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Botschaft über die Gewährleistung der Verfassung des Kantons Âppenzell Âusserrhoden

vom 10. Januar 1996

Sehr geehrte Herren Präsidenten, sehr geehrte Damen und Herren, wir unterbreiten Ihnen den Entwurf zu einem Bundesbeschluss über die Gewährleistung der Verfassung des Kantons Appenzell Ausserrhoden mit dem Antrag auf Zustimmung.

Wir versichern Sie, sehr geehrte Herren Präsidenten, sehr geehrte Damen und Herren, unserer vorzüglichen Hochachtung.

10. Januar 1996

Im Namen des Schweizerischen Bundesrates Der Bundespräsident: Delamuraz Der Bundeskanzler: Couchepin

1995-977

37 Bundesblati 148. Jahrgang. Bd. I

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Übersicht Artikel 6 der Bundesverfassung verpflichtet die Kantone, für ihre Verfassungen die Gewährleistung des Bundes einzuholen. Nach Absatz 2 des gleichen Artikels gewährleistet der Bund kantonale Verfassungen, wenn sie die Bundesverfassung, aber auch anderes Bundesrecht nicht verletzen, die Ausübung der politischen Rechte in republikanischen Formen sichern, vom Volk angenommen worden sind und revidiert werden können, wenn die Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger es verlangt. Erfüllt eine kantonale Verfassung diese Anforderungen, so inuss sie gewährleistet werden; erfüllt eine kantonale Verfassungsnorm eine dieser Voraussetzungen nicht, so ist die Gewährleistung zu verweigern.

Die Stimmberechtigten des Kantons Appenzell Ausserrhoden haben in der Landsgemeinde vom 30. April 1995 ihrer totalrevidierten Verfassung zugestimmt. Die neue Verfassung präsentiert sich sowohl in formeller als auch in materieller Hinsicht als ein neuzeitliches Grundgesetz für den Kanton Appenzell Ausserrhoden.

Neben einer klaren systematischen Gliederung und einer der heutigen Zeit angepassten sprachlichen Formulierung enthält die neue Verfassung auch materiellrechtliche Neuerungen. So ist die neu eingeführte Einheitsinitiative zu envähncn, welche den Entscheid, ob ein Anliegen auf Verfassungs- oder Gesetzesstufe zu verwirklichen ist, dem Kantonsrat überlässt. Eine Besonderheit des Kantons Appenzell Ausserrhoden ist die neu in der Verfassung verankerte Volksdiskussion, welche den Bürgerinnen und Bürgern die Möglichkeit gibt, sich vor dem Kantonsrat mündlich zu einem schriftlich gestellten Antrag zu äussern. Durch die Verankerung der Gemeindeautonomie in der Verfassung und die Verpflichtung aller kantonalen Organe, eine möglichst grosse Selbständigkeit der Gemeinden zu wahren, wird die Gemeindeautonomie gestärkt. Neben einem umfassenden Gnmdrechtskatalog enthält die neue Verfassung auch Sozialrechte und Sozialziele sowie einen Aufgabenkatalog, der alle wesentlichen Aufgaben des Kantons übersichtlich aufführt. Die Prüfung hat ergeben, dass sämtliche Verfassungsartikel die Voraussetzungen für die Gewährleistung erfüllen. Es wird daher im einzelnen lediglich auf Bestimmungen eingegangen, die in direktem Verhältnis zu bitndesrechtlich geregelten Materien stehen.

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Botschaft l

Ausgangslage

Am 28. April 1991 beschloss die Landsgemeinde des Kantons Appenzell Ausserrhoden mit grossem Mehr, die Kantonsverfassung aus dem Jahre 1908 einer Totalrevision zu unterziehen. Sie beauftragte mit der Ausarbeitung einer neuen Verfassung den Kantonsrat und lehnte es damit ab, einen Verfassungsrat dafür einzusetzen. Eine 44 Mitglieder zählende Kommission des Kantonsrates nahm ihre Arbeit mit einer konstituierenden Sitzung am 23. September 1991 auf und arbeitete in 23 Plenums- und rund 140 Arbeitsgruppensitzungen einen Entwurf aus. Der Kantonsrat verabschiedete diesen Entwurf ohne grössere Änderungen am 20. Februar 1995 zuhanden der Landsgemeinde. Gegen diesen Beschluss erhob ein Stimmbürger Stimmrechtsbeschwerde beim Bundesgericht und rügte, durch das Abstimmungsverfahren in der Landsgemeinde werde das bundesrechtlich garantierte Stimm- und Wahlrecht verletzt. Der Beschwerdeführer verfolgte mit seiner Beschwerde das Ziel, dass über die neue Kantonsverfassung nicht an der Landsgemeinde vom 30. April 1995, sondern in einer Urnenabstimmung beschlossen werde. Das Bundesgericht wies die Beschwerde jedoch am 19. April 1995 ab .(BGE 121 I 139ff.). Die Stimmberechtigten des Kantons Appenzell Ausserrhoden hiessen die neue Verfassung in der Landsgemeinde vom 30. April 1995 gut. Mit Schreiben vom 4. Mai 1995 ersucht der Regierungsrat des Kantons Appenzell Ausserrhoden um die eidgenössische Gewährleistung.

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Aufbau und Inhalt der Verfassung

Einer der Gründe für die Totalrevision der Kantonsverfassung waren formelle Mängel der alten Verfassung, die durch eine unbefriedigende Systematik, uneinheitliche Regelungsdichte sowie veraltete und von der Realität überholte Umschreibungen der öffentlichen Aufgaben des Staates und der Kompetenzen der verschiedenen Organe geprägt war. Die neue Verfassung weist einen klaren systematischen Aufbau auf. Der Text ist in einer lesefreundlichen und inhaltlich leicht verständlichen Form abgefasst. Die Verfassung enthält aber auch inhaltlich neue Materien, wovon als wichtigste die folgenden zu erwähnen sind: - Die neue Verfassung enthält Grundsatzbestimmungen und einen ergänzten, umfassenden Grundrechtskatalog sowie Sozialrechte und Sozialziele.

- Die Aufgaben des Staates werden übersichtlich und ausführlich genannt.

- Im Bereich der Volksrechte sind als bedeutendste Neuerungen die Einführung der Einheitsinitiative und die neu in der Verfassung verankerte Möglichkeit der Volksdiskussion zu erwähnen.

- Die Gemeindeautonomie wird in der Verfassung ausdrücklich verankert und dadurch verstärkt. Nach neuem Verfassungsrecht gibt es nur noch Einwohnergemeinden; die Bürgergemeinden werden aufgehoben.

Im Gegensatz zur alten Verfassung wird die neue von einer Präambel eingeleitet, welche das Selbstverständnis der Verfassung zum Ausdruck bringt und eine Leitlinie für die staatliche Tätigkeit darstellt. Die folgenden 118 Artikel sind in 14 Abschnitte gegliedert und enthalten Grundsätze, Grundrechte, Sozialrechte und Sozialziele, persönliche Pflichten, öffentliche Aufgaben, Volksrechte, Bestimmungen über die Landsgemeinde, die Behörden, die Finanzordnung, die Gemeinden,

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die Körperschaften und Anstalten des öffentlichen Rechts, Staat und Kirche, Bestimmungen über die Revision der Verfassung sowie Schluss- und Übergangsbestimmungen.

Im ersten Abschnitt (Art. 1-3) werden die freiheitliche, demokratische und soziale Rechtsstaatlichkeit sowie die Stellung des Kantons im Bund verankert. Es werden ausserdem das Gebiet des Kantons umschrieben und die Grundlagen des Bürgerrechts festgelegt.

Der zweite Abschnitt (Art. 4-23) enthält einen umfassenden und ausgebauten Grundrechtskatalog, der auch Bestimmungen über Geltung und Schranken der Grundrechte umfasst.

Im drillen Abschnitt (Art. 24-25) werden Sozialrechte und Sozialziele verankert.

Im vierten Abschnitt (Art. 26) werden die persönlichen Pflichten festgehalten.

Der fünfte Abschnitt (Art. 27-49) ist den öffentlichen Aufgaben gewidmet. Eingangs werden die Grundsätze Öffentlicher Aufgabenerfüllung festgehalten und anschliessend die öffentlichen Aufgaben im einzelnen aufgezählt, wobei die öffentliche Ordnung und Sicherheit, Umwelt und Naturschutz, Denkmalpflege und Landschaftsschutz, Raumordnung und Bauwesen, Verkehr, Wasser, Energie, Abfall, Erziehung und Bildung, Soziales, Wirtschaftsordnung, Gesundheitswesen, Kultur, Wissenschaft und Freizeitgestaltung als Sachgebiete aufgeführt werden.

Der sechste Abschnitt (Art. 50-57) gilt den Volksrechten. Er enthält Bestimmungen über die Volksinitiative und verankert die Volksdiskussion sowie das Recht auf Teilnahme bei Vernehmlassungen.

Der siebte Abschnitt (Art. 58-60) enthält die Bestimmungen über die Durchführung und die Zuständigkeiten der Landsgemeinde.

Der achte Abschnitt (Art. 61-95) ordnet die Grundsätze der Behördenorganisation, der Gewaltenteilung sowie der Information der Öffentlichkeit. Es werden die Befugnisse von Kantonsrat und Regierungsrat aufgeführt. Es wird festgelegt, wann Befugnisse von einer Behörde an eine andere delegiert werden dürfen und welche Bestimmungen in Form eines Gesetzes erlassen werden müssen.

Im neunten Abschnitt (Art. 96-99) werden die Grundsätze der Finanzordnung des Kantons geregelt.

Der zehnte Abschnitt (Art. 100-107) enthält die Bestimmungen über die Gemeinden und legt die Grundzüge ihrer Organisation fest.

Der elfte Abschnitt (Art. 108) enthält die Grundlage für die Körperschaften und Anstalten des öffentlichen Rechts, Der zwölfte
Abschnitt (Art. 109-111) befasst sich mit der Stellung der Religionsgemeinschaften.

Der dreizehnte Abschnitt (Art. 112-114) enthält die Bestimmungen über die Revision der Verfassung.

Im vierzehnten Abschnitt (Art. 115-118) sind die Schluss- und Übergangsbestimmungen enthalten.

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Voraussetzungen für die Gewährleistung Allgemeines

Artikel 6 der Bundesverfassung verpflichtet die Kantone, für ihre Verfassungen die Gewährleistung des Bundes einzuholen. Nach Absatz 2 gewährleistet der Bund kantonale Verfassungen, wenn sie die Bundesverfassung, aber auch anderes Bundesrecht nicht verletzen, die Ausübung der politischen Rechte in republikanischen

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(repräsentativen oder demokratischen) Formen sichern, vom Volk angenommen worden sind und revidiert werdenkönnen,, wenn d i e Mehrheit d e r BUrgerinnen

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Annahme durch das Volk

Mil der Annahme an der Landsgemeinde vom 30. April 1995 durch die Stimmberechtigten des Kantons Appenzell Ausserrhoden wurde die Voraussetzung nach Artikel 6 Absatz 2 Buchstabe c der Bundesverfassung erfüllt. Laut dem Entscheid des Bundesgerichtes vom 19. April 1995 wird die bundesrechtlich garantierte Stimm- und Wahlfreiheit nicht verletzt, wenn die Abstimmung an der Landsgemeinde und nicht als geheime Abstimmung an der Urne vorgenommen wird (BGE 727 I 138 ff.). Das Bundesgericht räumt zwar ein, dass die Einrichtung der Landsgemeinde gewisse Bedenken hinsichtlich des Wahl- und Abstimmungsgeheimnisses weckt und einem Teil der Stimmberechtigten die Mitwirkung aus beruflichen Gründen oder wegen Krankheit verunmöglicht (a. a. O., E. 4.a). Doch weist es darauf hin, dass die Landsgemeinde auch Vorteile gegenüber Urnenabstimmungen aufweist. Im konkreten Fall - bei der Abstimmung über die neue Kantonsverfassung vermochte das Bundesgericht in den systembedingten Unzulänglichkeiten der Landsgemeinde keine Beeinflussungen zu erblicken, welche zu einem Abstimmungsergebnis führen das den freien Willen der Stimmberechtigten nicht zuverlassig wiedergeben wurde (a. a. O., E. 5.d).

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Politische Rechte und Revidierbarkeit

Nach Artikel 50 der Verfassung steht das Stimmrecht in kantonalen Angelegenheiten allen Schweizerbürgerinnen und Schweizerbürgern zu, die im Kanton wohnen und das 18. Altersjahr zurückgelegt haben.

Dass die neue Verfassung fur die zuziehenden Schweizer Burgerinnen und Burger keine Wartefrist vorsieht, ist nicht als bundesrechtswidrig zu taxieren. Artikel 43 Absatz 5 der Bundesverfassung erklärt zwar, dass das Stimmrecht in kantonalen und kommunalen Angelegenheiten erst nach einer Niederlassung von drei Monaten erworben werde, doch ist diese Bestimmung nie als verpflichtende Wartefrist, sondern immer als Maximalfrist, die nicht überschritten werden darf, verstanden worden (Etienne Grisel in Kommentar BV zu Art. 43, Rz. 67).

Auch die in Artikel 105 Absatz 2 vorgesehene Möglichkeiten dass die Gemeinden das Stimmrecht in kommunalen Angelegenheiten aufAusländerinnenn undAusänd-der ausdehnen konnen, ist nicht bundesrechtswidrig. Nach Artikel 74 Absatz 4 der Bundesverfassung bleibt das kantonale Recht fur Wahlen und Abstimmungen der Kantone und Gemeinden vorbehalten. Dabeidürfenn die Kantone als Voraussetzung das Schweizer Burgerrecht verlangen. Sie sind aber dazu nicht verpflichtet und konnen das Stimmrecht auchAusländerinnenn undAusländernn zugestehen (Rudolf Wertenschlag, Grundrechte der Auslander in der Schweiz, Basel und Frankfurt am Main 1980, S. 256f.; Etienne Grisel, Initiative et referendum populaires,Traité"" de lademocratiec semi-directe en droit suisse, Lausanne 1987, S. 72 f.}.

Die freie Revidierbarkeit im Sinne von Artikel 6 Absatz 2 Buchstabe c der Bundesverfassung wird durch die Artikel 112-114 in Verbindung mil den Artikeln 51-55 und 60 der Verfassung sichergestellt. Im Entscheid betreffend die Abstimmung liber die vorliegende neue Kantonsverfassung hat das Bundesgericht bekräftigt, 1025

dass es bundesrechtmüssig ist, über die Änderung der Kantonsverfassungen nicht an der Urne, sondern an der Landsgemeinde zu beschliessen (BGE 727 I 139ff.).

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Bundesrechtmässigkeit

Bei der Prüfung einer totalrevidierten Kantonsverfassung auf ihre Übereinstimmung mit dem Bundesrecht stellt sich insbesondere das Problem, dass eine kantonale Grundordnung, die im wesentlichen auf einige Jahrzehnte hinaus konzipiert ist, an der (vor allem auf Gesetzesebene) sich rascher ändernden Gesamtordnung des Bundes gemessen werden muss. Es ist daher nicht auszuschliessen, dass die neue Kantonsverfassung einzelne, heute gewährleistete Bestimmungen enthält, die durch neues Bundesrecht schon in wenigen Jahren in ihrer Bedeutung geschmälert oder gar gegenstandslos sein werden.

Der Kanton kann in Gebieten, welche unter eine ausschliessliche Bundeskompetenz fallen, keine Regelungen vornehmen. Er darf dagegen Aufgaben wahrnehmen, die von einer umfassenden, jedoch nicht voll ausgeschöpften Bundeskompetenz erfasst werden. Solche kantonalen Verfassungsnormen haben dann neben dem Bundesrecht eine stärker eingeschränkte Bedeutung, als nach ihrem Wortlaut geschlossen werden könnte; solange sie aber im Rahmen einer bundesrechtskonformen Auslegung eine kantonale Restkompetenz wahrnehmen, müssen sie als bundesrechtmä'ssig gewährleistet werden.

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Aufbau und Gliederung des Kantons

Im Gegensatz zur alten Verfassung sieht die neue keine Gliederung des Kantons in Bezirke mehr vor; unterhalb der Kantonsebene besteht nur noch die Gliederungsebene der Gemeinden (Art. 2). Eine wesentliche Neuerung besteht sodann darin, dass die neue Verfassung keine Bürgergemeinden, sondern nur noch Einwohnergemeinden kennt (Art. 100 Abs. 1). Die Verfassung garantiert deren Autonomie ausdrücklich und verpflichtet die kantonalen Organe, eine möglichst grosse Selbständigkeit der Gemeinden zu wahren. Damit wird die Autonomie der Gemeinden gestärkt. Die Verfassung legt die Aufgaben der Gemeinden im Grundsatz fest und stellt Mindestanforderungen an ihre innere Organisation auf. Alle diese Bestimmungen liegen im Bereich der kantonalen Organisationskompetenz und enthalten nichts, was dem Bundesrecht zuwiderliefe.

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Grundrechte

Nach Lehre und Rechtsprechung haben die Grundrechte der Kantone soweit selbständige Bedeutung, als sie einen über das Bundesrecht hinausgehenden Schutz gewähren (BGE 702 la 469 ff.). Das bedeutet, dass die Kantone die gleichen Rechte wie der Bund garantieren oder auch darüber hinaus gehen können. Es bedeutet aber auch, dass die Gewährleistung dort nicht erteilt werden darf, wo der Kanton mit ausdrücklicher und zwingender Vorschrift einen geringeren Schutzumfang festlegt, als dies der Bund mit seinen geschriebenen und ungeschriebenen Grundrechten tut.

Der Grundrechtskatalog der neuen Kantonsverfassung geht in einigen Punkten über den vom Bundesrecht gewährleisteten Umfang hinaus. Er bleibt dagegen für kein Grundrecht hinter dem Bundesrecht zurück, so dass der Gewährleistung nichts ent1026

gegensteht. Das Verhältnis zum Bundesrecht bedarf für folgende Grundrechte einer kurzen Erläuterung: Nach Artikel 8 der Kantonsverfassung ist der Schutz vor Willkür und von Treu und Glauben gewährleistet. Derselbe Schutz ergibt sich nach einhelliger Lehre und Rechtsprechung auch aus Artikel 4 der Bundesverfassung. Eine entsprechende Garantie ist auch in Artikel 11 der neuen Berner Verfassung enthalten. Sowohl der Bundesrat in seiner Botschaft (BEI 1994 I 407) als auch die Lehre (Jörg Paul Müller und Urs Bolz, in: Walter Kälin/Urs Bolz [Hrsg.], Handbuch des bernischen Verfassungsrechts, Bern 1995, S. 37 f. und 261 f.) massen dieser Bestimmung eine über die bundesrechtliche Garantie hinausgehende, selbständige Bedeutung zu. Nach dieser Auffassung sollte die kantonale Verfassungsnorm Betroffenen auch dort Schutz vor willkürlicher Behandlung gewähren, wo diese sich auf keine positive Rechtsnorm berufen können, die ihrem Schutz dient. Das Bundesgericht hat nun jedoch in einem Entscheid vom 15. September 1995 diese weitergehende Bedeutung der bernischen Verfassungsbestimmung verneint. Es führte aus, die Kompetenz zur Regelung der Legitimation der staatsrechtlichen Beschwerde liege beim Bundesgesetzgeber; der Kanton könne die Legitimationsvoraussetzungen für die staatsrechtliche Beschwerde durch die Ausgestaltung des Willkürverbots als Grundrecht nicht erweitern. Das Bundesgericht führte weiter aus, dass zwangsläufig irgendwo eine Grenze für die Legitimation gezogen werden müsse, da nicht alle auch nur entfernt von einem Entscheid Betroffenen beim Bundesgericht staatsrechtliche Beschwerde erheben können. Es sei Sache des Bundesgesetzgebers, diese Grenze festzulegen.

Das Urteil des Bundesgerichts hat auch Bedeutung für Artikel 8 der Verfassung des Kantons Appenzell Ausserrhoden. Es stellt klar, dass mit dieser Garantie keine über das Bundesrecht hinausgehenden Ansprüche verankert werden können.

In Artikel 10 wird neben dem Recht auf Ehe und Familienleben auch die freie Wahl einer anderen Form des gemeinschaftlichen Zusammenlebens gewährleistet.

Da jedoch der Bund gemäss Artikel 64 Absatz 2 der Bundesverfassung für die Gesetzgebung auf dem Gebiete des Zivilrechts zuständig ist, kann die genannte Bestimmung der neuen Verfassung keine Wirkungen auf die zivilrechtliche Beziehung von Nicht-Ehepaaren entfalten,
indem beispielsweise die Wirkungen der Ehe auf Konkubinatspaare ausgedehnt würden. Es sind aber durchaus Fälle denkbar, in denen die Bestimmung Auswirkungen entfalten kann, so etwa bei der Ausübung persönlichkeitsnaher Rechte oder im Prozessrecht (Jörg Paul Müller in: Kälin/Bolz [Hrsg.], Handbuch des bernischen Verfassungsrechts, Bern 1995, S. 39f.).

Über das Bundesrecht hinaus gehen insbesondere Artikel 12 Absatz 3, der jeder Person, die ein berechtigtes Interesse nachweisen kann, Einsicht in amtliche Akten gewährt, soweit keine überwiegenden öffentlichen oder privaten Interessen entgegenstehen, ferner Artikel 16 Absatz 2, der einen Anspruch darauf gibt, dass die Behörden eine Petition inhaltlich prüfen und möglichst rasch beantworten, sowie Artikel 17 Absatz 2, der einen bedingten Anspruch auf Erteilung einer Bewilligung zur Durchführung einer Demonstration auf öffentlichem Grund gibt.

. In der neuen Verfassung werden bei einigen Grundrechten Kerngehalte umschrieben (so etwa Art. 7.Abs. 2, 9 Abs. 2 und 12 Abs. 2). Keine dieser Garantien greift jedoch in Bereiche ein, die vom Bundesrecht in abweichender Weise geregelt sind.

Deshalb steht diesen Regelungen bundesrechtlich nichts im Wege. Eine selbständige Bedeutung kommt den Kerngehaltsbestimmungen jedoch nur zu, soweit sie über das hinaus gehen, was nach bundesgerichtlicher Rechtsprechung zum Kerngehalt der Grundrechte gehört. Die in der neuen Verfassung des Kantons Appenzell Ausserrhoden verankerten Kerngehalte gehen jedoch nicht darüber hinaus.

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Als Besonderheit ist im weiteren hervorzuheben, class die neue Verfassung des Kantons Appenzell Ausserrhoden Sozialrechte (Art. 24) und Sozialziele (Art. 25) verankert. Die Sozialrechte schaffen in begrenzt und konkret umschriebenen Bereichen materielle Ansprüche, welche wegen ihrer Bestimmtheit allenfalls auch gerichtlich durchgesetzt werden können. Die Sozialziele hingegen können nicht direkt gerichtlich durchgesetzt werden, sondern deren Verwirklichung ist gemeinsame Aufgabe von Kanton und Gemeinden. Im Gegensatz zur Verfassung des Kantons Bern, die analoge Bestimmungen über Sozialrechte und Sozialziele kennt, sind die Bestimmungen nach der systematischen Stellung in der Verfassung des Kantons Appenzell Ausserrhoden weniger eng mit den Grundrechten verbunden.

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Öffentliche Aufgaben

Nach Artikel 3 der Bundesverfassung haben die Kantone alle Kompetenzen, die nicht durch die Bundesverfassung dem Bund übertragen werden. Das Bundesgericht verlangt daher für die kantonale Gesetzgebung keine ausdrückliche Grundlage in der Kantonsverfassung. Die Mehrheit der Kantone verzichtet denn auch auf eine abschliessende Verankerung der staatlichen Aufgaben und der entsprechenden Gesetzgebungskompetenzen in der Kantonsverfassung. Das gilt auch für die neue Verfassung des Kantons Appenzell Ausserrhoden, welche für die Anhandnahme neuer kantonaler Aufgaben keinen Verfassungsvorbehalt statuiert, wohl aber ein formelles Gesetz verlangt (Art. 69 Est. e). Es kann jedoch davon ausgegangen werden, dass im Rahmen der Aufzählung der öffentlichen Aufgaben (Art. 28-49) die wesentlichen Tätigkeitsbereiche von Kanton und Gemeinden im Grundsatz aufgeführt werden. Da die Kompetenzen jeweils als Auftrag an Kanton und Gemeinden formuliert werden, dürfte die Aufzählung auch eine wichtige Grundlage für die Aufgabenverteilung zwischen Kanton und Gemeinden darstellen.

Zahlreiche der aufgeführten Aufgabenbereiche überschneiden sich zwar mit Bundeskompetenzen (etwa Art. 29, 30, 31, 32, 33, 34, 35, 39, 40, 43, 44, 48, 49), doch keiner in einer Art, die dem Bundesrecht widersprechen müsste. Wo der Bund Rahmen- oder andere Gesetze erlassen hat, verbleiben dem Kanton wichtige VoJlzugsaufgaben und Restkompetenzen, welche eine Erwähnung im Aufgabenkatalog auch im Sinne einer Informationsfunktion der Verfassung zu rechtfertigen vermögen.

In Artikel 45 ist vorgesehen, dass der Kanton eine Kantonalbank betreiben kann.

Die Kantone können im Rahmen ihrer Organisationskompetenz gewisse im öffentlichen Interesse liegende Tätigkeiten auf verwaltungsexterne Trägerschaften übertragen. Es steht ihnen auch frei, eine oder mehrere Kantonalbanken zu gründen (Biaise Knapp, Aspects du droit des banques cantonales, in: Festschrift für U, Häfelin, Zürich 1989, S, 459 ff.). Von dieser Kompetenz haben alle Kantone Gebrauch gemacht ausser Solothurn, wo erst kürzlich die Privatisierung der Kantonalbank beschlossen wurde (BB1 1995 III 1413). Die Stellung und die besonderen Aufgaben der Kantonalbanken werden auch von der Bundesverfassung anerkannt, welche in Artikel 34iualer Absatz 2 vorschreibt, dass ihnen in der Gesetzgebung über das Bankwesen Rechnung zu tragen ist.

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Behördenorganisation und Verfahren

Die Organisation der kantonalen und kommunalen Behörden und die fur ihre Einsetzung und Tätigkeit vorgesehenen Verfahren tragen den Erfordernissen des Bundesrechts genügend Rechnung: Die für die Besetzung der Behbrdenstellen eingeführten Wählbarkeitsvoraussetzungen und Ausschlussgründen sind bundesrechtskonform. Das gilt auch fur die in Artikel 66 auf 65 Jahre festgelegte Altersgrenze fur Mitglieder des Regierungsrates, des Ober- und des Verwaltungsgerichtes. Wie anlasslich der Gewahrleistung der Verfassung des Kantons Glarusausführlichh dargelegt wurde, geniessen die Kantone bei der Festlegung einer oberen Altersgrenze fur Amter mit vollziehender oder richterlicher Funktion einen erheblichen Ermes- · sensspielraum, und die Festlegung einer Altersgrenze wurde denn auch immer als bundesrechtskonformgewährleistett (BB1 1989 I I I 7 3 6 f f.). E i n strengerer tive anzusetzen (BB1 1989 III 740), doch die Verfassung des Kantons Appenzell Ausserrhoden sieht eine solche nicht vor.

Der Grundsatz der Gewaltenteilung wird in Artikel 61 ausdrücklich festgehalten und durch die vorgenommene Kompetenzaufteilung zwischen Kantonsrat, Regierungsrat und Verwaltung sowie den gerichtlichen Instanzen respektiert.

Das Gesetzgebungsverfahren mit der obligatorischen Zuständigkeit der Landsgemeinde zum Erlass sowie zur Änderung und Aufhebung von Gesetzen entspricht dem Demokratiegebot von Artikel 6 Absatz 2Buchstabe bb der Bundesverfassung, Nach dem Kanton Bern (Art. 69 Abs. 4 KV BE) nimmt nun auch der Kanton Appenzell Ausserrhoden eine Bestimmung in die Verfassung auf, welche die Materien umschreibt, die auf Gesetzesstufe zu regeln sind (Art. 69). Es handelt sich dabei, genauso wie bei der Bestimmunüberer die Delegation von Befugnissen an anderBehördenen (Art. 68), weitgehend um eine Kodifikation der vom Bundesgericht entwickelten Rechtsprechung in diesen Bereichen, wenn auch nach neuester bundesgerichtlicher Praxifürir die Regelung dieser Materien bereits ein nicht dem Referendum unterstehender Erlass des Parlaments ausreichewürdede (BGE 118 la 248). Die Bestimmungen sind daher mit dem Bundesrecht vereinbar.

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Zusammenfassung

Die Verfassung des Kantons Appenzell Ausserrhoden vom 30. April 1995 erfüllt auch die Anforderungen von Artikel 6 Absatz 2 Buchstabe a der Bundesverfassung; es ist ihr deshalb die eidgenbssische Gewährleistung zu erteilen.

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Verfassungsmässigkeit

Die Bundesversammlung ist nach den Artikeln 6 und 85 Ziffer 7 der Bundesverfassungzuständig, diee Kantonsverfassungen zugewährleisten.

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Bundesbeschluss über die Gewährleistung der Verfassung des Kantons Appenzell Ausserrhoden

Entwurf

vom

Die Bundesversammlung der Schweizerischen Eidgenossenschaft,

gestützt auf Artikel 6 der Bundesverfassung, nach Einsicht in die Botschaft des Bundesrates vom 10. Januar 1996 ·>,

bescMiesst: Art. l Die in der Landsgemeinde vom 30. April 1995 angenommene Verfassung des Kantons Appenzell Ausserrhoden wird gewährleistet.

Art. 2 Dieser Beschluss ist nicht allgemeinverbindlich; er untersteht nicht dem Referendum.

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» BEI 1996 I 1021

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Verfassung des Kantons Appenzell Àusserrhoden

vom 30. April 1995 !>

Im Vertrauen auf Gott wollen wir, Frauen und Männer von Appenzell Ausserrhoden,*die Schöpfung in ihrer Vielfalt achten.

' Wir wollen, über Grenzen hinweg, eine freiheitliche, friedliche und gerechte Lebensordnung mitgestalten.

Im Bewusstsein, dass das Wohl der Gemeinschaft und das Wohl der Einzelnen untrennbar miteinander verbunden sind, geben wir uns folgende Verfassung:

1. Grundsätze Art. l Der Kanton Appenzell Ausserrhoden 1 Der Kanton Appenzell Ausserrhoden ist ein freiheitlicher, demokratischer und sozialer Rechtsstaat.

2 Er ist ein eigenständiger Teil der Schweizerischen Eidgenossenschaft und arbeitet mit dem Bund, mit den anderen Kantonen und mit dem benachbarten Ausland zusammen.

3 Er beteiligt sich aktiv an der Willensbildung im Bund.

Art. 2 Kantonsgebiet Der Kanton Appenzell Ausserrhoden besteht aus den Gemeinden Urnäsch, Herisau, Schwellbrunn, Hundwil, Stein, Schönengrund, Waldstatt, Teufen, Bühler, Gais, Speicher, Trogen, Rehetobel, Wald, Grub, Heiden, Wolfhalden, Lutzenberg, Walzenhausen und Reute.

Art, 3

Bürgerrecht

1

Das Gemeindebürgerrecht ist Grundlage des Landrechts.

2 Erwerb und Verlust des Landrechts und des Gemeindebürgerrechts werden durch das Gesetz geregelt.

2. Grundrechte Art. 4

Menschenwürde

Die Würde des Menschen ist zu achten und zu schützen.

SR 131.224.1 l) Von der Landsgemeinde erlassen am 30. April 1995.

1031

Kaçtonsverfassung

Art. 5 Rechtsgleichheit, Diskriminierungsverbot 1 Alle Menschen sind vor dem Gesetze gleich.

2 Niemand darf insbesondere aufgrund seines Geschlechts, seines Alters, seiner Rasse, seiner Hautfarbe, seiner Sprache, seiner Herkunft, seiner politischen, religiösen oder weltanschaulichen Überzeugung, seiner Lebensform oder seiner körperlichen und geistigen Anlagen diskriminiert werden.

Art. 6 Gleichstellung von Mann und Frau 1 Frau und Mann sind gleichberechtigt.

2 Sie haben das Recht auf gleiche Ausbildung und auf gleichen Lohn für gleichwertige Arbeit sowie auf gleichen Zugang zu öffentlichen Ämtern.

3 Kanton und Gemeinden fördern die tatsächliche Gleichstellung von Mann und Frau.

4 Sie wirken darauf hin, dass öffentliche Aufgaben gemeinsam von Frauen und Männern wahrgenommen werden.

Art. 7 Glaubens- und Gewissensfreiheit 1 Die Glaubens- und Gewissensfreiheit und ihre Ausübung sind gewährleistet.

2 Niemand darf zu einer religiösen Handlung oder zu einem Bekenntnis gezwungen werden.

Art. 8 Willkürverbot, Treu und Glauben; Rückwirkungsverbot 1 Der Schutz vor staatlicher Willkür und der Schutz von Treu und Glauben sind' gewährleistet.

2

Rückwirkende Erlasse sind nicht zulässig.

Art, 9 Persönliche Freiheit 1 Die persönliche Freiheit ist gewährleistet.

2 Folter, unmenschliche und erniedrigende Strafen oder Behandlungen sind unzulässig.

3 Jede Person hat ein Recht auf Schutz ihrer Privatsphäre, ihrer Wohnung sowie ihres Brief- und Femmeldegeheimnisses.

Art. 10 Ehe und Zusammenleben 1 Das Recht auf Ehe und Familienleben ist geschützt.

2 Die freie Wahl einer anderen Form des gemeinschaftlichen Zusammenlebens ist gewährleistet.

Art. 11 Niederlassungsfreiheit Die Niederlassungsfreiheit ist gewährleistet.

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Kantonsverfassung

Art. 12 Meìnungs- und Informationsfreiheit 1 Jede Person hat das Recht, ihre Meinung frei zu bilden, sie ungehindert zu äussern und in Wort, Schrift, Bild oder in anderer Weise zu verbreiten.

2 Staatliche Kontrolle von Meinungsäusserungen zwecks Einflussnahme auf den Inhalt ist nicht zulässig.

3 Jede Person, die ein berechtigtes Interesse nachweisen kann, hat im Rahmen des Gesetzes das Recht auf Einsicht in amtliche Akten, soweit keine Überwiegenden öffentlichen oder privaten Interessen entgegenstehen.

Art. 13 Unterrichts- und Wissenschaftsfreiheit 1 Die Freiheit von Forschung und Lehre und die Befugnis zu unterrichten sind gewährleistet.

2 Jede in Forschung und Lehre tätige Person ist verpflichtet, ihre Verantwortung gegenüber dem Leben von Menschen, Tieren und Pflanzen sowie deren Lebensgrundlagen wahrzunehmen.

Art. 14 Kunstfreiheit Die Freiheit des künstlerischen Ausdrucks ist gewährleistet.

Art. 15 Datenschutz 1

Jede Person hat das Recht auf Schutz ihrer persönlichen Daten.

Sie erhält Auskunft über Daten, die über sie bearbeitet werden und kann verlangen, dass unrichtige Daten berichtigt werden.

2

Art. 16 Petitionsrecht 1 Jede Person hat das Recht, Eingaben an Behörden zu richten und dafür Unterschriften zu sammeln. Es dürfen ihr daraus keine Nachteile erwachsen.

2 Die Behörden haben die Pflicht, Petitionen inhaltlich zu prüfen und möglichst rasch zu beantworten.

Art. 17 Vereins- und Versammlungsfreiheit 1 Die Vereins- und die Versammlungsfreiheit sind gewährleistet.

2 Kundgebungen auf öffentlichem Grund können durch Gesetz oder Gemeindereglement bewilligungspflichtig erklärt werden. Sie sind zu gestatten, wenn ein geordneter Ablauf gesichert und die Beeinträchtigung Dritter zumutbar erscheint.

Art. 18 Eigentumsgarantie 1 Das Eigentum ist gewährleistet.

2 Bei Enteignungen und Eigentumsbeschränkungen, die einer Enteignung gleichkommen, ist volle Entschädigung zu leisten.

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Kantonsverfassung

Art. 19 Wirtschaftsfreiheit; Handels- und Gewerbefreiheit Die freie Wahl des Berufes, die freie wirtschaftliche Tätigkeit sowie das Recht zu

beruflichem und gewerkschaftlichem Zusammenschiuss sind gewährleistet.

Art. 20

Justizgrundsätze a. Rechtsschutz 1 Jede Person hat ein Recht auf unabhängige und unparteiische, vom Gesetz vorgesehene Richter und Richterinnen.

2 Für Minderbemittelte ist der Rechtsschutz unentgeltlich.

3 Jede Person gilt als unschuldig, bis sie in einem gerichtlichen Verfahren rechtskräftig verurteilt ist. Im Zweifel ist zugunsten der Angeschuldigten zu entscheiden.

4 Die Parteien haben in allen Verfahren ein Recht auf Anhörung, auf einen begründeten Entscheid innert angemessener Frist sowie auf eine Rechtsmittelbelehrung.

Art. 21 b. Garantien beim Freiheitsentzug 1 Die Freiheit darf einer Person nur in den vom Gesetz vorgeschriebenen Fällen und Formen entzogen werden.

2 Jede Person, der die Freiheit entzogen wurde, muss in einer ihr verständlichen Sprache über die Gründe des Freiheitsentzuges und die ihr zustehenden Rechte informiert werden. Sie hat das Recht, ihre nächsten Angehörigen benachrichtigen zu lassen.

3 Jede in Haft gesetzte und einer Straftat verdächtigte Person muss so rasch wie möglich durch eine richterliche Instanz angehört werden.

4 Jede Person, der die Freiheit entzogen wird, hat das Recht auf einen Rechtsbeistand sowie auf Überprüfung des Freiheitsentzuges in einem raschen und einfachen gerichtlichen Verfahren.

5 Bei ungerechtfertigtem Freiheitsentzug besteht eine Schadenersatz- und allenfalls Genugtuungspflicht des Staates.

6 Der freie Verkehr mit dem Rechtsbeistand darf nur bei Gefahr des Missbrauchs und nur soweit eingeschränkt werden, als das Gesetz es zulässt.

Art. 22 Geltung der Grundrechte 1 Die Grundrechte sind in der gesamten Rechtsordnung wirksam.

2 Sie gelten auch für Ausländerinnen und Ausländer, sofern das Bundesrecht nichts anderes vorsieht.

3 Urteilsfähige Unmündige können diejenigen Grundrechte, die ihnen um ihrer Persönlichkeit willen zustehen, selbständig geltend machen.

Art 23 Schranken der Grundrechte 1 Wer Grundrechte beansprucht, ist verpflichtet, die Grundrechte anderer zu achten.

2 Einschränkungen von Grundrechten sind nur zulässig, wenn sie 1034

Kantonsverfassung

a. auf einer gesetzlichen Grandlage beruhen, b. einem überwiegenden öffentlichen Interesse entsprechen und c. verhältnismässig sind.

3 Auf die gesetzliche Grundlage einer Grundrechtseinschränkung kann in Fällen ernster, unmittelbarer und offensichtlicher Gefahr vorübergehend verzichtet werden.

4 Der Kerngehalt eines Grandrechtes darf in keinem Fall beeinträchtigt werden.

3. Sozialrechte und Sozialziele Art. 24 a. Sozialrechte 1 Jede Person hat bei Notlagen, die sie nicht aus eigener Kraft bewältigen kann, Ansprach auf ein Obdach, auf grandlegende medizinische Versorgung sowie auf die für ein menschenwürdiges Leben notwendigen Mittel.

2 Jedes Kind hat Anspruch auf Schutz und Fürsorge sowie auf eine seinen Fähigkeiten entsprechende, unentgeltliche Grundausbildung während der obligatorischen Schulzeit.

3 Opfer schwerer Straftaten haben Ansprach auf Hilfe zur Überwindung ihrer Schwierigkeiten.

Art. 25 b. Sozialziele Kanton und Gemeinden setzen sich in Ergänzung der privaten Initiative und der persönlichen Verantwortung sowie im Rahmen der verfügbaren Mittel zum Ziel, dass a. alle ihren Unterhalt durch Arbeit bestreiten können; b. alle in angemessener Weise wohnen können; c. alle sich gemäss ihren Fähigkeiten und Neigungen bilden und weiterbilden können; d. Eltern vor und nach einer Geburt materiell gesichert sind; e. alle Menschen, die wegen Alters, Gebrechlichkeit, Krankheit oder Behinderung der Hilfe bedürfen, ausreichende Pflege und Unterstützung erhalten.

4. Persönliche Pflichten Art. 26

'Jede Person trägt Verantwortung für sich selbst sowie Mitverantwortung für die Gemeinschaft und die Erhaltung unserer Lebensgrandlagen für künftige Generationen. .

2 Für die Erfüllung gemeinnütziger Aufgaben kann das Gesetz die Bevölkerung zu persönlicher Dienstleistung verpflichten. Anstelle der Realleistung kann eine Ersatzabgabe erhoben werden.

1035

Kantonsverfassung

S. Öffentliche Aufgaben 5.1 Grundsätze Art. 27 1

Öffentliche Aufgaben sind so zu erfüllen, dass die natürlichen Lebensgrundlagen geschont und erhalten werden; sie orientieren sich an den Bedürfnissen und an der Wohlfahrt aller.

2 Bestehende wie neue Aufgaben sind dauernd daraufhin zu überprüfen, ob sie notwendig und finanzierbar sind sowie wirtschaftlich und zweckmässig erfüllt werden können.

3 Der Kanton erfüllt nur Aufgaben, die nicht ebensogut von den Gemeinden oder von Privaten wahrgenommen werden können. Er fördert private Initiative und persönliche Verantwortung und strebt regionale Zusammenarbeit an.

5.2 Die öffentlichen Aufgaben im einzelnen Art. 28 Öffentliche Ordnung und Sicherheit 1

Der Kanton gewährleistet die Öffentliche Ordnung und Sicherheit.

2

Er trifft Massnahmen für die Bewältigung ausserordentlicher Lagen,

Art. 29 Umwelt- und Naturschutz 1 Die natürliche Umwelt ist für die gegenwärtigen und künftigen Generationen gesund zu erhalten und wo möglich wieder herzustellen. Sie soll durch staatliche und private Tätigkeiten so wenig wie möglich belastet werden.

2 Kanton und Gemeinden schützen die Tier- und Pflanzenwelt sowie deren Lebensrä'ume in ihrer Vielfalt.

3 Die natürlichen Lebensgrundlagen sollen nur soweit beansprucht werden, als ihre Erneuerungsfähigkeit und ihre Verfügbarkeit weiterhin gewährleistet bleiben.

4 Kanton und Gemeinden können zur Schonung der natürlichen Lebensgrundlagen und zur Einschränkung von Abfällen und Schadstoffen Lenkungsmassnahmen einführen.

5 Sie fördern die Selbstverantwortung und können Organisationen unterstützen, die sich für die Erhaltung der natürlichen Lebensgrundlagen einsetzen.

6 Kosten für Umweltschutzmassnahmen sind in der Regel nach dem Verursacherprinzip zu tragen.

7 Schädliche und lästige Emissionen sollen an der Quelle erfasst, verhindert oder zumindest verringert werden.

Art. 30 Denkmalpflege und Landschaftsschutz 1 Kanton und Gemeinden treffen Massnahmen zur Erhaltung und Pflege der schützenswerten Landschafts- und Ortsbilder, Kulturgüter und Naturdenkmäler.

1036

Kantonsverfassung

2

Sie arbeiten mit privaten Organisationen zusammen und können sich an der Finanzierung beteiligen.

Art. 31 Raumordnung und Bauwesen 1 Kanton und Gemeinden stellen die geordnete Besiedlung dès Landes, die zweckmässige und haushälterische Nutzung des Bodens und den Schutz der Landschaft sicher.

2 Bei der Errichtung von Bauten und Anlagen aller Art ist auf die Umgebung Rücksicht zu nehmen.

Art. 32 Verkehr 1 Kanton und Gemeinden sorgen für eine umweltschonende und sichere Verkehrsordnung und Erschliessung für alle Verkehrsteilnehmer.

2 Sie fördern die Umlagerung vom individuellen auf den kollektiven Verkehr, soweit dafür wesentliche öffentliche Gesamtinteressen bestehen.

Art. 33 Wasser, Energie, Abfall a. Wasser 1 Kanton und Gemeinden sichern die Wasserversorgung und setzen sich für eine sparsame Verwendung des Wassers ein.

2 Sie wirken auf eine möglichst geringe Belastung des Wassers hin und sorgen für eine umweltgerechte Reinigung der Abwässer.

Art. 34 b. Energie 1 Kanton und Gemeinden fördern die sichere, umweltschonende Versorgung mit Energie und deren sparsame und rationelle Verwendung.

2 Sie fördern insbesondere die Nutzung erneuerbarer Energien.

Art. 35 c.Abfall 1 Kanton und Gemeinden treffen Massnahmen zur Verminderung der Abfälle und zu deren Wiederverwertung.

2 Sie sorgen für eine fachgerechte Entsorgung.

Art. 36 Erziehung und Bildung a. Grundsätze 1 Erziehung und Bildung haben die Aufgabe, die Entwicklung zur selbstverantwortlichen Persönlichkeit, den Willen zur sozialen Gerechtigkeit und die Verantwortung für die Mitwelt zu fördern.

2 Die Schule unterstützt die Eltern bei der Erziehung; sie vermittelt in Verbindung mit ihnen eine den Anlagen und Möglichkeiten der Kinder entsprechende Bildung.

1037

Kantonsverfassung

Art 37 b. Schule 1 Kanton und Gemeinden führen öffentliche Kindergärten und Schulen.

2 Sie können Beiträge an Privatschulen leisten.

3 Jeder Person steht es frei, entweder die Öffentlichen Schulen oder auf eigene Kosten anerkannte Privatschulen zu besuchen, Art. 38 c. Weitere Aufgaben 1

Kanton und Gemeinden unterstützen die Aus- und Weiterbildung sowie die Erwachsenenbildung.

2 Der Kanton sorgt für den Zugang zu den Universitäten und zu den Hoch- und Fachschulen.

3

Er setzt sich für Zusammenarbeit im Schul- und Bildungswesen ein.

Art. 39

Soziales

a. Sozialhilfe 1

Kanton und Gemeinden unterstützen in Zusammenarbeit mit anderen Organisationen hilfsbedürftige Menschen.

2

Sie sind bestrebt, sozialen Notlagen vorzubeugen und fördern die Vorkehren zur Selbsthilfe.

3

Sie können die Leistungen des Bundes für die soziale Sicherheit ergänzen.

4

Der Kanton beaufsichtigt die Heime.

Art. 40 b. Arbeit 1 Kanton und Gemeinden koordinieren und unterstützen die Stellenvermittlung, die berufliche Umschulung sowie die Wiedereingliederung Arbeitsloser.

2

Bei Streitigkeiten zwischen den Sozialpartnern bietet der Kanton seine Hilfe an.

Art. 41 c. Familie, Jugend und Betagte 1

Kanton und Gemeinden unterstützen Familien und andere Lebensgemeinschaften mit Kindern in der Erfüllung ihrer Aufgaben; sie können die Schaffung geeigneter Bedingungen für die Betreuung von Kindern unterstützen.

2 Sie nehmen sich in Zusammenarbeit mit anderen Organisationen der Anliegen und Bedürfnisse der Jugend und der Betagten an.

Art. 42

d. Behinderte

Kanton und Gemeinden fördern in Zusammenarbeit mit privaten Organisationen die Schulung sowie die berufliche und soziale Eingliederung Behinderter.

1038

Kantonsverfassung

Art. 43 Wirtschaftsordnung a. Grundsatz 1 Kanton und Gemeinden schaffen günstige Rahmenbedingungen für eine vielseitige und ausgewogene wirtschaftliche Entwicklung und setzen sich für die Schaffung und Erhaltung von Arbeitsplätzen ein.

2 Sie können Organisationen unterstützen, welche die wirtschaftliche Entwicklung fördern.

3 Sie sorgen im Rahmen ihrer Möglichkeiten für die Milderung von Wirtschaftskrisen und deren Folgen.

Art 44 b. Land- und Forstwirtschaft 1 Der Kanton trifft Massnahmen zur Förderung einer leistungsfähigen und den topographischen Verhältnissen angepassten Land- und Forstwirtschaft.

2 Er unterstützt insbesondere eigenständige Familienbetriebe, naturnahe Bewirtschaftung und eine breite bäuerliche Grundausbildung.

3 Er gewährleistet die Erhaltung der Wälder in ihrer Schutz-, Nutz- und Erholungsfunktion.

Art. 45 c. Kantonalbank Der Kanton kann sich an einer Bank zur Deckung der Geld- und Kreditbedürfnisse der Bevölkerung und der Wirtschaft im Kanton beteiligen; er kann eine solche Bank auch selbst betreiben.

Art. 46 d. Versicherung 1 Der Kanton kann eine Anstalt, die Gebäude, Land und Kulturen gegen Schäden versichert, betreiben oder sich an einer solchen beteiligen.

2 Der Versicherungsschutz für Gebäude und Land ist obligatorisch.

Art. 47 e. Regalien 1 Dem Kanton stehen zur ausschliesslichen wirtschaftlichen Nutzung folgende Regalrechte zu: a. Wasserregal, b. Jagd- und Fischereiregal, c. Bergregal, einschliesslich Lagerung von Stoffen im Erdinnern und Nutzung der Erdwärme, d. Salzregal.

2

Er kann das Nutzungsrecht selber ausüben oder es den Gemeinden oder Privaten übertragen.

3

Bestehende private Rechte bleiben vorbehalten.

1039

Kantons Verfassung

Art. 48 Gesundheitswesen 1 Kanton und Gemeinden schaffen die Voraussetzungen für eine ausreichende, kostenbewusste medizinische und pflegerische Versorgung der Bevölkerung.

2 Der Kanton fördert die Zusammenarbeit der privaten und öffentlichen Einrichtungen im Kanton und in der Region.

3 Kanton und Gemeinden fördern die Selbstverantwortung; sie unterstützen die Gesundheitsvorsorge und die Gesundheitserziehung und bekämpfen die Suchtgefahren.

4 Kanton und Gemeinden fördern die spitalexterne Kranken- und Gesundheitspflege.

5 Der Kanton beaufsichtigt die öffentlichen und privaten Einrichtungen des Gesundheitswesens, die Gesundheitsberufe und das Heilmittelwesen.

6 Die freie Heiltätigkeit ist gewährleistet.

Art. 49 Kultur, Wissenschaft und Freizeitgestaltung 1 Kanton und Gemeinden fördern die Kultur.

2 Sie unterstützen die wissenschaftliche Tätigkeit.

3

Sie fördern die sinnvolle Freizeitgestaltung.

6. Volksrechte 6.1 Stimmrecht Art. 50 Das Stimmrecht in kantonalen Angelegenheiten steht allen Schweizcrbürgern und Schweizerbürgerinnen zu, die im Kanton wohnen und das 18. Altersjahr zurückgelegt haben.

6.2 Volksinitiative Art. 51 a. Gegenstand, Unterschriftenzahl 1 Mit einer Volksinitiative können verlangt werden: a. die Totalrevision oder eine Teilrevision der Verfassung, b. der Erlass, die Aufhebung oder Änderung von Gesetzen und von Beschlüssen, die der Volksabstimmung unterstehen.

2 Eine Volksinitiative muss von wenigstens 300 Stimmberechtigten unterzeichnet sein.

Art. 52 b. Form Volksinitiativen können als allgemeine Anregung oder, sofern sie nicht die Totalrevision der Verfassung verlangen, als ausgearbeitete Vorlage eingereicht werden.

1040

Kantonsverfassung

Art. 53 c. Einheitsinitiative Soweit mit einer Initiative nicht die Totalrevision oder ausdrücklich eine Teilrevision der Verfassung verlangt wird, entscheidet der Kantonsrat, ob die Vorlage auf Verfassungs- oder Gesetzesstufe auszuarbeiten ist.

Art. 54 d. Gegenvorschlag; doppeltes Ja 1 Der Kantonsrat kann Initiativen einen Gegenvorschlag gegenüberstellen.

2 Die Stimmberechtigten können gültig sowohl der Initiative als auch dem Gegenvorschlag zustimmen und entscheiden, welche der beiden Vorlagen sie vorziehen, wenn beide angenommen werden sollten.

Art. 55 e. Verfahren 1 Der Regierungsrat entscheidet über das Zustandekommen, der- Kantonsrat über die Gültigkeit der Initiativen.

2 Ganz oder teilweise ungültig ist eine Initiative, wenn sie a. dem Grundsatz der Einheit der Materie widerspricht, b. übergeordnetem Recht widerspricht oder c. undurchführbar ist.

3 Volksinitiativen sind möglichst rasch zu behandeln.

6.3 Mitwirkungsrechte Art. 56 a. Volksdiskussion Wer im Kanton wohnt, kann zu Sachvorlagen, die der Landsgemeinde zu unterbreiten sind, dem Kantonsrat schriftliche Anträge einreichen und diese nach Massgabe der Geschäftsordnung vor dem Rat persönlich begründen.

Art. 57 b. Vernehmlassungen 1 Bei Verfassungs- und Gesetzesvorlagen sowie bei anderen wichtigen Gegenständen sind die interessierten Kreise zur Vernehmlassung einzuladen.

2 Die Ergebnisse des Vernehmlassungsverfahrens sind zu veröffentlichen.

7, Die Landsgemeinde Art. 58 Grundsatz 1 Die Landsgemeinde besteht aus allen stimmberechtigten Frauen und Männern des Kantons.

2 3

Sie wird alljährlich am letzten Sonntag im April durchgeführt.

Ausserordentliche Landsgemeinden werden1 durch den Kantonsrat einberufen.

1041

Kantonsverfassung

Art. 59 Durchführung 1 Wer das Landammannamt innehat, leitet die Landsgemeinde.

2 Er oder sie erwahrt das Mehr der Stimmen durch Abschätzen. In zweifelhaften Fällen sind die Mitglieder des Regierungsrates und nötigenfalls auch Mitglieder des Kantonsrates beizuziehen.

3 An der Landsgemeinde findet keine Diskussion statt.

4

Der Kantonsrat erlässt eine Geschäftsordnung.

Art. 60 Zuständigkeiten 1 Die Landsgemeinde entscheidet über a. die Total- oder Teilrevision der Verfassung; b. den Erlass, die Aufhebung oder Änderung von Gesetzen;

c. Interkantonale und internationale Verträge mit gesetzgebendem Charakter; d. Grundsatzbeschlüsse; e.

f.

2

Ausgaben, welche die Zuständigkeit des Kantonsrates Übersteigen; die Staatsrechnung,

Die Landsgemeinde wühlt

a.

b.

c.

die Mitglieder des Regierungsrates und aus deren Mitte die Person, die das Landammannamt bekleidet; die Mitglieder des Obergerichtes und des Verwaltungsgerichtes und deren Präsidenten oder Präsidentinnen; den Vertreter oder die Vertreterin des Kantons im Ständerat auf eine Amtsdauer von vier Jahren.

8. Behörden 8.1 Allgemeines Art. 61 Gewaltenteilung 1 Kantonsrat, Regierungsrat und Gerichte erfüllen -ihre Aufgaben getrennt. Keine dieser Behörden darf in den Kompetenzbereich der anderen eingreifen.

2 Wer öffentliche Aufgaben wahrnimmt, ist an Verfassung und Gesetz gebunden.

Er handelt im öffentlichen Interesse nach Treu und Glauben, willkürfrei und nach dem Grundsatz der Verha'Itnismässigkeit.

3 Kantonale Erlasse, die übergeordnetem Recht widersprechen, dürfen vom Regierungsrat und von den Gerichten nicht angewendet werden.

Art. 62 Wählbarkeit Wählbar in kantonale Behörden sind die im Kanton Stimmberechtigten. Ausnahmen regelt das Gesetz.

1042

Kantonsverfassung

Art. 63 Unvefeinbarkeit 1 Niemand kann gleichzeitig angehören a. dem Kantonsrat, dem Regierungsrat und einem kantonalen Gericht; b. dem Verwaltungsgericht und einem Gemeinderat; c. dem Regierungsrat und einem Gemeindeparlament oder einem Gemeinderat; d. dem Kantonsgericht und dem Ober- oder dem Verwaltungsgericht; e. als Vermittler oder Vermittlerin einem kantonalen Gericht.

2 Ausser dem Kantonsrat dürfen der gleichen Behörden nicht gleichzeitigangehören: Eltern und Kinder, Geschwister, Ehegatten.

Art. 64 Ausstand 1 Mitglieder von Behorden und Angehörige der kantonalen Verwaltung haben bei Geschäften, die sie betreffen, in den Ausstand zu treten.

2 Das Nähere bestimmt das Gesetz.

Art. 65 Amtsdauer 1 Die Amtsdauer des Regierungsrates betragt ein Jahr, diejenige der übrigen kantonalen Behörden drei Jahre.

2

Alle Wahlen erfolgen fur eine Amtsdauer oder fur den Rest einer solchen.

Art. 66

Altersbeschränkung

Wer als Mitglied des Regierungsrates, des Ober- oder des Verwaltungsgerichtes das 65. Altersjahr erreicht hat, scheidet auf die darauffoigende Landsgemeinde aus dem Amte aus.

Art. 67 Informationspflicht, Öffentlichkeit 1 Die Behörden des Kantons und der Gemeinden müssen das Volk frühzeitig und ausreichend informieren.

2 Die offizielle Information über Abstimmungsvorlagen soll eine freie Meinungsbildung ermöglichen 3 Die Verhandlungen des Kantonsrates und der Gerichte sind öffentlich Ausnahmen regelt das Gesetz.

Art. 68 Delegationen 1

Die Landsgemeinde kann Befugnisse an den Kantonsrat oder an den Regierungsrat übertragen, falls die Delegation auf ein bestimmtes Gebiet beschränkt ist und das Gesetz ihren Rahmen festlegt. Die direkte Delegation an andere Behorden ist ausgeschlossen.

2 Unter den gleichen Voraussetzungen kb'nnen Befugnisse des Kantonsrates an den Regierungsrat übertragen werden.

1043

Kantonsverfassung

3

Der Regierungsrat darf seine Befugnisse auf Direktionen und andere Organe übertragen, wenn ihn der Kantonsrat dazu ermächtigt. Befugnisse der Direktionen darf er ohne Ermächtigung im Gesetz übertragen.

Art. 69 Rechtssetzungs formen Alle grundlegenden und wichtigen Rechtssätze des kantonalen Rechtes sind in der Form des Gesetzes zu erlassen. Dazu gehören Bestimmungen, für welche die Verfassung ausdrücklich das Gesetz vorsieht, sowie Bestimmungen über; a. die Grundzüge der Rechtsstellung der Einzelnen, b. den Gegenstand von Abgaben, die Grundsätze ihrer Bemessung und den Kreis der Abgabepflichtigen mit Ausnahme von Gebühren in geringer Höhe, c. Zweck, Art und Rahmen von bedeutenden kantonalen Leistungen, d. die Grundzüge der Organisation und .der Aufgaben der Behörden, e. die Anhandnahme einer neuen, dauernden Aufgabe.

Art. 70 Verantwortlichkeit 1 Der Kanton und die anderen Körperschaften, die Öffentliche Aufgaben wahrnehmen, haften für den Schaden, den ihre Organe bei der Ausübung ihrer hoheitlichen Tätigkeit widerrechtlich verursachen.

2 Sie haften auch für Schäden, die ihre Organe rechtmässig verursacht haben, wenn Einzelne davon schwer betroffen sind und ihnen nicht zugemutet werden kann, den Schaden selber zu tragen.

3 Das Gesetz regelt die Haftung der Behördenmitglieder und Angestellten gegenüber dem Kanton und den anderen Körperschaften, die öffentliche Aufgaben wahrnehmen.

8.2 Der Kantonsrat Art. 71 Zusammensetzung, Wahl 1

Der Kantonsrat besteht aus 65 Mitgliedern.

2

Jede Gemeinde hat mindestens einen Sitz.

3 Die restlichen Sitze werden nach Massgabe ihrer Einwohnerzahlen auf die Gemeinden verteilt.

4 Für die Kantonsratswahl gilt das Mehrheits wähl verfahren; Wahlkreise sind die Gemeinden. Die Gemeinden können das Verhältniswahlverfahren einführen.

5

Das Nähere regelt das Gesetz.

Art. 72 ' Zuständigkeiten a. Aufsicht 1 Der Kantonsrat beaufsichtigt die Regierung und die Geschäftsführung der Gerichte.

2 Er führt die Oberaufsicht über die kantonale Verwaltung und die öffentlich-rechtlichen Anstalten.

1044

Kantonsverfassung

Art. 73 b. Wahlen 1 Der Kantonsrat wählt a. den Kantonsratspräsidenten oder die Kantonsratspräsidentin sowie die übrigen Mitglieder des kantonsrätlichen Büros jeweils für ein Jahr; b. die Mitglieder und Präsidenten oder Präsidentinnen des Kantonsgerichtes und des Jugendgerichtes; c. auf Vorschlag des Regierungsrates: den Ratschreiber oder die Ratschreiberin sowie den Staatsanwalt oder die Staatsanwältin; d. den Leiter oder die Leiterin des Parlamentsdienstes; e. die Finanzkontrolle; f. das Datenschutz-Kontrollorgan.

2 Durch Gesetz können dem Kantonsrat weitere Wahlbefugnisse übertragen werden.

Art. 74 c. Rechtssetzung . ' Der Kantonsrat bereitet die Vorlagen zuhanden der Landsgemeinde vor. Er kann ihr Eventualanträge stellen.

2 Er erlässt Verordnungen im Rahmen von Verfassung und Gesetz.

3 Er genehmigt oder kündigt interkantonale oder internationale Verträge, soweit nicht die Landsgemeinde oder der Regierungsrat zuständig ist.

Art. 75 d. Planung Der Kantonsrat berät die Sach-, Finanz- und Investitionsplanung sowie weitere grundlegende Planungen des Regierungsrates.

Art. 76 e. Finanzkompetenzen 1 Der Kantonsrat beschliesst unter Beachtung des Finanzplanes über den Voranschlag und den Steuerfuss.

2 Unter Vorbehalt abweichender gesetzlicher Bestimmungen beschliesst er über: a. neue einmalige Ausgaben für den gleichen Gegenstand im Betrag von 1-5 Prozent einer Steuereinheit; b. neue wiederkehrende Ausgaben im Betrag von 0,5-1 Prozent einer Steuereinheit.

Art. 77 f. Weitere Befugnisse 1 Der Kantonsrat

a.

übt die den Kantonen von der Bundesverfassung eingeräumten Mitwirkungsrechte aus;

b.

c.

d.

fasst Grundsatzbeschlüsse im Rahmen seiner Zuständigkeiten; beschliesst über Begnadigungen; entscheidet Zuständigkeitskonflikte zwischen den obersten kantonalen Behörden.

2 Der Kantonsrat kann den Regierungsrat mit der Vorbereitung seiner Geschäfte beauftragen.

3

Durch Gesetz können ihm weitere Aufgaben übertragen werden.

1045

Kantonsverfassung

Art. 78 Geschäftsordnung, Organisation 1

Der Kantonsrat erlässt eine Geschäftsordnung.

2

Er verfügt über einen Parlamentsdienst.

Die kantonale Verwaltung steht dem Kantonsrat zur Erfüllung seiner Aufgaben zur Seite.

3

Art. 79 Kommissionen !

Der Kantonsrat kann ständige Kommissionen einsetzen und mit der Vorbereitung einzelner Geschäfte besondere Kommissionen betrauen, 2

Regierungsrat und Verwaltung erteilen den Kommissionen alle Auskünfte, die sie für ihre Tätigkeit benötigen.

Art. 80 Stellung des Regierungsrates 1

Die Mitglieder des Regierungsrates nehmen an den Sitzungen des Kantonsrates teil.

2

Sie haben beratende Stimme und das Antragsrecht.

Art. 81 Immunität Die Mitglieder des Kantonsrates und des Regierungsrates sind in ihren Äusserungen im Rat und in den Kommissionen frei und können dafür nur strafrechtlich verfolgt oder zivilrechtlich belangt werden, wenn zwei Drittel der anwesenden Ratsmitglieder dazu ihre Ermächtigung erteilen.

8.3 Der Regierungsrat Art. 82 Stellung 1 Der Regierungsrat ist die oberste leitende, planende und vollziehende Behörde des Kantons.

2 Er führt die kantonale Verwaltung und beaufsichtigt nach Gesetz die Gemeinden.

Art. 83 Sitzzahl, Hauptamt 1 Der Regierungsrat besteht aus sieben hauptamtlichen Mitgliedern.

2 Das Gesetz bestimmt, welche Tätigkeiten mit dem Amt nicht vereinbar sind.

3 Der Kantonsrat regelt die Besoldung und die berufliche Vorsorge.

Art. 84 Das Landammannamt 1 Wer das Landammannamt innehat, präsidiert den Regierungsrat.

2 Er oder sie leitet, plant und koordiniert die Arbeit des Regierungsrates.

1046

Kantonsverfassung

Art. 85 Amtsdauer 1 Die Amtsdauer des Regierungsrates beträgt ein Jahr.

2 Die Wahl ins Landammannamt findet alljährlich statt. Zweimalige Wiederwahl ist zulässig; anschliessend ist für mindestens ein Jahr auszusetzen.

Art. 86 Zuständigkeiten a. Planung und Koordination 1 Der Regierungsrat bestimmt unter Vorbehalt der Zuständigkeiten von Landsgemeinde und Kantonsrat die Ziele und Mittel des staatlichen Handelns.

2 Er plant und koordiniert die staatlichen Tätigkeiten. Er führt die mittelfristige Sach- und Terminplanung und erstellt zuhanden des Kantonsrates einen Finanzplan, einen Investitionsplan und weitere grundlegende Pläne.

Art. 87 b. Rechtssetzung 1 Der Regierungsrat entwirft zuhanden des Kantonsrates Erlasse und Beschlüsse.

2 Er schliesst und kündigt interkantonale und internationale Verträge über Gegenstände, die im Rahmen seiner ordentlichen Zuständigkeiten liegen.

3 Er erlässt im Rahmen der Verfassung und der Gesetzgebung Verordnungen.

4 Bei zeitlicher Dringlichkeit kann er, soweit dies zur Einführung übergeordneten Rechts nötig ist, Verordnungen erlassen; diese sind ohne Verzug ins ordentliche Recht überzuführen.

Art. 88 c. Finanzkompetenzen* 1

Der Regierungsrat erstellt zuhanden des Kantonsrates den Voranschlag und die Staatsrechnung.

2

Er beschliesst über a. gebundene Ausgaben und Änderungen im Finanzvermögen ohne Beschränkung; b. neue einmalige Ausgaben bis zum Betrag von l Prozent einer Steuereinheit; c. neue wiederkehrende Ausgaben bis zum Betrag von 0,5 Prozent einer Steuereinheit.

Art. 89 d. Weitere Befugnisse 1 Def Regierungsrat nimmt alle Befugnisse wahr, die nicht ausdrücklich einer anderen Stelle zugewiesen sind.

2 Inbesondere obliegen ihm a. die Verantwortung für die öffentliche Ordnung und Sicherheit; b. die Wahrung der kantonalen Interessen gegenüber dem Bund; c. die Abfassung von Vernehmlassungen zuhanden der Bundesbehörden; d. der Entscheid über die Ergreifung oder die Unterstützung des Standesreferendums in dringlichen Fällen; e. der Vollzug der Gesetze, der Verordnungen und Beschlüsse des Kantonsrates sowie der rechtskräftigen Urteile; 1047

Kantonsverfassung

f.

g.

die Erteilung des Landrechts; die Wahl der Angehörigen der kantonalen Verwaltung, soweit dafür keine andere Stelle zuständig ist;

h. die Erstellung eines jährlichen Rechenschaftsberichtes an den Kantonsrat.

3

Durch die Gesetzgebung können dem Regierungsrat weitere Befugnisse übertragen werden.

Art. 90 e. Ausserordentliche Lagen 1 Der Regierungsrat ergreift auch ohne ausdrückliche gesetzliche Grundlage Massnahmen, um eingetretenen oder unmittelbar drohenden Störungen der öffentlichen Ordnung und Sicherheit sowie sozialen Notständen zu begegnen.

2 Notverordnungen hat er sofort dem Kantonsrat zur Genehmigung vorzulegen; sie fallen spätestens ein Jahr nach ihrem Inkrafttreten dahin.

Art. 91 Kollegialprinzip Der Regierungsrat fasst seine Beschlüsse als Kollegialbehörde.

Art. 92 Kommissionen Durch Gesetz, Verordnung oder Beschluss des Regierungsrates können ständige beratende Kommissionen eingesetzt oder besondere Kommissionen mit der Vorbereitung einzelner Geschäfte betraut werden.

Art. 93 Kantonale Verwaltung 1 Die Verwaltung erfüllt ihre Aufgaben nach den Grundsätzen der Rechtmässigkeit, Wirksamkeit und Wirtschaftlichkeit.

2

Das Gesetz regelt die Grundzüge der Verwaltungsorgan! sa.tion und das Verwaltungsverfahren.

3 Stabs-, Koordinations- und Verbindungsstelle des Regierungsrates und des Kantonsrates ist die Kantonskanzlei, die vom Ratschreiber oder von der Ratschreiberin geleitet wird.

8.4 Die Gerichte Art. 94 Gerichtliche Organe 1 Die Gerichtsbarkeit wird ausgeübt durch: a. einen in jeder Gemeinde von den Stimmberechtigten gewählten Vermittler oder eine Vermittlerin, für den Versuch einer gütlichen Einigung in Zivilrechts- und Ehrverletzungsstreitigkeiten; b. das Jugendgericht, bestehend "aus fünf Mitgliedern, zur Rechtsprechung in Strafsachen gegenüber Jugendlichen; c. das Kantonsgericht, bestehend aus höchstens 25 Mitgliedern, zur Beurteilung von Zivil- und Strafsachen in erster Instanz; 1048

Kantonsverfassung

d.

das Obergericht, bestehend aus neun Mitgliedern, als Rechtsmittelinstanz in Zivil- und Strafsachen; e. das Verwaltungsgericht, bestehend aus neun Mitgliedern, zur Beurteilung von Verwaltungsstreitigkeiten in letzter Instanz.

2 Das Gesetz regelt Organisation, Verfahren und Zuständigkeit Art. 95 Begründungspflicht 1 Die Urteile sind schriftlich zu begründen 2 Ausnahmen regelt das Gesetz.

9. Finanzordnung Art, 96 Allgemeine Grundsatze 1 Kanton und Gemeinden führen ihren Finanzhaushalt sparsam, wirtschaftlich und mittelfristig ausgeglichen.

2 Sie sorgen fur eine umfassende Finanz- und Investitionsplanung.

3 Neue Aufgaben dürfen erst übernommen werden, wenn ihre Finanzierung geregelt ist.

4 Verwaltungsunabhängige Kontrollorgane prüfen, ob der Finanzhaushalt gesetzmassig geführt wird.

5

Das Nähere regelt das Gesetz.

Art. 97 Der a.

b.

c.

d.

Mittelbeschaffung

Kanton beschafft sich seine Mittel durch die Erhebung von Steuern und anderen Abgaben; aus Vermögenserträgen; aus Leistungen des Bundes und Dritter; durch die Aufnahme von Darlehen und Anleihen.

K

Art. 98 Steuern und Abgaben 1 Kanton und Gemeinden besteuern das Einkommen undVermögenn dernatürlichenn Personen sowie den Ertrag und das Kapital juristischer Personen.

2 Durch Gesetz können weitere kantonale und kommunale Steuern und Abgaben einfeführt werden.

3

Bei der Ausgestaltung der Steuern sind die Grundsatze der Rechtsgleichheit und der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit zu beachten.

Art. 99 Ausgaben Jede Ausgabe setzt eine Rechtsgrundlage, einen entsprechenden Kredit sowie einen Ausgabenbeschluss des zuständigen Organs voraus.

1049

Kantonsverfassung

10. Gemeinden Art. 100 Einwohnergemeinde

' Einzige Gemeindeart im Kanton ist die Einwohnergemeinde, 2

Sie ist eine Körperschaft des öffentlichen Rechts mit eigener Rechtspersönlichkeit.

Sie erfüllt alle örtlichen Aufgaben, die nicht vom Bund oder vom Kanton wahrgenommen werden und die nicht sinnvollerweise Privaten tiberlassen bleiben.

3

Art. 101 Gemeindeautonomie 1 Die Autonomie der Gemeinden ist gewährleistet. Ihr Umfang ist durch das kantonale und das eidgenössische Repht bestimmt.

2 Alle kantonalen Organe wahren eine möglichst grosse Selbständigkeit der Gemeinden.

Art. 102

Organisation

1

Die Gemeinden legen ihre Organisation im Rahmen von Verfassung und Gesetz in einer Gemeindeordnung fest.

2 Die Gemeindeordnung unterliegt der Volksabstimmung und bedarf zu ihrer Gültigkeit der Genehmigung durch den Regierungsrat.

3

Die Gemeinden können ein Gemeindeparlament einführen.

Art. 103 Verhältnis der Gemeinden unter sich und zum Kanton 1 Die Gemeinden arbeiten bei der Erfüllung ihrer Aufgaben unter sich, mit dem Kanton und allenfalls mit ausserkantonalen Gemeinden zusammen.

2 Sie können mit Zustimmung des Regierungsrates Zweckverbä'nde gründen oder sich zu anderen Organisationen zusammenschliessen.

3 Ist eine Aufgabe anders nicht zu erfüllen, kann der Regierungsrat zwei oder mehrere Gemeinden zur Zusammenarbeit verpflichten.

*

Art. 104 Finanzausgleich Durch einen Finanzausgleich ist ein ausgewogenes Verhältnis der Steuerbelastung unter den Gemeinden anzustreben.

Art. 105 Stimmrecht 1 Das Stimmrecht in der Gemeinde steht allen Personen zu, die in kantonalen Angelegenheiten stimmberechtigt sind.

2 Die Gemeinden können das Stimmrecht ausserdem Ausländerinnen und Ausländern erteilen, die seit zehn Jahren in der Schweiz und davon seit fünf Jahren im Kanton wohnen und ein entsprechendes Begehren stellen.

1050

Kantonsverfassung

Art. 106 Initiativrecht 1 Mil einer Initiative kann der Erlass, die Anderung oder die Aufhebung von Reglementen oder Beschlüssen verlangt werden, die dem obligatorischen oder dem fakultativen Referendum unterliegen.

2 Die Initiative kann als allgemeine Anregung oder als ausgearbeiteter Entwurf eingereicht werden.

3 Wird mil einer Initiative der Erlass oder die Änderung von Plänen oder Vorschriften verlangt, fur die ein Einspracheverfahren vorgeschrieben ist, ist sie nur als allgemeine Anregung zulässig.

4

Die Artiket 51 Absatz 1, 52, 54 und 55 gelten im übrigen sinngemäss.

Art. 107 Gemeindegesetz Das Gesetz regelt insbesondere die Grundzüge der Gemeindeorganisation, die Aufsicht über die Gemeinden sowie das Finanzwesen.

11. Korperschaften und Anstalten des offentlichen Rechts Art. 108 Nach Massgabe des Gesetzes konnen öffentliche Aufgaben von Korperschaften und Anstalten des offentlichen Rechts wahrgenommen werden.

12. Staat und Kirche 12.1 Öffentlich-rechtliche Religionsgemeinschaften Art. 109 a. Grundsatz; Selbständigkeit 1 Die evangelisch-reformierte und die römisch-katholische Kirche sind selbständige Korperschaften des offentlichen Rechts.

2 Die kirchlichen Korperschaften regeln ihre inneren Angelegenheiten selbständig.

Sie sind befugt, von ihren Mitgliedern Steuern zu erheben.

3 Beschlüsse und VerfUgungen kirchlicher Organe konnen nicht an staatliche Stellen weitergezogen werden.

Art. 110 b. Zugehörigkeit Die Zugehörigkeit zu einer Kirche regelt sich nach deren Verfassung. Das Recht, durch schriftliche Erklärung aus einer Kirche auszutreten, ist gewährleistet.

12.2 Andere Religionsgemeinschaften Art. 111 Die iibrigen Religionsgemeinschaften unterstehen dem zivilen Recht. Sie konnen vom Kantonsrat als öffentlich-rechtliche Korperschaften anerkannt werden, wenn ihre Verfassung dem kantonalen und dem Bundesrecht nicht widerspricht.

1051

KanlonsveiTassung

13. Revision der Verfassung Art. 112 Grundsatz 1 Die Verfassung kann jederzeit ganz oder teilweise revidiert werden.

2 Verfassungsrevisionen werden auf dem Weg der Gesetzgebung vorgenommen.

Art. 113 Teilrevision Eine Teikevision kann eine einzelne Bestimmung oder mehrere sachlich zusammenhängende Bestimmungen umfassen.

Art. 114 Totalrevision 1 Der Kantonsrat prüft in Zeitabstä'nden von jeweils 20 Jahren nach Inkrafttreten dieser Verfassung, ob eine Totalrevision an die Hand genommen werden soll.

2 Die Frage, ob eine Totalrevision durchzuführen sei, ist der Lands gemeinde vorzulegen. Diese entscheidet ferner, ob der Kantonsrat oder ein Verfassungsrat die Revision vorbereiten soll.

14. Schluss- und Übergangsbestimmungen Art. 115 Bürgergememden 1 Bestehende Bürgergemeinden gelten ohne weiteres als aufgelöst, wenn sie nicht innert fünf Jahren seit Inkrafttreten dieser Verfassung durch Beschluss ihrer Mitglieder in Körperschaften des öffentlichen Rechts umgewandelt werden.

2 Mit der Auflösung der Bürgergemeinde tritt die Einwohnergemeinde vollumfänglich in deren Rechte und Pflichten ein, Art. 116 Kirchliche Gebäulichkeiten In den Gemeinden, in denen die kirchlichen Gebäulichkeiten im Eigentum der Einwohnergemeinde stehen," ist innert einer Frist von fünf Jahren seit Inkrafttreten dieser Verfassung eine Sicherung der bisherigen Mitbenutzungsrechte sowie eine Vereinbarung über Benutzung und Unterhalt zu treffen.

Art. 117 Wahl des Obergerichts Nach Inkrafttreten dieser Verfassung werden die Mitglieder des Obergerichts einmalig auf eine Amtsdauer von zwei Jahren gewählt.

Art. 118 Inkrafttreten; aufgehobenes Recht 1 Diese Verfassung tritt nach ihrer Gewährleistung durch die Bundesversammlung am I.Mai 1996 in Kraft.

2 Auf diesen Zeitpunkt wird die Verfassung für den Kanton Appenzell Ausserrhoden vom 26. April 1908 aufgehoben.

1052

8158

Schweizerisches Bundesarchiv, Digitale Amtsdruckschriften Archives fédérales suisses, Publications officielles numérisées Archivio federale svizzero, Pubblicazioni ufficiali digitali

Botschaft über die Gewährleistung der Verfassung des Kantons Appenzell Ausserrhoden vom 10. Januar 1996

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1996

Année Anno Band

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10

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12.03.1996

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10 053 778

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