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Botschaft des Bundesrates an die Bundesversammlung zu einem Bundesgesetz über den Schutz der Schwangerschaft und die Neuordnung der Strafbarkeit des Schwangerschaftsabbruchs

und Bericht zum Volksbegehren und zur Standesinitiative des Kantons Neuenburg für die Straflösigkeit der Schwangerschaftsunterbrechung (Vom 30. September 1974)

Sehr geehrter Herr Präsident, sehr geehrte Damen und Herren, Wir unterbreiten Ihnen hiermit den Entwurf für ein Bundesgesetz über den Schutz der Schwangerschaft und die Neuordnung der Strafbarkeit des Schwangerschaftsabbruchs sowie unseren Bericht zum Volksbegehren vom l. Dezember 1971 für die Straflösigkeit der Schwangerschaftsunterbrechung und zur Standesinitiative des Kantons Neuenburg vom 14. Dezember 1971 betreffend Aufhebung der Bestimmungen im Strafgesetzbuch über Abtreibung und straflose Unterbrechung der Schwangerschaft.

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Übersicht

Unsere Darlegungen beginnen mit der Schilderung der Ausgangslage (Ziff. 2). Wir orientieren Sie dann über das Volksbegehren und weitere Vorstösse, die Arbeit und die Vorschläge der Expertenkommission sowie über die Ergebnisse des Vernehmlassungsverfahrens. Nach einem Überblick über das geltende Recht (Ziff. 3) und einer rechtsvergleichenden Übersicht (Ziff. 4) wird zum Volksbegehren und zur Standesinitiative Stellung genommen, mit dem Vorschlag, das Volksbegehren Volk und Ständen mit dem Antrag auf Verwerfung zu unter-

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breiten und der Standesinitiative keine Folge zu geben (Ziff. 5). Anschliessend setzen wir uns mit den Vorschlägen der Expertenkommission auseinander (Ziff. 6) und unterbreiten Ihnen als indirekten Gegenvorschlag zum Volksbegehren und zur Standesinitiative den Entwurf für ein Bundesgesetz über den Schutz der Schwangerschaft und die Neuordnung der Strafbarkeit des Schwangerschaftsabbruchs (Ziff. 7). Der Entwurf, der die geltenden Artikel 118 bis 121 des Strafgesetzbuches ersetzen soll, bringt eine wesentliche Neuerung zum Schütze der Schwangerschaft: Er räumt jedem Ehepaar und allen Frauen, die sich wegen einer eingetretenen Schwangerschaft nicht mehr glauben zurechtfinden zu können, einen Anspruch auf unentgeltliche Beratung und Hilfe ein, wofür die Kantone mit finanzieller Unterstützung des Bundes besondere Beratungsstellen einzurichten haben. Bei der Abtreibung werden in bezug auf die Bestrafung der Schwangeren gewisse Milderungen vorgesehen. Hinsichtlich des straflosen Abbruchs der Schwangerschaft wird eine Liberalisierung vorgeschlagen. Der Entwurf lässt den Schwangerschaftsabbruch nicht mehr nur bei medizinischer (einschliesshch sozialmedizinischer) Indikation zu, sondern auch dann, wenn er aus sozialen Gründen, juristisch (ethisch) oder eugenisch indiziert ist, wobei Ausführungsvorschriften des Bundesrates und Strafbestimmungen über die Nichtbeachtung sachlicher und formeller Voraussetzungen für einen straflosen Schwangerschaftsabbruch zu einer gleichmässigen und korrekten Handhabung der gesetzlichen Bestimmungen beitragen sollen. Ferner haben die Kantone, was die mit dem Eingriff verbundenen Kosten anbelangt, für die Anwendung von Tarifen mit niedrigen Ansätzen zu sorgen. Die Überschreitung der Tarife soll strafbar sein. Ein neuer Artikel I2 qualer im Kranken- und Unfallversicherungsgesetz verankert die Leistungspflicht der Krankenkassen im Falle eines legalen Schwangerschaftsabbruchs. Vorgeschlagen wird schliesslich, den Artikel 211 des Strafgesetzbuches über die Anpreisung von Gegenständen zur Verhütung der Schwangerschaft als überholt zu streichen.

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Ausgangslage

Expertenkommission für die Revision des Strafgesetzbuches

Am 18. März 1971 verabschiedete die Bundesversammlung das Bundesgesetz betreffend Änderung des Strafgesetzbuches. Mit dem Gesetz wurden im wesentlichen die Bestimmungen über die Strafen und Massnahmen und deren Vollzug sowie das Jugendstrafrecht revidiert. Ein Teil der Bestimmungen, insbesondere jene über die Strafen und Massnahmen, wurden vom Bundesrat auf den I.Juli 1971, die übrigen Bestimmungen, vor allem die Jugend strafrechtlichen, auf den 1. Januar 1974 in Kraft gesetzt (AS 7977 777, 7975 1840).

Mit der Verabschiedung des Gesetzes durch die eidgenössischen Räte war der Zeitpunkt gekommen, die weiteren Revisionen, mit Schwerpunkt auf den besonderen Bestimmungen über die einzelnen strafbaren Handlungen, in Angriff zu nehmen. Zu deren Vorbereitung setzte das Eidgenössische Justiz- und Polizei-

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département im September 1971 im Einvernehmen mit dem Bundesrat eine repräsentative Expertenkommission ein.

Die Expertenkommission wird von Professor Dr. Hans Schultz, Ordinarius für Strafrecht an der Universität Bern, präsidiert. Ausser ihm gehören bzw.

gehörten ihr die folgenden 31 Persönlichkeiten an.

Zur Beratung aller mit den weiteren Revisionen des Strafgesetzbuches zusammenhängenden Fragen: Regierungsrat Dr. iur. Arthur Bachmann, Justizdirektor des Kantons Zürich (Winterthur), Dr. iur. Jean-Claude Chappuis, Generalsekretär des Justiz- und Polizeidepartementes des Kantons Waadt (Morges), Professor Dr. iur. François Clerc (St-Blaise), Frau Dr. iur. Valentine Degoumois (Neuenburg), Bundesrichter Professor Dr. iur. Hans Dubs (Le Mont sur Lausanne), Fräulein Staatsanwalt Dr. iur. Ita Maria Eisenring (Rorschach), Oberrichter Dr. iur. Peter Fink (Zürich), Professor Dr. iur. Jean Gauthier (Lausanne), Professor Dr. iur. Philippe Graven (Genf), Rechtsanwalt Dr. iur. Alois Grendelmeier (Zürich), Oberstbrigadier Dr. iur. Ernst Lohner, Oberauditor der Armee, Fräulein Dr. iur. Verena Marty, Abteilungsleiterin der Gewerbeschule Zürich (Zürich), Professor Dr. iur. Peter Noli (Gossau, Kanton Zürich), Staatsanwalt Dr. iur. Willy Padrutt (Chur), Bundesrichter Dr. iur. René Perrin (Lausanne), Rechtsanwalt Dr. iur. Dominique Poncet (Genf), Appellationsrichter Rechtsanwalt Dr. iur. Marco Ramelli (Locamo), Bundesrichter Professor Dr. iur. Vital Schwander (Lausanne), Fräulein Grossrat Dr. iur. Judith Stamm, Polizeiassistentin (Luzern), Oberrichter Dr.iur. Hans-Martin Steinbrück (Aarau), Professor Dr. iur. Günter Stratenwerth (Basel), Bundesanwalt Professor Dr. iur. Hans Walder, Staatsanwalt Dr. iur. Hans Wieland (Basel).

Für die Beratung der Revision der Bestimmungen über die strafbaren Handlungen gegen Leib und Leben, die Sittlichkeit und die Familie als besondere Sachverständige : Frau Dr.med. Monique Barrelet, Spezialärztin für Psychiatrie FMH (Neuenburg), Professor Dr.med. Max Berger, Direktor der Universitätsfrauenklinik Bern.

Professor Dr.med. Georges-André Hauser, Chefarzt der Frauenklinik und Hebammenschule des Kantonsspitals Luzern, Professor Louis Rumpf, Dekan der Theologischen Fakultät der Universität Lausanne,

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Professor Dr.med. Heinrich Stamm, Spezialarzt für Chirurgie, Chefarzt der geburtshilflich-gynäkologischen Abteilung am Städtischen Krankenhaus Baden, Frau Fürsprecher Dr. iur. Antoinette Stucki-Lanzrein (Muri bei Bern), Professor Dr.theol. Alois Sustar, Bischofsvikar (Chur), Professor Dr.med. Rudolf Wyss, Direktor der Heil- und Pflegeanstalt Münsingen.

Bundesrichter Perrin trat im Dezember 1971 und Bundesrichter Dubs im Januar 1973 aus der Kommission aus, beide im Hinblick auf anderweitige Verpflichtungen.

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Etappenweise Revision des Strafgesetzbuches

Die Zahl der Revisionspostulate ist beträchtlich. Eine erste, bei der Bestellung der Expertenkommission erfolgte Zusammenstellung wies bereits über hundert Änderungsvorschläge auf. In der Zwischenzeit sind noch weitere hinzugekommen. Angesichts der Vielzahl und Vielgestaltigkeit der Revisionspostulate sowie ihrer unterschiedlichen Bedeutsamkeit und Dringlichkeit wurde für die Revisionen ein etappenweises Vorgehen in Aussicht genommen. Diese Arbeitsmethode findet bekanntlich bereits mit Erfolg bei der Revision des Familienrechts Anwendung. Auch die Bundesrepublik Deutschland und andere Nachbarstaaten gehen bei der Revision ihrer grossen Kodifikationen in dieser Weise vor.

Der in der ersten Etappe zu behandelnde Revisionspunkt wurde bereits zur Zeit der Bestellung der Expertenkommission durch die damals laufende Unterschriftensammlung für das Volksbegehren für die Straflösigkeit der Schwangerschaftsunterbrechung bestimmt. Die Expertenkommission erhielt dem entsprechend vom Eidgenössischen Justiz- und Polizeidepartement die Weisung, als erstes die Artikel 118 bis 121 des Strafgesetzbuches über die Bestrafung der Abtreibung und die straflose Unterbrechung der Schwangerschaft zu überprüfen.

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Das Volksbegehren

Das Volksbegehren für die Straflösigkeit der Schwangerschaftsunterbrechung wurde am I.Dezember 1971 eingereicht. Darin wird verlangt, dass die Bundesverfassung durch den folgenden Artikel 65bls zu ergänzen sei : Wegen Schwangerschaftsunterbrechung darf keine Strafe ausgefallt werden.

Massgebend ist der französische Text: «II ne pourra être prononcé de condamnation pour interruption de la grossesse.» Das Volksbegehren enthält eine Rückzugsklausel, wonach die Initianten befugt sind, es zugunsten eines Gegenvorschlages der Bundesversammlung oder vorbehaltlos zurückzuziehen. Mit Verfügung vom 27. Dezember 1971 stellte die Bundeskanzlei fest, dass das Volksbegehren 59 904 gültige Unterschriften aufweise und formell zustande gekommen sei (BEI 1971 U 2034).

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Da das Volksbegehren m der Form eines ausgearbeiteten Entwurfs gestellt ist, musste es nach Artikel 27 Absatz l des Geschaftsverkehrsgesetzes vom 23 März 1962 (SR 1711 T) von der Bundesversammlung innerhalb von drei Jahren, d h bis Anfang Dezember 1974, behandelt werden Diese hat jedoch auf unseren Antrag vom 17 Oktober 1973 (BB1 7975 II 857) von der in Artikel 29 Absatz 3 vorgesehenen Möglichkeit Gebrauch gemacht und mit Beschluss vom 11 Dezember 1973 (Amtl Bull Nationalrat 1973 S 1676, Standerat 1973 S 759) die Frist zur Beschlussfassung über das Volksbegehren um ein Jahr verlängert

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Die Standesinitiative des Kantons Neuenburg und weitere Vorstösse

Die durch das Volksbegehren m Gang gekommene allgemeine Auseinandersetzung um eine neue gesetzliche Regelung des Schwangerschaftsabbruchs loste noch weitere Vorstösse aus Am 14 Dezember 1971 beschloss der Grosse Rat des Kantons Neuenburg gestutzt auf Artikel 93 Absatz 2 der Bundesverfassung eine Standesinitiative mit folgendem Wortlaut Der Kanton Neuenburg beantragt der Bundesversammlung, die Artikel 118, 119, 120 und 121 des Schweizerischen Strafgesetzbuches aufzuheben

Der Staatsrat des Kantons Neuenburg übermittelte die Standesinitiative am 17 Dezember 1971 der Bundesversammlung Diese überwies sie mit Beschluss vom 28 Februar 1972 dem Bundesrat zum Bericht Den gegenteiligen Standpunkt verficht die am 13 September 1972 den eidgenossischen Raten eingereichte Petition «Ja zum Leben - Nein zur Abtreibung» Die rund 180000 Petenten verlangen von den Behörden die Aufrechterhaltung und Festigung der geltenden Gesetzesbestimmungen zum Schütze des werdenden Lebens Zwischen diesen Auffassungen lassen sich m der öffentlichen Diskussion noch zwei weitere Hauptrichtungen feststellen Die eine tritt für eine Fristenlosung ein, das heisst für eine Regelung, die jeden innert einer bestimmten Frist seit Beginn der Schwangerschaft durch einen Arzt ausgeführten Abbruch straflos lasst, unabhängig davon ob eine Indikation vorliegt oder nicht Die andere Richtung mochte bei einer Indikationenlosung bleiben, aber die Skala der Grunde für einen straflosen Schwangerschaftsabbruch (Indikationen) mehr oder weniger erweitert sehen Diese fand auch m einem parlamentarischen Vorstoss ihren Niederschlag Nationalrat Eng reichte am 29 Juni 1972 folgende Motion (Nr 11 361) ein Der Bundesrat \\ ird ersucht, die Bestimmungen des Schweizerischen Strafgesetzbuches m den Artikeln 118-121 so abzuändern, dass a der Indikationenkatalog auch die Abwendung psychischer und physischer Schädigungen des Kindes und - im Falle von Verbrechen - der Schwangeren berücksichtigt, b die Zahl der illegalen Abtreibungen eingedämmt und eine gleichmassige Handhabung der gesetzlichen Bestimmungen erreicht werden kann

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Die Motion wurde mit Rücksicht auf die im Gang befindlichen Revisionsarbeiten in ein Postulat umgewandelt und am 25. Juni 1973 vom Nationalrat angenommen (Amt!. Bull. Nationalrat 1973 S. 858 ff.).

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Die Arbeit der Expertenkommission

Die Expertenkommission beriet vom November 1971 bis Februar 1973 in 13 Sitzungen, wovon sechs zweitägigen, über die Neuregelung des straflosen Abbruchs der Schwangerschaft. Sie prüfte mit grosser Gewissenhaftigkeit den gesamten Fragenkomplex. Zu Beginn ihrer Beratungen Hess sie sich eingehend über die medizinischen Gegebenheiten (Entwicklung des Embryo, bekannte und in Entwicklung begriffene Methoden des ärztlichen Schwangerschaftsabbruchs, körperliche und seelische Folgen eines solchen Eingriffs) sowie über die sozialmedizinischen vorbeugenden Massnahmen und späteren Hilfen (Schwangerschaftsverhütung, Beratungsstellen für Schwangere) unterrichten. Die medizinischen Probleme wurden durch die ärztlichen Mitglieder der Kommission erläutert. Über die Beratungsstellen orientierte Frau PD Dr.med. Marianne Mall-Haefeli, Basel, Leiterin des Sozialmedizinischen Dienstes der Frauenklinik Basel-Stadt. Die beiden theologischen Mitglieder der Kommission gaben die Stellungnahme ihrer Konfessionen zum Schwangerschaftsabbruch bekannt. Ausserdem hörte die Kommission Frau Anne-Marie Rey-Kühni (Zollikofen), Maurice Favre, Rechtsanwalt (La Chaux-de-Fonds) und Fritz Dutler, lic.iur. (Bern), als Vertreter des Initiativkomitees und alt Bundesrichter Prof.Dr.iur. Antoine Favre (Sion), Dr.med. Werner Umbricht (Zürich) und Ramon Granges, dipl.Ing.ETH (Kehrsatz) als Vertreter des Petitionskomitees an. Die Mitglieder der Kommission erhielten ferner eine umfassende und laufend ergänzte rechtsvergleichende Dokumentation, vermittelt durch Erhebungen der schweizerischen diplomatischen Vertretungen in einzelnen Ländern und ergänzt durch Berichte des Max-Planck-Institutes für ausländisches und internationales Strafrecht in Freiburg i. Br. Im übrigen zogen sie zahlreiche in- und ausländische Veröffentlichungen zu Rate1'.

Am 7. Juni 1973 erstattete der Präsident der Expertenkommission, Professor Dr. Hans Schultz, dem Eidgenössischen Justiz- und Polizeidepartement Bericht über die Kommissionsberatungen.

'' Vgl. insbesondere: Abortion in a changing World (Report of a Conference in Hot Springs, Nov. 1968), New York und London 1970; Baumann Jürgen (Hrsg.), Das Abtreibungsverbot des § 218, Sammlung Luchterhand Bd. 62, Neuwied und Berlin 1971; Binder Hans, Psychiatrische Indikation für Abort und Sterilisation, Schweiz. Med. Jahrbuch 1947;
Diem Heinrich Robert, Die straflose Unterbrechung der Schwangerschaft und ihre Ausgestaltung in der schweizerischen Praxis, Diss. Zürich 1952; Favre Maurice, Un crime de moins, Boudry 1971; Gloor Pierre-André, Avortement - interruption de grossesse, Cahier Protestant No5/1972, Lausanne; Heiss Herbert, Die Abortsituation in Europa und in aussereuropäischen Ländern, Stuttgart 1967; Heiss Herbert, Die künstliche Schwangerschaftsunterbrechung und der kriminelle Abort, Stuttgart 1967; Mall-Haefeli Marianne, Zur Frage der Liberalisierung der Schwangerschaftsunterbrechung, Schweiz. Zeitschrift für Gynäkologie und Geburtshilfe Nr. 3/1972; Mehlan K. H.

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Die Vorschlage der Expertenkommission 261 Vorbemerkungen

Bei der Ausarbeitung ihrer Vorschlage war sich die Expertenkommission bewusst, dass die Vorschriften über die Abtreibung und den straffreien Abbruch einer Schwangerschaft einen Konflikt losen sollten der befriedigend überhaupt nicht gelost werden kann Dem wie auch immer begründeten Wunsch der Schwangeren, von dei Schwangerschaft befreit zu werden, steht die mit der Befruchtung begründete Existenz des werdenden Menschen entgegen Nimmt die Schwangere die Schwangerschaft nicht an, so bestehen nur zwei Möglichkeiten sie wird angehalten, die Schwangerschaft dennoch auszufragen, oder das werdende Leben wird preisgegeben Es kann sich einzig darum handeln, eine Losung zu finden, welche am wenigsten unbefriedigend wirkt man kann nur fragen, welche Regelung sich am ehesten noch verantworten lasst Die Kommission stellte auch fest, dass m die Erörterungen des Schwangerschaftsabbruchs verglichen mit den seinerzeitigen Beratungen des Strafgesetzbuches, ein neues Argument einbezogen worden ist Der Hinweis aut die starke Vermehrung der Bevölkerung Es steht ausser Zweifel, dass das schnelle Wachstum dei Menschheit ein überaus wichtiges und für die Zukunft des Menschen entscheidendes Problem darstellt Die Kommission tritt jedoch entschieden dafür ein, und dies mit Recht, dass der Schwangerschaftsabbruch nicht das geeignete Mittel zur Bekämpfung der Bevolkerungsvermehrung darstellt Es ist völlig verfehlt, den Schwangerschaftsabbruch als Mittel der Geburtenbeschränkung und der Famihenplanung anzusehen Ebenso war sich die Expertenkommission im klaren darüber, dass die von ihr zu überprüfenden strafrechtlichen Vorschriften nur einen Teilaspekt der Problematik des Schwangei schaftsabbruchs bilden und diese nicht allem zu losen (Hrsg), Die internationale Abortsituation - Aboi tbekampfung Antikonzeption, Leipzig 1960, Negli Hans, Die Schwangerschaftsbegutachtung nach Art 120 StGB unter besonderer Berücksichtigung der Erfahrungen der medizinischen Universitätsklinik Bern von 1942--1949 D:ss Bern 1951, Organisation mondiale de la Sante (Hrsg), La législation de l'avortement dans le monde, Genève 1971, Schulte WM und S, Unerwünschte Schwangerschaft, Stuttgart 1969, Siegnst Haiald, Der illegale Schwangerschaftsabbruch Diss Zürich 1971, Stamm Heinrich, Die legale und illegale Abortsituation m der Sch\\ eiz Fortschritte der
Geburtshilfe und Gynäkologie Vol 42, BaselMunchen-Ne« York 1970, Straflose Schwangerschaftsunterbi echung - warum ? , Smwel Veilag Bern 1972, Stucki-Lanzi ein Antoinette, Die legale Schwangerschaftsunterbrechung, Europaische Hochschulschriften Bd 11/51, Bern und Frankfurt 1971, Diss Bein 1971 Theologische Quartalsschrift 151 Jahrgang 1 Quartalsheft 1971 mit Beitra gen zur Schwangerschaftsunterbrechung von A Auer, "W Mende, M Vodopi\ec, A v Nelsen, A Eser und H Bour, München und Freiburg i Br 1971, Wiss Noia, Prostaglandme - eine neue Gruppe von Hormonen, Abort durch Medikamente/Bericht von einer Konferenz in Wien N Z Z v o m l S 11 1972, Nr 531 S 35, W\ss Rudolf, Psychiatrische und neurologische Erkrankungen, m C Muller/D Stucki (Hrsg ), Richtlinien zur medizinischen Indikation der Schwangerschaftsunterbrechung BerlmGottmgen-Heidelberg 1964, Znahlen Rmold, Unmittelbare psychische Reaktionen nach arztlich indizierter Schwangerschaftsunterbrechung, Schweiz Archiv für Neuiologie, Neurochirurgie und Psychiatrie Bd 98, 2, 345 85, Diss Bern 1966

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vermögen. Zur Lösung der Problematik in ihrer Gesamtheit bedarf es auch Massnahmen in anderen Bereichen, insbesondere in fùrsorgerischen und pädagogischen, für welche im wesentlichen die Kantone zuständig sind. Unter Abbau immer noch verbreiteter Vorurteile gälte es hier die Sozialmedizin zu fördern und die Sexualerziehung und -aufklärung zu intensivieren, ebenso die Familien-, Eheund Mütterberatung. Viel Hesse sich auch erreichen durch vermehrte finanzielle Unterstützung wirtschaftlich bedrängter Familien und lediger Mütter, durch Übernahme der Kosten für Verhütungsmittel und durch vermehrte Leistungen der Krankenkassen bei Geburten. Zu den helfenden rechtlichen Massnahmen zählen auch die durch das Bundesgesetz vom 30. Juni 1972 über die Änderung des Zivilgesetzbuches (AS 1972 2819; in Kraft seit dem I.April 1973) eingeführten Erleichterungen der Adoption und Sicherstellung der Vaterschaftsleistungen durch den Beklagten in einem Vaterschaftsprozess sowie die im Gang befindliche Revision des Kindschaftsrechtes, welche den Unterschied zwischen ehelichen und ausserehelichen Kindern durch ein einheitliches Kindesverhältnis ersetzen und die Vaterschaftsklage erleichtern will. Auf der anderen Seite übersah die Kommission aber auch nicht, dass man trotz allen gegenwärtigen und künftigen sozialpolitischen Anstrengungen auf kantonaler, eidgenössischer und privater Ebene nicht jedem Abortwunsch durch Beratung oder andere Hilfe begegnen kann.

Unter diesen Gesichtspunkten prüfte die Expertenkommission alle sich anbietenden Lösungsmöglichkeiten im strafrechtlichen Bereich. Für den unveränderten Fortbestand oder gar eine Verschärfung des geltenden Rechts sprach sich in der Kommission niemand aus. Auch die im Volksbegehren und in der Standesinitiative des Kantons Neuenburg vorgeschlagenen Lösungen, die auf die Aufhebung jeder Vorschrift über die Strafbarkeit der Abtreibung zielen, wurden als sachlich unannehmbar bezeichnet ; dies aus dem einhelligen Willen, das keimende Leben nach wie vor strafrechtlich zu schützen.

Im übrigen beschloss die Kommission, da in ihrem Schosse die Auffassungen stark auseinandergingen, dem Eidgenössischen Justiz- und Polizeidepartement drei Vorschläge zu unterbreiten: eine Fristenlösung, eine Indikationenlösung ohne soziale Indikation und eine Indikationenlösung mit sozialer Indikation.
Gesetzestechnisch unterscheiden sich die drei Varianten darin, dass die Fristenlösung, die relativ weniger Bestimmungen bedarf, an die Stelle der geltenden Artikel 118 bis 121 in das Strafgesetzbuch eingefügt werden soll. Beiden Indikationenlösungen nehmen die Vorschriften über den straflosen Schwangerschaftsabbruch im Verhältnis zu den Strafbestimmungen einen breiten Raum ein. Die Kommission schlug für sie deshalb ein eigenes Bundesgesetz über den straflosen Abbruch der Schwangerschaft vor.

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Indikationenlösung ohne soziale Indikation

Diese Indikationenlösung gestattet l. den Abbruch aus medizinischen Gründen im Sinne des geltenden Rechts; der entsprechende Artikel wurde gegenüber dem geltenden Artikel 120 StGB präziser gefasst ;

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2 den Abbruch einer auf gezwungenen Schwangerschaft (sogenannte juristische oder ethische Indikation) in Fallen, m denen hinreichend glaubhaft ist, dass die Schwangerschaft Folge einer strafbaren Handlung im Sinne der Artikel 187, 189 Absatz l, 190 Absatz l oder 191 StGB ist, wobei besondere, von den Kantonen zu errichtende Untersuchungsstellen den Sacln erhalt zu prüfen und darüber zu entscheiden haben, sowie 3 den Abbruch wegen Schädigung des Kindes (sogenannte eugenische Indikation), d h in Fallen, m denen vorauszusehen ist, dass das Kind mit hoher Wahrscheinlichkeit geistig oder körperlich dauernd schwer geschadigt sein wurde Über die Frage, ob eine medizinische oder eugenische Indikation gegeben ist, hat der operierende Arzt vor dem Eingriff ein Gutachten einzuholen Das Gutachten ist von einem für den Zustand der Schwangeren sacrrs erstandigen Arzt bzw für den Zustand des Kmdes Sachverstandigen (in Betracht fallen hier insbesondere auch Genetiker und Biologen) zu erstatten, der \ on der Sanitätsbehörde des Kantons, m dem die Schwangere ihren Wohnsitz hat oder m dem der Eingriff erfolgen soll, bezeichnet wird Ein Exemplar des Gutachtens ohne Namen der Schwangeren ist vom Arzt, der den Eingriff vornimmt, innert Monatsfrist der kantonalen Sanitätsbehörde, die den Gutachter bezeichnet hat einzureichen, damit eine Aufsicht über die Gutachtertatigkeit möglich ist Der Arzt, der begutachtende Sachverstandige und die für die Bewilligung eines Abbruchs zustandigen Personen sollen bei grob fahrlässiger Nichtbeachtung der un Gesetz aufgeführten sachlichen Voraussetzungen für einen straflosen Schwangerschaftsabbruch bestraft werden 263

Indikationenlosung mit sozialer Indikation

Diese Indikationenlosung ist erweitert durch die Bestimmung über den Abbruch der Schwangerschaft aus sozialen Gründen, d h iri Fallen, m denen vorauszusehen ist, dass die Austragung der Schwangerschaft mit hoher Wahrscheinlichkeit zu einer schweren durch die zur Verfugung stehenden Mittel nicht abwendbaren sozialen Notlage der Schwangeren fuhren wurde und der Eingriff innert zwölf Wochen nach Beginn der letzten Periode erfolgt Eine Sozialkommission des Kantons, m dem die Schwangere ihren Wohnsitz hat oder sich dauernd aufhalt, entscheidet endgültig über die Zulassigkeit des Abbruchs 264

Fristenlosung

Die Fnstenlosung erklart den Abbruch der Schwangerschaft für straflos, wenn er innert zwölf Wochen nach Beginn der letzten Periode durch einen von der kantonalen Sanitätsbehörde ermächtigten patentierten Arzt ausgeführt wird Die Frist wurde so bemessen, weil bis zum Ende der zwölften Woche dei Eingriff noch relativ ungefährlich ist Mit den Vorschriften m bezug auf den operierenden Arzt soll zweierlei erreicht werden einmal sollen nur solche Arzte befugt erklart werden, die nach ihrer Ausbildung als zur Vornahme derartiger Eingriffe fähig angesehen werden, zum ändern soll durch das Erfordernis der behördlichen Bewilligung vermieden

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werden, dass Ärzte, von denen befürchtet werden muss, dass sie leichthin Schwangerschaften abbrechen, zu solchen Eingriffen berechtigt erklärt werden.

Beide Gründe führen dazu, dass nicht eine beliebige kantonale Behörde, sondern nur eine Sanitätsbehörde diese Ermächtigung erteilen darf. Auf den nämlichen Überlegungen gründen bei den Indikationenlösungen die entsprechenden Vorschriften über die zur Erstattung des Gutachtens über den Zustand der Schwangeren bzw. den Zustand des Kindes ermächtigten Sachverständigen.

Nach Ablauf der zwölfwöchigen Frist gestattet die Fristenlösung den straflosen Schwangerschaftsabbruch nur noch bei Vorliegen einer medizinischen oder eugenischen Indikation, wobei der Eingriff nur nach schriftlich bestätigter Stellungnahme eines Sachverständigen durch einen von der kantonalen Sanitätsbehörde ermächtigten Facharzt in einem von ihr bezeichneten Krankenhaus ausgeführt werden darf.

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Gemeinsamkeiten der beiden Indikationenlösungen und der Fristenlösung

Im wesentlichen übereinstimmende Vorschriften enthalten die Indikationenlösungen und die Fristenlösung nach den Vorschlägen der Expertenkommission in folgenden Punkten : 1. Der Arzt darf eine Schwangerschaft in jedem Fall nur mit schriftlicher Zustimmung der Schwangeren abbrechen. Ist die schwangere nicht urteilsfähig, so ist die schriftliche Zustimmung ihres gesetzlichen Vertreters erforderlich.

2. Die Schwangere hat Anspruch auf Beratung und Hilfe. Die Kantone haben hiefür, unterstützt durch Beiträge des Bundes, Beratungsstellen einzurichten, die über genügend Mitarbeiter und finanzielle Mittel verfügen müssen, um sofort die erforderliche Hilfe gewähren zu können.

3. Um zu verhindern, dass aus dem Schwangerschaftsabbruch ein Geschäft gemacht wird, sollen auch die Kosten des Eingriffs geregelt werden. Die Kantone haben für die Anwendung eines Tarifs mit niedrigen Ansätzen zu sorgen, der nach Anhören der ärztlichen Berufsvereinigungen aufzustellen ist. Die Überschreitung des Tarifs wird als Vergehen geahndet. Erzielte Gewinne sind einzuziehen, wenn sie nicht vom Geschädigten zurückgefordert werden.

4. Der Arzt, der in einem der gesetzlich anerkannten Fälle die Schwangerschaft unter vorsätzlicher Nichtbeachtung formeller Voraussetzungen abbricht, wird nur mit Haft oder mit Busse und nicht wegen Abtreibung bestraft.

5. Der Bundesrat wird verpflichtet, nach Anhören der Kantone verschiedene Ausführungsbestimmungen zu erlassen.

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Weitere Revisionspunkte

Was die Bestimmungen über die Abtreibung anbelangt, so wurden die jetzt geltenden Artikel 118 und 119 StGB in einem einzigen Artikel 118 zusammengefasst, wobei im Gegensatz zum geltenden Recht nicht die passive, sondern die aktive Abtreibung an die Spitze gestellt wurde. Materielle Änderungen gegenüber

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dem geltenden Recht nahm die Expertenkommission nur insoweit vor, als zwingende Grunde, insbesondere bisherige Auslegungsschwiengkeiten dafür sprachen Der neu vorgeschlagene Artikel 118 ist bei allen drei Lösungsvorschlägen identisch, mit einer Ausnahme Bei den Indikationenlosungen lautet die Strafandrohung für die Abtreibung durch die Schwangere auf Gefängnis, bei der Fnstenlosung entsprechend der liberaleren Konzeption auf Gefängnis, Haft oder Busse Als besondere Neuerung wurde vorgeschlagen, dass von einer Strafverfolgung oder Bestrafung der Schwangeren abgesehen werden kann, wenn sie in schwerer Bedrängnis gehandelt oder einen untauglichen Versuch der Abtreibung unternommen hat Als schwere Bedrängnis kann auch eine soziale gelten Schliesshch hielt die Expertenkommission dafür, dass Artikel 211 StGB über die Anpreisung von Gegenstanden zur Verhütung der Schwangerschaft ersatzlos gestrichen werden soll 27

Das Vernehmlassungsverfahren

Über die drei Vorschlage der Expertenkommission eröffnete das Eidgenossische Justiz- und Pohzeidepartement am 10 Juli 1973 bei den Kantonsregierungen, den m der Bundesversammlung vertretenen politischen Parteien und den interessierten Organisationen ein Vernehmlassungsverfahren Es gingen 89 Antworten ein Für die Indikationenlosung ohne soziale Indikation sprechen sich 13 Kantone (Luzern, Un, Schwyz, Obwalden, Nidwaiden, Zug, Freiburg, Basel-Land, St Gallen, Appenzell I Rh, Graubunden, Aargau und Walhs), 3 Parteien (Christhchdemokratische Volkspartei. Evangelische Volkspartei und Republikanische Bewegung), 5 kirchliche und 7 weitere Organisationen aus Dabei werden allerdings gegenüber der eugenischen Indikation vielfach Vorbehalte angebracht Die Indikationenlosung mit sozialer Indikation wird von 4 Kantonen (Glarus, Basel-Stadt, Thurgau und Waadt), der Liberal-demokratischen Union, 6 Organisationen der Arzte und Krankenpflege sowie vom Schweizerischen Theologmnenverband befürwortet Die häufigsten Vorbehalte beziehen sich auf die Sozialkommission. es wird angeregt, die soziale Notlage durch Ärzte beurteilen zu lassen Für die Fristenlosung treten 8 Kantone (Zürich, Bern, Solothurn, Schaffhausen, Appenzell A Rh , Tessin, Neuenburg und Genf), 5 Parteien (Freisinnigdemokratische Partei, Sozialdemokratische Partei, Schweizerische Volkspartei, Landesring der Unabhängigen und Partei der Arbeit). 7 Frauenorganisationen und 10 weitere Organisationen ein Beanstandet wird hier insbesondere die Bestimmung, w onach der Schwangerschaftsabbruch nur durch einen von der kantonalen Sanitätsbehörde ermächtigten Arzt ausgeführt werden darf es wird verlangt, dass die Schwangere den Arzt frei wählen kann Die Schweizerische Vereinigung für straflosen Schwangerschaftsabbruch erklärt, die Initiative werde zurückgezogen, wenn die Fnstenlosung mit freier Arztwahl angenommen werde In einer Reihe von Vernehmlassungen erfolgt keine Festlegung auf eine der

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drei Lösungen. Vereinzelte Organisationen setzen sich für den Fortbestand oder eine Verschärfung des geltenden Rechts oder für das Volksbegehren ein.

Bei der medizinischen Indikation wird eine deutlichere Berücksichtigung sozialer Faktoren (Initianten, Aargau, Thurgau, Freisinnig-demokratische Partei, Sozialdemokratische Partei und 5 Organisationen) und psychischer Beeinträchtigungen (Zürich, St. Gallen und 6 Organisationen) gewünscht. Zürich und 6 Organisationen treten für eine freie Wahl des begutachtenden Arztes durch die Schwangere ein. Basel-Land, St. Gallen und 3 Organisationen wünschen, dass der begutachtende Arzt stets allgemein zum voraus und nicht erst von Fall zu Fall ermächtigt wird. Gegen die Einsendepflicht der Gutachten wenden sich die Initianten, Zürich, die Sozialdemokratische Partei und 4 Organisationen, während Nidwaiden und St. Gallen diese Kontrollmöglichkeit ausdrücklich begrüssen.

Bei der juristischen Indikation sprechen sich Zürich, Freiburg, die Liberaldemokratische Union und 2 Organisationen für eine Ausdehnung der Anwendungsfälle aus, während 3 Organisationen diese einschränken möchten. Zürich, Basel-Stadt, St. Gallen, Tessin, Waadt, der Landesring der Unabhängigen, die Liberal-demokratische Union und 4 Organisationen äussern Bedenken gegen die Beurteilung der juristischen Indikation durch Untersuchungsstellen und zögern teilweise die Zuständigkeit des Arztes vor.

Die Beratungsstelle wird von Uri, Nidwaiden, Freiburg, Basel-Land und 6 Organisationen vorbehaltlos begrüsst. Die Initianten, Tessin, Neuenburg, die Sozialdemokratische Partei und 15 Organisationen wünschen, dass die Beratungsstellen auch andere Aufgaben wie Familienplanung, Mütterfürsorge usw. übernehmen. 3 Organisationen halten eine Bestimmung über die Beratungsstelle für unnötig. Vereinzelte Organisationen schlagen vor, die Konsultation der Beratungsstelle vor dem Eingriff obligatorisch zu erklären.

Die Bestimmung über die Kosten des Eingriffs wird von Bern, St. Gallen, Genfund 12 Organisationen vorbehaltlos begrüsst, während sie Basel-Land und 2 Organisationen für unangebracht halten. Glarus, die Sozialdemokratische Partei und 3 Organisationen schlagen vor, dass die Kosten von den Krankenkassen übernommen werden sollten.

Zum Straftatbestand der Abtreibung regen Bern, die Freisinnig-demokratische Partei,
die Sozialdemokratische Partei und 6 Organisationen an, die Schwangere selbst stets straffrei zu lassen.

Die Aufhebung von Artikel 211 StGB wird ausdrücklich begrüsst von Bern, Obwalden, Basel-Stadt, Tessin, der Sozialdemokratischen Partei, der Evangelischen Volkspartei und 6 Organisationen, während sich 3 Organisationen für dessen Beibehaltung aussprechen.

Die Bedeutung flankierender Massnahmen betonen die Petitionäre, Bern, Luzern, Schwyz, Nidwaiden, Zug, Basel-Land, St. Gallen, die Christlichdemokratische Volkspartei, die Evangelische Volkspartei, die Partei der Arbeit und 16 Organisationen. Es wird angeregt, in den Bereichen Sexualerziehung, Schwangerschaftsverhütung, Mutterschaftsversicherung, Wohnungsbau, Kindschaftsrecht usw. vermehrte Anstrengungen zu unternehmen.

715 Die Petitionäre, die Liberal-demokratische Union und 7 Organisationen stellen zur Diskussion, ob die Zustimmung oder Anhörung des Vaters des Kindes, insbesondere des Ehemannes der Schwangeren, verlangt werden sollte.

St. Gallen, die Sozialdemokratische Partei und 6 Organisationen befassen sich mit der Frage, ob es möglich wäre, die Beurteilung einer Indikation in einem eidgenössischen Rekursverfahren zu überprüfen und so eine einheitliche Anwendung des Gesetzes zu gewährleisten.

Von den mannigfaltigen grundsätzlichen Auffassungen, die im Vernehmlassungsverfahren zum Ausdruck kamen, verdienen viele besondere Beachtung. Aus den Vernehmlassungen, die sich für die Indikationenlösung ohne soziale Indikation aussprechen, seien insbesondere folgende Überlegungen hervorgehoben: Der Schutz des menschlichen Lebens ist ein Grundzug unserer Rechtsordnung. Im besonderen wird auch das Leben des wehrlosen Menschen geschützt. So ist auch dem ungeborenen Kind durch den Staat das Recht auf Leben zu sichern, indem die Abtreibung unter Strafe gestellt bleibt. Allerdings kann dieses Rechtsgut mit ändern schwerwiegenden Interessen in Kollision kommen. Für einen solchen Konfliktsfall ist zu gewährleisten, dass die ändern zu schützenden Rechtsgüter sorgfältig abgewogen werden. Das menschliche Leben muss grundsätzlich auch durch Strafen vor Vernichtung geschützt werden, wovon nur in Notfällen abgewichen werden darf.

Aus diesen Überlegungen ergibt sich, dass wir die sogenannte Fristenlösung ablehnen. Dadurch würde die Unterbrechung der Schwangerschaft während der ersten drei Monate freigegeben und zum vornherein straflos erklärt. Wenn dieser Entscheid allein der Schwangeren überlassen wird, dann wird das Interesse an der . Erhaltung des keimenden Lebens der Willkür ausgeliefert. Es ist zu befürchten, dass die schwangere Frau bei ihrem Entscheid in eine neue Abhängigkeit gerät. Ferner könnte der Schwangerschaftsabbruch zum Mittel der Familienplanung gemacht werden, was auch im Hinblick auf die gesundheitlichen Folgen und die psychische Belastung nicht unbedenklich wäre. Es ist vielmehr grosses Gewicht auf eine frühzeitige Sexualaufklärung und Familienberatung zu legen. Es sind heute genügend Mittel bekannt, um unerwünschte Schwangerschaften zu verhüten.

Wenn es bei einer Schwangerschaft zu einer Kollision mit ändern
ebenfalls schützenswerten Rechtsgütern kommt, so darf eine straflose Unterbrechung nur erfolgen, wenn die letztern überwiegen. So sind das Leben und die Gesundheit der Schwangeren ein Wert, der einen straflosen Abbruch rechtfertigen kann. Der Entscheid darüber kann aber nicht von der direkt Betroffenen allein getroffen werden, sondern ist durch eine neutrale Instanz nach bestimmten Kriterien zu überprüfen.

Die geltende gesetzliche Regelung, die nur die medizinische Indikation vorsieht, vermag allerdings nicht zu befriedigen. Sie ist zu wenig präzis und kann eine missbräuchliche Anwendung nicht verhindern. (Kanton Luzern) Diese sogenannt «flankierenden» Massnahmen sind nur flankierend in bezug auf den strafrechtlichen Schutz des ungeborenen Menschen, stehen aber im Mittelpunkt bei der Lösung bzw. Linderung des Gesamtproblems. Insbesondere müssen Schwangerschafts- (Art. 4 des Entwurfs Indikationenlösung ohne soziale Indikation), Familienplanungs- und Beratungsstellen geschaffen werden, welche personell und finanziell gut dotiert sind. (Kanton Schwyz) Wir teilen die Ansicht des Eidg. Justiz- und Polizeidepartementes. wonach eine wegen Mittellosigkeit entstehende Notsituation heutzutage in der Schweiz mit ändern Mitteln als einem Schwangerschaftsabbruch abgewendet werden kann. Dies

716 setzt freilich die Beseitigung der Rechtsnachteile'für das aussereheliche Kind im bestehenden Kindschaftsrecht und desgleichen die volle Ausschöpfung der Rechtssetzungskompetenzen im Sinne von Art. 349" l 'w llieB BV zum Zwecke einer wirklichen Sozialhilfe zugunsten der Mütter voraus. Ohne Schaffung eines entsprechenden Ausbaus der Sozialrechte, die das Recht jeder Mutter, ihr Kind zur Welt zu bringen und das Recht jedes Kindes, zur Welt zu kommen, wirksam schützen, wäre die Revision des Strafgesetzbuches, Stückwerk und eine Notlösung, welche allein die grosse Zahl der Schwangerschaftsabbrüche nicht zu verringern vermöchte. (Kanton Nidwaiden)

Wir anerkennen die Bemühung,, durch die Schaffung eines eigenen .Bundesgesetzes über die straflose Unterbrechung der Schwangerschaft die ganze Problematik von den bloss strafrechtlichen Aspekten zu befreien und diese in weitere Zusammenhänge zu bringen. Wir sind der Auffassung, dass diese Bemühungen im Sinne der Realisierung positiver Massnahmen des Schwangerschaftsschutzes fortgesetzt werden sollten. Wir erlauben uns, in diesem Zusammenhang auf die uns wesentlich scheinenden Ausführungen von Bundesrichter Otto K.Kaufmann «Recht auf Leben - ein Sozialrecht» in Nr. 1/2, Jahrgang 1973, der «Civitas», Monatsschrift des Schweizerischen Studenten Vereins, hinzuweisen. Die Idee der Schaffung eines «Bundesgesetzes über den Schutz der Schwangerschaft» scheint uns bemerkenswert.

(Kanton Zug) Wenn ausgerechnet in einer Zeit zunehmenden allgemeinen Wohlstandes mit rückläufiger Geburtenzahl und beinahe perfekter Möglichkeit der Geburtenregelung in breiten Volkskreisen der Wunsch nach einer freieren Regelung der Schwangerschaftsunterbrechung auftaucht, so lohnt es sich wohl, den Gründen für diese «anachronistische» Erscheinung nachzugehen. Sie sind nicht in einer völlig veralteten, in unserer Zeit nicht mehr tragbaren Gesetzgebung zu suchen. Der Stein des Anstosses ist die kantonal sehr unterschiedliche Auslegung und Handhabung desselben Gesetzes, eine unleugbare Tatsache, die in erster Linie durch Unterschiede von Religion und Weltanschauung bedingt ist. Die hohe Zahl der illegalen Aborte, deren Grosse niemand exakt angeben kann - die sog. Dunkelziffer schwankt zwischen 500 und 50 000 im Jahr - sowie das Fehlen einer juristischen, einer eugenischen und einer sozialen Indikation sind weitere Gründe, welche die gesetzliche Neuregelung der Schwangerschaftsunterbrechung wünschbar erscheinen lassen.

Neben dieser einer sachlichen Auseinandersetzung sehr wohl zugänglichen Motivation für eine gesetzliche Regelung sind aber zumindest unterschwellig noch andere Momente zu nennen, die möglicherweise ausschlaggebend sind: antiautoritäre Erziehungsprinzipien, die von den Eltern meist aus Bequemlichkeitsgründen akzeptiert werden, haben dazu geführt, dass den Jugendlichen mehr Selbständigkeit und grössere Freiheiten eingeräumt werden, denen sie .aber, oft, nicht gewachsen sind.

Fehlende Erfahrung, ungenügende Voraussicht
und mangelndes Verantwortungsgefühl in sexuellen Fragen auf der einen und elterlicher Autoritätsverlust auf der ändern Seite können bei Jugendlichen zu Kurzschlusshandlungen führen, für deren Folgen weder sie selber noch ihre Eltern einstehen können und wollen. Es verwun. dert deshalb nicht, dass vor allem Jugendliche und Eltern mit Kindern im entsprechenden Alter unter den Befürwortern der Freigabe, der Schwangerschaftsunterbrechung zu finden sind. (Kanton Basel-Landschaft)

Sozialen Notlagen ist mit Mitteln einer aufgeschlossenen Sozial- und Familienpolitik zu begegnen. Wir denken dabei an die Revision des Kindschaftsrechts, die erleichterte Adoption, die Mutterschaftsversicherung, die Familienzulagen und

.

717

eine familiengerechte Wohnbauforderung. In diesem Zusammenhang unterstreichen wir die Wichtigkeit gezielter, rechtzeitig wirksamer Aufklärung und Beratung.

(Kanton St. Gallen)" Eine straflose Unterbrechung der Schwangerschaft allein aus sozialen Erwä. gungen oder während der ersten drei Schwangerschaftsmonate überhaupt lehnt die Mehrheit unserer Behörde ab, da sie fundamentalen Rechtsgrundsätzen zuwiderlaufen würde. Es ist nach Auffassung dieser Mehrheit Aufgabe des Staates, neben dem Leben nach der Geburt auch das keimende Leben in allen Entwickiungsstadien zu schützen. Eine Abweichung von dieser Regel ist nur vertretbar, wenn die Schwangerschaftsunterbrechung medizinisch indiziert ist, d.h. wenn sie auf Grund eines zustimmenden ärztlichen Gutachtens ausgeführt wird, um,eine ernste, nicht anders anwendbare Gefahr für das Leben oder die Gesundheit der Schwangeren abzuwenden, oder wenn es sich um die Unterbrechung einer durch strafbare Handlung aufgezwungene Schwangerschaft handelt, oder wenn vorauszusehen ist. dass das Kind mit hoher Wahrscheinlichkeit geistig oder körperlich dauernd schwer geschädigt sein würde. Wie bereits erwähnt, wären vom begutachtenden Arzt auch soziale Gesichtspunkte in die Beurteilung einzubeziehen, doch darf diesen keine selbständige und allein entscheidende Bedeutung zukommen, da einer sich abzeichnenden sozialen Notlage der Schwangeren mit den Mitteln der Sozialhüfe zu begegnen und vorzubeugen ist. Es ist Aufgabe der Gesellschaft und ihrer privaten und öffentlichen Institutionen, dafür besorgt zu sein, dass solche Notlagen nicht entstehen.

Bei der sogenannten Fristenlösung würde der Schutz des keimenden Lebens während der ersten drei Monate der Schwangerschaft vollständig aufgehoben und der Entscheid über die Austragung oder Unterbrechung der Schwangerschaft allein in das Ermessen der Schwangeren gestellt. Wie bereits erwähnt, lehnt die Mehrheit unserer Behörde diese Lösungsvariante aus ethischen Erwägungen ab. Abgesehen von den grundsätzlichen Bedenken bedeutete u. E. die Fristenlösung für die schwangere Frau eine eindeutige psychische Überforderung. Sie hätte ohne Mitentscheid eines ihre konkrete Lebenssituation nach objektiven Wertmassstäben beurteilenden Arztes einen schwerwiegenden Entschluss über Leben oder Tod des ungeborenen Kindes zu treffen. Sie befände sich
in einem Interessenkonflikt zum Kind, über den sie nach allgemein anerkannten Rechtsgrundsätzen nicht selber entscheiden sollte.

Zufolge dieses Interessenkonfliktes und der, psychischen Belastung der Schwangerschaft dürfte es zudem für die schwangere Frau schwierig sein, ihre künftige Situation absolut objektiv einzuschätzen und einen Entscheid zu treffen, den sie auch später noch als richtig erachtet. Die moralische Verantwortung, die hier der schwangeren Frau aufgebürdet würde, vermöchte sie u. E. in vielen Fällen nicht zu tragen und ein später bereuter Entscheid könnte für sie psychisch schwerwiegende Folgen haben. (Kanton Aargau) In grundlegendem Gegensatz zur Empfängnisregelung steht der Schwangerschaftsabbruch. Hier wird einem lebenden menschlichen Wesen sein Grundrecht, das Recht auf Leben, entzogen. Schwangerschaftsabbruch ist immer Tötung menschlichen Lebens. Jedes einzelne Menschenleben stellt in seinem ununterbrochenen Werden von der Entstehung bis zum Tod eine dynamische Ganzheit dar, die den Respekt und die Ehrfurcht seiner Mitmenschen, gerade auch seiner Eltern, herausfordert. Je mehr der Mensch nach dem heutigen Stand der Wissenschaft als ein Wesen in dauerndem Werden erkannt wird, um so weniger kann die Rede davon sein, dass dieses Wesen in bestimmten Phasen «noch kein Mensch» oder «kein Mensch mehr» sei. Der Geschlechtsakt, der zur Vereinigung von Samen und Eizelle führen kann, ist nicht von der Verantwortung und der in ihm liegenden biologischen Zielsetzung zu trennen, einen menschlichen Lebensprozess auszulösen. Das Problem eines Schwangerschaftsabbruches und die Verantwortung dafür darf von

718 erwachsenen Menschen nicht erst nach eingetretener Gravidität ins Auge gefasst werden. Daraus ist die Bedeutung der Sexualerziehung zu folgern.

Das Recht auf Respekt und Unantastbarkeit muss der Mensch auch dann haben, wenn er noch lange nicht alle Fähigkeiten und Kräfte des erwachsenen Menschen oder nicht mehr alle Kräfte hat. Die Verweigerung des Grundrechtes auf Leben kann zu einem Faustrecht der Starken über die Schwachen, der Erwachsenen über die ungeborenen Kinder, der Leistungsfähigen über die Alten .und Invaliden führen. Die Geschichte belegt solche Entwicklungen, denen ein rein materialistisches Menschenbild zugrunde liegt, zur Genüge. (Vereinigung katholischer Ärzte der Schweiz) Die Indikationenlösung, die gegenüber früheren gesetzlichen Bestimmungen viele Erleichterungen enthält, bedeutet in ihrer Gesamtkonzeption einen grossen Fortschritt in der Frage der Schwangerschaftsunterbrechung. Sie ist klar, bestimmt, menschenfreundlich.

Die Indikationenlösung ist ganz besonders deshalb zu begrüssen, weil sie die Notwendigkeit des Gesprächs impliziert und so zu der heute dringend notwendigen Sensibilisierung unserer Bürger für die Frage menschlichen Lebens beiträgt. Die Fristenlösung, die sich in vielen Fällen ganz fraglos zu einem Mittel der Àntikqnzeption auswachsen könnte, erschwert diese Sensibilisierung.

, .

Die begrenzte Freigabe der Schwangerschaftsunterbrechung, wie sie die Fristenlösung vorsieht, Hesse den Eindruck entstehen, die Unterbrechung sei erlaubt und eine nicht ernst zu nehmende Sache. Dies würde eine langsame, aber stetige Veränderung des Rechtsempfindens bzw. Unrechtempfindens in unserem Volk zur Folge haben. (Christliche Arbeitsgemeinschaft für Ehe- und^amilienfragen) Ohne Gegenstimme vertrat der Zentralvorstand des Eidgenössischen Verbandes Pro Familia die Auffassung, dass vor allem eine umfassende sexuelle Aufklärung in Familie und Schule eine der besten vorbeugenden Massnahmen darstellt.

Dabei ist uns ganz klar, dass die geschlechtliche Erziehung nur ein Bestandteil der Gesamterziehung sein kann. Deshalb fordert Pro Familia die Unterstützung zum weiteren massiven Ausbau aller bestehenden Beratungsstellen für Familienplanung, für Ehevorbereitung,,für Ehe- und Familienberatung. Es müssen von Bund, Kanton und Gemeinde wesentlich mehr Mittel eingesetzt werden, als dies bisher der Fall war. (Eidgenössischer Verband PRO FAMILIA)

Zugunsten der sozialen Indikation werden hauptsächlich die folgenden Argumente geltend gemacht : Gegen die soziale Indikation mag sprechen, dass derartigen Situationen in der Regel mit ändern Mitteln als: einem Schwangerschaftsabbruch begegnet werden kann; der Schwangerschaftsabbruch würde dann gegen den Grundsatz der Verhältnismässigkeit und der Subsidiarität verstossen. Anderseits ist nicht zu übersehen, . dass es doch auch immer wieder Fälle gibt, wo die durch die Schwangerschaft entstehende soziale Notlage tatsächlich schwer ist und ihr nicht anders als 'durch den Abbruch begegnet werden kann: dies wäre ja auch nach Artikel 2 des entsprechenden Entwurfes die gesetzliche Voraussetzung zum Schwangerschaftsabbruch.

Wenn nun aber der Entwurf für die Untersuchung der sozialen Gründe eine «Sozialkommission» vorsieht, welche ihrerseits gestützt auf den Untersuch eines ausgebildeten «Sozialarbeiters» zu entscheiden hätte, so könnten wir uns mit einem solchen Gremium keinesfalls befreunden. Auch für die Beurteilung sozialer Gründe sollte der betreffende Arzt zuständig sein, dem die Schwangere ihre Gründe für und

719 gegen einen Schwangerschaftsabbruch im vertraulichen Gespräch darlegen kann ; es wäre u.E. für die Schwangere entwürdigend, eine so höchstpersönliche Angelegenheit.vor eine «Sozialkommission» bringen zu müssen und sich ihrem Entscheid (die Sozialkommission entscheidet «endgültig») ausgesetzt zu sehen. Abgesehen davon ist zu beachten, dass die Beurteilung medizinischer und sozialer Gründe oft ineinander übergehen kann, so dass nur eine Beurteilung der gesamten Situation der Schwangeren zu einem abgerundeten Bild führen wird : für eine solche Gesamtbeurteilung kann aber einzig und allein der Arzt verantwortlich und zuständig sein.

(Kanton Glarus) Die Indikationenlösung mit sozialer Indikation erfällt ein Postulat vieler, nicht extrem eingestellter Befürworter einer Liberalisierung auf dem Gebiet der Schwangerschaftsunterbrechung. Ferner ist sie zweifellos zeitgemäss und legalisiert, was heute schon über die medizinische Indikation erreicht werden kann. (Kanton Basel-Stadt) Die Liberal-Demokratische Union der Schweiz erblickt in der sozialen Indikationenlösung die Möglichkeit eines Kompromisses. Den Entscheid über das Vorliegen der sozialen Indikation möchte sie dem begutachtenden Arzt übertragen. Sie betont : «On ne peut pas admettre les projets évoqués par le Département consistant à faire intervenir des commissions officielles de toutes sortes dans les cas d'interruption de grossesse. Cette intervention, au demeurant lourde et compliquée, de tout un apparai! étatique est absolument contraire à l'idée que l'Union libérale-démocratique suisse se fait de la liberté individuelle. Seul le triangle repprésenté par la femme concernée et les deux médecins est admissable.» (Liberal-Demokratische Union) Indikationenlösung mit oder ohne soziale Indikation? Alle sind der Meinung, dass die soziale Indikation praktisch berücksichtigt werden muss. Ob sie jedoch im Gesetz aufgeführt werden soll, darüber gehen die Ansichten auseinander.

Jedenfalls wird allgemein die Begründung des Bundesrates für die Ablehnung der sozialen Indikation im Text als nicht nur unbefriedigend, sondern unrealistisch und stossend empfunden. Es geht nicht an, die soziale Indikation nur auf materielle Notlagen, die finanziell zu befriedigen wären, einzuschränken. Und einer bedrängten Mutter die Adoption als Lösung vorzuschlagen ist in
den wenigsten Fällen richtig und bedarf auch dann noch äusserster Zurückhaltung und grossen Taktgefühls. Es scheint uns ausserdem ein Widerspruch vorzuliegen, wenn im Brief des Bundesrates zwar die soziale Indikation abgelehnt, jedoch der eugenischen das Wort geredet wird.

Die Mehrzahl von uns ist der Ansicht, dass eine soziale Indikation zwar - vor allem im Blick auf die Kantone, die das bisherige Gesetz schon allzu konservativ ausgelegt haben - auch im Gesetzestext erwähnt werden müsste, dass sie aber anders als nur im Blick auf materielle Not formuliert werden sollte. (Schweizerischer Theologinnenverband) Schon im Rahmen des bisherigen Artikels 120 StGB, der im Wortlaut nur die medizinische Indikation anerkennt, ist es dem ärztlichen Gutachter durchaus möglich, die psychische Gesundheit der Schwangeren zu berücksichtigen und damit die ethische, eugenische und die soziale Indikation - die sozusagen immer eine sozialmedizinische ist - miteinzubeziehen, indem er die Gesundheit der Schwangeren nach der Definition der Weltgesundheitsorganisation als «körperliches, seelisches und soziales Wohlbefinden» auffasst. So ist es auch seit Jahren in den Kantonen

720 mit liberaler Auffassung geschehen, während in den konservativen Kantonen sozusagen nur die direkte Lebensgefahr für die Mutter als Ünterbrechungsgrund galt.

Die Frauen aus konservativen Kantonen sind gezwungen, in den liberalen Kantonen auf legalem Wege Hilfe zu suchen oder sich an Laienabtreiber zu wenden unter !

Gefahr für Leben und Gesundheit. ' Diese ungleiche Anwendung des gleichen Gesetzes ist es gerade, was die Frauen als ungerecht empfinden.

Die Indikationenlösung ohne soziale Indikation bedeutet gegenüber dem jetzigen Gesetz, das viele Kolleginnen - im Sinne der WHO ausgelegt - recht gut fanden, eher einen Rückschritt.

Zwar wird die ethische Indikation speziell genannt, doch soll eine Untersuchungsstelle des Wohnkantons der Schwangeren den Sachverhalt prüfen und entscheiden, so dass zu befürchten ist, in konservativen Kantonen werde der Abbruch aus ethischen Gründen kaum zugelassen. Ebenso wird die eugenische Indikation aufgeführt und damit auch die Gesundheit des Kindes mitberücksichtigt.

Hingegen soll «eine die Gesundheit der Schwangeren nicht tangierende soziale Notsituation», in welche die Schwangere bei Austragung der Schwangerschaft geraten könnte,, nicht mehr berücksichtig werden, da angenommen wird, sie lasse sich durch andere Mittel als durch eine Schwangerschaftsunterbrechung abwenden. Das mag in einem Teil der Fälle stimmen, doch nicht in allen. Zudem berührt sozusagen jede soziale Notlage die Gesundheit der Schwangeren.

Die Mehrheit unserer Kommission lehnt diese Lösung, ab. (Vereinigung Schweizer Ärztinnen) '

Die Auffassungen der Befürworter der Fristenlösung kommen in folgenden Stellungnahmen besonders prägnant zum Ausdruck : Die bei den Indikationenlösungen getroffene Rechtsgüterabwägung berücksichtigt zwei ganz entscheidende Faktoren nicht oder zu wenig : das Interesse des Kindes sowie das Selbstbestimmungsrecht und die Menschenwürde der Frau, a) Verhaltensforschung und Psychologie lehren, dass die Einstellung von Mutter und Vater zum Kind für eine gesunde, psychisch harmonische Entwicklung von grundlegender und ausschlaggebender Bedeutung ist. Diese Erkenntnis ist durch die Praxis unbestreitbar bestätigt. Das Kind benötigt Anerkennung, Zuneigung, Zugehörigkeitsgefühl und Geborgenheit, um sich zu einem glücklichen Menschen zu entwickeln. Das unerwünschte Kind wird aber in eine Umgebung hineingeboren, die ijim diese für die charakterliche Entwicklung unerlässlichen Voraussetzungen nicht bietet. Wie die Erfahrungen aus der Praxis beweisen, .wird eine ablehnende Haltung einem Kind gegenüber in der Regel keineswegs mit der Geburt oder in den darauf folgenden Wochen überwunden; sie wirkt sich vielmehr in den meisten Fällen während der ganzen Kindheit und Jugendzeit aus, ja sie verstärkt sich häufig mit den Schwierigkeiten, welche mit der Erziehung des Kindes verbunden sind.

Diese wissenschaftlich erarbeiteten und empirisch erhärteten Erkenntnisse werden bei den Indikationenlösungen nicht berücksichtigt. Einzig die, Fristenlösung bietet genügend Gewähr dafür, dass eine Frau nicht gezwungen werden kann, eine unerwünschte Schwangerschaft auszutragen. Vom Standpunkt des Kindes und der Jugendhilfe aus ist es unverantwortbar, Eltern, die nicht freiwillig eine Schwangerschaft bejahen können, gesetzlich dazu zu verpflichten, dem Kind das Leben zu geben, weil für dieses Kind auch mit den Mitteln .der sozialen Arbeit keine humane Umwelt geschaffen werden kann.

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Es trifft nicht zu, dass die Fristenlösung den Schwangerschaftsabbruch «ohne . , sachlichen Grund» zuliesse. Die Tatsache, dass eine Frau sich aus irgendwelchen Gründen nicht in der Lage sieht, ihrem Kind die für eine gesunde psychische Entwicklung notwendige Umgebung zu bieten, ist ein sachlicher Grund.

Die Schädigung des Kindes in psychischer Hinsicht, die beim unerwünschten Kind mit hoher Wahrscheinlichkeit erwartet werden muss, ist sachlich ein . mindestens so schwerwiegender Grund wie die durch die Indikationenlösungen als Unterbrechungsgrund anerkannte geistige oder körperliche Schädigung des Kindes oder die durch ein Verbrechen entstandene Schwangerschaft.

Der psychischen Gefährdung kann durch gesetzgeberische Massnahmen nicht begegnet werden. Die Möglichkeit der Adoption ist entgegen der Auffassung des Departements kaum je ein Ausweg aus der Notsituation; die Erfahrung zeigt nämlich, dass für manche Mutter nach der Geburt ein Verzicht auf das Kind nicht mehr in Frage kommt : Gesellschaftliche Normen und ambivalente emotionale Beziehungen bilden starke Schranken. Besonders labile - und gerade deswegen für die, Erziehung denkbar ungeeignete - Mütter können sich häufig nicht für eine Adoption entschliessen. : b) Es entspricht grundsätzlich der heutigen Volksmeinung, dass ein gesetzlicher Zwang zum Gebären mit dem Selbstbestimmungsrecht und der Menschenwürde der Frau unvereinbar ist. Die Eltern sollen gemeinsam frei darüber bestimmen können, ob und in welchem Zeitpunkt sie ein Kind zeugen wollen.

Dieser Auffassung widerspricht es, eine Frau, die unfreiwillig schwanger wird, gesetzlich zum Austragen des Kindes zu zwingen. Führt eine Nachlässigkeit bei der Schwangerschaftsverhütung zu einer Schwangerschaft; so ist ein Gesetz, das die Verpflichtung auferlegt, das Kind zu gebären, keine geeignete Massnahme, solcher Nachlässigkeit zu, begegnen. Der Geschlechtsverkehr allein darf für den für Frau, Kind und Gesellschaft so bedeutsamen Akt der Geburt eines neuen Menschen nicht ausschlaggebend sein; und vollends verfehlt wäre es, das Gebären eines Kindes als moralische Strafe für die Sexualität zu empfinden. (Kanton Zürich) Mehrheitlich wird der Fristenlösung zugestimmt, dies jedoch unter dem Vorbehalt, dass dieselbe auf keinen Fall als völlige Freigabe der Schwangerschaftsunterbrechung aufgefasst
werden darf und daraus kein «Recht auf Schwangerschaftsunterbrechung» abgeleitet werden kann. Einer so verstandenen Fristenlösung würde die Mehrheit des Regierungsrates den Vorzug geben, wobei folgende Überlegungen massgebend sind : Bei der Fristenlösung würde allein der Arzt darüber entscheiden, ob er den Eingriff ausüben will und kann oder nicht. Jeder ärztliche Entscheid basiert auf indikativen Überlegungen. Es ist nicht die einzige Situation, in der Ärzte über Leben und Tod entscheiden müssten. Die Ärzte sind nach unserem Dafürhalten in der Lage, derartige Entscheide in voller Verantwortlichkeit zu treffen. Es steht jedem Arzt frei, weitere Abklärungen psychiatrischer oder sozialer Art durch Beizug einer entsprechenden Fachstelle vorzunehmen.

In der Praxis wird bei der Fristenlösung dem Berufsethos der Ärzte zentrale Bedeutung zukommen. Wir glauben, dass der Ärzteschaft das hiefüf erforderliche Vertrauen geschenkt werden darf. Es ist nicht anzunehmen, dass im Hinblick auf die Haltung der Ärzteschaft eine schrankenlose Unterbrechungspraxis befürchtet werden müsste.

Aus diesen Gründen und unter den genannten Vorbehalten hat sich eine deutliche Mehrheit des Regierungsrates zugunsten der Fristenlösung ausgesprochen.

Auch das Sanitätskollegium hat mehrheitlich zugunsten dieser Variante Stellung genommen. (Kanton Bern)

Bundesblatt. 126. Jahrg. Bd. II

30

722 C'est un principe fondamental de politique criminelle que le législateur pénal ne doit pas édicter des règles qui, pour respectables qu'elles soient dans leurs intentions,et leur finalité, créeraient davantage de dommages individuels et sociaux qu'elles n'en préviendraient.

En matière d'interruption de la grossesse, une solution exagérément restrictive aurait, à notre avis, pour seule conséquence que des grossesses qui pourraient être interrompues à des conditions médicalement, psychologiquement, financièrement et socialement acceptables, le seront à des conditions'qui, de l'un ou l'autre ou même de,tous ces points de vue, seront souvent intolérables à la fois dans l'immédiat et de par leurs suites.

Dans la solution comprenant l'indication sociale comme dans la solution du délai, l'appréciation des éléments régissant la proprotionnalité de l'interruption doit tenir compte du fait que le conflit d'intérêts oppose, d'une part, un être dépourvu d'existence autonome et qui, n'étant qu'en germe, n'est pas un être social (bien qu'il soit à certains égards un être juridique) et, d'autre part, une personne qui est au monde, c'est-à-dire un être vivant et social, doté de personnalité, d'intelligence et de volonté, dont la liberté de décision est un intérêt qui mérite, lui aussi, d'être juridiquement garanti.

Nous nous rallierions volontiers à la solution des indications avec l'indication sociale si nous n'étions convaincus par l'expérience de trente ans d'application discriminatoire de l'article 120, que tout système d'indications,: si soigneusement élaboré qu'il puisse être, laisse fatalement place à l'interprétation et par voie de conséquence, à des inégalités de traitement.

Pour ces motifsj nous optons pour la solution du délai qui, à notre avis, permet une grande souplesse et peut seule garantir une certaine égalité de traitement en matière d'interruption de la grossesse comme de poursuite pénale. Nous sommes persuadés que la promotion d'une telle égalité est un objectif d'une valeur éthique considérable qui ne doit jamais être perdu de vue quand on compare cette solution aux autres.

Nous pensons qu'il est, inexact de prétendre que cette solution consacre la liberté de l'avortement. Imaginer que la solution du délai a pour objet de consacrer une telle liberté, c'est prendre l'effet pour la cause:
cette liberté n'est pas la raison d'être, mais, peut-être, dans une certaine mesure, la conséquence de cette solution, une rançon à payer, si l'on veut éviter les conséquences plus néfastes qu'entraînerait l'adoption de toute autre solution.

: D'autre part, nous pensons que, même avec la solution du délai, la protection de la vie en germe peut être sauvegardée. Nous partons du,principe que les médecins poursuivront auprès des personnes enceintes cette action d'information, de conseils et, au besoin, de dissuasion que la plupart d'entre eux mènent déjà aujourd'hui avec une efficacité appréciable et que les centres de consultation dont la création est prévue tendront précisément à rendre cette action encore plus efficace en la complétant et en lui permettant d'aboutir concrètement à d'autres solutions que l'interruption qui doit demeurer l'ultima ratio. Dans notre canton, le centre d'information familiale et de régulation des naissances oeuvre déjà dans ce domaine avec des résultats toujours plus satisfaisants. L'exigence imposée aux cantons d'établir un tarif modéré permettra, en outre, d'éviter des inégalités de traitement qui pourraient surgir si la personne enceinte renonçait à demander l'interruption pour des raisons pécuniaires et prohibera des profits financiers souvent scandaleux. (Canton de Genève) Die geltende Praxis der legalen Möglichkeiten eines Schwangerschaftsabbruches ist untragbar, weil sie von Kanton zu Kanton verschieden ist. In gewissen

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Kantonen ist ein Abbruch unmöglich und teilweise auch mit ganz erheblichen finanziellen Ungerechtigkeiten verbunden. Wer Geld hat und in einem Kanton mit liberaler Praxis wohnt, kommt relativ gut zum gewünschten Eingriff, die ändern bleiben ohne Hilfe in ihrer Notlaee.

Die Parteigremien haben sich aus den angeführten Gründen für die Fristenlösung ausgesprochen und erachten sie als einzig gangbaren Weg, um die gefährlichen Laienabtreibungen zu vermeiden und die stossenden regionalen und sozialen Ungleichheiten und damit Ungerechtigkeiten zu beseitigen. Zudem empfiehlt sie von der vorgeschlagenen Bestrafung der Schwangeren, die abtreibt oder abtreiben lässt, .abzusehen mit der Begründung, dass diese Frauen immer in einer schweren Bedrängnis handeln werden. Ferner soll jeder patentierte Arzt ermächtigt sein, den straflosen Schwangerschaftsabbruch in den ersten 12 Wochen durchzuführen. Nach Ablauf dieser Frist ist jeder Facharzt ermächtigt, beim Vorliegen eines Gutachtens den Eingriff vorzunehmen. Von der ausdrücklichen Ermächtigung durch die kantonale Sanitätsbehörde ist abzusehen, da diese Einschränkung einer liberalen Handhabung widersprechen kann. Hingegen soll der Gutachter von der Sanitätsbehörde bezeichnet und ermächtigt werden. Als Indikationsgründe nach Ablauf der Frist haben ferner auch Juristische, eugenische sowie soziale und nicht nur medizinische zu gelten. Zur Frage des Tarifs schlagen wir vor. dass zwischen kantonalen und ausserkantonalen Patienten kein Unterschied gemacht werden darf und dass vor allem auch die Frage der Spitaltarife zu überprüfen wäre. (Freisinnig-demokratische Partei) Die bisherige Erfahrung im In- und Ausland lehrt, dass die illegalen Abbruche mit allen ihren menschlich und sozial schädlichen Auswirkungen um so zahlreicher sind, je beschränkter die legalen Möglichkeiten des Abbruchs sind. Eine erhebliche Liberalisierung der legalen Möglichkeiten ist daher unumgänglich und im Ausland zum Teil bereits verwirklicht worden.

Wenn der Liberalisierung (Begleitschreiben des Departements S. 10) entgegengehalten wird, das menschliche Leben stelle von der Befruchtung bis zum Tod einen ununterbrochenen Prozess des gleichen Lebewesens dar, in dessen Lauf nicht gewaltsam einzugreifen sei, so rnuss dies als moraltheplogische Auffassung bezeichnet werden, die zu achten ist,
die aber in unserer plurah'stischen Gesellschaft bei weitem nicht von jedermann geteilt wird. Nach wissenschaftlicher Auffassung hat das Leben keinen bestimmten Anfang, sondern ist eine Forsetzung seit Millionen von Jahren. Eine unbefruchtete Eizelle oder eine Samenzelle ist genauso lebendig wie ein befruchtetes Ei. Nach der zitierten Auffassung des Departements müssten auch Eiund Samenzelle geschützt werden. Auf der ändern Seite ist zu sagen, dass sich die eigentliche Menschwerdung im wesentlichen durch die Sozialisierung nach der Geburt vollzieht; das sich selbst überlassene Kind bleibt dem Tiere ähnlich. Was den gewaltsamen Eingriff in den Lauf der Natur betrifft, so begegnen wird ihm auf ändern Gebieten tagtäglich. Wir verdanken ihm u. a. eine gegenüber früher enorm verlängerte mittlere Lebenserwartung.

Wir wollen damit nicht dem hemmungslosen Schwangerschaftsabbruch das Wort sprechen. Der Eingriff ist nur letzter Ausweg in einer Notlage. Wie die Erfahrung aber lehrt, ist diese Notlage heute noch sehr häufig gegeben. Es hat uns befremdet, dass das Departement diese Notlage mit all ihren sozial schädlichen Auswirkungen und Auswüchsen totschweigt. Es geht u.E. nicht an, einer rhoraltheologischen Überzeugung mit strafrechtlichem Zwang Nachachtung verschaffen zu wollen. Dass wesentliche Teile der Bevölkerung die erwähnte Überzeugung nicht teilen, geht daraus hervor, dass viele Tausende von Frauen legal oder illegal ihre Schwangerschaft abbrechen lassen, in der Regel im Einverständnis oder sogarauf Betreiben des Ehemannes oder Freundes. (Sozialdemokratische Partei)

724 Wir wissen, dass zurzeit in der Schweiz auf 110000 Geburten pro Jahr zwischen 21000 und 24000 Schwangerschaftsabbrüche bewilligt werden. Das würde bedeuten, dass bei jeder 6. Schwangerschaft eine nicht anders abwendbare Lebensgefahr oder Gefahr dauernden schweren Gesundheitsschadens für die Schwangere vorliegen würde. Es ist sicher ein offenes Geheimnis, dass der bisherige Artikel 120 StGB von Kanton zu Kanton und von, Arzt zu Arzt unterschiedlich interpretiert worden ist. 10 Kantone bewilligen überhaupt keine Unterbrechungen. Die meisten Aborte wurden in den Kantonen Zürich, Neuenburg, Waadt, Genf, Basel und Bern ausgeführt.

Unter dem Begriff «schwerer Schaden an der Gesundheit der Schwangeren» wurden auch psychische Momente berücksichtigt. Die soziale Indikation spielte bei der Auslegung von Artikel 120 eine wichtige Rolle, indem nun auch die Umstände, unter denen die Schwangere das Kind austragen musste, mitberücksichtigt wurden.

Es wurde auch die eugenische Indikation bereits berücksichtigt. Die medizinische Indikation ist daher in einigen Kantonen von einem Teil der Arzte bereits auf drei weitere Indikationen erweitert worden. Frauen aus Kantonen, die keine Unterbrechungen bewilligten, sahen sich gezwungen, in einen liberalen Kanton oder ins Ausland zu reisen, um dort eine Unterbrechung durchführen zu lassen.

Bedenken erwecken die zahllosen illegalen Schwangerschaftsabbrüche in der Schweiz, welche Professor Stamm, Leiter der gynäkologischen Abteilung des Kantonsspitals Baden, auf zirka 50 000 pro Jahr schätzt. Wir wissen, dass nach letzten Publikationen 47 schwangere Frauen wegen Abtreibung oder Versuchs dazu bestraft wurden. Dies würde bedeuten, dass nur l %0 der illegalen Schwangerschaftsabbrüche strafrechtlich erfasst werden. Unser Strafgesetzbuch vermittelt somit dem ungeborenen Leben einen absolut unzulänglichen Schutz. Trotz Strafandrohung suchen unzählige Frauen jährlich den Weg in den illegalen Schwangerschaftsabbruch, weil ihre seelische Not viel grösser ist als die Angst vor Strafe und Gefängnis.

Diesen tatsächlichen Umständen tragen die Indikationsmodelle, wie sie die Expertenkommission vorschlägt, keine Rechnung. Sie bringen nichts Neues, sondern legalisieren allerhöchstens die Praxis, wie sie in einigen Kantonen bereits bestanden hat.» (Schweizerische Volkspartei) Eine
interessante Zusammenfassung der Vor- und Nachteile der drei Lösungsvorschläge hat die Schweizerische Gesellschaft für Sozial- und Präventivmedizin eingereicht : Indikationenlösung ohne soziale Indikation (Variante 1): Vorteile.- Das keimende Leben ist ebenso geschützt wie das Leben nach der Geburt. Ärzte entscheiden über die Tragfähigkeit der Schwangeren. Die Unabhängigkeit von nicht ärztlicher Begutachtung bleibt gewahrt.

Wegen der Strafandrohung würden viele unerwünschte Schwängerungen und Abtreibungen unterbleiben.

Nachteile: Die Indikationenlösung entspricht dem status quo. Sie wird heute schon sehr large gehandhabt. (Im Kanton Bern z.B. werden 97--98 % der Interruptionen aufgrund psychiatrischer Gutachten vorgenommen; nur 10 % Abweisungen !). Die Gefahr der Konstruktion medizinischer Gründe bleibt bestehen.

Die grossen Ungerechtigkeiten in bezug auf die einheitliche Begutachtung würden weiterhin bestehen bleiben.

Die Abweisungen würden den illegalen Abort mit seinen grossen gesundheitlichen Risiken begünstigen und zur Abwanderung Schwangerer in andere Kantone oder ins Ausland führen. (In England wurden im Jahre 1971 bei nahezu 30000 Ausländerinnen, die meisten aus westeuropäischen Staaten, Unterbrechungen vorgenommen). Ferner wären weiterhin der Ausbeutung Schwangerer Tür und Tor geöffnet.

725 1 Die Interruptio bei aufgezwungener Schwan gerschaft !und eugenischer Indikation wurde bisher bereits aufgrund psychiatrischer Begutachtungen vorgenommen.

Zudem; fallen diese Indikationen zahlenmässig nicht ins Gewicht.

Indikationenlösung mit sozialer Indikation (Variante 2): Vorteile: Erweckt den Eindruck der Gerechtigkeit und Fortschrittlichkeit.

Wegen der Strafandrohung würden unerwünschte Schwängerungen und Abtreibungen unterbleiben.

Nachteile : Wegen der Beurteilung der sozialen Indikation ist ein grosser administrativer Apparat erforderlich und eine staatliche Einmischung nicht auszuschliessen.

Die Gefahr der Konstruktion medizinischer und sozialer Indikationen durch die Begutachter ist gross.

Die Gleichheit der Handhabung unter den Kantonen ist nicht gewährleistet.

Der illegalen Abtreibung wird Vorschub geleistet. Die Abwanderung der Schwangeren in andere Kantone oder ins Ausland wird begünstigt.

Die Begutachtung und Beurteilung der sozialen und medizinischen Indikation kann nicht innert nützlicher Frist gewissenhaft durchgeführt werden.

Die «soziale Hilfe» bei ledigen Schwangeren ist immer noch unbefriedigend.

Fristenlösung (Variante 3) : Vorteile: Die Rechtsgleichheit ist bei der Fristeulösung am ehesten garantiert.

Die Kosten sind überprüfbar. Überforderungen unter Drohung sind nicht möglich.

Bei Legalität sind Aborte leichter zu erfassen.

Der körperliche Schaden für die Schwangere ist wesentlich geringer als bei der Austragung der Schwangerschaft (bei einer Schwangerschaftsdauer bis zu 12 Wochen ist mit 3-4 Sterbefällen auf 100 000 Interruptionen zu rechnen).

Die illegalen Abtreibungen mit den weitaus grösseren gesundheitlichen Risiken werden abnehmen.

Das Selbstbestimmungsrecht der Frau wird anerkannt. Gewissenskonflikte sind seltener, wenn die Interruptio als legal anerkannt, wird.

Embryonen im Alter von unter 12 Wochen zeigen noch keine Gehirnaktivität.

Nachteile: Die Entscheidung muss in den ersten 3 Monaten getroffen werden.

Eine Entscheidung kann unter Druck (z. B. des Schwängerers) erfolgen.

Die Interruptio wäre ein medizinisch nicht indizierter Eingriff (die Kostenübernahme könnte von den Krankenkassen abgelehnt werden).

Eine willkürliche Ausdehnung der Zeitdauer der Legalität kann nicht ausgeschlossen werden.

Die den Eingriff vornehmenden Ärzte und Kliniken könnten in Verruf geraten (Abortarien).

Die Bereitschaft zur Geburtenregelung durch Antikonzeption könnte vermindert werden.

3

Das geltende Recht und seine Anwendung

Die geltenden Artikel 118-121 des Strafgesetzbuches sind das Ergebnis überaus eingehender Beratungen in den eidgenössischen Räten. Die Auseinandersetzungen im Parlament waren äusserst heftig (s. StenBull Nationalrat 1929 22 ff..

1934 367 ff., 1935 540 ff., 1936 1088 ff., 1501 ff., 1937 128 ff., Ständerat 1931

726 490 ff., 1932 116 ff., 1935 205 ff., 1936 174 f., 356 ff., 456 f., 456 f., 1937 l ff.). Der durch Artikel 107 des bundesrätlichen Entwurfes vom 23. Juli 1918 einzig vorgesehene straflose Abbruch einer Schwangerschaft aus medizinischen Gründen begegnete lebhaftem Widerstand der einen; von den anderen wurde sie als zu wenig weitgehend bezeichnet. Während die Mehrheit der natkmalrätlichen Kommission für die Aufnahme des-straflosen Schwangerschaftsabbruchs aus medizinischen Gründen eintrat, empfahl eine erste Minderheit, Artikel 107 des Entwurfs zu streichen. Eine zweite Minderheit trat für die Anerkennung der medizinischen, der sogenannten juristischen und der eugenischen Indikation ein, ausserdem dafür, dass bei der Abtreibung durch die Schwangere (Art. 105 des bundesrätlichen Entwurfs) Strafmilderung oder Strafbefreiung eintreten könne, wenn die Tat aus Not begangen worden sei. Der straflose Schwangerschaftsabbruch war ausser der Todesstrafe das am meisten umstrittene Problem bei der Schaffung des Strafgesetzbuches und in den parlamentarischen Beratungen hielt es ausserordentlich schwer, zu einer Einigung zu gelangen. Sie führten schliesslich zu folgender Regelung, die seit dem 1. Januar 1942 gilt:

Artikel 118 Absatz l StGB bedroht die Schwangere, welche ihre Frucht abtreibt oder abtreiben lässt, mit Gefängnis. Die Straftat ist ein Vergehen.

Artikel 119 Ziffer l Absatz l droht dem Drittabtreiber, der mit Einwilligung der Schwangeren handelt, sowie dem, der einer Schwangeren zu der Abtreibung Hilfe leistet, Zuchthaus bis zu fünf Jahren oder Gefängnis an und lässt damit die Tat zum Verbrechen werden. Die hier gemeinte Hilfe bedeutet unmittelbare Mitwirkung bei der abtreiberischen Handlung (BGE 69 [1943] IV 203, 71 [1945] IV 117).

Artikel 118 und Artikel 119 Ziffer l, je Absatz 2, lassen die Verjährung in zwei Jahren eintreten, weil rasch Beweisschwierigkeiten entstehen.

Artikel 119 Ziffer 2 sieht für den Abtreiber, der ohne Einwilligung der Schwangeren handelt, Zuchthaus bis zu zehn Jahren vor.

Zuchthaus schlechthin und mit einer Mindestdauer von drei Jahren droht Artikel 119 Ziffer 3 dem an, der gewerbsmässig abtreibt, sowie wenn die Schwangere an den Folgen der Abtreibung stirbt und der Täter dies voraussehen konnte.

Gewerbsmässigkeit liegt nach ständiger bundesgerichtlicher Rechtsprechung vor, wenn jemand die Tat wiederholt beging in der Absicht, sich ein Erwerbsemkommen zu verschaffen, und mit der Bereitschaft, gegen unbestimmt Viele zu handeln (BGE 79 [1953] IV 11). Weil jede Abtreibung eine gewisse Gefahr für das Leben der Schwangeren bedeutet, erklärte BGE 69 [1943] IV 231 E. 4, «dass die Unvorsichtigkeit des Täters nach ihrer normalen Auswirkung für das Leben der Schwangeren eine besondere, erhebliche und naheliegende Gefahr» einschliessen müsse, um den Tatbestand von Artikel 119 Ziffer 3 zu erfüllen.

Ist die Frau, an welcher .der abtreiberische Eingriff ausgeführt wird, nicht schwanger, so ist Bestrafung wegen untauglichen Versuches der Selbst- oder Drittabtreibung möglich (BGE 74 [1948] IV 65, 76:[1950]TV 153).

727

Umstritten ist die Strafbarkeit der Frau, die erfolglos einen Dritten veranlasste, an ihr abzutreiben. Weil der Dritte durch die Abtreibung gemäss Artikel 119 Ziffer l Absatz l ein Verbrechen begehen würde, könnte die Frau gemäss Artikel 24 Absatz 2 wegen versuchter Anstiftung zu einem Verbrechen bestraft werden. Allerdings nimmt die Lehre an, dass auch in diesem Fall durch Vermittlung von Artikel 26 ihr höchstens eine Gefängnisstrafe in Aussicht steht 1 ). Vorzuziehen ist, dieses Verhalten mit BGE 74 [1948] IV 133 und insbesondere BGE 87 [1961] IV 155 als Versuch der Abtreibung der Schwangeren selber zu behandeln.

Denn Artikel 118 trifft auch die Drittabtreibung, die notwendigerweise voraussetzt, dass sich die Schwangere an einen Dritten um Hilfe wendet.

Artikel 120 Ziffer l Absatz l schliesst eine strafbare Abtreibung aus, «wenn die Schwangerschaft mit schriftlicher Zustimmung der Schwangeren infolge von Handlungen unterbrochen wird, die ein patentierter Arzt nach Einholung eines Gutachtens eines zweiten patentierten Arztes vorgenommen hat, um eine nicht anders abwendbare Lebensgefahr oder grosse Gefahr dauernden schweren Schadens an der Gesundheit von der Schwangeren abzuwenden».

Absatz 2 schreibt vor : Das Gutachten «muss von einem für den Zustand der Schwangeren sachverständigen Facharzt erstattet werden, der von der zuständigen Behörde des Kantons, in dem die Schwangere ihren Wohnsitz hat oder in dem der Eingriff erfolgen soll, allgemein oder von Fall zu Fall ermächtigt ist».

Absatz 3 fordert die schriftliche Zustimmung des gesetzlichen Vertreters, wenn die Schwangere nicht urteilsfähig ist.

: Das Gesetz berücksichtigt mithin ausschliesslich die medizinische Indikation zum Schwangerschaftsabbruch und gewährt für diesen Fall einen besonderen Rechtfertigungsgrund.

, , . , .

Die Sonderregel von Artikel 120 Ziffer l schliesst ein unverzügliches ärztliches Handeln nicht aus, wenn die Schwangerschaft auf diese Weise abgebrochen werden muss, damit das Leben oder die Gesundheit der Schwangeren vor einer unmittelbaren Gefahr gerettet .werden kann (Art. 120 Ziff. 2 Abs. 1). In diesem Fall gelten die gewöhnlichen Regeln über Notstand und Notstandshilfe des Artikels 34 Ziffern l und 2, doch ist der Arzt gemäss Artikel 120 Ziffer 2 Absatz 2 verpflichtet, den Eingriff innert 24 Stunden der zuständigen
Behörde des Kantons, in dem der Eingriff erfolgte, zu melden. Artikel 121 bedroht die Unterlassung dieser Anzeige mit Haft oder Busse.

Bemerkenswert ist, dass Artikel 120 Ziffer 3 eine Strafmilderung nach freiem Ermessen nach Artikel 66 erlaubt, wenn die Schwangerschaft wegen einer anderen schweren Notlage der Schwangeren abgebrochen wird. Vorausgesetzt wird, dass ein patentierter Arzt den Eingriff ausführt. 2 ) Auf diese Weise kann der Richter !> Germarm, Das Verbrechen im neuen Strafrecht, Zürich 1942, zu Art. 118, N. 22, S. 234;.

Thormann/v. Overbeck. Kommentar, zu Art. 119, N. 8, S. 27.

2) Ebenso Diem Heinrich Robert. Die straflose Unterbrechung der Schwangerschaft und ihre Ausgestaltung in der schweizerischen Praxis, Basel 1952, S. 183; Roth Bernhard, Die Schwangerschaftsunterbrechung nach dem Schweizerischen Strafgesetzbuch/Die Art. 118-121 StGB, St. Gallen 1950, S. 70, der diese Strafmilderung'sogar nur dem

728 andere Indikationen als die medizinische berücksichtigen: die eugenische, die sogenannte ethische oder juristische der aufgezwungenen Schwangerschaft und die soziale, insofern sie eine Notlage, welcher Art auch immer, der Schwangeren begründen. Die weitgehende Strafmilderung erlaubt, nur Bussen auszusprechen.

Die Strafmilderung kann der Schwangeren und dem Arzt zukommen.

Ziffer 4 schliesst die Berufung auf den allgemeinen Rechtfertigungsgrund der Berufspflicht gemäss Artikel ,32 aus und erklärt damit die durch Artikel 120 getroffene Regelung unter dem Vorbehalt echten Notstandes für abschließend.

Auf Grund dieser Strafbestimmung wurden verurteilt: ,, , Schwangere

, Anstifter , ,-, . .,,.

und Gehilfen

Nach Art 119

Urtcilsjahr

Nach Art. 1 1 8

1950

548

1960

297

166

. 131

1970

89

44

45

31

22

,

1971

107

63

44

37

27

'10

1972

'27.

11,

16

8

1

1

nicht ausgeschieden

Ziff. 1

119 117 .

Ziff. 3

nicht ausgeschieden

-.

104

13 9

An der geltenden Regelung der Abtreibung wird ausgesetzt, dass sie nur einen kleinen Teil der tatsächlich ausgeführten Taten erfasst. Der Unterschied zwischen den wirklich verübten und den der Strafverfolgung bekannt gewordenen Delikten, die Dunkelziffer, sei bei dieser Straftat besonders hoch, die Bestrafung drohe zürn Zufall zu werden. Der Umfang der sogenannten Dunkelziffer kann nur geschätzt werden. Die Schätzungen bewegen sich zwischen 1000 und 100 000 jährlichen ungesetzlichen Eingriffen. Weite Verbreitung fand die von Heinrich Stamm'> geschätzte Zahl von 50000,jährlichen Abtreibungen. Aber auch diese Zahl muss als zu hoch angezweifelt werden angesichts der Tatsache, dass die Fälle von Schädigungen durch illegalen Abort in den letzten Jahren stark zurückgegangen sind.

Anderseits ist es ein offenes Geheimnis, dass in einzelnen Kantonen selbst den Behörden bekannt gewordene Abtreibungen gegenüber der Schwangeren nicht verfolgt und dass höchstens die Drittabtreiber in Sträfuntersuchung gezogen werden.

Was den erlaubten Schwangerschaftsabbruch betrifft, so sollte mit der Anerkennung der medizinischen Indikation offensichtlich in erster Linie der an einer schweren körperlichen Krankheit leidenden Schwangeren die Möglichkeit des straflosen Abbruchs eröffnet werden, ohne dass aber ausschliesslich an eine derartige Gefahrdung gedacht wurde. Die Fortschritte in der Medizin,und in der Arzt zubilligen will; a.M. Clerc François, Cours élémentaire sur le Code pénal suisse, Partie spéciale, Tome I, Lausanne 1943, N. 17, S. 52, D Stamm Heinrich, Die legale und die illegale Abortsituaüon in der Schweiz, in Fortschritte der Geburtshilfe und Gynäkologie Vol. 42, Basel-München-New York 1970, S. 9 f.

729

medizinischen Betreuung körperlich kranker Schwangerer Hessen jedoch den Abbruch wegen körperlicher Krankheiten zurücktreten 1 '. Die weitaus meisten Schwangerschaftsabbrüche werden in der Schweiz auf Grund psychiatrischer Begutachtungen ausgeführt. Heinrich Stamm (a.a.O. S. 10) gibt für 1966 rund 21 800 legale ärztliche Schwangerschaftsabbrüche in der Schweiz, bekannt, von denen 25 Prozent auf Grund somalischer und 75 Prozent auf Grund psychiatrischer Indikationen ausgeführt worden waren. In einzelnen Kantonen überwiegen die Schwangerschaftsabbrüche auf Grund psychiatrischer Indikationen noch viel ausgeprägter. Psychiatrische Gutachten berücksichtigen in der Beurteilung der Gefahr, welche der seelischen Gesundheit der Schwangern durch die Austragimg der Schwangerschaft droht, die soziale Lage der Frau, und zwar nicht nur während der Schwangerschaft, sondern auch nach der allfälligen Geburt. Rudolf Wyss2' erklärt mit Bezug auf die «chronischen übermässigen Belastungs- und Konfliktsituationen», dass für die psychiatrische Indikation massgebend ist, ob solche Situationen bewältigt werden können oder nicht. Die Erforschung solcher Lagen führte dazu, dass «die Bedeutung sozialer Bedingungen als pathogène Faktoren zur Selbstverständlichkeit wurde»; ähnlich Marianne Hall-Haefeli in der Schweizerischen Zeitschrift für Gynäkologie und Geburtshilfe 3 (1972) S. 75.

Auch Stamm (a.a.O. S. 21-23) tritt für eine starke Berücksichtigung der sozialen Verhältnisse in der psychiatrischen Indikation ein. Es liegt auf der Hand, dass epe Grenzen der einzig zulässigen medizinischen Indikation recht unbestimmt, geworden sind und wesentlich von den wissenschaftlichen Auffassungen und der gesamten Einstellung des begutachtenden Arztes abhängen.

, Dies führte zu zwei häufigen und mit Entschiedenheit geäusserten Kritiken des gegenwärtigen Rechtszustandes: Einmal zum Hinweis darauf, dass die Anwendung von Artikel 120 Ziffer l in der Schweiz höchst uneinheitlich sei, indem zehn Kantone überhaupt keine Fälle strafloser Schwangerschaftsabbrüche kennten, weshalb sich die erlaubten Schwangerschaftsabbrüche in anderen Kantonen häuften (siehe Stamm a.a.O. S. 13 f.). Die Wanderbewegung ist allerdings durch die gesetzliche Regelung vorbereitet, welche den erlaubten Schwangerschaftsabbruch nicht ausschliesslich am Wohnort der
Schwangeren zulässt. Die von der Expertenkommission veranlassten Erhebungen über das Verfahren, welches zur Anwendung von Artikel 120 Ziffer l in den verschiedenen Kantonen befolgt wird, deckten eine Anzahl weiterer erheblicher Verschiedenheiten auf: Als Amtsstelle, welche den begutachtenden Arzt ermächtigt, finden sich nicht nur Sanitätsbehörden, sondern auch der Regierungsrat und der Obergerichtspräsident. In zehn Kantonen fehlt eine gesetzliche Regelung der Frage. ob der Gutachter allgemein oder von Fall zu Fall zu bezeichnen sei. Nur 18 Kantone schreiben ein schriftliches Gutachten vor; sieben Kantone verlangen Vorlage des .Gutachtens an den Kan" Siehe dazu vor allem Negri Hans, Die Schwangerschaftsbegutachtung nach Art. 120 des Schweiz. Strafgesetzbuches unter besonderer Berücksichtigung der Erfahrungen der medizinischen Universitätspoliklinik Bern von 1942-1949, Bern 1951.

2) Siehe Wyss Rudolf, Psychiatrische und neurologische Erkrankungen, in C. Müller/' D. Stucki [Herausgeber], Richtlinien zur medizinischen Indikation der Schwangerschaftsunterbrechung, Berlin-Göttingen-Heidelberg 1964, S. 92 f.

730

tonsarzt zur materiellen Prüfung, acht Kantone zur Registrierung, sechs Kantone kennen keine Einsendepflicht. Neun Kantone verpflichten den Arzt, den durchgeführten Eingriff sowie den Namen der Schwangeren einer Sanitätsbehörde mitzuteilen, zwölf Kantone kennen keine Meldepflicht.

Der andere Einwand ist der, dass die geltende Regelung, so wie sie angewendet wird, der Frau, welche über die erforderlichen Kenntnisse, Beziehungen und finanziellen Mittel verfügt, ohne ' weiteres ermöglicht, einen legalen Abbruch-zu erwirken, ganz abgesehen von der ihr offen stehenden Möglichkeit, den Eingriff straflos im Ausland, beispielsweise in England, durchführen zu lassen.

Ausserdem ist nicht zu übersehen, dass immer wieder Stimmen laut werden, die rügen, dass die geltenden Bestimmungen und ihre Anwendung den straflosen Schwangerschaftsabbruch zu stark erleichtern. Es darf nicht verschwiegen werden, dass vereinzelt aus dem scheinbar legalen Abbruch durch Ärzte und Privatkliniken ein reines Geschäft gemacht wurde D.

4

Die Ergebnisse der Rechtsvergleichung

Sämtliche untersuchten Länder, nämlich Frankreich (1939), Italien (1930), Österreich (1974, Inkraftsetzung voraussichtlich 1975), Bundesrepublik Deutschland (1974, Inkraftsetzung noch ausstehend), Belgien (1867), Niederlande (1881), Luxemburg (1879), Dänemark (1973), Schweden (1974, Inkraftsetzung voraussichtlich 1975), Finnland (1970), Norwegen (1960), Deutsche Demokratische Republik (1972), Ungarn (1956), Tschechoslowakei (1966), Polen (1969), Sowjetunion (1961), Grossbritannien (1967), Staat New York (1970) und Japan (1960), folgen entweder einer Indikationenlösung oder einer Fristenlösung, Italien, Belgien, Niederlande und Luxemburg allerdings nur nach der Praxis. Voraussetzung des straflosen Schwangerschaftsabbruches ist bei allen Lösungen, dass er von einem Arzt ausgeführt wird.

41

Länder mit Indikationenlösungen

Die medizinische Indikation anerkennen: Frankreich (nur bei Lebensgefahr), Italien (nur nach Praxis), Belgien (nur nach Praxis), Niederlande (nur nach Praxis), Luxemburg (nur nach Praxis), Finnland, Norwegen, Tschechoslowakei, Polen, Grossbritannien und Japan.

Eine sozialmedizinische Indikation sehen vor: Finnland, Norwegen, Tschechoslowakei, Polen, Grossbritannien und Japan.

Die eugenische Indikation lassen zu: Finnland, Norwegen, Tschechoslowakei, Polen, Grossbritannien und Japan.

Die juristische Indikation kennen : Finnland, Norwegen, Tschechoslowakei, Polen und Grossbritannien (nur nach Praxis).

1}

Siehe dazu beispielsweise Clerc François, Chronique helvétique trimestrielle, ZStrR 87 [1971] 204, Nr. 49, aber auch 89 [1973] 93, Nr. 2.

731

Die soziale Indikation haben eingeführt Finnland (namentlich bei vier Kindern, wegen Beeinträchtigung der Fürsorge für die Kinder und wenn die Schwangere unter 17 oder über 40 Jahre alt ist), Tschechoslowakei (namentlich bei drei Kindern und wenn die Schwangere unter 16 oder über 45 Jahie alt ist), Polen, Japan (nur nach Praxis) und Giossbntanmen (wegen Beeinträchtigung der Fürsorge für die Kinder) Die Schwangere, die selbst abtreibt oder sich abtreiben lasst, bleibt straffrei m Polen und Norwegen (nur nach Praxis)

42

Länder mit Fristenlösungen

Straffreiheit für den wahrend einer bestimmten Frist ausgeführten Schwangerschaftsabbruch sehen vor Dänemark (innerhalb von 12 Wochen nach Beginn der Schwangerschaft), Schweden (innerhalb von 18 Wochen nach Beginn der Schwangerschaft), Deutsche Demokratische Republik (innerhalb von 12 Wochen nach Beginn der Schwangerschaft), Ungarn (innerhalb von 12 Wochen nach Beginn der Schwangerschaft), Sowjetunion (innerhalb von 12 Wochen nach Beginn der Schwangerschaft) und der Staat New \ ork (innerhalb von 24 Wochen nach Beginn der Schwangerschaft) In der Bundesrepublik Deutschland und in Österreich sind entsprechende Gesetze erlassen, aber noch nicht in Kraft gesetzt worden (s nachfolgend Abschn 43) Nach Ablauf der Frist lassen ergänzende Indikation zu Österreich (medizinische und eugenische Indikation. Unmündigkeit zur Zeit der Schwängerung), Bundesrepublik Deutschland (medizinische und eugenische Indikation), Dänemark (medizinische, eugenische, juristische und soziale Indikation). Schweden (Lebensgefahr), Deutsche Demokratische Republik (Lebensgefahr oder andere schwerwiegende Umstände), Ungarn (medizinische und eugenische Indikation), Sowjetunion (medizinische Indikation) und der Staat New York (Lebensgefahr) Die Schwänget e, die selbst abtreibt oder sich abtreiben lasst. bleibt strafft ei in Dänemark, m Schweden, m der Deutschen Demokratischen Republik und in der Sowjetunion Dei Staat New York lasst die Schwangere, die innerhalb von 24 Wochen nach Beginn der Schw angerschaft selbst abtreibt straflos nicht aber die Schwänget e, die sich durch einen Laien abtreiben lasst Die Lage m den Vereinigten Staaten wurde tiefgreifend geändert durch das Urteil des Supieme Court vom 22 Januar 1973 m Sachen Jane Doe et al Appelants v Henry Wade Das Urteil halt eine Bestrafung der Abtreibung, ausgeführt vor dem Ende der ersten drei Monate der Schwangerschaft für unvereinbar mit dem verfassungsmassigen Recht auf ein privates Leben (naht of pnvacy). welches das Gericht aus der durch das 14 Amendment gewahrten persönlichen Freiheit und entsprechendei Beschrankung der staatlichen Eingriffe ableitet Massgebendes Argument für die Befristung war. dass das Gericht nach dei ihm vorgelegten medizinischen Dokumentation davon ausging, ein m dieser Frist ausgeführter Schwangerschaftsabbruch weise eine geringere Sterblichkeit auf als die normalen

732

Geburten. Hinsichtlich später ausgeführter Schwangerschaftsabbrüche darf der Staat Vorschriften zum Schutz der Frau über die Ausführung des Eingriffes erlassen. Das Leben des Kindes dürfe strafrechtlich erst geschützt werden, wenn es nach einer verfrühten Geburt lebensfähig wäre D.

43

Ausländische Entwürfe

Besondere Beachtung verdienen die Entwürfe, die in Frankreich, in der Bundesrepublik Deutschland und in Österreich diskutiert werden.

Der französische Regierungsentwurf vom 7. Juni 1973 sieht eine Indikationenlösung (mit medizinischer, eugenischer und juristischer Indikation) vor. Zur Diskussion stehen aber auch verschiedene Gegenentwürfe, die eine noch weitergehende Liberalisierung anstreben.

In der Bundesrepublik Deutschland standen sich namentlich eine von der Mehrheit der SPD/FDP vorgeschlagene Fristenlösung (mit ergänzender medizinischer und eugenischer Indikation) und verschiedene Indikationenlösungen gegenüber. Während der Entwurf der CDU/CSU die medizinische, eugenische und juristische Indikation vorsah, trat eine Minderheit der SPD/FDP zusätzlich auch für die soziale Indikation ein. Der Bundestag nahm die Fristenlösung am 5. Juni 1974 mit 260 gegen 218 Stimmen bei 4 Enthaltungen an. Das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe hat jedoch am 21. Juni 1974 die Inkraftsetzung des Gesetzes in bezug auf die Fristenregelung einstweilen aufgeschoben. Das Gericht wird auf Grund verschiedener Verfassungsklagen insbesondere zu prüfen haben, ob die Fristenregelung gegen Artikel 2 Absatz 2 des Grundgesetzes («Jeder hat das Recht auf das Leben und körperliche Unversehrtheit.») verstosse und deshalb verfassungswidrig sei. Es gelten somit vorläufig auch für die ersten zwölf Wochen der Schwangerschaft lediglich die ergänzenden Indikationen.

In Österreich ist die Situation ähnlich. Am 23. Januar 1974 beschloss der Nationalrat bei der Verabschiedung des neuen Strafgesetzbuches mit 92 gegen 89 Stimmen eine von der SPOe vorgeschlagene Fristenlösung mit ergänzenden Indikationen nach Ablauf der Frist (medizinische und eugenische Indikation, Unmündigkeit der Schwangeren zur Zeit der Schwängerung). Die Oppositionsparteien waren für die medizinische Indikation eingetreten. Die Inkraftsetzung des neuen Strafgesetzbuches ist auf den l. Januar 1975 vorgesehen. Paragraph 97 Absatz l Ziffer l des neuen Gesetzes, wonach der Schwangerschaftsabbruch nicht strafbar ist, wenn er «innerhalb der ersten drei Monate nach Beginn der Schwangerschaft nach vorheriger ärztlicher Beratung von einem Arzt vorgenommen wird», ist jedoch am 15. März 1974 von der Salzburger Landesregierung beim Verfassungsgerichtshofwegen Verfassungswidrigkeit
angefochten worden. Ausserdem hat die «Aktion Leben» die Vorbereitung eines Volksbegehrens gegen die Fristenlösung angekündigt.

!> Vgl. dazu Prof. William Geisendorf, Genève, L'avortement libre aux Etats-Unis, Médecine et Hygiène, Journal d'informations médicales, 31ème année No 1078, p. 57-61, Genève 1973.

733

44

Stellungnahme des Europarates

Die Assemblée Consultative hat am 18. Oktober 1972 mit 39 gegen 34 Stimmen und bei 3 Enthaltungen einen Resolutionsentwurf als zu weitgehend abgelehnt, der eine Erleichterung des legalen Schwangerschaftsabbruchs nicht nur wegen schwerer Gefahr für die physische und geistige Gesundheit der Mutter, sondern auch aus eugenischen und ausnahmsweise auch aus sozialen Gründen empfahl.

5

Würdigung des Volksbegehrens und der Standesinitiative des Kantons Neuenburg

Der Bundesrat ist sich der Schwierigkeiten für eine befriedigende strafrechtliche Regelung des Schwangerschaftsabbruchs und der Tragweite der Entscheidungen bewusst. Seitdem die Volksinitiative für die Straflösigkeit der Schwangerschaftsunterbrechung lanciert wurde, ist in der Öffentlichkeit eine rege Diskussion über den Schwangerschaftsabbruch und über die damit zusammenhängenden Fragen im Gang. Ethische, soziale, rechtliche und staatspolitische Argumente für und wider werden geltend gemacht. Dabei ist es äusserst schwierig, alle Aspekte, die bei der Lösung so komplexer Probleme zu berücksichtigen sind, zu überblikken und gleichermassen zu berücksichtigen. Die strafrechtliche Regelung des Schwangerschaftsabbruchs stellt nur eine Seite des Problems dar. Die Strafandrohung und Bestrafung ist nur ein letzter Versuch, dem Übel des Schwangerschaftsabbruchs zu wehren. Viel vordringlicher sind menschliches und ethisches Verantwortungsbewusstseiri des Einzelnen und der Gesellschaft und die pädagogischen und sozialen Massnahmen. Wenn jedoch der Staat seine Aufgabe im Schutz der menschlichen und sozialen Werte erfüllen will, ist in den konkreten Verhältnissen auch eine strafrechtliche Regelung des Schwangerschaftsabbruchs unerlässlich.

Sie muss das grundlegende Recht auf Leben soweit als möglich schützen, den Betroffenen in ausweglosen Konfliktsituationen einen verantwortbaren Entscheid ermöglichen und die Gesellschaft vor noch grösseren Übeln zu bewahren suchen.

In einer pluralistischen Gesellschaft kann zwar nicht einfach die ethische Überzeugung einzelner Teile des Volkes zum Massstab für die strafrechtliche Regelung erhoben werden. Doch ist das Recht als solches an ethische Kriterien gebunden, die sich aus der Natur des Menschen als Person und als Gemeinschaftswesen ergeben. Der Staat hat die Aufgabe, darauf wie auch auf die ethische Überzeugung der Mehrheit seiner Bürger in strafrechtlichen Bestimmungen Rücksicht zu nehmen. Prof. W. Kägi sagt : «Das Recht auf Leben ist im wahrsten Sinn eine Grundnorm der freien rechtlichen Gemeinschaft. Wo diese Grundnormen und Richtpunkte preisgegeben werden - täuschen wir uns nicht ! -, geben wir Fundamente des Rechtsstaates und der Menschenrechte preis. Wenn wir (so) über das ungeborene Kind verfügen, relativieren wir, unvermeidlich, den Wert der menschlichen Personen überhaupt» (NZZ vom 12. Februar 1974, Mittagausgabe Nr. 71, S. 17).

734

Es ist nicht zu übersehen, dass in unserer Gesellschaft ein egoistisches Nützlichkeitsdenken gegenüber dem Daseinsrecht des Ändern um sich greift. Von hier aus droht, ohne dass man es zunächst so recht wahrnimmt, die grösste Gefährdung, die Schwächung des Willens, das Leben anzunehmen und es zu schützen.

Gleich der Expertenkommission bejaht auch der Bundesrat den Grundsatz, dass das keimende Leben nach wie vor strafrechtlich zu schützen sei. Wenn schon andere Werte, wie Ordnung, Freiheit, Ehre, Eigentum u.a.m., strafrechtlich geschützt werden, dann um so mehr der Grundwert, den das menschliche Leben von Anfang an und in allen seinen Entwicklungsphasen darstellt. Die strafrechtliche Regelung des Schutzes des werdenden Lebens «stellt uns vor eine Entscheidungsfrage von kaum zu überschätzender Tragweite für den künftigen Weg unseres Kleinstaates» (Prof.W.Kägi, a.a.O.). Dies führt den Bundesrat dazu, die Einstellung der Initianten abzulehnen. Beide Initiativen hätten im Falle ihrer Verwirklichung zur Folge, dass jede Vorschrift über die Strafbarkeit der Abtreibung ersatzlos aufgehoben wäre und niemand mehr wegen Durchführung einer Abtreibung bestraft werden dürfte. Würde man den strafrechtlichen Schutz des werdenden Lebens völlig aufgeben, wäre schwer einzusehen, wie sich der ungeteilte Schutz des menschlichen Lebens nach der Geburt in allen seinen Phasen überhaupt noch aufrecht erhalten liesse. Ginge aber der Staat von diesem Grundsatz ab, wäre menschliches Leben strafrechtlich weniger geschützt als andere Werte. Der Staat würde die Grundverpfiichtung seinen Bürgern gegenüber vernachlässigen. Das Verfügungsrecht über menschliches Leben wäre der Willkür des Einzelnen preisgegeben.

Der deutsche Text der Volksinitiative mit der Wendung, es dürfe wegen Schwangerschaftsunterbrechung keine Strafe ausgefällt werden, könnte sogar eine Unsicherheit darüber aufkommen lassen, ob auch die durch oder anlässlich eines Schwangerschaftsabbruchs begangenen weiteren, sonst strafbaren Handlungen in diesem Zusammenhang straflos würden. Es stehen hier in erster Linie die fahrlässige Tötung und die Körperverletzung der Schwangeren in Frage. Aus dem für das Zustandekommen des Volksbegehrens massgebenden französischen Text ergibt sich jedoch, dass nur die unmittelbare Ausführung des Schwangerschaftsabbruchs straflos werden
soll. Denn er spricht von einer «condamnation pour interruption de la grossesse». Man darf also davon ausgehen, dass die Volksinitiative ausschliesslich den Abbruch einer Schwangerschaft als solchen straffrei werden lassen will.

Zu besonderen Bedenken Anlass gibt, dass nach den Initiativen jeder Eingriff straflos bliebe, unbekümmert darum, ob er durch einen Arzt oder einen Laien ausgeführt würde. Insbesondere der Text des Volksbegehrens führt zu diesem Schluss, verlangt er doch ausdrücklich die Straffreiheit des Schwangerschaftsabbruchs. Das Initiativkomitee lehnt zwar diese Auslegung ab. Es wird erklärt, der Eingriff müsse nach wie vor von einem patentierten Arzt vorgenommen werden, zulässig sei einzig der durch einen Arzt ausgeführten Eingriff, da der Schwangerschaftsabbruch an sich eine ärztliche Handlung darstelle. Der Laie, der eine Schwangerschaft abbreche, mache sich deshalb der unerlaubten Ausübung

735

der Hedkunde nach kantonaler Medizmalgesetzgebung schuldig (so Maurice Favre, Un crune de moins, Boudry 1971, S 30) Dem muss entgegengehalten werden, dass die Formulierung der im Volksbegehren vorgeschlagenen Verfassungsbestimmung objektiv die Auslegung nahelegt, sie schhesse als bundesrechtliche Regel auch jede Bestrafung wegen der Ausübung eines solchen Eingriffs nach kantonalem Recht aus Im übrigen ist darauf hinzuweisen, dass die in Betracht fallenden Vorschriften in allen Kantonen ausserordenthch milde Strafen, m der Regel nm eine kleine Busse, \orsehen Solche Strafen stehen in keinem Verhältnis zum Vergehen gegen das menschliche Leben Ein weiterer wesenthchei Grund gegen die durch die beiden Initiativen postulierte vollständige Freigabe des Schwangerschaftsabbruchs besteht dann, dass eine solche Regelung die stark erhöhten Gefahren, die bekanntlich mit dem Eingriff m einem spateren Stadium der Schwangerschaft verbunden sind, ausser acht lasst Bei völliger Straffreiheit konnten nicht einmal mehr Vorschriften zum gesundheitlichen Schütze der Frau erlassen werden Mit der ihnen zugrundeliegenden Auffassung, der Schwangerschaftsabbruch sei ein Eingriff, über den die Frau jederzeit frei entscheiden können solle, schiessen die Imtianten auch in dieser Hinsicht über das Ziel hinaus Aus diesen Gründen kann weder eine Losung im Sinne des Volksbegehrens noch eine solche im Sinne der Standesinitiative befürwortet \\eiden Als sachlich vertretbar erscheint allein eine Liberalisierung der geltenden Gesetzesbestimmungen Wir schlagen Ihnen deshalb vor, das Volksbegehren für die Stiaflosigkeit dei Schwangerschaftsunteibrechung Volk und Standen mit dem Antiag auf Verwerfung zu unterbreiten und der Standesinitiative des Kantons Neuenburg keine Folge zu geben Als indirekten Gegenvorschlag unterbreiten wir Ihnen, nach Würdigung der Vorschlage der Expeitenkommission sowie der Ergebnisse des Vernehmlassungsverfahrens, den Entwurf für ein Bundesgesetz über den Schutz der Schwangerschaft und die Neuordnung der Strafbarkeit des Schwaneerschaftsabbruchs

6

Würdigung der Vorschläge der Expertenkommission 61

Grundsätzliche Erwägungen

Der Bundesrat macht sich von den drei Vorschlagen der Expertenkommission im wesentlichen die Indikationenlosung mit sozialer Indikation zu eigen Er lasst sich dabei von folgenden Ubei legungen leiten Sprache man dem menschlichen I eben vor der Geburt jede Schutzwurdigkeit ab und berücksichtigte man lediglich das Interesse, das die Eltern am Kind haben, so wäre der Abbruch der Schwangerschaft freizugeben Halt man hingegen das Leben des Ungeborenen um seiner selbst willen als schutzwurdig, so ist der Abbruch nur gerechtfertigt, wenn er erforderlich ist, um bei einem Notstand gleichrangige Werte, die nicht anders geschützt werden können, zu erhalten Dies

736

folgt aus den Grundsätzen der Verhältnismässigkeit und der Subsidiarität, die stets zur Lösung von Konfliktsituationen herangezogen werden.

Das menschliche Leben stellt von der Befruchtung bis zum Tode einen ununterbrochenen Prozess des gleichen Lebewesens dar. Die Übergänge von einer Stufe zur ändern vollziehen sich allmählich und lassen sich nicht genau feststellen.

In diesen Entwicklungsprozess lassen sich nur künstliche Zäsuren setzen. Die einzelnen Entwicklungsphasen gestatten keine wesenhaft verschiedene Bewertung.

Erbbiologisch ist der Mensch von der Konzeption an in seiner Einmaligkeit anlagemässig bestimmt und hat seinen unaustauschbaren Eigenwert. Treten keine ausserordentlichen Umstände ein und greift man nicht gewaltsam in den Lauf der Natur ein, so hat das Ungeborene das ganze Leben mit all seinen Chancen vor sich. Der Embryo und der Foetus sind daher wie das geborene Kind nicht nur nach dem zu beurteilen, was sie in einer bestimmten Phase der Entwicklung sind, sondern ganzheitlich auch nach dem, was sie einst sein könnten. Die Unterschiede der Entwicklung können dabei lediglich graduell ins Gewicht fallen, ganz abgesehen davon, dass die Stufen der Entwicklung vor der Geburt für die juristische Verwendung der erforderlichen Bestimmbarkeit entbehren.

Die Expertenkommission hat dementsprechend in einem Grundsatzentscheid einhellig (nur ein einziges Mitglied äusserte einige Zurückhaltung) erklärt, auch das keimende Leben sei neben dem Leben nach der Geburt strafrechtlich zu schützen. Der Bundesrat teilt diese Auffassung.

Indessen ist nicht zu übersehen, dass das geltende schweizerische Recht, gleich den ändern Strafgesetzen, dem keimenden Leben nicht denselben Schutz zukommen lässt wie dem voll ausgebildeten Leben nach der Geburt. Die auf die gewöhnliche Abtreibung angedrohten Strafen sind bedeutend milder als die für die vorsätzliche Tötung vorgesehenen. So bedroht Artikel 118 StGB die Schwangere, die abtreibt oder abtreiben lässt, nur mit Gefängnis, also mit einer Freiheitsstrafe von nicht mehr als drei Jahren (Art. 36 StGB), und Artikel 119 Ziffer l StGB stellt dem einfachen Drittabtreiber Zuchthaus bis zu fünf Jahren oder Gefängnis in Aussicht. Demgegenüber ist nach Artikel 111 StGB, in Verbindung mit Artikel 35 StGB, die einfache vorsätzliche Tötung mit Zuchthaus von wenigstens
fünf bis zu zwanzig Jahren zu ahnden. Und selbst der privilegierte Fall der vorsätzlichen Tötung, der in einer heftigen und entschuldbaren Gemütsbewegung begangene Totschlag, zieht nach Artikel 113 StGB Gefängnis von wenigstens einem bis zu fünf Jahren oder Zuchthaus bis zu zehn Jahren nach sich.

Ferner ist zu beachten, dass schon das heutige Recht dem keimenden Leben, im Gegensatz zum Leben nach der Geburt, keinen unbedingten Schutz verleiht, sondern es unter den von Artikel 120 Ziffer l StGB umschriebenen Voraussetzungen zulässt, eine Schwangerschaft straflos zu beenden. Die von der Expertenkommission vorgelegten Vorschläge wollen die Frage, unter welchen Bedingungen eine Schwangerschaft straflos beendet werden darf, den mit der bisherigen Regelung gemachten Erfahrungen und den heutigen Auffassungen entsprechend in einer von der bisherigen Regelung mehr oder weniger stark abweichenden Weise beantworten.

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Bedenken gegenüber der Fristenlosung

Es stellt sich nun die schwierige Frage unter welchen "Voraussetzungen auf den strafrechtlichen Schutz des kennenden Lebens \erzichtet werden darf Mit der Fnstenlosung wird der Eingriff wahrend der ersten drei Monate der Schwan gerschaft als straflos erklart Sie uberlasst für diese Zeit das Verfugungsrecht über Leben und Tod des Kindes der Schwangeren und \erlangt für den Schwangerschaftsabbruch keinen sachlichen Grund der sich objektiv verifizieien lasst Sie legalisiert jeden innert der Frist vom ermächtigten \rzt durchgeführten Schwangerschaftsabbiuch mag die Entscheidung der Schwangeren noch so unüberlegt in Panik oder unter dem Emfluss Dritter gefasst worden oder aus egoistischen Gründen noch so willkürlich sein Bei der Fristenlosung steht das Interesse der Schwangeren so sehr im Vor dergrund, dass die Schutzwurdigkeit und Schutznotwendigkeit eines völlig wehrlosen werdenden Menschen leicht übersehen wird Es werden nicht gleichrangige Werte und Rechte zweier Menschenleben gegeneinander abgewogen sondern die Entscheidung wird einseitig im Interesse der Schwangeren getroffen gleich durch welche Motive sie begründet wird Die Fristenlosung leistet dazu der Unsicherheit und der Verwirrung Vorschub, das werdende Leben stelle überhaupt kein schütz würdiges Rechtsgut dar, da es strafrechtlich nicht geschützt wird Weiter ist zu bedenken, dass der Schwangeren in den ersten drei Monaten die rechtliche Grundlage fehlt, sich gegen den Druck von seiten Dritter zu wehren die einen Schwangerschaftsabbruch herbeiführen wollen Dazu kommt, dass bei der Fnstenlosung der Schwangerschaftsabbruch leicht als die «einfachere» Losung m Betracht gezogen wird auch wenn sie objektiv völlig ungerechtfertigt erscheint Hervorzuheben ist auch dass die Fristenlosung, entgegen einer verbreiteten Meinung, der Schwangeren gegenüber dem Arzt ebensowenig wie die bestehende Ordnung einen Rechtsanspruch auf Abbruch der Schwangerschaft gewährleistet Die Problematik, auf die hier hingewiesen wird, besteht schon nach dem heutigen Recht, wenn sich Arzte, Krankenschwestern, Krankenpfleger und ihre Hilfspersonen aus Gewissensgrunden weigern, an gewissen medizinisch indizierten Schwangerschaftsabbruchen mitzuwirken Im Falle der Fnstenlosung erhielte sie aber eine derartige Aktualität, dass im Gesetz für die Arzte und ihr Hilfspersonal eine
den geltenden Rechtszustand \ erankernde Schutzbestimmung aufgestellt werden musste, wonach niemand verpflichtet werden darf, an einem Schwanger schaftsabbruch mitzuw irken die er nicht verantworten kann Hinzu kommt, dass das in der Fnstenlosung enthaltene freie Verfugungs recht gegen den allgemein anerkannten Rechtsgrundsatz verstosst, wonach der direkt Interessierte einen Interessenkonflikt nicht selber entscheiden soll Hat zum Beispiel der gesetzliche Vertreter m einer Angelegenheit Interessen, die denen des Vertretenen widersprechen, so wird ein unbeteiligter Beistand eingesetzt (Art 392 Ziff 2 ZGB) Ein am Ausgang des Prozesses interessierter Richter hat m Aus stand zu treten, weil niemand m eigener Sache Richter sein kann Selbst für die finanziellen Interessen des ungeborenen Kindes trifft das Gesetz Vorsorge

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(Art. 31 Abs. 2, Art. 393 Ziff. 3 und Art. 544 ZGB). Wo es um dessen Leben geht, kann daher die Mutter, wenn sie entgegengesetzte Interessen verfolgt, nicht frei verfügen. Dieser Interessenkonflikt muss nach objektiven Massstäben durch einen unbeteiligten Dritten gelöst werden.

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Die erweiterte Indikationenlösung

Die Unteilbarkeit des Schutzes des menschlichen Lebens und der soeben erwähnte Rechtsgrundsatz sind durch eine Indikationenlösung weit besser gewährleistet. Indikationen dienen dazu, Fälle menschlicher Ausweglosigkeit sachgemäss zu erfassen. Die Schwangerschaft darf nur straflos abgebrochen werden, wenn ein Kollisionsfall vorliegt, wenn also die Rettung anderer Rechtsgüter, die mit dem Wert des Lebens des noch nicht geborenen Menschen vergleichbar sind, die Vernichtung des keimenden Lebens so entschuldbar erscheinen lässt, dass der Gesetzgeber von einer Strafdrohung absehen kann. Diese Güterabwägung ist grundsätzlich nach objektiven Wertmassstäben vorzunehmen, welche die konkrete Lebenssituation der Schwangeren mitberücksichtigen. Die indizierbaren Tatbestände müssen so exakt wie möglich umschrieben werden. Die Orientierung an diesen Tatbeständen muss durch Gutachter, welche die Verantwortung der Gesellschaft dem werdenden Leben wie der Schwangeren gegenüber wahrnehmen, gewährleistet werden. Eine solche Wachsamkeit ist auch den Betroffenen, insbesondere der Schwangeren, zumutbar, wenn sie den Schutz des Lebens ernst nehmen, zumal eine richtig verstandene Indikationenlösung den wirklich schützenswerten Interessen der Schwangeren stets Rechnung trägt.

Da die Indikationenlösung das werdende Leben vom Anfang an unter den strafrechtlichen Schutz stellt und die Ausnahmen nur in genau umschriebenen, nach objektiven Wertmassstäben festgestellten Ausnahmefällen vorsieht, ist sie in ihren Bestimmungen notwendigerweise komplizierter und nicht so einfach anwendbar. Ihr gegenüber erscheint die Fristenlösung sehr einfach und übersichtlich. Doch kann die Einfachheit und Überschaubarkeit kein entscheidendes Kriterium für eine strafrechtliche Regelung sein, wenn sie dem Sachverhalt nicht angemessen ist und den grundsätzlichen Forderungen des Rechts widerspricht.

Auch die Rechtsungleichheit, die bei der Anwendung der Indikationenlösung vorkommen kann, ist noch kein stichhaltiges Argument dagegen. Nicht die sachgerechte Indikationenlösung, sondern die rechtliche Ungleichheit ist abzulehnen.

Auch der Einwand, die Indikationenlösung erreiche ihr Ziel nicht, sondern sie treibe die Schwangere in Illegalität und Isolation, kann nicht überzeugen. Wenn die Fristenlösung gegenüber der Indikationenlösung zwar den Vorteil
aufweisen würde, dass illegale Abtreibungen zu legalen Schwangerschaftsabbrüchen würden, wäre im Endeffekt wenig gewonnen. Deshalb ist die Indikationenlösung nicht zuerst aus dem Vergleich mit der Fristenlösung zu beurteilen, sondern nach den ethischen und rechtlichen Grundsätzen, die ihr zugrunde liegen.

Als Rechtsgüter, die gegenüber dem keimenden Leben abwägbar sind, können neben dem Leben und der Gesundheit der Schwangeren eine schwere soziale

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Notsituation, m welche die Schwangere bei Austragung der Schwangerschaft unabwendbar geraten wurde die Unzumutbarkeit einer Schwangerschaft als Folge eines Sittlichkeitsdehkts und die Unzumutbarkeit, ein Kind mit einem schweren geistigen oder körperlichen Dauerschaden auf die Welt bringen zu müssen, verantwortet werden Dabei muss allerdings betont werden, dass eine soziale Notlage nm dann einen Schwangerschaftsabbruch i echtfertigen darf, wenn dieser Not auf keine andere Weise begegnet \\ erden kann Dazu und damit die soziale Indikation wirklich nur im aussersten Fall angerufen werden muss, will das hier im Entwurf vorliegende Gesetz über den Schutz der Schwangerschaft und die Neuordnung der Strafbarkeit des Schwangerschaftsabbruchs zusammen mit anderen bestehenden oder unmittelbar bevorstehenden Gesetzen Wesentliches beitragen Nach Gesetzesentwuif sollen unverheiratete oder \erheiratete Schwangere und auch Ehepaare, die sich im Zusammenhang mit einer Schwangerschaft nicht mehr glauben zurechtfinden zu können bei eigens dazu bestimmten Beratungsstellen Rat und Hilfe erfahren Die Umstände, die zu ernei sogenannten sozialen Notlage und dann zum Wunsch nach Schwangerschaftsabbruch fuhren können, sind vielfaltig Sie zu ergrunden ist eine wichtige Aufgabe der mit Fachleuten verschiedener Lebensbereiche zu besetzenden Beratungsstellen Dabei wird es sich in gewissen Fallen zeigen, dass die Schwangere gegenüber einer kmdei feindlichen Umgebung m ihrem nach unserer Rechtsordnung selbstverständlichen Recht, die Leibesfrucht auszutragen bestärkt und möglicherweise gegen ernsthafte Drohungen, allenfalls sogar den Anwendungsbereich von Artikel 181 StGB beschlagend, geschützt werden muss In ändern Fallen wird eine eingehende Besprechung dei persönlichen Situation, wie sie mit der Schwangerschaft m psychischer und sozialer Hinsicht eingetreten ist allem schon hinreichende Hilfe bedeuten, so dass die schwangere Frau aus freiem Wülensentschluss bereit ist, die Schwangerschaft zu akzeptieren Famüienberatuiigsstellen machen häufig die Erfahrung, dass nicht eine finanzielle Notlage zum Entschluss eines Schwangerschaftsabbruchs fuhrt sondern die Furcht, mit der Geburt des Kindes wurde die bisherige Lebensgestaltung erheblich gefährdet Bei dieser Besprechung der persönlichen Probleme können gleichzeitig auch geeignete
Vorkehren, weiteren Schwangerschaften voizubeugen, eioitert werden In vielen Fallen wird es aber weiterer Hilfe beduifen, um bei der Schwangeren oder bei einem Ehepaar das Gefühl der Überforderung und Hilflosigkeit beseitigen zu können Zu denken ist beispielsweise an fui sorgliche Massnahmen wie Vorbereitung der Geburt, Kindesausstattung, vorübergehende Arbeitsentlastung der Mutter und Zusammenarbeit mit den kantonalen Gemeindevermittlungsstellen zui Sicherstellung geeigneter Arbeitsstellen und angemessener Wohnungen Schhesshch kann auch eine Zusammenarbeit mit den verschiedenen privaten gemeinnützigen Institutionen, die sich Familienhilfe zum Ziel gesetzt haben, von Bedeutung sein, um die Uberbruckungshilfe bis zur Normalisierung der Verhältnisse nach der Geburt allenfalls wirksam fortsetzen zu können Die Vermittlung zusätzlicher Hilfe für die Zukunft durch die Beratungsstellen kann auch darin bestehen, dass die Schwangerschaft einer unverheirateten

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Frau der Vormundschaftsbehörde gemeldet wird. Sie hat dann nach Artikel 311 ZGB einen Beistand zu ernennen, der die Interessen des Kindes zu wahren hat.

Diese gesetzgeberische Massnahme des geltenden Rechts hat sich im allgemeinen gut bewahrt. Sie wurde auch in die Reformvorlage bezüglich des Kindesrechts übernommen (vgl. Botschaft des Bundesrates vom 5. Juni 1974 über die Änderung des Zivilgesetzbuches/Kindesverhältnis, BB1 1974 II 1). Sofern im neuen Kindesrecht die elterliche Gewalt über ein nicht in der Ehe geborenes Kind von Gesetzes wegen der Mutter zukommen wird, soll einerseits die Aufgabe des Beistandes gegenüber dem bisherigen Recht im wesentlichen auf die Feststellung der Vaterschaft beschränkt, anderseits aber im Hinblick auf die fürsorgliche Betreuung der Mutter ganz erheblich erweitert werden. Die Beistandschaft soll somit mit der Feststellung der Vaterschaft nicht ohne weiteres erlöschen. Vielmehr kann sie bei entsprechendem Bedürfnis als Kindesschutzmassnahme auf die erforderliche Dauer hin beibehalten werden. Ein entsprechendes Bedürfnis wäre beispielsweise im Zusammenhang mit der Wahrung von Unterhaltsansprüchen zu bejahen.

In bezug auf die letzteren darf auch darauf hingewiesen werden, dass im Jahre 1973 die revidierten Artikel 321 ff. betreffend die Sicherstellungspflicht im Zivilgesetzbuch in Kraft getreten sind. Dariiit kann langdauernde wirtschaftliche Bedrängnis der Mutter eines nicht in der Ehe geborenen Kindes abgewendet werden. Gesetzgeberisch wird hier allerdings nur einer der verschiedenen Fälle herausgegriffen, in welchen die Mutter allein für den Unterhalt ihres Kindes aufkommen muss. Häufig ist das rein tatsächlich der Fall, weil es um die Erfüllung rechtlich bestehender Unterhaltsansprüche schlecht bestellt ist. In dieser Hinsicht soll die Reform des Kindesrechts nach Möglichkeit Abhilfe schaffen.

Vorgesehen ist eine Inkassohilfe seitens der Vormundschaftsbehörde oder durch andere kantonal anerkannte Institutionen, die sich teilweise schon bisher bestens bewährt haben. Des weitern soll dem Richter die Möglichkeit gegeben werden, die Schuldner des mit Unterhaltsbeiträgen Säumigen anzuweisen, Zahlungen ganz oder teilweise an die Mutter des Kindes zu leisten. Schliesslich wird auch eine angemessene und richterlich sanktionierte Sicherstellung von Unterhaltsbeiträgen
vorgesehen. Weitere Postulate hinsichtlich der Verbesserung finanzieller Verhältnisse im Zusammenhang mit Unterhaltsansprüchen werden in der Gesamtrevision des Schuldbetreibungs- und Konkursgesetzes, die zur Zeit vorbereitet wird, zu prüfen sein.

Abgesehen von dieser vielfältigen, gesetzlich vorgesehenen Hilfe persönlicher und finanzieller Art in Fällen, in denen ein Kind nicht in einer ehelichen Gemeinschaft geboren wird, bleibt zu vermerken, dass das neue Kindesrecht mit allen ihm zu Gebote stehenden Mitteln bemüht sein wird, den Makel ausserehelicher Geburt zu beseitigen. Es strebt zu diesem Zwecke eine Gleichstellung der nicht ehelich Geborenen mit allen ändern Kindern an, die nicht in der Familie beider Eltern aufwachsen. Der Umstand der nichtehelichen Geburt soll mit ändern Worten nur noch für die (allerdings nicht unwichtige) Frage der Feststellung der

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Vaterschaft, nicht mehr aber für die Frage der Wirkungen der festgestellten Verwandtschaft rechtliche Beachtung finden.

Des weitern soll die Revision des Kindesrechts den Familienschutzgedanken, der schon bei Eugen Huber stark im Vordergrund stand, auch in jenen Fällen verstärken, da ein Kind bei beiden Eltern aufwächst, diese aber bei der Erfüllung ihrer elterlichen Rechte und Pflichten auf besondere Schwierigkeiten stossen.

Neben der familienrechtlichen Gesetzgebung bleibt auch die Besserstellung der schwangeren Frau im erneuerten Arbeitsrecht zu beachten. Die Lohnzahlungspflicht des Arbeitgebers während einer beschränkten Zeit bei unverschuldeter Verhinderung des Arbeitnehmers schliesst gemäss den neuen, seit 1972 in Kraft stehenden Artikeln 324" Absatz 3 und 328" Absatz 3 OR nun auch die Schwangerschaft ein. Hinzu kommt ein in Artikel 329* Absatz 3 OR vorgesehenes Ferienkürzungsverbot im Falle der Schwangerschaft. Das Arbeitsvertragsrecht hat zudem den Anwendungsbereich des Kündigungsschutzes im Hinblick auf eine Schwangerschaft wesentlich ausgedehnt und dessen inhaltliche Bedeutung verstärkt. Darüber hinaus ist der öffentlichrechtliche Schutz der Schwangeren und der Mutter, die einen Haushalt zu besorgen hat. gestützt auf zahlreiche Bestimmungen des im -Jahre 1966 in Kraft getretenen Bundesgesetzes über die Arbeit in Industrie, Gewerbe und Handel zu berücksichtigen. Damit sind wichtige sozialpolitische Postulate ^ erwirklicht worden.

So leistet die bestehende und die bald zu erwartende Gesetzgebung in der dargelegten Weise einen ganz beachtlichen Beitrag zur Vermeidung und allenfalls zur Überwindung von Schwierigkeiten, die im Zusammenhang mit einer Schwangerschaft unter dem Begriff der sozialen Notlage zusammengefasst werden.

Ein weiteres ist von der Verbreitung des Gedankens der Bevorschussung von Unterhaltsansprüchen im kantonalen öffentlichen Fürsorgerecht zu erhoffen. Das zuständige Gemeinwesen erbringt an Stelle des säumigen Elternteils Unterhaltsbeiträge und erwirbt dafür den Unterhaltsanspruch des Kindes. In skandinavischen Ländern wird dieser Gedanke des Kindesschutzes mit Erfolg verwirklicht.

In der Schweiz wurden bisher in den Kantonen Neuenburg und Zürich entsprechende parlamentarische Vorstösse unternommen. Erfahrungen mit amtlichen Inkassostellen für Unterhaltsbeiträge lassen
darauf schliessen, dass die Vorschusspflichtigen kantonalen Gemeinwesen finanziell nicht übermässig belastet würden.

Auf Bundesebene schafft die vom Parlament verabschiedete Neufassung von Artikel 34bls der Bundesverfassung die Voraussetzung, die seit langem bestehenden Postulate auf dem Gebiete der Mutterschaftsversicherung zu verwirklichen.

Abschliessend zu diesem (keineswegs auf Vollständigkeit bedachten) Überblick gesetzgeberischer Hilfe zur Überwindung sozialer Notlage im Zusammenhang mit einer unerwünschten Schwangerschaft sei noch auf das neue Adoptionsrecht verwiesen. Mit dieser Gesetzesnovelle werden einerseits Erleichterungen für die Kindesannahme herbeigeführt und anderseits wird die Integration des Adoptierten in die Lebensgemeinschaft der Adoptierenden stark gefördert. Es bestehen

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auch in dieser Hinsicht verbesserte Aussichten, Eltern und Kinder der Gefahr sozialer Notlage zu entziehen und ihnen zu für alle Betroffenen annehmbaren Lebensverhältnissen zu verhelfen.

7 Der Entwurf für ein Bundesgesetz über den Schutz der Schwangerschaft und die Neuordnung der Strafbarkeit des Schwangerschaftsabbruchs Wie schon der Titel anzeigt, wurde im deutschen Text der im geltenden Gesetz und in den Vorschlägen der Expertenkommission verwendete Ausdruck «Unterbrechung der Schwangerschaft» durch «Abbruch der Schwangerschaft» ersetzt. Der sachlich falsche Ausdruck «Unterbrechung der Schwangerschaft» wird schon seit langem beanstandet. Denn was bloss unterbrochen wird, geht irgendwann oder irgendwo weiter. Die Unterbrechung ist immer etwas zeitlich oder örtlich Begrenztes. Eine Schwangerschaft aber kann, einmal abgebrochen, durch keinen chirurgischen Eingriff wiederhergestellt werden. Sie ist unwiderruflich abgebrochen, keinesfalls bloss unterbrochen.

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Die Beratungsstelle (Art. 1)

Ehepaare und auch Schwangere allein, unverheiratete und verheiratete, die sich mit dem Gedanken des Abbruchs einer Schwangerschaft tragen, müssen sich an eine kompetente und neutrale Stelle wenden können, die ihnen unvoreingenommen und unentgeltlich mit Rat und Tat beisteht, aber keinerlei Druck auf sie ausübt und sie ihren Entscheid frei treffen lässt. Eine solche Aufgabe kann nur von einer besonderen, sachkundigen Stelle erfüllt werden. Nur eine besondere Beratungsstelle kann umfassend beraten, in geeigneten Fällen soziale Hilfe vermitteln und dringendenfalls Hilfesuchenden auch mit finanziellen Überbrükkungsleistungen unter die Arme greifen. Damit die Beratungsstelle den hilfsbedürftigen Ehepaaren und Schwangeren wirklich als die Stelle erscheint, die sie sachlich berät und ihnen die erforderliche Hilfe vermittelt, muss es ihnen freigestellt sein, ob sie die Beratungsstelle aufsuchen wollen oder nicht. Nur wenn die Beanspruchung der Beratungsstelle auf diese Weise frei von jedem Zwang gehalten wird, werden die Hilfesuchenden sie vertrauensvoll aufsuchen. In diesem Sinne wird in Artikel l Absatz l jedem Ehepaar und jeder Schwangeren ein Anspruch auf Beratung und Hilfe eingeräumt.

Die Absätze 2 und 3 gebieten den Kantonen, Beratungsstellen einzurichten, die über genügend Mitarbeiter und finanzielle Mittel verfügen, um sofort die erforderliche Hife zu gewähren. Die in Basel bereits bestehende Beratungsstelle lässt erkennen, welche Vielfalt der Hilfsmöglichkeiten in Frage stehen und zu bedenken sind. Abgesehen von eigentlicher Beratung und Betreuung kommen die Arbeitsentlastung, beispielsweise durch das Vermitteln von Haushalthilfen, die materielle Unterstützung und eine länger dauernde Betreuung und Hilfeleistung in Frage. Dazu bedarf es genügender finanzieller Mittel; diese sollen ermöglichen,

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dass weitgehend direkt geholfen werden kann und nicht m jedem Emzelfall der Umweg übet eine Fursorgebehorde eingeschlagen werden muss Zu den Aufgaben der Beratungsstelle wird auch gehören, jenen Frauen, bei denen es sich erweist, dass sie eigentlich nur unter dem Einfluss odei auf Drangen ihrer Umgebung einen Schwangerschaftsabbruch erwägen, m ihrem Willen, die Leibesfrucht auszutragen, zu bestarken und m ihrem Recht, ihr Kind zur Welt zu bringen, zu schützen Denn jede Schwangeie hat das Recht, dir Kind auszutragen Dieses Recht wird in unserer Rechtsordnung als selbstverständlich vorausgesetzt und bedarf deshalb keiner positivrechtlichen Normierung Ebenfalls keiner Normierung im voi hegend en Gesetzesentwurf bedaif es im übrigen, um die Schwangere m diesem Recht vor Strafbaien Angriffen zu schützen Diesen Schutz bietet bereits das Strafgesetzbuch m den Tatbestanden der Drohung (Art 180) und der Nötigung (Art 181) Was die peisonelle Dotierung anbelangt so sollten der Beiatungsstelle wenigstens drei Mitarbeiter angehören, und zwar Frauen und Mann er, die ärztlichen, sozialen und ethischen Rat \ermitteln können Es sollte nicht nur irgendeine Amtsstelle oder eine einzelne Person mit dieser Aufgabe betraut werden, bloss um dem Wortlaut des Gesetzes Genüge zu leisten Wenn von der Erteilung ethischen Rates gesprochen wird so ist damit insbesondere die Beratung durch einen Seelsorger gemeint Durchaus zulassig, erwünscht und vielleicht sogar geboten ist es, nebenamtlich tatige Mitarbeiter beizuziehen Absatz 2 erlaubt den Kantonen, bereits bestehende Beratungsstellen als solche anzuerkennen und für die Einrichtung und den Betrieb von Beratungsstellen private Organisationen heranzuziehen Es wurde darauf verzichtet, die ortliche Zuständigkeit der Beratungsstelle zu regeln, m der Meinung dass die Beratungsstellen wenigstens den Frauen helfen sollten, welche zu dem betieffenden Kanton eine ortliche Beziehung besitzen Artikel 12 gibt den Kantonen die Möglichkeit, Vereinbarungen zur gemeinsamen Einrichtung von Beratungsstellen zu treffen Absatz 4 verpflichtet den Bund, Betrage an die Aufwendungen der Beratungsstellen sowie an die Aus- und Weiterbildung ihrer Mitarbeiter zu gewahren, und zwai bis zu einem Drittel der anrechenbaren Kosten Eine den Bund zu Subventionen verpflichtende Voischnft ist unbedingt erforderlich,
um zu zeigen, dass es dem Gesetzgeber mit der Einrichtung von Stellen, die m wirksamer Weise Hilfe bimgen können, einst ist In diese Richtung zielt auch Artikel 14 Buchstabe a, wo der Bundesiat angehalten wird, nach Anhören der Kantone Bestimmungen über die Beratungsstellen und die an sie zu leistenden Beitrage zu erlassen Solche Emzelvorschnften in eine Verordnung zu verwiesen und nicht in das Gesetz aufzunehmen, empfiehlt sich deshalb, weil die in Frage kommenden Methoden der sozialmedizinischen Hilfe in standigei Entwicklung begriffen sind Stehen diese Vorschriften m emei Verordnung, so können sie leichter den geänderten Umstanden angepasst werden, als es für gesetzliche Bestimmungen möglich ist Weil alle diese Einzelvorschriften zur Verwirklichung des Gesetzes erforderlich

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sind, lautet der Text nicht, der Bundesrat könne derartige Bestimmungen erlassen, sondern er erlasse sie, womit eine Verpflichtung des Bundesrates ausgesprochen wird.

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Amts- und Berufsgeheimnis der Mitarbeiter der Beratungsstelle (Art. 2)

Die hilfesuchenden Ehepaare und schwangeren Frauen werden die Beratungsstelle nur konsultieren, wenn sie sich in jeder Beziehung auf- deren Verschwiegenheit verlassen können. Um ihnen diese Gewissheit zu verschaffen, wird in Artikel 2 Absatz l vorgeschrieben, dass die Mitglieder der Beratungsstelle das Amts- oder Berufsgeheimnis zu wahren haben. Sie haben es gegenüber jedermann zu wahren, insbesondere auch gegenüber den Eltern oder dem Vormund einer schwangeren Minderjährigen und auch gegenüber dem Ehemann einer verheirateten Schwangeren. Dem Amtsgeheimnis unterstehen die Mitarbeiter amtlicher Beratungsstellen, dem Berufsgeheimnis die Mitarbeiter privater Beratungsstellen.

Die Verletzung des Amtsgeheimnisses ist in Artikel 320 StGB und die Verletzung des Berufsgeheimnisses in Artikel 321 StGB als Vergehen unter Strafe gestellt. Dass Artikel 320 StGB auf alle Mitarbeiter amtlicher Beratungsstellen anwendbar ist, versteht sich von selbst. Artikel 321 StGB hingegen wäre nur auf jene Mitarbeiter privater Beratungsstellen anwendbar, die Geistliche oder Ärzte sind, sowie auf deren Hilfspersonen; die Mitarbeiter aus sozialen und anderen Berufen würde er aber nicht erfassen. Der Anwendungsbereich des Artikels 321 StGB muss deshalb auch auf diese ausgedehnt werden. Dies geschieht durch Absatz l Satz 2 des Entwurfs: «Bei Verletzung des Berufsgeheimnisses findet Artikel 321 des Schweizerischen Strafgesetzbuches auch auf die dort nicht aufgezählten Personen Anwendung.» Artikel 2 Absatz 2 enthält einen notwendigen, besonderen Strafausschliessungsgrund, der zu denen, die bereits in Artikel 320 Ziffer 2 und in Artikel 321 Ziffern 2 und 3 StGB aufgeführt sind, hinzutritt: Die Mitarbeiter der Beratungsstellen sind an ihr Amts- oder Berufsgeheimnis nicht gebunden bei Zeugnisrecht und Zeugnispflicht in Fällen, in denen jemand finanzielle Leistungen durch unwahre Angaben oder betrügerische Machenschaften erwirkt hat.

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Die Bestimmungen über die Abtreibung (Art. 3)

Die Bestimmungen des Strafgesetzbuches über die Abtreibung (Art. 118 und 119) sollen, wie übrigens auch jene über die straflose Unterbrechung der Schwangerschaft (Art. 120 und 121), aufgehoben (vgl. Art. 15 Ziff. l des Entwurfs) und durch entsprechende Vorschriften im vorliegenden Entwurf ersetzt werden. Bei ihrer Neufassung wurden die Abtreibungstatbestände in einem einzigen Artikel zusammengefasst, wobei im Gegensatz zum geltenden Recht nicht die passive, sondern die aktive Abtreibung an die Spitze gestellt wurde. Materielle Änderun-

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gen gegenüber dem geltenden Recht wurden nur insoweit vorgenommen, als zwingende Grunde, insbesondere bisherige Auslegungs- und Anwendungsschwiengkeiten, dafür sprachen 721

Die einfache Abtreibung durch Dritte

Die einfache Abtreibung durch einen Dritten wird durch Artikel 3 Ziffer l Absatz l wie nach geltendem Recht mit Zuchthaus bis zu fünf Jahren oder Gefängnis bedroht Im Gegensatz zum geltenden Recht verzichtet die neue Fassung darauf, vorauszusetzen dass die Abtreibung mit Einwilligung der Schwangeren ausgeführt wird Die Beifügung ist unnötig, w eil die Ausführung der Abtreibung gegen den Willen der Schwangeren ausdrücklich durch Ziffer 2 Absatz 2 als qualifizierter Fall dei Dnttabtreibung erwähnt wird Ausserdem entfallt die im heutigen Artikel 119 Ziffer l Absatz 2 StGB enthaltene Bestimmung, welche die unmittelbare Mitwirkung eines Dritten an der abtreibenschen Handlung eines Dritten oder der Schwangeren selber ausdrücklich als Drittabtreibung bestraft Solche Handlungen sind nun als Gehilfenschaft zu Abtreibung gemass Artikel 3 Ziffer l Absatz l strafbar, was sich daraus ergibt, dass die wie auch immer geartete Beteiligung der Schwangeren an der Abtreibung an sich selber nach Absatz 2 nur mit Gefängnis bestraft werden soll Dasselbe gilt für die Anstiftung der Schwangeren zur Abtreibung durch einen Dritten weshalb die versuchte Anstiftung dieser Art nach Artikel 24 Absatz 2 StGB strafbar ist Die Anwendbarkeit des Artikels 24 StGB eraibt sich aus Artikel 333 Absatz l StGB 722

Die Abtreibung durch die Schwangere selber

Artikel 3 Ziffer l Absatz 2 Satz l droht der Schwangeren, die ihre Frucht abtreibt, abtreiben lasst oder sich in anderer Weise an der Tat beteiligt nur Gefängnis an Mit der Erwähnung der anderen Beteihgungsarten w ird die Streitfrage gelost, wie die Schwangere zu bestrafen sei, welche einen Dritten zur Abtreibung an ihr anstiftete oder anzustiften versuchte Die Schwangere soll stets ausschliesshch der durch Artikel 3 Ziffer l \bsatz 2 Satz l vorgesehenen Strafdrohung unterstehen Artikel 3 Ziffer l Absatz 2 Satz 2 führt einen neuen fakultativen Strafbefreiungsgrund ein Von einer Strafverfolgung oder einer Bestrafung der Schwangeren soll abgesehen werden können, wenn sie in schwerer Bedrängnis gehandelt oder einen untauglichen Versuch der Abtreibung begangen hat Von einer Strafverfolgung abzusehen wurde erlaubt, um in solchen Fallen den Frauen zu ersparen, dass m einer öffentlichen Urteilsverhandlung ihre Straftaten und ihre Person einer weiteren Öffentlichkeit bekannt werden Nach BGE 95 [1969] IV 22 schliesst die Strafbefreiung die Strafmilderung ein Die ausdruckliche Erwähnung der Einstellung des Strafverfahrens m Artikel 3 Ziffer l Absatz 2 bedeutet nicht dass in anderen Fallen der fakultativen Strafbefreiung nicht ebenfalls das Verfahren schon durch Einstellen oder Aufheben der

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Voruntersuchung abgeschlossen werden kann. Für den Drittabtreiber muss es bei der Strafbarkeit des untauglichen Versuches der Abtreibung bleiben, da sonst die Strafverfolgung der so gefährlichen Drittabtreiber überaus erschwert, wenn nicht geradezu verunmöglicht würde.

Wie bis anhin soll die Verfolgungsverjährung der einfachen Drittabtreibung und der Abtreibung durch die Schwangere in zwei Jahren eintreten (Art. 3 Ziff. l Abs. 3).

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Die qualifizierte Abtreibung durch Dritte

In Artikel 3 Ziffer 2 werden alle Fälle der qualifizierten Drittabtreibung mit Zuchthaus bis zu zehn Jahren bedroht, ohne dass eine Mindeststrafe von mehreren Jahren Zuchthaus vorgesehen wird. Die Drittabtreibung soll qualifiziert sein, wenn sie gegen den Willen der Schwangeren vorgenommen wird. In leichter Abweichung vom geltenden Recht soll nur die entgegen dem ausdrücklichen und anderslautenden Willen der Schwangeren ausgeführte Abtreibung getroffen werden. Diese Tat steht zur Nötigung (Art. 181 StGB) in unechter Gesetzeskonkurrenz. Die auf andere Weise ohne Einwielligung der Schwangeren vorgenommene Abtreibung dürfte meistens, wenn nicht sogar immer, ausser dem Tatbestand der Abtreibung im Sinne von Artikel 3 Ziffer l Absatz l den der Nötigung verwirklichen, was gemäss Artikel 68 Ziffer l Absatz l StGB zu einer Höchststrafe von 7 1 A Jahren Zuchthaus führt. Ausserdem ist, wie bisher, die gewerbsmässige Abtreibung qualifiziert. Anstelle der durch die Abtreibung herbeigeführten und voraussehbaren Todesfolge soll nun, der Sachlage besser entsprechend, die Abtreibung qualifiziert sein, wenn der Täter vorsätzlich oder grob fahrlässig die Gefahr des Todes oder einer schweren Korperverletzung der Schwangeren herbeiführte. Es soll nicht mehr der zuweilen zufällige Eintritt des Todes oder dessen Verhinderung durch rasch einsetzende und erfolgreiche ärztliche Behandlung für das Vorliegen dieser Qualifikation entscheidend sein, sondern die durch die Art der Ausführung des abtreiberischen Eingriffs begründete Gefahr des Todes oder einer schweren Körperverletzung. Die so qualifizierte Drittabtreibung steht zur Gefährdung des Lebens im Sinne von Artikel 129 StGB in unechter Gesetzeskonkurrenz, kann aber mit fahrlässiger Tötung oder schwerer Körperverletzung (Art. 117 und 125 Abs. 2 StGB) in Idealkonkurrenz treten.

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Die Begriffe «Abtreibung» und «Schwangerschaft»

In allen diesen Straftatbeständen bedeutet der Begriff «abtreiben» dasselbe.

Er meint einen auf Abbruch der Schwangerschaft gerichteten mechanischen oder chemischen Eingriff, welcher nach der Nidation des befruchteten Eies ausgeführt wird. Diese Ansicht widerspricht nicht dem Grundsatzentscheid, dem keimenden Leben strafrechtlichen Schutz zu verleihen, weil der Grundsatz nichts darüber sagt, von welchem frühesten Zeitpunkt an dieser Schutz einsetzen soll. Dass die Einnistung der früheste Zeitpunkt sein soll, von welchem an eine Schwangerschaft

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als bestehend anerkannt und ihr Schutz gewahrt wird, beruht auf praktischen Überlegungen Die Nidation vollzieht sich sieben bis neun Tage nach der Befruchtung und ist vier bis fünf Tage vor dem Ausbleiben der Regel abgeschlossen mithin bevor die Frau duich das Ausbleiben der Regel bestimmte Anhaltspunkte für eine Schwangerschaft ei halten kann Deshalb ist es praktisch ausgeschlossen, dass auf den Abbruch einer Schw angerschaft gerichtete Eingriffe vor der Nidation ausgeführt werden Wird der Beginn der Schwangerschaft auf diese Weise umschrieben, so ist die Verwendung -son isidationshemmern, wie das Intrautermpessai oder die Mommg-after-Pille straffrei Eine Definition der strafrechtlich geschützten Schwangerschaft in das Gesetz autzunehmen erscheint nicht erforderlich, weil sich die hier dargelegte Auffassung m der Lehre durchgesetzt hat '> 73

Die Bestimmungen über den straflosen Abbruch der Schwangerschaft 731

Die Indikationen für den straflosen \bbruch der Schwangerschaft

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Die medizinische Indikation (Alt 4)

Der Abbruch dei Schwangei schaft aus medizinischen Giunden ist m Artikel 4 des Gesetzesentwurfs geregelt Der Artikel ist gegenüber dem geltenden Artikel 120 StGB präziser gefasst Ziffer l Absatz l entspricht, von geringfügigen redaktionellen Änderungen abgesehen, Ziffer l Absatz l des heutigen Artikels 120 StGB Das Erfordernis, dass die Gefahr für das Leben oder die Gesundheit der Schwangeren nicht anders abgewendet werden kann, wurde beibehalten Es wild jedoch nicht mehr, wie im geltenden Recht, von einer grossen, sondern von einer ernsten Gefahr gesprochen Das Beiwort «gross» wird durch «ernst» ersetzt, weil damit deutlicher zum Ausdiuck kommt, dass es sich um den Grad der Dringlichkeit dei Gefahr wie um die Art des befürchteten Übels handelt Kann die Gefahr auf andeie Weise abgewendet werden, so ist der Arzt schon nach dem sein Handeln beherrschenden Grundsatz «ml nocere» verpflichtet, der Gefahr auf diese Weise, anstatt durch den Schwangerschaftsabbruch zu begegnen Ausserdem wird in Absatz 2 die ernste Gefahr für die Gesundheit umschrieben Sie liegt vor. «wenn die Austragung der Schwangerschaft oder die infolge dei Gebuit des Kindes zu erwaitenden Lebensverhaltnisse mit grosser Wahrscheinlichkeit zu einer schweren und langdauernden körperlichen oder geistigen Krank11

Lay Hans Weinet, Zum Begriff der Leibesfrucht in § 218 StGB, Juristenzeitung 1970 465, dei selbe, Randnummei 13 zu § 218 m Strafgesetzbuch Leipzigei Kommentar, 9 Aufl, 1972, Sdwnke-Sthrodei Stiafgesetzbuch Kommentai, 16 Auf!, 1972, Randnummer 3 zu § 218 Main ach Reinhart, Deutsches Strafrecht Besonderer Teil 5 Aufl 1971, § 5 I 2, S 55, Wehe! Hans, Das deutsche Strafrecht, 11 Aufl 1969, § 41 l a , S 300, Stiateimeith Guntei Schweizerisches Strafrecht, Besonderer Teil I, Bern 1973 § 2 Randnummer 0007, S 43, Siegrist Harald Olav, Der illesale Schwaneeischaftsabbiuch, 1971 19

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heit der Schwangeren führen». Der Hinweis auf die zu erwartenden Lebensverhältnisse bringt gegenüber dem geltenden Gesetz eine entscheidende Erweiterung der medizinischen Indikation. Er bringt klar zum Ausdruck, dass es sich nicht um die medizinische Indikation im engsten Sinne handelt, sondern um die erweiterte, die sozial-medizinische Indikation. Die sozial-medizinische Indikation wird, wie bereits in der Erläuterung des geltenden Rechts und seiner Anwendung dargelegt (vgl. Abschn. 3), bereits in einer Vielzahl von Kantonen von der Praxis gestützt auf das geltende Recht anerkannt und gehandhabt. Mit ihrer Verankerung im Gesetz wird ihre Allgemeingültigkeit sichergestellt.

Weil von den «infolge der Geburt des Kindes zu erwartenden Lebensverhältnissen» gesprochen wird, sind auch Störungen der Gesundheit nach der Geburt und infolge der Mehrbelastung durch das oder das weitere Kind zu berücksichtigen. Der Akzent liegt jedoch nach wie vor auf der medizinischen Indikation. Es würde dem Sinn und dem Geist der gesetzlichen Bestimmung widersprechen, in der Praxis die sozial-medizinische Indikation zu einer sozialen Indikation erweitern zu wollen. Für die soziale Indikation gelten die Vorschriften des Artikels 5.

Die medizinische Indikation ist also nur gegeben, wenn mit Krankheitssymptomen als Folge der Belastung durch die zu erwartenden Lebensverhältnisse zu rechnen ist. Dazu zählen die psychosomatischen Störungen. Die geistige Krankheit schliesst seelische Erkrankungen ein.

Mit der Ersetzung der bisherigen Wendung «Schaden an der Gesundheit» durch das Wort «Krankheit» ist keine Einengung der medizinischen Indikation gegenüber dem geltenden Recht beabsichtigt, wie in einer Reihe von Vernehmlassungen zu den Vorschlägen der Expertenkommission befürchtet wird. Es handelt sich lediglich um eine redaktionell einfachere Umschreibung der Gesundheitsschädigung. Einer Weiterverwendung des heutigen Ausdrucks «Schaden» stünde somit nichts im Wege; in Ziffer l Absatz 2 könnte ohne weiteres auch von «einem schweren und langdauernden Schaden an der körperlichen oder geistigen Gesundheit der Schwangeren» gesprochen werden.

In Übereinstimmung mit dem geltenden Recht wird die Ausführung des Eingriffes durch einen diplomierten, in der Schweiz zur Ausübung des Berufes zugelassenen Arzt gefordert, der erst nach Einholung
eines zustimmenden ärztlichen Gutachtens handeln darf. Bei der Ersetzung des bisherigen Begriffs des «patentierten Arztes» durch den des «diplomierten, in der Schweiz zur Ausübung des Berufes zugelassenen Arztes» handelt es sich nicht um eine materielle Änderung, sondern lediglich um eine redaktionelle Präzisierung. Einen Spezialarzt der Frauenheilkunde vorzuschreiben, ist nicht angebracht, da es auch andere Ärzte gibt, insbesondere Chirurgen, welche die erforderlichen Fachkenntoisse besitzen.

Nach wie vor wird auch die schriftliche Zustimmung der Schwangeren (Ziff. l Abs. 1) oder, wenn sie nicht urteilsfähig ist, ihres gesetzlichen Vertreters (Ziff. 2) verlangt.

Ebenso wie bisher ist eine Einbeziehung des Ehemannes oder des ausserehelichen Schwängerers in die ärztliche Konsultation nicht vorgesehen. In der Regel ist es so, dass bei verheirateten Schwangeren der Ehemann vom Arzt in die

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Besprechung einbezogen wird Doch ist es zuweilen angezeigt, davon abzusehen Es soll deshalb auch weiterhin dem Arzt überlassen bleiben, über die Beiziehung des Ehemannes zu den vorbereitenden Aussprachen zu befinden, und im Gesetz darüber nichts bestimmt werden Noch weniger kann eine Vorschrift über die Beiziehung des ausserehelichen Schwangerers zu diesen Gesprächen m Frage kommen Die Ziffer 3 entspucht der im geltenden Artikel 120 Ziffer l Absatz 2 StGB aufgestellten Vorschrift über die erforderliche Begutachtung Rem redaktionell ist auch hier die Änderung, welche nun von einem sachverstandigen Arzt, anstatt von einem sachverstandigen Facharzt spricht Genauer als im geltenden Recht, welches sich mit der Bezeichnung des Gutachters durch die zustandige Behörde des Kantons begnügt, wird jetzt die Bezeichnung durch eine Sanitätsbehörde verlangt Beibehalten wurde die Regelung, dass der Arzt von der Behörde «des Kantons, m dem die Schwangere ihren Wohnsitz hat oder m dem der Eingriff erfolgen soll, allgemein oder von Fall zu Fall bezeichnet wird» Neu ist die Bestimmung, welche die Kantone verpflichtet, eine Liste der als Gutachter m Frage kommenden Arzte aufzustellen Sollten m einem kleineren Kanton nicht alle in Frage kommenden Spezialarzte niedergelassen sein, so ist es ohne weiteres zulassig, ausserhalb des Kantons praktizierende Arzte als Gutachter zu bezeichnen, wie dies bereits jetzt geübt wird Neu ist die Vorschrift von Absatz 2 welche den operierenden Arzt verpflichtet, «ein Exemplar des Gutachtens ohne Namen der Schwangeren innert Monatsfrist» der zur Bezeichnung des Gutachters zustandigen Sanitätsbehörde einzusenden Auf diese Weise soll, ohne dass der Name der Schwangeren preisgegeben wird, eine Aufsicht über die Gutachtertatigkeit der einzelnen Arzte ermöglicht werden Die Frist ist, allgemeinen Regeln entsprechend, gewahrt, wenn das Gutachten innert der Frist der schweizerischen Post übergeben wurde So wenig wie das geltende Recht enthalt die vorgeschlagene neue Regelung Bestimmungen über die Art der Ausführung des Eingriffes, ob er ambulant erfolgen darf oder m einem Krankenhaus vorgenommen werden soll, ebensowenig über Indikationen, die dem Eingriff zwingend entgegenstehen Der Entscheid über diese Fragen ist m die Verantwortung des Arztes gestellt Im Gegensatz zum geltenden Recht verzichtet
der Entwurf darauf, den zur Abwendung unmittelbarer ernster Gefahr für das Leben oder die Gesundheit der Schwangeren auf Grund von Artikel 34 Ziffer 2 StGB als Notstandshilfe ausgeführten Eingriff ausdrücklich als straflos zu erklaren Die Straflösigkeit folgt bereits aus der zitierten Notstandsbestimmung Hingegen halt Ziffer 4 des neuen Artikels an der Pflicht des Arztes fest, solche Eingriffe der zustandigen Behörde des Kantons, m dem der Eingriff ausgeführt worden war, zu melden Anstelle der jetzt vorgeschriebenen Meldefrist von 24 Stunden wird Meldung am nächsten Werktag vorgesehen In den Entwurf nicht übernommen wurde auch der im heutigen Artikel 120 Ziffer 4 StGB enthaltene Hinweis, dass Artikel 32 StGB - das heisst un besonderen die Bestimmung, dass eine Tat, die eine Berufspflicht gebietet, straflos bleibt -

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keine Anwendung finde. Gesetzestechnisch ist dieser Hinweis nicht erforderlich.

Die gesetzlichen Regeln über den straflosen Abbruch der Schwangerschaft stellen eine abschliessende Ordnung auf. Insbesondere gibt es keine darüber hinausgehende ärztliche Befugnis oder Berufspflicht zum Schwangerschaftsabbruch.

731.2 Die soziale Indikation (Art. 5) Artikel 5 regelt die soziale Indikation. Der Abbruch der Schwangerschaft aus sozialen Gründen soll zulässig sein, «sofern vorauszusehen ist, dass die Austragung der Schwangerschaft mit hoher Wahrscheinlichkeit zu einer schweren, durch die zur Verfügung stehenden Mittel nicht abwendbaren, sozialen Notlage der Schwangeren führen würde und der Eingriff innert zwölf Wochen nach Beginn der letzten Periode erfolgt» (Art. 5 Ziff. l Abs. ! ) . : ' · Die soziale Indikation ist insbesondere für Fälle vorgesehen, in denen eine soziale Notsituation die physische oder psychische Gesundheit der Schwangeren nicht oder nicht ernstlich beeinträchtigt und folglich eine medizinische, insbesondere sozial-medizinische Indikation nicht bejaht werden darf, die Bedrängnis aber dennoch derart schwer ist, dass der Schwangeren die Austragung der Schwangerschaft nicht zumutbar ist.

Die Vorschrift über die soziale Indikation gibt eine Generalklausel, weil es ausgeschlossen ist, alle in Frage kommenden Möglichkeiten sozialer Bedrängnis durch eine kasuistische Bestimmung zu treffen. Immerhin ist es angezeigt, dass das Gesetz Hinweise gibt, welche soziale Notlagen es als der Generalklausel entsprechend ansieht. Deshalb wird in Ziffer l Absatz 2 erklärt, bei der Beurteilung der sozialen Notlage seien insbesondere das Alter, die Kinderzahl und die Familienverhältnisse der Schwangeren zu berücksichtigen. Mit der Formulierung «insbesondere» soll gesagt werden, dass die ausdrücklich genannten Umstände als Verwirklichung der Generalklausel in Frage kommen. Anderseits ist es nicht ausgeschlossen, dass auch weitere Umstände, wie aussereheliche Schwangerschaft, Wohnungsnot, ausschliessliche oder überwiegende Unterhaltspflicht der Schwangeren für ihre Familie, Straffälligkeit oder Erwerbsunfähigkeit des Mannes, eine soziale Notlage im Sinne der vorgeschlagenen Vorschrift begründen können.

Ausserdem wird deutlich gesagt, dass die soziale Indikation nur dann Grund zum Schwangerschaftsabbruch bildet, wenn die Notlage im einzelnen Fall durch die zur Verfügung stehenden Mittel nicht anders abgewendet werden kann. Damit ist die Subsidiarität des Schwangerschaftsabbruchs gegenüber anderen Möglichkeiten klar ausgesprochen. Der Schwangerschaftsabbruch soll auch hier nur ein letzter Notbehelf sein.

Überdies wird
erklärt, dass nicht jede, sondern nur eine schwere soziale Notlage Grund zum Schwangerschaftsabbruch abgibt. Es kommt also nicht auf die Einschätzung der Situation durch die Schwangere an, sondern die Notlage muss objektiv beurteilt schwer sein.

751 Bei der sozialen Indikation verdienen die mit dem Eingriff für die Gesundheit der Schwangeren verbundenen Gefahren besondere Berücksichtigung, weshalb der Eingriff auf das Ende der zwölften Woche nach Beginn der letzten Periode befristet wird. Bis zu diesem Stadium der Schwangerschaft ist der Eingriff noch relativ ungefährlich.

Der Entscheid über das Vorliegen der Indikation kann nicht vom Arzt getroffen werden, nicht nur, weil ihm die Zeit zu den erforderlichen eingehenden Abklärungen fehlt, sondern insbesondere deshalb, weil ihm die Ausbildung zu solchen Ermittlungen abgeht und ihm die Hilfen, welche dazu beansprucht werden müssen, nicht zur Verfügung stehen. Der Entscheid kann weder der Beratungsstelle noch der zur Abklärung einer aufgezwungenen Schwangerschaft vorgesehenen Untersuchungsstelle (vgl. Art. 6) übertragen werden. Die Beratungsstelle soll von allen Untersuchungs- und Entscheidungsbefugnissen frei bleiben, auch wenn sie nicht von einer privaten Organisation betrieben wird ; sie soll einzig für die erforderliche Beratung und Hilfe zur Verfügung stehen. Die Untersuchungsstelle muss mit Personen besetzt werden, die sich besonders für die Abklärung einer aufgezwungenen Schwangerschaft eignen.

Die Ermittlungen über die Voraussetzungen der sozialen Indikation sollten nur Personen anvertraut werden, die über entsprechende Sachkenntnisse verfügen. Diesem Gedanken Rechnung tragend, sah der entsprechende Expertenvorschlag die Schaffung von besonderen kantonalen Sozialkorrrmissionen vor, welche die erforderlichen Abklärungen vorzunehmen und über die Zulässigkeit des Schwangerschaftsabbruchs aus sozialen Gründen zu entscheiden hätten. Ein solches Verfahren erwiese sich aber in der praktischen Anwendung als zu schwerfällig. Es stiess denn auch im Vernehmlassungsverfahren auf entschiedene Ablehnung, selbst bei einem Teil der Befürworter der sozialen Indikation. Der Bundesrat schlägt deshalb eine andere, der medizinischen und der eugenischen Indikation (vgl. Art. 4 und 7) nachgebildete Regelung vor.

Entsprechend den Vorschriften über die erforderliche Begutachtung bei der medizinischen und der eugenischen Indikation wird die Einholung eines zustimmenden Sozialgutachtens vorgesehen (Art. 5 Ziff. l Abs. 1). Die Begutachtung soll durch einen erfahrenen, an einer sozialen Schule ausgebildeten
Sozialarbeiter erfolgen. In Ziffer 3 Absatz l wird dementsprechend und analog den Artikeln 4 und 7, je Ziffer 3 Absatz l, bestimmt, dass das Gutachten von einem für die soziale Läge der Schwangeren sachverständigen, diplomierten Sozialarbeiter zu erstatten sei, der von der Sanitätsbehörde des Kantons, in dem die Schwangere ihren Wohnsitz hat oder in dem der Eingriff erfolgen soll, allgemein oder von Fall zu Fall zu bezeichnen wäre. Die Kantone hätten hiefür, wie für die Gutachter bei der medizinischen Indikation, eine Liste aufzustellen, in die sowohl in öffentlichen wie in privaten Diensten stehende Sozialarbeiter aufgenommen werden können.

Auch in bezug auf die Verpflichtung des den Eingriff vornehmenden Arztes, das Gutachten der kantonalem Sanitätsbehörde einzureichen, um dieser eine Aufsicht über die Gutachtertätigkeit der einzelnen Sozialarbeiter zu ermöglichen, soll

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das gleiche gelten wie bei der medizinischen und der eugenischen Indikation (Ziff. 3 Abs. 2).

Im Unterschied zum ärztlichen und zum eugenischen Gutachten soll das Sozialgutachten für die Schwangere kostenlos sein (Ziff. 3 Abs. 3).

Was die Ausführung des Eingriffs auf Grand der sozialen Indikation betrifft - Voraussetzung der schriftlichen Zustimmung der urteilsfähigen Schwangeren oder des gesetzlichen Vertreters der nicht urteilsfähigen Schwangeren, Ausführung durch einen diplomierten, in der Schweiz zur Ausübung des Berufes zugelassenen Arzt, Entscheid des Arztes über die Ausführung, allfällige Gegenindikationen, die Art und Weise der Durchführung des Eingriffes - so ist sie in derselben Weise geregelt wie für die medizinische und die eugenische Indikation.

731.3 Die sogenannte juristische oder ethische Indikation (Art. 6) Unter der Überschrift «Abbruch einer aufgezwungenen Schwangerschaft» regelt der Artikel 6 die Indikation, welche üblicherweise, jedoch etwas irreführend als juristische oder ethische bezeichnet wird.

Die Schwangerschaft ist aufgezwungen, wenn sie die Folge einer strafbaren Handlung an der Frau ist. Deshalb ist vorerst zu bestimmen, welche Straftaten Grund zu der Indikation bilden sollen. Der Kreis dieser Delikte ist eng zu ziehen.

Berücksichtigt werden die Notzucht (Art. 187 StGB), die Schändung (Art. 189 Abs. l StGB), die Unzucht mit Schwachsinnigen (Art. 190 Abs. l StGB) und die Unzucht mit Kindern (Art. 191 StGB). Weil ausnahmsweise auch andere unzüchtige Handlungen im Sinne von Artikel 191 Ziffer 2 StGB zu einer Schwängerung führen können, werden alle unter diesen Artikel fallenden Taten als Grund der Indikation berücksichtigt. Hingegen wurde davon abgesehen, die Blutschande (Art. 213 StGB) zu erwähnen. Dies einmal deswegen, weil Blutschande an Mädchen unter 16 Jahren durch Artikel 191 Ziffer l Absatz 2 als qualifizierte Unzucht mit Kindern bestraft wird ; zum ändern, weil in den übrigen Fällen gegebenenfalls die eugenische Indikation angerufen werden kann.

Die Abklärung, ob eine solche Straftat vorliegt, ist in einzelnen Fällen nicht einfach. Weil es sich um die Wahrung der Interessen der Schwangeren handelt, darf nicht verlangt werden, dass die betreffende strafbare Handlung mit einer solchen Sicherheit nachgewiesen ist, wie sie für eine Verurteilung des Täters gefordert werden muss. Es genügt vielmehr, wenn «hinreichend glaubhaft ist, dass die Schwangerschaft Folge einer strafbaren Handlung» dieser Art ist. Die Schwangere trägt keine über ihre glaubwürdigen Aussagen hinausgehende Beweislast, selbst wenn die Tat im Ausland begangen worden ist.

Keine Schwierigkeiten entstehen, wenn es sich um Unzucht mit Kindern handelt, weil das Delikt vorliegt, wenn eine sexuelle Handlung an einem Kind unter 16 Jahren ausgeführt wurde. Stellt sich heraus, dass ein noch nicht 16 Jahre altes Mädchen schwanger ist, so ist die Indikation ohne weiteres gegeben. Sollte später einmal die durch Artikel 191 StGB bestimmte Altersgrenze herabgesetzt

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werden, so entstünden hinsichtlich des Nachweises der aufgezwungenen Schwangerschaft keine neuen Probleme ; der Umfang der Indikation verringerte sich in demselben Masse, wie die Strafbarkeit erlöscht.

Schwierigkeiten können ebensowenig auftreten, wenn eine Schändung im Sinne von Artikel 189 Absatz l StGB in Frage steht und der durch Artikel 189 vorausgesetzte Zustand des Opfers während längerer Zeit andauert, so wenn die Schwangere blödsinnig, geisteskrank oder dauernd zum Widerstand unfähig ist.

Zweifel können einzig auftauchen, wenn die Schwangere geltend macht, sie sei im Zustande der Bewusstlosigkeit oder vorübergehender Widerstandsunfähigkeit geschwängert worden.

Erhebliche Schwierigkeiten in der Feststellung der Tat sind möglich, wenn die Schwangerschaft Folge der Unzucht mit Schwachsinnigen im Sinne von Artikel 190 Absatz l StGB gewesen sein soll. Die bundesgerichtliche Rechtsprechung setzt allerdings einen Schwachsinn voraus, welcher beinahe dem Blödsinn im Sinne von Artikel 189 Absatz l StGB entspricht (BGE 82 [1956] IV 154). Doch selbst die Prüfung, ob die Schwangere in diesem Grade schwachsinnig ist, kann zuweilen nicht ganz einfach sein.

Besondere Schwierigkeiten in der Abklärung des Sachverhaltes sind zu erwarten, wenn die Schwangere geltend macht, dass sie das Opfer einer Notzucht geworden war. Dabei ist nicht nur an die Fälle vorgespiegelter Notzucht zu denken, sondern überdies daran, dass die rechtliche Beurteilung des zweifellos feststehenden Sachverhaltes ungewiss sein kann. Denn nach bundesgerichtlicher Rechtsprechung übt der Täter Gewalt und begeht Notzucht mit jeder Anwendung köperlicher Kraft, die über das hinausgeht, was üblicherweise zur Ausführung der Handlung erforderlich ist (BGE 87 [1961] IV 68 E. 1). Zweifel, ob Notzucht begangen wurde, können sich ferner m den Fällen einstellen, in denen die Frau zuerst mit den sexuellen Handlungen einverstanden war (siehe den zweiten in BGE 97 [1971] IV 77 erwähnten Fall Y, sowie insbesondere SJZ 1965 81 Nr. 44, 1966 11 Nr. 3). Anderseits ist nicht zu übersehen, dass in vielen Fällen wenigstens der Beweis der Tat leicht geleistet werden kann, nämlich dann, wenn die Frau sich unverzüglich zur Polizei begibt und deutliche Spuren vorweisen kann.

In allen Fällen genügt, dass der objektive Tatbestand der in Frage stehenden Straftaten
glaubhaft gemacht wird. Ob der Täter ermittelt werden kann und ob er verurteilt werden muss, ist unerheblich. So spielt es keine Rolle, ob der Täter freizusprechen ist wegen Irrtums im Sachverhalt gemäss Artikel 19 Absatz l StGB, weil er die Geisteskrankheit oder die Geistesschwäche des Opfers nicht erkannte, oder weil er selber seelisch so abnorm ist, dass ihm die Zurechnungsfähigkeit abgeht. Massgebend sind einzig die Interessen der Geschädigten, weshalb die Indikation begründet ist, wenn die objektiven Tatbestandsmerkmale glaubhaft gemacht werden. Deswegen spielt es keine Rolle, ob Unzucht mit Kindern im Sinne von Artikel 191 Ziffer l und 2 oder Ziffer 3 StGB vorliegt.

Wegen der Schwierigkeiten, die tatsächlichen Voraussetzungen dieser Indikationen mit einiger Gewissheit zu ermitteln, kommt der Frage, wer die Feststellungen treffen soll, entscheidende Bedeutung zu. Es bedarf keiner Begründung,

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dass dies keine ärztliche Aufgabe ist, geht dem Arzt doch die erforderliche Vorbildung zu derartigen Ermittlungen ab, ferner verfügt er nicht über die dazu nötigen Hilfen, ganz abgesehen davon, dass er dazu einfach nicht die Zeit hat. Es stellte sich die Frage, ob diese Aufgabe den Behörden der Strafverfolgung übertragen werden könne ; denn sie haben sich in aller Regel mit derartigen Abklärungen zu befassen. Indessen ist diese Lösung ungeeignet. Die Schwangere kann gute Gründe haben, eine Strafverfolgung mit der öffentlichen Urteilsverhandlung zu vermeiden; deswegen darf sie nicht gezwungen werden, sich an die Strafbehörden zu wenden, wenn sie einen Schwangerschaftsabbruch aus diesem Grunde erwirken möchte. Die mögliche Lösung, den Behörden der Strafverfolgung das Einleiten einer Strafuntersuchung nur dann zu gestatten, wenn die Schwangere ausdrücklich dazu einwilligt, führt zu der Seltsamkeit, dass ausgerechnet diese Behörden von schweren Straftaten wissen, ohne einschreiten zu dürfen. Endlich ist zu erwägen, dass die Behörden der Strafverfolgung darauf eingestellt sind, im Zweifel zu Gunsten des Beschuldigten zu entscheiden, während in den hier zu führenden Ermittlungen im Zweifel zu Gunsten der Frau entschieden werden muss. Ein solcher Entscheid könnte jedoch so aufgefasst werden, dass die Behörde sich zum vornherein zu Ungunsten des Täters festlegte, weshalb sie später in der Strafuntersuchung als befangen erscheinen könnte. Aus allen diesen Gründen ist die Ermittlung, ob eine aufgezwungene Schwangerschaft vorliegt, nicht durch die Behörden der Strafverfolgung zu führen, sonden einer besonderen Untersuchungsstelle zur Prüfung und zum Entscheid zu übertragen (Art. 6 Ziff. 2).

Die Kantone sind verpflichtet, solche Untersuchungsstellen einzurichten.

Diese Stelle soll nicht identisch sein mit der Beratungsstelle, damit die Aufgabe der Beratungsstelle ausschliesslich das Vermitteln von Hilfe ist, ohne dass ihr irgendwelche Entscheidungsbefugnisse zustehen. Über die Besetzung der Untersuchungsstelle und über die Zahl ihrer Mitglieder wird nichts gesagt; es kann eine einzige Person diese Aufgabe erfüllen. Artikel 13 gibt den Kantonen die Möglichkeit, Vereinbarungen zur gemeinsamen Einrichtung von Untersuchungsstellen zu treffen.

In Anlehnung an Artikel 348 Absatz l StGB ist örtlich zuständig die
Stelle des Kantons, in dem die Schwangere wohnt; es ist jedoch kein zivilrechtlicher Wohnsitz nötig, sondern der tatsächliche Aufenthalt genügt1'. Weder Wohnsitz noch Niederlassung ist gefordert. BGE 76 [1950] IV 269 E. 3 entschied deshalb, der Wohnort eines Beschuldigten befinde sich im Sinne von Artikel 348 StGB «am Orte des Mittelpunktes seines Lebens, in der Regel also dort, wo er für sich und seine Familie eine Wohnung eingerichtet hat und bewohnt oder wo er gewöhnlich nächtigt». BGE 97 [1971] IV 152 erklärt kurz und bündig, unter dem Wohnort sei «der Mittelpunkt des Lebens des Beschuldigten» zu verstehen. Auf den Wohnort wurde verwiesen, weil die in Frage stehenden Straftaten häufig, wenn nicht meistens, in dessen Nähe ausgeführt werden, weshalb die Abklärung, ob die Aussagen der Schwangeren glaubhaft sind, in der Regel dort leichter und rascher durchgeführt werden kann als am Orte des Wohnsitzes. Der Unterschied D Thormann/v. Overbeck, Kommentar Band III, zu Art. 348 StGB N. 4 S. 517

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ist besonders für unmündige, in der Ausbildung stehende oder bevormundete Schwangere wichtig Die Untersuchungsstelle ist verpflichtet, den Sach\erhalt abzuklären Sie kann die Ermittlungen selber durchführen und ist m diesem Fall «berechtigt, Zeugen nach den Vorschriften des Strafverfahrens abzuhören» (Art 6 Ziff 2 Abs 2) Gemeint ist das im betreffenden Kanton geltende Strafverfahren welches über das bei der Zeugenabhorung zu beobachtende Vorgehen, das Recht, die Aussage zu verweigern, und die Rechtsfolgen grundloser Verweigerung der Aussage zu bestimmen hat Die Untersuchungsstelle kann Sachverstandige beiziehen Ausserdem sind die Behörden anderer Kantone m entsprechender Anwendung von Artikel 352 StGB und folgende zur Rechtshilfe verpflichtet (Ziff 2 Abs l Satz 3) Die hier vorgesehene Regelung lasst keinen Zweifel darüber ollen, dass die Untersuchungsstelle im Sinne von Artikel 309 StGB befugt ist, Zeugen abzuhören, und dass falsche Aussagen der von ihr befragten Zeugen gemass Artikel 307 StGB strafbar sind Besonders heikel ist das Verhältnis der Untersuchungsstelle zu den Behörden der Strafverfolgung zu denen auch das urteilende Gericht gehört Weil die Interessen der Schwangeren im Vordergrund stehen, darf die Untersuchungsstelle den Organen der Strafverfolgung nur mit Zustimmung der Schwangeren Ermittlungen übertragen Wurde diese Zustimmung erteilt, so steht es den Behörden der Strafjustiz frei, die erhaltenen Kenntnisse zu verwerten und eine Strafverfolgung gegen den Tater einzuleiten Von dieser Ausnahme abgesehen, schieibt Artikel 6 Ziffer 2 Absatz 3 der Untersuchungsstelle ausdrucklich \ or, dass «allen Behörden gegenüber das Amtsgeheimnis zu wahren» ist, allerdings «unter Vorbehalt einer Strafanzeige wegen falschen Zeugnisses» begangen im Verfahren vor der Untersuchungsstelle, «und der Meldepflicht an die obere Stelle» Hervorzuheben ist, dass die Bestimmung von der Wahrung des Amtsgeheimnisses gegenüber «allen» anderen Amtsstellen spricht Damit ist beispielsweise sichergestellt, dass ein Opfer von Unzucht mit Kindern nicht befürchten muss der Vormundschaftsbehorde gemeldet zu werden, und deswegen zu einem illegalen Schwangerschaftsabbruch Zuflucht nimmt Ausserordentlich schwierig war es eine eimgermassen befriedigende Losung zu finden, durch die einerseits erreicht wird, dass die Begehren um
Abbruch einer aufgezwungenen Schwangerschaft möglichst früh eingereicht werden, damit der Eingriff nicht m einem allzu spaten Stadium der Schwangerschaft ausgeführt werden muss, und anderseits verhindert wird, dass eine dieser Indikation oder dem Schwangerschaftsabbruch überhaupt abweisend eingestellte kantonale Untersuchungsstelle das Begehren liegen lasst Was den Zeitpunkt des Einreichern des Begehrens betrifft, so lehrt die Erfahrung, dass geistesschwache Schwangere ihren Zustand häufig nicht erkennen, weswegen die Schwangerschaft erst sehr spat festgestellt wird, nämlich dann, wenn Dritte deren Anzeichen wahrnehmen können Zudem ist nicht ausser acht zu lassen, dass die Opfer einer Straftat insbesondere von Notzucht nicht selten mit der Strafanzeige zuwarten, bis sie feststellen können, ob sie schwanger gewor-

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den sind. Die in Artikel 6 Ziffer 2 Absatz 4 vorgeschlagene Regelung geht von diesen Erfahrungen aus und hält einzig die urteilsfähige Frau, welche behauptet, Opfer einer Notzucht oder einer Schändung geworden zu sein, an, das Begehren um Abbruch der Schwangerschaft innerhalb von sechs Wochen nach der Tat einzureichen. Die Frist gilt nicht für Schwachsinnige, weil sie, erreicht ihr Schwachsinn den durch Artikel 190 StGB oder gar Artikel 189 StGB vorausgesetzten Grad, nicht als urteilsfähig angesehen werden können. Auch für Kinder im Sinne von Artikel 191 StGB gilt die Frist nicht. Die vorgesehene Frist von sechs Wochen lässt der urteilsfähigen Frau genügend Zeit zu überlegen, ob sie das Begehren stellen will.

Die Untersuchungsstelle wird durch Artikel 6 Ziffer 2 Absatz 4 verpflichtet, unverzüglich, spätestens aber vier Wochen nach Eingang des Begehrens zu entscheiden. Unverzüglich soll die Stelle entscheiden, wenn mit der Tatsache der Schwangerschaft der Tatbestand einer strafbaren Handlung ohne weiteres feststeht. Dies trifft für die Fälle von Unzucht mit Kindern zu, weshalb sie als Beispiel eines unverzüglichen Entscheides über das Begehren ausdrücklich erwähnt werden (Abs. 4 Satz 3).

Um eine rasche Entscheidung über das Begehren und einen Entscheid überhaupt zu sichern, verpflichtet Artikel 6 Ziffer 2 Absatz 5 die Kantone, eine obere Stelle vorzusehen, welcher jedes Begehren um Abbruch einer aufgezwungenen Schwangerschaft zu melden ist. Ausserdem hat die obere Stelle die Aufgabe, das Verfahren zu überwachen. Damit wird gesagt, dass sie die Untersuchungsstelle zu beförderlicher Durchführung und Erledigung anhalten, ihr aber auch mit Rat zur Seite stehen soll. Ausserdem hat die obere Stelle sofort zu entscheiden, wenn die Untersuchungsstelle nach Ablauf von vier Wochen noch nicht entschieden hat.

Die Regeln des Artikels 6 über die Untersuchungsstelle und die obere Stelle sollen gemäss Artikel 14 Buchstabe c durch Verordnungsbestimmungen ergänzt werden.

Im übrigen sind die Voraussetzungen des Eingriffs auf Grund dieser Indikation gleich geregelt wie für die ändern Indikationen.

Weil die Untersuchungsstelle eine Amtsstelle ist, die zudem unter der Aufsicht einer oberen Stelle steht, ist es nicht erforderlich, dass für den Abbruch einer aufgezwungenen Schwangerschaft eine besondere Meldepflicht
vorgeschrieben wird.

Das Verfahren soll kostenlos sein (Ziff. 2 Abs. 6).

731.4 Die eugenische Indikation (Art. 7) Artikel 7 sieht unter der Überschrift «Abbruch der Schwangerschaft wegen Schädigung des Kindes» die eugenische Indikation vor.

Da die heute zur Verfügung stehenden Untersuchungsmethoden nicht in allen Fällen der in Betracht kommenden Schädigungen des Kindes erlauben, mit Sicherheit festzustellen, dass eine solche Schädigung vorliegt, muss sich der Ge-

757 setzgeber damit begnügen, dass eine hohe Wahrscheinlichkeit der Schädigung besteht Deshalb formuliert Artikel 7 Ziffer l, es musse \ orauszusehen sein, «dass das Kind mit hoher Wahrscheinlichkeit geistig oder körperlich dauernd schwer geschadigt sein wurde» Dauernd bedeutet lebenslänglich Es versteht sich, dass die Indikation erst recht gegeben ist, wenn die Untersuchung mit Sicherheit eine Schädigung dieser Art ergibt Anhaltspunkte für die Auslegung der Bestimmung über die eugenische Indikation gibt eine am 31 Mai 1972 von Professor H Moser Umversitatskmderklimk Bern, und von Professor G von Muralt, Frauenklinik Bern, zuhanden der Expertenkommission ausgearbeitete Liste der m Frage kommenden Schädigungen des Kindes Dann werden als eindeutige Indikationen bezeichnet Chromosomale Aberrationen, so letale Krankheiten, schwere geistige Entwicklungsruckstande oder körperliche Missbildungen, wie die verschiedenen Formen des Mongoloismus, monofaktonell bedingte Erbkrankheiten, die trotz optimaler postnataler Behandlung mit einem normalen Leben nicht vereinbar sind, wie progrediente genetische Krankheiten von der Art der Muskeldy strophien oder der Muco viscido se, oder progrediente Krankheiten des Zentralnervensystems mit Stoffwechselstorungen, endlich virale Embryopathien, wie die Rotelnembryopathie Wenn die eugenische Indikation die Straflösigkeit des Schwangerschaftsabbruchs in solchen Fallen vorsieht kann die Problematik, die damit gegeben ist, nicht verschwiegen werden Auf keinen Fall darf mit der eugenischen Indikation der Eindruck erweckt werden, dass zwischen wertvollem und wertlosem Leben unterschieden wird und dass der schwer und dauernd geschadigte Mensch straflos beseitigt werden kann Wie für den bereits geborenen schwer und dauernd geschadigten Menschen der rechtliche Schutz unbestritten ist und jede Form von Euthanasie abgelehnt wird, muss der gleiche Grundsatz auch für den Ungeborenen gelten Nur wegen der ausweglosen Konfliktsituation, m der sich gleichrangige Werte gegenüberstehen, erscheint die eugenische Indikation verantwortbar Im übrigen ist der Artikel 7 gleich formuliert wie der Artikel 4 über die medizinische Indikation, mit dem einzigen Unterschied, dass von einem «Gutachten» statt von einem «arztlichen Gutachten» und beim Gutachter von einem «für den Zustand des Kindes
Sachverstandigen» statt von einem «für den Zustand der Schwangeren sachverstandigen Arzt» gesprochen wird Denn je nach dem Zustand des Kindes können bei der eugemschen Indikation als Gutachter auch andere Wissenschaftler, insbesondere Genetiker und Biologen in Betracht fallen 732 Die Tarifierung der Begutachtung und des Eingriffs (Art 8) In unserem Land gemachte Erfahrungen, insbesondere jedoch die Art, wie m anderen Landern aus dem Schwangerschaftsabbruch ein Geschäft gemacht und dafür bis m die Schweiz hinein Reklame getrieben wird, lassen erkennen, dass eine Liberalisierung Arzte, begutachtende Sachverstandige und Inhaber von Privatklmiken dazu verfuhren konnte, ebenfalls solche Praktiken einzuschlagen Um

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allen solchen Bestrebungen den Riegel zu schieben, gibt es ein einziges Mittel : Die Ausführung eines Schwangerschaftsabbruchs darf nicht gewinnbringender sein als andere Operationen. Die unentgeltliche Ausführung des Schwangerschaftsabbruchs vorzusehen, muss allerdings ausser Betracht fallen, weil eine solche Regelung den grundsätzlichen Entscheid, das keimende Leben zu schützen, anzuzweifeln erlauben könnte, und weil es nicht zu verstehen wäre, weshalb diese Operation und die vorausgehende Begutachtung, jedoch nicht die Behandlung schwerer Krankheiten, unentgeltlich erklärt würde; auch wäre es stossend, wenn die Frau oder ihre Familie die Kosten der Geburt und der Verhütungsmittel, nicht aber des straflosen Schwangerschaftsabbruchs tragen müsste.

Deshalb sollen nach Artikel 8 die Kantone dafür sorgen, dass für die Begutachtung und den Eingriff Tarife mit niedrigen Ansätzen angewendet werden. Die Umschreibung «Tarife mit niedrigen Ansätzen» bedeutet, dass feste Summen bestimmt und keine Rahmentarife aufgestellt werden sollen. Denn mit festen Ansätzen lässt sich Missbräuchen besser vorbeugen als mit Rahmentarifeu. Die Tarife sind nach Anhören der ärztlichen Berufsvereinigungen aufzustellen. In den Tarifen werden auch die Kosten des Spitalaufenthaltes und andere Nebenkosten (z.B. Kosten lür Untersuchungen, die im Zusammenhang mit der Begutachtung und dem Eingriff nötig sind) zu regeln sein. Die Kostenansätze sollen in gleicher Weise für Privat- und Krankenkassenpatientinnen und auch für Ausländerinnen gelten; denn es handelt sich dabei nicht um Krankenkassentarife. Die Formulierung, dass die Kantone für die Anwendung der Tarife zu sorgen haben, besagt, dass es mit der Aufstellung der Tarife nicht getan ist, sondern dass die Kantone auch die Befolgung der Tarife genau zu überwachen haben.

733 Ergänzende Straibestimmungen

733.1 Die Nichtbeachtung sachlicher Voraussetzungen (Art. 9) 733.11 Die Verantwortlichkeit des Arztes (Art. 9 Abs. 1) Bricht ein Arzt eine Schwangerschaft ab, ohne dass die Voraussetzungen einer der gesetzlich vorgesehenen Indikationen gegeben sind, und ist sich der Arzt bewusst, dass sie fehlen, so begeht er vorsätzlich einen unerlaubten Schwangerschaftsabbruch und ist nach dem Entwurf wegen Abtreibung gemäss Artikel 3 Ziffer l Absatz l strafbar. Dafür, dass ein unerlaubter Eingriff vorgenommen wurde, spricht oft schon allein die Tatsache, dass das durch das Gesetz vorgesehene Verfahren der Begutachtung oder der Abklärung, ob die Indikation gegeben ist, nicht eingehalten wurde. Indessen kann es vorkommen, dass in Wirklichkeit die Indikation gegeben war; dann lässt das Nichtbefolgen des vorgeschriebenen Verfahrens nicht auf eine Abtreibung schliessen. Anderseits ist zu beachten, dass ein Irrtum darüber, ob die sachlichen Voraussetzungen eines erlaubten Abbruchs gegeben sind, ein Sachverhaltsirrtum im Sinne von Artikel 19 StGB ist, welcher den Vorsatz und damit die Strafbarkeit wegen Abtreibung ausschliesst. Schliess-

759

lieh ist an den Fall eines erkennbar liederlichen Gutachtens zu denken, das beim operierenden Arzt Zweifel erwecken sollte, ob der Abbruch wirklich erlaubt ist.

In allen diesen Fällen, in denen zwar keine Abtreibung vorliegt oder wenigstens nicht mit Gewissheit nachgewiesen werden kann, springt Artikel 9 Absatz l ein, welcher dem «Arzt, der grob fahrlässig annimmt, es sei ein gesetzlich anerkannter Grund für den Schwangerschaftsabbruch gegeben, und die Schwangerschaft abbricht», Gefängnis, Haft oder Busse in Aussicht stellt.

Grob fahrlässig bedeutet, dass der Arzt ein Verhalten bekundete, wie es einem auch nur einigermassen pflichtbewussten Arzt nie hätte unterlaufen dürfen.

Das Verhalten ist derart leichtsinnig und unbekümmert, wie es in anderen Rechten mit dem Ausdruck «leichtfertig» bezeichnet wird. Es handelt sich um eine ganz unverständliche Verletzung der dem Arzt gebotenen Pflichten.

733.12 Die Verantwortlichkeit des Sachverständigen (Art. 9 Abs. 2) Artikel 9 Absatz 2 droht Gefängnis, Haft oder Busse dem begutachtenden Sachverständigen und den für die Bewilligung des Schwangerschaftsabbruchs zuständigen Personen an, «die grob fahrlässig das Vorhandensein fehlender gesetzlicher Voraussetzungen für den Schwangerschaftsabbruch bescheinigen».

Die hier vorgesehene Strafdrohung ist, vor allem soweit sie den Sachverständigen betrifft, voraussichtlich von grösserer Bedeutung als die, welche für den operierenden Arzt gilt. Denn die Gefahr der Umgehung der durch die Indikationenlösung getroffenen Regelung liegt weniger beim operierenden Arzt, der sich in aller Regel durch eine zumindest scheinbar den gesetzlichen Anforderungen genügende Begutachtung zu sichern sucht. Dafür sprechen wenigstens die bis jetzt mit der medizinischen als einziger Indikation gemachten Erfahrungen. Deswegen muss in erster Linie der Gefahr begegnet werden, dass Sachverständige in leichtfertiger Weise bekunden, es liege ein Grund zum Abbruch der Schwangerschaft vor. Ob dies der Fall ist, wird sich nicht leicht nachweisen lassen. Insbesondere kann das rasche Erstatten eines Gutachtens nicht ohne weiteres als Anhaltspunkt dafür angesehen werden, dass es leichtfertig erstattet wurde. Denn es gibt Fälle, in denen der Grund für den Schwangerschaftsabbruch offenkundig ist, weshalb er auf einfache Weise und rasch festgestellt werden kann. Insbesondere hinsichtlich der psychiatrischen Gutachten muss darauf hingewiesen werden, dass die Dauer der Besprechung der Schwangeren mit dem Arzt keinen Schluss auf die Zuverlässigkeit der Begutachtung zulässt. Ob ein Gutachter in grob fahrlässiger Weise zu Unrecht annahm, die Voraussetzungen des erlaubten Abbruchs seien gegeben, wird sich vermutlich nur in seltenen Fällen auf Grund eines einzigen Falles nachweisen lassen. Die durch die Artikel 4, 5 und 7, je Ziffer 3 Absatz 2, vorgeschriebene Einsendepflicht für, Gutachten erlaubt aber der zuständigen kantonalen Sanitätsbehörde, Anhaltspunkte zu gewinnen, um zu entscheiden, ob eine Strafuntersuchung auf Grund von Artikel 9 Absatz 2 angezeigt erscheint.

760 Zu Artikel 9 Absätze l und 2 sei noch bemerkt, dass die beiden Strafbestimmungen, zusammen mit der administrativen Überwachung, ein taugliches Mittel sein sollten, um die Teambildung eines leichtfertigen Begutachters mit einem entsprechend eingestellten Frauenarzt oder Chirurgen zu verhindern.

733.2 Die Nichtbeachtung formeller Voraussetzungen (Art. 10) In Artikel 10 wurden die Strafbestimmungen zusammengefasst, welche zur Anwendung gelangen, wenn zwar eine gesetzlich erlaubte Indikation vorliegt, jedoch das einzuschlagende Verfahren nicht befolgt wurde.

Artikel 10 Ziffer l Absatz 2 nennt als ersten Fall die Ausführung des Eingriffs, «ohne dass die Zustimmung der Schwangeren oder ihres gesetzlichen Vertreters schriftlich vorliegt». Die Reihenfolge der Worte ist absichtlich so gewählt, um deutlich zu sagen, dass wenigstens die mündliche Zustimmung der Schwangeren oder ihres gesetzlichen Vertreters gegeben worden seinmuss. Sonst würde sich der Arzt der qualifizierten Abtreibung im Sinne von Artikel 3 Ziffer 2 Absatz 2 des Entwurfs schuldig machen.

Nach Ziffer l Absatz 3 macht sich der Arzt strafbar, der den Eingriff vornimmt, ohne dass das erforderliche Gutachten vorliegt, und nach Ziffer l Absatz 4 der Arzt, der eine Schwangerschaft abbricht, ohne diplomiert und in der Schweiz zur Ausführung des Berufes zugelassen zu sein. Die Strafe ist Haft oder Busse.

Dieselbe Strafe droht Artikel 10 Ziffer 2 dem Arzt an, der einen als Notstandshilfe ausgeführten Eingriff nicht meldet, und Ziffer 3 dem Arzt, welcher die durch die Artikel 4, 5 und 7, je Ziffer 3 Absatz 2, vorgesehene Einreichung des Gutachtens unterlässt.

In allen Fällen sieht Artikel 10 in Abweichung von Artikel 333 Absatz 3 StGB nur bei vorsätzlicher Begehung Bestrafung vor.

733.3 Die Überschreitung der Tarife (Art. 11) Artikel 11 ergänzt die Regelung über die Tarifierung der Begutachtung und des Eingriffs (Art. 8), indem er Gefängnis bis zu sechs Monaten, Haft oder Busse dem androht, der die genannten Tarife überschreitet. Eine strafbare Handlung im Sinne dieser Bestimmung liegt auch dann vor, wenn zwar nicht die Rechnung für den Eingriff selber, doch die Rechnungen für damit verbundene Leistungen, beispielsweise die Aufnahme in eine Privatklinik, übersetzt sind. Die Bestrafung, des Arztes oder des für die Rechnungsstellung eines
Krankenhauses Verantwortlichen wegen Wuchers (Art. 157 StGB) wird durch Artikel 11 nicht ausgeschlossen.

Über Vermögensvorteile, die durch Tarifüberschreitung unrechtmässig erlangt worden sind, verfügt der Richter nach den im Zusammenhang mit dem Bundesgesetz vom 22. März 1974 über das Verwaltungsstrafrecht revidierten Artikeln 58-60 StGB über die Einziehung (vgl. Amtl. Bull. Nationalrat 1973 S. 469 und

761

S 495ff, Standerat 1973 S 579ff, sowie BB1 7974 I 727 und 763) Nach dem neuen Artikel 58 StGB hat der Richter nämlich nicht mehr nur die Einziehung von gefährlichen Gegenstanden zu verfugen, die im Zusammenhang mit einer strafbaren Handlung eine Rolle gespielt haben In Zukunft muss er auch Gegenstande und Vermögenswerte einziehen, die durch eine strafbare Handlung hervorgebracht oder erlangt worden sind, an oder mit denen eine strafbare Handlung begangen wurde oder die zur Begehung einer strafbaren Handlung bestimmt waren, soweit die Einziehung zur Beseitigung eines unrechtmassigen Vorteils oder Zustandes als geboten erscheint Sind die Gegenstande oder Vermögenswerte bei demjenigen, der durch sie einen unrechtmassigen Vorteil erlangt hat und bei dem sie einzuziehen waren, nicht mehr vorhanden, so hat der Richter auf eine Ersatzforderung des Staates m der Hohe des unrechtmassigen Vorteils zu erkennen Die Texte der Expertenkommission sahen eine besondere Bestimmung über die Einziehung von durch Tanfuberschreitung erzielten Gewinnen vor, jedoch lediglich deshalb, weil zur Zeit ihrer Beratungen die Revision der Artikel 58-60 StGB noch nicht feststand

734 Die Strafverfolgung (Art 12) Weil die Abtreibung (Art 3) und die ergänzenden Strafbestimmungen (Art 9-11) kerne Straftatbestande des Strafgesetzbuches sind, deren Verfolgung durch Artikel 343 StGB den kantonalen Behörden zugewiesen wird, muss m Artikel 12 ausdrücklich gesagt werden, dass die Strafverfolgung den Kantonen obliegt

74

Schlussbestimmungen

741 Kantonale Vereinbarungen (Art 13) Artikel 13 ermächtigt die Kantone. Vereinbarungen über die gemeinsame Einrichtung von Beratungsstellen im Sinne von Artikel l und Untersuchungsstellen im Sinne von Artikel 6 zu treffen Diese Möglichkeit ist vor allem für die Schaffung von Beratungsstellen von Bedeutung und soll insbesondere kleineren Kantonen dienen, denen es schwer fallt, die für die Beratungsstellen vorgesehenen Mitglieder verschiedener Berufsrichtung zu finden Die gemeinsame Einrichtung kann aber auch so geschehen, dass ein an einen grosseren Kanton angrenzender kleinerer Kanton sich den m diesem Kanton errichteten Beratungsstellen anschliesst Es ist darauf zu achten, dass die Bewohnerinnen aller Kantone die für sie bestimmten Stellen ohne grossere Muhe aufsuchen können Um lange Anreisewege zu vermeiden, sollten deshalb in grosseren Kantonen mehrere Stellen eingerichtet werden

762 742 Ausfuhrungsbestinimungen (Art. 14) Artikel 14 verpflichtet den Bundesrat, nach Anhören der Kantone Bestimmungen zu erlassen über - die Beratungsstelle und an sie zu leistende Beiträge, - die Begutachtung nach den Artikeln 4, 5 und 7, - die Untersuchungsstelle und die beaufsichtigende obere Stelle im Sinne von Artikel 6, - die Meldung der Eingriffe nach den Artikeln 4-7 an das Eidgenössische Statistische Amt.

Von den Verordnungsbestimmungen über die Beratungsstelle war bereits am Schluss der Erläuterungen zu Artikel l (vgl. Abschn. 71) die Rede. Was die Begutachtung betrifft, so sollen die Ausführungsbestimmungen Massstäbe zur Beurteilung der Indikationen vermitteln und sich über die Einzelheiten des Verfahrens, beispielsweise die Listen der Gutachter, äussern. Hinsichtlich der Untersuchungsstelle und der beaufsichtigenden oberen Stelle sollte die Ausführungsverordnung Vorschriften über die personelle Besetzung und Richtlinien für das Verfahren enthalten.

Ausserdem soll die Verordnung Vorschriften über die Meldung der auf Grund der verschiedenen Indikationen ausgeführten Eingriffe an das Eidgenössische Statistische Amt enthalten, um den Behörden die Übersicht über die Entwicklung der Dinge und die Unterlagen für allfällige Gesetzes- oder Verordnungsänderungen zu verschaffen.

743

Änderung bisherigen Rechts (Art. 15)

Von der Aufhebung der Artikel 118-121 StGB war bereits bei den Bestimmungen über die Abtreibung die Rede (vgl. Abschn. 72).

743.1 Aufhebung von Artikel 211 StGB (Art. 15 Abs. 1) Artikel 211 Absatz l StGB bedroht mit Busse, wer Gegenstände, die zur Verhütung der Schwangerschaft oder zur Verhütung von Ansteckung mit einer Geschlechtskrankheit dienen, öffentlich in einer Sitte und Anstand verletzenden Weise ankündigt oder ausstellt. Absatz 2 bedroht mit Haft oder Busse, wer solche Gegenstände oder Anpreisungen Personen zusendet, die es nicht verlangt haben und die auch kein berufliches Interesse daran haben; die Bestrafung setzt den Antrag des Verletzten voraus.

Die Bestimmung soll ersatzlos gestrichen werden. Offensichtlich ungehörige Anpreisungen können immer noch gestützt auf Artikel 204 StGB (Unzüchtige Veröffentlichungen) oder Artikel 212 StGB (Gefährdung Jugendlicher durch unsittliche Schriften und Bilder) verfolgt werden.

763

743.2 Änderung des Kranken- und Unfallversicherungsgesetzes (Art. 15 Abs. 2)

Die Frage, ob eine Frau, die Mitglied einer Krankenkasse ist, im Falle eines legalen Schwangerschaftsabbruchs gegenüber der Krankenkasse einen Anspruch geltend machen kann, ist heute immer noch teilweise umstritten, trotzdem von der Aufsichtsbehörde die Frage immer wieder bejaht wurde. Um inskünftig solche Diskussionen auszuschliessen, und vor allem auch um für die neu vorgesehenen Indikationen die Rechtslage klarzustellen, empfiehlt es sich, das Krankenund Unfallversichemngsgesetz durch einen Artikel I2 quater zu ergänzen, worin diese Leistungspflicht der Krankenkassen ausdrücklich statuiert wird.

744

Übergangsrecht (Art. 16)

Die Bereitstellung von Beratungsstellen wird den Kantonen nicht kurzfristig möglich sein; dies wegen der vielfältigen Probleme personeller, organisatorischer, rechtlicher und finanzieller Natur, mit denen sich die Kantone dabei konfrontiert sehen werden, und zu deren Lösung auch der Bundesrat - nach Anhören der Kantone - durch den Erlass der erforderlichen Verordnungsbestimmungen und die Ausrichtung von Betriebsbeiträgen beitragen muss. Es wird deshalb in Artikel 16 den Kantonen für die Einrichtung der Beratungsstellen eine Frist von zwei Jahren nach dem Inkrafttreten des Gesetzes eingeräumt. Eine solche Übergangsbestimmung wurde auch von den Experten vorgeschlagen. Sie fand lediglich aus einem redaktionellen Versehen keinen Eingang in die von ihnen entworfenen Texte.

8 81

Schlussbemerkungen

Finanzielle und personelle Auswirkungen

Finanzielle und personelle Auswirkungen wird die Gesetzesvorlage für den Bund insoweit haben, als sie ihn verpflichtet, an die jährlichen Aufwendungen der von den Kantonen zu errichtenden Beratungsstellen sowie an die Ausbildung und Weiterbildung ihrer Mitarbeiter Beiträge bis zu einem Drittel der anrechenbaren Kosten zu leisten (vgl. Art. l Abs. 4 und Art. 14 Bst. a). Das Ausmass der Beitragsleistungen des Bundes lässt sich lediglich schätzen, da nicht vorausgesagt werden kann, wieviele Beratungsstellen errichtet und wie intensiv diese konsultiert werden. Auch sind die als Grundlage für die Schätzung dienenden Erfahrungszahlen der Beratungsstelle des Sozialmedizinischen Dienstes der Universitäts-Frauenklinik Basel teilweise unvollständig. Unter diesen Vorbehalten wäre, ausgehend von den basel-städtischen Erfahrungszahlen für das laufende Jahr, gesamtschweizerisch mit anrechenbaren Kosten (Personalkosten, übrige administrative und medizinische Betriebskosten sowie Ausbildungs- und Weiterbildungskosten) in der Grössenordnung von 10 Millionen Franken zu rechnen, die

764

bis zu einem Drittel aus den allgemeinen Bundesmitteln und im übrigen von den Kantonen zu decken wären. Nicht zu den anrechenbaren Kosten gehören die Kosten für die von den Beratungsstellen unentgeltlich erbrachten ärztlichen Leistungen sowie für die von den Beratungsstellen unmittelbar erbrachten oder von ihnen vermittelten finanziellen Hilfeleistungen an die Schwangeren. Denn nach der geltenden verfassungsrechtlichen Ordnung ist die öffentliche Fürsorge Sache der Kantone.

In personeller Hinsicht wird für den Bund mit ein bis zwei zusätzlichen Personaleinheiten zu rechnen sein, und zwar beim Eidgenössischen Gesundheitsamt, das mit der Ausrichtung der Bundesbeiträge für die Beratungsstellen und gegebenenfalls auch mit dem Vollzug weiterer vom Bundesrat zu erlassender Verordnungsbestimmungen zu betrauen sein wird.

Den Kantonen bringen die Untersuchungsfälle und die den Sanitätsbehörden überbundenen Aufgaben eine gewisse, allerdings nicht unzumutbare administrative Mehrbelastung. Sie haben zudem die Kosten für die Beratungsstellen teilweise und diejenigen für die Sozialgutachten ganz zu tragen.

82

Verfassungsmässigkeit

Im Hinblick auf die umfassende Zielsetzung des vorliegenden Gesetzesentwurfs kann seine verfassungsmässige Grundlage nicht in einer einzigen Verfassungsbestimmung gefunden werden.

Die Beratungsstellen haben eine fürsorgliche Aufgabe vormundschaftlichen Charakters zu erfüllen, die aus den dargelegten Gründen aber nicht den bestehenden Vormundschaftsbehörden übertragen werden kann. Vormundschaftliche Aufgaben werden nach schweizerischer Rechtstradition zum Privatrecht gezählt, das seine Verfassungsgrundlage in Artikel 64 der Bundesverfassung hat. Bei der Ausübung dieser Verfassungskompetenz hat der Bund nach Artikel 34«»"ii>»=s Absatz l der Bundesverfassung dem Familienschutzgedanken besonders Rechnung zu tragen. Die Unentgeltlichkeit der Beratung und Hilfe ist zur Erreichung des Gesetzeszweckes unerlässlich und deshalb verfassungsrechtlich ebenfalls gedeckt. Dasselbe gilt für die Tarifbestimmungen.

Die strafrechtlichen Bestimmungen stützen sich auf Artikel 64bls der Bundesverfassung und soweit Vorschriften über die Leistungen von Krankenkassen im Zusammenhang mit dem straflosen Abbruch einer Schwangerschaft vorgesehen werden, ist Artikel 34bls der Bundesverfassung heranzuziehen.

9

Anträge

Das Postulat Nr. 11 361 P Schwangerschaftsunterbrechung (N 25. Juni 1973, Eng) ist mit unserem Gesetzesentwurf erfüllt, so dass wir mit dem Antrag, ihn zum Beschluss zu erheben, auch die Abschreibung dieses Postulates beantragen dürfen.

765

Wir versichern Sie, sehr geehrter Herr Präsident, sehr geehrte Damen und Herren, unserer vorzuglichen Hochachtung.

Bern, den 30. September 1974 Im Namen des Schweizerischen Bundesrates Der Bundespräsident: Brugger

Der Bundeskanzler : Huber 3803

766 (Entwurf)

Bundes béschluss über das Volksbegehren für die Straflösigkeit der Schwangerschaftsunterbrechung Die Bundesversammlung der Schweizerischen Eidgenossenschaft, nach Prüfung des Volksbegehrens für die Straflösigkeit der Schwangerschaftsunterbrechung D, nach Einsicht in eine Botschaft und einen Bericht des Bundesrates vom 30. September 19742), beschliesst :

Art. l 1

Das Volksbegehren vom I.Dezember 1971 für die Straflösigkeit der Schwangerschaftsunterbrechung wird Volk und Ständen zur Abstimmung unterbreitet.

2 Es lautet wie folgt : Die Bundesverfassung sei durch den nachfolgenden Artikel 65bis zu ergänzen: j Art. (55*" Wegen Schwangerschaftsunterbrechung darf keine Strafe ausgefällt werden.

Art. 2 Dem Volk und den Ständen wird die Verwerfung des Volksbegehrens beantragt.

D BB11971 II2034

2) BEI 1974 II 703

767

(Entwurf)

Bundesgesetz über den Schutz der Schwangerschaft und die Neuordnung der Strafbarkeit des Schwangerschaftsabbruchs

Die Bundesversammlung der Schweizerischen Eidgenossenschaft.

gestützt auf die Artikel 34bis. 34«umquie S) 54 uncj 541,,, der Bundesverfassung.

nach Einsicht in eine Botschaft und einen Bericht des Bundesrates vom 30. September 1974D.

beschhesst ·

1. Abschnitt: Schutz der Schwangerschaft Art. l Beratungsstelle 1

Bei Schwangerschaft haben das Ehepaar und die Schwangere Anspruch auf unentgeltliche Beratung und Hilfe.

- Die Kantone richten hiefür Beratungsstellen ein. Sie können bereits bestehende als solche anerkennen und für die Einrichtung sowie für den Betrieb private Organisationen heranziehen.

3 Die Beratungsstellen müssen über genügend Mitarbeiter und finanzielle Mittel verfügen, um sofort die erforderliche Beratung und Hilfe zu gewähren.

4 Der Bund gewährt den Kantonen Beiträge an die jährlichen Aufwendungen der Beratungsstellen sowie an die Aus- und Weiterbildung der Mitarbeiter.

Die Beiträge belaufen sich auf höchstens einen Drittel der anrechenbaren Kosten.

3803

D BB1 1974 II 703

768

Art. 2

Amts- und Berufsgeheimnis 1

Die Mitarbeiter der Beratungsstellen haben das Amts- oder Berufsgeheimnis zu wahren. Bei Verletzung des Berufsgeheimnisses findet Artikel 321 des Strafgesetzbuches auch auf dort nicht aufgezählte Personen Anwendung.

2 Vorbehalten bleiben das Zeugnisrecht und die Zeugnispflicht in Fällen, in denen jemand finanzielle Leistungen durch unwahre Angaben oder betrügerische Machenschaften erwirkt hat.

2. Abschnitt : Strafbarer Abbruch der Schwangerschaft Art. 3

Abtreibung 1. Wer einer Schwangeren die Frucht abtreibt, wird mit Zuchthaus bis zu fünf Jahren oder mit Gefängnis bestraft.

Die Schwangere, die ihre Frucht abtreibt, abtreiben lässt oder sich in anderer Weise an der Tat beteiligt, wird mit Gefängnis bestraft. Von einer Strafverfolgung oder Bestrafung der Schwangeren kann abgesehen werden, wenn sie in schwerer Bedrängnis gehandelt oder einen untauglichen Versuch der Abtreibung begangen hat.

Die Verjährung tritt in zwei Jahren ein.

2. Die Strafe ist Zuchthaus bis zu zehn Jahren, wenn der Täter die Abtreibung gegen den Willen der Schwangeren vornimmt, gewerbsmässig abtreibt, oder vorsätzlich oder grob fahrlässig die Gefahr des Todes oder einer schweren Körperverletzung der Schwangeren herbeiführt.

3. Abschnitt: Strafloser Abbruch der Schwangerschaft 1. Unterabschnitt: Gründe für den straflosen Abbruch der Schwangerschaft Art. 4

Abbruch der Schwangerschaft aus medizinischen Gründen 1. Der Abbruch der Schwangerschaft ist straflos, wenn er mit schriftlicher Zustimmung der Schwangeren durch einen diplomierten, in der Schweiz zur Ausübung des Berufes zugelassenen Arzt nach Einholung eines zustimmenden ärztlichen Gutachtens ausgeführt wird, um eine ernste, nicht anders abwendbare Gefahr für das Leben oder die Gesundheit der Schwangeren abzuwenden.

769

Die Gefahr für die Gesundheit ist ernst, wenn die Austragung der Schwangerschaft oder die infolge der Geburt des Kindes zu erwartenden Lebensverhältnisse mit grosser Wahrscheinlichkeit zu einer schweren und langdauernden körperlichen oder geistigen Krankheit der Schwangeren führen würden.

2. Ist die Schwangere nicht urteilsfähig, so ist die schriftliche Zustimmung ihres gesetzlichen Vertreters erforderlich.

3. Das Gutachten ist von einem für den Zustand der Schwangeren sachverständigen Arzt zu erstatten, der von der Sanitätsbehörde des Kantons, in dem die Schwangere ihren Wohnsitz hat oder in dem der Eingriff erfolgen soll, allgemein oder von Fall zu Fall bezeichnet wird. Die Kantone haben hiefür eine Liste aufzustellen.

Ein Exemplar des Gutachtens ohne Namen der Schwangeren ist vom Arzt, der den Eingriff vornimmt, innert Monatsfrist der nach Absatz l zuständigen Behörde einzureichen.

4. Ein Eingriff auf Grund von Artikel 34 Ziffer 2 des Strafgesetzbuches ist am nächsten Werktag durch den Arzt der nach Ziffer 3 Absatz l zuständigen Behörde des Kantons, in dem der Eingriff erfolgte, schriftlich zu melden.

Art. 5 Abbruch der Schwangerschaft aus sozialen Gründen 1. Der Abbruch der Schwangerschaft ist straflos, wenn er mit schriftlicher Zustimmung der Schwangeren durch einen diplomierten, in der Schweiz zur Ausübung des Berufes zugelassenen Arzt nach Einholung eines zustimmenden Sozialgutachtens ausgeführt wird, sofern vorauszusehen ist, dass die Austragung der Schwangerschaft mit hoher Wahrscheinlichkeit zu einer schweren, durch die zur Verfügung stehenden Mittel nicht abwendbaren sozialen Notlage der Schwangeren führen würde und der Eingriff innert zwölf Wochen nach Beginn der letzten Periode erfolgt.

Bei der Beurteilung der sozialen Lage sind insbesondere das Alter, die Kinderzahl und die Familienverhältnisse der Schwangeren zu berücksichtigen.

2. Ist die Schwangere nicht urteilsfähig, so ist die schriftliche Zustimmung ihres gesetzlichen Vertreters erforderlich.

3. Das Gutachten ist von einem für die soziale Lage der Schwangeren sachverständigen diplomierten Sozialarbeiter zu erstatten, der von der Sanitätsbehörde des Kantons, in dem die Schwangere ihren Wohnsitz hat oder in dem der Eingriff erfolgen soll, allgemein oder von Fall zu Fall bezeichnet wird. Die Kantone haben hiefür eine Liste aufzustellen.

Ein Exemplar des Gutachtens ohne Namen der Schwangeren ist vom Arzt, der den Eingriff vornimmt, innert Monatsfrist der nach Absatz l zuständigen Behörde einzureichen.

Die Begutachtung ist kostenlos.

Bundesblatt 126 Jahrg Bd II

770

Art. 6

Abbruch einer aufgezwungenen Schwangerschaft 1. Der Abbruch der Schwangerschaft ist straflos, wenn er mit schriftlicher Zustimmung der Schwangeren durch einen diplomierten, in der Schweiz zur Ausübung des Berufes zugelassenen Arzt vorgenommen wird, sofern hinreichend glaubhaft ist, dass die Schwangerschaft Folge einer strafbaren Handlung im Sinne der Artikel 187,189 Absatz l, 190 Absatz l oder 191 des Strafgesetzbuches ist.

Ist die Schwangere nicht urteilsfähig, so ist die schriftliche Zustimmung ihres gesetzlichen Vertreters erforderlich.

2. Die Kantone errichten Untersuchungsstellen, welche den Sachverhalt prüfen und darüber entscheiden. Zuständig ist die Stelle, in deren Amtsbereich die Schwangere wohnt. Artikel 352 und folgende des Strafgesetzbuches sind sinngemäss anwendbar.

Die Stelle ist berechtigt, Zeugen nach den Vorschriften des Strafverfahrens abzuhören.

Die Stelle kann mit Zustimmung der Schwangeren die Organe der Strafverfolgung zur Abklärung beiziehen. Im übrigen ist allen Behörden gegenüber das Amtsgeheimnis zu wahren, unter Vorbehalt einer Strafanzeige wegen falschen Zeugnisses und der Meldepflicht an die obere Stelle.

Behauptet eine urteilsfähige Frau, Opfer einer strafbaren Handlung nach Artikel 187 oder 189 Absatz l des Strafgesetzbuches gewesen zu sein, so kann das Begehren um Abbruch der Schwangerschaft nur innerhalb von sechs Wochen nach der Tat eingereicht werden. Die Stelle ist verpflichtet, unverzüglich, spätestens vier Wochen nach Eingang des Begehrens zu entscheiden. Ist ein Kind im Sinne von Artikel 191 des Strafgesetzbuches schwanger geworden, entscheidet die Stelle unverzüglich über das Begehren.

Die Stelle hat ein Begehren nach Absatz 4 einer oberen Stelle zu melden, welche das Verfahren überwacht und nach Ablauf von vier Wochen sofort entscheidet, wenn die Stelle noch nicht entschieden hat.

Das Verfahren ist kostenlos.

Art. 7

Abbruch der Schwangerschaft wegen Schädigung des Kindes 1. Der Abbruch der Schwangerschaft ist straflos, wenn er mit schriftlicher Zustimmung der Schwangeren und nach Einholung eines zustimmenden Gutachtens durch einen diplomierten, in der Schweiz zur Ausübung des Berufes zugelassenen Arzt vorgenommen wird, sofern vorauszusehen ist, dass das Kind mit hoher Wahrscheinlichkeit geistig oder körperlich dauernd schwer geschädigt sein würde.

771

2. Ist die Schwangere nicht urteilsfähig, so ist die schriftliche Zustimmung ihres gesetzlichen Vertreters erforderlich.

3. Das Gutachten ist von einem für den Zustand des Kindes Sachverständigen zu erstatten, der von der Sanitätsbehörde des Kantons, in dem die Schwangere ihren Wohnsitz hat oder in dem der Eingriff erfolgen soll, bezeichnet wird.

Ein Exemplar des Gutachtens ohne Namen der Schwangeren ist vom Arzt, der den Eingriff vornimmt, innert Monatsfrist der nach Absatz l zuständigen Behörde einzureichen.

Art. 8

Kosten der Begutachtung und des Eingriffs Die Kantone haben dafür zu sorgen, dass für die Begutachtung im Sinne von Artikel 4 und 7 und für den Eingriff Tarife mit niedrigen Ansätzen angewendet werden, die nach Anhören der ärztlichen Berufsvereinigungen aufzustellen sind.

2. Unterabschnitt : Strafbestimmungen Art. 9

Nichtbeachtung sachlicher Voraussetzungen Der Arzt, der grob fahrlässig annimmt, es sei ein gesetzlich anerkannter Grund für den Schwangerschaftsabbruch gegeben, und die Schwangerschaft abbricht, der begutachtende Sachverständige und die für die Bewilligung des Schwangerschaftsabbruchs zuständigen Personen, die grob fahrlässig das Vorhandensein fehlender gesetzlicher Voraussetzungen für den Schwangerschaftsabbruch bescheinigen, werden mit Gefängnis, Haft oder Busse bestraft.

Art. 10

Nichtbeachtung formeller Voraussetzungen 1. Der Arzt, der in einem der gesetzlich anerkannten Fälle die Schwangerschaft abbricht, ohne dass die Zustimmung der Schwangeren oder ihres gesetzlichen Vertreters schriftlich vorliegt, ohne dass das Gutachten durch einen nach Artikel 4 Ziffer 3 Absatz l, Artikel 5 Ziffer 3 Absatz l oder Artikel 7 Ziffer 3 Absatz l bezeichneten Sachverständigen erstattet worden ist,

772

ohne diplomiert und in der Schweiz zur Ausübung des Berufes zugelassen zu sein, wird, wenn er vorsätzlich handelt, mit Haft oder mit Busse bestraft.

2. Der Arzt, der vorsätzlich die in Artikel 4 Ziffer 4 vorgesehene Meldung unterlässt, wird mit Haft oder mit Busse bestraft.

3. Wer vorsätzlich trotz Mahnung die Einreichung des Gutachtens nach Artikel 4 Ziffer 3 Absatz 2, Artikel 5 Ziffer 3 Absatz 2 oder Artikel 7 Ziffer 3 Absatz 2 unterlässt, wird mit Haft oder mit Busse bestraft.

Art. 11 Überschreitung der Tarife Wer die in Artikel 8 genannten Tarife überschreitet, wird mit Gefängnis bis zu sechs Monaten, Haft oder Busse bestraft.

Art. 12 Strafverfolgung Verfolgung und Beurteilung der nach diesem Gesetz strafbaren Handlungen obliegen den Kantonen.

4. Abschnitt : Schlussbestimmungen Art. 13 Kantonale Vereinbarungen Die Kantone können über die gemeinsame Errichtung von Beratungsstellen im Sinne von Artikel l und Untersuchungsstellen im Sinne von Artikel 6 Vereinbarungen treffen.

Art. 14 Befugnis des Bundesrates zum Erlass von Bestimmungen Der Bundesrat erlässt nach Anhören der Kantone Bestimmungen über a. die Beratungsstelle im Sinne von Artikel l und an sie zu leistende Beiträge, b. die Begutachtung nach den Artikeln 4, 5 und 7, c. die Untersuchungsstelle und die beaufsichtigende obere Stelle im Sinne von Artikel 6, d. die Meldung der Eingriffe nach den Artikeln 4-7 an das Eidgenössische Statistische Amt.

773

Art. 15 Anderung bisherigen Rechts 1

Die Artikel 118-121 und 211 des Strafgesetzbuches n werden aufgehoben.

Das Bundesgesetz uber die Kranken- und Unfallversicherung2' wird wie folgt geandert: 2

Art. 12quater (neu) ///*". Leistungen bei Abbruch einer Schwangerschaft Im Falle des strafiosen Abbruchs einer Schwangerschaft im Sinne des Bundesgesetzes vom iiber den Schutz der Schwangerschaft und die Neuordnung der Strafbarkeit des Schwangerschaftsabbruchs haben die Krankenkassen mindestens zu gewahren: 1. den fiir Krankenpflege Versicherten die Leistungen gemass Artikel 12; 2. den fiir Krankengeld Versicherten em tagliches Krankengeld gemass Artikel 12bis.

Art. 16 Ubergangsrecht Die Kantone haben die Beratungsstellen im Sinne von Artikel 1 innert zweier Jahre nach Inkrafttreten des Gesetzes einzurichten.

Art. 17 Referendum und Inkrafttreten 1 2

Dieses Gesetz untersteht dem fakultativen Referendum.

Der Bundesrat bestimmt das Inkrafttreten.

3803

1) SR 311.0 2) SR 832.01

Schweizerisches Bundesarchiv, Digitale Amtsdruckschriften Archives fédérales suisses, Publications officielles numérisées Archivio federale svizzero, Pubblicazioni ufficiali digitali

Botschaft des Bundesrates an die Bundesversammlung zu einem Bundesgesetz über den Schutz der Schwangerschaft und die Neuordnung der Strafbarkeit des Schwangerschaftsabbruchs und Bericht zum Volksbegehren und zur Standesinitiative des Kantons Neuenbur...

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Numéro d'affaire Numero dell'oggetto Datum

07.10.1974

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703-773

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