre Unterstützung seitens des Bundes zu bewältigen sind.

Nebst der Komplexität der interkantonalen, konföderalen und zivil-militärischen Zusammenarbeit kommt als neue Dimension die grenzüberschreitende, binationale Kooperation hinzu. Diese Aufgabenstellung stellt somit hohe und teilweise neuartige Anforderungen an die involvierten Partner.

1.2

Projektorganisation

Für die Vorbereitungen wurde deshalb schweizerseits ein sogenanntes Comité Directeur eingerichtet. Es setzt sich aus Vertretern des Bundes (EDA, EJPD, VBS) und der betroffenen Kantone zusammen und wird durch den Sicherheitsausschuss des Bundesrates sowie durch eine interkantonale Delegation beaufsichtigt. Das Comité Directeur hat folgende Funktionen und Aufgaben: 1520

­

Es dient als Ansprechpartner für sein französisches Pendant im Rahmen des bilateralen französisch-schweizerischen Koordinationskomitees.

­

Es ermittelt die in der Schweiz nötigen Ressourcen und plant ihren Einsatz.

­

Es überwacht die Arbeit in den Arbeitsgruppen Sicherheit, Logistik, Flughafen Genf, Kommunikation, Finanzen sowie rechtliche Aspekte.

Zum Vorsitzenden des Comité Directeur hat der Bundesrat nach Absprache mit den involvierten Kantonen Herrn Pierre Aepli, ehemaliger Kommandant der Kantonspolizei Waadt, eingesetzt. Die Federführung auf Stufe Bund hat das Eidgenössische Departement für auswärtige Angelegenheiten (EDA) inne, welches auch für die Verhandlungen mit Frankreich zuständig ist.

Seit dem Beginn der Kontaktaufnahme mit Frankreich hat die Schweiz stets unterstrichen, ­

dass für bewilligte Kundgebungen von Globalisierungskritikern ein Ort auf französischem Territorium gefunden werden müsse, und

­

dass Frankreich nicht nur für die im Zusammenhang mit der Beherbergung und dem Transport der offiziellen Delegationen verbundenen Kosten aufkommen müsse, sondern sich auch an Ausgaben, die im Zusammenhang mit den Sicherheitsmassnahmen anfallen, beteiligen solle.

Mitglieder des Bundesrates (Vorsteher VBS, Vorsteherin EJPD) haben diese Positionen anlässlich von Treffen mit ihren französischen Kollegen wiederholt zur Sprache gebracht. Frankreichs Vertreter haben auf diese grundsätzlichen Forderungen bisher positiv reagiert.

1.3

Bisherige Haltung des Bundesrates

Die Kantone Genf, Waadt und Wallis haben mit Schreiben vom 22. November 2002 um Unterstützung durch Bundesmittel ersucht und eine Kostenbeteiligung an den geschätzten Kosten für Sicherheits- und andere Vorkehrungen verlangt. Weitere Elemente des Gesuchs betrafen den Rückgriff auf einen Interkantonalen Polizeieinsatz (IKAPOL), die Unterstützung durch Truppen und Mittel der Armee, allerdings in nicht definiertem Umfang, die Verstärkung des Grenzwachtkorps, die Kostenbeteiligung an den Ausgaben in den Bereichen Unterkunft, Transporte, medizinische Infrastruktur etc. und schliesslich eine Bundeshaftung für Kollateralschäden bei Demonstrationen auf schweizerischem Boden.

Der Bundesrat hat in seiner Antwort vom 15. Januar 2003 an die Kantone Genf, Waadt und Wallis deren Gesuche in den Bereichen IKAPOL, Militärmaterial, (Luft)-Transportmittel und hinsichtlich einer finanziellen Beteiligung an den Kosten für die Sicherheitsmassnahmen grundsätzlich gutgeheissen. Zusätzlich hat er einen subsidiären Sicherungseinsatz durch Angehörige der Armee in Aussicht gestellt.

Alle Zusagen wurden mit dem Hinweis verbunden, dass der Umfang der materiellen und personellen Unterstützung des Bundes noch durch die zivilen Behörden der involvierten Kantone im Detail zu definieren sei.

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1.4

Staatsvertrag mit Frankreich

Natur und Ausmass des Anlasses, mögliche Gefährdung von Sicherheit und öffentlicher Ordnung sowie die geografischen Gegebenheiten machen es unumgänglich, dass die Durchführung des G8-Gipfels letztlich als eine gemeinsame Aufgabe von Frankreich und der Schweiz vorbereitet und durchgeführt wird. Für beide Staaten ist diese gemeinsame Aufgabe nur mit einem innovativen und kooperativen Lösungsansatz zu bewältigen. Die Sicherheit im Grenzraum Frankreich-Schweiz, auf dem Genfersee und ganz besonders im Luftraum über dem Bassin lémanique kann nur dann wirksam gewährleistet werden, wenn die Schweiz und Frankreich ihre Souveränität für eine befristete Zeitdauer und in einem klar definierten, begrenzten geografischen Raum gemeinsam ausüben.

Mit der Ausübung ungeteilter Souveränität im gemeinsamen Grenzraum betreten Frankreich und die Schweiz nicht nur politisch-rechtliches, sondern auch militärisches Neuland. Die neuartige Form dieser Zusammenarbeit im Bereich des Konferenzschutzes betrachtet der Bundesrat als mögliche Vorleistung für bevorstehende Konferenzen vergleichbarer Grössenordnung in Genf, jedoch mit umgekehrter Interessenslage.

Die beabsichtigte Kooperation zwischen den beiden Ländern muss auf einer rechtsgültigen Grundlage abgestützt sein. Für die im Rahmen des Schutzes des G8-Gipfels geplante Zusammenarbeit ist der vorgängige Abschluss eines Staatsvertrages deshalb unumgänglich. Das Abkommen kommt auch den völkerrechtlichen Schutzpflichten der Schweiz gegenüber den am Gipfel teilnehmenden offiziellen Staatsvertretern nach.

Der Vertragsentwurf, welcher der französischen Partei unterbreitet wird, steckt den Rahmen der angestrebten Zusammenarbeit ab. Er muss dabei sowohl die Souveränität beider Staaten als auch bereits bestehende bilaterale Verträge (insbesondere l'Accord de coopération transfrontalière en matière judiciaire, policière et douanière vom 11. Mai 1998 [SR 0.360.349.1]) berücksichtigen. Der Hauptteil des Entwurfes umfasst allgemeine Regelungen betreffend die für den Vollzug des Vertrages zuständigen Behörden (schweizerseits EDA), die Bildung einer gemeinsamen Koordinationsstelle und die Regelung allfälliger Streitfälle. Der Abkommensentwurf hält auch das Prinzip fest, dass die Schweiz gegenüber den offiziellen Teilnehmern des G8-Gipfels, die während dieser Zeit in der Schweiz
untergebracht sind oder durch Schweizer Gebiet reisen, das UNO-Abkommen vom 8. Dezember 1969 (SR 0.919.2) über Sondermissionen per analogie anwendet. Fragen zur finanziellen Abgeltung der Leistungen der Schweiz zugunsten Frankreichs und Fragen rund um mögliche Kollateralschäden im Gefolge des G8-Gipfels sind ebenfalls Gegenstand des Abkommens (siehe Ziff. 8). Die Zusammenarbeit zwischen den militärischen Behörden wird in den Beilagen geregelt (siehe Ziff. 5.3 und 6.1.4). Die Verhandlungen mit Frankreich sind im Gange.

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2

Aspekte der Sicherheit

2.1

Beurteilung möglicher Entwicklungen

Die nachrichtendienstlichen Organe des Bundes gehen in der Bedrohungsbeurteilung von zwei unterschiedlichen Annahmen aus: Einerseits können Einzelpersonen, Delegationen, Einrichtungen oder Objekte mit einem symbolischen Stellenwert zu Attentatszielen werden, andererseits kann es an Veranstaltungsorten anlässlich von Anti-G8-Demonstrationen beidseits der Grenze zu gewalttätigen Ausschreitungen und Sachbeschädigungen kommen.

2.2

Terrorismusbedrohung und potenzielle Ziele in der Schweiz

Es liegen bis dato keine konkreten Informationen über mögliche Anschlagsziele während des G8-Gipfels vor (Stand Anfang Februar 2003). Ein terroristischer Angriff bleibt indes eine ernstzunehmende Gefahr. Ein Gipfeltreffen dieses Ausmasses stellt ein potenzielles Ziel dar, weil es viele Kriterien wie mediale Aufmerksamkeit, Visibilität, Symbolkraft u.a.m. aufweist. Denkbar sind ebenfalls sogenannte Stellvertreter-Aktionen (nach dem Muster von Bali/Indonesien oder Djerba/Tunesien) durch verwandte Gruppierungen.

Es ist davon auszugehen, dass Evian als Gipfelstandort nicht allein als mögliches Ziel fungiert, sondern auch die sich im Bassin Lémanique befindlichen, zahlreichen Objekte, die im direkten Zusammenhang mit dem Gipfeltreffen stehen, wie beispielsweise der Flughafen Genf-Cointrin, Einrichtungen internationaler Organisationen, diplomatische Einrichtungen der Mitglieder der G8 in Genf und Bern, Hotels der in der Schweiz logierenden Gipfelteilnehmer u.a.m. Eine vollständige Abdeckung im Sinne eines umfassenden präventiven Schutzes ist nicht möglich. Aus diesem Grund müssen sich die Sicherheitsmassnahmen auf Objekte mit besonders hohem Risikopotential beschränken sowie auf Objekte, für deren Gefährdung konkrete Anzeichen vorliegen. Diese Sicherheitsmassnahmen erfolgen koordiniert mit Frankreich.

2.3

Globalisierungskritische Demonstrationen

Es ist davon auszugehen, dass der G8-Gipfel nach den gewalttätigen Ausschreitungen im Jahre 2001 in Genua noch an symbolischer Bedeutung gewonnen hat. Zusätzlich ist ein neues Protestpotenzial durch die Möglichkeit eines bewaffneten Konflikts im Irak und damit einhergehend durch einen deutlich gesteigerten internationalen Antiamerikanismus entstanden.

Frankreich beabsichtigt, massive Sicherheitsmassnahmen zu treffen und somit die Bewegungsfreiheit der militanten Globalisierungskritiker einzuschränken, gleichzeitig aber eine grossräumige Zone auf französischem Territorium für Kundgebungen zur Verfügung zu stellen.

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3

Geplante Massnahmen betreffend Einsatz der Armee

Es wird grundsätzlich zwischen dem Einsatz am Boden und in der Luft unterschieden. Zu diesem Zweck wurde eine Land Task Force (LTF) und, von ihr getrennt, eine Air Task Force (ATF) gebildet.

Formationen gemäss angepasstem Kurstableau 2003 halten sich bereit, als Ganzes oder mit Teilen die LTF und ATF zu alimentieren; insbesondere betroffen sind Formationen der Infanterie, der Leichten und Mechanisierten Truppen, der Genie-, Festungs-, Übermittlungs-, Sanitäts- und Transporttruppen, der Strassenpolizei, sowie der Luftwaffe. Dazu kommen Berufspersonal des Festungswachtkorps und der Luftwaffe.

Das Grenzwachtkorps wird durch das Festungswachtkorps im bisherigen Rahmen und zusätzlich durch Angehörige der Armee unterstützt.

Für die Dauer des G8-Gipfels wird die Benützung des Luftraumes über der Region eingeschränkt (siehe Ziff. 6.1.4 und 6.5).

4

Rechtliche Beurteilung des Armee-Einsatzes

Nach Artikel 67 des Militärgesetzes vom 3. Februar 1995 (MG; SR 510.10) können Truppen zivilen Behörden auf deren Verlangen Hilfe leisten wie etwa zur Wahrung der Lufthoheit und zum Schutz von Personen und besonders schutzwürdigen Sachen (Assistenzdienst). Die Aufgabe muss im öffentlichen Interesse liegen und die Mittel der zivilen Behörden müssen in personeller, materieller oder zeitlicher Hinsicht erschöpft sein.

Zwar ist eine abschliessende Beurteilung der Sicherheitslage für den geplanten Durchführungszeitpunkt des G8-Gipfels vom 1. bis 3. Juni zur Zeit noch nicht möglich. Aber es steht bereits fest, dass aufgrund der Nähe des Veranstaltungsortes zur Schweiz und des Einbezugs der schweizerischen Infrastrukturen (Flughafen Genf, Städte Genf und Lausanne, Verkehrsachsen) sowie des zu erwartenden Gefährdungspotentials die örtlichen polizeilichen Sicherheitskräfte nicht ausreichen werden, um die Sicherheit einer solchen Veranstaltung in ausreichendem Masse zu gewährleisten. Die Mittel der drei betroffenen Kantone reichen selbst dann nicht, wenn sie durch andere Polizeikorps verstärkt werden. Aus diesen Gründen sind die Voraussetzungen für den Einsatz im Assistenzdienst zur Unterstützung der drei Kantone erfüllt.

Auf ein entsprechendes Gesuch der Kantonsregierungen von Genf, Waadt und Wallis hat der Bundesrat am 15. Januar 2003 bereits seine Unterstützung für einen interkantonalen Polizeieinsatz zugesichert (siehe Ziff. 1.3).

Der Bundesrat stützt seinen Beschluss auf Artikel 70 MG. Diese Bestimmung lautet: 1

Zuständig für das Aufgebot und die Zuweisung an die zivilen Behörden sind: ­

der Bundesrat;

­

das Eidgenössische Departement für Verteidigung, Bevölkerungsschutz und Sport bei Katastrophen im Inland.

1524

2

Werden mehr als 2000 Angehörige der Armee aufgeboten oder dauert der Einsatz länger als drei Wochen, so muss die Bundesversammlung den Einsatz in der nächsten Session genehmigen. Ist der Einsatz vor der Session beendet, so erstattet der Bundesrat Bericht.

Im vorliegenden Fall ist geplant, mehr als 2000 Angehörige der Armee einzusetzen.

Demzufolge muss die Bundesversammlung den Einsatz genehmigen.

5

Militärische Zusammenarbeit mit Frankreich

5.1

Terrestrisch

Jede Partei trägt die Verantwortung für die Sicherheit auf ihrem Hoheitsgebiet. In diesem Bereich sind getrennte Verantwortlichkeiten vorgesehen. Mit Frankreich werden gemeinsame Einsatzregeln (Rules of Engagement) angestrebt. Grenzüberschreitende Verschiebungen von Polizei und Armeeangehörigen ­ beispielsweise bei der Verfolgung von mutmasslichen Straftätern ­ werden in den Einsatzregeln festgelegt. Auf schweizerischem Hoheitsgebiet gibt es einen (kantonsübergreifenden) Einsatzraum.

5.2

Luftraum

Für die militärische Ausbildungszusammenarbeit bestehen zwar bilaterale Verträge, für den Einsatz in Evian reichen diese jedoch nicht aus. Für gemeinsame militärische Einsätze beider Luftwaffen, wie sie im Hinblick auf den G8-Gipfel geplant sind, bestehen zur Zeit noch keine zwischenstaatlichen Grundlagen. Um die vorgesehene Zusammenarbeit im Luftraum realisieren zu können, wird daher im Rahmen des Staatsvertrages zwischen Frankreich und der Schweiz dieser Aspekt geregelt (siehe Ziff. 1.4).

5.3

Wasser

Der Genfersee ist ein einheitlicher Einsatzraum.

Da die Schweizer Armee voraussichtlich nicht über genügend Boote verfügt, muss die Möglichkeit vorbereitet und rechtlich geregelt werden, wonach französische Boote auch auf dem schweizerischen Hoheitsgebiet operieren dürfen. Es ist vorgesehen, dass sich auf diesen ein schweizerischer Verbindungsoffizier befindet, der die Verantwortung für die Einhaltung der schweizerischen Einsatzregeln auf schweizerischem Hoheitsgebiet trägt. Ab dem Ufer gilt wieder die nationale Verantwortung.

Auch dieser Bereich wird mit Frankreich vertraglich geregelt (siehe Ziff. 1.4).

1525

6

Einsatz der Armee im Assistenzdienst zugunsten der zivilen Behörden und Frankreichs

6.1

Umfang und Dauer des subsidiären Sicherungseinsatzes der Armee

Aufgrund einer heutigen Lagebeurteilung wird zum Schutz des G8-Gipfels in Evian von rund 4500 Angehörigen der Armee im Assistenzdienst ausgegangen.

Die Armee wird im Assistenzdienst vom 22. Mai bis 5. Juni 2003 eingesetzt, das heisst: ­

vom 22. Mai bis 4. Juni zugunsten des Grenzwachtkorps an der Grenze;

­

vom 28. Mai bis 5. Juni zur Unterstützung der kantonalen Behörden bei der Erfüllung von Sicherheitsmassnahmen;

­

vom 29. Mai bis 5. Juni zugunsten der Sicherheit im Luftraum, jedoch teilweise und stundenweise bereits ab dem 22. Mai für das Training und die Überprüfung der Verfahren.

6.1.1

Autonome terrestrische Einsätze (inklusive Wasser)

Die Unterstützung durch die Armee erfolgt in folgenden Bereichen: ­

Einsätze zugunsten der zivilen Polizeikräfte

­

Unterstützung des Grenzwachtkorps

­

Schutz des Flughafens Genf-Cointrin

­

Überwachung und Schutz der Autobahnen A1 und A9

­

Verstärkung Stadtpolizei Lausanne bei Überwachungsaufgaben und Verkehrsregelung

­

Verstärkung der Seepolizei auf dem Genfersee

­

Bewachung der Helikopterbasis und weiterer Infrastruktur der schweizerischen Luftwaffe sowie der französischen Armée de l'Air

­

Bewachung der Flugplätze

­

Überwachung der dominierenden Höhen

­

Eigene Führungsunterstützung

­

Verstärkung des Sanitätsdienstes

­

Transportaufgaben

6.1.2

Autonome Einsätze im Luftraum

Die Schweizer Luftwaffe wird im Rahmen der Sicherheitsmassnahmen für den Schutz des G8-Gipfels folgende Aufträge autonom zu erfüllen haben: ­

1526

Lufttransporte mit Helikoptern des Typs Alouette III, SUPERPUMA und COUGAR zugunsten der zivilen Behörden, Polizei und Armeetruppen;

­

Gegebenenfalls Überwachung vor Ort von ausgewählten Zivilflugplätzen in der Westschweiz zur Kontrolle des ordnungsgemässen Ablaufes des Flugbetriebs;

­

Ergänzung der Luftraumüberwachung durch mobile Radarstationen TAFLIR (Taktisches Fliegerradar) und Luftbeobachtungsposten;

­

Überwachung des Luftraumes mit eingeschränktem Luftverkehr im 24h-Betrieb.

6.1.3

Gemeinsame terrestrische Einsätze auf dem Wasser

Da der Genfersee als ein Einsatzraum betrachtet wird, wird es zur Zusammenarbeit mit Frankreich auf dem Wasser bei der Überwachung und in Form von Sicherheitseskorten kommen. Dabei werden französische Boote ­ mit einem schweizerischen Verbindungsoffizier zur Durchsetzung der schweizerischen Einsatzregeln ­ auch auf schweizerischem Hoheitsgebiet operieren (siehe Ziff. 5.3).

6.1.4

Gemeinsame Einsätze im Luftraum

Der Einsatz der Luftwaffe mit dem Auftrag «Wahrung der Lufthoheit» wird eng mit der Armée de l'Air koordiniert.

Um die Wahrung der Lufthoheit und die Flugsicherheit sicher zu stellen, werden folgende Leistungen grenzüberschreitend mit der Armée de l'Air erbracht: ­

Überwachung des Luftraumes und Durchsetzung der luftpolizeilichen Massnahmen zugunsten Evian-les-Bains, des Flughafens Genf, der Region Lausanne/Lavaux und innerhalb des Luftraumes mit eingeschränktem Luftverkehr im Bassin Lémanique;

­

Bereitstellung und Einsatz von Interventionsmitteln (bewaffnete Kampfflugzeuge, Propellerflugzeuge, Helikopter) für den Luftpolizeidienst;

­

Identifikation von Luftfahrzeugen und dazugehörende Entscheidungsprozesse mit der Möglichkeit des Waffeneinsatzes gemäss Artikel 10 der Verordnung vom 17. Oktober 1984 über die Wahrung der Lufthoheit (SR 748.111.1);

­

Gemeinsame Planung und Führung der Einsätze Luftverteidigung;

­

Einbezug des Bundesamtes für Zivilluftfahrt (BAZL) und der Direction Navigation Aérienne (DNA) bei sämtlichen Absprachen und Regelungen zwischen der Luftwaffe und der Armée de l'Air mit den zivilen Partnern (CH-F, beispielsweise Flughafen Genf, Skyguide, Aero Club u.a.m.);

­

Erlass aller notwendigen Publikationen für die Zivilluftfahrt (CH-F) durch das BAZL und die DNA;

­

Sicherung der Infrastruktur auf dem vorgesehenen Militärflugplatz primär mit Luftwaffenmitteln;

­

Bildung einer Lufttransportkapazitätsreserve zur Unterstützung Frankreichs im Waadtländer Jura; 1527

­

Stationierung und Betrieb von französischen taktischen Fliegerradaranlagen auf Schweizer Territorium inklusiv zugehörige Kommunikationseinrichtungen zur Radarüberwachung Unterwallis;

­

Stationierung und Betrieb von Luftwaffenmitteln der Armée de l'Air in und ab der Schweiz.

6.2

Rechtliche Massnahmen zur Sicherheit im Luftraum

Zur Sicherheit im Luftraum und zur Wahrung der Lufthoheit wird der Bundesrat gestützt auf Artikel 7 des Luftfahrtsgesetzes (LFG; SR 748.0) während der Dauer des G8-Gipfels die Benützung des schweizerischen Luftraumes über der Region einschränken.

6.3

Militärische Zuständigkeiten

6.3.1

Gesamtleitung für den Assistenzdienst der Armee zugunsten des G8-Gipfels in Evian

Die Gesamtleitung für den Assistenzdienst der Armee zugunsten der zivilen Behörden im Rahmen des Staatsvertrages mit Frankreich anlässlich des G8-Gipfels in Evian trägt der Generalstabschef.

6.3.2

Kommandant Subsidiärer Sicherungseinsatz Boden

Kommandant der Land Task Force (LTF) ist der Kommandant der Territorialdivision 1, Divisionär Luc Fellay.

6.3.3

Kommandant Subsidiärer Sicherungseinsatz Luft

Kommandant der Air Task Force (ATF) ist der Chef Untergruppe Operationen der Luftwaffe, Divisionär Markus Gygax.

7

Rechtsform

Der vorliegende Bundesbeschluss stellt einen Einzelakt der Bundesversammlung dar, der in einem Bundesgesetz (Art. 70 MG) ausdrücklich vorgesehen ist (Art. 173 Abs. 1 Bst. h BV). Da er weder rechtsetzend ist noch dem Referendum untersteht, wird er in die Form des einfachen Bundesbeschlusses gekleidet (Art. 163 Abs. 2 BV, Art. 4 Abs. 2 GVG).

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8

Finanzielle Auswirkungen

Für den geplanten Assistenzdienst zugunsten der zivilen Behörden fallen für das Gros der eingesetzten Truppen im Vergleich zu einem ordentlichen Ausbildungsbzw. Flugdienst nur unwesentlich höhere Ausgaben an.

Wesentliche kostenrelevante Sachaufwände, wie zum Beispiel der Umfang der Lufttransporte oder der Bedarf an Telekommunikationsmitteln und -netzen, können zum heutigen Zeitpunkt noch nicht hinreichend genau veranschlagt werden, da die zu erbringenden Leistungen zugunsten der zivilen Behörden und Frankreichs noch nicht festgelegt sind.

Die direkt durch die Truppen im Assistenzdienst verursachten Ausgaben betragen unter Einrechnung eines minimalen Kostenanteils für Ersatzbeschaffungen, Instandhaltung u.a.m. rund 3,0 Millionen Franken. Die Truppen im Assistenzdienst werden durch militärisches und ziviles Berufspersonal aus dem VBS unterstützt. Der einsatzspezifische Zusatzaufwand wird auf rund 1,0 Millionen Franken veranschlagt.

Die vorläufigen Gesamtkosten von 4,0 Millionen Franken können voraussichtlich vollumfänglich im Rahmen der bewilligten Kredite des VBS aufgefangen werden.

Dem Bund erwachsen demzufolge keine zusätzlichen Ausgaben. Den Kantonen werden keine Kosten weiter verrechnet.

Das VBS sieht vor, die Leistungen im Bereich der Führungsunterstützung und Logistik, welche die Armee direkt zugunsten Frankreichs erbringt, zum Selbstkostenpreis bzw. gemäss der Verordnung VBS über die Gebühren für Dienstleistungen (Gebührentarif VBS) zu verrechnen. Dabei geht es im wesentlichen um Aufwendungen, die aus der Einmietung von Leistungen bei Privaten (z.B. Fernmeldeleitungen) oder durch Transporte der Luftwaffe beziehungsweise des Heeres anfallen. Die Regelung dieser Kostenabgeltung durch Frankreich ist auch Gegenstand des Staatsvertrages.

Das VBS behält sich vor, im Nachgang zum Einsatz der Armee im Assistenzdienst auf dem ordentlichen Weg die Aufhebung der Kreditsperre oder einen Nachtragskredit zu beantragen, für den Fall, dass die von der Armee effektiv erbrachten Leistungen wesentlich über den gegenwärtigen Annahmen liegen.

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Vorverfahren

Der Bundesrat hat mit Schreiben vom 15. Januar 2003 einer Unterstützung der Kantone GE, VD und VS in den Bereichen Militärmaterial und Transportmittel sowie einer finanziellen Beteiligung an den Kosten für die Sicherheitsmassnahmen grundsätzlich zugestimmt und einen subsidiären Sicherungseinsatz durch Angehörige der Armee in Aussicht gestellt.

Die vorliegende Botschaft wurde in enger Zusammenarbeit zwischen den zuständigen Stellen des EDA, EJPD, VBS, EFD, UVEK und der Bundeskanzlei ausgearbeitet.

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