9.2.6

Botschaft über das Übereinkommen zur Errichtung des Beratungszentrums für WTO-Recht (ACWL) vom 15. Januar 2003

9.2.6.1 9.2.6.1.1

Allgemeiner Teil Übersicht

Das Beratungszentrum für WTO-Recht (nachstehend: das «Zentrum» oder «ACWL»1) hat die Aufgabe, den in Streitbeilegungsverfahren der Welthandelsorganisation (WTO) involvierten Entwicklungsländern juristischen Beistand zu leisten.

Das Zentrum wurde am 30. November 1999 anlässlich der dritten Ministerkonferenz der WTO in Seattle geschaffen. Seine Rechtsstellung entspricht derjenigen einer zwischenstaatlichen Organisation. Die Organisation hat ihren Sitz in Genf2. Ende September 2002 zählte das Zentrum 28 Mitglieder: 9 Industrieländer3, 19 Entwicklungsländer/Transitionsländer4 und ein Land, dessen Beitritt zur WTO bevorsteht5.

Das Übereinkommen zur Einrichtung des Zentrums ist am 15. Juli 2001 in Kraft getreten.

9.2.6.1.2

Das Verfahren zur Streitbeilegung in der WTO

Mit der Vereinbarung über Regeln und Verfahren für die Streitbeilegung (SR 0.632.20 Anhang 2) sind ­ im Vergleich zum GATT ­ die Bestimmungen über die Streitbeilegung in der WTO grundlegend verbessert worden. Glaubwürdigkeit und Akzeptanz des Streitbeilegungsverfahrens können aber nur gewährleistet werden, wenn sämtliche Mitglieder der WTO daran vollumfänglich teilnehmen können. Die Streitbeilegungsverfahren festigen das Regelwerk der WTO, machen das Handelssystem sicherer und tragen so dazu bei, dass der Handelsverkehr reibungslos abläuft.

9.2.6.1.3

Situation der Entwicklungsländer in Bezug auf das Streitbeilegungsverfahren

Im Unterschied zu den Industrieländern verfügt die Mehrheit der Entwicklungsländer nicht über die nötige juristische Erfahrung und die finanziellen Mittel zur Wahrnehmung ihrer Rechte im Streitbeilegungsverfahren der WTO. Um dieses Ungleich1 2 3 4

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Advisory Centre for WTO Law.

Zwischen dem Zentrum und dem Bundesrat wurde am 18.10.2001 ein Sitzabkommen unterzeichnet.

Dänemark, Grossbritannien, Finnland, Irland, Italien, Kanada, Niederlande, Norwegen, Schweden.

China, Dominikanische Republik, Ecuador, Guatemala, Honduras, Hong Kong, Indien, Jordanien, Kenia, Kolumbien, Lettland, Nicaragua, Panama, Pakistan, Peru, Philippinen, Thailand, Tunesien, Uruguay, Venezuela.

Oman.

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gewicht zu beheben, wurde das Beratungszentrum für WTO-Recht geschaffen. Seit 1995 sind beim Streitbeilegungsorgan (DSB) rund 260 Klagen eingereicht worden, davon etwa 150 von Entwicklungsländern, was deren wachsendes Interesse an diesem Verfahren zeigt. Die grosse Mehrheit der Fälle konnte allerdings bereits in der vor dem Verfahren durchgeführten Konsultationsphase geregelt werden. Bisher hat das DSB in 65 Streitfällen ein Urteil gefällt. Die meisten von Seiten der Entwicklungsländer angestrengten Verfahren gingen von Argentinien, Brasilien, Indien und Mexiko aus. Die andern Entwicklungsländer, die zahlenmässig die grösste Gruppe bilden, haben sich bisher kaum beteiligt. Bis heute war kein zu den am wenigsten entwickelten Ländern gehörendes WTO-Mitglied in der Lage, beim DSB ein Verfahren zu eröffnen.

9.2.6.1.4

Schweizerische Interessenlage

Es liegt im Interesse der Schweiz, dass die Entwicklungsländer sich vollumfänglich am multilateralen Handelssystem der WTO beteiligen. Indem diesen Ländern eine bessere Wahrnehmung ihrer Rechte verschafft wird, wird auch die Glaubwürdigkeit und die Akzeptanz des WTO-Systems gestärkt. Bisher ist von keinem Entwicklungsland beim Streitbeilegungsorgan der WTO Klage gegen die Schweiz eingereicht worden. Die Wahrscheinlichkeit, dass ein solcher Fall eintritt, kann als sehr gering eingestuft werden.

9.2.6.2 9.2.6.2.1

Besonderer Teil Inhalt und Ziele des Übereinkommens

Das Übereinkommen definiert die Ziele und Aufgaben des Zentrums und seine Struktur, es enthält Bestimmungen u.a. über die Beschlussfassung, die Finanzarchitektur, die Rechte und Pflichten der Mitglieder sowie speziell über die Rechte der ärmsten Länder.

Das Zentrum will den Entwicklungsländern, insbesondere den ärmsten unter ihnen, und den Transitionsländern Ausbildung, Unterstützung und juristischen Beistand zum WTO-Recht und zu den Streitbeilegungsverfahren anbieten. Das Angebot umfasst drei Arten von Dienstleistungen: ­

Rechtsgutachten über das WTO-Recht6;

­

Unterstützung von Vertragsparteien und von Drittparteien in den Streitbeilegungsverfahren der WTO;

­

Ausbildung von Beamten in WTO-Recht durch Seminare über das Recht und die Rechtsprechung der WTO sowie durch Praktika und andere geeignete Mittel.

Diese hochspezialisierten Dienstleistungen werden zu weit erschwinglicheren Konditionen erbracht als jene von privaten Anwaltspraxen. Die ärmsten Entwicklungs-

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Die Gutachten werden erteilt aufgrund von Machbarkeitsabklärungen für die Eröffnung eines Streitbeilegungsverfahrens zum WTO-Recht, der Konformität nationaler Bestimmungen in Bezug auf die WTO-Regeln und der Auswirkungen von Bestimmungen der WTO-Abkommen auf das nationale Recht.

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länder kommen dabei in den Genuss besonders günstiger Bedingungen. Nach der Prüfung des Falls rät das ACWL dem Land entweder ab, ein Verfahren aufzunehmen, oder ermuntert es, das Verfahren weiterzufolgen oder die Streitfrage einzuschränken. Wird entschieden, ein Streitbeilegungsverfahren aufzunehmen, leistet das Zentrum dem begünstigten Land kompetenten Beistand, der auch eine enge Begleitung durch alle Verfahrensschritte einschliesst. Das Zentrum prüft die Unterlagen des Streitfalles, erarbeitet eine juristische Strategie und erstellt das der Schiedsrichtergruppe und dem Appellationsorgan zu unterbreitende Dossier. Zwischen Juli 2001 und September 2002 hat das Beratungszentrum Ecuador, Indien, Pakistan und Peru in Streitbeilegungsverfahren Beistand geleistet. Davon profitierte beispielsweise Peru in der Auseinandersetzung mit der EU betreffend den Handel mit Sardinen.

Die Organe des ACWL sind die Generalversammlung, die Geschäftsleitung und der Exekutivdirektor. Die Generalversammlung ist das oberste Entscheidungsorgan des ACWL. Sie trifft zweimal jährlich zusammen, um den Betrieb des ACWL zu überprüfen. Sie trifft ihre Beschlüsse in der Regel durch Konsens. Die Geschäftsleitung fällt die nötigen Entscheidungen, um den effizienten Betrieb des ACWL zu gewährleisten und erstattet der Generalversammlung Bericht. Sie besteht aus 5 Mitgliedern7, die der Geschäftsleitung aufgrund ihrer persönlichen Eigenschaft angehören und nach Massgabe ihrer Fachkompetenzen ausgewählt und von der Generalversammlung ernannt werden, sowie aus dem Exekutivdirektor. Dieser leitet die laufenden Geschäfte des ACWL. Die Tätigkeiten des ACWL werden durch ein neunköpfiges Team ausgeführt, dem neben dem Exekutivdirektor 3 Senior Lawyers, 3 Junior Lawyers, ein Office Manager und eine Sekretärin angehören. Die Gehälter entsprechen den bei der WTO geltenden Ansätzen.

Die finanziellen Beiträge der Mitglieder sind entweder als Kapitalausstattung oder direkt dem jährlichen Betriebsbeitrag zu überweisen. Das Zentrum stellt die Kosten der juristischen Dienstleistungen nach Massgabe des Entwicklungsstandes eines Landes in Rechnung. Das Jahresbudget wird durch die Erträge aus der Kapitalausstattung des Zentrums, die für die Dienstleistungen des Zentrums fakturierten Kosten und durch allfällige freiwillige Beiträge von Regierungen,
internationalen Organisationen oder privaten Gönnern finanziert. Das Zentrum verfügt über einen externen Wirtschaftsprüfer. Die Schweiz, welche über die letzten Jahre einige Male um Beistand ersucht worden ist, möchte das ACWL konkret unterstützen. Sie wird daher einen freiwilligen Beitrag von 1 Million Franken, bestehend aus fünf gleichen Tranchen von je 200 000 Franken für das Jahresbudget und den Zeitraum 2003­2007, leisten. Im Vergleich zu den Beiträgen anderer Geber bleibt der Schweizer Beitrag in einem bescheidenen Verhältnis. Er ermöglicht jedoch der Schweiz, wie die Mitglieder der Industrieländer auf die Ausrichtung des Zentrums Einfluss zu nehmen.

9.2.6.3

Finanzielle und personelle Auswirkungen

Der Beitritt der Schweiz zum ACWL bedeutet nicht, dass sie automatisch statutarische Beiträge überweisen muss. Er hat für den Bund keinerlei personelle Auswirkungen.

7

Die Mitglieder der Geschäftsleitung erhalten kein Gehalt. Es handelt sich um Personen, deren Kapazität auf dem Gebiet des Rechts und des internationalen Handels anerkannt ist.

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9.2.6.4

Legislaturplanung

Die Vorlage wird in der Legislaturplanung 1999­2003 nicht ausdrücklich aufgeführt. Sie entspricht aber dem Inhalt von Ziel 2 (Ausbau der aussen- und sicherheitspolitischen Präsenz in den Bereichen Friedensförderung, Schutz der Menschenrechte, Entwicklungszusammenarbeit ­ verbesserte Stellung und Wahrnehmung der Schweiz im internationalen Umfeld) (BBl 2000 2276).

9.2.6.5

Bezug zu anderen Instrumenten der Handelspolitik und Verhältnis zum europäischen Recht

Das Übereinkommen ist sowohl mit den WTO-Regeln als auch mit dem europäischen Recht und unserer europäischen Integrationspolitik vereinbar.

9.2.6.6

Verfassungsmässigkeit

Nach Artikel 54 Absatz 1 der Bundesverfassung (BV) sind die auswärtigen Angelegenheiten Sache des Bundes. Die Zuständigkeit der Bundesversammlung zur Genehmigung von völkerrechtlichen Verträgen ergibt sich aus Artikel 166 Absatz 2 BV.

Nach Artikel 141 Absatz 1 Buchstabe d BV werden völkerrechtliche Verträge dem fakultativen Referendum unterstellt, wenn sie unbefristet und unkündbar sind, den Beitritt zu einer internationalen Organisation vorsehen oder eine multilaterale Rechtsvereinheitlichung herbeiführen. Das vorliegende Übereinkommen ist jederzeit kündbar (Art. 11) und führt keine multilaterale Rechtsvereinheitlichung herbei. Hingegen wird mit dem Übereinkommen eine zwischenstaatliche Organisation mit Sitz in Genf (Art. 10) geschaffen. Sie hat eigene Organe (Art. 3), besitzt eigene internationale Rechtspersönlichkeit und hat die Kompetenz, Rechtsbindungen einzugehen (Art. 10). Es handelt sich somit um eine internationale Organisation im Sinne von Artikel 141 Absatz 1 Buchstabe d (Ziff. 2) BV, welcher die Schweiz beitritt. Das vorliegende Übereinkommen unterliegt demzufolge dem fakultativen Staatsvertragsreferendum.

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