Aufsichtseingabe der Kantone zur Entscheidpraxis des Bundesrates bei Beschwerden gegen Tarifentscheide der Kantonsregierungen in der Krankenversicherung Bericht der Geschäftsprüfungskommission des Ständerates vom 5. April 2002

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Zusammenfassung Der Kanton Schaffhausen und die Schweizerische Sanitätsdirektorenkonferenz SDK beschwerten sich in Aufsichtseingaben an die Bundesversammlung über die Entscheidpraxis des Bundesrates bei Beschwerden gegen Tarifentscheide der Kantonsregierungen in der Krankenversicherung. Der Kanton Schaffhausen macht geltend, die Aufgabenteilung zwischen Bund und Kantonen im Bereich der Tarifgestaltung nach KVG sei in hohem Masse konfliktträchtig geregelt. Der Bundesrat habe seit Inkrafttreten des Krankenversicherungsgesetzes KVG 1996 in über 200 Urteilen die vorinstanzlichen Entscheide von Kantonsregierungen nur in wenigen Fällen geschützt. Die Bereitschaft der Tarifparteien, erstinstanzliche Entscheide der Kantonsregierungen zu akzeptieren, sei deshalb heute nahezu bei Null. Konkret möchte die Eingabe auf eine Veränderung der Kompetenzverteilung zwischen Bund und Kantonen in Richtung einer vermehrten Respektierung des Föderalismus hinwirken.

Aufgrund des Beispiels der bundesrätlichen Entscheide über die Taxpunktwerte der Physiotherapeuten macht der Kanton Schaffhausen geltend, dass es für die beteiligten Tarifparteien unzumutbar wäre, wenn bei den kommenden Tariffestsetzungen in den Kantonen im Bereich des Ärztetarifs TARMED erneut nach dem bisherigen Schema vorgegangen werde.

Die SDK kritisiert, dass der Bundesrat in seiner Rechtsprechung automatisch Empfehlungen der Preisüberwachung folge und eine Auseinandersetzung mit Argumenten der Kantone kaum erfolge. Den Kantonen werde bei Abweichen der preisüberwacherischen «Landesnorm» Eigeninteressen unterstellt und Ermessensspielraum abgesprochen.

den den von ein

Mit dem ungewöhnlichen Schritt, sich an das Parlament zu wenden, signalisieren die Kantone ein starkes Unbehagen, das ernst zu nehmen ist. Die Geschäftsprüfungskommission sieht die gegenseitige Rücksichtnahme und Beachtung der Zuständigkeiten von Bund und Kantonen als wichtige Grundlage des Bundesstaates und dessen Zusammenhalts an. Sie tritt deshalb auf die Aufsichtseingabe ein mit dem Ziel, die Ursachen des Konfliktes zu untersuchen und auf mögliche Lösungen hinzuwirken. Sie nimmt dabei nicht zu jeder einzelnen Rüge Stellung und überprüft auch nicht die zur Diskussion stehenden Bundesratsentscheide materiell auf ihre Richtigkeit hin. Sie würdigt aber im Sinne einer Tendenzkontrolle einzelne Aspekte der Rechtsprechung des Bundesrates und deren Auswirkungen.

Nach Anhörung der Kantone, des Bundesamtes für Justiz, des Bundesamtes für Sozialversicherung und der Preisüberwachung durch ihre Subkommission EDI/ UVEK, erteilt die Geschäftsprüfungskommission dem Bundesrat mit dem vorliegenden Bericht insgesamt acht Empfehlungen zum Abbau der Konflikte zwischen Bund und Kantonen, zur Mehrfachrolle des Bundesrates im Tarifbereich des KVG, zur Klärung einzelner Rechtsfragen, zur Rolle der Preisüberwachung und zur Einführung des Ärztetarifs TARMED.

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Bericht 1

Einleitung

Der Kanton Schaffhausen beschwerte sich am 10. April 2001 in einer Aufsichtseingabe an die Bundesversammlung über die Entscheidpraxis des Bundesrates bei Beschwerden gegen Tarifentscheide der Kantonsregierungen gemäss Artikel 47 KVG. Die Schweizerische Sanitätsdirektorenkonferenz SDK schloss sich mit Schreiben vom 11. Juni 2001 im Wesentlichen dieser Eingabe an. Die Geschäftsprüfungskommission des Ständerates behandelt die Aufsichtseingabe im Namen der Bundesversammlung. Sie hat den Bundesrat am 6. Juli 2001 darüber orientiert und ihre Subkommission EDI/UVEK mit den Vorabklärungen beauftragt.

Die Subkommission EDI/UVEK der GPK-S hat sich unter dem Präsidium von Ständerat Hansruedi Stadler am 2. Juli 2001 erstmals mit der Eingabe befasst und am 24. Oktober 2001 Anhörungen von Vertretern des Bundesamtes für Sozialversicherung, der Preisüberwachung, der Beschwerdeinstruktionsstelle beim Bundesamt für Justiz sowie der Kantone Schaffhausen, Luzern und Waadt durchgeführt. Am 23. Januar und am 14. Februar 2002 diskutierte die Subkommission über die zusammengetragenen Fakten und verabschiedete ihren Antrag an die Plenarkommission.

Aufgrund der Vorabklärungen ihrer Subkommission EDI/UVEK befasste sich die Geschäftsprüfungskommission des Ständerates an ihrer Sitzung vom 5. April 2002 mit der Aufsichtseingabe. Die Geschäftsprüfungskommission stützt sich bei ihren folgenden Feststellungen auf die Aufsichtseingabe Schaffhausen vom 10. April 2001, das Schreiben der SDK vom 11. Juni 2001, die Stellungnahme des Bundesrates vom 27. Juni 2001, statistische Angaben des Bundesamtes für Justiz vom 2.

und 15. Oktober 2001, die Anhörungen durch die Subkommission vom 24. Oktober 2001 sowie die schriftlichen Antworten der Kantonsvertreter auf Fragen der Subkommission.

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Formelles

Die Geschäftsprüfungskommission nimmt Aufsichtseingaben im Sinne von Artikel 37 des Geschäftsreglementes des Ständerates (SR 171.14) entgegen. Die Aufsichtseingabe ist keine formelle Beschwerde, sondern dient der GPK als Hinweis auf allfällige Mängel in der Geschäftsführung der Bundesbehörden. Ob und wie weit die Geschäftsprüfungskommission auf Aufsichtseingaben eintritt und welche Konsequenzen sie daraus für ihre Oberaufsichtstätigkeit ableitet, steht in ihrem freien Ermessen.

Die Geschäftsprüfungskommission übt im Namen der Bundesversammlung die Oberaufsicht über den Bundesrat und die Bundesverwaltung aus (Art. 169 Abs. 1 BV1 in Verbindung mit Artikel 47ter GVG2). Sie kann dabei dem Bundesrat für seine Amtstätigkeit in seinem Zuständigkeitsbereich Empfehlungen abgeben und Kritiken anbringen, ihm jedoch keine verbindlichen Weisungen erteilen. Sie kann 1 2

Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999 (SR 101) Geschäftsverkehrsgesetz vom 23. März 1962 (SR 171.11)

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insbesondere Entscheide des Bundesrates weder aufheben noch ändern (Art. 47quater Abs. 4 GVG). Die Geschäftsprüfungskommission ist somit keine Beschwerdeinstanz für Entscheide des Bundesrates. Bei der Oberaufsicht über die justizielle Tätigkeit des Bundesrates übt die Geschäftsprüfungskommission Zurückhaltung aus. Gemäss ihrer Praxis kann sie jedoch Entscheide des Bundesrates im Hinblick auf die Einhaltung fundamentaler Verfahrensgrundsätze überprüfen. Bei der Prüfung solcher Rügen kann die GPK keinen Einzelfallentscheid umstossen oder beeinflussen. Sie kann aber die Rechtsprechung im Sinne einer Tendenzkontrolle und im Hinblick auf künftige Verbesserungen verfolgen und dem Bundesrat allenfalls Empfehlungen abgeben.

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Feststellungen

3.1

Aufsichtseingabe des Kantons Schaffhausen

3.1.1

Kritik des Kantons Schaffhausen

Der Regierungsrat des Kantons Schaffhausen macht geltend, dass die Aufgabenteilung zwischen Bund und Kantonen im Bereich der Tarifgestaltung nach KVG in hohem Masse konfliktträchtig geregelt sei. Der Bundesrat habe seit Inkrafttreten des Krankenversicherungsgesetzes KVG3 1996 in über 200 Urteilen die vorinstanzlichen Entscheide von Kantonsregierungen nur in wenigen Fällen geschützt. Die Bereitschaft der Tarifparteien, erstinstanzliche Entscheide der Kantonsregierungen zu akzeptieren, sei deshalb heute nahezu bei Null. Konkret möchte die Eingabe auf eine Veränderung der Kompetenzverteilung zwischen Bund und Kantonen in Richtung einer vermehrten Respektierung des Föderalismus hinwirken.

Unmittelbarer Anlass zur Aufsichtseingabe sind einerseits die Entscheide des Bundesrates von einer Reihe von Beschwerden kantonaler Physiotherapie-Verbände zu Physiotherapie-Taxpunktwerten, und andererseits der Entscheid des Bundesrates vom 10. Mai 2000 über den Taxpunktwert für eine Magnetresonanz-Diagnostik mit privater Trägerschaft am Kantonsspital Schaffhausen. Aufgrund des Beispiels der bundesrätlichen Entscheide über die Taxpunktwerte der Physiotherapeuten macht der Kanton Schaffhausen geltend, dass es für die beteiligten Tarifparteien unzumutbar wäre, wenn bei den kommenden Tariffestsetzungen in den Kantonen im Bereich des Ärztetarifs TARMED erneut nach dem bisherigen Schema vorgegangen werde.

Das Beispiel der Entscheide zu den Taxpunktwerten in der Physiotherapie Am 1. Juli 1998 genehmigte der Bundesrat den Tarifvertrag zwischen dem Schweizerischen Physiotherapeutenverband und den Versicherern. Gleichzeitig wurde der Taxpunktwert für die Unfall-, Invaliden- und Militärversicherung auf 1 Franken festgelegt. Die Festlegung des Taxpunktwertes für die Krankenversicherung sollte auf kantonaler Ebene zwischen Physiotherapeuten und Krankenversicherungen ausgehandelt werden. In der Folge wurden in den einzelnen Kantonen Verhandlungen zwischen den Krankenversicherern und den Physiotherapieverbänden geführt, wobei in vielen Fällen keine Einigung zustande kam und die Tarife gemäss Artikel 47 Absatz 1 KVG durch die Kantonsregierungen festgesetzt werden mussten. Die Ent3

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Bundesgesetz vom 18. März 1994 über die Krankenversicherung (SR 832.10)

scheide der Kantonsregierungen wurden ­ in der Regel durch beide Seiten mit konträrer Zielrichtung ­ mit Beschwerden beim Bundesrat angefochten.

In 11 Kantonen musste der Bundesrat aufgrund von Beschwerden die von den Kantonsregierungen festgelegten Taxpunktwerte überprüfen. In allen Fällen hob er die kantonalen Taxpunktwerte auf und legte sie selbst neu fest. Bei der Festlegung ging der Bundesrat so vor, dass er zunächst den Modelltaxpunktwert als nationale Ausgangsgrösse für die kantonale Festlegung auf 0.94 Franken festlegte. Die Vertragspartner hatten sich zuvor auf einen Modelltaxpunktwert von 1 Franken geeinigt, die Preisüberwachung hatte einen solchen von 0.91 beantragt. Ausgehend vom Modelltaxpunktwert (0.94 Franken) berechnete der Bundesrat aufgrund einer von der Preisüberwachung vorgeschlagenen Berechnungsformel den kantonalen Taxpunktwert.

Die Formel berücksichtigt Lohn- und Mietstrukturen, welche die Preisüberwachung aufgrund von Daten des Bundesamtes für Statistik erhoben hatte. In seiner Rechtsprechung wandte der Bundesrat die Umrechnungsformel der Preisüberwachung konsequent an. Im Entscheid vom 4. Dezember 2000 in Sachen Physiotherapie-Taxpunktwert des Kantons Schaffhausen erklärte der Bundesrat: «Da die Parteien keine Einigkeit zum Tpw erzielen konnten, kommt die beschriebene Umrechnungsmethode (E. 7.1) zur Anwendung. Das hat gleichzeitig zur Folge, dass eine Würdigung der übrigen Vorbringen der Parteien und der Vorinstanz, einzeln oder in ihrer Gesamtheit, hinfällig wird, denn sie können am rein rechnerischen Ergebnis nichts mehr ändern».

Der Kanton Schaffhausen kritisiert, dass sich der Bundesrat die Sichtweise des Preisüberwachers zu eigen gemacht habe, der die kantonsspezifisch zulässigen Abweichungen über eine starre Formel berechnet habe, in der die Lohn- und Mietpreisindizes als einzige Variablen berücksichtigt wurden. Dabei habe der Bundesrat ignoriert, dass verwaltungsintern das BSV gewichtige Einwände gegen dieses Modell vorgebracht habe. Das BSV hatte in seiner Stellungnahme vom 22. September 1999 unter anderem eingewendet, das Modell könne insbesondere in kleineren Kantonen den tatsächlichen ökonomischen Gegebenheiten nicht gerecht werden.

Weiter wandte das BSV ein, mit dem Rechnungsmodell der Preisüberwachung würde kein Anreiz für die Tarifpartner mehr bestehen,
eine Verhandlungslösung zu suchen, weil schon zum vornherein absehbar sei, welcher Taxpunktwert in einem Beschwerdefall zur Anwendung kommen dürfte.

Für die Region Schaffhausen, Thurgau-West und Zürich-Nord, wo die Arbeitsmarktbedingungen weitgehend einheitlich und die Mietzinsen nur marginal unterschiedlich sind, ergibt sich nach Meinung von Schaffhausen eine völlig unverständliche Situation: Der Bundesrat hat den Taxpunktwert für Zürich von 1 auf 1.03 Franken und in Schaffhausen von 0.95 auf 0.97 Franken erhöht. Für Thurgau, wo ein vertraglicher Taxpunktwert von 0.95 zustande gekommen war, an den sich der Kanton Schaffhausen bei seiner Festsetzung angeglichen hatte, ergibt sich nach der Formel der Preisüberwachung ein Taxpunktwert von 0.90 Franken. Als logische Konsequenz davon kündigten die Versicherer in Thurgau den Vertrag mit dem Ziel einer entsprechenden Tarifsenkung. Nach Meinung des Kantons Schaffhausen ergibt sich in den grenznahen Gebieten der Kantone Thurgau und Zürich aus den Taxpunktwerten gemäss bundesrätlicher Formel für eine Modellpraxis eine Ertragsdifferenz von 32 000 Franken pro Jahr, was praktisch einer Einkommensdifferenz des Praxisleiters entspreche, für den der Bundesrat ein kalkulatorisches Normaleinkom-

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men von knapp 70 000 Franken pro Jahr vorgesehen habe. Diese Differenz sei ausserhalb jeder vernünftigen Proportion.

Der Kanton Schaffhausen macht geltend, dass es im Sinne einer sachgerechten Aufgabenteilung zwischen Bund und Kantonen primär Sache der Kantone sein sollte, im Rahmen einheitlicher nationaler Vorgaben allfällige kantonsspezifische Tarifdifferenzierungen vorzunehmen, unter Beachtung der örtlichen Gegebenheiten in Bezug auf die relevanten wirtschaftlichen, sozialen und auch versorgungspolitischen Aspekte. Die Rechtsprechung des Bundesrates habe zu grotesken kantonsübergreifenden Preisunterschieden geführt, die zu einer weiteren Konzentration der Leistungsanbieter in den ohnehin überversorgten Zentren führten. Kleine periphere Kantone würden dadurch systematisch benachteiligt.

Das Beispiel Taxpunktwert für Magnetresonanztomographie (MRT) in Schaffhausen Im Sommer 1998 wurde am Kantonsspital Schaffhausen ein Magnetresonanztomograph (MRT) installiert, der im Auftrag einer privaten Investorengruppe (MRS AG) durch Personal des Kantonsspitals betrieben wird. Zuvor hatte das Spital eine Kooperation mit dem Spital der deutschen Nachbarstadt Singen in Bezug auf deren MR-Gerät gehabt. Angesichts der neuen privaten Trägerschaft verlangten die Krankenversicherer einen neuen Tarifvertrag. Da eine einvernehmliche Lösung nicht zustande kam, setzte der Kanton Schaffhausen den Taxpunktwert auf 3.49 Franken, analog zur vorbestehenden Regelung mit dem Spital Singen, fest. Auf Beschwerde der Krankversicherer hin setzte der Bundesrat am 10. Mai 2000 den Taxpunktwert massiv tiefer auf 2.24 Franken fest. In seinem Beschwerdeentscheid folgte der Bundesrat weitgehend der Argumentation der Preisüberwachung, die einen Taxpunktwert von 2.31 vorgeschlagen hatte. Der Bundesrat erachtete die prognostizierte Auslastung des Gerätes als viel zu tief und folgerte daraus, dass die Überkapazität dieses Gerätes nicht auf Kosten der Krankverversicherung finanziert werden dürfe, und zog die von der Preisüberwachung kalkulierte Überkapazität in Abzug, analog zur ausdrücklichen Regelung im KVG, wonach bei den Spitaltarifen Betriebskostenanteile aus Überkapazität abgezogen werden sollen (Art. 49 Abs. 1 KVG).

Der Kanton Schaffhausen kritisiert, der Bundesrat habe mit dem «extrem tiefen» Taxpunktwert für den MRT in Schaffhausen
ein Zeichen von nationaler Ausstrahlung im Kampf gegen die Installation immer neuer, als Kostentreiber empfundener MR-Geräte setzen wollen. In der Region Schaffhausen könne ein MR-Gerät auf der Basis des vom Bundesrat festgelegten Tarifs auf Dauer nicht kostendeckend betrieben werden. Weiter wird kritisiert, dass der Bundesrat Schaffhausen als Bestandteil des Versorgungsraumes Zürich betrachtet, wo die Kosten im Übrigen höher seien.

Dabei nehme er keine Rücksicht auf die betrieblichen und medizinischen Vorteile, die sich aus der unmittelbaren Verfügbarkeit dieser wichtigen Diagnosetechnik in einem Spital der erweiterten Grundversorgung (Schaffhausen) ergeben. Damit werde eine weitere Zentralisierung der medizinischen Versorgung zum Nachteil der Randregionen erzwungen. Der isolierte Tarifentscheid des Bundesrates komme dem Versuch gleich, einen für die strategische Entwicklung des Spitalplatzes Schaffhausen wichtigen Leistungsanbieter mit einem ruinösen Preisdiktat zu eliminieren.

Der Kanton Schaffhausen stiess sich im weiteren besonders daran, dass der Preisüberwacher im benachbarten Kanton Zürich nicht einschritt, als die Zürcher Kantonsregierung den Taxpunktwert für die MRT-Diagnostik in Zürcher Privatspitälern 312

bei 3.10 festlegte, während er in Schaffhausen, dem leading case, 2.31 empfohlen hatte. Für die neun Zürcher MR-Geräte wurde bisher zu Taxpunktwerten zwischen 3.96 und 4.95 abgerechnet. Der isolierte Entscheid des Bundesrates zum Schaffhauser MRT verstosse gegen die allgemeinen Rechtsgrundsätze der Verhältnismässigkeit, der Rechtsgleichheit und des Willkürverbotes.

Stellung der Preisüberwachung Der Kanton Schaffhausen kritisiert, die Preisüberwachung habe in ihrer Empfehlungspraxis im KVG-Bereich bei der Beurteilung missbräuchlicher Preise einzelne im Gesetz namentlich genannte Aspekte bisher ausgeklammert, so die Preisentwicklung auf Vergleichsmärkten oder besondere Marktverhältnisse (Art. 13 Bst. a und e PüG4). Der Gesetzgeber habe den Einfluss der Preisüberwachung bewusst begrenzen wollen, indem gemäss Artikel 14 Absatz 2 PüG die Behörde den Preisüberwacher anzuhören und seine Stellungnahme in ihrem Entscheid anzuführen habe. Sie bleibe aber ausdrücklich frei, unter Darlegung der Gründe von der Empfehlung der Preisüberwachung abzuweichen. Der Gesetzgeber habe den Preisüberwacher nicht als den zuständigen Behörden übergeordnete Autorität einsetzen wollen. Der Bundesrat unterlaufe diese Regelung, indem er der Preisüberwachung im zweitinstanzlichen Verfahren eine zentrale Beraterrolle vor allen anderen Bundesbehörden zumesse. Er bewerte die Argumente des Preisüberwachers a priori höher als jene der Vorinstanzen (Kantonsregierungen). Damit lasse er das Recht der Bewilligungsbehörde, von den Empfehlungen der Preisüberwachung abzuweichen, weitgehend zur Farce verkommen.

Zuständigkeit des Bundesrates als Beschwerdeinstanz Der Kanton Schaffhausen verlangt eine Versachlichung und Entpolitisierung des Beschwerdeverfahrens bei Tarifstreitigkeiten. Die aufgezeigten Probleme könnten weitgehend gelöst werden, wenn als Beschwerdeinstanz nicht mehr der Bundesrat, sondern eine richterliche Behörde eingesetzt würde. Dabei sollte sich das Gericht auf eine Sachverhalts- und Rechtsprüfung beschränken, um den Kantonsregierungen die Befugnisse, die ihnen das KVG einräumt, tatsächlich zuzugestehen. Schaffhausen schlägt vor, die Beschwerdezuständigkeit dem Eidgenössischen Versicherungsgericht zu übertragen.

3.1.2

Anträge des Kantons Schaffhausen

Der Kanton Schaffhausen stellt vier Anträge (S. 2 f. der Aufsichtseingabe):

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1.

Der Bundesrat sei anzuweisen, bei Beschwerdeentscheiden in Tariffragen gemäss KVG auf landesweit anwendbare Kriterien abzustellen und bei der Beurteilung der Besonderheiten, die im Einzelfall zu einem vom Landesmittel abweichenden Tarifniveau führen können, ein angemessenes Ermessen der Vorinstanzen (Kantonsregierungen) zu respektieren.

2.

Der Bundesrat sei anzuweisen, bei Beschwerdeentscheiden in Tariffragen dem Grundsatz der Rechtsgleichheit und Verhältnismässigkeit verstärkt Beachtung zu schenken, indem die Tarife, die für andere Leistungserbringer

Preisüberwachungsgesetz vom 20. Dezember 1985 (SR 942.20)

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in der gleichen bzw. benachbarten Versorgungsregion gelten, angemessen berücksichtigt werden.

3.

Der Bundesrat solle die Rolle des Preisüberwachers im Rahmen der Tariffestsetzungsverfahren überdenken.

4.

Eventuell sei die Beurteilung von Beschwerden gegen Tarifentscheide der Kantonsregierungen im Rahmen der laufenden KVG-Revision dem Eidgenössischen Versicherungsgericht (EVG) zu übertragen.

3.2

Kritik der Schweizerischen Sanitätsdirektorenkonferenz SDK

Die SDK kritisiert in Übereinstimmung mit dem Kanton Schaffhausen, dass der Bundesrat bei Beschwerden zu Tariffestsetzungen die Entscheide der Kantonsregierungen nur in Ausnahmefällen gestützt habe. Obwohl die Kantone laut Gesetz in begründeten Fällen von den Empfehlungen der Preisüberwachung abweichen könnten, erweckten die Entscheide des Bundesrates den Eindruck, dass eine Auseinandersetzung mit den Argumenten der Kantone kaum erfolge. Den Kantonen werde bei Abweichen von der preisüberwacherischen «Landesnorm» vielmehr Eigeninteresse unterstellt und ein Ermessensspielraum abgesprochen. De facto bestehe die Kompetenz der Kantone einzig darin, den Empfehlungen der Preisüberwachung zu folgen. Damit werde das gesetzliche Verfahren unterlaufen. Angesichts der Tatsache, dass die Planung und Sicherstellung der medizinischen Versorgung in die Hoheit der Kantone fällt, würden sich die Kantone eine intensivere Auseinandersetzung des Bundesrates mit den erstinstanzlichen Tarifentscheiden wünschen.

Der Preisüberwacher führe seine primäre Funktion, missbräuchliche Preissetzungen zu verhindern, ad absurdum, wenn er systematisch spezifische Gegebenheiten ausblende, um dem vermeintlich übergeordneten Ziel der Minimierung der Ausgaben der Krankenversicherer zu dienen. Er fälle politische statt fachliche Entscheide, und seine Empfehlungen seien teilweise nicht nachvollziehbar.

Da der Bundesrat als Exekutive in diesem Fall Rechtsmittelinstanz sei und nicht ein unabhängiges Gericht, müsste er ein besonderes Augenmerk darauf richten, dass die Rechtsprechung frei von politischen Erwägungen erfolge. Durch die konsequente Abstützung auf die politisch gefärbten Empfehlungen der Preisüberwachung werde dieses Gebot regelmässig durchbrochen, was die Beziehung zwischen Bund und Kantonen zusätzlich belaste.

Im Hinblick auf die Einführung des Ärztetarifs TARMED, die eine weitere Zunahme der behördlichen Festsetzungsverfahren von Taxpunktwerten mit sich bringen werde, sollten alle Beteiligten ein eminentes Interesse daran haben, eine besser abgestimmte Rollenverteilung zwischen den Kantonsregierungen und den Bundesbehörden bzw. dem Bundesrat zu erlangen.

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3.3

Stellungnahme des Bundesrates vom 27. Juni 2001

In seiner Stellungnahme zur Aufsichtseingabe des Kantons Schaffhausen weist der Bundesrat die Kritik in fast allen Punkten zurück. Einzig hinsichtlich der Entscheidzuständigkeit weist der Bundesrat darauf hin, dass mit seiner Botschaft zur Totalrevision der Bundesrechtspflege5, die die Beschwerden im KVG-Bereich dem Bundesverwaltungsgericht zuweisen will, die Forderung des Regierungsrates nach einer richterlichen Beschwerdeinstanz aus Sicht des Bundesrates erfüllt sei.

Der Bundesrat betont zum Vorwurf, er würde das Ermessen der Kantone zu wenig respektieren, er habe sich bei der Beurteilung lokaler, kantonaler oder regionaler Gegebenheiten stets die gebotene Zurückhaltung auferlegt. Er habe jedoch gemäss der Konzeption des KVG und des Verfahrensrechts die Befugnis und die Pflicht, angefochtene, erstinstanzliche kantonale Beschlüsse auch auf ihre Angemessenheit hin zu überprüfen.

Zum Vorwurf, dass der Bundesrat bei seiner Tariffestsetzung im Beschwerdeverfahren die Tarife, die für andere Leistungserbringer in der gleichen bzw. benachbarten Versorgungsregion gelten, nicht berücksichtige, weist der Bundesrat darauf hin, dass das Kriterium des kantonalen Taxpunktwertes auf den Willen der Vertragsparteien zurückzuführen und im Beschwerdeverfahren vom Bundesrat zu respektieren sei. Es liege in der Kompetenz der Vertragsparteien, im Tarifbereich für bestimmte Gebiete innerkantonal Taxpunktwerte zu definieren. Als Beschwerdeinstanz habe er in allen Verfahren zu Taxpunktwerten für Physiotherapie nach denselben Kriterien entschieden.

Was die Tariffestsetzung für den Magnetresonanztomographen MRT am Spital Schaffhausen betrifft, verweist der Bundesrat darauf, dass dies der erste Fall gewesen sei, wo er einen MRT-Tarif auf seine Vereinbarkeit mit dem KVG habe prüfen müssen. «Herausgepickt» könne er den Fall schon deshalb nicht haben, weil er ja nur auf Beschwerde hin tätig werden könne. Massgebend bei seinem Entscheid sei für den Bundesrat das gesetzliche Gebot der Wirtschaftlichkeit der Tarifgestaltung gewesen. Die regionale Wirtschaftsförderung, die Erhaltung der Arbeitsplätze, stategische Überlegungen und der Wunsch des Kantons, der eigenen Bevölkerung ein Gerät der Spitzenmedizin anbieten zu können, gehörten nicht zu den Zielen des KVG. Gestützt auf eine Empfehlung der Preisüberwachung sei der Bundesrat
von einer Mindestauslastung von 3400 Untersuchungen pro Jahr ausgegangen. Der Bundesrat habe im Weiteren berücksichtigt, dass in der Schweiz mit rund 100 MRGeräten eine Überversorgung bestehe, die zu Lasten der obligatorischen Krankenversicherung finanziert werde. Der Bundesrat sei bestrebt, sich bei seiner Rechtsprechung einzig von sachlichen und rechtlichen Kriterien leiten zu lassen. Dadurch verhelfe er einer auf einheitlichen Kriterien beruhenden und damit rechtsgleichen und bundesrechtskonformen Tarifgestaltung zum Durchbruch. Im Übrigen habe offenbar die Tariffestsetzung auf 2.24 Franken die Existenz der MRT-Betreiberin nicht in Frage gestellt, da diese für das Jahr 2000 sogar einen Überschuss erwirtschaftet habe.

Zur Kritik, der Bundesrat stelle in seinen Entscheiden einseitig auf die Empfehlungen der Preisüberwachung ab, meint der Bundesrat, die fachökonomischen Empfehlungen der Preisüberwachung hätten zum Ziel, dass die Anwendung des für die 5

Botschaft vom 28. Februar 2001, BBl 2001 4202

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Berechnung der Tarife massgeblichen Bundesrechts grundsätzlich bundesweit nach einheitlichen Massstäben erfolge. Zudem dürfe nicht übersehen werden, dass die Preisüberwachung als Fachbehörde des Bundes über mehr Distanz zur Sache verfüge als die Versicherer, Leistungserbringer und auch die Kantone selbst, die ja ebenfalls Spitalträger seien. Die heikle Doppelrolle der Kantone manifestiere sich gerade auch im MRT-Fall Schaffhausen. Die Kantonsregierung könne sich nicht auf das Recht berufen, einen von der Empfehlung der Preisüberwachung abweichenden Tarif festsetzen zu dürfen, wenn sie hierzu sachfremde Kriterien wie regionalpolitische und strategische Überlegungen oder die Erhaltung von Arbeitsplätzen anführe oder einen unzulässigen Tarifvergleich vornehme und dabei die gesetzliche Vorgabe der Wirtschaftlichkeit der Tarifgestaltung ausser Acht lasse. Beim MRT-Tarif der Privatspitäler Zürich habe sich die Preisüberwachung im Februar 2000 nur deshalb mit der Absicht der Zürcher Gesundheitsdirektion, den Taxpunktwert auf 3.10 Franken zu senken, einverstanden erklärt, weil sie aus Kapazitätsgründen nicht in der Lage war, eine materielle Überprüfung vorzunehmen. Die Preisüberwachung sei nicht verpflichtet, zu jeder Anfrage Stellung zu nehmen.

3.4

Feststellungen aufgrund der Anhörungen vom 24. Oktober 2001

Die Subkommission EDI/UVEK lud die Schweizerische Sanitätsdirektorenkonferenz ein, einzelne Vertreter von Kantonen zu einer Anhörung zu entsenden. Gleichzeitig wurden Vertreter des Bundesamtes für Justiz, des Bundesamtes für Sozialversicherung und der Preisüberwachung eingeladen. Die Vertreter der Kantone wurden gemeinsam, die Amtsstellen des Bundes nacheinander angehört. Den Angehörten wurden Fragen zu den fünf Bereichen Allgemeines, Auslegung und Anwendung des KVG, Stellung und Rolle der Preisüberwachung, verfahrensrechtliche Fragen und Ärztetarif TARMED vorgelegt.

Im Folgenden werden die wichtigsten Ergebnisse der Anhörungen zusammengefasst.

3.4.1

Allgemeines

Bei der Anhörung der Kantone zeigte sich, dass deren Unmut über die Praxis der Preisüberwachung und die bundesrätliche Rechtsprechung nicht nur den Bereich der ambulanten Tarife, der Anlass zur Aufsichtseingabe bildete, sondern insbesondere auch den Bereich der stationären Tarife (Spitaltarife) betrifft. Bei der Festsetzung dieser Tarife geht es um die Frage, welchen Kostenanteil die Versicherer und die Kantone zu übernehmen haben. Die Kantone orten in diesem Bereich vor allem politische Motive der Preisüberwachung und des Eidgenössischen Departementes des Innern bei den Bemühungen, den Anteil der Versicherer an den Spitalkosten zu Lasten der Kantone möglichst tief zu halten, um einen Anstieg der Prämien zu verhindern. Die Kantone betonten, dass sie bereit seien, über diese Kostenverteilung zu sprechen. Dies müsse aber auf dem Weg der politischen Auseinandersetzung und transparent geschehen und nicht auf dem Wege eines praktischen Preisdiktats des Preisüberwachers. Der Bundesrat stütze sich fast durchwegs auf die Empfehlungen der Preisüberwachung mit der Begründung, die Kantone hätten Eigeninteressen.

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Damit anerkenne er zum vornherein die im KVG vorgesehene Rolle der Kantonsregierungen als erstinstanzliche Entscheidbehörden nicht. Die Kantone seien sich ihrer Mehrfachrolle durchaus bewusst. Sie seien aber nicht in einer einseitigen Interessenlage, sondern müssten eine Abwägung vornehmen, wozu sie auch in der Lage seien. Sie seien auch nicht an einem Anstieg der Prämien interessiert, weil dies Auswirkungen auf die Prämienverbilligung durch die Kantone habe.

Die Kantone kritisierten vor allem, dass der Bundesrat seinem gesetzlichen Auftrag, eine Verordnung über die Kostenermittlung und Leistungserfassung in den Spitälern zu erlassen, bis heute nicht nachgekommen sei. Stattdessen habe die Preisüberwachung Kriterien entwickelt, die aus der Sicht der Kantone fragwürdig seien, die aber vom Bundesrat regelmässig übernommen und damit zu verbindlichen Regeln würden. Die Kantone verlangen, dass diese Kriterien unter ihrer Mitwirkung und Mitsprache erarbeitet werden. Die Kriterien der Preisüberwachung seinen aber gleichzeitig zu wenig präzise und böten den Kantonen keine hinreichend klare Grundlage. 2001 wurde ein Entwurf der Verordnung über die Kostenermittlung und die Leistungserfassung durch Spitäler und Pflegeheime in der Krankenversicherung (VKL) bei den Kantonen in die Vernehmlassung gegeben. Dieser wird von den Kantonen sehr kritisch beurteilt. Die Verordnung sei zu wenig präzise und bringe nicht die gewünschte Klarheit. Expertenmeinungen und Vorschläge der Kantone seien nicht berücksichtigt worden.

Von Seiten des BSV und der Preisüberwachung wurde die Doppel- oder Mehrfachrolle der Kantonsregierungen in Tariffragen als Leistungserbringer und Kostenträger im Spitalbereich und als Genehmigungs- und Entscheidinstanz betont. Die Kantone hätten bei den Spitaltarifen eigene Interessen. Von der Preisüberwachung wird die Meinung vertreten, mit der Einführung des KVG habe eine Kräfteverschiebung stattgefunden, und die Krankenkassen würden ihre Aufgabe besser wahrnehmen und seien streitlustiger geworden. Durch die Rechtsprechung des Bundesrates sei die Macht der Kantonsregierungen eingeschränkt worden.

Das Bundesamt für Justiz ist sich des grossen Konfliktpotentials der Entscheide des Bundesrates im Bereich der Tarife nach KVG bewusst. Die Rechtsprechung sei für den Bundesrat eine atypische Funktion,
in der er nur einzelfallbezogen entscheiden und nicht eine flächendeckende abstrakte Regelung erlassen könne. Problematisch sei auch die Abgrenzung zwischen zwei Regelungsbereichen: Das soziale Krankenversicherungswesen ist Bundessache, für die Gesundheitspolitik sind die Kantone zuständig. Ein Grundmechanismus des KVG, wonach die Tarifverträge zwischen den Parteien ausgehandelt werden, funktioniere nicht. Die hoheitliche Tariffestsetzung durch die Kantone mit anschliessender Beschwerde an den Bundesrat hätte die Ausnahme bilden sollen, sei nun aber zur Regel geworden.

3.4.2

Auslegung und Anwendung des KVG

Die Kantone machten geltend, dass das KVG im Bereich der Tariffestsetzung in hohem Mass auslegungsbedürftig sei. Insbesondere bei den Spitaltarifen herrsche in Bezug auf Begriffe wie «anrechenbare Kosten» und «Betriebskostenanteile aus Überkapazität, Investitionskosten sowie Kosten für Lehre und Forschung» (Art. 49

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Abs. 1 KVG) und «Kostenstellenrechnung»6 (Art. 49 Abs. 6 KVG) Unklarheit.

Anstatt diese Begriffe auf dem Verordnungsweg, wie es das Gesetz vorsieht, näher zu definieren, habe der Bundesrat mittels Richterrecht die Begriffe zu füllen versucht, wobei er sich regelmässig auf die von der Preisüberwachung erarbeiteten Definitionen, die aus Sicht der Kantone nicht hinreichend klar, nicht praxisnah und teilweise nicht praktikabel seien, gestützt habe. Bei der Auslegung des KVG habe der Bundesrat den Kantonen kein Ermessen in Bezug auf regionale Gegebenheiten und Aspkete der Planung und medizinischen Versorgung, für welche die Kantone zuständig sind, zugestanden.

Nach Auffassung der Preisüberwachung stehen im Tarifbereich wirtschaftliche Fragestellungen im Vordergrund. Beim Spitaltarif nach Artikel 49 KVG etwa gebe es nichts abzuwägen: Nach Absatz 1, letzter Satz, können Betriebskostenanteile aus Überkapazität, Investitionskosten, sowie Kosten für Lehre und Forschung der Krankenkasse nicht angelastet werden. Zu Artikel 49 KVG gebe es mittlerweilen eine recht präzise Praxis und die Ermessensspielräume hätten sich eingeschränkt, was einem Anliegen der Sanitätsdirektoren entgegen komme, die Sicherheit bezüglich der Praxis des Bundesrates möchten. Für die Preisüberwachung stehe bei den Empfehlungen immer die KVG-Verträglichkeit im Vordergrund. Sie bemühe sich um eine vorsichtige Weiterentwicklung, z.B. beim Ausbau der Wirtschaftlichkeitsprüfung, wo die Datenlage noch sehr schlecht sei.

Nach Darstellung des Bundesamtes für Justiz stellt die Kontrolle der Kosten ein Leitprinzip in der Rechtsprechung des Bundesrates dar, da das KVG verlangt, dass die Leistungen wirksam, zweckmässig und wirtschaftlich erbracht werden müssten (Art. 32 KVG). Bei den Beschwerden im Tarifbereich gehe es um die Wirtschaftlichkeit. Im stationären Bereich (Spitaltarife) sei die Strategie des Bundesrates zumindest vordergründig erfolgreich gewesen, da die Kosten für stationäre Behandlungen nur marginal gestiegen seien. Der Bundesrat habe im Rahmen seiner Rechtsprechung festgestellt, dass es mangels eines transparenten Rechnungswesens schwierig sei, die tatsächlichen Kosten eines Spitals zu erfassen. Er habe deshalb Abzüge für mangelnde Transparenz eingeführt, um einen Anreiz zur Schaffung einer Kostenstellenrechnung zu geben. Weiter habe er Abzüge für nicht anrechenbare Kosten, die von den Kantonen nicht gemacht wurden, definiert.

3.4.3

Stellung und Rolle der Preisüberwachung

Die Kantone kritisierten, der Preisüberwachung komme im heutigen System die faktische Rolle einer Tariffestsetzungsinstanz zu. Die von ihr oft behelfsmässig entwickelten Empfehlungen würden vom Bundesrat regelmässig übernommen und würden auf diese Weise zur Rechtsprechung. Weiter kritisierten die Kantone den Umgang, den die Preisüberwachung mit ihnen pflegt. Die Kantone seien zwar gemäss Preisüberwachungsgesetz verpflichtet, sich mit den Argumenten der Preisüberwachung auseinander zu setzen. Dies sei aber zum Teil unmöglich, weil die 6

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Während in der deutschen Fassung von «Kostenstellenrechnung» gesprochen wird, wird in der französischen Fasssung der Begriff «comptabilité analytique» (...) verwendet. Geht man von der Definition des in der französischen (...) Fassung verwendeten Begriffes aus, so umfasst dieser die Kostenrechnung (Kostenarten-, Kostenstellen- und Kostenträgerrechnung). (BBl 2001 791)

Preisüberwachung sich weigere, gewisse Entscheidgrundlagen herauszugeben.

Wenn man von der Preisüberwachung Erläuterungen zu Entscheiden verlange, ziehe sie sich mit der Begründung zurück, ihre Aufgabe sei mit der Abgabe der Empfehlung erledigt. Der Preisüberwacher fordere zwar Kostentransparenz im Spitalbereich, sage aber nicht konkret, wie die Kosten ermittelt und dargestellt werden müssten.

Weiter bemängelten die Kantone, dass die Preisüberwachung willkürlich darüber entscheide, bei welchen Tarifverträgen sie Empfehlungen abgeben wolle. Zum Teil gebe sie auch dort Empfehlungen ab, wo sich die Vertragspartner geeinigt haben.

Dadurch würden sehr unterschiedliche Tarife für gleiche Angebote zum Tragen kommen. Der Bundesrat weise in diesem Zusammenhang darauf hin, dass er nur auf Beschwerde hin tätig werden könne. Nach Meinung der Kantone könnten stossende Tarifunterschiede verhindert werden, wenn die Preisüberwachung das Gleichbehandlungsgebot beachten und zu allen Verträgen ihre Empfehlung abgeben würde.

Nach Einschätzung der Preisüberwachung ist ihr Stellenwert bei der bundesrätlichen Rechtsprechung relativ hoch, weil sie sich als Fachbehörde einen gewissen Kredit erarbeitet habe. In vielen Kantonen würden ihre Stellungnahmen ernst genommen, weil man dort wisse, dass die Preisüberwachung die letztinstanzliche Praxis anwende. Ihre Positionen würden vom Bundesrat in den meisten Fällen geschützt, weil sich die Preisüberwachung ihrerseits an die bundesrätliche Rechtsprechung halte. Die Preisüberwachung funktioniere als eine Art Transmissionsriemen der früheren Bundesratsentscheide. Durch die entwickelte konsistente Praxis werde das KVG nicht unterlaufen, sondern angewandt. Die Preisüberwachung verwies darauf, dass der Bundesrat der Preisüberwachung nicht immer folge. Z.B. im MRTEntscheid von Schaffhausen habe der Bundesrat die Empfehlung der Preisüberwachung verschärft (Taxpunktwert von 2.24 statt 2.31).

Die Preisüberwachung verwies weiter darauf, dass sie nur ein Empfehlungsrecht habe und der Bundesrat seinerseits nur auf Beschwerde hin tätig werden könne. Dies habe zur Folge, dass ein Tarif in einem Kanton weiterbestehen könne, der in einem andern Kanton als missbräuchlich beurteilt wurde.

Das BSV weist darauf hin, dass bei den Physiotherapie-Taxpunktwerten die Gefahr grosser Kostenausweitungen
bestanden hätte. Die Taxpunktwerte seien in allen Kantonen nach einheitlichen Kriterien überprüft worden. Die Preisüberwachung habe für die Bewertung der Lebenshaltungskosten und deren kantonale Differenzen ein nachvollziehbares Instrumentarium entwickelt. Keine Berufsgruppe mit nach unten korrigierten Tarifen müsse wirklich darben. Sie mache in der Regel den tiefen Tarif mit Mengenausweitungen wett.

Nach dem Bundesamt für Justiz BJ war es für den Bundesrat sehr schwierig, zu den technisch komplexen Begriffen des KVG eine Praxis festzulegen. Er habe deshalb auf den Preisüberwacher zurückgegriffen, weil dieser das grösste betriebswirtschaftliche Knowhow in der Verwaltung besitze und es kaum möglich gewesen wäre, unabhängige Experten zu finden, die das Einverständnis beider Parteien erhalten hätten. Der Bundesrat sei der Preisüberwachung nicht blind gefolgt, aber in der Regel seien ihre Argumente überzeugend gewesen.

Zur Auseinandersetzung um die Festlegung der Spitaltarife meinte das BJ, es müsse unbedingt gelingen, dass sich die involvierten Stellen BSV, Preisüberwachung und Kantone auf ein Modell für die Kostenstellen- und Kostenträgerrechnung festlegen.

319

Die heutige Praxis, wonach bei fehlender Kostentransparenz Sicherheitsabzüge beim Spitaltarif gemacht werden, könne nicht auf Dauer fortgeführt werden. Wenn es nicht gelinge, Preisüberwachung und Kantone einander näher zu bringen, würde der unbefriedigende Zustand weiter andauern.

Der Fall des Taxpunktwertes des MRT in Schaffhausen Nach Aussage der Preisüberwachung habe sie seit längerem erkannt, dass die MRTTarife überrissen seien. Sie habe deshalb beschlossen, den nächsten sich bietenden Fall zu untersuchen. Dies sei Schaffhausen gewesen.

Im Fall Zürich, wo die Regierung den MRT-Taxpunktwert in Privatspitälern auf 3.10 festlegte, habe die Preisüberwachung aus pragmatischen Gründen nicht eingegriffen, weil sie mit 3.10 lieber den Spatz in der Hand als die Taube auf dem Dach (tieferer Tarif analog zu Schaffhausen) gehabt habe. Ein Eingreifen habe sich auch nicht aufgedrängt, da man die Einführung des TARMED erwarte, der gemäss Empfehlung der Preisüberwachung überall tiefere Taxpunktwerte in der Grössenordnung von Schaffhausen bringen werde. Die Preisüberwachung habe zudem zu wenig Kapazitäten, um überall einzugreifen.

3.4.4

Verfahrensrechtliche Fragen

Für die Kantone liegt das Problem in erster Linie bei der Art der Rechtsprechung durch den Bundesrat und in der übermässig langen Verfahrensdauer (die gesetzlich vorgesehene Verfahrensdauer von vier bzw. höchstens acht Monaten gemäss Art. 53 KVG wird vom Bundesrat regelmässig überschritten). Die Entscheidbehörde auf Bundesebene sollte sich auf eine Rechtsprüfung beschränken. Weiter solle dem Preisüberwacher seine angestammte Stellung als Preisüberwacher und nicht als Tariffestsetzungsbehörde zugewiesen werden. Nach Meinung des Kantons Waadt verletzt die heutige Regelung, wonach der Bundesrat erste und einzige Beschwerdeinstanz ist, das Gebot des unabhängigen Gerichts, wie es Artikel 6 EMRK7 vorschreibt. Es sollte deshalb auf Bundesebene eine spezialisierte Rekurskommission oder wie vorgesehen das Bundesverwaltungsgericht als Beschwerdeinstanz eingesetzt werden. Die Beschwerdeinstanz des Bundes sollte sich auf eine Sachverhaltsund Rechtskontrolle beschränken. Von einer zusätzlichen Instanz auf Kantonsebene sei abzusehen.

Die Preisüberwachung beurteilt die Doppelrolle der Kantone als Leistungserbringer und Schiedsrichter als problematisch. Dass der Bundesrat die Tarife häufig anders festlege, habe damit zu tun, dass die Kantonsregierungen ein Interesse an hohen Tarifen und hohen Kostendeckungsgraden zu Lasten der Krankenversicherungen hätten. Häufig seien die Entscheide des Bundesrates aufgrund seiner einheitlichen Praxis voraussehbar. Es fehle aber an der Akzeptanz dieser Rechtsprechung durch die Kantonsregierungen.

Das BSV sieht keine Alternative zu den Kantonsregierungen als erste, urteilende Instanz, da die Tarife in einem engen Zusammenhang mit der medizinischen Versorgung stehen, wo die Kantone zuständig sind. Es gebe zudem kaum eine alternative Instanz, die unabhängig wäre. Die Verwaltungsgerichte als kantonale Rechtsmittel7

320

Europäische Menschenrechtskonvention vom 4. November 1950 (SR 0.101)

instanzen würden von den Kantonen nicht akzeptiert. Durch die bundesrätliche Praxis bilde sich eine einheitliche Beurteilung der kantonalen Tarife heraus, was erforderlich sei. Es sei richtig gewesen, dass das KVG durch Richterrecht konkretisiert worden sei und die Lücken nicht auch noch kodifiziert wurden.

Die Preisüberwachung könnte sich wegen der ohnehin zu langen Verfahrensdauer keine zusätzliche Instanz vorstellen. Der Bundesrat müsse als einzige Beschwerdeinstanz nach den Anforderungen der EMRK volle Kognition haben.

Das Bundesamt für Justiz zeigte Verständnis für die Irritation der Kantone. Im vorliegenden Fall, wo die Kantone in erster Instanz entscheiden, sei es aber ein Gebot der Fairness, dass der Bundesrat die Entscheide der Kantone, die ein eigenes Interesse an der Tarifpolitik hätten, genau prüfe, weil sonst die anderen Akteure benachteiligt würden. Denkbar wäre, dass man ein kantonales Gericht einschalten oder auf Bundesebene eine Rekursinstanz schaffen würde. Die zentralen Fragen würden aber bestehen bleiben.

3.4.5

Ärztetarif TARMED

Die Preisüberwachung erwartet denselben Verfahrensablauf wie beim Tarif der Physiotherapeuten. Es gehe zuerst um die Berechnung des landesweiten Modelltaxpunktwertes. Ein Problem werde sein, dass ambulante Spitaltarife mit dem gleichen Tarif bewertet werden müssten wie ambulante Leistungen in freier Praxis. Es sei noch nicht klar, wann die Preisüberwachung ihre Stellungnahme abgeben werde.

Dann gelte auf kantonaler Ebene das Verhandlungsprimat.

Für das Bundesamt für Justiz ist zentral, dass der Bundesrat bei der Genehmigung des Rahmentarifs TARMED keine Fragen offen lasse. Das zuständige EDI und die Preisüberwachung, die konsultiert werde, sollten Fragen, über die sie sich nicht einig sind, dem Bundesrat vorlegen und dieser sollte darüber entscheiden und sie nicht wie bei den Physiotherapeuten dem Beschwerdeweg überlassen. Wenn dies gelinge, sei man für die zu erwartenden Beschwerden zuversichtlich. Es werde darum gehen, zunächst einen Referenz-Taxpunktwert für die ganze Schweiz festzusetzen, von dem ausgehend kantonale Abweichungen möglich seien. Für diese Abweichungen habe der Bundesrat im Rahmen der Entscheide über die PhysiotherapieTaxpunktwerte eine Rechtsprechung entwickelt (Berücksichtigung von Miet- und Lohnindizes). Vielleicht werde man noch zusätzliche makroökonomische Indizes mitberücksichtigen. Man gehe davon aus, dass der Rahmentarif TARMED für die ganze Schweiz Gültigkeit haben werde, weil kaum vorstellbar sei, dass einzelne Gruppen von Ärzten mit den Versicherern eigene Tarife aushandeln könnten, nachdem der TARMED zehn Jahre gebraucht habe. Bei der Festsetzung des provisorischen Taxpunktwertes für die Dauer des Verfahrens werde erwogen, einen von den Tarifpartnern akzeptierten gesamtschweizerischen Referenz-Taxpunktwert einzusetzen, falls ein solcher zustande komme. Das BJ räumte ein, dass es vielleicht ein Fehler gewesen sei, bei den Physiotherapie-Fällen den tiefsten, von den Versicherern akzeptierten Wert festzulegen. Das BJ stellte in Aussicht, dass die Verfahren nicht länger als acht Monate dauern sollten, sofern den zahlreichen Parteien, die in diesen Verfahren beteiligt sind, das Anhörungsrecht innerhalb dieser Frist gewährt werden kann.

321

4

Erwägungen und Schlussfolgerungen der Kommission

Mit dem ungewöhnlichen Schritt, sich an das Parlament zu wenden, signalisieren die Kantone ein starkes Unbehagen, das ernst zu nehmen ist. Die Kommission sieht die gegenseitige Rücksichtnahme und Beachtung der Zuständigkeiten von Bund und Kantonen als wichtige Grundlage des Bundesstaates und dessen Zusammenhalts an.

Sie tritt deshalb auf die Aufsichtseingabe ein mit dem Ziel, die Ursachen des Konfliktes zu untersuchen und auf mögliche Lösungen hinzuwirken. Sie nimmt dabei nicht zu jeder einzelnen Rüge Stellung und überprüft auch nicht die zur Diskussion stehenden Bundesratsentscheide materiell auf ihre Richtigkeit hin. Sie würdigt aber im Sinne einer Tendenzkontrolle einzelne Aspekte der Rechtsprechung des Bundesrates und deren Auswirkungen.

4.1

Aufgabenteilung zwischen Bund und Kantonen

Abgrenzungsprobleme zwischen kantonalem Recht und Bundesrecht Nach der in der Verfassung festgelegten Kompetenzausscheidung (Art. 3 BV) bildet die Gesundheitsversorgung eine öffentliche Aufgabe der Kantone. Der Bund ist aufgrund von Artikel 117 der Bundesverfassung für die Kranken- und Unfallversicherung zuständig. Der enge Zusammenhang der beiden Sachbereiche führt immer wieder zu Abgrenzungsproblemen. Im Bereich der Spitalplanung etwa schreibt das KVG in Artikel 39 vor, dass Spitäler zu Lasten der obligatorischen Krankenversicherung nur zugelassen sind, wenn sie unter anderem der kantonalen Planung für eine bedarfsgerechte Spitalversorgung entsprechen und in den kantonalen Spitallisten aufgeführt sind. Umstritten war, ob Beschlüsse der Kantone in diesen Bereichen selbständiges kantonales Recht oder von den Kantonen vollzogenes Bundesrecht darstellten. Hier hat das Eidgenössische Versicherungsgericht in einem Meinungsaustausch mit dem Bundesamt für Justiz bereits im August 1996 festgehalten, dass die Spitalplanung und die Ausgestaltung der Spitallisten in die alleinige Kompetenz der Kantone fallen. Entsprechend hat der Bundesrat in seiner Rechtsprechung zu den Spitallisten bei Eingriffen in die kantonale Spitalplanung Zurückhaltung geübt. Die Spitalplanung und die Spitallisten bilden Gegenstand einer separaten Untersuchung der Geschäftsprüfungskommission und sollen deshalb an dieser Stelle nicht weiter erörtert werden.

Abgrenzungsprobleme ergeben sich auch im Bereich der Tarifbildung, weil Tarife auch in einem engen Zusammenhang mit der medizinischen Versorgung stehen, für welche die Kantone zuständig sind. Nach der Konzeption des KVG ist es in erster Linie Sache der Vertragspartner, sich vertraglich über Tarife zu einigen (Vertragsund Verhandlungsprimat). Die Tarifverträge müssen ­ soweit sie nicht landesweit gelten sollen ­ von den Kantonsregierungen genehmigt werden. Nur im Fall, wo es zu keiner Einigung kommt, soll die Kantonsregierung den Tarif hoheitlich festlegen.

Dieser Entscheid kann mit Beschwerde an den Bundesrat angefochten werden.

Zweck der Zuständigkeit der Kantonsregierungen als Genehmigungs- und Festsetzungsbehörden ist, dass sie die kantonalen Gegebenheiten und die Sicht der Gesundheitsversorgung einbeziehen können.

322

Umkehr des Regel-Ausnahme-Verhältnisses In der Praxis hat sich gezeigt, dass die Regel praktisch zur Ausnahme geworden ist, weil es oft nicht gelingt, dass sich Leistungserbringer und Versicherer vertraglich einigen. In vielen Fällen mussten die Kantonsregierungen die Tarife hoheitlich festsetzen. Diese Entscheide wurden mehrheitlich mit Beschwerde an den Bundesrat angefochten. Da der Gesetzgeber vom freien Vertragsabschluss zwischen den Tarifpartnern ausging, hat er auch nicht genaue Kriterien und Eckwerte zur Berechnung von Tarifen festgelegt. Deshalb musste der Bundesrat für eine kohärente und einheitliche Rechtsprechung Kriterien zur Tariffestsetzung erarbeiten. Dabei konnte er stets nur von Einzelfällen, die ihm auf dem Beschwerdeweg unterbreitet wurden, ausgehen und musste Regeln entwickeln, die erst nach und nach entstanden. Dies brachte für alle Beteiligten, für die Leistungserbringer, die Versicherer und auch für die Kantonsregierungen als Vorinstanzen, über längere Zeiträume Rechtsunsicherheiten mit sich. Der besagte Mechanismus erklärt auch, warum der Bundesrat durchwegs längere Behandlungsfristen brauchte, als das KVG vorsieht (die vier- bzw.

achtmonatigen Fristen gemäss Artikel 53 Absatz 3 KVG wurden vom Bundesrat praktisch nie eingehalten). Diese Entwicklung war bei den Spitallisten, bei den Spitaltarifen und schliesslich bei den Tarifen ambulanter Leistungsanbieter (z.B.

Physiotherapeuten) zu beobachten.

In den Jahren 1996 bis 2001 bestätigte der Bundesrat die Entscheide der Kantonsregierungen im Tarifbereich nur gerade in 24 Prozent der Fälle. In 55 Prozent der Fälle legte er die Tarife selbst neu fest. In weiteren 15 Prozent der Fälle hob er die kantonalen Entscheide auf oder wies sie zur Neubeurteilung zurück. Diese Tendenz wurde begünstigt durch die geltenden Verfahrensregeln nach dem Verwaltungsverfahrensgesetz, wonach der Bundesrat als einzige Beschwerdeinstanz eine volle Ermessensüberprüfung vornehmen muss, die er sehr extensiv ausübte. Weiter verstärkt wurde die Tendenz durch das Zusammenspiel der Rechtsprechung des Bundesrates mit der Preisüberwachung (vgl. auch Punkt 4.3 zur Preisüberwachung).

Diese Entwicklung wurde in der Botschaft des Bundesrates zum KVG nicht vorausgesehen. Sie hatte eine Verlagerung der Kompetenz zur hoheitlichen Festsetzung der Tarife von den
Kantonen zum Bund zur Folge.

Mehrfachrolle und Eigeninteressen der Kantone Von den betroffenen Verwaltungsstellen des Bundes wurden wiederholt die Mehrfachrolle und die Eigeninteressen der Kantonsregierungen im Bereich der Spitaltarife als Leistungserbringer, Kostenträger und als Genehmigungs- und Entscheidinstanz betont. Der Bundesrat selbst weist in seiner Antwort vom 27. Juni 2001 auf die «heikle Doppelrolle» des Kantons Schaffhausen im MRT-Fall hin, die sich darin manifestiere, dass sich der Regierungsrat namentlich auch für die Interessen einer privaten Aktiengesellschaft als Betreiberin des MRT-Gerätes im Kantonsspital einsetze.

323

Schlussfolgerungen Die Kommission stellt fest, dass die Kompetenzabgrenzung zwischen Bund und Kantonen im Bereich des KVG ein erhebliches Konfliktpotential enthält und das föderalistische Zusammenwirken angesichts der Komplexität der Materie an seine Grenzen stösst. Deshalb sieht sie die gegenseitige Rücksichtnahme und Beachtung der Zuständigkeiten in diesem Bereich sowie die Bereitschaft, wo immer möglich Verhandlungslösungen zu finden, als wichtige Grundlage zur Lösung der Konflikte an.

Vor dem Hintergrund der Aufgabenteilung im KVG und der gesetzlichen Konzeption des Verhandlungsprimats stellt sich bei den Physiotherapie-Entscheiden die Frage, ob es tatsächlich erforderlich und angezeigt war, dass der Bundesrat in allen angefochtenen Fällen die Entscheide der Kantonsregierungen umstiess und an deren Stelle selbst den Taxpunktwert festsetzte, selbst dort, wo dieser nur ganz leicht vom vorinstanzlich festgelegten Taxpunktwert abwich (z.B. im Fall Schaffhausen von 0.95 auf 0.97 Franken). Hätten die Tarifpartner in den Kantonen Einigungen erzielt und Verträge abgeschlossen, wie es der Konzeption des Gesetzes entsprochen hätte, wären in den Kantonen durchaus Taxpunktwerte zur Anwendung gelangt, die auf unterschiedlichen Berechnungsgrundlagen basiert hätten. Entsprechend ist nicht leicht nachvollziehbar, dass die von den Kantonen mangels vertraglicher Einigung schliesslich verfügten Taxpunktwerte vom Bundesrat als nicht KVG-konform oder unangemessen zurückgewiesen wurden, weil sie nicht genau dem von der Preisüberwachung vorgeschlagenen, aber umstrittenen Berechnungsmodell als Beurteilungskriterium für die vom KVG geforderte, aber nicht näher definierte Wirtschaftlichkeit entsprachen.

Es ist nicht zu verkennen, dass die Kantone im Rahmen des KVG sich zum Teil widersprechende Interessen zu vertreten haben. Allerdings ist ihnen diese Mehrfachrolle vom Gesetzgeber in Kenntnis möglicher Konflikte auferlegt worden. Es ist legitim, dass sich der Bundesrat in seiner Rechtsprechung dieser Problematik bewusst ist. Nicht unproblematisch erscheint es jedoch unter dem Aspekt der gegenseitigen Rücksichtnahme und des föderalistischen Zusammenwirkens von Bund und Kantonen, wenn die Bundesbehörden dieses Argument gegen die Glaubwürdigkeit der Kantone ins Feld führen. Nicht akzeptabel wäre es indessen, wenn der
Bundesrat bei seiner Rechtsprechung die Rolle der Kantonsregierungen als Vorinstanz wegen dieser Mehrfachfunktion tatsächlich zum vornherein nicht anerkennen würde, wie die Kantone dem Bundesrat vorwerfen. Die Geschäftsprüfungskommission beurteilt den Vorwurf nicht, bedauert jedoch, dass bei den Kantonen offenbar dieser Eindruck entstanden ist. Sie hält indessen eine Entflechtung der Interessen der Kantone, wie sie im Rahmen der laufenden Teilrevision des KVG im Bereich der Spitalfinanzierung teilweise vorgesehen ist, für wünschbar.

Die GPK weist darauf hin, dass auch der Bundesrat eine Mehrfachfunktion als Vollzugsbehörde für das KVG und das Preisüberwachungsgesetz sowie als Rechtsprechungsinstanz ausübt. Nach Meinung der GPK sollte vertieft geprüft werden, wieweit diese Mehrfachfunktion des Bundesrates die von der Verfassung und vom KVG festgelegte Kompetenzaufteilung zwischen Bund und Kantonen im Tarifbereich zum Bund hin verschoben hat.

324

Die GPK stellt zudem fest, dass die Abgrenzung zwischen kantonalem Recht und Bundesrecht im Bereich der Tarifgestaltung oft unklar und umstritten ist. Da in diesem Bereich der Bundesrat, der als politische Behörde selbst betroffen ist, letztinstanzlich entscheidet, fehlt es an einer Möglichkeit, diese Frage von einem unabhängigen Gericht beurteilen zu lassen.

4.2

Auslegung und Anwendung des KVG

Unbestimmte Gesetzesbegriffe Die für die Festsetzung von Tarifen zuständigen Behörden ­ sei es der Kanton oder der Bundesrat im Beschwerdeverfahren ­ müssen darauf achten, dass eine qualitativ hochstehende und zweckmässige gesundheitliche Versorgung zu möglichst günstigen Kosten erreicht wird (Art. 43 Abs. 6 KVG). Weiter ist auf eine betriebswirtschaftliche Bemessung und eine sachgerechte Struktur der Tarife zu achten (Art. 43 Abs. 4 KVG). Bei der Genehmigung von Tarifverträgen müssen die Behörden prüfen, ob die Verträge mit dem Gesetz und dem Gebot der Wirtschaftlichkeit und Billigkeit in Einklang stehen (Art. 46 Abs. 4 KVG). Bei den Spitaltarifen werden bei Vertragsabschluss die anrechenbaren Kosten ermittelt. Betriebskostenanteile aus Überkapazität, Investitionskosten sowie Kosten für Lehre und Forschung werden nicht angerechnet (Art. 49 Abs. 1 KVG).

In diesen Bestimmungen sind zahlreiche unbestimmte Gesetzesbegriffe enthalten, die der Bundesrat durch Verordnung hätte konkretisieren können oder müssen. Gemäss Artikel 43 Absatz 7 KVG hätte der Bundesrat «Grundsätze für eine wirtschaftliche Bemessung und eine sachgerechte Struktur sowie für die Anpassung der Tarife aufstellen» können. Für die Ermittlung der anrechenbaren Kosten beim Spitaltarif hätte der Bundesrat gemäss Artikel 49 Absatz 6 KVG die nötigen Bestimmungen zur Kosten- und Leistungserfassung in den Spitälern erlassen müssen, was er bisher nicht getan hat, obwohl dieser Gesetzesauftrag seit dem Inkrafttreten des KVG 1996 besteht (ein Entwurf der Verordnung über die Kostenermittlung und die Leistungserfassung durch Spitäler und Pflegeheime in der Krankenversicherung [VKL] wurde letztes Jahr in die Vernehmlassung gegeben; er soll demnächst vom Bundesrat verabschiedet werden).

Auslegung einzelner Gesetzesbegriffe Nach Ansicht des Bundesrates kommt bei der Genehmigung oder Festsetzung von Tarifen dem Gebot der Wirtschaftlichkeit entscheidende Bedeutung zu («zu möglichst günstigen Kosten»), um dem Kostendämpfungsziel des KVG Nachachtung zu verschaffen. Der Aspekt der «qualitativ hochstehenden und zweckmässigen gesundheitlichen Versorgung» wird weitgehend ausgeklammert. Man kann sich die Frage stellen, ob die Ausklammerung dort, wo Tarife eine grundlegende Auswirkung auf Versorgungsstruktur und Qualität der Versorgung haben, sachgerecht
ist und den Grundanliegen des KVG entspricht (das KVG kennt drei Hauptziele: Sicherstellung einer hochstehenden, aber für alle finanziell tragbaren medizinischen Versorgung, Solidarität zwischen den Versicherten und Eindämmung der Kostensteigerung im Gesundheitswesen).

325

Im Beispiel des MRT-Tarifs in Schaffhausen hat der Bundesrat zwar Erwägungen zur medizinischen Versorgung der Bevölkerung gemacht, diese jedoch nur aus der Optik der Vermeidung von Überkapazitäten in einem überregionalen und sogar gesamtschweizerischen Sinn vorgenommen. Auf die Argumente des Kantons zur Erhaltung des medizinischen Standards am Kantonsspital ist er nicht eingegangen.

Dafür hat er Überlegungen zum gesamtschweizerischen Bedarf an MR-Geräten angestellt und durchblicken lassen, dass mit dem festgesetzten tiefen Tarif das Verschwinden des MR-Gerätes in Schaffhausen im Sinne einer Strukturbereinigung angestrebt wurde (Antwort des Bundesrates auf die Interpellation Wenger (00.3237 Ip. Magnetresonanztomographen. Tarife).

Es ist angesichts des Kostendämpfungsziels richtig, dass im Bereich von teuren Medizinalgeräten nach Wegen der Mengenbeschränkung gesucht wird. Trotzdem muss darauf hingewiesen werden, dass sich der Bundesrat mit der vorliegenden Argumentation in einen gewissen Konflikt mit der kantonalen Kompetenz der medizinischen Bedarfs- und Strukturplanung begibt. Für den Kanton Schaffhausen ist insbesondere stossend, dass diese Überlegungen im Rahmen eines Einzelfallentscheides und nicht im Rahmen von allgemeinen, für alle gleichermassen und gleichzeitig gültigen Grundsätzen angestellt wurden. Bei einer überregionalen Bedarfsplanung, bei der durchaus auch wirtschafts- und strukturpolitische Betrachtungen einbezogen werden müssten, würde man möglicherweise zum Schluss kommen, dass Überkapazitäten abgebaut werden sollten, dass diese aber eher im Bereich des medizinischen Zentrums Zürich als in der Randregion Schaffhausen zu suchen wären. Eine solche Bedarfsplanung ist aus der Sicht der GPK dringend erwünscht.

Es ist aber fraglich, ob die Kompetenz des Bundesrates zur Tariffestsetzung im Einzelfall hierzu eine genügende Gesetzesgrundlage bietet.

Ein besonderes Konfliktpotential liegt in der Tariffestsetzung im stationären Bereich, weil es hier primär um die Verteilung der Kosten zwischen den Versicherern und den Kantonen geht. Die Spitaltarife nach KVG bestimmen, welchen Kostenanteil die Krankenkassen und damit die Prämienzahler übernehmen müssen. Die nicht gedeckten Kosten müssen nach der noch geltenden Spitalfinanzierung von den Kantonen und damit von den Steuerzahlern getragen
werden. Die gesamten Kosten bleiben sich dabei gleich. Der in der laufenden Teilrevision des KVG zur Spitalfinanzierung vorgesehene Übergang zur Leistungsfinanzierung und zur je hälftigen Kostenübernahme durch Kantone und Versicherer sowie der vom Ständerat eingeführte Zeitrahmen zur Ausarbeitung eines monistischen Finanzierungsmodells könnten künftig zu einer Entschärfung dieses Konflikts führen.

Auswirkung der Tarifentscheide auf die Kostendämpfung Die GPK misst dem Ziel des KVG der Kostendämpfung hohe Bedeutung zu. Sie verweist an dieser Stelle auf ihren Bericht aufgrund einer Studie der Parlamentarischen Verwaltungskontrollstelle PVK zur Wirkung des KVG im Bereich der Spitallisten auf die Kostendämpfung. Der Bundesrat hat im Rahmen seiner Tarifentscheide das Ziel der Kostendämpfung konsequent verfolgt und dazu beigetragen, dass die Kosten im Bereich der ambulanten (ohne Spital ambulant) und der stationären Leistungen in den letzten Jahren relativ stabil geblieben sind. Ob jedoch ohne die zahlreichen Tarifentscheide, bei denen der Bundesrat Tarife häufiger nach unten als nach oben korrigierte, die insgesamten Kosten noch stärker gestiegen wären, kann im Rahmen dieser Abklärungen nicht endgültig beurteilt werden. Es gibt aber

326

Hinweise darauf, dass das Tiefhalten der Tarife im ambulanten Bereich zu Mengenausweitungen geführt hat, die schlussendlich die Kosteneinsparungen wieder wettmachten. Im Bereich der Spitaltarife hat der Druck zu Verlagerungen in den Spitalambulanten und teilstationären Bereich geführt. Zu diesem Schluss kommt auch die im Auftrag des BSV ausgeführte INFRAS-Studie vom Juni 2000 (Auswirkungen des KVG im Tarifbereich, S. 145 f.). Durch die Tariffestsetzung nach kantonalen Grenzen kommt es teilweise zu überhöhten Preisen, so zum Beispiel an der Peripherie des Kantons Zürich, wo die Miet- und Lohnkosten weit tiefer sind als im Zentrum.

Schlussfolgerungen Die Geschäftsprüfungskommission kommt zum Schluss, dass der Bundesrat dem klaren Gesetzesauftrag, für die Kostenermittlung und Leistungserfassung der Spitäler eine Verordnung zu erlassen, nicht rechtzeitig nachgekommen ist. Auch bei der wirtschaftlichen Bemessung der Tarife im Allgemeinen (Art. 43 Abs. 7 KVG) wäre es angezeigt gewesen, raschmöglichst Verordnungsbestimmungen zu erlassen, als sich abzeichnete, dass wegen der Beschwerdeflut das Verhandlungsprimat nicht funktionierte und der Ball beim Bund liegen würde. Stattdessen konkretisierte der Bundesrat die Begriffe auf dem Weg der Rechtsprechung. Dies wirft nebenbei die Frage nach der richtigen Normstufe auf und ob dieses Vorgehen des Bundesrates nicht gegen das Legalitätsprinzip verstösst. Die GPK würde es begrüssen, wenn der Bundesrat diese Frage näher prüfen oder eventuell durch ein Rechtsgutachten überprüfen lassen würde.

Durch den frühzeitigen Erlass von generellabstrakten Verordnungsnormen, hätte der Bundesrat für die Tarifpartner und die Kantone eine gewisse Rechtssicherheit schaffen und möglicherweise zahlreiche Beschwerden vermeiden können. Solange es diese Verordnungen nicht gab, hätte der Bundesrat mit einer gewissen Zurückhaltung bei der Ausübung seines Ermessens, insbesondere in Bereichen, wo kantonale Kompetenzen berührt sind, der Kompetenzaufteilung zwischen Bund und Kantonen besser Rechnung tragen können.

Mit klaren Vorgaben auf Verordnungsstufe könnte der Bundesrat (bzw. später das Bundesverwaltungsgericht) deren Einhaltung als bundesrechtliche Normen bei den Beschwerdeentscheiden einfordern. Diese Vorgaben müssen unter Beibehaltung des übergeordneten KVG-Ziels der Kostendämpfung ­ dem im Übrigen die Kantone ebenso wie der Bund verpflichtet sind ­ erarbeitet werden.

4.3

Stellung und Rolle der Preisüberwachung

Stellung der Preisüberwachung gemäss Gesetz und Rechtsprechung Die Preisüberwachung nimmt im Rahmen der Tarifbildung im KVG ihre gesetzlichen Aufgaben wahr. Weil ein Tarifvertrag als Wettbewerbsabrede gilt, muss die Kantonsregierung vor dessen Genehmigung oder vor der Festsetzung eines hoheitlichen Tarifs die Preisüberwachung anhören (Art. 14 Abs. 1 PüG). Die Preisüberwachung kann empfehlen, auf eine Preiserhöhung sei ganz oder teilweise zu verzichten oder ein missbräuchlich beibehaltener Preis sei zu senken. Die Kantonsregierung muss in ihrem Genehmigungs- oder Festsetzungsentscheid die Empfehlung anführen; folgt sie ihr nicht, so muss sie dies begründen (Art. 14 Abs. 2 PüG). Gemäss der 327

Rechtsprechung des Bundesrates ist die Preisüberwachung nicht verpflichtet, zu jedem ihr unterbreiteten Tarif eine Stellungnahme abzugeben; der Bundesrat misst ihr dabei zwecks effizienten Einsatzes ihrer Ressourcen ein weites Auswahlermessen zu (RKUV 1997, S. 220 ff., E. 4).

Der Bundesrat räumt der Preisüberwachung in seiner Rechtsprechung eine starke Stellung ein. Bei der Beurteilung strittiger Tarife misst der Bundesrat dem Amtsbericht der Preisüberwachung besonderes Gewicht bei und weicht von deren Auffassung grundsätzlich nur dann ab, wenn der Amtsbericht auf einer falschen Auslegung des Bundesrechts beruht oder irrtümliche tatsächliche Feststellungen, Lücken oder Widersprüche enthält. Gleich hohes Gewicht misst der Bundesrat der Empfehlung der Preisüberwachung auch dann bei, wenn die Kantonsregierung als Vorinstanz der Empfehlung nicht gefolgt ist, ausser wenn besondere Gründe, wie zum Beispiel unterschiedliche örtliche Verhältnisse, eine Abweichung rechtfertigen (RKUV 1997 S. 343 ff., E. 4.6). Der Bundesrat begründet dies damit, dass die Anwendung des für die Berechnung der Tarife massgeblichen Bundesrechts grundsätzlich nach einheitlichen Massstäben erfolgen solle. Die Amtsberichte der Preisüberwachung vermitteln nach Meinung des Bundesrates Sachkunde, die der entscheidenden Behörde abgehe. In seiner Stellungnahme vom 27. Juni 2001, S. 7, hält der Bundesrat zudem fest, die Preisüberwachung verfüge als Fachbehörde des Bundes über mehr Distanz zur Sache als die Versicherer, Leistungserbringer und auch die Kantone, die ja ebenfalls Spitalträger seien.

Schlussfolgerungen Insgesamt ist die starke Stellung der Preisüberwachung im Sinne des Ziels der Kostendämpfung grundsätzlich zu begrüssen. Allerdings ist ihre bisherige Bedeutung für die Kosteneindämmung im Lichte der INFRAS-Studie vom Juni 2000 (Auswirkungen des KVG im Tarifbereich, S. 145 f.) zu relativieren (vgl. Punkt 4.2 hiervor).

Die Preisüberwachung prüft Tarife vor allem unter betriebswirtschaftlichen Aspekten. Sie muss allerdings allfällige übergeordnete öffentliche Interessen mitberücksichtigen (Art. 14 Abs. 3 PüG). Bei der Beurteilung dieser öffentlichen Interessen im Rahmen der Empfehlungen der Preisüberwachung stellt sich die Frage, ob der Bundesrat der von den Kantonen vorgenommenen Beurteilung dieses öffentlichen Interesses
nicht ebensoviel Bedeutung beimessen sollte. Weil bei der Tarifbildung auch versorgungspolitische Fragen betroffen sind, müssten auch andere als rein betriebswirtschaftliche Gesichtspunkte einbezogen werden.

Die starke Stellung der Preisüberwachung wurde bei der Schaffung des KVG nicht erkannt, weil man vom Vertragsprimat ausging. Zumindest ist die eingetretene Entwicklung in der Botschaft des Bundesrates zum KVG vom 6. November 1991 nicht dargestellt (BBl 1992 180 ff.). Sie wurde zusätzlich dadurch akzentuiert, das der Bundesrat bzw. die Instruktionsstelle beim Bundesamt für Justiz die Preisüberwachung gezielt anfragte, allgemeingültige Kriterien zur Ausfüllung der im KVG zahlreichen unbestimmten Rechtsbegriffe auszuarbeiten.

Dadurch, dass der Bundesrat den Empfehlungen der Preisüberwachung eine sehr starke Bedeutung beimisst, wurde dem Vertrags- und Verhandlungsprimat entgegen gewirkt. Im Fall der Physiotherapie-Taxpunktwerte liess sich nach dem Berechnungsmodell der Preisüberwachung für die Tarifpartner mit grosser Sicherheit ein Entscheid des Bundesrates voraussehen, so dass sie kaum mehr zu abweichenden Vertragslösungen bereit waren. Im Kontext dieser starken Stellung kann sich ein 328

unregelmässiges und nur sporadisches Eingreifen der Preisüberwachung marktverzerrend und für einzelne Tarifpartner oder in Kantonsgrenzgebieten stossend auswirken.

Die Geschäftsprüfungskommission hat den Vorwurf der Kantone, die Preisüberwachung würde ihre Entscheid- und Berechnungsgrundlagen zu wenig transparent machen, nicht vertieft überprüft. Angesichts des hohen Stellenwertes, der den Empfehlungen der Preisüberwachung zukommt, erscheint es angezeigt, dass diese Grundlagen den Tarifpartnern und den Kantonen soweit möglich zugänglich sind.

Umgekehrt stösst der Preisüberwacher bei den Leistungserbringern oft auf Widerstand, wenn es darum geht, dass diese standardisierte Daten zur Verfügung stellen, welche Preisvergleiche und Wirtschaftlichkeitsprüfungen ermöglichen.

4.4

Einführung des Ärztetarifs TARMED

Der Bundesrat beabsichtigt offenbar, bei den zu erwartenden Beschwerden zu Taxpunktentscheiden der Kantone aufgrund des Rahmentarifs TARMED im Wesentlichen gleich vorzugehen wie bei den Tarifbeschwerden der Phyiotherapeuten oder nur punktuell gewisse Korrekturen vorzunehmen. In diesem Fall ist eine Beschwerdeflut abzusehen. Der Rahmentarif TARMED wird voraussichtlich auf 2003 in Kraft gesetzt werden können. Im Laufe desselben Jahres dürften auf kantonaler Ebene Tarifverhandlungen aufgenommen werden. Es ist nach den bisherigen Erfahrungen damit zu rechnen, dass in zahlreichen Fällen die Verhandlungen scheitern und hoheitliche Tariffestsetzungen durch Kantonsregierungen erfolgen werden, die mit Beschwerde angefochten werden können. Da das Bundesverwaltungsgericht erst ca.

2005 funktionell sein wird, ist davon auszugehen, dass die Taxpunktbeschwerden aufgrund des Rahmentarifs TARMED noch vom Bundesrat zu behandeln sein werden. Die Geschäftsprüfungskommission vertritt die Meinung, dass alle möglichen Massnahmen ergriffen werden sollten, die zu vermehrter Bereitschaft der Tarifpartner zum Abschluss von Tarifverträgen auf kantonaler und regionaler Ebene und zu einer raschen Erledigung der anfallenden Beschwerden beitragen.

4.5

Zuständigkeit und Verfahren

Aufgrund der heutigen Mehrfachrolle des Bundesrates als verantwortliche Vollzugsbehörde des KVG, als Verordnungsgeber und als Rechtsprechungsbehörde begrüsst die Geschäftsprüfungskommission die in der Totalrevision der Bundesrechtspflege vorgesehene Zuweisung der Beschwerden an das künftige Bundesverwaltungsgericht. Solange der Bundesrat für die Beschwerden nach KVG zuständig ist, muss er nach den Erfordernissen der EMRK volle Kognition besitzen, d.h. die angefochtenen Entscheide auch in Bezug auf das Ermessen überprüfen können. Der Bundesrat hat aber die Möglichkeit, sein Ermessen dort zurückhaltend anzuwenden, wo örtliche Verhältnisse zur Frage stehen oder die Kompetenz der Kantone berührt ist.

329

5

Empfehlungen

5.1

Aufgabenteilung zwischen Bund und Kantonen

Empfehlung 1: Massnahmen zum Abbau von Konflikten zwischen Bund und Kantonen Der Bundesrat sucht in der konfliktgeladenen Situation nach Wegen, die gegenseitige Rücksichtnahme und Beachtung der Zuständigkeiten von Bund und Kantonen zu fördern, sei es durch Gespräche auf Regierungsebene oder sei es durch Meinungsaustausch und Vernehmlassungen auf Verwaltungsstufe.

Empfehlung 2: Rolle der Mehrfachfunktion des Bundesrates Der Bundesrat prüft, inwiefern die Mehrfachfunktion des Bundesrates als Vollzugsbehörde für das KVG und das Preisüberwachungsgesetz sowie als Rechtsprechungsinstanz die von der Verfassung und vom KVG festgelegte Kompetenzaufteilung zwischen Bund und Kantonen zum Bund hin verschoben hat.

5.2

Auslegung und Anwendung des KVG

Empfehlung 3: Berücksichtigung des Ermessens der Kantone Der Bundesrat wird eingeladen zu prüfen, wie das Ermessen der Kantone in Bezug auf regionale Verhältnisse und direkte Auswirkungen auf die medizinische Versorgung und Versorgungsstruktur entsprechend der Kompetenzaufteilung besser berücksichtigt werden kann, ohne dem übergeordneten Ziel des KVG der Kostenkontrolle entgegen zu wirken.

Empfehlung 4: Erlass von Verordnungsrecht Der Bundesrat wird gebeten, beim Erlass der in Arbeit befindlichen Verordnung zur Kostenermittlung und Leistungserfassung durch Spitäler die Mitwirkung der Kantone angemessen zu berücksichtigen. Er soll überdies den Erlass einer Verordnung gemäss Artikel 43 Absatz 7 KVG (Grundsätze für eine wirtschaftliche Bemessung der Tarife) prüfen.

330

5.3

Stellung und Rolle der Preisüberwachung

Empfehlung 5: Einbezug anderer Expertenmeinungen Dem Bundesrat wird empfohlen, den Berechnungsmodellen der Preisüberwachung auch andere Expertenmeinungen gegenüber zu stellen und eine verstärkte Abwägung vorzunehmen (kein Automatismus). Der Bundesrat wird zudem gebeten zu prüfen, wieweit bei der Beurteilung der öffentlichen Interessen im Rahmen der Empfehlungen der Preisüberwachung der von den Kantonen vorgenommenen Beurteilung dieses öffentlichen Interesses besser Rechnung getragen werden kann.

Empfehlung 6: Transparenz der Beurteilungsgrundlagen und regelmässige Interventionspraxis Der Bundesrat sorgt dafür, dass die Preisüberwachung ihre Beurteilungsgrundlagen transparent und für die Betroffenen zugänglich macht und dass die Interventionen der Preisüberwachung regelmässig und voraussehbar erfolgen.

5.4

Einführung des Ärztetarifs TARMED

Empfehlung 7: Massnahmen zur Förderung von Tarifvertragsabschlüssen Dem Bundesrat wird empfohlen, Massnahmen zu treffen, um den Abschluss von Tarifverträgen zu fördern. Dabei sollten Tarifverhandlungen auch auf regionaler und kantonsübergreifender, nicht nur auf kantonaler Basis geführt werden.

Empfehlung 8: Kriterien zur Bemessung der Taxpunktwerte Im Fall von Beschwerden gegen Entscheide von Kantonsregierungen wird der Bundesrat gebeten, zur Bemessung der Taxpunktwerte weitere Kriterien als bloss Miet- und Lohnindizes einzubeziehen und auch die Möglichkeit von innerkantonalen Abstufungen (z.B. Beachtung des Stadt-Land-Gefälles) zur Vermeidung von Marktverzerrungen und unangemessenen Eingriffen in die kantonalen Versorgungsstrukturen zu prüfen.

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6

Weiteres Vorgehen

Der Bundesrat wird gebeten, der Geschäftsprüfungskommission seine Stellungnahme zu diesem Bericht und zu den Empfehlungen bis Ende September 2002 zukommen zu lassen.

Genehmigen Sie, sehr geehrter Herr Bundespräsident, sehr geehrte Frauen Bundesrätinnen, sehr geehrte Herren Bundesräte, den Ausdruck unserer vorzüglichen Hochachtung.

5. April 2002

Im Namen der Geschäftsprüfungskommission des Ständerates Der Präsident der Kommission: Michel Béguelin, Ständerat Der Präsident der Subkommission EDI/UVEK: Hansruedi Stadler, Ständerat Für das Sekretär der Geschäftsprüfungskommissionen: Irene Moser

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Abkürzungsverzeichnis BBl BSV BV EDI EMRK EVG GVG KVG PüG RKUV SDK SR

Bundesblatt der Eidgenossenschaft Bundesamt für Sozialversicherung Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999 (SR 101) Eidgenössisches Departement des Innern Europäische Menschenrechtskonvention vom 4. November 1950 (SR 0.101) Eidgenössisches Versicherungsgericht Geschäftsverkehrsgesetz vom 23. März 1962 (SR 171.11) Bundesgesetz über die Krankenversicherung vom 18. März 1994 (SR 832.10) Preisüberwachungsgesetz vom 20. Dezember 1985 (SR 942.20) Rechtsprechung und Verwaltungspraxis der Kranken- und Unfallversicherung Schweizerische Sanitätsdirektorenkonferenz Systematische Sammlung des Bundesrechts

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