03.050 Botschaft über das Zweite Protokoll vom 26. März 1999 zum Haager Abkommen von 1954 für den Schutz von Kulturgut bei bewaffneten Konflikten vom 20. August 2003

Sehr geehrte Herren Präsidenten, sehr geehrte Damen und Herren, wir unterbreiten Ihnen mit dieser Botschaft den Entwurf eines Bundesbeschlusses betreffend das Zweite Protokoll vom 26. März 1999 zum Haager Abkommen von 1954 für den Schutz von Kulturgut bei bewaffneten Konflikten mit dem Antrag auf Zustimmung.

Wir versichern Sie, sehr geehrte Herren Präsidenten, sehr geehrte Damen und Herren, unserer vorzüglichen Hochachtung.

20. August 2003

Im Namen des Schweizerischen Bundesrates Der Bundespräsident: Pascal Couchepin Die Bundeskanzlerin: Annemarie Huber-Hotz

2003-0725

6091

Übersicht Mit dieser Botschaft unterbreitet der Bundesrat den eidgenössischen Räten das Zweite Protokoll vom 26. März 1999 zum Haager Abkommen von 1954 für den Schutz von Kulturgut bei bewaffneten Konflikten zur Genehmigung. Das Zweite Protokoll wurde im Rahmen der UNESCO ausgearbeitet. Es trägt den Entwicklungen in den Bereichen des humanitären Völkerrechts, des internationalen Strafrechts und des Rechts zum Schutz von Kulturerbe Rechnung. Das Zweite Protokoll bietet die folgenden grundlegenden Neuerungen gegenüber dem Haager Abkommen von 1954: Es werden detaillierte Strafbestimmungen für Verstösse gegen Vorschriften zum Schutz von Kulturgut eingeführt. Sämtliche Bestimmungen des Zweiten Protokolls sind auch auf nicht internationale bewaffnete Konflikte anwendbar. Ferner enthält das Zweite Protokoll eine Auflistung von präventiven Massnahmen zur Sicherung des Kulturguts, welche die Staaten bereits zu Friedenszeiten treffen müssen. Und nicht zuletzt verbessert es den Schutz für die bedeutendsten Kulturgüter der Menschheit.

Die schweizerische Rechtsordnung genügt den Anforderungen des Zweiten Protokolls. Die Verletzung von Vorschriften zum Schutz von Kulturgut wird durch das Militärstrafgesetz erfasst und die präventiven Massnahmen sind in der Verordnung zum Bundesgesetz über den Schutz von Kulturgut bei bewaffneten Konflikten vorgesehen.

Die Ratifikation des Zweiten Protokolls wird keine voraussehbaren direkten finanziellen Folgen für Bund und Kantone haben. Ob die Schweiz einen freiwilligen Beitrag in den im Zweiten Protokoll vorgesehenen Fonds für den Schutz von Kulturgut bei bewaffneten Konflikten leistet, kann erst nach der möglichen Errichtung dieses Fonds sowie im Lichte der dann herrschenden Umstände in Erwägung gezogen werden.

Die Schweiz, die im Rahmen der diplomatischen Konferenz massgeblich an der Ausarbeitung des Zweiten Protokolls beteiligt war, unterzeichnete es am 17. Mai 1999. Die Ratifikation des Zweiten Protokolls würde der humanitären Tradition der Schweiz entsprechen.

6092

Botschaft 1

Allgemeiner Teil

1.1

Einleitung

Mit dem Haager Abkommen für den Schutz von Kulturgut bei bewaffneten Konflikten vom 14. Mai 1954 (nachfolgend Abkommen/HA)1 ist ein Vertragswerk geschaffen worden, das jenen Schäden und unersetzlichen Verlusten an Kulturgut vorbeugen sollte, wie sie während des Zweiten Weltkriegs aufgetreten waren. Das Abkommen, dessen «geistige Mutter» die UNESCO ist, stellt das erste weltweit anerkannte Instrument dar, welches ausschliesslich den Schutz des Kulturguts zum Ziel hat. Kulturgut im Sinne dieses Abkommens bedeutet einerseits bewegliches und unbewegliches Gut wie z.B. Bau-, Kunst-, oder geschichtliche Denkmäler kirchlicher oder weltlicher Art, archäologische Stätten, Gruppen von Bauten, die als Ganzes von historischem oder künstlerischem Interesse sind, Kunstwerke, Manuskripte, Bücher und andere Gegenstände von künstlerischem, historischem oder archäologischem Interesse sowie wissenschaftliche Sammlungen und bedeutende Sammlungen von Büchern, von Archivalien oder von Reproduktionen des umschriebenen Kulturguts2. Andererseits werden auch Gebäude, welche der Erhaltung oder Ausstellung von beweglichem Kulturgut dienen, und Denkmalzentren unter den Begriff «Kulturgut» subsumiert3. Für die Schweiz ist das Abkommen am 15. August 1962 in Kraft getreten. Anfangs Juni 2003 zählte der völkerrechtliche Vertrag 103 Vertragsstaaten.

Seit der Annahme des Abkommens im Jahre 1954 hat sich das humanitäre Völkerrecht normativ weiterentwickelt. Am 7. Juni 1977 wurden die zwei Zusatzprotokolle4 (nachfolgend Zusatzprotokoll I/ZPI, bzw. Zusatzprotokoll II/ZP II) zu den Genfer Abkommen von 19495 verabschiedet, welche den Schutz der Genfer Abkommen verstärkten. Darin sind auch einzelne Bestimmungen zum Schutz des Kulturgutes in internationalen bzw. nicht internationalen bewaffneten Konflikten enthalten. Artikel 53 ZP I und Artikel 16 ZP II verbieten jegliche feindliche Handlung gegenüber geschütztem Kulturgut bzw. die Verwendung von geschütztem Kulturgut zur Unterstützung eines militärischen Einsatzes. Diese Verbote werden jedoch relativiert, da beide Zusatzprotokolle die Regelungen des Haager Abkommens von 1954 vorbehalten. Die beiden Zusatzprotokolle erweitern im Übrigen die Definition von Kulturgut um Kultstätten.

Gemäss Zusatzprotokoll I6 gelten Zerstörungen von bestimmten Kulturgütern, welche zum kulturellen oder geistigen Erbe der Völker gehören und unter einem beson1 2 3 4

5

6

SR 0.520.3 Art. 1 Bst. a HA.

Art. 1 Bst. b und c HA.

Zusatzprotokoll vom 8. Juni 1977 zu den Genfer Abkommen vom 12. August 1949 über den Schutz der Opfer internationaler bewaffneter Konflikte, SR 0.518.521; Zusatzprotokoll zu den Genfer Abkommen vom 12. August 1949 über den Schutz der Opfer nicht internationaler bewaffneter Konflikte vom 8. Juni 1977, SR 0.518.522.

Genfer Abkommen zum Schutz der Kriegsopfer vom 12. August 1949 (nachfolgend Genfer Abkommen/GA) bestehend aus vier Abkommen, enthalten in: SR 0.518.12, 0.518.23, 0.518,42, 0.518.51.

Art. 85 Abs. 4 Bst. d ZP I.

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deren Schutz stehen, als schwere Verletzungen. Sie werden laut Artikel 85 Absatz 5 ZP I den Kriegsverbrechen zugeordnet. Gleichzeitig mit den strafrechtlichen Regelungen von Verletzungen von Kulturgut im bewaffneten Konflikt wurde mit der UNESCO-Konvention von 1970 dem illegalen Transfer von Kulturgut Grenzen gesetzt7.

Anfang der neunziger Jahre rückte die Problematik des Kulturgüterschutzes durch die Kriege in Ex-Jugoslawien neu ins öffentliche Bewusstsein. Der Beschuss der Altstadt von Dubrovnik, welche in der Liste des zu erhaltenden Weltkulturerbes enthalten ist, sowie die Zerstörungen von Mostar und Vukovar wurden dank Mediatisierung zu einem internationalen Thema. Die systematische Zerstörung des kulturellen Erbes ethnischer Gruppen wurde vermehrt als Methode der Kriegsführung angewendet. Der Gegner sollte dadurch seiner Identität beraubt, gedemütigt, demoralisiert und teilweise auch vertrieben werden.

Das Statut des Internationalen Strafgerichtshofs für Ex-Jugoslawien (ICTY) aus dem Jahre 1993 enthält unter dem Titel «Verletzung der Gesetze und der Gebräuche des Krieges» den Tatbestand der Verletzung von bestimmten Kulturgütern8. Im Römer Statut des Internationalen Strafgerichtshofs vom 17. Juli 1998 ist in Artikel 8 die Verletzung von bestimmten Kulturgütern als Kriegsverbrechen aufgelistet9.

Vor diesem Hintergrund soll die Entwicklung des Zweiten Protokolls zum Haager Abkommen von 1954 für den Schutz von Kulturgut bei bewaffneten Konflikten (nachfolgend Zweites Protokoll/ZPHA) dargestellt werden.

1.2

Entstehung des Zweiten Protokolls

1.2.1

Gründe des Revisionsprozesses

Der Weiterentwicklung des im Haager Abkommen von 1954 enthaltenen Kulturgüterschutzes auf internationaler Ebene lagen verschiedene Ursachen zu Grunde. Seit der Annahme des Abkommens wiesen die bewaffneten Konflikte vermehrt nicht internationalen Charakter auf. Dieser Tatsache wurde zwar 1977 bereits mit Artikel 16 ZP II Rechnung getragen. Eine umfassende Regelung der Anwendbarkeit von Normen zum Schutz von Kulturgut auf nicht internationale bewaffnete Konflikte lag jedoch nicht vor. Des Weiteren hatte sich das System des Sonderschutzes des Abkommens in der Praxis nicht bewährt und kam nur in wenigen Fällen zur Anwendung10. In den Konflikten in Ex-Jugoslawien wurde der Mangel an detaillierten strafrechtlichen Normen zur Verfolgung von systematischen Verstössen gegen Vorschriften zum Schutz von Kulturgut offensichtlich. Und nicht zuletzt, wie in der Einleitung erwähnt, hatte sich das internationale Recht allgemein weiterentwickelt,

7

8 9 10

UNESCO-Konvention vom 14. November 1970 über die Massnahmen zum Verbot und zur Verhütung der unzulässigen Einfuhr, Ausfuhr und Übereignung von Kulturgut.

Der Bundesrat hat am 21. November 2001 die Botschaft über die Ratifizierung der UNESCO-Konvention von 1970 und das Bundesgesetz über den internationalen Kulturgütertransfer (KGTG) zuhanden des Parlaments verabschiedet (BBl 2002 535).

Art. 3 des Statuts des Internationalen Strafgerichtshofs für Ex-Jugoslawien.

SR 0.312.1 Siehe unter Ziffer 2.3, Artikel 10.

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was das Bewusstsein für die Notwendigkeit einer Verbesserung des Schutzes des Abkommens förderte11.

1.2.2

Vorbereitungsarbeiten

Ende 1992 wurde von der Regierung der Niederlande und dem Exekutivrat der UNESCO eine Studie in Auftrag gegeben, um die Umsetzung des Abkommens zu untersuchen und Verbesserungsvorschläge für die Anpassung an die neue Situation zu entwerfen. Die Resultate der 1993 erschienenen Studie zeigten, dass es vor allem an der Umsetzung des Abkommens durch die Vertragsstaaten mangelte. Die Studie enthielt in diesem Sinne mehrere Massnahmen zur Verbesserung der Umsetzung, fand jedoch bei den Vertragsstaaten kaum Widerhall. Auf die Initiative des UNESCO-Sekretariats hin wurden in der Folge auf der Grundlage dieser Studie drei Expertentreffen abgehalten12. Das daraus hervorgehende so genannte «LauswoltDokument» enthielt anstelle von praktischen Umsetzungsmassnahmen erste Vorschläge für eine Änderung des Abkommens. Die Hohen Vertragsstaaten des Haager Abkommens erachteten es anschliessend als notwendig, dass sich Regierungsexperten zwecks Erörterung dieses Dokuments treffen würden. Dieses Treffen fand vom 24. bis 27. März 1997 in Paris statt und hatte ein «revidiertes Lauswolt-Dokument» zum Ergebnis. Bei einem weiteren Treffen im gleichen Jahr konnten die Vertragsstaaten in Paris jedoch in substanziellen Punkten keine Übereinstimmung finden.

Auf Anfrage des niederländischen Vorsitzenden des Vertragsstaatentreffens organisierte Österreich vom 11. bis 13. Mai 1998 in Wien ein für alle interessierten Staaten und Organisationen offenes Treffen. Dabei wurden die Kernthemen des Revisionsprozesses behandelt, nämlich die Form des neuen Instruments, der Sonderschutz, die militärische Notwendigkeit, die Frage der Gerichtsbarkeit und die Verantwortlichkeit für Verletzungen des Abkommens sowie institutionelle Fragen. Das UNESCOSekretariat fasste die Resultate dieses Wiener Expertentreffens in einem Arbeitsdokument zusammen und schickte es den Vertragsstaaten zur Konsultation. Dieses Dokument sollte die Grundlage für die Verhandlungen an der diplomatischen Konferenz von 1999 bilden.

1.2.3

Diplomatische Konferenz

Im Namen des Generaldirektors der UNESCO und der niederländischen Regierung wurde vom 14. bis 26. März 1999 eine diplomatische Konferenz in Den Haag einberufen. Vertreterinnen und Vertreter von 93 Staaten, darunter 19 Beobachterdelegationen von Nichtvertragsstaaten des Haager Abkommens sowie das Internationale Komitee vom Roten Kreuz und die Nichtregierungsorganisation «Internationales Komitee des Blauen Schildes» nahmen daran teil. Die einzelnen Themenbereiche respektive Kapitel des UNESCO-Entwurfs des zukünftigen Zweiten Protokolls wurden in Arbeitsgruppen diskutiert. Die Textvorschläge der Arbeitsgruppen wurden 11

12

Thomas Desch, The Second Protocol to the 1954 Hague Convention for the protection of cultural property in the event of armed conflict, in: Yearbook of international law, vol. 2, 1999, S. 64. Siehe auch Präambel des Zweiten Protokolls.

Den Haag, Juli 1993; Lauswolt, Februar 1994; Paris, März 1994.

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dem Plenum präsentiert und zur Gutheissung vorgelegt. Nachdem das Redaktionskomitee unter schweizerischer Leitung die Version bereinigt hatte, wurde das Zweite Protokoll am 26. März 1999 in französischer und englischer Fassung durch Konsens verabschiedet.

Die an der Konferenz erarbeiteten wichtigsten Neuerungen des Zweiten Protokolls liegen in folgenden Bereichen: Sämtliche Bestimmungen des Zweiten Protokolls sind auch auf nicht internationale bewaffnete Konflikte anwendbar; Präventivmassnahmen in Friedenszeiten zum Schutz des Kulturgutes und Ausnahmen vom generellen Schutz des Kulturguts wurden präzisiert; detaillierte individuelle Strafbestimmungen für Verstösse gegen das Zweite Protokoll und das Haager Abkommen, sowie ein neuer Spezialschutz für besonders schützenswertes Kulturgut wurden vorgesehen13.

Die Schweiz spielte eine aktive Rolle bei der Ausarbeitung des Zweiten Protokolls im Rahmen der diplomatischen Konferenz. Sie setzte sich, soweit dies möglich war, für die Kohärenz des Zweiten Protokolls mit den anderen Abkommen des humanitären Völkerrechts ein. Des weiteren trat sie u. a. für die Einführung des Universalitätsprinzips für die schwersten Verstösse gegen Kulturgut ein.

2

Besonderer Teil

2.1

Kapitel 1: Einleitung

Artikel 1 enthält zur Klärung des Textes mehrere Begriffsbestimmungen. Eine davon, nämlich die Definition des «militärischen Ziels» in Buchstabe f, ist von besonderem Interesse. Das Zweite Protokoll lehnt sich hier an die Definition aus Artikel 52 Absatz 2 ZP I an.

Artikel 2 behandelt die Frage des Verhältnisses zwischen dem Zweiten Protokoll und dem Abkommen. Während der diplomatischen Konferenz stellte sich die Frage, ob die Neuerungen von solch materieller Tragweite seien, dass es sich um eine Abänderung des Haager Abkommens handeln und somit Artikel 39 HA zur Anwendung kommen würde. Dies hätte für das Inkrafttreten die Zustimmung und Ratifikation aller Vertragsstaaten vorausgesetzt. Würden die Neuerungen aber ergänzenden Charakter aufweisen, wäre die Form eines Protokolls geeignet. Diese Variante bedeutete gemäss Artikel 41 des Wiener Übereinkommens über das Recht der Verträge14, dass die Neuerungen bereits nach einer bestimmten Anzahl Ratifikationen in Kraft treten und nur für diejenigen Staaten, welche ratifiziert haben, gelten würden.

Gestützt auf Artikel 2 können nur Vertragsstaaten des Abkommens das Zweite Protokoll unterzeichnen und ratifizieren bzw. ihm beitreten. Ausserdem gelten sämtliche Definitionen des Abkommens auch für das Zweite Protokoll, sofern nichts anderes vorgesehen ist.

13

14

Das Abkommen regelt den generellen Schutz von Kulturgut (Art. 1 ff.) und sieht ausserdem einen Spezialschutz für besonders schützenswerte Kulturgüter vor, der «Sonderschutz» genannt wird (Art. 8 ff.). Das Zweite Protokoll enthält ergänzende Regelungen betreffend den generellen Schutz und einen weiteren Spezialschutz, der mit «verstärkter Schutz» betitelt wurde (Art. 10 ff.). Siehe auch Ausführungen unter Ziffern 1.2.1 sowie 2.3.

Wiener Übereinkommen vom 23. Mai 1969 über das Recht der Verträge, SR 0.111.

6096

Gemäss Artikel 3 Absatz 1 sind alle Bestimmungen sowohl auf internationale als auch auf nicht internationale bewaffnete Konflikte anwendbar. Das Zweite Protokoll geht dabei weiter als das Abkommen, welches vorschreibt, dass in bewaffneten Konflikten nicht internationalen Charakters auf die an einem Konflikt beteiligten Parteien mindestens diejenigen Bestimmungen anwendbar sind, welche die Respektierung von Kulturgut betreffen15. Artikel 3 hebt ferner hervor, dass einige Bestimmungen auch in Friedenszeiten Anwendung finden16. Die Anwendbarkeit des Zweiten Protokolls zwischen Vertrags- und Nichtvertragsstaaten regelt Artikel 3 Absatz 2 ZPHA. Danach sind die Vertragsstaaten auch gegenüber einem Nichtvertragsstaat gebunden, soweit dieser die Bestimmungen des Zweiten Protokolls annimmt und anwendet17.

Artikel 4 Buchstabe b sieht eine Ausnahme vom Grundsatz des Artikels 2 vor, indem das im Zweiten Protokoll neu vorgesehene System des verstärkten Schutzes18 das im Abkommen enthaltene Sonderschutzsystem19 ersetzt. Diese Regelung gilt aber nur zwischen Vertragsparteien des Zweiten Protokolls. Sie hat zur Folge, dass nach dem Inkrafttreten des Zweiten Protokolls zwei Listen zum Eintragen von besonders schützenswerten Kulturgütern bestehen werden: Das Internationale Register für Kulturgut unter Sonderschutz und die Internationale Liste für Kulturgut unter verstärktem Schutz.

2.2

Kapitel 2: Allgemeine Schutzbestimmungen

Art. 5 Bereits Artikel 3 HA verpflichtet die Vertragsstaaten, in Friedenszeiten die Sicherung des Kulturguts auf ihrem Staatsgebiet vorzubereiten und dafür alle geeigneten Massnahmen zu treffen. Genaue Angaben, was diese geeigneten Massnahmen beinhalten sollten, fehlen jedoch.

Artikel 5 ZPHA präzisiert nun die einzelnen Massnahmen. Er listet folgende auf: ­

die Erstellung von Verzeichnissen;

­

die Planung von Notfallmassnahmen zum Schutz gegen Feuer oder Gebäudeeinsturz;

­

die Vorbereitung der Verlagerung von beweglichem Kulturgut oder die Bereitstellung von angemessenem Schutz solchen Gutes an Ort und Stelle;

­

die Bezeichnung der für die Sicherung des Kulturguts zuständigen Behörde.

Die Umsetzung dieser Massnahmen ist an finanzielle Mittel gebunden und setzt technisches Wissen voraus. Um die Umsetzung zu vereinfachen wurde in Artikel 29 Absatz 1 Buchstabe a die Errichtung eines Fonds vorgesehen, dessen Mittel u. a. aus freiwilligen Beiträgen der Vertragsparteien bestehen wird.

15 16 17 18 19

Art. 19 Abs. 1.

Art. 5, 10, 11, 14 bis 21, 23 bis 33, 37, sowie die meisten der Schlussbestimmungen wie Art. 39 bis 47 (ausser Art. 44) ZPHA.

Vgl. auch Art. 2 Abs. 3 GA I.

Kapitel 3, Art. 10 ff ZPHA.

Kapitel 2, Art. 8 ff. HA.

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Art. 6 Das Abkommen verpflichtet in Artikel 4 Absatz 1 die Vertragsstaaten, das auf ihrem Hoheitsgebiet oder auf dem Hoheitsgebiet anderer Vertragsstaaten befindliche Kulturgut zu respektieren. Dabei ist jede Nutzung des Kulturguts und seiner Umgebung zu Zwecken, die es im Falle bewaffneter Konflikte der Vernichtung oder Beschädigung aussetzen könnten, sowie jede gegen solches Gut gerichtete feindselige Handlung zu unterlassen. Von diesen Verpflichtungen kann gemäss Abkommen abgewichen werden, wenn die militärische Notwendigkeit es zwingend erfordert (Art. 4 Abs. 2 HA). Der Begriff der zwingenden militärischen Notwendigkeit wird aber nicht definiert.

Artikel 6 ZPHA präzisiert die Bedingungen, welche vorliegen müssen, um von der grundsätzlichen Pflicht zur Respektierung des geschützten Kulturguts abzuweichen.

Buchstabe a bezieht sich auf ein Szenario, bei dem die feindliche Handlung gegen ein Kulturgut gerichtet wird. Eine Ausnahme von der grundsätzlichen Respektierungspflicht des Angreifers gegenüber Kulturgut ist neu nur dann zulässig, wenn kumulativ das Kulturgut auf Grund seiner Funktion zu einem militärischen Ziel geworden ist und keine andere Möglichkeit besteht, einen gleichwertigen militärischen Vorteil zu erzielen. Im Unterschied zu Artikel 52 Absatz 2 ZP I ist der Beitrag des Kulturguts zu einer militärischen Handlung nur relevant, wenn er auf Grund der Funktion und nicht bereits auf Grund seiner Beschaffenheit, seines Standortes, seiner Zwecksbestimmung oder seiner Verwendung erfolgt. Die Wahl des Begriffs «Funktion» stellt einen Kompromiss zwischen der zahlreich an der diplomatischen Konferenz vertretenen Ansicht dar, es solle der Wortlaut von Artikel 52 Absatz 2 ZP I übernommen werden, und der Gegenmeinung, dass einzig auf die Verwendung abzustellen sei20. In diesem Sinne ist der neu eingeführte Begriff, dessen Bedeutung nicht leicht zu eruieren ist, auszulegen. Er stellt im Vergleich zur Aufzählung im Zusatzprotokoll I nur eine Nuancierung dar, welche sich in der Praxis kaum auswirken wird.

Buchstabe b von Artikel 6 bezieht sich auf die Situation, in der eine Konfliktpartei ein Kulturgut auf von ihr kontrolliertem Gebiet für Zwecke verwenden will, welche es möglicherweise der Zerstörung oder Beschädigung aussetzen, z. B. indem Truppen oder militärisches Material im Kulturgut bzw. in
dessen unmittelbarer Umgebung stationiert werden. Dieses Vorgehen ist zulässig, wenn und solange ein gleichwertiger militärischer Vorteil nicht anders erlangt werden kann.

Der Entscheid, ob eine zwingende militärische Notwendigkeit vorliegt, ist laut Buchstabe c grundsätzlich nur von einem Kommandanten zu treffen, der mindestens einen Heerteil von Bataillonsgrösse leitet. In Ausnahmefällen kann er auch durch einen Kommandanten einer niedrigeren Einheit gefällt werden (z. B. dem Kommandanten einer selbständig operierenden Formation). Diese Regelung hat den Vorteil, dass die Kommandanten bei der Entscheidfindung im Normalfall durch einen Stab unterstützt werden, welcher die verschiedenen rechtlichen und strategischen Vari-

20

Siehe dazu Jean-Marie Henckaerts, Nouvelles règles pour la protection des biens culturels en cas de conflit armé: la portée du Deuxième Protocole relatif à la Convention de La Haye de 1954 pour la protection des biens culturels en cas de conflit armé, in: M. T. Dutli et al. (éd.): Protection des biens culturels en cas de conflit armé, Rapport d'une réunion d'experts, CICR, Genève 2001, S. 36 ff.

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anten mit Vor- und Nachteilen ausarbeitet21. So soll das Risiko einer unbeabsichtigten Beschädigung oder Zerstörung von Kulturgut stark eingeschränkt werden.

Einem Angriff muss gemäss Buchstabe d eine wirksame Warnung vorangehen, sofern es die Umstände erlauben. Im Gegensatz zu Artikel 13 Absatz 2 Buchstabe c (ii und iii) findet sich an dieser Stelle kein Hinweis, ob dem Gegner Zeit einzuräumen ist, die militärische Verwendung aufzugeben.22 Mit dem Wort «wirksam» wird immerhin angedeutet, dass von der Warnung eine Wirkung erwartet wird, was realistisch nur dann der Fall ist, wenn mit der Warnung genügend Zeit zur Folgeleistung eingeräumt wird.

Art. 7 Artikel 7 verpflichtet jede an einem Konflikt beteiligte Vertragspartei, die einen Angriff plant oder durchführt, zu Vorsichtsmassnahmen. Es muss unter Zuhilfenahme aller möglichen Massnahmen sichergestellt werden, dass Angriffsziele kein nach Artikel 4 des Abkommens geschütztes Kulturgut darstellen (Bst. a). Bei der Wahl der Mittel und Methoden des Angriffes sind alle Vorsichtsmassnahmen zu treffen, um eine Beschädigung von nach Artikel 4 des Abkommens geschütztem Kulturgut zu verhindern oder zumindest zu begrenzen (Bst. b). Es darf kein Angriff begonnen werden, wenn angenommen werden muss, dass dabei ein Kulturgut beschädigt und der Schaden in keinem Verhältnis zum erwarteten militärischen Vorteil stehen würde (Bst. c). Ein Angriff ist zu unterlassen oder auszusetzen, wenn offensichtlich ist, dass das Ziel ein nach Artikel 4 des Abkommens geschütztes Kulturgut darstellt oder mit dem Angriff eine unverhältnismässige Beschädigung von nach Artikel 4 des Abkommens geschütztem Kulturgut voraussichtlich verbunden ist (Bst. d i und ii).

Art. 8 Artikel 8 verpflichtet die Vertragsstaaten, welche an einem bewaffneten Konflikt beteiligt sind, zur Entfernung von beweglichem Kulturgut aus der Nähe militärischer Ziele oder zu angemessenen Schutzmassnahmen an Ort und Stelle. Ferner sollen militärische Ziele nicht in der Nähe von Kulturgütern angelegt werden. Diese Vorsichtsmassnahmen sind jedoch nur einzuhalten, soweit dies praktisch irgend möglich ist.

Art. 9 Artikel 9 bezweckt, die Pflichten der Besetzungsmacht gegenüber den Kulturgütern in besetzten Gebieten zu präzisieren. Bereits Artikel 56 der Ordnung der Gesetze und Gebräuche des Landkriegs des Haager
Abkommen von 190723 kennt die Pflicht der Besetzungsmacht zum Schutz von Kulturgut. Das Haager Abkommen von 1954 verbietet in Artikel 4 Absatz 3 Diebstahl, Plünderung oder andere widerrechtliche 21

22

23

Artikel 4 HA liess offen, wer das Vorliegen zwingender militärischer Notwendigkeit feststellen konnte, mit anderen Worten: ein Gruppenführer konnte entscheiden, ob wegen (aus seiner Sicht) zwingender militärischer Notwendigkeit einem Kulturgut der Schutz entzogen werden müsse.

Die in Buchstabe d verankerte Warnpflicht bleibt demnach hinter jener des Artikels 13 Absatz 2 Buchstabe c, aber auch hinter jener für den Sanitätsdienst (Art. 21 GA I; Art. 34 GA II; Art. 19 GA IV; Art. 13 ZP I; Art. 11 Abs. 2 ZP II) und den Zivilschutz (Art. 65 ZP I ) zurück.

SR 0.515.112, Anlage. Gilt heute als Gewohnheitsrecht.

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Inbesitznahme von Kulturgut sowie jede sinnlose Zerstörung solchen Guts und verpflichtet in Artikel 5 die Besetzungsmacht zur Unterstützung der nationalen Behörden des besetzten Landes bei der Sicherung und Erhaltung seines Kulturguts. Das Haager Protokoll über den Schutz von Kulturgut bei bewaffneten Konflikten vom 15. Mai 195424 (nachfolgend Erstes Protokoll) regelt die Ausfuhr von Kulturgut aus besetztem Gebiet sowie die Pflicht der Rückerstattung.

In Artikel 9 Absatz 1 Buchstabe a werden die unerlaubte Ausfuhr oder sonstige Entfernung von Kulturgut oder die unerlaubte Eigentumsübertragung an solchem Gut verboten25. Absatz 1 Buchstabe b verbietet archäologische Ausgrabungen auf dem besetzten Gebiet, sieht aber eine Ausnahme vor, wenn sie zum Schutz, zur Aufzeichnung bzw. zum Erhalt von Kulturgut unumgänglich sind26. Buchstabe c untersagt schliesslich die Veränderung von Kulturgut oder die Änderung seiner ursprünglichen Verwendung. Um Missbrauch vorzubeugen, verpflichtet Absatz 2 die Besetzungsmacht bei Ausgrabungen, Veränderungen von Kulturgut oder Änderungen seiner Verwendung so eng als möglich mit den zuständigen nationalen Behörden zusammen zu arbeiten.

2.3

Kapitel 3: Verstärkter Schutz

Art. 10 Das Abkommen sieht einen so genannten «Sonderschutz»27 vor für Bergungsorte zur Unterbringung beweglicher Kulturgüter, für Denkmalzentren und andere sehr wichtige unbewegliche Kulturgüter. Dieses Sonderschutzsystem enthält jedoch mehrere Schwächen, u. a. die schwer einhaltbaren Voraussetzungen der ausreichenden Entfernung von grossen Industriezentren oder von wichtigen militärischen Objekten28. Es kam deshalb nur in wenigen Fällen zur Anwendung29. Im Zweiten Proto24 25

26

27 28 29

SR 0.520.32 Der Begriff «unerlaubt» wird in Artikel 1 Buchstabe g definiert als «durch Zwangsausübung oder eine andere Verletzung der anwendbaren Vorschriften des innerstaatlichen Rechts des besetzten Gebiets oder des Völkerrechts». Er wird sowohl im UNESCO-Abkommen von 1970 betreffend Massnahmen zum Verbot und zur Verhinderung von Ein- und Ausfuhr sowie Übertragung von Kulturgut (Art. 11) sowie in der Empfehlung der UNESCO über die Anwendung internationaler Grundsätze bei archäologischen Ausgrabungen (Neu Delhi, 5. Dezember 1956) verwendet.

Die Forderung nach einer Regelung der archäologischen Ausgrabungen auf besetztem Gebiet bestand bereits zum Zeitpunkt der Diskussion des Haager Abkommens von 1954, wurde aber damals nicht aufgenommen. Die Empfehlung der UNESCO vom 5. Dezember 1956 enthält internationale Grundsätze, welche zur Anwendung kommen sollten bei archäologischen Ausgrabungen auf besetztem Gebiet. Die Expertengruppe, welche die Grundsätze erarbeitet hatte, stellte bereits im Jahre 1956 fest, dass diese Prinzipien im Rahmen einer Revision des Haager Abkommen aufgenommen werden sollten. S. dazu Jiri Toman, La protection des biens culturels en cas de conflit armé, Commentaire de la Convention de La Haye du 14 mai 1954, UNESCO, 1994, S. 106 f.

Art. 8 ff. HA.

Art. 8 Abs. 1 Bst. a HA. Von diesen Voraussetzungen können aber Bergungsorte gemäss Abs. 2 unter bestimmten Bedingungen ausgenommen werden.

Weltweit sind nur vier Eintragungen in das Internationale Register für Kulturgut unter Sonderschutz erfolgt. Das einzige oberirdische Kulturgut unter Sonderschutz ist der Vatikan. Unter Sonderschutz stehen im Übrigen die folgenden Bergungsorte: Alt-Aussee (Österreich), Oberried (Deutschland) sowie drei Bergungsorte in den Niederlanden.

Im Jahre 2000 wurde der Bergungsort Alt-Aussee wieder aus dem Register gestrichen.

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koll wurde aus diesem Grund ein zusätzlicher spezieller Schutz unter der Bezeichnung «verstärkter Schutz» geschaffen, welcher zwischen den Vertragsstaaten des Zweiten Protokolls den Sonderschutz ersetzt30.

Drei Voraussetzungen müssen für den verstärkten Schutz gemäss Artikel 10 erfüllt sein: Erstens muss es sich um kulturelles Erbe von höchster Bedeutung für die Menschheit handeln31. Zweitens ist dieses durch innerstaatliche Rechts- und Verwaltungsmassnahmen zu schützen und drittens darf das Kulturgut weder für militärische Zwecke noch für den Schutz militärischer Anlagen verwendet werden und die Vertragspartei, unter deren Kontrolle das Kulturgut sich befindet, muss dies in einer Erklärung bestätigen. Von der zweiten Voraussetzung kann der Ausschuss, der über die Gewährung des verstärkten Schutzes entscheidet (Art. 27 Abs. 1 Bst. b), absehen, wenn die Vertragspartei einen Antrag auf internationale Unterstützung für die Vorbereitung, Entwicklung oder Umsetzung der Gesetze, Verwaltungsvorschriften und Massnahmen (Art. 11 Abs. 8 i.V.m. Art. 32) stellt. Die dritte Voraussetzung lehnt sich zwar an die Regelung in Artikel 8 Absatz 1 HA an, schwächt diese jedoch ab, indem nicht mehr von ausreichender Distanz die Rede ist und mit dem engeren Begriff der «militärischen Anlagen» (anstelle von «militärische Objekte») nur noch Militärflughäfen, Waffenlager, Kasernen und Militärbasen gemeint sind.

Art. 11 In Artikel 11 ist das detaillierte Verfahren zur Gewährung des verstärkten Schutzes durch den Ausschuss geregelt. Gemäss Absatz 2 kann diejenige Vertragspartei, unter deren Hoheitsgewalt oder Kontrolle das Kulturgut sich befindet, das Gesuch um Aufnahme in die Liste der Kulturgüter unter erhöhtem Schutz32 stellen. Mit der in Absatz 2 benutzten Formulierung wollte man sicherstellen, dass in besetzten oder umstrittenen Gebieten beide Parteien, sowohl diejenige, unter deren tatsächlicher Herrschaft sich das Kulturgut befindet als auch diejenige, unter deren rechtlichen Zuständigkeit es fällt, antragsberechtigt sind. Im Gegensatz dazu kann nur der Vertragsstaat, welcher die tatsächliche Herrschaft über das Kulturgut hat, die Erklärung gemäss Artikel 10 Buchstabe c abgeben. Weder der Antrag auf Aufnahme eines Kulturguts in die Liste noch seine Aufnahme haben einen Einfluss auf die Rechte der Streitparteien
(Art. 11 Abs. 4).

Der Ausschuss wird ermächtigt, den Vertragsparteien die Beantragung der Unterstellung von Kulturgut unter den verstärkten Schutz zu empfehlen (Abs. 2). Andere Vertragsparteien, das Internationale Komitee vom Blauen Schild und weitere in diesem Bereich kompetente nichtstaatliche Organisationen können den Ausschuss auf Kulturgut hinweisen, das für den verstärkten Schutz in Frage kommt (Abs. 3). Die Vertragsparteien können gegenüber einem Antrag Einwände bezüglich der Erfüllung 30

31

32

Vgl. dazu unter Kapitel 1, betreffend Art. 4. Da das Zweite Protokoll ergänzenden Charakter besitzt und es sich somit nicht um eine Änderung des Abkommens und dessen Sonderschutzes handeln kann, musste das neue Schutzsystem unter einem neuen Namen errichtet werden.

Die Liste des Erbes der Welt gemäss Art. 11 Abs. 2 des Übereinkommens vom 23. November 1972 zum Schutz des Kultur- und Naturgutes der Welt (SR 0.451.41) verlangt, dass das Gut «von aussergewöhnlichem universellem Wert» ist. Der Wunsch nach einer näheren Verbindung zwischen der Liste des Sonderschutzes des HA sowie der Liste des Erbes der Welt lag bereits 1984 vor. Siehe dazu Jiri Toman, a.a.O., S. 398 mit Hinweis auf den Vorschlag von Stanislaw Edward Nahlik.

Art. 27 Abs. 1 Bst. b ZPHA.

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der Kriterien von Artikel 10 anbringen (Art. 11 Abs. 5). Der Ausschuss soll nach Konsultation von staatlichen und nichtstaatlichen Organisationen sowie von Sachverständigen auf der Grundlage der genannten Kriterien über die Aufnahme des Kulturguts in die Liste entscheiden (Abs. 6). Der verstärkte Schutz des Kulturguts wird mit der Aufnahme in die Liste rechtsgültig (Abs. 10). Der Beschluss wird unverzüglich dem Generalsekretär der Vereinten Nationen und allen Vertragsparteien notifiziert (Abs. 11).

Bei Ausbruch eines Konfliktes kann in einem beschleunigten Verfahren über eine vorläufige Gewährung des verstärkten Schutzes entschieden werden (Abs. 9).

Antragsberechtigt sind in diesem Fall am Konflikt beteiligte Vertragsparteien, unter deren Hoheitsgewalt oder Kontrolle sich das Kulturgut in Notlage befindet.

Art. 12 Die an einem Konflikt beteiligten Vertragsparteien dürfen Kulturgut unter verstärktem Schutz weder zum Ziel eines Angriffs machen noch es oder seine unmittelbare Umgebung zur Unterstützung militärischer Handlungen verwenden. Artikel 12 lehnt sich dabei an den Wortlaut von Artikel 9 HA an. Ein grundsätzlicher Unterschied zwischen dem generellen Schutz und dem verstärkten Schutz liegt im absoluten Verbot, Kulturgut unter verstärktem Schutz durch seine Verwendung zu militärischen Zwecken in ein militärisches Ziel umzuwandeln33.

Art. 13 und 14 Kulturgut verliert den verstärkten Schutz bei Eintritt der folgenden Konstellationen: Wenn bzw. solange ein unter verstärktem Schutz stehendes Kulturgut die Erfordernisse von Artikel 10 nicht mehr erfüllt, setzt der Ausschuss den Status des verstärkten Schutzes aus oder hebt ihn auf, und das Kulturgut wird aus der Liste gestrichen (Art. 13 Abs. 1 Bst. a i.V.m. Art. 14 Abs. 1). Wird das Kulturgut zur Unterstützung militärischer Handlungen verwendet, kann der Ausschuss den verstärkten Schutz aussetzen; dauert diese Situation an, so kann der Schutz ausnahmsweise aufgehoben und das Objekt von der Liste gestrichen werden (Art. 13 Abs. 1 Bst. a i.V.m. Art. 14 Abs. 2). Der Generaldirektor der UNESCO notifiziert diesen Beschluss dem Generalsekretär der Vereinten Nationen und allen Vertragsparteien des Zweiten Protokolls (Art. 14 Abs. 3). Kulturgut verliert den verstärkten Schutz automatisch, ohne dass der Ausschuss Massnahmen ergreift, wenn und solange es
auf Grund seiner Verwendung durch die Gegenpartei zum militärischen Ziel wird (Art. 13 Abs. 1 Bst. b). Es darf nur dann angegriffen werden, wenn ein Angriff das einzig durchführbare Mittel ist, diese unerlaubte Verwendung zu unterbinden und zudem alle Vorsichtsmassnahmen bei der Wahl der Angriffsmittel und -methoden ergriffen wurden, um eine Beschädigung zu vermeiden oder wenigstens auf ein Mindestmass zu beschränken (Art. 13 Abs. 2 Bst. a und b). Sofern die Umstände es nicht auf Grund des Erfordernisses der Selbstverteidigung verbieten, muss zudem der Angriff von der höchsten Befehlsebene, d.h. in der Schweiz vom Oberbefehlshaber der Armee, angeordnet werden (Art. 13 Abs. 2 Bst. c i). Die gegnerischen Streitkräfte müssen vorher auf wirksame Weise gewarnt werden und es muss ihnen genügend Zeit eingeräumt werden, um diese unerlaubte Verwendung aufzugeben (ii und iii).

33

Siehe Jean-Marie Henckaerts, a.a.O., S. 45.

6102

Im Vergleich zur Ausnahmeregelung des generellen Schutzes (Art. 6) liegen beim verstärkten Schutz qualifiziertere Bedingungen vor: Gemäss Artikel 13 Absatz 1 Buchstabe b verliert das Kulturgut den verstärkten Schutz erst, wenn es auf Grund seiner Verwendung ein militärisches Ziel wird, und nicht bereits auf Grund seiner Funktion, wie in Artikel 6 Buchstabe a (i) vorgesehen. Ausserdem kann der Entscheid eines Angriffs nur auf oberster Befehlsebene angeordnet werden. Es muss den gegnerischen Streitkräften zudem ausreichend Zeit eingeräumt werden, um die unerlaubte Verwendung aufzugeben.

2.4

Kapitel 4: Strafrechtliche Verantwortlichkeit und Gerichtsbarkeit

Art. 15 Das Abkommen sieht in Artikel 28 die Verpflichtung der Hohen Vertragsparteien vor, strafrechtliche und disziplinarische Massnahmen zu treffen. Das Zweite Protokoll ergänzt diese allgemein gehaltene Regelung, indem es eine klare Definition der schweren Verstösse gegen das Haager Abkommen, aber auch gegen das Zweite Protokoll enthält. Das Zweite Protokoll stützt sich dabei auf die in den Grundsätzen bereits im Abkommen enthaltenen Verpflichtungen zur Respektierung von Kulturgut (Art. 4 und 9 ZPHA).

Trotz der teilweisen Anlehnung an das Zusatzprotokoll I wurde der darin verwendete Begriff «schwere Verletzungen» nicht übernommen, da als solche bis anhin nur bestimmte Verletzungen der Genfer Abkommen und deren Zusatzprotokoll I bezeichnet wurden. Analog zu Artikel 8 Absatz 2 Buchstabe b des Römer Statuts verwendet das Zweite Protokoll deshalb den Begriff «schwere Verstösse».

Gemäss Artikel 15 Absatz 1 ZPHA liegt eine Straftat vor, wenn jemand vorsätzlich und im Verstoss gegen das Abkommen oder das Zweite Protokoll a.

Kulturgut unter verstärktem Schutz zum Ziel eines Angriffs macht;

b.

Kulturgut unter verstärktem Schutz oder seine unmittelbare Umgebung zur Unterstützung militärischer Handlungen verwendet;

c.

Kulturgut, das nach dem Abkommen und dem Zweiten Protokoll geschützt ist, in grossem Ausmass zerstört oder sich aneignet;

d.

Kulturgut, das nach dem Abkommen und diesem Protokoll geschützt ist, zum Ziel eines Angriffs macht; oder

e.

Kulturgut, das nach dem Abkommen geschützt ist, stiehlt, plündert, veruntreut oder böswillig beschädigt.

Die ersten beiden Straftatbestände (Bst. a und b) betreffen das gemäss den Artikeln 10 ff. unter verstärktem Schutz stehende Kulturgut. Grundlage dieser Tatbestände bilden die beiden Zusatzprotokolle34. Die weiteren drei Tatbestände sehen Verstösse gegen Kulturgut vor, das unter dem generellen Schutz des Abkommens und des Zweiten Protokolls steht.

34

Insbesondere Art. 53 Bst. a und b ZP I sowie Art. 16 ZP II.

6103

Für die Verfolgung der in Artikel 15 Absatz 1 aufgezählten Verstösse müssen die Vertragsparteien die Gerichtsbarkeit vorsehen. Die Gerichtsbarkeit ist jedoch an unterschiedliche Voraussetzungen geknüpft, worauf in den Artikeln 16 und 18 eingegangen wird.

Art. 16 Die Vertragsparteien sind verpflichtet, im innerstaatlichen Recht ihre Zuständigkeit für die Straftaten von Artikel 15 zu begründen. Artikel 16 sieht neben dem Territorialitätsprinzip und dem aktiven Personalitätsprinzip auch das Universalitätsprinzip zur Verfolgung der Straftaten vor. Das Universalitätsprinzip bedeutet, dass der Täter oder die Täterin unabhängig davon, wo die Tat begangen wurde und welche Staatsangehörigkeit er oder sie hat, strafrechtlich belangt werden kann, wenn er oder sie sich auf dem Staatsgebiet des Vertragsstaates befindet. Es findet gemäss Artikel 16 Absatz 1 Buchstabe c nur Anwendung auf Verstösse gegen Vorschriften zum Schutz von Kulturgut, das unter verstärktem Schutz steht (Art. 15 Abs. 1 Bst. a und b) oder wenn Kulturgut unter generellem Schutz in grossem Ausmass zerstört oder angeeignet wird (Art. 15 Abs. 1 Bst. c). Bei den weiteren zwei Straftatbeständen muss die Vertragspartei ihre Gerichtsbarkeit begründen, wenn die Tat auf dem Staatsgebiet begangen worden ist bzw. die Täterschaft die Staatsbürgerschaft des Vertragsstaates besitzt.

Eine wichtige Einschränkung des Universalitätsprinzips enthält das Zweite Protokoll für Angehörige von Nichtvertragsstaaten. Ein Vertragsstaat, der einzig auf Grund des Universalitätsprinzips zuständig ist, darf Angehörige von Nichtvertragsstaaten nur in drei Fällen strafrechtlich verfolgen. Erstens, wenn es sich beim Straftatbestand um Gewohnheitsrecht handelt (Art. 16 Abs. 2 Bst. a). Zweitens, wenn der betreffende Nichtvertragsstaat das Zweite Protokoll anerkannt hat und seine Bestimmungen anwendet (Art. 16 Abs. 2 Bst. b i.V.m. Art. 3 Abs. 2) und drittens, wenn Angehörige der Streitkräfte eines Vertragsstaates die Straftat begehen. Das Territorialitätsprinzip wird von dieser Einschränkung nicht berührt, wie dies auch die Schlussakte der diplomatischen Konferenz festhält35.

Art. 17 Absatz 1 weist auf das strafrechtliche Prinzip «aut dedere aut iudicare» hin. Die Vertragspartei muss Verstösse, die dem Universalitätsprinzip unterliegen (Art. 15 Abs. 1 Bst. a­c), entweder
selbst strafrechtlich verfolgen oder die Person ausliefern.

Voraussetzung ist, dass der oder die mutmassliche Straftäterin sich auf dem Hoheitsgebiet der Vertragspartei befindet. Liefert die Vertragspartei die Person nicht aus, muss der Fall ohne Verzögerung den Strafverfolgungsbehörden vorgelegt werden. Gemäss Absatz 2 sind die völkerrechtlichen Grundsätze des fairen Verfahrens als Mindestnormen zu garantieren.

35

Acte final de la Conférence diplomatique sur le deuxième Protocole relatif à la Convention de La Haye sur la protection des biens culturels en cas de conflit armé (La Haye, 15­26 mars 1999), Punkt 11, 4. Absatz: «Aucune disposition de l'art. 16 (2) (b) ne peut en aucune mesure être interprétée comme portant atteinte à la mise en oeuvre de l'art. 16 (1) (a).»

6104

Art. 18 Artikel 18 Absatz 1 regelt die Auslieferung. Auslieferungsfähige Straftaten sind die in Artikel 15 Absatz 1 Buchstaben a­c ZPHA genannten Straftaten. Gemäss Absatz 2 kann das Zweite Protokoll für Vertragsparteien, die nur auf der Grundlage von Verträgen ausliefern, im vertragslosen Zustand als Rechtsgrundlage gelten. Absatz 3 sieht vor, dass Vertragsstaaten, welche die Auslieferung nicht von der Existenz eines Vertrages abhängig machen, die genannten Straftaten als Auslieferungsfälle anerkennen unter Vorbehalt der Voraussetzungen, die in der Gesetzgebung des ersuchten Staates zu beachten sind. Absatz 4 will sicherstellen, dass sich die Täterschaft der Strafverfolgung für eine der in Artikel 15 Absatz 1 Buchstaben a­c des Protokolls genannten Straftaten nicht entziehen kann. Eine solche Regelung existiert bereits in anderen internationalen Instrumenten36.

Art. 19 Artikel 19 Absatz 1 statuiert eine Verpflichtung, welche in beinahe allen multilateralen und bilateralen Instrumenten über die Rechtshilfe in Strafsachen enthalten ist.

Danach verpflichten sich die Staaten, einander so weit wie möglich Rechtshilfe zu gewähren. Sofern zwischen den Vertragsstaaten keine Rechtshilfevereinbarungen bestehen, wenden sie zur Erfüllung ihrer Pflichten nach Artikel 19 Absatz 1 ihre interne Gesetzgebung an. Im Gegensatz zu Artikel 18 ist Artikel 19 auf sämtliche in Artikel 15 Absatz 1 aufgezählten Straftatbestände anwendbar.

Art. 20 Artikel 20 Absatz 1 regelt die «Entpolitisierung» der Straftaten gemäss Artikel 15 Absatz 1 Buchstaben a­c im Hinblick auf die Auslieferung und gemäss Artikel 15 Absatz 1 im Hinblick auf die Rechtshilfe zwischen den Vertragsstaaten. Die strafrechtliche Zusammenarbeit darf nicht mit der einzigen Begründung, dass sie eine politische Straftat betrifft, abgelehnt werden37.

Absatz 2 sieht die Ablehnung der Rechtshilfe im weiteren Sinne (d. h. inklusive Auslieferung) vor, wenn dem Gesuch die Verfolgung oder Bestrafung einer Person auf Grund ihrer Rasse, Religion, Nationalität, ethnischen Herkunft oder politischen Anschauungen zu Grunde liegt38. Es handelt sich um eine zwingende Bestimmung der Nichtdiskriminierung. Der ersuchte Staat soll nicht über den Weg der internationalen Rechtshilfe in Strafsachen bei Verfahren mitwirken, welche der verfolgten 36

37

38

Vgl. insbesondere Art. 8 Abs. 4 des Übereinkommens vom 10. Dezember 1984 gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe (SR 0.105).

Andere internationale Instrumente, die von der Schweiz ratifiziert worden sind, schliessen im Bereich der internationalen Rechtshilfe in Strafsachen den politischen Charakter der Straftaten, auf die sie sich beziehen, aus: Art. 3 Abs. 2 des Auslieferungsvertrages vom 25. Mai 1973 zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft und den Vereinigten Staaten von Amerika (SR 0.353.933.6); Art. 1 des Zusatzprotokolls vom 15. Oktober 1975 zum Europäischen Auslieferungsübereinkommen (SR 0.353.11); Art. VII ­ in Verbindung mit Art. III ­ des Übereinkommens vom 9. Dezember 1948 zur Verhütung und Bestrafung des Völkermordes (SR 0.311.11).

Siehe insbesondere Art. 3 Abs. 2 des Auslieferungsübereinkommens; Art. 5 des Europäischen Übereinkommens zur Bekämpfung des Terrorismus; Art. 16 Abs. 14 des UNOÜbereinkommens gegen transnationale organisierte Kriminalität (noch nicht ratifiziert).

6105

Person nicht den minimalen Schutzstandard garantieren39. Artikel 20 Absatz 2 unterscheidet sich dadurch von Absatz 1, dass er die Würdigung des Ersuchens nicht nur gestützt auf die Natur der Tat, sondern auch gestützt auf das Motiv des Ersuchens ermöglicht. Er erlaubt es, sich gegen missbräuchliche Gesuche abzusichern40.

Die in einem ausländischen Verfahren verfolgte Person kann aber in jedem Fall die zwingenden und verbindlichen Normen des Völkerrechts anrufen. Diese besitzen für die Schweiz Geltung, unabhängig von der Existenz bilateraler oder multilateraler Verträge mit dem ersuchenden Staat, und können die Ablehnung der Zusammenarbeit durch die Schweiz rechtfertigen41.

Art. 21 Die Straftatbestände, welche nicht als schwere Verstösse gegen das Zweite Protokoll gelten, sind in Artikel 21 geregelt. Unter Vorbehalt von Artikel 28 HA schreibt Artikel 21 den Vertragsparteien des Zweiten Protokolls vor, die folgenden Verstösse durch gesetzgeberische sowie Verwaltungs- und Disziplinarmassnahmen zu unterbinden: Die vorsätzliche Verwendung von Kulturgut sowie die vorsätzlich verübte unerlaubte Ausfuhr oder sonstige Entfernung von Kulturgut oder die unerlaubte Übertragung des Eigentums an Kulturgut aus besetztem Gebiet unter Verstoss gegen das Abkommen oder das Zweite Protokoll42. Detailliertere Verpflichtungen sieht die UNESCO-Konvention vom 14. November 1970 über die Massnahmen zum Verbot und zur Verhütung der unzulässigen Einfuhr, Ausfuhr und Übereignung von Kulturgut vor43.

2.5

Kapitel 5: Schutz von Kulturgut bei bewaffneten Konflikten nicht internationalen Charakters

Artikel 19 HA sieht bereits eine beschränkte Anwendung der Bestimmungen auf nicht internationale bewaffnete Konflikte vor. Er verpflichtet die Konfliktparteien, mindestens diejenigen Bestimmungen anzuwenden, welche die Respektierung von Kulturgut betreffen. Die übrigen Bestimmungen können durch Sondervereinbarungen zwischen den Konfliktparteien in Kraft gesetzt werden. Eine umfassende Regelung des Kulturgüterschutzes in nicht internationalen bewaffneten Konflikten wurde notwendig, umso mehr als ein Grossteil der Konflikte innerstaatlichen Charakter aufwies bzw. aufweist.

Gemäss Artikel 22 Absatz 1 ZPHA haben sämtliche Bestimmungen auch in nicht internationalen bewaffneten Konflikten auf dem Hoheitsgebiet der Vertragsparteien Geltung. In Bezug auf die Nichtanwendung auf innere Unruhen und Spannungen 39

40

41 42 43

Siehe insbesondere Definition des Schutzstandards im Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte oder in der EMRK, bzw. Normen des internationalen «Ordre public». BGE 123 II 517, Erw. 5a m.w.H.

Eine solche Bestimmung stellt eine Errungenschaft des Europäischen Übereinkommens vom 27. Januar 1977 zur Bekämpfung des Terrorismus dar (vgl. dessen Art. 5).

SR 0.353.3.

BGE 117 Ib, Erw. 2a und Verweise.

Siehe auch Art. 146 Abs. 3 IV. GA.

Siehe Botschaft über die UNESCO-Konvention und das Bundesgesetz vom 21. November 2001 über den internationalen Kulturgütertransfer (KGTG), BBl 2002 535.

6106

hält sich Absatz 2 eng an Artikel 1 Absatz 2 ZP II. Eine wörtliche Auslegung von Artikel 22 Absatz 1 ZPHA hätte zur Folge, dass die Bestimmungen nur auf Vertragsparteien, d.h. Vertragsstaaten, Anwendung finden würden. Gestützt auf die Diskussionen im Rahmen der Diplomatischen Konferenz ist Absatz 1 so auszulegen, dass die Bestimmungen in nicht internationalen bewaffneten Konflikten auf alle Konfliktparteien, auch nichtstaatliche, Anwendung finden müssen44. Davon ausgenommen sind Bestimmungen, welche Pflichten vorsehen, die auf Grund ihrer Natur nur von Staaten erfüllt werden können45. Absatz 6 weist im Übrigen darauf hin, dass die Anwendung des Zweiten Protokolls keinen Einfluss auf die Rechtsstellung der Parteien eines nicht internationalen bewaffneten Konflikts hat. Er übernimmt damit die bereits im gemeinsamen Artikel 3 Absatz 3 GA enthaltene Klausel.

Die Absätze 3 und 5 von Artikel 22 ZPHA enthalten Schutzklauseln mit den beiden sich ergänzenden Prinzipien des Völkerrechts, nämlich der Unverletzlichkeit der nationalen Souveränität sowie dem Interventionsverbot. Gemäss Absatz 3 darf der Staat seine Souveränität nur mit allen rechtmässigen Mitteln verteidigen46. Des weiteren hat gemäss Absatz 4 diejenige Vertragspartei den Vorrang der Gerichtsbarkeit über die Verstösse gegen Artikel 15, in deren Hoheitsgebiet ein nicht internationaler bewaffneter Konflikt stattfindet. In Anlehnung an den gemeinsamen Artikel 3 GA sieht Absatz 7 schliesslich die Möglichkeit vor, dass die UNESCO den Konfliktparteien ihre Dienste anbietet.

2.6

Kapitel 6: Institutionelle Fragen

Auf institutioneller Ebene sieht das Zweite Protokoll eine Tagung der Vertragsparteien des Zweiten Protokolls sowie einen Ausschuss für den Schutz von Kulturgut vor und errichtet einen Fonds47.

Die Tagung der Vertragsparteien wird grundsätzlich alle zwei Jahre gleichzeitig wie die Generalkonferenz der UNESCO und in Koordination mit der Tagung der Hohen Vertragsparteien des Abkommens einberufen (Art. 23 Abs. 1). Ihre Aufgaben sind die Wahl der Mitglieder des Ausschusses, die Genehmigung von Richtlinien des Ausschusses, die Erarbeitung von Richtlinien für die Verwendung des Fonds und dessen Aufsicht sowie die Erörterung von Anwendungsproblemen des Zweiten Protokolls (Art. 23 Abs. 3).

Der Ausschuss, der einmal pro Jahr zu einer ordentlichen Sitzung zusammentritt, besteht aus fachkundigen Vertreterinnen und Vertretern von zwölf Vertragsparteien und soll geographisch und kulturell ausgewogen bestellt sein (Art. 24). Er ist zuständig für die Erstellung von Richtlinien zur Durchführung des Zweiten Protokolls, für die Gewährung, Aussetzung oder Aufhebung des verstärkten Schutzes, für 44

45 46 47

Siehe Conférence diplomatique sur le deuxième Protocole relatif à la Convention de la Haye pour la protection des biens culturels en cas de conflit armé du 15 au 26 mars 1999, Comptes rendus du vendredi 26 mars 1999, Zusammenfassung der Diskussion zu Kapitel 5 unter: http://www.unesco.org/culture/legalprotection/war/html_fr/precis.shtml Insbesondere Verpflichtungen auf der institutionellen Ebene sowie betreffend die Durchführung des Protokolls (Kapitel 6 und 8).

Siehe auch Sandoz/Swinarski/Zimmermann, Commentaire des Protocoles additionnels du 6 juin 1977 aux Conventions de Genève du 12 août 1949, S. 1386 ff.

Siehe Art. 23, 24 und 29 ZPHA.

6107

die Erstellung, Aktualisierung und Förderung der Liste des Kulturguts unter verstärktem Schutz, für die Beobachtung und Überwachung der Anwendung des Zweiten Protokolls, für die Förderung der Erfassung von Kulturgut unter verstärktem Schutz, für die Prüfung der Staatenberichte48 und die Erstellung eines eigenen Berichts zu Handen der Tagung der Vertragsparteien (Art. 27 Abs. 1 Bst. a­d). Er nimmt Anträge auf internationale Unterstützung nach Artikel 32 entgegen, prüft diese und bestimmt die Verwendung des Fonds (Art. 27 Abs. 1 Bst. e und f). Der Ausschuss nimmt seine Aufgaben in Zusammenarbeit mit dem Generaldirektor wahr (Art. 27 Abs. 2). Im Übrigen ist er gemäss Absatz 3 verpflichtet, mit internationalen und nationalen staatlichen und nichtstaatlichen Organisationen im Bereich des Kulturgüterschutzes zusammenzuarbeiten. Das Sekretariat der UNESCO unterstützt den Ausschuss in den Bereichen Dokumentation, Sitzungsvorbereitung und Durchführung seiner Beschlüsse (Art. 28).

Der Zweck des Fonds ist die finanzielle oder eine andere Hilfe für die vorbereitenden und sonstigen Massnahmen in Friedenszeiten, aber auch für die Hilfe zum Schutz von Kulturgut während eines bewaffneten Konflikts (Art. 29 Abs. 1 Bst. a und b). Es besteht keine obligatorische Beitragspflicht für den Fonds (Art. 29 Abs. 4).

2.7

Kapitel 7, 8 und 9: Verbreitung von Informationen und internationale Unterstützung, Durchführung und Schlussbestimmungen

Die Vertragsparteien bemühen sich um die Verbreitung von Informationen zwecks Stärkung der Würdigung und Achtung von Kulturgut im zivilen und militärischen Bereich (Art. 30)49. Im Falle schwerer Verstösse gegen das Protokoll sind die Vertragsparteien zur internationalen Zusammenarbeit verpflichtet50. Die Vertragsparteien können sowohl in Zeiten von bewaffneten Konflikten als auch in Friedenszeiten beim Ausschuss internationale Unterstützung für Kulturgut unter verstärktem Schutz und zur Erstellung der notwendigen innerstaatlichen Grundlagen beantragen (Art. 32 Abs. 1). Dies gilt auch für Konfliktparteien, die nicht Vertragsparteien sind, das Zweite Protokoll aber annehmen und anwenden (Art. 32 Abs. 2). In Friedenszeiten können die Vertragsparteien von der UNESCO technische Unterstützung erhalten, gleichzeitig soll aber auch die bilaterale und multilaterale technische Unterstützung gefördert werden (Art. 33 Abs. 1 und 2)51.

Das Zweite Protokoll wird im Falle eines bewaffneten Konflikts unter Mitwirkung der Schutzmächte angewandt ­ ein System, das bereits im Haager Abkommen verankert ist52. Zusätzlich sieht das Zweite Protokoll die Möglichkeit vor, dass, wenn keine Schutzmächte bestellt sind, der Generaldirektor im Falle von Meinungsverschiedenheiten seine guten Dienste anbieten bzw. schlichten oder vermitteln kann (Art. 36 Abs. 1). Eine Zusammenkunft der Konfliktparteien kann auf Einladung ei48 49 50 51 52

Art. 37 Abs. 2 ZPHA.

Siehe auch Art. 25 HA.

Art. 31 nimmt Bezug auf die Charta der Vereinten Nationen.

Vgl. Art. 23 HA.

Art. 34 und 35 ZPHA entsprechen Art. 21 und 22 HA.

6108

ner Vertragspartei oder des Generaldirektors stattfinden (Art. 36 Abs. 2). Analog zum Abkommen53 legen die Vertragsparteien alle vier Jahre in einem Bericht Rechenschaft über die Umsetzung des Zweiten Protokolls ab (Art. 37 Abs. 2). Artikel 38 hält fest, dass die individuelle strafrechtliche Verantwortlichkeit keinen Einfluss hat auf die völkerrechtliche Staatenverantwortlichkeit, einschliesslich der Pflicht zur Leistung von Entschädigung.

In den Schlussbestimmungen ist u. a. für den Fall eines bewaffneten Konflikts ein Schnellverfahren für das Inkrafttreten sowie ein um ein Jahr verzögertes Kündigungsverfahren vorgesehen (Art. 44 und 45). Das Zweite Protokoll tritt drei Monate nach der Hinterlegung der zwanzigsten Ratifikations-, Annahme-, Genehmigungsoder Beitrittsurkunde in Kraft (Art. 43 Abs. 3).

3

Das Zweite Protokoll und die schweizerische Rechtsordnung

3.1

Art der völkerrechtlichen Verpflichtungen

Das Zweite Protokoll wird wie alle internationalen Abkommen Bestandteil der schweizerischen Rechtsordnung, sobald es für die Schweiz in Kraft getreten ist. Soweit Bestimmungen eines internationalen Rechtsinstruments direkt anwendbar sind, können die daraus fliessenden Rechte von diesem Zeitpunkt an vor den schweizerischen Behörden geltend gemacht werden. Als direkt anwendbar gelten jene Bestimmungen, die ­ im Gesamtzusammenhang sowie im Lichte von Gegenstand und Zweck des Zweiten Protokolls betrachtet ­ voraussetzungslos und genügend bestimmt sind, um auf einen konkreten Sachverhalt angewendet zu werden und Grundlage für einen Entscheid bilden zu können.

Grundsätzlich kann festgestellt werden, dass einige Bestimmungen des Zweiten Protokolls präzise Verpflichtungen enthalten, die direkt anwendbar sind54. Die Vorschriften im Bereich der individuellen Strafbarkeit fordern hingegen explizit Ausführungsbestimmungen mit Strafrahmen auf innerstaatlicher Ebene55. Im konkreten Fall wird es Sache der rechtsanwendenden Behörden sein, über die Justiziabilität der jeweiligen Bestimmung des Zweiten Protokolls zu entscheiden.

3.2

Strafbarkeit der Verstösse gegen das Zweite Protokoll und das Haager Abkommen

Das geltende schweizerische Recht enthält bereits strafrechtliche Normen bezüglich Verstösse gegen Vorschriften zum Schutz von Kulturgut.

Das Militärstrafgesetz (MStG)56 sieht in Artikel 109 Absatz 1 vor, dass die Zuwiderhandlung gegen Vorschriften internationaler Abkommen über Kriegführung sowie über den Schutz von Personen und Gütern wie auch die Verletzung anderer völ53 54 55 56

Art. 26 Abs. 2 HA.

Z.B. Art. 5.

Art. 15 und Art. 21, aber auch Art. 16 bezüglich der Begründung der Gerichtsbarkeit sowie Art. 18 Abs. 1, 3 und 4 und Art 19.

SR 321.0

6109

kergewohnheitsrechtlich anerkannter Gesetze und Gebräuche des Krieges mit Gefängnis, in schweren Fällen mit Zuchthaus bestraft wird. Beim Zweiten Protokoll handelt es sich um ein solches internationales Abkommen über den Schutz von Kulturgut in bewaffneten Konflikten. Die Generalklausel in Artikel 109 MStG erfasst deshalb auch die Straftatbestände des Zweiten Protokolls. Das Zweite Protokoll sieht im Weiteren in Artikel 3 Absatz 1 in Verbindung mit Artikel 22 Absatz 1 die Anwendbarkeit des Protokolls in nicht internationalen bewaffneten Konflikten vor. Dieser Sachverhalt wird ebenfalls durch das schweizerische Recht erfasst, da gemäss Artikel 108 Absatz 2 MStG die Verletzung internationaler Abkommen nicht nur in Konflikten zwischen Staaten strafbar ist, sondern auch dann, wenn die Abkommen einen weiteren Anwendungsbereich vorsehen. Die Schweiz erfüllt somit die in Artikel 28 HA und in Artikel 15 Absatz 2 ZPHA enthaltene Verpflichtung, die Strafverfolgung für Verletzungen des Abkommens und für schwere Verstösse gegen das Zweite Protokoll sicherzustellen. Die Verpflichtung nach Artikel 21 ZPHA, andere Verstösse gegen das Abkommen oder das Zweite Protokoll zu unterbinden, wird gestützt auf die Artikel 72, 108 und 109 MStG erfüllt. Ebenfalls verfügt die Schweiz über die von Artikel 16 ZPHA verlangte Gerichtsbarkeit. Dies gilt insbesondere auch in Bezug auf jene Delikte, welche im Ausland begangen wurden, der Täter oder die Täterin sich aber in der Schweiz befindet57.

Zusätzlich sieht das Bundesgesetz über den Kulturgüterschutz bei bewaffneten Konflikten58 in den Artikeln 26­28 für die nicht vom MStG erfassten Straftatbestände wie Störung und Hinderung von Schutzmassnahmen, Missbrauch des Schutzzeichens usw. eine strafrechtliche Verfolgung vor.

In Bezug auf die Auslieferung und Rechtshilfe ist festzustellen, dass die Schweiz über ein Rechtshilfegesetz (IRSG)59 verfügt, welches das Auslieferungsverfahren regelt60. Zu den Voraussetzungen, von welchen die Schweiz die Auslieferung abhängig macht, zählen unter anderem die doppelte Strafbarkeit61 und die Garantien, die insbesondere in der Europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) und im Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte festgeschrieben sind62. Die unter Artikel 20 ZPHA erwähnte «Entpolitisierung»
gewisser schwerwiegender Akte wird im schweizerischen Recht bereits durch Artikel 3 Absatz 2 IRSG gewährleistet. Artikel 20 Absatz 1 ZPHA geht zwar über Artikel 3 Absatz 2 IRSG hinaus, da er insbesondere im Bereich der Auslieferung das Ermessen des Bundesgerichts, der zuständigen Behörde für die Zustimmung zu einer Auslieferung oder für deren Ablehnung, beschränkt, wenn die 57

58 59 60

61

62

Vgl. Botschaft vom 15. November 2000 über das Römer Statut des Internationalen Strafgerichtshofs, das Bundesgesetz über die Zusammenarbeit mit dem Internationalen Strafgerichtshof und eine Revision des Strafrechts, BBl 2001 391, 540.

Bundesgesetz vom 6. Oktober 1966 über den Schutz von Kulturgütern bei bewaffnetem Konflikt, SR 520.3.

Bundesgesetz über internationale Rechtshilfe in Strafsachen vom 20. März 1981 (SR 351.1).

Art. 32 ff. IRSG. Diese Bestimmungen gelten im Rahmen der allgemeinen Vorschriften der Art. 1 ff., soweit internationale Vereinbarungen nichts anderes bestimmen. Für die entsprechenden Auslieferungsmassnahmen ist das Bundesamt für Justiz zuständig.

Die minimale Dauer der freiheitsbeschränkenden Sanktion, mit welcher die Tat bestraft wird, muss gemäss Art. 35 Bst. a IRSG mindestens ein Jahr betragen. In Bezug auf die Straftaten nach Art. 15 Abs. 1 Bst. a­c ZPHA bereitet dies keinerlei Probleme, da diese nach Art. 109 MStG mit Gefängnis oder Zuchthaus bestraft werden.

Vgl. Art. 2 Bst. a IRSG.

6110

betroffene Person geltend macht, wegen eines politischen Delikts verfolgt zu werden, oder wenn sich bei der Instruktion ernsthafte Gründe für den politischen Charakter der Tat ergeben. Da gemäss Artikel 1 IRSG das Rechtshilfegesetz aber nur zur Anwendung kommt, soweit andere Gesetze und internationale Vereinbarungen nichts anderes bestimmen, ist die Regelung des Zweiten Protokolls mit dem schweizerischen Recht kompatibel.

3.3

Präventivmassnahmen in Friedenszeiten

Die in Artikel 5 aufgeführten Massnahmen sind bereits in der Verordnung zum Bundesgesetz über den Schutz von Kulturgütern bei bewaffneten Konflikten (nachfolgend Kulturgüterschutzverordnung) geregelt63.

Der Kulturgüterschutz im zivilen Bereich wird in der Schweiz auf den drei Ebenen Bund, Kantone und Gemeinden oder Regionen umgesetzt. Auf Bundesebene stehen Grundlagenarbeiten wie die Erarbeitung der Rechtsgrundlagen und die Erstellung des Schweizerischen Inventars der Kulturgüter von nationaler und regionaler Bedeutung, das in revidierter Form im Jahre 2005 erscheinen soll, im Vordergrund.

Die Beratung und Förderung der Kantone bei der Realisierung von Sicherstellungsdokumentationen und die Bereitstellung von Informations- und Ausbildungsunterlagen zuhanden der Kantone oder Gemeinden stellen weitere wichtige Aufgaben dar.

Der Bund bildet das oberste Kulturgüterschutzpersonal im Rahmen von einwöchigen praktischen Kursen aus. Er unterstützt den Bau von Schutzräumen für bedeutende Sammlungen, Archiv- und Museumsbestände, die ungenügend geschützt sind, mit finanziellen Mitteln. Zur Zeit erarbeitet er mit den Feuerwehren ein Einsatzkonzept für den Brandfall.

Auf kantonaler Ebene werden für die Kulturgüter von nationaler und regionaler Bedeutung Sicherstellungsdokumentationen erstellt. Archivalien und bedeutende Bibliotheksbestände werden auf Mikrofilm festgehalten. Die Kantone bilden einen Teil des Kulturgüterschutzpersonals der Gemeinden aus.

In den Gemeinden steht im Rahmen des Zivilschutzes Kulturgüterschutzpersonal zur Verfügung. In erster Linie sind dies Fachleute mit Bezug zum Kulturgut. Ihre Aufgaben sind praktischer Art. Es gilt die örtlichen Institutionen bei der Inventarisierung zu unterstützen, die Katastrophenplanung für die bedeutendsten Kulturgüter zu erstellen und mit den örtlichen Einsatzdiensten im Schadenfall zusammenzuarbeiten, um das Schadenausmass möglichst klein zu halten. Für Archiv-, Bibliotheks- und Museumssammlungen sowie kirchliche und weltliche bewegliche Kulturgüter sind geschützte Standorte zu erfassen, allenfalls bereits heute einzurichten und zu nutzen.

Die in Artikel 5 enthaltenen Massnahmen werden somit in der Schweiz bereits gut umgesetzt. Mit der Herabsetzung des Dienstalters im Zivilschutz (Austritt mit 40 Jahren) werden aber gerade die bis anhin zur Verfügung
stehenden Fachleute nicht mehr in ausreichendem Masse vor Ort zur Verfügung stehen. In diesem Bereich sind neue Lösungswege zu suchen. Es geht in erster Linie darum, Fachleute kultureller Institutionen für die Belange des Kulturgüterschutzes in den Gemeinden gewinnen zu können.

63

Verordnung vom 17. Oktober 1984 über den Schutz der Kulturgüter bei bewaffneten Konflikten, KGSV, SR 520.31.

6111

3.4

Verbreitung von Informationen und Unterstützung

Die Verbreitung der Informationen über den Schutz von Kulturgut in bewaffneten Konflikten gemäss Artikel 30 ZPHA wird in der Schweiz durch den Kulturgüterschutz im VBS wahrgenommen. Die relevanten Aspekte werden im Rahmen von Ausbildungsanlässen für Zivilpersonen bzw. Militär, aber auch in Tageszeitungen und Fachpublikationen mitgeteilt. Im Weiteren stellt das Internet ein geeignetes Mittel dar, um die Belange des Kulturgüterschutzes bekannt zu machen64. Im September 2002 fand auf Einladung der Schweiz eine internationale Kulturgüterschutztagung in Bern statt, um die Fragen betreffend das Zweite Protokoll zu diskutieren und Erfahrungen auszutauschen65.

Die Schweiz leistet technische Unterstützung bei der Organisierung der Schutzmassnahmen, wie dies im Zweiten Protokoll in Artikel 33 Absatz 2 vorgesehen ist.

Sie verfügt in den Bereichen Sicherung von Kulturgut und Notfallplanung über einen reichen praktischen Erfahrungsschatz. Dieses Wissen wird mit anderen Staaten geteilt. Nach dem Hochwasser vom August 2002 leistete der Bund z. B. via DEZA in der Tschechischen Republik fachliche und materielle Unterstützung bei der Rettung von wassergeschädigten Archivalien und Büchern.

4

Finanzielle und personelle Auswirkungen

Die kosten- und personalrelevanten Massnahmen in den Bereichen der Präventivmassnahmen in Friedenszeiten und der Verbreitung der Informationen über den Kulturgüterschutz werden gestützt auf die geltenden gesetzlichen Grundlagen bereits umgesetzt, weshalb diesbezüglich durch eine Ratifizierung des Zweiten Protokolls keine Mehrkosten anfallen werden. Das Zweite Protokoll sieht die Möglichkeit zur Leistung von freiwilligen Beiträgen an einen noch zu errichtenden Fonds für den Schutz von Kulturgut bei bewaffneten Konflikten vor. Die Leistung eines solchen Beitrags durch die Schweiz kann erst nach der allfälligen Errichtung eines solchen Fonds sowie im Lichte der dann herrschenden Umstände in Erwägung gezogen werden.

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Verhältnis zur Legislaturplanung

Die Vorlage ist in der Legislaturplanung 1999­2003 angekündigt66.

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http://www.bevoelkerungsschutz.ch (Kapitel Kulturgüterschutz).

http://www.kulturgueterschutz.ch/ BBl 2000 2276, Anhang 2.

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Verfassungsmässigkeit

Die verfassungsmässige Grundlage des Bundesbeschlusses zur Genehmigung des Zweiten Protokolls findet sich in Artikel 54 Absatz 1 BV, welcher den Bund ermächtigt, völkerrechtliche Verträge abzuschliessen. Die Bundesversammlung ist nach Artikel 166 Absatz 2 BV zuständig, das Zweite Protokoll zu genehmigen.

Laut Artikel 141 Absatz 1 Buchstabe d Ziffer 1­3 BV werden völkerrechtliche Verträge dem fakultativen Referendum unterstellt, wenn sie unbefristet und unkündbar sind (Ziff. 1), den Beitritt zu einer internationalen Organisation vorsehen (Ziff. 2) oder wenn sie wichtige rechtsetzende Bestimmungen enthalten oder deren Umsetzung den Erlass von Bundesgesetzen erfordert (Ziff. 3). Das Zweite Protokoll ist kündbar (Art. 45 ZPHA) und impliziert keinen Beitritt zu einer internationalen Organisation. Es stellt sich somit einzig die Frage, wie es sich mit Ziffer 3 verhält.

Welche Rechtsätze als wichtig im Sinne der Verfassung gelten, beurteilt sich nach Artikel 164 Absatz 1 Buchstaben a­g BV: Als wichtig anzusehen sind namentlich alle grundlegenden Bestimmungen über die Rechte und Pflichten von Personen sowie über die Aufgaben und Leistungen des Bundes. Die Kriterien, welche für die Beurteilung der Frage, welche Regelungsgegenstände in einem formellen Gesetz normiert werden müssen, entwickelt wurden, werden somit grundsätzlich im Fall von Staatsverträgen für die Beurteilung der Referendumspflicht angewandt.

Das Zweite Protokoll enthält Bestimmungen, welche als wichtige rechtsetzende Bestimmungen im Sinne von Artikel 141 Absatz 1 Buchstabe d Ziffer 3 BV einzustufen sind, namentlich die Artikel 18­20 ZPHA betreffend die Auslieferung und Rechtshilfe sowie die in Artikel 21 Buchstabe b enthaltene Strafbestimmung betreffend die unerlaubte Ausfuhr oder sonstige Entfernung von Kulturgut oder die unerlaubte Übertragung des Eigentums an Kulturgut aus besetztem Gebiet. Der zur Genehmigung unterbreitete Bundesbeschluss ist somit dem fakultativen Staatsvertragsreferendum zu unterstellen.

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