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Kompetenzverteilung zwischen Bundesversammlung

und Bundesrat Bericht der von den Staatspolitischen Kommissionen der eidgenössischen Räte eingesetzten Expertenkommission vom 15. Dezember 1995 1)

" Die Staatspolitischen Kommissionen der eidgenössischen Räte hüben an ihren Sitzungen vom 2. bzw. 13. Februar 1996 von diesem Bericht Kenntnis genommen und beschlossen, ihn imBundesblattu zu veröffentlichen.

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1996-156

Übersicht Gemäss dem ihr im September 1994 von den Staatspolitischen Kommissionen erteilten Auftrag präsentiert die Expertenkommission «Kompetenzverteilung zwischen Bundesversammlung und Bundesrat» im vorliegenden Bericht ihre Überlegungen und Vorschläge.

Welche Kriterien sollen bei der Verteilung der Kompetenzen zwischen Parlament und Regierung im Vordergrund stehen? Die Expertenkommission ist von der Feststellung ausgegangen, dass die Anforderungen an den modernen Staat enorm gestiegen sind: Dieser wird durch die Internationalisierung von Recht und Politik sowie die zunehmende Komplexität der Probleme immer mehr gefordert. Die Verteilung der Kompetenzen zwischen den verschiedenen staatlichen Organen hat deshalb in erster Linie der Leistungsfähigkeit des Staates zu dienen. Dabei ist jedoch das Kriterium der Machthemmung nicht zu vergessen: In einer Demokratie darf staatliche Macht nur kontrolliert ausgeübt werden.

Die Expertenkommission hat sich deshalb bei ihren Arbeiten von einem Modell der Kooperation von Parlament und Regierung leiten lassen. Gemäss dieser Idee sollen die verschiedenen Funktionen des Staates nicht einfach auf die verschiedenen Gewalten aufgeteilt werden, etwa nach dem Prinzip: die Regierung plant, das Parlament setzt Recht, welches von Regierung und Verwaltung vollzogen wird.

Parlament und Regierung sollen vielmehr beide an den verschiedenen Prozessen staatlichen Handelns beteiligt sein, wenn auch in unterschiedlicher Weise. Konkret heisst dies, dass das Parlament sowohl in die Vorphase der Gesetzgebung wie auch in die Umsetzung derselben auf zweckmässige Weise einbezogen wird. Auf der anderen Seite soll die Regierung das Parlament von politisch wenig brisanten Rechtsseizungsaufgaben entlasten.

Aufgrund dieser Überlegungen präsentiert die Expertenkommission die folgenden Vorschläge: In der Verfassung soll das Parlament (unter Vorbehalt des Referendums) als zuständig für den Erlass der wichtigen, der Bundesrat als zuständig für den Erlass weniger wichtiger Rechtsnormen erklärt werden. Der Bundesrat kann somit ohne Ermächtigung durch das Parlament in weniger wichtigen Fragen legiferieren und das Parlament von Detailregelungen entlasten. Dieses muss sich von Verfassungs wegen unì die wichtigen Rechtssetzungsfragen kümmern. Aufgrund von im Geschäftsverkehrsgesetz umschriebenen
Kriterien für die Wichtigkeit ent- · scheidet das Parlament, ob es für den Erlass einer Rechtsnorm zuständig ist.

Nach wie vor kann das Parlament auch die Regelung wichtiger Fragen delegieren, wenn es sich für deren Lösung als nicht geeignet erachtet.

Gemäss dem Kriterium der Wichtigkeit sollte das Parlament auch über wichtige Verwaltungsakte beßnden können. Gerade dieses Beispiel zeigt, dass eine strikte nach Funktionen vorgenommene Kompetenzverteilung unzweckntässig ist: Die Genehmigung von Rahmenbewilligungen für Atomanlagen-zum Beispiel stellt keinen Rechtssetzungs-, sondern einen Verwaltungsakt dar. Sie würde also gemäss strikter Funktionsteilung in die Kompetenz der Regierung fallen, was angesichts der Untstnttenheit und der Bedeutung dieses Entscheids nicht sinnvoll ist. Um Klarheit zu schaffen, soll in der Verfassung festgehalten werden, dass das Parla-

17 ßundesblalt 148. Jahrgang. Bd. H

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ment über wichtige Verwaltungsakte entscheidet, soweit dies ein Bundesgesetz ausdrücklich vorsieht.

Im Zusammenhang mit der Überprüfung der Kompetenzen im Rcchtssetzungsbereich wird auch eine Vereinfachung der Erlassformen vorgeschlagen. Als Erlassformen der Bundesversammlung sind nur noch das Gesetz und der Beschluss der Bundesversammlung vorgesehen. Auf den oß zu Abgrenzungsproblemen Anlass gebenden allgemeinverbindlichen Bundesbeschluss kann verzichtet werden, Ausserdem wurde Klarheit beim Dringlichkeilsrecht geschaffen, indem dieses nicht mehr mit der Befristung verknüpft ist.

In der Verfassung soll festgehalten werden, dass das Parlament an den wichtigen Plänen der Staatstätigkeit mitwirkt, und mit dein Grundsatzbeschluss sowie dem Auftrag an den Bundesrat sotten zwei neue Instrumente zur Wahrnehmung dieser Kompetenz geschaffen werden. In der Form eines Beschlusses der Bundesversammlung soll diese die Grundzüge einer zukünftigen Gesetzgebung oder Massnahme festlegen können. Damit wird eine Grundsatzdiskussion zwischen Parlament und Regierung über künßige Lösungen in einem frühen Zeitpunkt ermöglicht.

Das Instrument des Auftrags ersetzt die bisherige Motion, im Gegensatz zu dieser wirkt der Auftrag auch im Zuständigkeitsbereich des Bundesrates, allerdings hier nur als Richtlinie.

Wenn der Bundesrat für den Erlass der weniger wichtigen Rechtsnormen zuständig ist, dann drängt sich eine systematische Kontrolle der bundesrätlichen Rechtssetzung durch das Parlament auf. Die Expertenkommission schlägt deshalb vor, dass die Grundzüge des Verordnungsverfahrens und die Rechte der Bundesversammlung im Bereich der'Kontrolle 'über die Erlasse des Bundesrates und der Verwaltung auf Gesetzesstufe geregelt werden. Dabei wäre vorzusehen, dass die parlamentarischen Kommissionen die Rechtssetzung des Bundesratcs in ihrem Zuständigkeitsbereich systematisch verfolgen und für von ihnen als wichtig erachtete Verordnungen vom Bundesrat auch die Entscheidungsgrundlagen verlangen können. Diese Kontrolle dient sowohl der Aufsicht über den Bundesrat als auch dem Erzielen von Lerneffekten für das Parlament im Hinblick auf die zukünftige Gesetzgebung.

Bei der vorgeschlagenen Schaffung eines unabhängigen Organs zur Evaluation staatlicher Massnahmen steht ebenfalls nicht die Kontrolle im Vordergrund, Angestrebt wird
vielmehr eine Evaluation der von den verschiedenen Organen getroffe- nen Entscheidungen und Massnahmen im Hinblick auf zukünftige Problemlösungen. In der Verfassung soll festgehalten werden, dass dieses Organ unabhängig die staatlichen Massnahmen und ihre Wirkungen überprüft. Seine Leitung soll von der Bundesversammlung gewählt werden. Die Expertenkommission zeigt die Grundzüge für die Organisation eines solchen Organs auf. Dabei soll vor allem die Autonomie des Organs garantiert werden, welches Evaluationen auf eigene Initiative hin, aber auch auf Anregung von Parlament oder Regierung durchführt.

Neue Modelle der Verwaltungsführung, bekannt auch als «New Public Management» (NPM), werden das Parlament in Zukunft vor grosse Herausforderungen stellen. Mit dem 'von der Bundesversammlung am 6. Oktober 1995 verabschiedeten Regierungs- und Verwaltungsorganisationsgesetz wurde die Möglichkeit geschaffen, dass der Bundesrat für bestimmte Gruppen und Ämter Leistungsauf-

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träge erteilen kann. Damit werden die rechtlichen Voraussetzungen ßir eine sektorielle Anwendung von NPM auf Bundesebene geschaffen. Die Expertenkommission hält es für unerlässlich, dass die Bundesversammlung frühzeitig Vorstellungen über ihre Rolle in diesem Prozess ent\vickelt. Die in' diesem Bericht dargelegten Überlegungen sollen 'deshalb die Diskussion auf Parlamentsebene in Gang setzen.

Dabei wird auch nach neuen parlamentarischen Instrumenten zu suchen sein. Die Expertenkommission möchte zwar vor einer Übersteuerung durch das Parlament warnen. Sie erachtet es jedoch als wichtig, dass das Parlament im Bereich der Leistungsaußräge mitreden kann. Das vorgeschlagene Mittel hierzu ist der Auftrag an den Bundesrat. Die Expertenkommission empfiehlt deshalb dem Parlament, diese Reform möglichst rasch - eventuell als Übergangslösung spezifisch im Hinblick auf Leistungsaufträge - auf Gesetzes- oder Reglementsebene umzusetzen.

Das Parlament sollte im Hinblick auf die bevorstehende Pilotphase die nötigen Instrumente rechtzeitig zur Hand haben.

Auftragsgemäss hat die^ Expertenkommission auch Vorschläge geprüft, welche zum Ziel haben, die Verantwortlichkeit der Regierung gegenüber dem Parlament dadurch zu stärken, dass das Wahlverfaltren geändert wird bzw. Instrumente zur Misstrauensäusserung gegenüber der Regierung geschaffen werden. Die Expertenkommission ist zum Schluss gekommen, dass mit solchen Massnahmen das Misstrauen zwischen Parlament und Regierung gefördert würde. Dies widerspricht jedoch einem Modell kooperierender Organe. Sie rät deshalb von Reformen in diesem Bereich ab. Das geltende System der Gesantterneuerungswahlen des Bundesrates reicht aus, um die Verantwortlichkeit der Regierung gegenüber dem Parlament geltend zu machen.

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Bericht 1 II

Einleitung Aufgabenstellung

Mit Beschluss vom 5. bzw, 28. September 1994 haben die Staatspolitischen Kommissionen der eidgenossischen Rate die Expertenkommission «Kompetenzverteilung zwischen Bundesversammlung und Bundesrat»2) eingesetzt und diese beauftragt, das Zusammenwirken der beiden Gewaltcn Parlament und Regierung zu überprüfen und Varianten für konkrete Reformen auf Verfassungs- und Gesetzesebene auszuarbeiten. Insbesondere hatte die Expertenkommission die folgenden Fragen zu prüfen: a. Zuständigkeiten im Bereich der Rechtssetzung: b. Überprüfen der Kompetenzen des Parlamentes ausserhalb des Rechtssetzungsbereichs (insbesondere Planungskompetenz, Richtlinienkompetenzen, Weisungsrecht im delegierten Rechtssetzungsbereich); c. Verantwortlichkeit der Regierung gegenüber dem Parlament (insbesondere in Zusammenhang mil der Ausübung der Wahlkompetenz des Parlamentes).

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Vorgehensweise

Die Expertenkommission erstellte in einem ersten Schritt aufgrund des Mandates eine Liste von möglichen Themen, die allenfalls zu behandeln waren. Um sich auf die in der politischen Praxis relevanten Probleme konzentrieren zu können, präsentierte sie diese Themenliste Mitgliedern der Subkommissionen Parlamentsreform der Staatspolitischen Kommissionen sowie Angehörigen der Verwaltung. Aufgrund dieser Anhörungen wurde eine Auswahl der weiter zu bearbeitenden Themen getroffen. Die fünf Mitglieder der Expertenkommission erarbeiteten zu diesen Themen Konzepte fur mögliche Reformvorschlage. Diese wurden wiederum Mitgliedern der Subkommissionen und Vertretern der Verwaltung vorgestellt. Aufgrund der Hearings wurde eine weitere Selektion von Vorschlagen vorgenommen, die in der Folge von den Experten ausgearbeitet wurden. Deren Entwürfe wurden dann in der Expertenkommission diskutiert und sind in Kapitel 3 des vorliegenden Berichts dargestellt.

Die Themen wurden wie folgt unter den Experten verteilt: - Prof. Georg MUller widmete sich primär dem Bereich der Rechtssetzung und der Neudefinition der Erlassformen; - Prof. Philippe Mastronardi hat die Vorschlage für neue parlamentarische Instrumente (Grundsatzbeschluss und Auftrag) sowic für eine verbesserte parlamentarische Kontrolle der bundesrätlichen Rechtssetzung bearbeitet; 2) Die Expertenkommission setzt sich aus folgenden Personen zusammen: Prof. Gcorg Müller, Universität Zurich, Präsident: Prof. Pierre Moor,Universitätt Lausanne,Vizepräsident;; Dr. Urs Bolz,AdvokaturbürooBolz && Keller. BernehemaligercSekretärar der Verfassungskommission deKantonsns Bern; Prof. UlricKlöti,i, Universitat Zurich; Prof. Philippe Ma-

stronardi, Hochschule S t . Gallen. DaSekretariatat besorgte Frau lie. phil. hist.

zum Schlussberichzusammengefügtgl sowie diEinleitungng und weitere Zwischentexte zu Handen der Expertenkommission verfasst.

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- von Prof. Pierre Moor stammen die Überlegungen für die Schaffung eines Evaluationsorgans, zudem hat er die Überprüfung von Artikel 85 BV (übrige Kompetenzen der Bundesversammlung) vorgenommen; - Dr. Urs Bolz und Prof. Ulrich Klöti haben sich mit der Stellung des Parlamentes in Zusammenhang mit neuen Modellen der Verwaltungsführung befasst; - Prof. Ulrich Klöti hat sich zudem mit den Bundesratswahlen beschäftigt.

Die Konkretisierungsgrade der Vorschläge sind unterschiedlich: In den Kapiteln 31 und 32 werden Verfassungs- und Gesetzestexte im Bereich der Erlassformen sowie für neue parlamentarische Instrumente präsentiert. Die in den Kapiteln 34 und 35 präsentierten Vorschläge für die Schaffung eines Evaluationsorgans und den Einbezug des Parlamentes in Modelle der neuen Verwaltungsführung betreffen bisher noch wenig erörterte Probleme. Zwar werden auch hier konkrete Verfassungs- und Gesetzesreformen vorgeschlagen, doch geht es in diesen Bereichen primär darum, die Diskussion über Fragen in Gang zu setzen, die das Parlament in Zukunft beschäftigen werden. In Kapitel 33 kommentiert die Expertenkommission die Vorschläge für die übrigen Kompetenzbestimmungen (bisheriger Art. 85 BV) im neuen Verfassungsentwurf. In Kapitel 36 ist sie dem Auftrag nachgekommen, die Verantwortlichkeit der Regierung gegenüber dem Parlament im Zusammenhang mit Wahlen zu überprüfen, wobei hier empfohlen wird, keine Reformen vorzunehmen.

Im Kapitel 4 werden weitere Empfehlungen für das parlamentarische Verfahren präsentiert. Dabei handelt es sich um Vorschläge, die in der Expertenkommission diskutiert, aber nicht weiter ausgearbeitet worden sind.

In Kapitel 2 sind die grundsätzlichen Überlegungen der Expertenkommission zur Gewaltenteilung dargestellt, welche wegleitend waren für die Ausarbeitung der in den Kapiteln 3 und 4 dargelegten Vorschläge und Empfehlungen.

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Ziel des Berichts .

Gemäss Mandat der Expertenkommission sollen die präsentierten Vorschläge als Grundlage dienen für: a.

allfällige Vorlagen der Staatspolitischen Kommissionen für Änderungen der Bundesverfassung und des Geschäftsverkehrsgesetzes, b. und/oder für die parlamentarische Beratung einer anfälligen Vorlage des Bundesrates zu einer Totalrevision der Bundesverfassung.

Die Expertenkommission hat ihre Vorschläge für Verfassungsrevisionen deshalb auf der Basis des Verfassungsentwurfs 1995 formuliert.-Die Staatspolitischen Kommissionen haben so die Möglichkeit, die Reformvorschläge vor dem Hintergrund des Verfassungsentwurfs 1995 zu beurteilen und allenfalls bei der Beratung der Totalrevision der Bundesverfassung einzubringen. Damit die -Koordination mit den Projekten Totalrevision der Bundesverfassung und Regierungsreform gewährleistet ist, haben regelmässige Besprechungen zwischen dem Vorsteher des EJPD, dem Bundeskanzler, den Präsidien der Staatspolitischen Kommissionen und dem Präsidenten der Expertenkommission stattgefunden. Im weiteren waren an den Sitzungen der Expertenkommission je eine Kontaktperson der Bundeskanzlei und des Bundesamtes für Justiz anwesend.

Die Expertenkommission betrachtete es zusätzlich als ihre Aufgabe, Überlegungen zu Fragen anzustellen, die auf das Parlament zukommen und das Verhältnis zwischen Bundesversammlung und Bundesrat tangieren werden. Dazu gehören vor 433

allem die Entwicklungen im Zusammenhang mit neuen Modellen der Verwaltungsführung. Der Bericht soll also nicht nur kurzfristig im Hinblick auf die kommenden Beratungen der Totalrevision genutzt werden können, sondern auch beitragen zum Einbezug des Parlamentes in eine Diskussion, von der es bisher noch weitgehend ausgeschlossen war.

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Allgemeine Überlegungen zum Verhältnis zwischen Parlament und Regierung Verschiedene Gewaltenteilungsmodelle und ihre Leistungsfähigkeit

Die vergleichende Regierungslehre zeigt, dass das Verhältnis zwischen Parlament und Regierung in den verschiedenen demokratischen Staaten auf sehr unterschiedliche Art und Weise ausgestaltet ist. Das Verhältnis zwischen den genannten Gewalten hängt erstens davon ab, wie Parlament und Regierung in das politische System eingebettet sind und welche Bedeutung den beiden Organen insgesamt an der Spitze eines Nationalstaates zukommt. In zentral istischen Staaten ist ihr Einfluss grösser als in föderalistischen. Zweitens ist es entscheidend, wie das Parlament organisiert ist. In Zweikammersystemen stellen sich die Probleme des Zusammenwirkens mit der Regierung anders als bei Parlamenten mit einer Kammer. Drittens ist es von Bedeutung, ob das Parlament einer geschlossenen Einparteienregierung oder einer heterogenen Koalitions- oder Konkordanzregierung gegenübersteht, was wiederum direkt mit dem Parteiensystem eines Landes zusammenhängt. Viertens schliesslich bestimmt sich das Verhältnis zwischen Parlament und Regierung durch das gewählte Gewaltenteilungsmodell.

Zur Vereinfachung beschränken wir uns darauf, als Einstieg in die Problematik verschiedene Gewalten te ilungsformen vorzustellen. Dabei stehen die beiden Grundtypen im Vordergrund, von denen es in der Realität die unterschiedlichsten Variationen gibt. In einem weiteren Schritt soll eine Einordnung der schweizerischen Form der Gewaltenteilung vorgenommen werden. Schliesslich ist nach der Leistung der verschiedenen Gewaltenteilungsmodelle zu fragen, wobei zu berücksichtigen ist, dass diese wiederum vom Kontext des politischen Systems abhängt.

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Die beiden Grundtypen der Gewaltenteilung

Das Verhältnis zwischen Parlament und Regierung in einem politischen System ist somit durch das diesem System zugrundeliegende Gewaltenteilungsmodell mitbestimmt. In der Literatur wird zwischen «präsidentiellen» und «parlamentarischen» Regierungssystemen unterschieden. Diese beiden Systeme unterscheiden sich nicht nur, aber vor allem durch die Art, wie die Regierung gewählt und abberufen wird.

Präsidenten werden vom Volk auf eine feste Amtszeit gewählt und können nicht aus politischen Gründen abgesetzt werden. Parlamentarische Regierungen werden von einer Parlamentsmehrheit gewählt und können, wenn ihnen das politische Vertrauen entzogen wird, gestürzt werden. Umgekehrt können sie das Parlament auflösen. Es versteht sich von selbst, dass diese unterschiedlichen institutionellen Arrangements die Formen der Gewaltenteilung stark beeinflussen.

Die gegenseitige Abhängigkeit von Legislative und Exekutive in parlamentarischen Systemen hat zu einer eigentlichen Auflösung der klassischen Gewaltenteilung geführt. Gemäss Winfried Steffani ist in diesen Systemen die Gewaltenteilung zwi434

schen Parlament und Regierung durch eine Gewaltenteilung zwischen Regierungsmehrheit und Opposition abgelb'st worden.3) Klassische Parlamentsfunktionen wie zum Beispiel die Kontrolle der Regierungs- und Verwaltungstätigkeit werden hier weniger durch das Parlament als Institution wahrgenommen, sondern von der Opposition gegenüber der Regierungsmehrheit.

Wind in den parlamentarischen Systemen Westeuropas die Trennung zwischen Parlament und Regierung durch die Trennung zwischen Regierungsmehrheit und Opposition eher verwischt, so kommt sie im klassisch präsidentiellen System der Vereinigten Staaten umso mehr zum Ausdruck: Selbst wenn der Präsident der gleichen Partei angehort wie die Kongressmehrheit, kann er nicht sicher sein, dass seine Vorlagen im Parlament eine Mehrheit finden. Die Parteien sind nicht das bestimmende Element in der amerikanischen Politik; der oder die Abgeordnete fühlt sich deshalb oft nicht der Partei, sondern eher dem Wahlkreis oder einer Interessengruppe gegenüber verpflichtet. Die Abgeordneten verstehen sich als individuelle Akteure, die an einem grossen Handlungsspielraum des Parlamentes interessiert sind, um ihre Anliegen wirksam einbringen zu kb'nnen.

Die hier aufgezeigte Unterscheidung zwischen den beiden Regierungssystemen und den daraus abgeleiteten Modellen der Gewaltenteilung zwischen Parlament und Regierung («präsidentiell») einerseits und Regierungsmehrheit und Opposition («parlamentarisch») anderseits ist insofern idealtypisch, als in den meisten politischen Systemen Elemente beider Modelle vorkommen. Grundsatzlich ist aber die Gewaltenteilungsidee, die hinter der Ausgestaltung eines politischen Systems steht, von grosser Bedeutung für das Verständnis des Funktionierens dieses Systems.

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Einordnung des schweizerischen Systems

Es scheint fiir die Wissenschaft ausserordentlich schwierig zu sein, die Schweiz dem einen oder dem anderen Regierungssystem zuzuordnen. Entweder wird auf eine Einstufung ganz verzichtet oder aber unser Modell wird als Sonderfall umschrieben. 4) So bezeichnet Alois Riklin die Schweiz als ein «nichtparlamemarisches» und «nichtpräsidentielles» Regierungssystem.5) Weniger Einordnungsprobleme hat Winfried Steffani, der meint: «Zum präsidentiellen Strukturtyp gehort weiterhin die Schweiz mit ihrem Bundesrat, in dem sich als

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Vgl. Winfried Steffani, Regierungsmehrheit und Opposition. In: Regierungsmehrheit und Opposition in den Staaten der EG. Hrsg. von Winfried Steffani unter Mitarbeit von JensPeter Gabriel, Opladen 1991.

4 ) Vgl. dazu; Klaus von Beyme, Die parlamentarischen Regierungssysteme in Europa, München 1973; Jean Blonde), Comparative Government: An Introduction, New York 1990; Peter Calvert, An Introduction to Comparative Politics, New York 1993; Colin Campbell et al.: Politics and Government in Europe Today, Orlando 1990; Oscar W. Gabriel (Hrsg.): Die EG-Staaten im Vergleich: Strukturen, Prozesse, Politik, Opladen 1992; Donald M.

Hancock et al.: Politics in Western Europe, An Introduction to the Politics of the United Kingdom, France, Germany, Italy, Sweden, and the European Community, Basingstoke 1993; Roy C. Macridis/Steven L. Burg, Introduction to Comparative Politics: Regimes and Change, New York 1991; Yves Mény, Politique comparée: Les démocraties: EtatsUnis, France, Grande-Bretagne, Italie, R.F.A., Paris 1987; Austin Ranney; Governing: An Introduction to Political Science, Englewood Cliffs 19936. · 5) Vgl. Alois Riklin, Die Stellung des Parlamentes im schweizerischen politischen System: Beitrag für den Schlussbericht der Studienkommission der eidgenossischen Rate «Zukunft des Parlaments». Forschungsstelle fur Politikwissenschaft: Beitrage und Berichte Nr. 55, St.Gallen l977, S.97ff.

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Kollegialorgan die Funktionen des Staatsoberhauptes, des Regierungschefs und der Regierung vereinen.» 6> Steffani hat diese Zuordnung der Schweiz zum präsidentiellen Systemtyp so eindeutig vorgenommen, weil das schweizerische System bezüglich seines Hauptunterscheidungsmerkmals der beiden Regierungstypen klar den Kriterien des Präsident teilen Typus entspricht: In der Bundesversammlung kann kein Misstrauensantrag gegen den Bundesrat gestellt werden, der bei Annahme zum Sturz der Regierung führen würde. Umgekehrt kann der Bundesrat das Parlament nicht auflösen und Neuwahlen anordnen.

Das heutige politische System der Schweiz kennt in der Tat viele Elemente der amerikanischen Idee von «checks and balances«, d. h. von Regierung und Parlament als zwei unabhängigen Gewalten, die je selbständige Beiträge zur Politikgestaltung leisten und sich gegenseitig kontrollieren. Daneben sind jedoch im schweizerischen System durchaus auch wichtige Elemente des parlamentarischen Typs vorhanden: z. B. wird die Regierung nicht vom Volk, sondern vom Parlament gewählt, was diese enger an das Parlament bindet, als dies in präsidentiellen Systemen der Fall ist. 7> Eigenständig schweizerisch ist das Modell der siebenköpfigen Kollegialregierung, in die sämtliche Mitglieder je einzeln durch das Parlament gewählt werden, und in der seit 35 Jahren die vier grössten Parteien in gleicher Zusammensetzung vertreten sind.

Zu beachten ist auch, dass in der politischen Praxis die Gewaltenteilung in der Schweiz weniger ausgeprägt ist als in den USA. Parlament und Regierung verstehen sich nicht unbedingt als Gegenspieler, wie dies zum Teil im amerikanischen System der Fall ist. Dies hängt auch mit den Infrastrukturen, welche den politischen Organen zur Verfügung stehen, zusammen: Verfügen der amerikanische Kongress und seine Mitglieder über bedeutende Mittel11', die quasi eine Gegenverwaltung zur Regierungsverwaltung bilden, waren in der Schweiz die Ressourcen des Parlamentes immer - auch unter Beachtung der relativen Grössenverhültnisse bescheidener, so dass sich automatisch eine enge Kooperation mit der Verwaltung des Bundesrates ergab. Zumindest zu Beginn des Bundesstaates wurde eine strikte Gewaltentrennung auch in dem Sinne nicht vollzogen, als zum Beispiel die Bundeskanzlei gleichzeitig als Kanzlei des Parlamentes und der
Regierung diente, der Bundeskanzler also gleichzeitig Generalsekretär der Bundesversammlung war. So entsprach das schweizerische System eigentlich eher der Idee der «Gewaltenverschränkung», wie wir sie in parlamentarischen Systemen kennen.

In den letzten 30 Jahren hat jedoch eine Entwicklung in Richtung ausgeprägtere Gewaltenteilung stattgefunden, was sich auch im Ausbau der Hilfsdienste des Parlamentes zeigt. Verschiedene Parlamentsreformen seit der Mirage-Affäre zielten darauf ab, die Unabhängigkeit des Parlamentes gegenüber der Regierung zu vergrössern und die Stellung des Parlamentes im Kontrollbereich zu stärken: So wurden die Rechte der Geschäftsprüfungskommissionen ausgebaut und das Instrument der Parlamentarischen Untersuchungskommission geschaffen. Auch im Bereich der Gesetzgebung hat das Parlament seinen Einfiuss verstärkt, sei es, indem es durch den vermehrten Gebrauch des Instruments der parlamentarischen Initiative zuneh6

> Winfried Steffani, Zur Unterscheidung parlamentarischer und präsidentieller Regicrungssysteme. In: Zeitschrift für Parlamentsfragen rJr. 3 1983. S. 394.

" Vgl. dazu Ziffer 36.

8) Die amerikanische Kongressverwaltung zählt etwa 25 000 Bedienstete. In dieser Zahl noch nicht enthalten sind die zahlreichen persönlichen Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen der Abgeordneten. Vgl, dazu: Uwe Thaysen et al.. US-Kongress und Deutscher Bundestag: Bestandesaufnahme im Vergleich, Opladen 1988.

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mend selber gesetzgeberisch aktiv wurde, sei es, indem es mit einer Reform seines Kommissionensystems im Jahre 1991 seine Stellung im Entscheidungsprozess gestärkt hat.

Wenn hier die amerikanische Gewaltenteilungsidee der «checks and balances» hervorgehoben wurde, dann deshalb, um den eigentlichen Sinn einer Gewaltenteilung zwischen den verschiedenen Organen in Erinnerung zu rufen: Ziel der Gewaltenteilung ist immer Machthemmung und Verteilung der Lasten und Verantwortung; staatliche Macht soll kontrolliert werden, indem sich die verschiedenen Akteure in sie teilen, Gewaltenteilung ist indessen nicht zu verwechseln mit einer strikten Funktionsteilung zwischen den verschiedenen Akteuren bzw. Gewalten, wie es zum Teil in der älteren Staatsrechtslehre in der Schweiz zum Ausdruck kommt.

Die Vorstellung, dass das Parlament in den Gesetzen den politischen Inhalt bestimmt und Regierung und Verwaltung den parlamentarischen Willen «neutral» ausführen, wird denn auch in der neuen staatsrechtlichen Literatur als unrealistisch bezeichnet. So hält zum Beispiel Pierre Tschannen fest, dass «Gesetzesanwendung sich... nicht mehr als wertungsfreies Ausführen eines parlamentarischen Willens begreifen lässt.... Die inhaltsorientierte Steuerung, Wirkungsansatz des herkömmlichen Rechtsgesetzes, tritt zugunsten einer prozessorientierten Steuerung zurück.»9> Auch Hansjörg Seiler zeigt in seiner Habilitationsschrift auf, dass die populäre Gewaltente il ungskonzeption, welche Kompetenzen trennen, jedem Organ eine Funktion zu prinzipiell ausschliesslicher Ausübung zuweisen und gegenseitige Beeinflussung als «Übergriffe» grundsätzlich vermeiden will, sowohl den klassischen Vorstellungen von Gewaltenteilung gemäss Locke und Montesquieu widerspricht als auch in bezug auf die moderne Staatspraxis' sich als völlig realitätsfremd erweist.101 Gerade das amerikanische System ist ein Beispiel dafür, dass unter Gewaltenteilung nicht Funktionsteilung zu verstehen ist; so sind etwa die Kommissionen des Kongresses mit weitreichenden Kompetenzen ausgestattet, die nicht eigentlich der «Gesetzgebung», sondern durchaus auch der Wahrnehmung exekutiver und zum Teil richterlicher Funktionen dienen. Umgekehrt ist der Präsident selbstverständlich an der Gesetzgebung und Programmformulierung beteiligt.

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Input- und Output-Leistungen verschiedener Gewaltenteilungsmodelle

Staatliche Macht soll verteilt und kontrolliert werden. Das ist die Idee der Gewaltenteilung. Mit der Kontrolle staatlicher Macht ist auch eine Beschränkung derselben verbunden. Je nach Art der Gewaltenteilung kommt dies in einem politischen System mehr oder weniger zum Ausdruck. So stehen hinter dem parlamentarischen und dem präsidentiellen Systemtypus verschiedene Auffassungen von Staat und Demokratie. Zumindest theoretisch ist das präsidentielle System mit seiner ausgeprägten Gewaltenteilung eher auf die Beschränkung staatlicher Macht ausgerichtet, während ein parlamentarisches System eher dazu geeignet sein sollte, hohe Effizienz und Effektivität staatlicher Tätigkeit zu bewirken. Tatsächlich scheint in einem präsidentiellen System mit zwei gleich starken Gewalten die Gefahr zu bestehen, dass sich Parlament und Regierung gegenseitig blockieren. Im Zusammen9

' Pierre Tschannen, Stimmrecht und politische Verständigung: Beiträge zu einem erneuerten Verständnis von direkter Demokratie, Basel 199*5, S. 307.

"" Vgl. Hansjörg Seiler, Gewaltenteilung: Allgemeine Grundlagen und schweizerische Ausgestaltung, Bern 1994, S. 125.

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hang mit dem US-amerikanischen System wird etwa von der «Paralyse am Potomac» gesprochen. Gemeint ist damit die zum Teil geringe Anzahl Vorlagen, die den von vielen Vetopositionen geprägten amerikanischen Gesetzgebungsprozess überstehen und schliesslich als Gesetze verabschiedet werden können. Auf der anderen Seite wird in der Literatur immer wieder die hohe Repräsentationsleistung 'des Kongresses betont: Die nicht in Regierungsmehrheiten bzw. Opposition eingebundenen Abgeordneten haben grosse Möglichkeiten, die Wünsche ihrer Wähler und Wählerinnen wahrzunehmen. Verschiedene Interessengruppen finden im Kongress offene Türen, um ihre Anliegen einbringen zu können.

Auch der schweizerische Gesetzgebungsprozess ist von zahlreichen Blockierungsmöglichkeiten geprägt. Hervorgehoben wird in der Literatur jedoch eher die bremsende Wirkung der Volksrechte und des eng verflochtenen Föderalismus als die Gewaltenteilung zwischen Parlament und Regierung. Letztere scheint weniger als Hindernis für eine effiziente staatliche Tätigkeit wahrgenommen zu werden. Dies hängt sicher auch damit zusammen, dass Bundesversammlung und Bundesrat über weniger gegenseitige Vetomöglichkeiten verfügen als der amerikanische Präsident und der Kongress. So ist es nicht üblich, dass die Bundesversammlung Vorlagen des Bundesrates ignoriert und nicht behandelt, während der amerikanische Kongress dies öfters mit Regierungsvorlagen tut, die zudem formell von einem Mitglied des Kongresses eingebracht werden müssen. Andererseits hat der Bundesrat kein Vetorecht gegenüber Erlassen der Bundesversammlung. Entscheidend dürften indessen nicht die Ausprägungen der Gewaltenteilung sein, sondern der Umstand, dass Parlament und Regierung in der Schweiz darauf angewiesen sind, in intensivem Zusammenwirken eine gemeinsame Politik zu entwickeln und durchzusetzen, die vor Volk und Ständen in der föderalistischen Referendumsdemokratie bestehen kann.

Wenn hier auf die zum Teil geringe Output-, dafür höhere Input-Leistung «prä'sidentieller» Systeme hingewiesen wurde, so ist denn auch deutlich festzuhalten, dass diese Annahme auf theoretischen Überlegungen beruht. Empirische Vergleiche von Input- und Output-Leistungen verschiedener Systeme sind selten, nicht zuletzt wohl auch1 deshalb, weil die empirische Messbarkeit eine grosse Herausforderung darstellt. " 22

Ansätze zu einem Modell kooperierender Gewalten

Gemäss Mandat der Expertenkommission hat diese von den Grundzügen des bestehenden Systems auszugehen. Ein Übergang zu einem parlamentarischen Konkurrenzsystem oder zu einem Präsidialsystem nach amerikanischem Vorbild ist nicht ins Auge zu fassen. Die Expertenkommission ist aber der Ansicht, dass auch bei Beibehaltung des in der Schweiz bestehenden Gewaltenteilungssystems neuen Formen der Zusammenarbeit zwischen den verschiedenen politischen Organen nichts im Wege steht. Wie bereits erwähnt, ist das schweizerische System der Gewaltenteilung, das sich bei aller Wahrung seiner Besonderheiten zu einer relativ weitgehenden formellen Unabhängigkeit der Organe Parlament und Regierung entwickelt 111

In den wenigen Versuchen schneidet die Schweiz im übrigen nicht schlecht ab: vgl. Heidrun Abromeit/Werner K. Pommerehne (Hrsg.). Staatstäligkeit in der Schweiz, Bern 1992; Peter Katzenstein, Corporatism and Change: Austria, Switzerland, and thè Politics of Industry, Ilhaca 1984; Manfred G. Schmidt. Staaislätigkeit: International und historisch vergleichende Analysen. In: Politische Vierteljahresschrift. Sonderheft 19/1988.

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hat, seit jeher auch von Elementen der Kooperation zwischen diesen Organen geprägt. Die Expertenkommission möchte an diese Tradition anknüpfen und diese Kooperation zu optimieren suchen.

Die Idee der Kooperation ermöglicht durchaus auchr Uass gemäss dem Grundsatz der «cjiecks and balances» die beiden Organe in einem gesunden Konkurrenzverhältnis stehen sollen. Wenn in den letzten 30 Jahren die Stellung des Parlamentes in verschiedenen Reformen gestärkt wurde, so geschah dies, um ein besseres Gleichgewicht zwischen Parlament und Regierung herzustellen. Kooperation setzt gleichwertige Partner voraus. Dabei sollen sich die beiden Partner nicht gegenseitig blockieren, sondern je nach Eignung ihren bestmöglichen Beitrag zur demokratischen Staatsleitung leisten.

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Dem Steuerungsverlust des modernen Staates entgegenwirken

Ziel des Modells der kooperierenden Organe ist es, dem Funktionsverlust des Staates in einer nicht mehr zentral steuerbaren Welt entgegenzuwirken. Es geht also hier nicht darum, das eine Organ auf Kosten des anderen zu stärken, sondern sowohl die Regierung als auch das Parlament sollen befähigt werden, dem Machtverlust, den beide Organe erleiden, entgegenzuwirken. Im Zentrum steht die Verbesserung der Handlungsfähigkeit eines durch InternationaÜsierung von Recht und Politik sowie zunehmende- Komplexität der Probleme immer mehr geforderten Staates, zu der jedes politische Organ seinen Beitrag leisten soll.

Die gesteigerten Ansprüche, denen der Staat heute gerecht zu werden hat, werden sowohl von «hussen» wie auch von «innen» an ihn herangetragen: Einerseits hat die internationale Verflechtung der Politik zugenommen; der Nationalstaat muss zunehmend auf inter- und supranationaler Ebene agieren können. Andererseits macht es die Ausdifferenzierung der Gesellschaft schwieriger, die verschiedenen gesellschaftlichen Gruppen zu integrieren. Schliesslich hinterlässt die wirtschaftliche, technische und soziale Entwicklung Folgeprobleme, die ein Engagement des Staates in immer neuen Bereichen erfordert, sei es, indem er den Umgang mit neuen Technologien zu regeln hat, sei es, indem er sich mit Umweltproblemen auseinandersetzen muss.

Wenn der Staat vor immer grösseren Herausforderungen steht, dann wird die Effektivität zu einem wichtigen Kriterium für staatliches Handeln. Sie ergänzt das bis anhin im Vordergrund stehende Kriterium der Legalität, d. h. der Staat wird nicht nur daran gemessen, ob er rechtmässig handelt, sondern auch daran, ob er die gesellschaftlichen Probleme wirksam löst.

Die diagnostizierte mangelnde Handlungsfähigkeit des Staates vor dem Hintergrund gestiegener Anforderungen ist auch mit dem Bedeutungsverlust der traditionellen Funktion des Gesetzes zu erklären: Die Leistungsfähigkeit des Gesetzes als Steucrungsmittel ist beschränkt. Der moderne Staat muss mit einer Vielzahl von Steuerungsmitteln agieren können und die Verwaltung muss die entsprechenden Handlungsspielräume haben, um wirksam die Probleme der heutigen Gesellschaft angehen zu können. Das Parlament ist jedoch stark auf das Instrument Gesetz .fixiert. Andere Mittel zur Beeinflussung des politischen. Prozesses wie die Planung
oder die Finanzgewalt werden heute in unbefriedigender Weise genutzt. Zum steuerungsmässigen Defizit kommt das Defizit im Bereich der Kontrolle bzw. Evaluation: Das Parlament hat zu wenig Kenntnisse über die Umsetzung der Gesetze und die Verwendung der von ihm bewilligten Ressourcen und die Wirkung der einge-

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setzten Steuerungsmittel, d. h. es kann auf der Leistungsseite des Staates kaum Einfluss nehmen.

Um staatliches Handeln zu beurteilen, kann es deshalb sinnvoll sein, anstatt mit dem Begriffspaar «Gesetz und Anwendung» mit dem Begriffspaar «Programm und Umsetzung» zu operieren, «Programm und Umsetzung» bilden eine Gesamtheit, für die im Französischen der Begriff «politique publique» geprägt worden ist, d. h.

ein Ganzes bestehend aus aufeinander abgestimmten Zielen, Kompetenzen und Massnahmen (rechtliche, finanzielle und administrative), welche eben gerade in ihrer Gesamtheit ausgewertet werden sollen: dies ist der Gegenstand der Evaluation (vgl. dazu Ziff. 34). Staatliche Massnahmen müssen somit nicht nur «legal» sein, sondern auch anderen Anforderungen genügen: Sie müssen effektiv sein, d. h.

tatsächlich angewendet werden, sie müssen wirksam sein, d. h. die gewünschten Auswirkungen haben, und sie müssen effizient sein, d. h. mit dem geringstmöglichen Ressourceneinsatz verwirklicht werden. In diesem Modell staatlichen Handelns, das eine optimale Kooperation zwischen den verschiedenen politischen Gewalten voraussetzt, stellt das Gesetz nur ein - wenn auch wichtiges - Instrument unter anderen zur Erfüllung staatlicher Aufgaben dar.

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Die Wahrnehmung der verschiedenen Funktionen des Staates in einem System kooperierender Organe

Das herkömmliche Schema der Gewaltcnteilung versucht, (Irci Staatsfunktioncn zu definieren und diese dann je einer Behörde zuzuweisen12>. Die Erfahrung zeigt, dass damit weder ein befriedigendes Modell der Wirklichkeit noch eine wirksame Aufteilung und Kontrolle der Macht hergestellt werden kann. Die alte Trias der Funktionen ist längst durch die Regierungsfunktion ergänzt worden I3) . Diese tritt neben die Rechtssetzung als Teilprozess im staatlichen Handeln. Ja. sie beansprucht in gewisser Weise sogar Vorrang gegenüber der Rechtssetzung. Das Regieren (das Setzen von Zielen und die Planung der Staatstätigkeit) geht voran, die Rechtssetzung (auch die Gesetzgebung im formellen Sinn) ist bloss eine Form der Politikgestaltung. Im Regierungsprozess wird auch die Rechtssetzung geplant und koordiniert.

Die «rechtssetzende Gewalt» ist damit nicht mehr die «oberste». Würde das Regieren in diesem Sinne der Regierung als Organ überlassen, so würde diese zur «ersten Macht». Aber auch eine solche Vorstellung ist unrealistisch. Es stehen sich nicht Mächte gegenüber, sondern Organe mit unterschiedlichen Tcillunktionen, die in hohem Masse auf gegenseitiges Zusammenwirken angewiesen sind.

Diese Teilfunktionen sind allerdings ungleich auf die obersten Behörden verteilt.

Der Bundesrat ist an allen Prozessen staatlichen Handelns massgeblich beteiligt: an Regierung, Rechtssetzung, Verwaltung und Kontrolle. Die Bundesversammlung hingegen konzentriert sich auf Rechtssctzung und Kontrolle; an Regierung und Verwaltung nimmt sie nur in bescheidenem Ausmass teil.

In Ziff. 212 wurde festgehalten, dass es Ziel jeder gewaltcntciligen Ordnung sein sollte, Machtkonzentrationen zu verhindern und gleichzeitig die möglichen Beiträge aller beteiligten Organe zu nutzen. Diese Anliegen können am besten verwirk12)

13)

Zaccaria Giacometti, Allgemeine Lehren des rcchtssiaallichcn Vcrwallungsrcchis. Zürich 1960, 9 f., 30 f., 37 f.

Kurt Eichenberger, Die oberste Gewalt im Bunde. Zürich 1949. 106 ff.

440

licht werden durch die Zuteilung von Teil-Kompetenzen an verschiedene Behörden, die zusammenarbeiten müssen, damit die wichtigen Entscheide im Staat zustande kommen. Eine gewaltenteilige Kompetenzverteilung muss dafür sorgen, dass mehrere Organe an den wichtigen Prozessen der Politikgestaltung beteiligt sind. Das heisst insbesondere, dass sowohl Bundesrat wie Bundesversammlung in ausgewogener Weise an Rechtssetzung, Regierung und Verwaltung sowie Kontrolle mitzuwirken haben.

Im folgenden sollen die Überlegungen der Expertenkommission zu der Mitwirkung von Parlament und Regierung an den verschiedenen Staatsfunktionen dargestellt werden. Hier sollen vorerst die Grundgedanken dargelegt werden, wahrend im dritten Kapitel die konkreten Vorschlage zu findcn sind.

222.1

Rechtssetzung

Obwohl auch der Bundesrat in der Form von Verordnungen Recht setzt, wird diese Aufgabe in der Regel doch beim Parlament angesiedelt. Dies ist sicher auch richtig, ist der Erlass von Rechtsnormen doch haufig Gegenstand von politischen Auseinandersetzungen, die in einem öffentlichen und demokratischen Verfahren erfolgen müssen. Nicht immer sind Rechtsnormen politisch brisant. Ha'ufig muss Recht gesetzt werden, um Probleme zu Ibsen, die technisch komplex sind und auf der politischen Ebene kaum die Gemüter bewegen. Heute wird das Parlament zu viel mit derartigen Rechtssetzungsfragen belastet. Deshalb sollte der Anteil des Bundesrates an der Rechtssetzung nach Massgabe des Kriteriums der Wichtigkeit erhöht werden. Nicht alles, was die Bundesversammlung heute selber entscheidet, muss auf ihrer Stufe geschehen. Die Wähler und Wählerinnen erwarten von ihren Abgeordneten, dass sich diese mit den fur sie wichtigen Fragen beschäftigen. Die Bundesversammlung sollte also von Regelungen entlastet werden, die weniger wichtig sind oder fur deren Erlass sie sich nicht eignet.l4) Die Expertenkommission unterbreitet deshalb in den Ziffern 311 und 312 des vorliegenden Berichts Vorschlage, wonach in der Bundesverfassung festgehalten wird, dass die Bundesversammlung fur die wichtigen Rechtssetzungsakte zustandig ist, der Bundesrat für die weniger wichtigen. Bei dieser Gelegenheit wurde auch eine Bereinigung der Erlassformen vorgenommen (Ziff. 313, 314 und 316).

222.2

Regierung und Verwaltung

Die Bundesversammlung hat zur Zeit wenig Anteil an wichtigen Regierungs- und Verwaltungsfunktionen; hier ist nach Möglichkeiten stärkerer Beteiligung zu fragen. Dabei stehen nicht primär Entscheidungskompetenzen im Vordergrund, sondem Richtlinienfunktionen als Kompensation für die Konzentration auf das Wesentliche im Bereich der Rechtssetzung. Das Parlament soli nicht erst in den Entscheidungsprozess eingreifen können, wenn bereits eine ausgearbeitete Vorlage vorliegt,

14)

Die. Expertenkommission hat zudem geprüft, ob die Rechtssetzungskompetenz nicht grundsatzlich beim Bundesrat liegen sollte, wobei die Bundesversammlung nach einem System der Zugsrechte das Recht hätte, alle ihr wichtig erscheinenden Beschlusse an sich zu ziehen. Diese radikale Neuerung hatte allerdings grosse Unsicherheiten in die Kompetenzordnung gebracht und letztlich auch Ungewissheit Ober den Umfang der Volksrechte geschaffen. Die Expertenkommission hat die Idee daher nicht weiterverfolgt.

441

um dann allenfalls einen Scherbenhaufen zu produzieren. Es sollte schon in einem früheren Zeitpunkt Verantwortung übernehmen können.

In Ziffer 323 des Berichts wird deshalb vorgeschlagen, dass der Regierungsfunklion des Parlamentes in der Verfassung Rechnung getragen wird, indem festgehalten wird, dass die Bundesversammlung bei den wichtigen Planungen der Staatstätigkeit mitwirkt. Damit sie diese Funktion wahrnehmen kann, schlägt die Expertenkommission die Schaffung neuer Instrumente vor. Der Grundsatzbeschluss soll es ermöglichen, dass sich Parlament und Regierung bereits in einem frühen Zeitpunkt über die Grundzüge von zu treffenden Lösungen aussprechen können (Ziff. 321).

Im weiteren kann die Bundesversammlung dem Bundesrat Aufträge erteilen. Im Gegensatz zur bisherigen Motion wirken diese auch im Zuständigkeitsbereich des Bundesrates, allerdings hier nur als Richtlinie (Ziff. 322).

In Ziffer 315 wird zudem ein weiterer Vorschlag gemacht, der die Verwaltungsfunktion betrifft: Das Parlament soll die Kompetenz erhalten, über wichtige Venvaltangsakte zu entscheiden, soweit es das Gesetz vorsieht. Damit wird dem Umstand Rechnung getragen, dass es immer mehr wichtige Entscheide gibt, die nicht in generell-abstrakte Rechtsnormen zu kleiden sind. Gemäss dem Kriterium der Wichtigkeit sollte dem Parlament hier aber die Mitsprache nicht verwehrt werden.

222.3

Kontrolle und Evaluation

Die Expertenkommission ist der Ansicht, dass Kontrolle weniger als Aufsicht über fremdes Handeln konzipiert werden sollte, sondern vermehrt als Evaluation der Prozesse, an denen mehrere Organe mitwirken.

In Ziffer 34 schlägt sie deshalb die Schaffung eines Organs vor, das unabhängig von Bundesrat und Bundesversammlung sich der Evaluation staatlicher Massnahmen widmet. Dieses Organ wird von der Bundesversammlung gewählt, führt seine Evaluationen aber unabhängig durch. Hier geht es also nicht um Kontrolle, sondern primär darum, die Leistung der Gesetzgebung und anderer staatlicher Massnahmcn beurteilen und im Hinblick auf zukünftige Lösungen lernen zu können.

Wenn der Bundesrat vermehrt unmittelbar aufgrund der Verfassung Recht setzen kann, wird es umso wichtiger, dass diese Rechtssetzungstätigkeit des Bundesrates vom Parlament überprüft wird. Die Expertenkommission hat deshalb in Ziffer 324 Vorschläge unterbreitet, wie diese Kontrolle unter Einbezug der parlamentarischen Kommissionen systematischer gestaltet werden könnte. Dabei geht es auch hier nicht nur um Kontrolle im Sinne von Aufsicht über den Bundesrat, sondern es soll ein Lernprozess für das Parlament im Hinblick auf die zukünftige Gesetzgebung stattfinden.

222.4

Weitere Kompetenzen

Zu den Funktionen des Parlamentes gehört auch die Wahlfunktion, insbesondere die Wahl der Regierung. Gemäss ihrem Mandat hat die Expertenkommission Vorschläge geprüft, welche die Verantwortlichkeit der Regierung gegenüber dem Parlament stärken sollten, indem das Wahlverfahren geändert würde bzw. Instrumente zur Misstrauensäusserung gegenüber der Regierung geschaffen würden (Ziff. 36).

Die Expertenkommission ist jedoch zum Schluss gekommen, dass institutionelle Reformen in diesem Bereich das gegenseitige Misstrauen fördern und daher dem 442

Konzept der kooperierenden Gewalten widersprechen. Sie empfiehlt deshalb, in diesem Bereich keine Änderungen vorzunehmen.

Im 5. Titel, 2. Kapitel, 3. Abschnitt des Verfassungsentwurfs 1995 sind die übrigen Zuständigkeiten der Bundesversammlung aufgelistet. Die Expertenkommission hat auch zu diesen Kompetenzartikeln Stellung genommen und ihre Bemerkungen in Ziffer 33 festgehalten.

222.5

Ausüben der «obersten Gewalt»

In Artikel 71 der geltenden Verfassung ist festgehalten, dass die Bundesversammlung unter Vorbehalt der Rechte des Volkes und der Kantone die oberste Gewalt im Bunde ausübt. In Artikel 126 des Verfassungsentwurfs von 1995 wurde diese Bestimmung wieder aufgenommen. Artikel 148 des Entwurfs hält entsprechend fest, dass der Bundesrat die oberste leitende und vollziehende Behörde des Bundes ist (Art. 95 der geltenden Verfassung). In der Expertenkommission wurde die Frage aufgeworfen, ob diese Artikel zum Konzept der kooperierenden Gewalten passen. Es wurde der Vorschlag gemacht, die beiden Artikel zu ersetzen durch einen Artikel, welcher vor den Bestimmungen über die Zuständigkeit der beiden Behörden einzufügen wäre und der etwa lauten könnte: «Bundesversammlung und Bundesrat nehmen im Rahmen der nachfolgenden Bestimmungen und unter Vorbehalt der Rechte des Volkes und der Kantone die oberste politische Verantwortung gemeinsam wahr.» Da es sich dabei jedoch nur um eine programmatische Norm handelt, deren normative Leistungskraft als gering einzustufen ist, hat die Expertenkommission darauf verzichtet, die im Traditionsbewusstsein der politischen Akteure tief verankerten Bestimmungen betreffend die Ausübung der obersten Gewalt zu ersetzen.

23

Neue Herausforderungen des Parlamentes durch neue Modelle der Verwaltungsführung

In verschiedenen Kantonen und Gemeinden in der Schweiz laufen zur Zeit Versuche mit neuen Modellen der Verwaltungsführung. Inspiriert wurden sie durch Erfolgsmeldungen über entsprechende Versuche in anderen Staaten, zum Beispiel Neuseeland. Diese neuen Modelle, bekannt auch unter dem Titel «New Public Management» (NPM), sind Antworten auf den in Ziffer 221 erwähnten Steuerungsverlust des modernen Staates und insbesondere auch auf dessen immer gravierender werdende Finanzprobleme.

231

NPM als neue Philosophie

Die Verwaltung soll effektiver, d. h. den gesellschaftlichen Bedürfnissen angepasster, und effizienter, d. h. billiger, agieren können, indem die mit der Ausführung staatlicher Aufgaben beauftragten Personen in den öffentlichen Verwaltungen von überflüssigen und ungeeigneten Regeln über die Art und Weise, wie sie ihre Aufgaben erfüllen müssen, befreit werden, dafür umso mehr Verantwortung für das Ergebnis ihrer Arbeit übernehmen müssen. Der Grundgedanke, der hinter NPM steht, ist also, dass die strategische Entscheidung über das, was getan werden soll, von der operativen Entscheidung darüber, wie es getan werden soll, getrennt wird.

Die Bürger und Bürgerinnen, bzw. in Stellvertretung die von ihnen gewählten poli-

443

tischen Behörden äussern sich nur dazu, was für Leistungen der Staat für sie erbringen soll. Die Bestimmung der Art und Weise, wie diese Leistung erbracht werden soll, überlassen sie den ausführenden Organen. Sie nehmen aber hingegen wieder dazu Stellung, ob sie mit der erbrachten Leistung zufrieden sind, NPM stellt somit eine neue «Philosophie» staatlichen Handelns dar, die auch eine gewisse Mentalitätsänderung bei den politischen Akteuren voraussetzt. Zu entscheiden, was man will, ist oft gar nicht so einfach. Viel leichter ist es, bei irgendeinem Detail im Ausführungsbereich zu intervenieren. Diese Mentalitätsänderung ist Voraussetzung für eine Verhaltensa'nderung in der Wahrnehmung insbesondere der Finanzkompetenzen durch die politischen Akteure.

232

Die Rolle des Parlamentes bei Anwendung von NPM

Über die Rolle von Regierungen und Verwaltungen bei der Anwendung von neuen Modellen der Verwaltungsführung ist schon viel geschrieben worden.15> Bezüglich der Rolle der Parlamente hingegen sind offensichtlich noch relativ wenig Überlegungen angestellt worden. In welchem Zeitpunkt greifen sie in den Prozess ein, was ist ihre Rolle bei der Definition von Leistungsaufträgen usw.? Artikel 51 des am 6. Oktober 1995 von den eidgenössischen Räten verabschiedeten Regierungsund Verwaltungsorganisationsgesetzes sieht vor, dass der Bundesrat für bestimmte Gruppen und Amter Leistungsaultrage erteilen kann. Damit werden die rechtlichen Voraussetzungen für eine sektorielle Anwendung von NPM auf Bundesebene geschaffen.

Vor diesem Hintergrund ist es dringend notwendig, sich Gedanken über die Rolle der Bundesversammlung in diesem Prozess zu machen. Die Expertenkommission geht davon aus, dass die Wirkungsorientierte Verwaltungsführung nicht als Angelegenheit der Verwaltung und des Bundesrates zu konzipieren, sondern dass auch das Parlament einzubeziehen ist. Es ist deshalb nach Instrumenten für die NPM-Steuerung durch die Bundesversammlung zu suchen. In Ziffer 353 werden entsprechende Vorschläge vorgestellt, konkret zur Rolle des Parlamentes bei der Beschlussfassung über die Produktebudgets, zur Schaffung der Möglichkeit von Aufträgen im Bereich von Leistungsauftrag und Leistungsvorgaben, zur Neuorientierung im Bereich der Gesetzgebung und zur Steigerung der Wirksamkeit der parlamentarischen Oberaufsicht.

Die Grundgedanken des NPM entsprechen dem von der Expertenkommission vertretenen Gewaltenteilungskonzept der kooperierenden Organe. Auch hier geht es darum, dass das Parlament sich von der Detailarbeit entlastet, dafür vermehrt Mitverantwortung für den staatlichen Planungsprozess übernimmt und sich stärker um die Wirksamkeit der staatlichen Massnahmen - in der NPM-Sprache um die Qualität der von der Verwaltung erbrachten Leistungen - kümmert.

IS

> Zur Literatur vgl. hinten bei Ziffer 35.

444

3 31 311

Reformvorschlage Die Erlassformen der Bundesversammlung Gesetzesbegriff

Die geltende Bundesverfassung nennt in Artikel 89 Bundesgesetze und allgemeinverbindliche Bundesbeschliisse als Formen der Rechtssetzung, legt aber ihren Inhalt nicht na'her fest. Artikel 5 des Gescha'ftsverkehrsgesetzes schreibt vor, dass unbefristete Erlasse, die rechtssetzende Normen cnthalten, grundsatzlich in die Form des Bundesgesetzcs zu kleiden sind. Als rechtssetzend gelten dabei alle generellen und abstrakten Normen, welche natiirlichen oder juristischen Personen Pflichten auferlegen oder Rechte einraumen oder die Organisation, die Zustandigkeit oder die Aufgaben der Behorden oder das Verfahren regeln. Damit wird allerdings nur bestimmt, was Inhalt des Gesetzes sein kann, nicht was das Gesetz regeln muss. Nicht alle rechtssetzenden Normen sind in die Form des Bundesgesetzes (oder bei befristeten Erlassen in die Form des allgemeinverbindlichen Bundesbeschlusses) zu kleiden; die .Bundesverfassung und das Gescha'ftsverkehrsgesetz wollen kein Rechtssetzungsmonopol des Gesetzgebers begriinden. Der Gesetzgeber ist schon aus Kapazitatsgriinden niemals in der Lage, samtliche Rechtsnormen zu erlassen. Die Bundesverfassung und das Gescha'ftsverkehrsgesetz gehen davon aus, da'ss sich mehrere Organe - Gesetzgeber, Bundesversammlung, Bundesrat und Departemente - in die Aufgabe teilcn, Rechtsnormen zu erlassen.

Artikel 141 Absatz 1 des Verfassungsentwurfs 1995 enthalt ebenfalls keine Definition des Gesetzesbegriffes; nach Artikel 122 Absatz 2 des Entwurfs in der «blauen» Fassung «Reformvorschlage Volksrechte» konnen nur rechtssetzende Normen Gegenstand von Bundesgesetzen sein 16) .

311.1

Kriterien zur Abgrenzung der Rechtssetzungsbefugnisse

Die Kriterien, nach welchen die Rechtssetzungsbefugnisse auf die verschiedenen Organe aufzuteilen sind, lassen sich allerdings weder der Verfassung noch dcm Gcschiiftsverkehrsgesetz entnehmen. Die Lehre nimmt die Abgrenzung der Zustandigkeiten im Bereich der Rechtssetzung im wesentlichen nach den Gesichtspunkten der Wichtigkeit der Regelung, der Eignung des betreffenden Organs fur den Erlass der Regelung und dem B'ediirfnis nach Flexibilitat (Anpassungsfahigkeit) der Rechtsnornicn vor. I7) Das Kriterium der Wichtigkeit wird aus der demokraiischen Funklion des Legalitatsprinzips abgeleitet, das der Legitimalion des Verwaltungshandelns dient. Es verlangt, dass bestimmte Verfiigungen und Entscheide sich auf ein Gesetz im formellen Sinne abstiitzen, also auf einen Erlass, der in einem qualifizierten Verfahren (unter Mitwirkung des Parlamentes und ev. des Volkes) zustande gekommen ist. Damit soil sichergestellt werden, dass wichtige Regelungen von einem Staatsorgan erlassen werden, das iiber eine der Bedeutung entsprechendc lfi)

171

Der Verfassungsentwurf 1977 sieht vor, dass die Bundesversammlung ihre rechtssetzenden Bestimmungen in der Form des Bundesgeselzes oder des Bundesdekretes erla'sst; wichiige Bestimmungen bedurfcn der Form des Bundesgesetzes (Art. 80). In der ModellStudie des EJPD (Art. 97) felilt der Hinweisauf die Wiclitigkeit.

Vgl. dazu und zum Folgenden die neueste Ubersicht bei Seller (Anm. 10), S. 304 ff., der die funktionale Eignung als ubergeordnetes Zuweisungskriterium bezeichnel: Aufgaben sollen demjcnigen Organ zugcwicsen werden, das aufgrimd der personellen Zusainmenselzimg, der Arbeitsweise und der Verfahrensregeiung am beslen gceigiiet ist, die beireffende Aufgabe walirzunehmen.

445

demokratische Legitimation verfügt. Wann eine Entscheidung so wichtig ist, dass sie vom Gesetzgeber selbst getroffen werden muss, kann man nicht genereil, sondern nur «materienspezifisch» bestimmen. Die Wichtigkeit einer Regelung hängt von ihrem Gegenstand, ihrem Inhalt ab. Eine Rolle spielen die Grosse des Adressatenkreises und die Zahl der geregelten Sachverhalte, die Intensität der Betroffenheit in Grundrechtspositionen, die. Bedeutung für das politische System, die finanzielle Tragweite und die Akzeptanz. Das Bedürfnis nach Stabilität oder Flexibilität einer Regelung beeinflusst die Wahl der Rechtssetzungsform ebenfalls: Kommt es darauf an, eine stabile, rechtssichere Ordnung zi schaffen, so bietet sich das Gesetz an. Geht es darum, eine rasche Anpassung an veränderte Verhältnisse zu ermöglichen oder in einem neuen Rechtsgebiet vorerst einmal zu «experimentieren», so drangt sich eine Verordnung als leichter änderbare Rechtsform auf.

Zudem ist die Eignung des Regelungsorgans von Bedeutung: Es muss über genügend Sachverstand für die zu regelnde Materie verfügen. Komplexe technische Probleme kann die Exekutive dank ihres grösseren Fachwissens besser lösen als die Legislative, die sich deshalb eher mit grundlegenden, allgemeinen Fragen befassen sollte. Diese Kriterien sind relativ unbestimmt und können teilweise in Widerspruch zueinander geraten. Es bleibt deshalb ein grosser Spielraum für Wertungen und Abwägungen bei der Bestimmung der Wichtigkeit einer Rechtsnorm und ihres Verhältnisses zu den Aspekten der Eignung des Regelungsorgans und des Flexibilitätsbedürfnisses.

Die Praxis berücksichtigt diese Gesichtspunkte bei der Abgrenzung des Inhalts von Bundesgesetzen mehr oder weniger, stellt aber manchmal auch auf andere Motive (z. B. Verzicht auf eine Regelung im Gesetz, wenn im Gesetzgebungsverfahren kein Konsens zu erzielen ist) ab oder geht überhaupt nicht nach bestimmten Grundsätzen vor. Das Bundesgericht überprüft bei kantonalen Verfügungen und Erlassen (bei solchen des Bundes wird es durch Artikel 113 Absatz 3 BV daran gehindert), ob die «Grundzüge der Regelung» in einem Gesetz im formellen Sinne enthalten sind I8) .

Lehre und Praxis gingen bisher allerdings mehrheitlich davon aus, dass das Gesetz zwar alle wichtigen Regelungen umfassen muss, dass es aber auch weniger mehlige Bestimmungen
enthalten kann*1**. Viele Bundesgesetze ordnen denn auch Details von relativ untergeordneter Bedeutung, beschränken sich also nicht auf das Wesentliche und Grundsätzliche. Auch in den Artikeln 1 141 ff. des Verfassungscntwurfs 1995 und in den Re form vorschlagen für die Volksrechte wird bewusst darauf verzichtet, die Wichtigkeit als2I1)Kriterium für die Abgrenzung des Regelungsbereiches des Gesetzes zu erwähnen .

IB

> BGE 1211 27.120 I a 3 ff., 118 I a 247 ff.. 309 ff. mit Hinweisen.

191

201

Vgl. Jean-François Aubcrt, Bundesstaatsrecht der Schweiz. Fassung von 1967: Neubearbeiteter Nachtrag bis 1994. Band H. Basel/Frankfurt a. M. 1995. N 1 1 1 6 ff.. 1307 ff.: Georg Müller in Kommentar B V. Ari. 89 Abs. l, Rz. 9 ff. mit Hinweisen.

Vgl. Erläuterungen zum Verfassungscnlwurf. S. 219 ff.

446

311.2

Konzentration des Parlamentes auf das Wichtige

Wie in Kapitel 2 dargelegt, ist es Ziel des diesem Bericht zugrunde liegenden Modells der kooperierenden Gewalten, die Handlungsfähigkeit des Staates in einem immer schwieriger werdenden Umfeld zu gewährleisten. Dazu sollen Parlament und Regierung entsprechend ihrer Stärken und Schwächen den bestmöglichen Beitrag leisten. Die Stärken des Parlaments liegen eher in der Beurteilung der politischen Tragbarkeit vorgeschlagener Lösungen und dem Einbringen gesellschaftlicher Anliegen in den Entscheidungsprozess und weniger in der gestalterischen Detailarbeit. Somit drängt sich eine Konzentration der Rechtssctzungsbefugnisse des Parlamentes auf die grundlegenden Rechtsnormen auf. Das Parlament soll die politische Tragbarkeit einer Vorlage beurteilen und nach ausreichendem Konsens suchen. Auch ohne Spezialwissen und trotz der knappen Zeit können sich die Mitgljeder der Bundesversammlung im allgemeinen ein Urteil darüber bilden, ob ein Gesetzgebungsvorhaben gesamthaft und in den Grundlinien die notwendige politische Akzeptanz finden wird, und aus welchen Gründen bestimmte Lösungen politisch nicht tragfähig sind.

Das Parlament soll seine knappen Ressourcen gezielt für eine solche «politische Kontrolle» der Vorlagen des Bundesrates einsetzen können und von der Detailarbeit entlastet werden. Mit dieser Konzentration der Kräfte der Bundesversammlung auf die Diskussion und den Entscheid über politische Grundsatzfragen wird es gelingen, den Gesetzgebungsprozess im Parlament breiter abzustützen, weil an einer solchen Debatte nicht nur die partikuläre Interessen vertretenden Spezialistinnen und Spezialisten mitwirken können. Es dürfte auch leichter fallen, auf dieser Ebene Konsens zu erzielen oder doch Mehrheiten zu finden, welche eine Vorlage politisch zu tragen und durchzusetzen vermögen. Will das Parlament seine Position gegenüber der Exekutive stärken, so muss es sich auf die Beantwortung politischer Grundsatzfragen, die politische Bewertung der Vorlagen des Bundesrates konzentrieren. Zu dieser Art von Gesetzgebung ist das Parlament geeignet; hier kann es seine höhere demokratische Legitimation, seine breitere Repräsentanz gegenüber dem Bundesrat und der Bundesverwaltung zum Tragen bringen.

Die Konzentration auf das Wesentliche und der Verzicht auf Detail regel ungen im Bereich der Gesetzgebung entspricht auch
den Prinzipien des «New Public Management» (NPM, neue Wirkungsorienticrte Verwaltungsführung, vgl. Ziff. 35), wonach zwischen strategischen und operativen Entscheidungen zu differenzieren ist: Das Parlament (und allenfalls das Volk) soll sich nur mit strategischen Fragen befassen und die operative Führung der Regierung überlassen. In diesem Zusammenhang wird gelegentlich auch eine Umstellung der Gesetzgebung von konditionalen auf finale Rechtsnormen postuliert (Gesetze als Leistungsaufträge, nicht als Verhaltensregelungen nach dem «Wenn-Dann-Schema»). Von einer solchen Neuverteilung der Aufgaben und Kompetenzen und einer Umgestaltung der Führungsstrukturen werden raschere und bessere Entscheidungsprozesse sowie wirkungsvollere, kostengünstigere und den Bedürfnissen der Bevölkerung gerechter werdende staatliche Regelungen und Massnahmen erwartet (siehe dazu näher Kapitel 35),

447

Die Expertenkommission schlägt deshalb vor, in der Bundesverfassung die Bundesversammlung als zuständig für die wichtigen Rechtsnormen zu bezeichnen. Im Geschäftsverkehrsgesetz sollen sodann die konkretisierenden Kriterien der Wichtigkeit (Grosse des Adressatenkreises, Intensität der Betroffenheit. Bedeutung für die Ausgestaltung des politischen Systems, finanzielle Auswirkungen, Akzeptanz) aufgenommen werden.

Diese Kriterien sind weder alternativ noch kumulativ zu verstehen, sondern es ist bei jedem Erlass eine Gesamtbeurteilung vorzunehmen. Mit einer solchen Festlegung der Massstäbe kann vor allem bewirkt werden, dass die Praxis der Gesetzgebung an Rationalität, Transparenz und Kontinuität gewinnt und damit überprüfbar wird.

In der Expertenkommission wurde ausführlich darüber diskutiert, ob neben der Wichtigkeit auch die Eignung der Organe bzw. des Verfahrens für den Erlass einer Regelung als Kriteriuni für die Abgrenzung der Rechtssetzungskompetenzen zwischen Bundesversammlung und Bundcsrat in die Bundesverfassung aufgenommen werden sollte. Eine Norm würde demnach dann in den Kompetenzbereich des Parlamentes fallen, wenn sie wichtig und das Parlament bzw. das Gesetzgebungsverfahren für deren Erlass geeignet ist. Die Eignung hängt vom Vorhandensein des entsprechenden Sachverstandes, aber auch von den erwähnten Kriterien der Flexibilität und der Stabilität ab. Die Expertenkommission erachtet es jedoch mehrheitlich als heikel, verfassungsmässig festzuschreiben, dass wichtige Rechtsnormen, für deren Erlass das Parlament bzw. das Gesetzgebungsverfahrcn nicht geeignet ist, automatisch in die Kompetenz des Bundesrates fallen. Hierzu braucht es nach wie vor eine Delegation der Bundesversammlung.

Es wurden in der Expertenkommission auch grundsätzliche Einwände gegenüber der verfassungsmässigen Abgrenzung der Rechtssetzungskompetenzen erhoben. So wurde zum Beispiel auf die Konsequenzen für das Verhalten der Verwaltung hingewiesen: Bei der Ausarbeitung von Verordnungen stünde nicht mehr die Frage der gesetzlichen Grundlage im Vordergrund, sondern die Verwaltung könnte dann aktiv werden, wenn es kein Gesetz gibt, welches sie daran hindert. Die Expertenkommission sieht hier jedoch mehrheitlich keine Gefahr, weil über die Wichtigkeit einer Rechtsnorm - und damit über die Zuständigkeit zum Erlass - nach wie vor die Bundesversammlung endgültig zu entscheiden hätte, indem sie den Gegenstand einer Verordnung stillschweigend als «weniger wichtig» akzeptiert oder indem sie interveniert und den als wichtig beurteilten Inhalt einer Verordnung auf Gesetzesstufe hebt. Die Bundesversammlung kann auch im Rahmen der Kontrolle der bundesrätlichcn Verordnungen (vgl. Ziff. 324.2) überprüfen, ob sie den Entscheid über die Wichtigkeit richtig getroffen hat oder nicht.

Eine Überprüfung des Entscheides der Bundesversammlung über die Wichtigkeil einer Norm durch das Bundesgericht wäre nicht möglich, auch nicht nach Einführung der in den «Reformvorschlägen Justiz» im Rahmen der Totalrevision der Bundesverfassung vorgeschlagenen Verfassungsgerichtsbarkeit gegenüber Bundcsgcsct-

448

zen.21) Überprüft werden konnte also nur die Gesetzmässigkeit von Verordnungen, nicht aber die Frage, ob das Gesetz eine unwichtige Norm enthalt.

Die Bestimmungen iiber den Inhalt der Bundesgesetze und die entsprechende Abgrenzung der Rechtssetzungsbefugnisse wären trotzdem nicht «toter Buchstabe», sondern fur den politischen Willensbildungsprozess von grosser Bedeutung. Die Verfassung erlaubt es dem Parlament, ja verpflichtet es dazu, sich von weniger wichtigen Regelungen zu entlasten, und überträgt die Verantwortung für den Erlass dieser Regelung - ohne ausdrückliche Ermächtigung des Parlamentes22) dent Bundesrat. Das heissl, das Parlament entscheidet über die Zuteilung der Rechtssetzungskompetenzen, indem es entweder aufgrund der vorgegebenen Kriterien einen Regelungsbereich als wichtig erachtet und legiferiert, oder einen Regelungsbereich ausdrücklich als unwichtig und damit den Bundesrat fur zustandig bezeichnet,oder indem es nichts tut und damit stillschweigend die Zuständigkeit des Bundesrates anerkennt.

Das verfassungsrechtliche Kriterium der Wichtigkeit für den Erlass von Rechtsnormen ermöglicht eine rationale Diskussion iiber die Rechtssetzungskompetenzen von Bundesversammlung und Bundesrat im Rahmen des Vorbereitungsverfahrens der Bundesgeselze, in den parlamentarischen Beratungen und in der Öffentlichkeit.

Derartige Diskussionen werden heute namentlich iiber die Kompetenz des Bundcs zum Erlass eines bestimmten Gesetzes geführt. Obwohl die Frage der Zuständigkeit des Bundes nach Artikel 113Absatz 3S BV von der Bundesversammlung abschliessend beantwortet wird und gerichtlich nichüberprüftft werden kann, wird nicht behauptet, die Kompetenzbestimmungen der Bundesverfassung seien deswegen ohne Bedeutung.

Die entsprechenden Bestimmungen in der Verfassung bzw. im Geschäftsverkehrsgesetz konnten wie folgt formuliert werden: Verfassungsentwurf 1995 An. 141 Bundesgesetze Die Bundesversammlung ist zustandig fur den Erlass der wichtigen Rechtsnormen. Sic sind in die Form des Bundesgesetzes zu kleiden.

Geschäftsverkehrsgesetz Art. 5 2bis Bei der Bestimmung der Wichtigkeit von rechtsetzenden Normen ist insbesondere zu berücksichtigen, ob sie a. sich an eine grosse Zahl von Personen richten, b. stark in die Rechtsstellung der Betroffenen eingreifen,

211

221

Nach Art. 168 des Verfassungsentwurfs 1995 in der «grünen» Fassung «Reformvorschläge Justiz» ist die Verfassungsgerichtsbarkeit auf Beschwerden Privater wegen Vcrletzung von verfassungsmässigen Rechten der Bundes verfassung und von internationalemRechtl sowie auf Beschwerden der Kantone wcgen Verletzung. derKompetenzverteilungg zwischen Bund undKantonennbeschränkt..

Siehe dazu hinten. Ziffer 312, Vorschlag fur Artikel 156, Abs. 1.

449

c.

d.

e.

312

für die politische Willensbildung oder die Organisation und das Verfahren von grosser Bedeutung sind, erhebliche finanzielle Auswirkungen haben, Fragen regeln, die besonders umstritten sind.

Begriff der Verordnung

Verordnungen sind Rechtsnormen, die in einer anderen Form als derjenigen der Verfassung oder des Gesetzes im formellen Sinne ergangen sind, d. h. auf einer Stufe unterhalb des Gesetzes im formellen Sinn stehen. Im Bund können Verordnungen von der Bundesversammlung (allgemeinverbindlicher, nicht-refcrcndumspflichtiger Bundesbeschluss), vom Bundcsrat, ausnahmsweise auch von Departementen oder ihnen unterstellten Verwaltungseinheiten erlassen werden.

312.1

Kritik am Delegationsprinzip

Die geltende Bundesverfassung bestimmt den Inhalt der Verordnungen ebensowenig wie denjenigen der Gesetze. Sie legt auch nicht ausdrücklich fest, unter wechen Voraussetzungen die Bundesversammlung, der Bundesrat oder die Departemente Verordnungen erlassen können. Artikel 7 des Geschäftsverkehrsgesetzes bestimmt dagegen für die allgemeinverbindlichen, nicht-referendumspflichtigen Bundesbeschlüsse, dass sie auf einer besonderen Ermächtigung durch die Bundcsverfassung, ein Bundesgesetz oder einen allgemeinverbindlichen, referendumsPflichtigen Bundesbeschluss beruhen müssen, wobei diese Ermächtigung den Erlass solcher Bundesbcschlüsse ausdrücklich vorsehen und darauf hinweisen muss, dass das Referendum nicht verlangt werden kann. Gruppen oder Ämter können Verordnungen nach Artikel 7 Absatz 5 des Verwaltungsorganisationsgesetzes nur erlassen, wenn ein Bundcsgesetz oder ein allgemeinverbindlicher Bundesbeschluss ausdrücklich dazu ermächtigt, ihnen die Zuständigkeit z u m Erlass Lehre und Praxis unterscheiden zwischen Vollziehungsverordnungen und gesetzesvertretenden Verordnungen. Vollziehungsverordnungen führen die durch das Gesetz bereits begründeten Verpflichtungen und Berechtigungen näher aus, passen das schon im Gesetz Bestimmte den konkreten praktischen Gegebenheiten an. Sie dürfen nur dem durch das Gesetz geschaffenen Rahmen entsprechend die im Gesetz gegebenen Richtlinien ausfüllen, nicht ergänzen, insbesondere die Rechte der Betroffenen nicht einschränken oder ihnen neue Pflichten auferlegen. Gesetzesvertretende Verordnungen beruhen dagegen auf einer Ermächtigung durch ein Gesetz, das noch keine vollständige materielle Regelung enthält; solche Verordnungen fügen der weitmaschigen, sich auf das Grundsätzliche beschränkenden Regeung im Gesetz neue Normen hinzu23).

2

3)Aubertl (Anm. 19). N 1518ff.:; Pierre Moor. Droit administratif I. 2. Aufl.. Bern 1994.

S. 241ff.:; Müller (Anm. 19). Rz. 24 ff. mit Hinweisen; zum kantonalen Recht siehe die Beiträge in: AndreasAuer/Walterr Kälin, Das Gesetz imSlaatsrechtl der Kantone, Chur/Zürich 1991, sowie neuerdings Marie-Claire PontVeuthey,, Le pouvoir législatif dans le canton du Valais.BBâle/Francfort-sur-le-Mainn 1992, S. 369 ff.

450

Die Kompetenz des Bundesrates zum Erlass von Vollziehungsverordnungen ergibt sich aus der ihm durch die Verfassung eingeräumten Zuständigkeit zum Vollzug (Art. 102 Ziff. 5 BV). Gesetzesvertretende Verordnungen sind dagegen nur zulässig, wenn das Gesetz dem betreffenden Organ die entsprechende Rechtssetzungskonipetenz eingeräumt hat. Eine solche Delegation von Rechtssetzungskompetenzen (Gesetzesdelegation) setzt nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung voraus, dass die Gesetzesdelegation nicht durch die Verfassung ausgeschlossen sein darf, die Delegationsnorm in einem Gesetz im formellen Sinne enthalten ist, die Delegation sieh auf eine bestimmte, genau umschriebene Materie beschränkt und die Grundzüge der delegierten Materie in einem Gesetz im formellen Sinne umschrieben sind21".

Die Übergänge zwischen gesetzesvertretenden und Vollziehungsverordnungen sind fliessend. Wann eine Verordnung ein Gesetz ergänzt oder ändert, weif es keine vollständige materielle Regelung enthält, und wann sich eine Verordnung im Rahmen des Gesetzes hält und sich die Folgen einer auszuführenden Norm mit genügender Deutlichkeit aus dem Gesetz ergeben, lässt sich oft erst durch Auslegung des Gesetzes ermitteln, wobei meist mehrere Interpretationen möglich sind. Auf die wenig aussagekräftige Unterscheidung zwischen vollziehenden und gesetzesvertretenden Verordnungen sollte deshalb verzichtet werden, wie es z. B. in der neuen Verfassung des Kantons Aargau geschehen ist251.

Dafür spricht auch, dass die Voraussetzung einer «Geseizesdelegation» für den Erlass von gesetzcsvertretenden Verordnungen auf der falschen Vorstellung beruht, der Gesetzgeber übertrage eine Rechtssetzungskompetenz, die eigentlich ihm zustehen würde, auf die Exekutive. Wenn aber der Gesetzgeber die Grundzüge der delegierten Materie, d. h. die wichtigen Regelungen, nach dem vorne Gesagten selbst regeln, also nicht delegieren darf, so Übertrags er keine an sich ihm zustehende Befugnis auf ein anderes Organ; er konkretisiert und präzisiert nur die grundsätzlich schon von der Verfassung vorgenommene Verteilung der Rechtssetzungskompetenzen, indem er festlegt, was er als weniger wichtig betrachtet und deshalb der Regelung durch Verordnung überlassen will.

Die Bundesversammlung delegiert also nicht, sie entscheidet aber darüber, was wichtig und unwichtig ist;
d. h, der Delegationsentscheid wird ersetzt durch einen Entscheid über die Wichtigkeit. Das Kriterium für die Verteilung der Regelungsbefugnisse umschreibt aber - wie vorne dargelegt - die Verfassung, nicht der Gesetzgeber, wobei allerdings ein Spielraum für Wertungen und Abwägungen bleibt. Statt von «Gesetzesdelegation» würde man deshalb besser von Zuordnung der Rechtssetzungsbefugnisse durch den Gesetzgeber an die Exekutive im «Anordnungsspielraum» oder im «Unschärfebereich» der Verfassung sprechen. Diese «Grauzone» ergibt sich aus der Unbestimmtheit des für die Abgrenzung der Zuständigkeit massgebenden Kriteriums der Wichtigkeit. Daraus folgt, dass die Exekutive eine originäre, unmittelbar aus der Verfassung abzuleitende Kompetenz zum Erlass der weniger wichtigen Rechtssätze hat, die der Gesetzgeber zwar näher umschreiben

W) BGE 118 I a 248, 310; 115 I a 290, 379 f. mit weiteren Hinweisen.

2S

> §91 Abs.2 der Verfassung des Kantons Aargau vom 25. Juni 1980: siehe dazu Kurt Eichenbcrger, Verfassung des Kantons Aargau, Textausgabe mit Kommentar, N 7 zu §91; Adrian Hungerbühler, Die Rechtsetzungszusliindigkeiten im Kanton Aargau. In: Auer/Kälin (Anni. 23), S. 58.

451

und abgrenzen kann, in deren «Kern» er aber nicht eingreifen darf. Wie vorne ausgeführt kann die Abgrenzung des Regelungsbereichs durch den Gesetzgeber nicht gerichtlich überprüft werden. Es ist also letztlich Sache der Bundesversammlung, über die «Wichtigkeit» e'ww Regelung zu entscheiden; sie muss sich dabei aber am verfassungsrechtlichen Massstab orientieren und der öffentlichen Diskussion darüber stellen.

312.2

Kompetenz des Bundesrates zum E ria ss weniger wichtiger Rechtsnormen

Gemäss der oben vorgeschlagenen Formulierung für Artikel 141 VE muss die Bundesversammlung die wichtigen Normen erlassen. Sie kann jedoch zum Schluss kommen, dass sie zum Erlass einer Norm nicht geeignet ist, weil zum Beispiel die technische Komplexität zu hoch ist. In einem solchen Fall kann sie auf den Erlass der Norm verzichten, auch wenn diese als wichtig eingestuft wird. Verzichtet der Gesetzgeber auf den Erlass einer Regelung in seinem Zuständigkeitsbereich, dann muss er dies ausdrücklich festhalten. Der Bundesrat darf also im Zuständigkeitsbereich der Bundesversammlung nur dann gesetzgeberisch aktiv werden, wenn diese ihn durch Gesetz dazu ermächtigt.

Das Delegationsprinzip kommt also nur noch zum Tragen, wenn die Bundesversammlung feststellt, dass das Gesetzgebungsverfahren nicht geeignet ist. Im übrigen sind die Zuständigkeiten fur die Rechtssetzung gemäss dem Kriterium der Wichtigkeit durch die Bundesverfassung zugeordnet, Keine Änderungen sollen bezüglich des Legalitätsprinzips eintreten. Die Anforderungen des Bundesgerichtes im Bereich des Legalitätsprinzips sind hier erfüllt, indem der im Geschäftsverkehrsgesctz definierte Wichtigkeitsbegriff umfassender ist als die Kriterien des Bundesgerichts.

Folgt man diesem Konzept, so erscheint es sinnvoll, in die Bundesverfassung eine Bestimmung aufzunehmen, mit welcher dem Bundesrat das Recht zum Erlass von Verordnungen eingeräumt wird, welche weniger wichtige Regelungen enthalten. Wichtige Normen, für deren Erlass sich das Gesetzgebungsverfahren nicht eignet, werden dann vom Bundesrat erlassen, wenn ihn der Gesetzgeber ausdrücklich dazu ermächtigt. Artikel 141 Absatz! und Artikel 156 des Verfassungsentwurfs 1995 entsprechen diesem Vorschlag nicht, da sie zwischen vollziehenden und gesetzesvertretenden Verordnungen unterscheiden2(>l.

261

Etwas anders An. 100 des Verfassungseimvurfs 1977 und Art. 116 der Modell-Studie des EJPD, die für alle Verordnungen eine Ermächtigung des Gesetzgebers bzw. des Parlaments verlangen.

452

Die Kommission schlägt deshalb folgende Formulierung von Artikel 156 des Verfassungsentwurfs 1995 vor: Art. 156 Rechtsetzung und Vollzug 1 Der Bundesrat ist zuständig für den Erlass der weniger wichtigen Rechtsnormen. Sie sind in die Form der Verordnung zu kleiden.

1bis Das Gesetz kann vorsehen, dass der Bundesrat weitere Rechtsnormen erlässt, falls sich dafür das Gesetzgebungsverfahren nicht eignet.

2 Der Bundesrat sorgt für den Vollzug der Gesetzgebung, der Beschlüsse der Bundesversammlung und der Urteile von richterlichen Behörden des Bundes.

Daneben bliebe es wie bisher möglich, im Zusammenhang mit einzelnen Aufgabennormen der Bundesverfassung spezielle Gesetzesvorbehalte anzubringen, d. h. vorzusehen, dass gewisse Regelungen in der Form des Bundesgesetzes zu erlassen sind, oder umgekehrt den Bundesrat befugt zu erklären, Verordnungen unmittelbar im Anschluss an die Verfassung zu erlassen (sogenannte selbständige Verordnungen). Mit solchen speziellen Regelungsvorbehalten und -Zuweisungen kann die Verfassung die Verteilung der Rechtssetzungskompetenzen je nach Gegenstand der Regelung differenziert steuern.

313

Verzicht auf den nicht-referendumspflichtigen allgemeinverbindlichen Bundesbeshlue s eli lu s s Auf die in Artikel 7 des Geschäftsverkehrsgesetzes vorgesehene Kompetenz der Bundesversammlung, allgemeinverbindliche Bundesbeschlüsse unter Ausschluss des Referendums zu erlassen, sollte verzichtet werden.

Die Praxis zeigt, dass das Bedürfnis nach derartigen Parlamentsverordnungen sehr gering ist27). Erscheinen die Verzögerungen, die durch die Unterstellung unter das Referendum entstehen, als unerträglich, so können die entsprechenden Rechtsnormen dringlich erklärt werden. Für den Verzicht auf Parlamentsverordnungen spricht auch die Vermeidung von Abgrenzungs- und Rangproblemen: Wird zwischen referendumspflichtigen und nicht-referendumspflichtigen Erlassen der Bundesversammlung unterschieden, so müssen zusätzliche Kriterien für die Zuordnung 27)

Der Verfassungsentwurf 1977 (Art. 80) und die Modell-Studie des EJPD (Art. 97) wollten zwar als neue Erlassform das «Bundesdekret» einführen. Die Expertenkommission für die Vorbereitung einer Totalrevision der Bundesverfassung begründete dies in ihrem Bericht (S. 157) damit, dass die Gesetze nicht zu sehr mit Details überladen werden sollten, und dass bei Fehlen des Bundesdekrets wesentlich mehr an den Bundesrat delegiert würde, da die Bundesrats Verordnung sich dann für die Regelung von Zweitrangigem als einzige Rechtssetzungsform anbieten würde. Es entspreche einem praktischen Bedürfnis, wenn man dem Parlament auch eine Rechtssetzungsform ohne Referendum zugestehe. - In neuerer Zeit hat die Bundesversammlung jedoch kaum von dieser Erlassform Gebrauch gemacht.

453

zur einen oder anderen Rechtssetzungsstufe gefunden werden; ausscrdcm sind schwierige Fragen des Verhältnisses solcher Parlamentsverordnungen zu Verordnungen des Bundesrates zu klären. Dazu kommt, dass die Möglichkeit, Parlamentserlasse dem Referendum zu entziehen, ein gewisses «Missbrauchsrisiko» birgt, weil davon auch zur Umgehung der Volksrcchte in politisch heiklen Fragen Gebrauch gemacht werden kann.

Einzig für den Bereich des Parlamentsrechts, insbesondere für die Regelung von Einzelheiten der Organisation und des Verfahrens der Bundesversammlung und der beiden Räte ist es angezeigt, die Erlassform des nicht-reterendumspflichtigen Bundesbeschlusses bzw. des Geschäftsreglementes beizubehalten28).

314

Dringliche und befristete Gesetzgebung

Die geltende Bundesverfassung und der Verfassungsentwurf 1995 sehen vor, dass die Mehrheit der Mitglieder jedes Rates allgemeinverbindliche Bundesbeschlüsse, deren Inkrafttreten keinen Aufschub erträgt, sofort in Kraft setzen können; ihre Gültigkeitsdauer ist zu befristen. Kommt das Referendum nachträglich zustande, so treten diese Beschlüsse ein Jahr nach ihrer Annahme durch die Bundesversammlung ausser Kraft, wenn sie nicht innerhalb dieser Frist vom Volk gutgeheissen werden29).

Dringlichkeit kann auch bei Erlassen bestehen, die für unbestimmte Zeit gelten sollen. Die Verbindung von Dringlichkeit und beschränkter Geltungsdauer ist nicht zwingend; eine sofortige Inkraftsetzung kann auch bei Erlassen geboten sein, die für unbestimmte Zeit gelten sollen.

Es besteht auch kein Grund, eine spezielle Form für befristete Erlasse vorzusehen.

Erst im Geschäftsverkehrsgesetz von 1962 wurde vorgeschrieben, dass befristete Erlasse in die Form des allgemeinverbindlichen Bundesbeschlusses zu kleiden sind30). Früher diente diese Erlassform für befristete und unbefristete Regelungen sowie für Einzelakte des Parlaments von grosser Tragweite31). Angesichts der Tatsache, dass die Geltungsdauer befristeter Erlasse ohne Einschränkung verlängert werden kann (und die Praxis von dieser Möglichkeit auch häufig Gebrauch macht), ist die Unterscheidung zwischen Bundesgesetzenundd allgemeinverbindlichen Bundesbeschlüssen praktisch bedeutungslosgeworden32).. Eine Beschränkung auf die Erlassform des Bundesgesetzes mit der Möglichkeit der Dringlicherklärung liegt auch im Interesse der Vereinfachung derRechtssetzungsformenn33)..

28) 2

Siehe Art. 8bis des Geschäftsverkehrsgesetzes.

9) Art.89bis" B V, Art. 142 deVerfassungsentwurfsfs 1995.

3111

3

Art. 6 Abs. l des Bundesgesetzes vom 23, März 1962 über den Geschäftsverkehr der Bundesversammlung sowie über die Form, die Bekanntmachung und das Inkrafttreten ihrer Erlasse (Geschäftsverkehrsgesetz, SR 171.11).

1) Siehe dazu Aubert (Anm. 19), N11H1ff.:.; Etienne Grisel in Kommentar BV, Art. 89 Abs. 2, Rz. 1ff.:.; Alfred Kölz, Reform der Volksrcchte im KantoSolothurn.n. In: Festschrift 500 JahrSolothurnrn im BundSolothurnum 1981, S.42 ff.: Müller (Anm. 19), Rz.

321

33)

Bruno Eggimann, Die Erlassformen der Bundesversammlung gemäss den Formvorschriften des Geschäftsverkehrsgesetzes vom 23. März 1962, Diss. Zurich 1978. S. 45; Müller (Anm. 19), Rz. 12; vgl. auch Rhinow (Anm. 3l). S. 209.

Siehe hinten. Ziff. 316.

454

Die Kommission empfiehlt deshalb, in Artikel 141 des Verfassungsentwurfs 1995 den allgemeinverbindlichen Bundesbeschluss nicht zu erwähnen 34), und Artikel 142 wie folgt zu fassen: Ari. 142 Dringlicherklärung von Bundesgesetzen 1 Bundesgesetze, deren Inkrafttreten keinen Aufschub erträgt, können von der Mehrheit der Mitglieder jedes Rates dringlich erklärt und sofort in Kraft gesetzt werden.

2 Wird gegen ein dringlich erklärtes Bundesgesetz die Volksabstimmung verlangt, so tritt dieses ein Jahr nach Annahme durch die Bundesversammlung ausser Kraft, wenn es nicht innerhalb dieser Frist vom Volk gutgeheissen wird.

3 Ein.dringlich erklärtes Bundesgesetz, das keine Verfassungsgrundlage hat, tritt ein Jahr nach Annahme durch die Bundesversammlung ausser Kraft, wenn es nicht innerhalb dieser Frist von Volk und Ständen gutgeheissen wird.

·'Dringlich erklärte Bundesgesetze, die in der Volksabstimmung nicht gutgeheissen werden, können nicht erneuert werden.

315

Beschlüsse der Bundesversammlung über wichtige Verwaltungsakte

Im modernen Lenkungs- und Leistungsstaat kommt der Gesetzgebung nur noch begrenzte Steuerungskraft zu. Es können nicht mehr alle politisch wichtigen Entscheidungen vorweg in generell-abstrakter Form, getroffen werden, weil die zu regelnden künftigen Verhältnisse zuwenig voraussehbar sind, oder weil eine gerechte, den besonderen Umständen Rechnung tragende Entscheidung erst im Einzelfall möglich ist35). Es wäre zwar denkbar, den Inhalt des Gesetzes so zu umschreiben, dass es nicht nur generell-abstrakte Rechtsnormen, sondern auch wichtige Einzelakte einschliesst36). Eine solche Lösung kommt allerdings nur dann in Frage, wenn nicht ein Verwaltungs- und Finanzreferendum, wie es der Verfassungsentwurf 199537) vorsieht, eingeführt wird, das an einen Einzelakt anknüpft 34) 35)

361

371

Siehe vorne, Ziff. 311.

Dazu namentlich Jean-François Aubert, La réforme des droits populaires fédéraux. In: ZSR 1994 I S. 302 ff.: Thomas Cottier, Die Verfassung und das Erfordernis der gesetzlichen Grundlage, Chur/Zürich 1991, S, 79 ff., 88 ff., 95 ff.: Kurt Eichenberger, Zur Einleitung: Von der Rechtssetzungsfunktion im heutigen Staat, in: ZSR 1974 II S. 15 ff.: Alfred Kölz, Ausbau des Verwaltungsreferendums In: SJZ 1981, S. 53 ff.; Georg Müller, Inhalt und Formen der Rechtssetzung als Problem der demokratischen Kompetenzordnung, Basel/Stuttgart 1979, S. 78 ff., 107 ff.; Rhinow (Anm. 3l), S. 195 ff., 202 ff.; Wilfried Schaumann, Staatsführung und Gesetzgebung m der Demokratie. In: Der Staat als Aufgabe, Gedenkschrift für Max Imboden, Basel/Stuttgart 1972, S. 313 ff.; Tschannen, (Anm. 9), S. 307 ff.

Für eine solche Ausdehnung des Gesetzesbegriffes sprechen sich zahlreiche Autoren aus; vgl. neuestens Tschannen (Anm. 9), S. 461 ff., 464 ff. mit Hinweisen. In mehreren Kantonen können nicht nur Rechtssätze, sondern auch Einzelakte Gegenstand von Gesetzen sein (vgl. Walter Kälin, Das Gesetz im Staatsrecht der Kantone: Ein Überblick. In: Auer/Kälin [Anm. 23], S. 6 ff.).

Art. 123 in der «blauen» Fassung «Reformvorschläge Volksrechte».

455

und damit eine Unterscheidung von Rechtssatz und Einzelakt voraussetzt38). Soll der Gesetzgeber sich - wie von der Kommission postuliert - auf die «strategischen» Regelungen beschränken, so wächst das Bedürfnis, gewisse Verwaltungsakte von grosser Tragweite nicht dem Bundesrat und der Bundesverwaltung zu überlassen, sondern der Bundesversammlung als dem demokratisch höher legitimierten Organ vorzubehalten, das sie nach öffentlicher Beratung fällt. Das geltende Recht kennt bereits solche Verwaltungsakte der Bundesversammlung (z.B.

Erteilung von Eisenbahnkonzessionen, Genehmigung der Rahmenbewilligung für Atomanlagen, Festlegung der allgemeinen Linienführung der Nationalstrassen, Übertragung des Enteignungsrechts an Private)39). Die Verfassungsmässigkeit derartiger Beschlüsse der Bundesversammlung ist nicht unumstritten 40).

Die Kommission empfiehlt deshalb eine entsprechende Kompetenznorm in die Verfassung aufzunehmen, die wie folgt lauten könnte: Art. 147 Weitere Aufgaben und Befugnisse i hbis sie entscheidet über wichtige Verwaltungsakte, soweit ein Bundesgesetz dies ausdrücklich vorsieht;

Zwar kann das Gesetz der Bundesversammlung nach Artikel 147 Absatz 3 des Verfassungsentwurfes 1995 weitere Aufgaben und Befugnisse einräumen, wozu auch andere als rechtssetzende Kompetenzen gehören, doch ist bei solchen Kompetenzzuweisungen durch Gesetz die gewaltenteilige Grundordnung der Bundesverfassung zu beachten; das Parlament muss die verfassungsrechtlich angestammten Kernfunktionen der anderen Staatsorgane respektieren41). Die Aufnahme einer Kompetenznorm für den Erlass derartiger Verwaltungsakte dient also der Klarstellung. Zudem ist damit auch geregelt, welche Vcrwaltungsakte dem fakultativenVerwaltungsrefe-rendum unterstellt werden können, das in Artikel 123 des Verfassungsentwurfs 1995 («blaue» Fassung gemäss den«Reformvorschlägenn Volksrechte») vorgeschlagen wird.

316

Vereinfachung der Erlassformen

Schon die Expertenkommission für die Vorbereitung einer Totalrevision der Bundesverfassung hat in ihrem Bericht zum Verfassungsentwurf 1977421 festgestellt.

381

Zur Problematik der Unterscheidung vgl. etwa Tobias Jaag. Die Abgrenzung zwischen Rechtssatz und Einzelakt, Zürich 1985: siehe ferner Collier {Anm. 35). S. 79 ff.; Moor (Anm.23), S. 207/300ff.; Müller (Anm. 19), Rz. 7; Rhinow (Anm.31). S. 213 ff.; Seiler (Anm. 10), S. 624 ff.

3 9) An. 5 Abs. 2 des Eisenbahngeselzes vom 20. Dezember 1957 (SR 742.101); Ari. l Abs. l u n d Art. 2 Abs. 2 d e s Bundesbeschlusses zumAtomgesetzz v o m 6Oktoberr 1978 725.11); A n . 3 Abs.Bst.si. a dBundesgesetzeszes über d i e Enteignung v o m 2 0 . Juni

40) Siehe Seiler (Anm. 10), S. 565 f.

411 Siehe Erläuterungen zum Verfassungsentwurf. S. 168 f.

421 Siehe Erläuterungen zum Verfassungsentwurf, S. 156 f.

456

die heutige Ordnung sei «durch ein wahres Tohuwabohu an ordentlichen und ausserordentlichen, in der Bundesverfassung und im Geschäftsverkehrsgesetz enthaltenen Rechtssetzungsformen gekennzeichnet». Die bestehende Unübersichtlichkeit der Rechtssetzungsformen verursache grosse sachliche Schwierigkeiten und gefährde dauernd die Demokratie der Rechtssetzung. Es sei unerlässlich, sie zu entwirren und zu vereinfachen. - Wir schliessen uns dieser Auffassung an. Wie vorne43) gezeigt, mochten wir sogar noch weiter gehen als der Verfassungsentwurf 1977 und auf den allgemeinverbindlichen Bundesbeschluss als Form für befristete und dringliche sowie für nicht dem Referenduni unterstehende Erlasse verzichten.

Es scheint uns auch nicht notwendig, die Form des allgemeinverbindlichen Bundesbeschlusses für diejenigen Beschlüsse der Bundesversammlung beizubehalten, die nach den Vorschlägen zur Reform der Volksrechte im Verfassungsentwurf 1995 44) dem fakultativen Verwaltungs- oder Finanzreferendum unterstellt werden. Der Begriff der Allgemeinverbindlichkeit hat seit je zu Verständnisproblemen und Auslegungsstreitigkeiten geführt45). Wenn hier auf den allgemeinverbindlichen Bundesbeschluss verzichtet wird, dann heisst das nicht, dass in Zukunft keine befristeten Erlasse mehr beschlossen werden sollen. Im Gegenteil: Im Sinne einer experimentellen Rechtssetzung gerade auch im Zusammenhang mit neuen Modellen der Verwaltungsführung soll durchaus von der befristeten Gesetzgebung Gebrauch gemacht werden. Dazu braucht es jedoch keine spezielle Erlassform.

Eine weitere Vereinfachung stellt die Aufgabe der Unterscheidung zwischen gesetzesvertretenden und vollziehenden Verordnungen dar, die wir vorne 46) vorgeschlagen haben. Wir sind überzeugt, dass damit das Rechtssetzungsverfahren wesentlich transparenter wird und zahlreiche Zustand igkeitskonfliktee sowie mit der Rangordnung der Erlasse verbundene Probleme vermieden werdenkönnen47)..

Im Verfassungsentwurf 1995 wäre demnach - zusätzlich zu den bereits vorgeschlagenen Änderungen 48) - in allen Bestimmungen der Begriff des allgemeinverbindlichen Bundesbeschlusses wegzulassen bzw. durch denjenigen des Bundesgesetzes zu ersetzen 49).

Das Geschäftsverkehrsgesetz müsste in gleicher Weise angepasst werden. Dabei schlagen wir vor, den bisher verwendeten Begriff des einfachen Bundesbeschlusscs, der im Gegensatz zu demjenigen des allgemeinverbindlichen Bundesbeschlusses steht, zu ersetzen durch die Bezeichnung «Beschluss der Bundesversammlung», der bereits in der geltenden Bundesverfassung und im Verfassungsentwurf 1995 verwendet wird. Falls das Verwaltungs- und Finanzreferendum gemäss den Vor43) Siehe Ziff. 313 "und 314.

44)

45)

Art. 123 der «blauen» Fassung «Reform der Volksrechte».

Vgl. die Hinweise in Anm. 30.

46) Siehe Ziff. 312.

47) Siehe dazu Aubert (Anm. 19). N 1314; Müller (Anm. 19), Rz. 5 ff., 1 1 ff., 15 ff., 25 ff.

mit Hinweisen.

48) Vgl. vorne, Ziffern 3l l, 313 und 314.

«' Art, 118 Abs. l lit. d. An. 1 1 9 Abs. l lit. b uc, e, Ari. 137 Abs. 3 und Abs. 4, An. 147 lit. c. Art. 166; in der «blauen» Fassung «ReformvorschläVolksrechte»te» Art. 120 lit. d.

An. 122 Abs, l lit. b und c sowie Abs. 2, Art. 123 Abs. l, A r 1 2 4 Abs.bs. l lit, c, Art. 126 Abs. 2, Art. 127, Ar166bis;is; in der «grünen» Fassu«Reformvorschlägeäge Justiz» Art. 168 Abs. 2 und 3.

457

schlagen für die Reform der Volksrechte50) eingeführt wird, so ist neu gegen derartige Beschlüsse das Referendum möglich; Artikel 8 Absatz 2 des Geschäftsverkehrsgesetzes wäre daher aufzuheben.

In erster Linie müsste der II. Abschnitt «Form der Erlasse der Bundesversammlung» des Geschäftsverkehrsgesetzes geändert werden. Wir schlagen folgende revidierte Fassung vor: Art. 4 Die Erlasse der Bundesversammlung sind in eine der folgenden Rechtsformen zu kleiden:

a.

b.

Bundesgesetz; Beschluss der Bundesversammlung.

Art. 5 1

Erlasse, die rechtsetzende Normen einhalten, sind in die Form des Bundesgesetzes zu kleiden.

2

(Unverändert: Als rechtsetzend gelten alle generellen und abstrakten Normen, welche natürlichen oder juristischen Personen Pflichten auferlegen oder Rechte einräumen oder die Organisation, die Zuständigkeit oder die Aufgaben der Behörden oder das Verfahren regeln.)

2bis (Siehe vorne, Ziffer 311) 3

(Unverändert: Die Form des Bundesgesetzes ist auch da zu wahren, wo sie durch besondere Vorschrift verlangt wird.)

Art. 6 und 7 Aufgehoben Art. 8 Die Form des Beschlusses der Bundesversammlung ist für Anordnungen bestimmt, für welche keine andere Rechtsform vorgeschrieben ist.

Art. 8bis 1 Bestimmungen zur Ausführung dieses Gesetzes über die Tätigkeit der Bundesversammlung, insbesondere über gemeinsame Organe beider Räte, über die Parlamentsdienste, über die Mitwirkung in internationalen parlamentarischen Organisationen und dergleichen können durch Beschlüsse der Bundesversammlung aufgestellt werden, die dem Referendum nicht unterstehen.

2

(Unverändert: Jeder Rat erlässt sein eigenes Reglement und genehmigt die Reglemente seiner Kommissionen.)

3 Die Vereinigte Bundesversammlung gibt sich ihr Reglement und genehmigt die Reglemente ihrer Organe.

50)

Art. 123 der «blauen» Fassung des Verfassungsentwurfs 1995.

458

32

321

Instrumente zur Verbesserung der Zusammenarbeit zwischen Parlament und Regierung: Grundsatzbeschluss, Auftrag, Rechte der Bundesversammlung im Bereich der Kontrolle Der Grundsatzbeschluss

Das parlamentarische Instrumentarium im Bund kennt zur Zeit zwei Grundformen: den parlamentarischen Vorstoss und den Erlass.

Mit den parlamentarischen Vorstössen (vor allem mit der Motion und dem Postulat) kann ein Ratsmitglied (allenfalls eine Fraktion oder eine Kommission) ein politisches Problem thematisieren und bewirken, dass der Bundesrat dazu eine Lösung erarbeitet. Der Urheber des Vorstosses hat die Möglichkeit, seine Vorstellungen zum Thema zur Richtschnur der Lösung zu erheben. Das Ratsplenum und der Zweitrat können diese Richtlinie nicht abändern.

Erlasse der Bundesversammlung sanktionieren das Ergebnis des Problemlösungsprozesses, der zwischen Bundesrat, Verwaltung und Dritten stattgefunden hat. Die Bundesversammlung kontrolliert und korrigiert dieses Resultat, indem sie es einer detaillierten Beratung unterzieht und ihm die endgültige Fassung verleiht.

Im Instrument der parlamentarischen Initiative fallen Vorstoss und Erlass zusammen. Der ausserparlamentarische Problemlösungsprozess entfällt (oder wird im Auftrag der zuständigen Kommission durchgeführt).

321.1

Kritik am bestehenden Instrumentarium und Vorschlag für ein neues Instrument

Mit dem vorhandenen Instrumentarium kann das Parlament das Rechtssetzungsverfahren auslösen und abschliessen, nicht aber seinen Verlauf steuern. Dieser Mangel führt zum Einsatz der parlamentarischen Initiative als Druckmittel gegenüber Bundesrat und Verwaltung oder als Weg, auf dem eine parlamentarische Kommission direkt auf die Problemlösungskapazität der Verwaltung greifen kann. Hätte das Parlament ein angemessenes S teuerungs institi ment zur Beeinflussung des Gesetzgebungsverfahrens, so müsste es die parlamentarische Initiative nicht dafür umnutzen.

Die Entscheidungskompetenz der Bundesversammlung über den Erlass, den der Bundesrat den Räten am.Schluss des Verfahrens vorlegt, ist zwar rechtlich uneingeschränkt. Faktisch kommt das Parlament jedoch oft zu spät, wenn es sich erst in diesem Zeitpunkt mit möglichen LösungsVarianten auseinandersetzt. Die Entscheidung ist dann weitgehend vorgespurt, die Lösung zumindest teilweise durch parlamentsexterne Konsensbildung determiniert.

In den Ziffern 221 und 222 wurde bereits auf d.ie zu relativierende Bedeutung des Gesetzes hingewiesen: Der Gesetzeserlass ist nicht der erste, oberste Staatsakt, sondern wird von der planenden Regierungstätigkeit beeinflusst. Wenn sich die Initiativfunktion der Bundesversammlung auf den Rechtssetzungsprozess beschränkt, gestattet sie keine Beteiligung des Parlaments am Regierungsprozess.'D/e Bundesversammlung braucht eine Beschiussform far die staatsleitende Politikgestaltung, in der sie ihre Kompetenz in diesem Bereich wahrnehmen kann (vgl. unter Ziff. 323). Dem Bundesrat soll durch den Einbezug des Parlamentes ins Vorverfahren der Rücken gestärkt werden gegen die in diesem Prozess stark präsenten Interessengruppen: Er kann sich bei der Erarbeitung eines Erlasses auf einen Vorent-

459

scheid des Parlamentes stützen und riskiert damit auch weniger, von diesem in einer späteren Phase desavouiert zu werden.

Die Expertenkommission schlägt deshalb die Einführung des Grundsatzbeschlusses als Instrument zur Politikgestaltung vor. Der Grundsatzbeschluss stellt ein Instrument dar, mit dem Bundesversammlung und Bundesrat die Grundzüge einer zukünftigen Gesetzgebung oder Planung bestimmen. Es wird vorgeschlagen, in der Bundesverfassung unter dein Titel «Verhältnis zum Bundesrat» einen neuen Artikel 147bis zu schaffen, in dessen erstem Absatz dieser Grundsatzbeschluss wie folgt formuliert werden kann: Art. 147bis Verhältnis zumBundesratt 1

Die Bundesversammlung kann im Bereich ihrer Zuständigkeit Grundsatzbeschlüsse fassen.

2 (vgl. hinten, Ziffer 322) Der Grundsatzbeschluss ist ein Instrument, mit dem die Bundesversammlung in die Planung einbezogen wird. Er gestattet ihr, Leitlinien für spätere Entscheidungen festzusetzen. Damit kann die Bundesversammlung Vorentscheide treffen, die zwar nicht die Kraft haben, die endgültigen Entscheide zu determinieren, die aber den weiteren Gang des Entscheidungsverfahrens in eine bestimmte Richtung steuern.

Spätere Abweichungen bleiben zulässig, lassen sich aber an dieser Richtschnur messen. Das gilt sowohl für den Bundesrat wie für die Bundesversammlung selber.

Im Gesetzgebungsbereich gestallet der Grundsatzbeschluss der Bundesversammlung, in einem frühen Stadium des Rechtssetzungsverfahrens durch entsprechende Vorentscheidungen Weichen zu stellen. Er gibt dem Parlament die Möglichkeit, im Rahmen der eigenen Rechtssetzungskompetcnz eine Führungsrolle wahrzunehmen.

Der Grundsatzbeschluss bindet hier den Bundcsrat und die Verwaltung als Weisung, von der nur ausnahmsweise abgewichen werden darf. Bundesrat und Verwaltung wird dadurch jedoch auch ermöglicht, in einer frühen Phase die Meinung des Gesetzgebers zu einer bestimmten Frage einzuholen, und ihre Arbeit darauf abzustimmen.

Im Regierungsbereich gestattet der Grundsatzbeschluss der Bundesversammlung, sich an den wichtigsten Prozessen der Politikgestaltung zu beteiligen, wie dies dem kooperativen Verständnis der Gewaltenteilung entspricht. Nach den Kriterien der Legitimation und der Eignung sind dabei dem Bundesrat die eigentlichen Führungsentscheide zuzuweisen, der Bundesversammlung die Festlegung der allgemeinen politischen Richtung. Das Parlament ist für die Ziele zuständig, die Regierung für die Massnahmen. Daraus ergibt sich die Entscheidungskompetenz des Bundcsrates und die Richtlinicnkompetenz der Bundesversammlung. Der Grundsatzbeschluss entfaltet daher hier die Wirkung einer Richtlinie, welche die Planung des Bundcsratcs anleitet. Die Befugnis des Parlamentes zur Mitwirkung im Zuständigkeitsbereich des Bundesrates ist in der Bundcsverfassung festzuhalten (vgl. hinten, Ziff. 323).

460

321.2

Ausgestaltung und Anwendung des neuen Instruments

Im Geschäftsverkehrsgeseiz Ist das Instrument des Grundsalzbeschlusses zu präzisieren. Die Expertenkommission schlägt folgende Bestimmungen vor: An. 8"ha.

1 Grundsatzbeschlüsse sind Vorentscheidungen, die festlegen, class bestimmte Ziele anzustreben, Grundsätze und Kriterien zu beachten oder Massnahmen zu planen sind.

2 Grundsatzbeschlüsse bezwecken insbesondere, die Vorbereitung der Gesetzgebung und die Legislaturplanung zu steuern.

3 Grundsatzbeschlüsse werden in der Form eines Beschlusses der Bundesversammlung erlassen.

Als Planungsakt ist der Grundsatzbeschluss zwar systematisch, aber zurückhaltend einzusetzen. Das Parlament hat keine flächendeckcnde Staatsplanung zu erstellen.

Es soll aber aus ganzheitlicher Sicht prüfen, wo es Schwerpunkte setzen will. Gelegenheit dazu ist zum Beispiel die Behandlung der Legislaturplanung des Bundesrates. Im Rahmen der Beratung derselben kann die Bundesversammlung mit Hilfe der Richtlinienmotion (neu Auftrag, vgl. Ziff. 322) die Ausarbeitung von Grundsatzbeschlüssen verlangen. Das Instrument des Grundsatzbeschlusses ist jedoch nicht auf die Legislaturplanung zu beschränken: Grundsatzbeschlüsse müssen jederzeit gefasst werden können, um im Hinblick auf bestimmte Gesetzesprojekte - auch solche, die nicht in der Legislaturplanung vorgesehen sind - im Vorverfahren gewisse Leitplanken setzen zu können.

Formell ist der Grundsatzbeschluss eine besondere Form des Beschlusses der Bundesversammlung, Er enthält trotz seiner möglicherweise allgemeinen und abstrakten Formulierung keine Rechtssätze, sondern stellt bloss einen behördenverbindlichen verfahrensleitenden Beschluss dar: Er erteilt dem Bundesrat den Auftrag, bei der Erarbeitung einer Problemlösung bestimmte Ziele anzustreben, Grundsätze oder Kriterien zu beachten und Massnahmen zu planen. Grundsatzbeschlüsse werden auf Antrag des Bundesrates - aufgrund seines Antragsrechts oder als Folge eines Auftrags der Bundesversammlung - oder als ausgearbeitete parlamentarische Initiative eingebracht.

Ratsmitglieder, Kommissionen und Fraktionen müssen sowohl im Rahmen der Legisiaturdebatte \\'ie zu späterem Zeitpunkt die Möglichkeit haben, Grundsatzbeschlüsse vorzuschlagen. Weil sie damit aber die Parlamcntsplanung beeinflussen, sollten gewisse Hürden eingebaut werden. So ist zum Beispiel denkbar, dass parlamentarische Initiativen oder Motionen (neu Aufträge, vgi. Ziff. 322) zur Ausarbeitung eines Grundsatzbeschlusses der Zustimmung der Koordinationskonferenz und/' oder der zuständigen parlamentarischen Kommissionen bedürfen. Damit Grundsaizbeschlüsse nicht als Instrument einer Verzögerungstaktik missbraucht werden, wäre eine Sperrfrist vorzusehen, die weit fortgeschrittene Gesetzgebungsverfahren betreffende Grundsatzbeschlüsse ausschliesst. Der Grundsatzbeschluss soll als Planungsinstrument der Staatspolitik möglichst früh im Entscheidungsprozcss eingesetzt werden, zu einem Zeitpunkt, in dem sich die Sach- und Denkzwänge noch nicht verfe-

18 Bundcsblatl 148. Jahrgang. Bd. II

.

461

stìgt haben. So könnte zum Beispiel vorgesehen werden, dass die Koordinationskonferenz bzw. die zuständigen Kommissionen die Zustimmung zu einer parlamentarischen Initiative bzw. zu einer Motion (Auftrag) zur Ausarbeitung eines Grundsatzbeschlusses verweigern, wenn zu dem betreffenden Geschäft innen Jahresfrist die Eröffnung des Vernehmlassungsverfahrens zu erwarten ist. Die entsprechenden Verfahrensregeln sind durch die Parlanienisdienste auszuarbeiten.

Auch der Bundesrat kann beschliessen, der Bundesversammlung einige Grandsatzfragen vorzulegen, bevor er das ganze Vorverfahren der Gesetzgebung durchfuhrt, Er schlägt zu diesem Zweck von sich aus einen Grundsatzbeschluss vor.

Das neue Institut folgt zum Teil dem Vorbild des Kantons Bern511. Der Grundsatzbeschluss ist dort ausschliesslich als Vorentscheidung zu späteren Grossratsbeschlüssen vorgesehen. Er untersteht dem fakultativen Referendum und kann Gegenstand einer Initiative aus dem Volk bilden52'. Im Bund ist davon abzuraten, den Grundsatzbeschluss mit Volksrechten zu verknüpfen. Das neue Instrument wird hier ja wesentlich als ein Mittel zur Beteiligung der Bundesversammlung an der Regierungsfunktion vorgeschlagen; es soll dem gcwaltenteiligen Zusammenwirken der Behörden dienen.

Der Grundsatzbeschluss erfüllt eine ähnliche Funktion wie die Aussprache im Bundesrat, der aufgrund eines Aussprachepapiers die Stossrichtung eines Geschäfts bestimmt. Aufgrund seiner Bedeutung und des erforderlichen Aufwandes rechtfertigt sich die Nutzung des Gnmdsatzbeschlusses aber nur für wichtige Staatsleitungsakte. Anwendungsbeispiele im Gesetzgebungsbereich sind Verfassungsvorlagen und wichtige Bundesgesetze; im Bereich der Regierungspolitik geht es um Konzepte z. B. der Europapolitik oder der Immigrationspolitik. Planungsakte im kurzfristigeren Bereich sind hingegen eher Gegenstand von Aufträgen (z.B. Auftrüge im Budgetbereich, die den Bundesrat auffordern, einen künftigen Voranschlag in bestimmtem Sinne zu gestalten). Die konkrete Abgrenzung wird durch die Verfahrensordnung hergestellt: Wer mit einer parlamentarischen Initiative zu einem Grundsatzbeschluss keinen Erfolg hat, kann immer noch einen Auftrag formulieren (zur Abgrenzung vgl. hinten Ziff. 322.4).

In der Expertenkommission wurden auch mögliche Nachteile des Grundsatzbeschlusses diskutiert: Ein
Einwand gegen die Einführung des Grundsatzbeschlusses liegt in der befürchteten Verlängerung des Gesetzgebungsverfahrens. Wenn der Bundesrat beispielsweise zwischen die Phase der Expertenkommission und die Vernehmlassung einen Grundsatzbeschluss der Bundesversammlung einschiebt, kann dies von der Ausarbeitung seines Antrages bis zur übereinstimmenden Beschlussfassung der Räte mehr als ein Jahr dauern. Der Grundsatzbeschluss wird daher in so später Phase nur dann einzusetzen sein, wenn das Geschäft in politische Schwierigkeiten geraten ist. In frühen Stadien der Rechtssetzung kann das Verfahren parallel zur Arbeit der Verwaltung oder einer Expertenkommission durchgeführt werden.

Parlamentarische Initiativen zu Grundsatzbeschlüssen hindern den Fortgang des Rechtssetzungsverfahrens nicht. Die parlamentarische Richtlinie trifft dann das Geschäft in seinem jeweiligen Zustand und vermag es entsprechend mehr oder weniger zu beeinflussen, s

" Artikel 80 Absatz 2 der bernischen Kantonsvcrfassung sieht den Grundsatzbeschhiss für Geschäfte aus dem Bereich der Zuständigkeilen des Grossen Rates vor; vgl. Walter Kälia' Urs Bolz (Hrsg.), Handbuch des bemischen Vcrfassungsrechis. Bcm/SluugartAVicn.

1995,8.466.

M > Art. 62 Abs. l Est. c und Art. 58 Abs. I Bst. d der Kantonsvcrfassung.

462

Im weiteren wurde auch die Frage der Überinstrumentierung in der Expertenkommission aufgeworfen. Der Grundsatzbeschluss ist als förmliches Instrument der Bundesversammlung zur Einflussnahme auf den Bundesrat schwerfälliger als informale Kanäle, die auch wirksam sein können. Allerdings können gerade auf dem Hintergrund eines möglichen Grundsatzbeschlusses Gespräche zwischen Kommissionen und Bundesrat eine steuernde Wirkung entfalten. Daher ist denkbar, dass dem Bundesrat im Vorverfahren der Gesetzgebung die Konsultation der zuständigen vorberatenden Kommission vorgeschrieben wird, wie dies bereits im Bereich der Aussenpolitik der Fall ist. Solche Konsultationen können aber nur als Ergänzung, nicht als Ersatz des Instruments des Grundsatzbeschlusses dienen. Sie bieten der Bundesversammlung nur Gelegenheit, auf das Handeln des Bundesrates zu reagieren; sie sind nicht geeignet, die Initiativfunktion des Parlaments zu stützen. Der Zeitpunkt der Konsultation hängt vom Bundesrat ab; das Parlament kann damit keinen Einfiuss auf den Rhythmus des Verfahrens nehmen. Zudem ist an der Konsultation nur eine Kommission, nicht die ganze Bundesversammlung beteiligt. Es fehlt auch die Beratung eines normativen Textes; damit ist die Konsultation weniger präzis; sie wirkt schwächer noch als ein Auftrag. Insgesamt ist die Konsultation kein wirksames Element der Regierungsfunktion " der Bundesversammlung und entspricht nicht der angestrebten Balance der Teilfunktionen von Bundesversammlung und Bundesrat im Rechtssetzungsprozess.

321.3

Der Grundsatzbeschluss als Mittel zur Förderung der Grundsätzlichkeit der ßundesgesetze

Der Grundsatzbeschluss ist ein Instrument neben andern, um die Grundsätzlichkeit der Bundesgesetze zu fördern. Indem er Ziele, Grundsätze und Massnahmen zueinander in Beziehung setzt, ist er geeignet, die Methode der Gesetzgebung auf eine Prioritätenordnung auszurichten. Bevor einzelne Textformulierungen des Erlasses feststehen, werden die Grundanliegen des Regelungsbereichs gegeneinander abgewogen.

Die Grundsätzlichkeit der Bundesgesetze kann zusätzlich dadurch gefördert werden, dass zu Beginn des Normtextes Leitsätze festgehalten werden. Dies geschieht entweder durch eine Präambel oder durch einen eigens dafür bestimmten ersten Teil. Während die Präambel nur wenige Leitsätze programmatischen Charakters zu fassen vermag und mehr den politischen Kontext klärt als die Rechtslage umschreibt, kann der Grundsatzteil alle für die Regelung massgeblichen rechtlichen Gesichtspunkte anführen und gegeneinander abwägen53'.

Ausserhalb des Gesetzestextes selber kann die Grundsätzlichkeit durch Vorschriften zum Vorverfahren der Gesetzgebung gefordert werden. Dazu gehört die (im wesentlichen bereits heute praktizierte) Pflicht, alle Standpunkte in- und ausserhalb der Verwaltung zum Zuge kommen zu lassen und darüber in der Botschaft zu orientieren. Gestützt darauf lässt sich ein eigenes Botschaftskapitel über die Grundfragen des Erlasses formulieren.

Am geltenden Schema, nach dem die Botschaften des Bundesrates an die Bundesversammlung gestaltet werden, fällt auf, dass es keinen Teil enthält, in dem der Bundesrat gestützt auf das Vernehm) assungs ver fahren eine Gesamtwürdigung sei-

M)

Vgl. Art. l bis 5 des Raumplanungsgesetzes. SR 700.

463

nes eigenen Antrages vornimmt 54) Hier wäre der Ort einer grundsätzlichen Abwägung und Schlussfolgerung aus der Sicht der Landesregierung.

Ein Einwand, der gegen die Förderung der Grundsätzlichkeit der Bundeserlasse ernoben wird, geht dahin, dass im Rahmen des Konkordanzsystems und innerhalb eines Milizparlaments Grundsätzlichkeit gar nicht gefragt sei. Das Parlament sei zunehmend in Gruppen- und Einzelinteressen zersplittert. Die Bundesversammlung werde kaum gewillt sein, sich auf die grundsätzliche Ebene zu konzentrieren.

Die Schwierigkeit besteht. Aber sie ist ein Grundproblem jeder praktischen Demokratie. Deren Kunst liegt gerade darin, die Institutionen so zu gestalten, dass auch bei partikularen Interessenten Entscheide gefördert werden, die möglichst nahe an die Idee des Gesamtinteresses herankommen. Das Parlamentsrecht muss einerseits die Möglichkeit zum Detailentscheid anbieten, anderseits jene Instrumente schaffen, die eine Verlagerung der Ratsarbeit hin zu Grundsatzentscheidungen fördern.

322

Der Auftrag an den Bundesrat

Nach geltendem Recht kann die Bundesversammlung den Bundesrat mit einer Motion beauftragen, den Entwurf zu einem Bundesgesetz oder Bundesbeschluss vorzulegen oder eine Massnahme zu treffen 55). Die eidgenössischen Räte haben den Bundesrat mit Motionen oft zuMassnahmenn veranlasse die in dessen eigenem Zuständigkeitsbereich lagen. Seit Ende der siebziger Jahre wehrt sich der Bundesrat jedoch gegen solche Motionen und erachtet sie als verfassungswidrig, weil der Bundesversammlung ihm gegenüber kein Weisungsrechtzustehe56).. Die eidgenössischen Rute haben sich in dieser Frage nicht einigen können, so dass die Motionspraxis weiterhin auch Massnahmen des Bundesrates erfasst. Solche «unechten» Motionen wollen zwar keine rechtliche, wohl aber politische Verbindlichkeit beanspruchen. Der Streit bedarf einer verfassungsrechtlichen Klärung.

322,1

Kritik am bestehenden Instrumentarium und Vorschlag für ein neues Instrument

Eine schematische Konzeption der «Trennung» von «Gewalten» verwehrt der Bundesversammlung, dem Bundesrat Aufträge zu erteilen, die er in eigener Kompetenz erfüllen kann, Dadurch wird aber das Zusammenwirken der Behörden verzerrt. Der Bundesrat hat zwar zahlreiche Einwirkungsmöglichkeiten innerhalb des Zuständigkeitsbereichs der Bundesversammlung (er hat dort gewohnheitsrechtlich sogar das letzte Wort in der Debatte), diese aber keine in seinem Bereich. Die gewaltenteilige Mitwirkung mehrerer Organe an einem Entscheidungsprozess gilt dann nicht für die Zuständigkeiten des Bundesrates. Insbesondere wird das Parlament von den Regierungsfunktionen (Planung, Koordination) ausgeschlossen, die der Bundcsrat alleine und mit Wirkung auf die Bundesversammlung wahrnimmt 57). Diese braucht 54)

Schema der Schweizerischen Bundeskanzlei zur Gestaltung von Botschaften des Bundesrates an die eidgenössischen Räte aus dem Jahre 1988. S. 5 f.

5) Art.22GVG.

56) Justizabteilung: Unzulässigkeit der Motion im delegierten Rechtsetzungsbereich des Bundesrates, VPB 34, 1979. S. 21 IT.

-"' Vgl. den Artikel 154 Absatz l des Entwurfs zur Reform der Bundesverfassung (Nachführung), wonach der Bundesrat die staatlichen Tätigkeiten plant und koordiniert.

5

464

daher ein Instrument, mit dem sie Einfluss auf die Tätigkeit des Bundesrates zu nehmen vermag - allerdings ohne dessen Entscheidungsfreiheit zu verletzen. Es kann sich daher bei diesem Instrument'im Zuständigkeitsbereich des Bundesrates nicht um eine Weisungs-, sondern nur um eine Richtlinienkompetenz der Bundesversammlung handeln.

Die Expertenkommission schlägt deshalb die Einführung des Auftrags als Instrument zur E'mflussnahme der Bundesversammlung auf die Tätigkeit des Bundesrates vor. Das Instrument ersetzt die bisherige Motion.

Die Unklarkeit betreffend deren Wirkung im Zuständigkeitsbereich des Bundesrates wird beseitigt, indem festgehalten wird, dass der Auftrag in diesem Bereich nur als Richtlinie gilt. Die Bestimmung kann in der Bundesverfassung in Absatz 2 des neugeschaffenen Artikels I47b'a «Verhältnis zum Bundesrat» aufgenommen werden: Art.147'1'1'' Verhältnis zum Bundesrat '(vgl. vorne, Ziffer 321) 2 Sie kann dem Bundesrat Aufträge erteilen. Im Zuständigkeitsbereich des Bundesrates wirkt der Auftrag als Richtlinie.

Der Auftrag ist das allgemeine Instrument, mit dem die Bundesversammlung künftige Entscheide steuern kann, unabhängig davon, ob diese von ihr selber oder von Bundesrat und Verwaltung zu treffen sind. Die Kompetenzordmmg bestimmt nicht über die Zulässigkeit, sondern über die Wirkung des Auftrags: - Werden Bundesrat und Verwaltung aufgefordert, die Bundesversammlung bei der Ausübung ihrer eigenen Kompetenzen zu unterstützen, hat der Auftrag die Wirkung einer Weisung: Sie ist in allen wesentlichen Inhalten bindend. Der Bundesrat hat sie im Rahmen der Verfassung und der übrigen Rechtsordnung auf zwcckmässige Weise zu befolgen. Er kann dabei allenfalls veränderten Umständen oder solchen, die von der Bundesversammlung nicht beachtet worden sind, Rechnung tragen. Im übrigen hat er den Willen der Bundesversammlung bestmöglich zu verwirklichen. Seine eigene Verantwortung ist entsprechend beschränkt. Dies gilt für die Vorlage von Entwürfen zu Bundesgesetzen und Beschlüssen der Bundesversammlung, insbesondere Kredit- und Grundsatzbeschlüssen (vgl. Ziff. 321).

- Wird der Bundesrat aufgefordert, Regelungen zu treffen oder Anwendungsaktesitl vorzunehmen, die in seiner eigenen Entscheidungskompetenz liegen, so hat der Auftrag die Wirkung einer Richtlinie: Die Bundesversammlung bestimmt die Grundsätze und setzt die Kriterien, an denen der Bundesrat sich bei seinem Entscheid orientieren soll. Der Auftrag bindet aber den konkreten Entscheid des Bundesrates nicht. Dieser kann in begründefen Fällen von der Richtlinie abweichen. Er ist dafür der Bundesversammlung bloss rechenschaftspflichtig. Dies gilt ungeachtet der Formulierung des Auftrages, Konkrete Anweisungen im Auftrag haben nur den Charakter eines beispielhaften Hinweises.

5S

> Nicht gemeint sind hier Justizakte, d. h. ein Auftrag kann, zum Beispiel nicht auf einen Bcschwerdeenischeid einwirken oder dessen nachträgliche Änderung verlangen.

465

Der neue Auftrag bringt das angestrebte Verhältnis zwischen Bundesversammlung und Bundesrat deutlich zum Ausdruck: In der Regierungsfunktion und in der nachgeordneten Rechtssetzung trägt der Bundesrat die abschliessende Entscheidungsverantwortung. Die Bundesversammlung übt ihre Mitwirkung in der Form von Richtlinien aus.

Hauptsächliche Anwendungsbereiche des Auftrags im Zuständigkeitsbereich des Bundesrates sind die Regierungst'unktion und die Rcchtssetzung durch den Bundcsrat. Ebenfalls bedeutsam kann der Auftrag im Finanzbereich werden, vor allem dann, wenn die Entwicklung des New Public Management eine Abtretung operativer Budgetkompetenzen der Bundesversammlung an den Bundesrat nahelegt.

Die offene Fassung des Auftrags kann Grundlage für einen neuen Gesetzgebungsstil der Bundesversammlung werden: Der Umfang der Gesetze im formellen Sinne lassi sich reduzieren, weil die Bundesversammlung - gleichzeitig oder nachträglich je nach Bedarf - ein Steuerungsinstrument in der Hand behält, mit dem sie auf die nachgeordnete Rechtssetzung Einfluss nehmen kann. Der Bundesrat wird seine Botschaftsentwürfe entsprechend straffen.

322.2

Ausgestaltung

Im Geschäftsverkehrsgesetz ist (las Instrument des Auftrags zu präzisieren. Die Expertenkommission schlägt folgende Bestimmungen vor:

Art. 22 1 Der Auftrag weist den Bundesrat an. den Entwurf zu einem Bundesgesetz oder zu einem Beschluss der Bundesversammlung vorzulegen oder eine Massnahme zu treffen.

1 Der Auftragstext kann auf Antrag einer Kommission, einer Fraktion oder des Bundesrates abgeändert werden, sofern der Urheber seine Zustimmung dazu nicht vor der Verabschiedung im Erstrat verweigert.

3 Der Auftrag bedarf der Zustimmung des anderen Rates. Hält der Erstrat in der zweiten Beratung an einer Differenz fest, wird die Einigungskonferenz einberufen (Art. 17 ff.).

4 Bei Massnahmen, die in seinem eigenen Kompetenzbereich liegen, kann der Bundesrat in begründeten Fällen vom Auftrag abweichen.

5 Beschlüsse eines Rates auf Abschreibung von Aufträgen bedürfen der Zustimmung des anderen Rates.

Auf Gesetzesebene ist die bisherige Motion neu zu gestalten. Artikel 22 Absatz l GVG kann im wesentlichen beibehalten werden. Der Bundesrat hat Massnahmen im eigenen Kompetenzbereich allerdings nur sinngemäss entsprechend dem Auftrag zu erfüllen. An konkrete Anordnungen im Auftragstext ist er nicht gebunden.

Soweit er aber vom Richtliniengehalt des Auftrags abweicht, ist er dafür rechenschaftspflichtig.

466

Als Vorbild für die vorgeschlagene Regelung, welche in Artikel 22 Absatz 4 des Geschäftsverkehrsgesetzes präzisiert wird, gilt Artikel 80 Absatz l der neuen Verfassung des Kantons Bern5y>. Die ersten Fälle der Praxis zeigen dort, dass juristische Auseinandersetzungen über die Zulässigkeit von Motionen im Zuständigkeitsbereich der Regierung entfallen 0 ". Die Debatte kann sich auf den politischen Gehalt des Auftrags konzentrieren.

Der weite Einflussbereich des Auftrags bedingt eine verfahrensmässige Änderung gegenüber der bisherigen Molion'. Während diese primär als Instrument des einzelnen Ratsmitglieds konzipiert war, soll der Auftrag vermehrt ein Steuerungsmittel der Bundesversammlung insgesamt werden. Sie soll daher den Inhalt des Auftrags auch abweichend vom Willen des Urhebers festlegen können. Der Auftragstext muss deshalb abgeändert werden können.

Zwar kann weiterhin jedes Ratsmitglied jedes Thema mit einem Auftrag aufgreifen.

Der Erstrat kann wie bisher ohne Vorberatung durch eine Kommission entscheiden.

Unter bestimmten Voraussetzungen (z. B. auf Antrag einer Kommission, einer Fraktion oder des Bundesrates) kann jeder Rat aber den Text nach den allgemeinen parlamentarischen Verhandlungsregeln in die Detailberatung ziehen. Das Differenzbereinigungsverfahren wird aber abgekürzt (Art. 22 Abs. 3 CVG).

Der Urheber hat die Möglichkeit, an seinem Text festzuhalten (Art. 22 Abs. 2 GVG). Er riskiert dann die Ablehnung. Ist der Auftrag vom Erstrat verabschiedet, dann ist es nicht mehr der Auftrag des Urhebers oder der Urheberin, sondern ein Auftrag des Erstrates. Die Umwandlung von Auftrügen in Postulate sollte hingegen nicht mehr ermöglicht werden. Zum einen besteht kein Bedürfnis mehr, die Verbindlichkeit eines Auftrags, der auf Widerstand des Bundesrates stösst, abzuschwächen; zum andern gestatten Textanträge zum Auftrag alle Differenzierungen, die nötig werden können.

Wie bei der heutigen Motion ist die Nichtausführung eines Auftrags durch den Bundesrat unmittelbar sanktionslos. Seine Einhaltung zu überwachen ist Sache der parlamentarischen Oberaufsicht. Hält sich der Bundesrat in einzelnen Punkten nicht an den Auftrag und vermag er die zuständigen parlamentarischen Kommissionen nicht von seiner Sichtweise zu überzeugen, so bleibt diesen zunächst die Präzisierung des Auftrags, um die
Haltung der Bundesversammlung im Streitpunkt zu bekräftigen. Im Konfliktsfall steht der Rückgriff auf die Gesetzgebungs-, Finanz- oder Wahlkompetenzen der Bundesversammlung offen.

Der so formulierte Auftrag wird sich im Bund als Instrument auf verschiedenen Ebenen nutzen lassen. Im Bereich der politischen Planung wird er die Motionen zur Legislaturplanung abdecken. Auch in der übrigen Regierungstätigkeit des Bundesrates wird er der Bundesversammlung eine angemessene Mitwirkung geslatten (auch dort, wo eine Planung nicht durch Erlasse der Bundesversammlung zu konkretisieren ist). Der neue Auftrag kann so ein Gegenstück zur Kompetenz des Bundesrates werden, die staatlichen Tätigkeiten zu planen und zu koordinieren, wie sie Artikel 154 der nachgeführten Bundesverfassung vorsieht.

Der neue Auftrag gestattet der Bundesversammlung ferner die Ausübung ihrer Initiativfunktion ohne Rücksicht darauf, ob das angeschnittene Problem einer Regelung in einem Gesetz im formellen Sinne bedarf oder nicht. Schlicsslich wird der 5y > 1X11

Kaiin/Bolz (Anm. 5l), S. 465 f.

Vgl. die Motion Kaufmann (Slrassenbaumoratorium im Meliorationswesen) vom 17. Januar 1995.

467

Auftrag zur Form, in der die eidgenössischen Räte wichtige Forderungen, aus Erkenntnissen der Oberaufsicht geltend machen können.

322.3

Auswirkungen des Auftrags auf das Verhältnis zwischen Parlament und Regierung

In der Expertenkommission wurde auch die Frage diskutiert, ob die Ausdehnung des Auftragsrechts der Bundesversammlung in den Zuständigkeitsbereich des Bundesrates nicht die Verantwortlichkeiten verwischen würde. Der Bundesrat könne seine Führungsaufgabe nicht mehr sinnvoll wahrnehmen und die Bundesversammlung binde sich durch die Einmischung selber, so dass sie bei der Verwaltungskontrolle nicht mehr frei sei.

Richtig daran ist, das der Bundesrat seine Macht im Regierungs- und Verwaltungsbereich mit der Bundesversammlung teilen muss. Seine Selbständigkeit wird eingeschränkt. Diese bildet freilich bei Staatsorganen keinen Selbstwcrt. Dass die Organträger die Machtbeschränkung spüren, belegt zunächst nur die Wirksamkeit der gewählten Form von Gewaltenteilung. Geteilte Macht heisst ferner unweigerlich auch geteilte Verantwortung. Schädlich wird diese Teilung aber erst dann, wenn sie unklar ist und keiner mehr weiss, welches die Teilverantwortung ist. die ihm zufällt.

Die Richtlinienkompetenz der Bundesversammlung belassi dem Bundesrat seine volle Verantwortung für die eigenen Entscheide, weil er auch dort, wo eine parlamentarische Richtlinie erlassen worden ist. weiterhin über sein Initiativrecht verfügt. Er kann und soll daher parlamentarische Vorgaben, die er für falsch erachtet, auf dem Wege der Gesetzgebung abändern lassen. Die Richtlinie ist ferner bloss ein Beitrag der Bundesversammlung im Entscheidungsprozess des Bundesrates.

Dieser soll den Parlamentsauftrag kritisch prüfen und davon abweichen, wenn überwiegende Gründe dies nahelegen.

Der Auftrag bringt auch keine Beeinträchtigung rechtsstaatlicher Grundsätze der Rechtsanwendung. Auf die Justiz ist er ohnehin nicht anwendbar. Aufgrund seines Richtliniencharakters ist er aber auch innerhalb der Verwaltung nicht geeignet, in Verfügungskompetenzen oder Entscheide der Verwaltungsrechtspflege einzugreifen. Dies kann bei der gesetzlichen Ausgestaltung ausdrücklich festgehalten werden.

Der Auftrag erhöht allenfalls die Versuchung für den Bundesrat, der Bundesversammlung die Schuld zuzuschieben, wenn etwas falsch gelaufen ist. Die Gefahr gegenseitiger Schuldzuschiebung besteht freilich immer schon. Ein unklares oder widersprüchliches Gesetz kann sogar mehr Anlass dazu geben als eine klärende Richtlinie. Richtig ist, dass sich die Bundesversammlung
den eindeutigen Inhalt ihrer Richtlinie entgegenhalten lassen muss: Sie ist für das verantwortlich, was sie beim Erlass der Richtlinie wissen konnte. Der Bundesrat hat für das einzustehen, was er im Zeitpunkt seiner Entscheidung besser wissen konnte. Damit wird deutlich, was am «Spiel der Schuldzuweisungen» falsch ist: der Lernprozess wird verweigert. Wenn Macht die Möglichkeit ist, nicht lernen zu müssen, dann ist Verantwortlichkeit die Pflicht, aus Fehlern zu lernen. Bei geteilter Verantwortlichkeit haben dann eben beide zu lernen. Zuallererst, wie man mit gemeinsamen Fehlem umgehen kann.

468

322.4

Abgrenzung zwischen Auftrag, Grundsatzbeschluss und parlamentarischer Initiative

Auftrag, Grundsatzbeschluss und parlamentarische Initiative sind gleichennassen Instrumente der Initiativfunktion der Bundesversammlung. Das gleiche materielle Ziel kann mit jedem der drei Mittel erreicht werden. Die Wege dazu sind jedoch verschieden.

Der Auftrag ist das einfachste und flexibelste Instrument. Mit ihm kann jede politische Forderung zu jeder Zeit erhoben werden. Der Auftragstext ist nicht an die Gesetzessprache gebunden. Die Möglichkeit zur Abänderung gestattet trotzdem eine differenzierte Übermittlung des parlamentarischen Willens an den Bundesrat, wo dies gewünscht wird. Was als Grundsatzbeschluss oder als parlamentarische Initiative keinen Erfolg verspricht, wird am besten als Auftrag formuliert.

Der Grundsatzbeschluss ist anspruchsvoller als der Auftrag. Er beinhaltet ein politisches Konzept und schafft damit einen Entwurf zukünftiger Ordnung. Er tut dies zu einem Zeitpunkt, in dem noch keine ausgereifte Lösung vorliegt. Wie der Auftrag kann auch der Grundsatzbeschluss Massnahmen umschreiben, aber nur gemeinsam mit den übergeordneten Zielen und Grundsätzen.

Die parlamentarische Initiative ist die Form der parlamentseigenen Gesetzgebung.

Sie setzt voraus, dass die Lösung entscheidungsreif vorliegt oder mit geringem Aufwand entwickelt werden kann. Ist diese Voraussetzung erfüllt, dann führt sie schneller zum Ziel als die beiden anderen Instrumente.

Auftrag, Grundsatzbeschluss und parlamentarische Initiative lassen sich kombinieren: Will die Bundesversammlung Einfluss auf die geplante Gesetzgebung nehmen, so kann sie dies jederzeit mit dem Mittel des Auftrags tun, in dem sie einzelne Forderungen zum künftigen Erlass erhebt. Will sie den Erlass aber als ganzen prägen, benutzt sie wiederum den Auftrag, mit dem sie den Bundesrat nun aber auffordert, ihr einen Grundsatzbeschluss vorzulegen. Schliesslich kann die Bundesversammlung den Text des Grundsatzbeschlusses selber entwerfen. Sie tut dies im Verfahren der parlamentarischen Initiative.

Auftrag und Grundsatzbeschluss verändern die Bedeutung der parlamentarischen Initiative. Diese kann sich einerseits neu auf Grundsatzbeschlüsse beziehen, lässt sich aber anderseits durch Aufträge teilweise ersetzen. Zum einen eignet sich die parlamentarische Initiative dazu, innerhalb der Bundesversammlung die grundsätzliche Auseinandersetzung
über anstehende politische Fragen auszulösen, wenn dazu ein Grundsatzbeschluss entworfen wird. Zum andern lässt sich der parlamentarische Wille dem Bundesrat gegenüber mit dem abänderbaren Auftrag oft ebenso präzis ausdrücken wie mit der parlamentarischen Initiative. Die Bundesversammmlung wird zudem von der mühsamen Kleinarbeit der Gesetzgebung entlastet. Was mit dem Auftrag erreicht werden kann, sollte daher nicht Gegenstand parlamentarischer Initiativen bilden. Die Erfahrung mit der parlamentseigenen Gesetzgebung01' zeigt, dass sich die parlamentarische Initiative vor allem für zwei Anwendungen eignet; das Parlamentsrecht der Bundesversammlung selber und die Einzelkorrektur zur Behebung eines konkreten Mangels in der Gesetzgebung. Parlamentarische Initiativen zu politisch umstrittenen oder sachlich komplexen Themen riskieren hingegen zu versanden oder zu einer Abart der Motion mit begleitender Kontrolle durch die

fii)

Mariin Graf, Motion und parlamentarische Initiative. In: Parlamentsdienste (Hrsg.), Das Parlament - «Oberste Gewalt des Bundes»? Bern/Stuttgart 1991, S. 203 ff.. 210 ff.

469

vorberatende Kommission zu werden: Die Kommission beauftragt den Bundesrat mit der Ausarbeitung einer Vorlage und lässt sich periodisch über den Fortschritt des Geschäftes orientieren.

Dies ist zwar nach dem hier vertretenen kooperativen Verständnis der Gewaltenteilung zulässig; die Bundesversammlung hat im Rahmen ihrer Kompetenzen ebenso Zugriff auf die Verwaltung wie der Bundesrat Wl . Allerdings wird damit der Anteil des Bundesrates an der Gesetzgebung geschmälert. Seine Mitwirkung im Kompetenzbereich der Bundesversammlung erfordert vielmehr, dass er es ist, der in der Regel das Vorverfahren leitet. Die angemessene Korrektur des ihm dadurch anfallenden Übergewichts soll nicht dadurch erfolgen, dass er in Einzelfällen auf dem Weg der parlamentarischen Initiative umgangen wird, sondern dadurch, dass die Bundesversammlung ihn durch Grundsatzbcschluss oder Auftrag an ihre Richtlinien bindet. Dies entspricht der Forderung nach Zuweisung von Teilfunktionen an beide Behörden und nach gegenseitiger Mitwirkung im Entscheidungsprozess. Es gewährt dem Parlament massgeblichen Einfluss auf das Vorverfahren der Gesetzgebung.

Der Auftrag kann somit überall dort an die Stelle der heutigen parlamentarischen Initiative treten, wo diese als Druckmittel gegenüber dem Bundesrat eingesetzt wird. Es ist daher denkbar, den Anwendungsbereich der parlamentarischen Initiative gesetzlich auf das Parlamentsrccht und auf Grundsatzbeschlüsse einzuschränken. Eine Erweiterung ist vorzusehen für den Fall, dass der Bundesrat einen Auftrag oder einen Grundsatzbeschluss nicht sinngemäss erfüllt. Die parlamentarische Initiative erhält in diesem Konfliktsfall den Charakter einer Ersatzvornahme durch die Bundesversammlung. Sie ist in jedem Fall nur noch in der Form des ausgearbeiteten Entwurfs zuzulassen.

323

Mitwirkung der Bundesversammlung bei der Planung der Staatstätigkeit

Grundsatzbeschluss und Auftrag stellen instrumente des Parlamentes dar, mit dem es unter anderem seinen Anteil an der Regierungsfunktion wahrnehmen kann. Das Parlament kann mit diesen Instrumenten die Planung der Staatstätigkeit beeinflussen. Eine verstärkte Beteiligung des Parlamentes am Planungsprozess ist - insbesondere im Hinblick auf die Einführung des NPM in der Verwaltung - nach Ansicht der Expertenkommission uncrlässlich (zur weiteren Begründung vgl.

Ziff. 351.4). Die Mitwirkung des Parlamentes in diesem Bereich ergibt sich nicht direkt aus den in Artikel 141 bis 145 und 147 des Verfassungsentwurfs 1995 festgehaltenen Entscheidungskompetenzen. Sie ist auch nicht nur ein Ausfluss der Oberaufsicht nach Artikel 146 VE. Es ist daher sinnvoll, die Mitwirkungsbefugnis der Bundesversammlung im Bereich der Regierungskompetenz analog zur entsprechenden Kompetenz des Bundesrates in Artikel 154 Absatz l VE explizit in der Bundesverfassung festzuhalten.

(>2>

Vgl. für das Verfahren der parlamentarischen Initiative An. 2! l i UJKf Abs. 2 GVG.

470

Die Expertenkommission schlägt die Aufnahme einer Mitwirkungsbefugnis der Bundesversammlung im Bereich der Regierungskompetenz in Artikel 147 Absatz l des Entwurfs für die Bundesverfassung vor: Art. 147 Weitere Aufgaben und Befugnisse a0" sie wirkt bei den wichtigen Planungen der Staatstätigkeit mit;

j l

324

i l

Verfahren der bundesrätlichen Rechtssetzung

Ein wachsender Anteil der Rechtsordnung wird auf Verordnungsebene erlassen.

Nach der heutigen Praxis gilt dafür eine scharfe Zu stand igkeits grenze zwischen Bundesversammlung und Bundesrat. Gcmä'ss Vorschlag der Expertenkommission (vgl. Kap. 31) soll die Abgrenzung dieser Zuständigkeit gema'ss dem Kriterium der Wichtigkeit auf Verfassungsebene erfolgen. Was die Bundesversammlung nicht im Gesetz im formellen Sinne geregelt hat, ist Sache des Bundcsrates.

324.1

Kritik am bestehenden Verordnungsverfahren und Vorschläge für eine gesetzliche Regelung

Der Bundesrat ist sowohl in bezug auf den Inhalt wie in bezug auf das Rechtssetzungsverfahren autonom. Die Bundesversammlung hat bisher keine besonderen Mitwirkungs- oder Informationsrechte in diesem Verfahren. In der Regel erfährt sie von Verordnungen erst durch deren Publikation. Dass die ständigen Kommissionen die Entwicklung in ihrem Sachbercich zu verfolgen haben, führt nur zu einem unsystematischen Überblick über die laufenden Rechtssetzungsgeschäfte der Verwaltung.

Das Verordnungsverfahren ist daher für die Bundesversammlung wenig transparent. Die Kontrolle der bundesrätlichen Rechtssetzung erweist sich als schwierig''3'.

Gerade wenn, wie von der Expertenkommission vorgeschlagen, der Bundesrat von Verfassungs wegen für den Erlass der weniger wichtigen Rechtsnormen zuständig ist (vgl. Kap. 31), wird diese Kontrolle aber umso notwendiger.

Daraus gilt es, zwei Folgerungen zu ziehen: Das Verordnungsverfahren ist auf transparente Weise zu regeln, damit es das Verordnungsrecht zu legitimieren vermag. Und der Bundesversammlung und insbesondere ihren Kommissionen ist die inhaltliche Kontrolle der Verordnungen auf ihre Übereinstimmung mit den Zielen und Regeln der formeilen Gesetzgebung zu erleichtern.

M)

Vgl. dazu den Bericht der Geschäftsprüfungskommission des Ständeralcs auf der Grundlage einer Evaluation der Parlamentarischen Verwallungskontrollstelle vom 7, April 1995: Die ausserparlamentarische Gesetzgebung im Rahmen der beruflichen Vorsorge, sowie die Stellungnahme des Bundesrates dazu. BBI 1995 IV 1239ff. und 1288ff.

471

Die Grundzüge des Verordnungsverfahrens und die Rechte der Bundesversammlung im Bereich der Kontrolle über die Erlasse des Bundesrates und der Verwaltung sind auf Gesetzesstufe zu regeln.

Der Gesetzgeber sollte die Rahmenbedingungen der bundesrätlichen Rechtssetzung festlegen. Das Verordnungsverfahren, das heute zum Teil in Richtlinien des Bundesrates64) und der Bundeskanzlei65) geregelt ist (nur das Vernehmlass u ngs ver fahren findet sich in einerVerordnung66)),, solltestufengerechtt geordnet werden. Die wichtigsten Verfahrensgrundsätze, so jene, die eine plural istische Vertretung verschiedener Standpunkte innerhalb und ausserhalb der Verwaltung garantieren sollen, gehören in ein Gesetz im formellen Sinne, der Ablauf selber in eine Verordnung des Bundesrates.

Gesetzlich festzuhalten ist, dass die Grundsätze der Regelung in einer Präambel oder in einem ersten Teil des Erlasses enthalten sein sollen. Ins Gesetz gehören auch die Mitwirkungsvorschriften für die verwaltungsintern und verwaltungsextern interessierten oder betroffenen Stellen und Organisationen sowie der Kantone und Parteien; auch die notwendigen Elemente des Antrags an den Bundcsrat sind gesetzlich festzuhalten. Dasselbe gilt für die Anforderungen, denen der Antrag an den Bundesrat zu genügen hat. Als wegleitend haben dafür die Elemente einer Botschaft zu gelten, soweit diese im konkreten Fall für das Verständnis des Erlasses bedeutsam sind. Die Anforderungen können durch Verordnung des Bundesrates je nach der Bedeutung der Erlasse differenziert werden. Die allgemeinen Anforderungen an den Inhalt von Verordnungen umfassen die Nennung und Abwägung der massgeblichen Grundsätze, die Koordinationspflichten, den Rechtsschutz und die Vorkehren der Wirksamkeitsprüfung.

Eine Minderheit der Expertenkommission vertritt allerdings die Meinung, dass mit derartigen Regelungen die erforderliche Flexibilität der bundesrätlichen Rechtssetzung zu stark eingeschränkt würde. Es sei auch nicht immer angebracht, ja zum Teil unerwünscht, Verordnungen «Grundsatzbestimmungen» oder Präambeln vorzustellen, die oft blosse Leerformeln ohne normativen Gehalt seien.

324.2

Rolle der Kommissionen bei der Kontrolle der bundesrätlichen Rechtssetzung

Das 1991 eingeführte System der ständigen Kommissionen bietet Voraussetzung dafür, dass in den Kommissionen bestimmte Gebiete der Rechtssetzung kontinuierlich verfolgt werden können. Dazu gehört auch die Kontrolle der bundesrätlichen Rechtssetzung im entsprechenden Bereich, Dabei geht es nicht darum, allenfalls Sanktionen gegen den Bundesrat zu ergreifen, wenn eine Verordnung nicht zufriedenstellend ist. Die Bundesversammlung soll vielmehr entweder die Konsequenzen daraus für die zukünftige Gesetzgebung ziehen oder einen Auftrag im Sinne einer 641

Richtlinien des Bundesrates vom 6. Mai 1970 über das Vorverfahren der Gesetzgebung.

BB1 1970 I 993.

Richtlinien der Schweizerischen Bundeskanzlei vom 27. September 1985 für die Vorbereitung und Erledigung der Bundesratsgeschäfte.

66) Verordnung des Bundesrates vom 17. Juni 1991 über das Vernehmlassungsverfahren, SR 172.062.

651

472

Richtlinie für die Änderung der entsprechenden Verordnung erteilen. Die parlamen-, tarische Kontrolle bundesrätlichcr Verordnungen soll also in erster Linie einen Lerneffekt für die Parlamentarier und Parlamentarierinnen selber bewirken. Die Kommissionen haben primär von der bundesrätlichen Rechtssetzung in ihrem Bereich Kenntnis zu nehmen. Das neu gesetzte Verordnungsrecht würde zum regelmassigen Traktandum der ständigen Kommissionen, Das bedeutet nicht eine systematische Überprüfung sämtlicher Verordnungen. Dazu fehlen den Kommissionen die Mittel. Hingegen werden die Mitglieder der Kommissionen das politische Gespür haben, bei welchen Verordnungen eine solche Kontrolle angezeigt ist. Nur in solchen Fällen werden sie die entsprechenden Unterlagen anfordern.

In der Praxis dürfte die Regelung des Verordnungsrechts zusammen mit dem neuen Instrument des Auftrags dazu führen, dass die Grundzüge der geplanten Verordnungen zwischen Bundesrat und zuständigen Kommissionen im voraus besprochen werden. Das Recht zur Einflussnahme auf die Verordnungsrechtssetzung durch Kontrollen und Richtlinien dürfte insgesamt eine Entlastung des Gesetzesrechts bringen.

Damit die Kommissionen diese Kontrolle in ausgewählten Fällen vornehmen können, ist die nachträgliche Einsicht in die Entscheidungsgrundlagen des Bundesrates zu gewähren. Daraus lassen sich alle Argumente und Varianten erkennen. Der Antrag an den Bundesrat erfüllt für die Kontrolle die Funktion einer Botschaft, aus welcher sich die Bedeutung des Erlasses und der einzelnen Bestimmungen ermessen lässt. Auf dieser Basis können die parlamentarischen Kommissionen am zuverlässigsten bestimmen, ob sich die Verordnung an die Ziele und Regeln des Gesetzes hält.

Der Bundesrat wertet freilich den Einblick parlamentarischer Kommissionen in seine Akten als Verletzung des Kollcgialprinzips"'. Aus dem Antrag und den Mitbcrichlen lässt sich ablesen, welche Meinung die Mitglieder des Bundcsrates vertreten haben. Dies erschwert dann das einheitliche Auftreten nach aussen. Ob diese Begründung einer näheren Prüfung standhält, braucht hier nicht entschieden zu werden. Die Kontrolle der Verordnungen kann auch auf andere Weise sichergestellt werden, wenn der Bundesrat den Aufwand dafür leisten will.

Die Entscheidungsgrundlagen des Bundesrates beim Erlass einer Verordnung
bestehen in unterschiedlichem Umfang aus Dokumenten, die in den Antrag integriert oder ihm beigefügt sind. Der eigentliche Antrag und die Bewertung der Unterlagen durch den antragstellenden Departementsvorsteher machen nur einen Teil davon aus. Der Rest betrifft Aussagen der Fachstcllen, die auch ohne Unterschrift des Bundesratsmitglieds an das Kollegium weitergeleitet werden können. Dieses Material kann aus dem Antrag ausgegliedert und den parlamentarischen Kommissionen zur Verfügung gestellt werden. Wo der Bundesrat einstimmig entscheidet, lässt sich auch der Antrag selber ohne Verletzung des Kollegialprinzips mitliefern. Weicht der Bundesratsbeschluss allerdings vom Antrag ab, muss zuhanden der kontrollierenden Kommissionen eine angepasste Fassung der Erläuterungen erstellt werden.

ft7

> Bundcsrat, Ausbau der Verwallungskbnlrollc. BUI 1965 II 1025 ff. 1044.

473

Eine Variante zu diesem Vorgehen wäre die Schaffang eines Kommentars zur Verordnung^. Bei Erlassen, die dem Vernehm lassungs ver fahren unterstanden haben, kann dabei auf die Erläuterungen zum Vernehmlassungsentwurf zurückgc griff en werden. Der Kommentar müsste allerdings, um als Kontrollmassstab zu dienen, vom Bundesrat im Dispositiv des Beschlusses über die Verordnung gutgehcissen werden. Das könnte zur Folge haben, dass der Text des Kommentars zum Gegenstand von Anträgen im Mitberichtsverfahren wird, was den Entscheidungsaufwand erheblich vergrössern würde. Dieses Vorgehen wäre jedenfalls auf die wichtigen Verordnungen zu beschränken. Denkbar wäre, alle Verordnungen, zu denen eine Vernehmlassung stattfindet, so zu behandeln. Damit würden jene Verordnungen erfasst, die von erheblicher politischer, wirtschaftlicher, finanzieller oder kultureller Tragweite sind69'. Darüber hinaus wäre den parlamentarischen Kommissionen dus Recht zu geben, weitere Verordnungen ihrer Wahl kommentieren zu lassen.

Dieses Vorgehen ist nur zu jenen Verordnungen unumgänglich, die nicht gestützt auf eine Gesetzesrevision erlassen oder abgeändert werden. Überall dort, wo ein neues Gesetz oder eine Gesetzesrevision Anlass für die Verordnung bildet, lässt sich das Verfahren vereinfachen, wenn der Bundesrat verpflichtet wird, mit jeder Botschaft in einem besonderen Kapitel das Vollzugskonzept darzustellen. Soweit die Bundesversammlung dem Bundesrat folgt, kann dann dieses Kapitel als Massstab für die Beurteilung der Verordnungen dienen.

Gesetzliche Rechte der parlamentarischen Kommissionen bei der Kontrolle der Verordnungen beziehen sich somit auf die Einsicht in alle Entscheidungsgrundlagen, soweit der Bundesrat nicht den Schutz des Kollcgialprinzips geltend macht. Anstelle der Einsichtsgewährung kann der Bundesrat einen Kommentar zur Verordnung vorlegen.

Die Kommissionen können solche Kommentare auch sonst für einzelne Verordnungsteile anfordern. Schliesslich haben sie das Recht, ihrem Rat zu allen Inhalten einer Verordnung einen Auftrag einzureichen, mit dem der Bundesrat zu einer neuen Regelung aufgefordert wird.

33

Kommentar zu den weiteren im Verfassungsentwurf 1995 umschriebenen Kompetenzen der Bundesversammlung

In den beiden vorangehenden Kapiteln hat die Expertenkommission Rclbrmvorschläge zu den Verfassungsartikeln, welche die Kompetenzen der Bundesversammlung betreffen, formuliert. Sie ist dabei vom Verfassungsentwurf 1995 (VE) ausgegangen und hat Vorschläge zu Artikel 141 VE (Gesetzgebung) und 142 VE (Gesctz**> Solche Kommentare werden heule z. T. auf Departemcntsstufe erstellt; vgl. den Kommentar der Bundeskanzlei zur Verordnung des Bundcsraies ober die Genehmigung kantonaler Erlasse durch den Bund oder den Kommentar des EFD zur Verordnung über die Mehrwertsteuer vom 22.Juni 1994, BBI 1994 III 530. Eine Ausnahme, die formell vom Bundesrat verabschiedet worden ist, bildet das Kreisschreibcn des Bundesratcs vom 21, Dezember 1988 an die Aufsichtsbehörden über das Ptlegekinderwcsen und die AdopUonsvcrmittlung, BBI 1989 I 3 ff.

w > Verordnung des Bundesrates vom 17. Juni 1991 über das Vernchmlassungsverfahren. SR 172.062, Art. l Abs. 2 Bst. b.

474

gebung und Dringlichkeit) gemacht. Zudem hat sie in die Aufzählung der Befugnisse in Artikel 147 zwei neue Kompetenzen (Bst. abis und-h bis ) eingefügt. Ferner wurde ein neuer Artikel 147bis vorgeschlagen, welcher als «Übergangsartikel» zum 3, Kapitel über Bundesrat und Bundesverwaltung das Verhältnis von Bundesversammlung und Bundesrat regelt. In Artikel 156 VE hat sie analog zu 141 VE Vorschläge zu den Kompetenzen des Bundesrates im Bereich der Rechtssetzung gemacht.

Gemäss xlem in ihrem Mandat formulierten Auftrag hat die Expertenkommission auch die übrigen Kompetenzen der Bundesversammlung überprüft (Überprüfung von Artikel 85 BV). Sie ist auch hier nicht von der geltenden Verfassung, sondern vom Verfassungsentwurf 1995 ausgegangen. Die Expertenkommission hat keine alternativen Textvorschläge formuliert, jedoch einige Bemerkungen zu den im Verfassungsentwurf gemachten Vorschlägen festgehalten, wo es ihr notwendig schien.

Diese Bemerkungen sollen helfen, bei den weiteren Beratungen des Totalrevisionsprojekts gewisse Unklarheiten auszuräumen.

331

Artikel 143: Völkerrechtliche Verträge

Artikel 143 VE nimmt die bisherige Bestimmung von Artikel 85 Ziffer 5 B V auf.

In Kombination mit Artikel 158 Absatz 2 gibt er geltendes Verfassungsrecht und geltende Verfassungspraxis wieder. Allerdings ist der Expertenkommission aufgefallen, dass in Artikel 143 VE zwei Kategorien von Verträgen genannt werden: solche, welche die Bundesversammlung zu genehmigen hat, und solche, zu deren Abschluss der Bundesrat ermächtigt ist. Artikel 158 Absatz2, welcher die entsprechenden Kompetenzen des Bundesrates festhält, enthält hingegen drei Kategorien von Verträgen: zu den beiden in Artikel 143 genannten kommt noch die Kategorie von Verträgen hinzu, welche der Bundesrat selbständig abschliessen kann, wobei die nachträgliche Genehmigung durch die Bundesversammlung «grundsätzlich» vorbehalten bleibt. Die Expertenkommission sieht hier einen Klärungsbedarf, indem die beiden Artikel aufeinander abzustimmen sind. Sie hat sich auch die Frage gestellt, ob es nicht einfacher wäre, in der .Verfassung nur festzuhalten, dass die Bundesversammlung die Verträge genehmigt und auf Gesetzesebene (z. B. im Geschäftsverkehrsgesetz) Ausnahmen davon festgehalten werden können, ausser für dem Referendum unterstehende Verträge.

332

Artikel 144: Finanzbefugnisse

In Artikel 144 VE, welcher Artikel 85 Ziffer 10 BV entspricht, wurde neben der Festsetzung des Voranschlags und Abnahme der Staatsrechnung auch das Recht, Ausgaben zu beschliessen, als weitere Kompetenz der Bundesversammlung aufgenommen. Die Expertenkommission stellt sich die Frage, warum diese dritte Finanzkompetenz im Verfassungsentwurf erwähnt wird. Sie ist der Ansicht, dass Ausgabenbeschlüsse einen Ausßuss der Budgetkompetenz darstellen und es zu Missverständnissen führen kann, sie als eigenständige Kompetenz aufzuführen. Das Parlament verfügt über die Budgetkompetenz, in welcher die Befugnis, über besondere Ausgaben zu beschliessen, inbegriffen ist. Nach Meinung der Expertenkommission soll nicht für den Bund - ähnlich wie in zahlreichen Kantonen - künftig bei Ausgaben kumulativ das Erfordernis eines Budgetkredites sowie einer förmlichen Ausgabenbewilligung verlangt werden. Sie schlägt deshalb vor, den Ausdruck «beschliesst die Ausgaben des Bundes» zu streichen.

475

333

Artikel 147: Weitere Aufgaben und Befugnisse

Artikel 147 VE entspricht dem «Sammelartikel» 85 B V.

333.1

Artikel 147 Absatz l Buchstabe a, b und e: Beziehungen zum

Ausland, zu den Kantonen sowie innere Sicherheit In diesen drei Bestimmungen wird im deutschen Text der Begriff «beau l sichtigen» verwendet: die Bundesversammlung beaufsichtigt die Pflege der Beziehungen zum Ausland (Bst. a); sie beaufsichtigt die Wahrung der inneren Sicherheit (Bst. b) und sie beaufsichtigt die Pflege der Beziehungen zwischen Bund und Kantonen (Bst. e).

Die Expertenkommission ist der Ansicht, dass der Begriff der «Aufsicht» hier nicht zutrifft, wird doch dadurch das Verhältnis zu Artikel 146 unklar, welcher die Aufsichtskompetenz begründet.

Der in Artikel 147 Absatz l Buchstabe a. b und e verwendete französische Begriff scheint der Expertenkommission sinnvoller: «veiller» bedeutet nicht beaufsichtigen im Sinne von «surveiller»; d. h. die Bundesversammlung «überwacht» nicht einfach die Tätigkeil der Bundesrates in den entsprechenden Bereichen (das tut sie aufgrund von Art. 146). sondern kümmert sich im Rahmen ihrer Kompetenzen um die Beziehungen zum Ausland usw. Es müsste also im deutschen Text ein analoger Begriff zu «veiller» gefunden werden.

Die Expertenkommission ist zudem der Ansicht, dass in Buchstabe a an Stelle der «Kann»-Formulierung präziser formuliert werden sollte: «sie nimmt Einfluss auf die Gestaltung der Aussenpolitik».

Gemäss Artikel 147 Absatz I Buchstabe e VE gewährleistet die Bundesversammlung die Kantonsverfassungen. Im Kommentar zu Artikel 160 VE, welcher die Kompetenzen des Bundesrates gegenüber den Kantonen regelt, wird der Vorschlag gemacht, dass in unumstrittenen Fällen diese Gewährleistung durch den Bundesrat vorgenommen werden kann.70) Die Expertenkommission erachtet diesen Vorschlag als nicht zweckmassig: Aufgrund der Bedeutung von Verfassungen sollten diese durch die Bundesversammlung gewährleistet werden.

333.2

Artikel 147 Absatz l Buchstabe c: Notrecht

Buchstabe c bedeutet wie auch Artikel 159 Absatz 3 VE die Kodifizierung von Notrecht. Die Expertenkommission erachtet die Formulierung «ausserordentliche Umstände» als zu offen und empfiehlt, sich in diesem Bereich an entsprechenden Formulierungen in neueren Kantonsverfassungen zu orientieren. Dort werden die ausserordentliehen Umstände mit «eingetretene oder unmittelbar drohende Störungen der öffentlichen Ordnung und Sicherheit sowie soziale Notstände» umschrieben. 71)

701 71)

Vgl. Erläuterungen zum Verfassungsentwurf. S. 186.

So zum Beispiel in An. 91 KV BE, §91 KV AG. Art. 79 KV SO und §74 KV BL. Vgl.

dazu Kälin/Bolz(Anm.. 5l). S. 490.

476

333.3

Artikel 147 Absatz 1 Buchstabe g: Gultigkeit von Volksinitiativen

Eine Prufung der Frage, ob die Bundesversammlung odcr das Bundesgcrieht uber die Gultigkeit von Volksinitiativen cntscheidet, gchort nicht zum Mandat der Expertenkommission. Artikel 147 Absatz f Buchstabe g dcs nachgefuhrtcn Verfassungsentwurfs ubertragt diese Kompetenz wie bisher der Bundesversammlung. Artikel 163 des Reformpakets Volksrcchie («blauer» Entwuif) sieht vor, dass die Bundesversammlung das Bundesgcricht anruft, wenn sie Zweifel uber die Giilligkeit cincr Volksinitiative hat. Die Mchrhcit der Expertcnkommission wiirdc diese Variante vorziehen.

333.4

Artikel 147 Absatz I Buchstabe h: Grundsatze fiir die Organisation der Bundesbehorden

Die Expertenkommission empfichlt, in Buchstabe h von Grundzugen und nicht von Grundsdtzen fur die Organisation der Bundesbehorden zu sprcclicn. Grundsiitze stellen cinen engeren tcchnisclien Bcgriff dar und bedeutcn Organisationsgrundsatzc. Das Parlament legt abcr nicht diese Organisationsgrundsiitze fcst, sondern die Grundziige der Rcgierungs- und Verwaltungsorganisation. Im franzosischcti Text ware entsprcchcnd von «Iignes directriccs» oder von «prmcipe i » directeurs» zu sprcclicn.

34 341 341.1

Schaffung eines Organs zur Evaluation staatlicher Massnahmen Die Evaluation Gewaltenteilung und staatliche Massnahmen

Wie unter den Ziffern 21 und 22 ausgcfiihrt, kommt hcute der Gewaltenteilung im Wertgefuge unscrer Staatsordnung cine differenzierte Bedeutung zu. Sie hat nicht niehr nur die ubcrgcordnetc Funktion, die Freilieit der Burger und Burgerinnen zu gewahrleisten, sondern auch die untergeordnete Funktion, die Kompetenzen unter den staatlichen Einrichtungen so aufzuteilen, dass die staatlichen Aufgaben am besten erfullt werden konnen. Diese Aufteilung .bedingt die einigenden Elemenie der Planung und Koordination (unter dem klassischen Gewaltcmeilungsmodell kam diese Aufgabe der Institution des Gesetzes zu).

Im Unterschied zum Gesctz, das als einmaliger und hochster Akt aufgeiasst und deshalb eincm einzigen Organ - dem hochsten Organ - iibertragen werden konnte, stellen Planung und Koordination nicht einen Akt und schon gar nicht cinen eiwualigen Akt dar, sondern sie sctzcn verschiedene Staatshandiungen, verschiedene Behorden und verschiedene Gemehwesen in Beziehung zueinander und stimmen sie aufeinander ab. Es gcht Iblglich urn cine gemeinsame Steuerung verschiedencr Prozesse. Diese Steuerung kann, soil sic ein tauglichcs Instrument sein, nicht eineni einzigen Organ iibcrlassen werden, weil kcin Organ iiber alle hiefiir erlbrdcrlichen Qualifikationcn verlugt. Diese Steuerung muss das Ergcbnis gemeinsamen und nicht gctrenntcn Wirkcns sein. Sic hat nicht direkt Vorschriften hcrvorzubringcn, sondern vcrschalTt die Grundlagen, wclchc fur die Diskussion iiber die Inhalte der Entscheidc notig sind, die ein Organ in Zusammcnarbeit mil den andcren Organcn fassen muss. Damit werden die Voraussctzungen f'iir elTektive, wirksame und cl'fizienic staatliche Massnahmen gcschalTen.

·177

Staatliche Massnahmen sind ein koordiniertes Ganzes verschiedener Prozesse.

Demzufolge kann deren Beurteilung nicht als Kontrolle einer Behörde über eine andere verstanden werden, denn hier geht es darum, die Mitwirkung jedes einzelnen Akteurs (einschliesslich des Gesetzgebers) zu untersuchen und folglich eine umfassende Sicht einer Gesamtheit zu erlangen, innerhalb der jeder Eingriff (rechtlicher, finanzieller oder administrativer Art) nur einen Faktor darstellt. Genau hier setzt die Evaluation an.72) An dieser Stelle ist auf die zwei Seiten der Evaluation hinzuweisen, die häufig deswegen nicht als solche wahrgenommen werden, weil die Evaluat Ionen heute zumeist von Experten durchgeführt werden: Einerseits geht es durchaus um die technische Seite der Erforschung und Analyse der Resultate und Leistungen staatlichen Handelns: andererseits enthält die Evaluation auch ein politisches Element, da sie von einer ganzheitlichen Erfassung der Ziele und der für ihre Erreichung eingesetzten Ressourcen ausgeht, was nicht mehr eine Expertenfrage, sondern eine Frage des politischen Entscheides ist.

341.2

Zuständigkeit für die Evaluation

Mit der Evaluation öffnen sich somit zwei Problemfelder, Das eine betrifft die Instrumente und Kriterien, anhand deren die Leistungen der Verwaltung, deren Wirkungen und Einflüsse- gemessen werden. Das zweite betrifft den Vergleich der so festgestellten Ergebnisse mit den zuvor definierten und koordinierten Programmmzielen. Von welchem Punkt an können diese Ziele als erreicht betrachtet werden, und welche Korrekturen sind allenfalls vorzunehmen?

Das erste Problemfcld scheint rein technischer Natur zu sein. Bekanntlich aber sind Entscheide über das methodische Vorgehen bei weitem nicht immer ideologisch neutral und können zuweilen politische Inhalte in sich bergen. Umgekehrt erfordert das zweite Problemfeld - die Evaluation der Ziele, die immer auch auf einer Koordination und somit einer Abwägung der beteiligten Interessen beruhen - ausreichende Informationen und hat somit ebenfalls einen technischen Aspekt. Eine Evaluation enthält somit naturgemäss immer zugleich politische und technische Elemente.

Andererseits ist die - prospektive wie die retrospektive - Evaluation heute aufgrund ihrer ganzheitlichen Betrachtungsweise ein politischer Akt par excellence: Sie rechtfertigt die Annahme eines Programmes, steuert die Ausarbeitung staatlicher Massnahmen, beurteilt deren Wirkungen, empfiehlt Anpassungen, Korrekturen oder gar die Aufhebung dieser Massnahmen. So gesehen erscheint das Gesetz oder im weiteren Sinne die Gesetzgebung als eine Phase im staatlichen Handeln, die der Gesetzesausarbeitung folgt und die auf die Anwendung durch Verwaltung und Justiz vorbereitet und in der die staatlichen Massnahmen (und damit das Gesetz 72)

Auswahlbibliographie zum Thema Evaluation im allgemeinen: AGEVAL (Arbeitsgruppe «Gesetzesevaluation»). Die Wirkungen staatlichen Handelns besser ermitteln, EJPD, Bern 1991: Werner Bussmann, Evaluationen staatlicher Massnahmen erfolgreich begleiten und nutzen, Chur/Zürich 1995; Werner Bussmann (Hrsg.). Lernen in Verwaltungen und Policy-Netzwerken. Chur/Zürich 1994; Katia Horber-Papazian (éd.). Evaluation des politiques publiques en Suisse, Lausanne 1990: Luzius Mader. L'évaluation législative. Pour une analyse empirique des effets de la législation. Lausanne 1985; Charles-Albert Morand.

L'évaluation législative ou l'irrésistible ascension d'un quatrième pouvoir». In: Contrôle parlementaire et évaluation. La documentation française. Pans 1995. S. 133 ff., und : L'obligation d'évaluer les effets des lois». In: Evaluation législative et lois expérimentales, A ix-en-Provence 1993. S. 82 ff.

478

selbst) bei Bedarf korrigiert werden: Das Gesetz ist somit ebensosehr Evaluationsgegenstand wie die Tätigkeit der Verwaltung (und der Justiz).

Deshalb führt die - gleichzeitig technische und politische - Evaluation nur selten zu einer eindeutigen Beurteilung, denn eine gute Evaluation muss ein ganzes Lösungsspektrum anbieten, wenn sie der politischen Dimension gerecht werden will, die sowohl dem methodischen Vorgehen als auch der gegenseitigen Gewichtung der Zielvorgabcn anhaftet. Mit anderen Worten: Die Evaluation zwingt nie nur eine einzige Lösung auf, sondern liefert jeder Institution eine Grundlage für deren Entscheide innerhalb ihres Zuständigkeitsbereiches; dabei ermöglicht sie vor allem eine Koordination mit den Entscheiden, welche die anderen Stellen innerhalb ihres eigenen Kompetenzbereiches zu fällen haben. Eine Evaluation mit Entscheidungskompetenz stünde im Widerspruch zum Wesen der Evaluation, die im Gegenteil eine Methode innerhalb eines Entscheidungsprozesses ist und daher nicht einem Entscheidungsorgan und noch viel weniger einem einzigen Entscheidungsorgan übertragen werden kann.

Aber wer ist nun zuständig für die Evaluation? Wir gehen hier von der These aus, dass kein staatliches Organ in der Lage ist. eine Evaluation alleine durchzuführen.

Das Parlament hat nicht die Möglichkeit, die dazu erforderliche Kontinuität zu gewährleisten. Deshalb fehlt es ihm an der dauerhaften, koordinierten Gesamtsicht, denn eine Evaluation beansprucht viel Zeit, erfordert Kenntnisse des Umfeldes und setzt eine kontinuierliche Wahrnehmung der Wechselwirkungen voraus. Die Regierung ist ebensowenig in der Lage dazu, weil ihr die Legitimation zur Definition und allgemeinen Koordination von Zielen fehlt. Die Verwaltung ihrerseits hat eine allzu sektorielle Sicht. Und doch verlangt die Evaluation (wie auch die Gesamtheit der Folgemassnahmen) diese drei Eigenschaften: die Befugnis, eine repräsentative politische Diskussion zu führen, die dauerhafte Gesamtsicht über die Umsetzung einer Gesamtheit von staatlichen Massnahmen, die technischen Kenntnisse des Umfeldes.

Das Problem besteht somit darin, eine Institution zu orten, welche die Planung und Koordination einer permanenten Analyse unterziehen kann, eine Institution, zu der Parlament, Regierung und Verwaltung Zugang haben und die umgekehrt zu Parlament,
Regierung und Verwaltung Zugang hat, ein neues staatliches Organ also, das selbst den Gesetzgeber evaluieren könnte, obschon (oder gar weil) es keine Entscheidungsbefugnis hat. Im folgenden werden die Grundzügc einer solchen Institution umrissen.73)

342

Einige Vorstellungen über eine unabhängige Evaluationsstellc

Was ist die Aufgabe eines solches Evaluationsorgans? Wie soll es organisiert sein?

Wie ist seine Arbeitsweise? Welches sind seine Beziehungen zu anderen Institutionen? Dies sind Fragen, die im Hinblick auf die Schaffung eines Evaluationsorgans zu stellen und gesetzlich zu regeln sind. Im folgenden werden einige Überlegungen zu diesen Fragen angestellt, die als Grundlage für die Erarbeitung eines cntsprc-

73)

Als Anregung für die mögliche Ausgestaltung einer solchen Institution vgl. auch: Loi genevoise du 19 janvier 1995 sur la surveillance de la gestion administrative et financière et l'évaluation des politiques publiques.

479

chenden Gesetzes dienen können. Schliesslich wird auch ein Vorschlag für eine verfassungsrechtliche Basis eines solchen Organs gemacht,

342.1

Aufgabe

Die Aufgabe der zu schaffenden Stelle lässt sich als «unabhängige Evaluation staatlicher Massnahmen» umschreiben. Im folgenden werden die einzelnen Begriffe dieser Definition näher erläutert: Staatliche Massnahmen: Jeder Massnahmenkomplex (rechtlicher, finanzieller, administrativer Art), der darauf abzielt, eines oder mehrere Ziele zu verwirklichen, und der eine Reihe von Zuständigkeiten schafft und somit Kohärenz und Koordination zwischen den Organen des Bundes (einschliesslich der Bundesversammlung) und zwischen den staatlichen Ebenen (Bund. Kantone, Gemeinden) verlangt.

Evaluation; Beurteilung der Effektivität. Wirksamkeit und Effizienz der staatlichen Massnahmen: Aufzeigen der wichtigsten politischen Faktoren, ohne sich dabei über die politische Zweckmässigkeit der möglichen Optionen zu äussern: Aufzeigen der methodologischen Ungewissheiten der Evaluationstechniken und den dadurch entstehenden politischen Nischen. Die Evaluation ist eine Entscheidungshilfe ohne eigene Entscheidungsbefugnis.

Unabhängig: Das Evaluationsorgan hat sich nicht nach politischen Weisungen oder den Anordnungen einer übergeordneten Stelle zu richten, ES geht darum, soweit als möglich Sachlichkeit zu wahren. Sachlichkeit bedeutet in diesem Zusammenhang, dass Erkennbares, und zwar alles Erkennbare und nur Erkennbares festgehalten wird.

Es handelt sich nicht um eine parlamentarische Kontrolle über die Verwaltung, wenn unter Kontrolle die Überprüfung der Aufgaben und Anforderungen (z. B.

Gesetzeskonformität, Zweckmässigkeit, Sparsamkeit) verstanden wird, die dem Kontrollierten durch den Kontrollierenden gestellt wurden. Evaluieren heisst nicht kontrollieren: Einerseits geht es nicht darum zu überprüfen, ob Anordnungen (Gesetze usw.) befolgt werden, sondern es geht um deren «Nutzen», deren «Ökonomie» und «Ökologie«; andererseits befasst sich die Evaluation nicht nur mit der Gesetzesdurchführung («Implementation»), sondern mit dem daraus sieh ergebenden staatlichen Handeln insgesamt, wovon das Gesetz einen Teil bildet, das gegebenenfalls Auslöser dieses staatlichen Handelns ist. Deshalb ist es nötig, dass die Evaluationsstelle von jeder staatlichen Behörde und selbst vom Gesetzgeber unabhängig ist.

342.2

Organisation

Die Evaluationsstelle muss so organisiert sein, dass dadurch deren Unabhängigkeit gewährleistet wird.

Man kann sich dabei vom Prinzip der Ombudsstelle leiten lassen, denn die Evaluations- wie die Vermittlungstätigkeit setzen dieselbe moralische Autorität und dieselbe Unabhängigkeit voraus und beide Institutionen haben keine Entscheidungsbefugnis.

Die Lösung wäre also eine (verfassungsmässig eingesetzte) Magistratsperson, die von den eidgenössischen Räten für die Dauer einer Legislatur gewählt würde, oder möglicherweise auch ein Kollegium. Denkbar wäre auch, der Leitung dieses

480

Organs einen wissenschaftlichen Rat beizusetzen, der von der Leitung (eventuell unter der Zustimmung der Koordinationskonferenz der Bundesversammlung) selbst ernannt würde.

Das Organ hätte jedes Jahr dem Parlament über seine allgemeinen Tätigkeiten zu berichten. Das Parlament hätte von diesem Tätigkeitsbericht lediglich Kenntnis zu nehmen. Hingegen müsste das Organ dem Parlament zu jeder Studie speziell Bericht erstatten.

Der Verwaltungskörper der Evaluationsstelle wäre möglichst klein zu halten, um zu vermeiden, dass sich ein allwissendes «Evaluatoren-Korps» herausbildet. Die Untersuchungen wären deshalb so oft als möglich an Drille zu vergeben (vgl. Kap.

«Arbeitsweise»).

Die Institution könnte zunächst und in erster Linie vom Parlament (einer Kommission, einer Gruppe von Parlamentariern) oder vom Bundesrat angegangen werden, doch wäre sie nicht verpflichtet, sich mit einer Angelegenheit zu befassen, weil sie in der Wahrnehmung ihrer Aufgaben unabhängig sein und die Möglichkeit haben soll, über ihre Ressourcenverwendung selbst zu bestimmen (denn eine Überlastung würde sehr schnell zu Wirkungslosigkeit führen). Sie könnte also einen Evaluationsauftrag ablehnen, sei es, weil sie dem Problem zu wenig Bedeutung beimisst, weil das Problem von der Verwaltung selbst objektiv untersucht werden kann oder weil eine parlamentarische Kommission besser in der Lage ist, sich damit zu befassen usw. Sie könnte sich von Amtes wegen auch auf eigene Initiative hin oder auf Anregung eines Dritten (beispielsweise einer Kantonsregierung) mit einer Angelegenheit befassen.

Der Unterschied zwischen einem E v a l u a t i o n s a n t r a g durch das Parlament oder den Bundesrat und jenem durch einen Dritten wäre, dass die Evaluationsstelle im crstcren Fall ihren Nichteintretensentscheid begründen (oder die Fragestellung umformulieren) müsste, während sie im zweiten Fall lediglich über ihren ablehnenden Entscheid zu informieren hätte.

Die Evaluationsstelle wäre nicht an den Wortlaut des Mandates gebunden und könnte die Fragestellungen umformulieren, ergänzen oder einschränken,

342.3

Arbeitsweise

Es gilt zu vermeiden, dass das Evaluationsorgan zu einem geschlossenen Zirkel von Evaluationsexperten mil eigener Lehrmeinung wird. Deshalb müsste für einen gewissen Pluralismus in der Methodik, eine Öffnung gegenüber Innovationen und unorthodoxe Denkweisen gesorgt werden.

Das Organ könnte die Untersuchungen und Nachforschungen selbst vornehmen.

Doch könnte es diese Arbeit - sogar vorzugsweise - auch an einen externen Experten vergeben. Um eine konkurrierende und differenzierte Ausleuchtung der Problematik sowie grösstmögliche Unabhängigkeit zu gewährleisten, könnte die Evaluation auch mehreren externen Experten übertragen werden: privaten Büros,Hoch-schulinstituten und sogar der Verwaltung. Diese externen Stellen hätten sich nach einem klar formuliertenPflichtenheftt des Evaluationsorgans zu richten. Dabei müsste ihnen der freie Zugang zu allen relevanten Informationsquellen durch einsprechende Regelungen garantiert werden. DerSchlussberichtt müsste nach Anhörung der Auftraggeber und betroffenen Stellen allerdings v o m E v a l u a t i i o n s o r g a n selbst erstellt werden.

481

D a s Schlussdokument, d e r Evaluationsbericht, mireann d a s Parlament und W a s dasParlamenttbetrifft,,müsstee dcrBerichtlnatürlichhnichtt vom Plenum, Von zentraler Bedeutung ist, dass dcr Bericht zuvor publiziert würde, damit eine öffentliche Diskussion stattfinden kann. Heute werden Evaluationcn als vertrauliche, wenn nicht gar geheime Oder, falls sic von dcr Verwaltung erstcllt wurden.

interne Dokumente behandelt. Werden sie von Dritten erstellt (beispielsweise mil der Unterstützung des Schweizerischen Nationalfonds zur Förderung. dcr wisscnschaftlichen Forschung), so bleiben deren Ergebnisse einem engen Spczialistcnkreis vorbehalten. Fur eine Veröffentlichung von Evalualionen spricht indessen, dass sic einen wesentlichen Bcilrag zur demokratischen Diskussion um die Beurteilung der Rechtmässigkeit und Richtigkeit staatlicher Massnahmenentscheide leisten (vorbehalten blcibcn allerdings die Bestimmungen. wonach Informalionen zu unterlassen sind, die schutzwürdige öffentliche odcr private Interessen verletzen würden).

342.4

Beziehungen zu andcrcn Organen

Bekanntlich befasscn sich gewisse Organe des Bundes bcreits mil Evaluationen und Verwaltungskontrollen. Hier ist darauf hinzuweisen, dass die Schaffung eines Evaluationsorgans keine Doppelspurigkeiten mil sich brächte, sondern im Gcgcnteil einc klare Abgrenzung zwischen grundverschiedenen Ansätzen ermöglichen würde.

Durch entsprechende organisatorische Vorkehrungen liessen sich die Tätigkeiten dcr verschiedenen bestehenden Organe (Parlamentarische Verwaltungskontrolle.

Verwaltungskontrolle des Hundesrates und Eidgenössische Finanzkontrolle) im Bereich der Evaluation staatlicher Massnahmen sicher besscr koordinicrcn und systematisieren, wodurch vermehrt Syncrgicn erzielt wcrden könnten Allcrdings sind alle dicsc Stellcn von einer Kontrollperspektive geprägt. Das gleiche gilt für die Institution des Rechnungshofes, wie sic zum Beispiel Deutschland und Frankreich kennen. Beim Rechnungshof steht zudem der finanzielle Aspckt im Vordergrund. I Her soll deshalb einen Schritt weitergegangen und cine Stclle vorgeschlagen werden, die sich von ihrem Ansatz lier in folgenden bcidcn Punktcn von bestehenden Stellen unterscheidet: - Das erste Unterscheidungsmerkmal des Organs und seiner - eigenen oder an Dritte vergebenen - Evaluationcn ist die Unabhängigkeit und demzufolge die Gewährleistung von Sachlichkeit. Dicse Unabhängigkeit schlitzt das Evaluationsorgan vor institutioneller Druckausübung administrativ-hierarchischer odcr (partei) politischer Art. DicseUnabhängigkeittverschaffti ihmauchi einc - Das zweite Unterscheidungsmerkmal sind die Evaluationsgegenstände und -kritcrien. Das Evaluationsorgan kontrolliert nicht, ob irgend eine Behörde die Anordnungen einer übergeordneten Behörde befolgt hat: Die Evaluation überprüft nicht, ob Normen oder Kriterien eingehalten wcrden, da die Normen und Kriterien ebenfalls Gegenstand der Evaluation bilden. Zudem ist die Anzahl der Evaluationskriterien offen, d. h. die Kriterienfestlegung ist nicht vorgegeben.

Die Evaluationen des neuen Organs unterscheiden sich von den Kontrollen dcr bestehenden Organe wie folgt:

482

Die klassische Venvaltungskontrolle (lurch das Parlament überprüft vor allem, ob die Verwaltung die vom Parlament übertragenen Aufgaben richtig erfüllt und ob Vollzugsmängel bestehen; sie bezieht sich einerseits auf Verwaltungssektoren und erscheint andererseits als Ausdruck der Stellung der Legislative als oberster Gewalt. Dem steht der ganzheitliche Ansatz des unabhängigen Evaluationsorgans gegenüber, das sich mit politischen Programmen und deren Umsetzung bcfasst und dessen Interesse nicht nur der Umsetzung durch die Verwaltung gilt, sondern auch den vom Gcsetzgeber getroffenen Massnahmen (weshalb das Organ autonom sein muss) und schliesslich ihren Auswirkungen im privaten Sektor (direkte Adressaten und andere Betroffene der Massnahmen). Die Auseinanderhaltung von Vcrwaltungskontrolle und Evaluation staatlicher Massnahmen ermöglicht es, diesen beiden grundverschiedenen Ansätzen effizienter gerecht zu werden.

Von der Finanzkontrolle unterscheidet sich die Evaluation überdies durch ihr breites Kriterienspektrum: Sie muss in der Tat eine Gesamtsicht über alle (öffentlichen, gegebenenfalls abcr auch privaten) Interessen haben, die von einer bestimmten staatlichen Massnahme begünstigt odcr aber beeinträchtigt werden. Der sinnvolle Einsatz öffentlicher Mittel bildet deshalb nur einen kleinen Teilaspekt der Evaluation, da sic die Zielsetzungen selbst zum Gegenstand hat. Auch handelt es sich bei der Evaluation nicht um eine standige Aufsicht wie bei der Finanzkontrolle, sondem im Gegenteil um eine jc nach Mandat mehr odcr weniger vertiefte Analyse bestimmter Bereiche, in denen sich ein Evaluationsbedarf bemerkbar macht.

Von den Evaluationen, die innerhalb der Verwaltung durchgeführt werden, unterscheidet sich die Kompetenz des unabhängigen Organs einerseits durch das Fehlen jeglichen hierarchischen Drucks und jeglicher Prämissen - sie ist nicht in der Position von jemandem, der ctwas zu beweisen hat -, andererseits durch die Publizität, die sic ihren Evaluationen zugebenn hat.

342.5

Verfassungsgrundlage

Obwohl von der Rechtsordnung nicht verlangt, ware eine verfassungsmässige Vcrankerung dieser Institution wünschenswert, denn dies ware das bcste Mittel, ihren Aufgaben und ihrer Autonomie Legitimität zu verschaffen. Dementsprechend konnte die Verfassungsbestimmung auch den Wahlmodus festlegen:

Verfassungsentwurf 1995 5. Titel Die Bundesbehörden 5. Kapitcl: Evaluation staatlicher Massnahmen Art. 166bis Stellung und Wall l des Evaluationsorgans Ein unabhängiges Organ beschäftigt sich mit der Evaluation staatlicher Massnahmen. Seine Leitung wird von der Bundesversammlung gewählt.

Es ernennt seine Bediensteten selbst.

Bevor allerdings eine solche Bestimmung angenommen wird und um zu vermeiden, dass sie toter Buchstabe bleibt, müsste Gewissheit darüber bestehen, ob das Parlament ein solches Organ will. Es ware deshalb von Vorteil, zuvor ein Gesetz auszuarbeiten und dieses gleichzeilig mil dem Verfassungsartikel zu verabschieden, 483

35

NPM-Steuerung durch die Bundesversammlung in einem Modell wirkungsorientierter Verwaltungsführung

Die Expertenkommission befürwortet eine Reform parlamentarischer Steuerungsinstrumente, um den Grundsätzen der Verwaltungsführung Rechnung zu tragen, wie sie im Rahmen der jüngsten «New-Public-Management»-Bewegung erneut bzw.

neu zur Diskussion gestellt wurden. Im Hinblick auf die bevorstehenden NPMPilotprojckte, wie sie unter dem neuen Regierungs- und Verwaltungsorganisationsgesetz (RVOG) vom 6. Oktober 199574) ermöglic'ht werden, wird versucht, die Bundesversammlung in einem künftigen NPM-Steuerungsmodell zu positionieren.

Nach einer einführenden Übersicht über bestehende Defizite und Mängel verschiedener bedeutender parlamentarischer Steuerungsinstrumente sowie einer kurzen Vorstellung der New-Public-Management-Philosophie wird ein konkreter Vorschlag für eine NPM-Steuerung im Bund skizziert, und es werden Vorstellungen über die Rolle des Parlaments sowie die Reform seiner Steuerungsinstrumente entwickelt. Auf einige wesentliche Grundsatzfragen soll anschliessend besonders hingewiesen werden. Das Kapitel schliesst mit zusammenfassenden Thesen im Sinne von Empfehlungen an die Bundesversammlung.

351

Parlamentarische Steuerungsinstrumente und ihre Mängel

Die in Ziffer 221 skizzierten Schwierigkeiten politischer Steuerung in der postindustriellen Gesellschaft können wie folgt konkretisiert werden:75) - Komplexität und Verflechtung der Probleme wachsen. Die Wechselwirkungen bestimmter Ereignisse und Handlungen sind kaum noch überschaubar.

- Vorausseh barkeit und Berechenbarkeit künftiger Entwicklungen nehmen ab.

Eine langfristige rationale Planung ist deshalb kaum noch möglich. Die Geschwindigkeit der Veränderung nimmt zu und damit die Halbwertzeit des Wissens ab. Routinen verlieren an Bedeutung.

- Fragmentierung und Ausdifferenzierung der Gesellschaft schreiten voran. Die Zahl der massgeblichen Konfliktlinien nimmt zu. Unter diesen Bedingungen streben Interessen immer weiter auseinander. Die Prozesse der Konsenssuche werden damit langwieriger und schwieriger, - Entscheidungen, die das Zusammenleben in der Gesellschaft regeln, lallen mehr und mehr ausserhalb von Staat und Politik. Das Gemeinwohl wird zunehmend durch komplementäre öffentliche und private Beiträge verwirklicht; der Staat ist auf die Mitwirkung von privaten oder gemischten Organisationen angewiesen.

- Durch die Vielzahl von Informationen ist ein «information overload» entstanden.

Die Selektion der relevanten Information ist zum Problem geworden.

74)

751

Vgl. BBl 1995 IV 451 ff. (Referendumsvorlage): BBl 1993 III 997ff. (Botschaft vom 20. Oktober 1993). Allerdings ist darauf hinzuweisen, dass gegen das Gesetz das Referendum ergriffen wurde. Die liier interessierenden Bestimmungen, insbesondere Art. 51 (Entwurf Art. 49), waren allerdings im Parlament politisch nicht umstritten. Sie dürften im Falle einer Verwerfung der Vorlage durch das Volk in neuer Form wieder vorgebracht werden, womit die nachstehenden Ausführungen ihre Aktualität behalten.

In Anlehnung an Hermann Hill, Gesetzgebung in der postindustriellen Gesellschaft, in: Zeitschrift für Gesetzgebung 1/95. S. 82 ff.

484

Innerhalb dieser neuen gesellschaftlichen und politischen Rahmenbedingungen ist das bestehende staatliche Steuerungsinstrumentarium in eine Krise geraten. Diese wirkt sich auf der Stufe des Parlaments besonders gravierend aus. Im folgenden seien verschiedene, fur die Bundesversammlung bedeutende Steuerunginstrument kurz dargestellt und einige Probleme skizziert, wie sie in jüngster Zeit verstärkt in kritischen Stellungnahmen vorgebracht wurden. Die in den vorangehenden Abschnitten (Ziff. 31-34)präsentiertenn Vorschlage sind zum Teil ebenfalls Antworten auf die nachstehend dargestellten Mangel parlamentarischer Steuerungsinstrumente.Etlichee der im folgenden dargelcgten Probleme sind deshalb dort schon aufgezeigt worden. Hier geht e s darum, d a s bestehende Instrumentarium u n d

351.1

Das Gesetz

Dem Gesetz kommt im modernen Hochleistungsstaat eine zentrale Bedeutung zu.76) Es ist «Angelpunkt oder Drehscheibe dcs liberalen Rechtsstaates».77) Die Gesetzgebung steht der Bundesversammlung unter Vorbehalt des Referendumsrechts zu (Art. 85 Ziff. 2 i. V. mil Art. 89 BV). Das Gesetz sorgt dank der breiten Repriisentanz dcs Parlaments sowie des Referendumsvorbehalts fur eine hohe demokratische Legitimation grundlegender staatlicher Entscheidungen. Es garantiert in vielfaltiger Weise die grundrechtskonforme Ausübung staatlichen Handelns, insbesondere unter Aspekten der Rechtsgleichheit. Der Grundsatz des Vorbehaltes des Gesetzes als Teilaspekt des Legalitätsprinzips bildet eine wesentliche Grenze staatlicher Tätigkeit.

Allerdings wird seit langem ein Funktionsverlust dcs Gesetzes beobachtet.78) Probleme und Schwächen des klassischen Gesetzes als Steuerungsinstrument scheinen sich im Umfeld der postindustriellen Gesellschaft zu verstärken: - Traditionelle Gesetzgebung vermag den modernen Anforderungen an staatliche Steucrung immer wcniger gerecht zu werden; es wird immer schwieriger, durch generell-abstrakte Regelungen auf lange Sicht Probleme zu lösen.

- Das Geselz hat den erforderlichen Wandel vom klassisch liberalen Schutz- und Begrenzungsinstrument zum heute notwendigen polyvalenten Steuerungsmittel unter Einbezug von Planungs-, Koordinations- und Lenkungsfunktionen (noch) nicht geschafft. Es vermag notwendige Gestaltungsaufgaben zunehmend nicht mehr zu erfüllen.

- Der Gesctzgeber kommt vielfach zu spät, well das Gesetzgebungsverfahren zu langsam ist.

- Neue Sachverhalte und Konstellationen sowie Umgehungsmöglichkeiten erschüttern die Verbindlichkeit und Allgemeingültigkeit bestehender Normen. Gesetz und gelebtes Recht weichen immer mehr voneinander ab.

76) 771 78)

Vgl. allgemein zur Funklion von Recht und Gesetz: Georg Müller (Anm. 35) S. 6ff.; Seller (Anm. 10). S.76ff.

Seller (Anm. 9), S. 76 mil Verweisen.

Vgl. z. B. Kurt Eichenberger, Hochleistungsverwaltung des entfalteten Sozialstaates. In: Festschrift Ulrich Häfelin, Zurich 1989, S.450f.; Klaus Lange. Staatliche Steuerung ans rechtswissenschaftlicher Perspektive. In: König/Dose, Instrument und Formen staatlichen Handelns. Köln u.a... S. 173 IT.

485

- Das heutige Gesetz kennt keine Verknüpfung zwischen Aufgaben (Leistungen) und Ressourcen.

- Gesetzgeberische Festlegungen drohen aufgrund der Ausgabenintensität des modernen Leistungsstaates sowie der Krise öffentlicher Haushalte zunehmend über die Finanzgewalt übersteuert zu werden.

Das Gesetz wird auch künftig u n verzicht bar sein. Es erscheint aber unabdingbar, dieses teilweise mit neuen Inhalten zu füllen. Zudem ist es von Funktionen, für welche es nicht mehr geeignet ist, zu entlasten.

351.2

Budget und weitere Ausgabenbewilligungen

Die Budgetkompetenz ist ein klassisches Steuerungsinstrument des Parlaments, in das es sich allerdings mit der Regierung teilt.779) Die Bundesversammlung beschliesst den Voranschlag aufgrund eines bundesrätlichen Entwurfs in der Form eines einfachen Bundesbeschlusses (Art. 85 Ziff. 10 BV). Das Budget ergeht in der Schweiz nicht in Gesetzesform. Wegen seiner vie l füll igen Funktionen und Wirkungen wird das Budget oft auch als «legislativer Regierungsakt» bezeichnet.80) Die Rechtsnatur des Budgets wurde bisher nie völlig geklärt:81) dessen Mängel hingegen schon eingehend beschrieben8 2) > - Das bestehende Voranschlags- und Rechnungswesen ermöglicht dem Parlament nicht genügend grundsätzliche Entscheide, welche Mittel für welche Aufgabenfeldcr eingesetzt werden sollen.

- Der Planungshorizont des heutigen Haushaltswesens ist zu kurz Die auf Verfassungsstufe festgelegte Jährlichkeit des Budgets zwingt zu einer allzu hohen Budgetkadenz und zu einer kurzfristigen Betrachtungsweise; es fehlt an einem wirkungsvollen mittelfristigen Budgetierungsinstrument - Das heutige Budget zwingt geradezu zur Einmischung in operative Details. Kritiker sprechen denn auch etwa von «einem politisch bedeutungslosen Ritual», einer «formalen Pflichtübung» oder von «finanzpolitischer Kleinchirurgie».83) - Das bestehende Voranschlags- und Rechnungswesen beinhaltet keine Spar-,

dafür aber u m s o vielfältigere Ausgabenanreize ( z . B .

gen Bestand noch einen vertretbar s c e i n z u f o r d e r n . c h l a g cin/ufordern.

xis führt fast automatisch zu e B u d g e t v o l u m e n s d einer Zementierung der Budgetstruktur.

- Das bestehende Verfahren bietet wenig Gelegenheit, die staatlichen Aufgaben neu ?,u überdenken, in Zeiten finanzieller Knappheit zwischen verschiedenen wünschbaren Aufgaben abzuwägen und Prioritäten zu sct/.en.

- Ämter und Dienststellen werden durch die bestehende Fe inbudget ierung teilweise zu einer unwirtschaftlichen Verwendung der Mittel gezwungen und im Erschliessen von Einnahmequellen und Sparmöglichkeiten behindert. Die bcste-

79)

Vgl. Heinrich Koller, Der öffentliche Haushalt als Instrument der Staats- und Wirtschaftslenkung, Basel u.a. 1983. S. 3l l ff.

Tobias Jaag cl al.Ausgewähltetc Gebiete deBundesverwaltungsrechts,s. Hasel u.a. 1995.

S. 35.

8 1) Vgl. KlausVallender,,Finanzhaushaltsrcht::Bundd - Kantone - Gemeinden. Bern 1983.

S. 52 ff.; vgl. Immerhin Koller (Anm. 79). S. 458 (Budget als Plan).

«' Vgl. eingehend: Koller (Anm. 79). S. 258 ff.

83) Koller (Anm. 79). S. 370 mil Verweisen.

80)

486

hende Feinbudgetierung kann dabei nicht mit parlamentarischen Bedürfnissen begründet werden.

- Die sehr rigide Ressourcensteuerung führt teilweise zu einer «Flucht aus dem Budget». Es findet eine Absatzbewegung in Richtung ausgegliederter Verwaltungseinheiten mit besonderer Rechnung statt.84) Die politische Bedeutung, die dem Budget (ins parlamentarischer Sicht etwa zugeschrieben wird, erscheint in diesem Sinn überbewertet. Während das Parlament im Vorfeld der Erstellung des Voranschlages heute diverse Möglichkeiten politischer Einflussnahme besitzt und diese auch wahrnimmt, muss der Einfluss des Parlaments im Rahmen der eigentlichen Budgetberatungen als marginal bezeichnet werden. Die recht zahlreichen Detailkorrekturen, die heute namentlich in den Kommissionen erfolgen,85) vermögen an dieser Wertung nichts zu andern.

Unter Steuerungsaspekten eine bessere Würdigung verdient der Voranschlagsjahr hinauswirkendeAusgabenbewilligung.. Hier kann das Parlament einer bestimmten Aulgabe (Leistung) unter einer mittelfristigen Perspektive Ressourcen zuordnen. In rechtlicher Hinsicht sindVerpflichtungskreditee zwar einfache Bewilligungen, in politischer Hinsicht können sie aber den Charakter eines eigentlichen Auftrages bzw. Programmes haben.

351.3

Stellenbewirtschaftung

Die Bundesversammlung legt jedes Jahr im Rahmen des Voranschlages die Stellenzahl der Bundesverwaltung lest. Dieses Steuerungsinstrument wurde 1974 auf Gesetzesstufe eingeführt.87) Mit einer gezielten Steuerung des Personalzuwachses soll insbesondere ein Beitrag zur Erhöhung der Wirtschaftlichkeit in der Verwaltung und damit zur Eindämmung des Ausgabenwachstums geleistet werden;88) dies namentlich, weil die Personalkosten im Rahmen der Aufwendungen des Bundes einen erheblichen Anteil ausmachen. 89) Das Steuerungsinstrument der Stellenbewirtschaftung greift in der Praxis nicht optimal. So wird kritisch vorgebracht:90) - Die Stellenbewirtschaftung greift nicht flächendeckend und wirkt damit nur beschränkt. So umfasst die Pfafonierung nur Etat- und Hilfspersonalstellen.

- Die Verwaltung kennt in der Praxis zahlreiche Hilfskonstruktionen, um die einschränkenden Wirkungen der Stellenplafonierung zu mindern; so wird Personal

84) Koller(Anm.. 79), S. 142.

85)

In einem ausgewähltenReferenzjahr 19933 ergeben sich folgende Zahlen; ImNationalratt (Erslrat) wurden in der Kommission 170 Abänderungsanträge formuliert; |67 davon wurden im Plenugutgeheissen.n. Im Plenum wurden 4Einzelanträgege gestellt, allerdings bloss gutgeheissen.n. DeStänderatat sorgte in der Kommission noch für 59 Änderungen.

Im Plenum waren von 4 Einzel antragen deren 2 erfolgreich.

86) Vgl. Art. 25 ff. FHG. Vgl. dazu auch Koller (Anm. 79), S. 270.

87) Vgl. Ari. 2 des BG über Massnahmen zur Verbesserung des Bundeshaushalts vom 4. Oktober 1974, SR 611.010; zu Entstehung und Entwicklung vgl Koller (Anm. 79). S. 108 ff.

88) Vgl. z. B. BEI 1981 III 929ff.

89) Der Personalbestand des Bundes und seiner Betriebe beträgt 1995 (gemäss Voranschlag 1995. 77) insgesamt 40 175 Stellen (ohne Lehrlinge); davon Etatpersonal: 35517.5 Stellen (Angaben ohne PTT, SBIÌ sowie übrige Betriebe wie Rüstungsbetriebe und Alkoholverwaltung).

90) Vgl. z . B . den Bericht der Geschäftsprüfungskommission des Nationalrats vom 19. Mai 1981, BIÌ1 1981 II 685 ff.; 696ff.: Bericht der Finanzdelegation der eidg. Räte über ihre Tätigkeiten im Jahr 1993/94. BB1 1994 II 895.

487

über Sachkredite angestellt91) oder es werden Aufträge vergeben, anstatt Anstellungen vorzunehmen. Dies allerdings nicht nur gegen, sondern häufig auch zugunsten effizienter und effektiver Verwaltungstätigkeit.92) - Die Stellenbewirtschaftung als klassische Ressourcensteuerung erschwert der Verwaltung vernünftige Entscheide in Richtung eines wirtschaftlicheren Einsatzes der Mittel. Die Verwirklichung der kostengünstigsten und zweckmässigsten Lösung wird mitunter verunmöglich t.

- Die Stellenbewirtschaftung wirkt in nicht seltenen Fällen als unwirtschaftliche bürokratische Bremse bei der Anhandnahme von neuen Aufgaben, welche die Verwaltung kraft gesetzlicher Festlegung und Fehlens personeller Reserven unter Beizug von Kunstgriffen und Absolvicrung bürokratischer Manöver erfüllen muss.

Bei diesen Kritikpunkten zeigt sich das Dilemma des Instruments Stellenbewirtschaftung: Je rigider und flächendeekender plafoniert wird, desto grösser sind die unerwünschten Nebenwirkungen; je offener die Lösung, desto wirkungsloser das Instrument.

351.4

Planung

Seit den 1970er Jahren, in denen eine intensive Diskussion um die Beteiligung des Parlaments an der politischen Planung begann, wurden verschiedenste Vorstösse zu einem wirksameren Einbezug der Bundesversammlung in den politischen Planungsprozess unternommen. 93) Später wurde vorgeschlagen, die parlamentarische Planungsfunktion - ähnlich wie in zahlreichen Kantonsverfassungen - ausdrücklich in der Bundesverfassung zu verankern9 4)l Die Bemühungen verliefen allerdings weitgehend im Sande. Die Bundesversammlung verachtete auf eine grundlegende Änderung der überlieferten Regelungen. Im Vordergrund stand die Angst des Parlaments vor eineSelbstbindung.g. Immerhin konnten einige punktuelle Neuerungen realisierwerden.95)5' Die heutige Planungskompetenz liegt primär in den Händen des Bundesrates. Das Parlament ist immerhin an verschiedenen Planungsinstrumenten beteiligt. Der Bundesrat unterbreitet dem Parlament für jede Legislaturperiode einen Legislaturfinanzplan (Art. 23 FHG) sowie Richtlinien der Regierungspolitik (Art. 45bis GVG), die einen Überblick geben über die Gesamtheit der Regierungsaufgaben, die Ziele des Bundesrates sowie dasGesetzgebungsprogramm.. D a s Parlament nimmt die

91)

Im Voranschlag 1995 werden insgesamt 2512 Personen aufgeführt, die über Sachkredite oder Mittel Dritter finanziert werden.

92) Insbesondere mil Anstellungen zulasten von Sachkrediten werden teilweise kostengünstigere Losungen getroffen, als es die Schaffung neuer Dauerstellen erlauben würde (so z. B.

BB1 1981 III 9.15).

93) Vgl. Bericht über die Mitwirkung des Parlaments bei der politischen Planuna: BB1 1986 II l ff.. 1989 I 1205. 1989 III 351 ff.: Christoph Lanz. Politische Planung und Parlament.

Bern 1977.

94) Vgl. Ari. 82 VE 1977. Art. 99 VE 1985.

95) Einführung der Richtlinienmotion: Verknüpfung der Finanzplanung mit den Richtlinien der Regierungspolitik; Bezugnahme des jahrlichen Geschäftsberichts des Bundesrates auf die Legislaturplanung.

96) Art. 2.1 FUG. Art. 43. 45bis GVG.

488

dieser Richtung sind in den letzten Jahren erprobt worden. Dennoch vermag die geltende Situation aus der Sicht des Parlaments sowie im Blickwinkel einer zweckmässigen Steuerung der Staatstätigkeit nicht zu überzeugen.

- Es fehlt an einer zweckmässigen, mittelfristigen, rechtzeitigen, partizipativen und prozessorientierten Beteiligung des Parlaments am Planungsprozess, insbesondere im Finanzbereich.

- Es fehlt an einer entsprechenden verfassungsrechtlichen Verankerung einer derartigen Planungsfunktion des Parlaments.

- Die bestehende Finanzplanung sowie die Richtlinien der Regierungspolitik sind noch nicht genügend gekoppelt, Ressourcen und Aufgaben noch nicht in der nötigen Art und Weise miteinander verknüpft.

- Es fehlt an eigenen Zielvorgabcn des Parlaments, mit denen es Prioritäten setzt, an denen es sich orientiert und messen lässt. Bleibt es bei diesem Zustand, so muss sich das Parlament gefallen lassen, dass seine Leistungen am Ende einer Legislatur mit den Planungen des Bundesrates verglichen werden.

- Dem Parlament fehlt (abgesehen vom Motionsrecht) eine zweckmässige Möglichkeit, im Bereich konkreter Politikfelder frühzeitige Impulse auszulösen und Vorentscheide zu treffen.

Die Möglichkeiten einer politischen Planung, die systematisch Aufgaben- und Finanzplanung verbindet, sind damit noch nicht genutzt.

352

New Public Management (NPM) als Hoffnungsträger

Die mit dem Kürzel NPM (New Public Management) bezeichnete neue Philosophie einer «wirkungsorientierten Verwaltungsführung» 97) hat vor kurzem auch die Schweiz erreicht und erlebt seit einigen Monaten einen bemerkenswerten Boom.

Viele Ideen des NPM sind nicht neu; neu ist aber ihre Integration in ein Gesamtkonzept, das nicht nur die Verwaltung betrifft, sondern das ganze politische System einschliesst. In zahlreichen Kantonen (u. a. Bern, Luzcrn, Solothurn), Städten und Gemeinden (u. a. Bern und Winterthur) sind Projekte angelaufen. Im Bund sind auf verschiedensten Ebenen Vorararbeiten im Gange. Im Mai 1995 wurde vom Bundesrat im Rahmen der laufenden Beratung des Regierungs- und Verwaltungsorganisationsgesetzes (RVOG) ein Antrag vorgelegt, wonach durch eine Änderung des Finanzhaushaltgesetzes und des Bundesgesetzes über Massnahmen zur Verbesserung des Bundeshaushalts die nötigen rechtlichen Handlungsspielräume für Pilotversuche mit Leistufngsaufträgen geschaffen werden sollen. Einzelne Bundesämter sind bereits intensiv daran, sich auf die neuen FührungVerwaltungsmodellemodcllevorzub e r 9 8 ) e n . 9S>

97)

98)

Vgl. allgemein: Kuno Schedler; Ansalze einer wirkungsorientierten Verwaltungsführung Von der Idee des New Public Management zum konkretenGestaltungsmodelllfürr die Schweiz. Bern 1995;Hablützel/Haldemann/Schedler/Schwaarr (Hrsg.), Umbruch in Politik und Verwaltung, Ansichten und Erfahrungen zum New Public Management in der Schweiz. Bern 1995; TheoHaldemann,, New Public Management: Ein neues Konzept für dieVerwaltungsführungg des Bundes? Schriftenreihe des EidgPersonalamtes.s. Band l, 1995; alle mit umfangreichen Hinweisen auf die sich rasch entwickelnde Literatur. Vgl.

zudem das immer noch grundlegende amerikanische Standardwerk DaviOsborne/Tedod Gaebler. Reinventing Government. New York 1993.

Z. B. die Schweizerische Meteorologische Anstalt (SMA). Vgl. dazu auch die Visitenkarte der imerdepartementalen Arbeitsgruppe Handlungsspielraum in: Haldemann (Anm. 97), S. 65 ff.

-189

Die NPM-Philosophie findet - zumindest bezüglich der allgemeinen Stossrichtung - breite politische Akzeptanz. Dies ist darauf zurückzuführen, dass NPM liberale Konzepte zur Begrenzung des Staates über marktwirtschaftliche Orientierungen mit dem Bestreben verknüpft, über eine Effizienzsteigerung dem Staat Steuerungs- und Interventionschancen zu erhalten. Im Vorfeld der eidgenössischen Wahlen vom Herbst 1995 entpuppte sich NPM über alle Parteigrenzen hinweg zu einem wahren Hoffnungsträger.

Auch wenn NPM gegenwärtig ein grosser Hoffnungsträger ist - ein eigentliches Patentrezept oder gar ein Wundermittel dürfte auch diesmal nicht gefunden worden sein, wie neuste internationale Studien erahnen lassen.90) Auch Risiken und Gefahren, die in diesem sonst so überzeugenden Konzept stecken und die wohl noch zuwenig thematisiert wurden, gilt es nachzugehen. Einige Stichworte sollen hier genügen: Ein Übergang von hierarchischen zu partizipativen Modellen (Kontraktmodellen) kann auch Effizienzverluste mit sich bringen; je ausgeprägter die Dezentralisation, desto grosser der Koordinationsbedarf und die Problematik von Schnittstellen; je grosser dieHandlungsspielräume,, desto grosser der nötige Kontrollapparat; je radikaler der betriebswirtschaftliche Reformansatz. desto grosser die Gefährdungen von bisher anerkannten Errungenschaften wieLegalitätsprinzip,, demokratischer Mitwirkung, Sicherheit des öffentlichen Arbeitsplatzes. Schliesslich sollte heute an den Schaltpulten staatlicher Machtauchi nicht juristischer Übereifer durch ungebremsten «Managerialismus»ersetztt werden.

352.1

Die zentralen Grundsätze des NPM

NPM beinhaltet, auf das hier interessierende Allerwesentlichste konzentriert, insbesondere folgende zentralen Grundsätze: 100) - Trennung von politischen Zielsetzungen und Managementverantwortung. Die Rollen der politischen Führung und der administrativen Verantwortung sollen neu definiert werden. Die politischen Behörden treffen die strategischen Entscheide, die Verwaltung übernimmt die operativen Entscheide. Die Aufgaben von Politik (Entscheide über das «Was») und Verwaltung (Entscheide über das «Wie») werden so weit wie möglich getrennt.

- Leistungs- und Wirkungssteuerung statt Inputsteuerung. Die Steuerung über Leistungen und Wirkungen soll die traditionelle Ressourcensteuerung über detaillierte Personal-, Sachmittel- und Finanzvorgaben ablösen.

- Vernetzung von Planung, Vollzug und Kontrolle: Zielsetzungen sind so auszugestalten, dass ihre Erreichung kontrolliert werden kann; das Berichtswesen dient umgekehrt als Entscheidgrundlage für den Planungs- und Leistungsprozess.

99) Vgl. den OECD-Länderbericht 1995. in dem Experten auf das begrenzte Wirkungspotential von NPM-Reformen zur Eindämmung der anhaltenden Kostenexplosion hinweisen. Zudem ist festzuhalten, dass die schweizerische Verwaltung im internationalen Vergleich schon heute nicht schlecht abschneidet. Vgl. dazu auch die gegenüber NPM-Modellen kritisch-differenzierten Aufsätze von Klaus König. «Neue» Verwaltung oder Verwaltungsmodemisierung: Verwaltungspolitik in den 90er Jahren. In: Die Öffentliche Verwaltung, Mai 1995, S. 349 ff, sowie von Peter Knoepfel, New Public Management: Vorprogrammierte Enttäuschungen oder politische Flurschaden. In: Hablützel et al. (Anm.97) S. 453 ff.

100) Vgl. auch die Übersichten über Zielsetzungen und Grundsätze hei Schedler (Anm. 97).

18f.: Haldemann. (Anm. 97). S. 9 ff.

490

- Grössere Verwaltungsorganisationen werden zu mehr oder weniger autonomen Dienstleistungszentren (Agencies) umgebaut und mittels Leistungsaufträgen odcr anderen Steuerungsinstrumenten (Kontrakten) konzernähnlich geführt.

~ Kostensenkungs- und Effizienzdruck (sog. Lean Production): Traditionelle bürokratische Mechanismen werdcn durch privatwirtschaftlich bewährte Instrumente ersetzl. Die Verwaltung wird einem Leistungsvergleich unterzogen und zumindcst in Teilbereichen privatem Wettbewerb ausgesctzt. Den einzelnen Verwaltungseinheiten werden politisch präzise Vorgaben zur Rcduktion von Aufwand und Kosten gemacht.

Die NPM-Philosophie legt Mangel der überlieferten Bürokratien radikal often; bereits allgemein festgestellte Probleme bestehender Steuerungsinstrumente werdcn bestätigt. So sind Verfahren fur Kosten-, Leistungs- und Wirkungsmessung heute praktisch inexistent; cs fehlt namentlich an mittel- und langfristigen Budgets, die längerfristige Kostentrends und auch negative Wirkungen kurzfristiger Spareffekte mitenthalten. Das klassische Führungsinstrumentarium ist durchzogen von vielfältigen Ausgabenanreizen; Sparanreize existieren so gut wie keine.

NPM ist eine Alternative zu Privatisierungslösungen.10Amtsstellenlen werden weiterhin staatlich gefiihrt ugrundsätztichich möffentlichcnhcn Mittefinanziert.rt. Es geht nicht um weniger, sondern uni eine bessere Vcrwaltung. DLeistungserbrin-ing u s o l l o i l viel starker in Anlehnung an betriebswirtschaftlicGrundsätzeterfolgen,cn, w i e s i e sich i n d e r Privatwirtschaft bewahhaben.cNPM-Lösungengbietentcn waltung u n d Parlament reunabhängigeniöffentlichrechtlichencTrägerngern stiEigentumntum ( I g e w ä h l t a h l t w u 1 0 2 ) I 0 2 )

352.2

Das ABC des NPM...

Betriebswirte haben mil der NPM-Bewegung Ideen und Konzeptc in die staatliche Reformdiskussion gebracht, die Herkömmliches bei weitem sprengen. Eindrücklich ist dabei insbesondere auch die Anwendung und Vcrbrcitung eines NPM-Vokabulars, das in nicht eingeweihten Ohren - nicht nur juristischer odcr politologischer Natur - vielfach exotisch klingt (z. B. der «Staat» als «Konzern»). Da die Entwicklung von NPM-Modellen allerdings einen kreativen, interdisziplinaren Dialog bedingt und damit auch eincr gcwissen terminologischen Festlegung bedarf, scien die wichtigsten Begriffe, die im folgenden immer wieder verwendet werdcn, kurz eingeführt: 103) (1) Produkte: Die Kennzeichnung cincr bisher hoheitlichen staatlichen Tätigkeit als «Produkt» erscheint allen nodi nicht NPM-Eingeweihten reichlich fremd; an dieser Stelle soll die Feststellung genügen. dass es in bestehenden Pilotprojekten gelungcn ist,klassische hoheitliche (Dienst-)Leistungen in erstaunlich weitgehender Wcise als «Produkte» in funktionslogische Einheiten zu gliedern, zu Leistungs-

11111

Vgl. z. B. Robert Leu u. a.. Privatisierung auf kantonaler und kommunaler Ebene, Bern 1993.

02) Vgl. BBl 1995 II 391 (Referendumsvorlage).

1031 Vgl. ausführlich die Begriffsumschreibungen im schweizerischen NPM-Standardwerk von 1

Schedler (Anm. 97). das gegenwärtig last allen NPM-Reformen als Grundlegung dient.

491

gruppen zusammenzufassen und in ein NPM-Modell einzuordnen. 104) Dabeizeigti sich immer mehr, dass bei derProduktedefinitionn nicht nur das Ziel, sondern auch schon der Weg wertvoll ist. Allein der Versuch, die eigene Tätigkeit für einmal systematisch, aus dem Blickwinkel desLeistungsempfängerss zu gliedern, kann zu bemerkenswerten Einsichten führen.

(2) Eine Produktegruppe besteht aus einer Mehrzahl von Produkten.

(3) Ein Globalbudget ist eine Budgetierungsform, die auf eine rechtlich bindende Spezifikation und R u b r i f ï ï z i e r u n g (detaillierte Gliederung nach Aufwand arten) verzichtet. Massgebend i s t allein d e r Nettoaufwand, Verwaltungseinheitgscinhcit (4) Ein Produktegruppenbudget ist ein Budget, das anstelle von Aufwandarten neu in Produktegruppen spezifiziert wird. In der Regel werden dabei pro Produktegruppe Ziele und zugehörige Leistungen bzw. Leistungsvorgaben aufgeführt.

(5) Leistungsindikator und Leistungsstandard. Ein Leistungsindikator ist eine Messgrösse zur Erfassung der Qualität und Quantität einer Produktegruppe oder eines Produktes. Ein Leistungsstandard ist eine Sollgrösse eines Leistungsindikators.

352.3

Bestehende Modelle und Projekte

Modelle wirkungsorientierter Verwaltungsführung liegen im Ausland in beachtlicher Zahl vor. In der Schweiz gibt es zwar zahlreiche (Pilot)projekte. Im Spätherbst 1995 befindet sich aber noch kein NPM-Modell in der Realisierungsphase; allerdings sind zahlreiche «Piloten» auf den 1. Januar 1996startbereit.106)1 Die Rolle von Parlament, Recht und Gesetzgebung wurde allerdings bisher nur fragmentarisch behandelt. Im Zentrum des Interesses standen vor allem betriebswirtschaftliche Gesichtspunkte.

a. Ausländische Modelle Unter dem Stichwort «Managerialism» sind bereits in den frühen achtziger Jahren verschiedene Elemente der wirkungsorienlierten Verwaltungsführung wiederentdcckt, weiterentwickelt und schliesslich zu einem Modell zusammengefügt worden.

In der Verwirklichung der Reformideen gingen die angelsächsischen Länder voran.

Die äusscrst schlechten finanziellen und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen waren der Grund dafür, dass Australien und Neuseeland eine Vorreiterrolle spielten. Interessant ist dabei, dass es vor allem sozialdemokratisch orientierte Regierungen waren, die neue O r g a n i s a t i o n s f o r m c n , e i « c u t b a c k - m a n a g e m e n t » m a n a g c m c n i » und neue Personal- und Lohnstrukturen mit e S t e u e r u n g s p h i l o s o p h i e p h i l o s o p h i c und neuen Management-Techniken zu verbinden begannen. Die U S A D e z e n - h r e r

104) Beispiele f ü r konkrete Produkte ausPilotprojekten:: K l . Bern: Psychiatrische amt(ProduktegruppeeNationalstrassen):: Ausbau. Unterhalt.Substanzerhaltung,, BegleiteteBesuchssonntage..Gutachten.. StadtWinterthurr(Produktegruppee Büro f ü r mationsstelle. Bereitstellung vonMusikübungsräumen..

105) Vgl. allgemein sowie zu den verschiedenenVarianteni Schedler (Anm. 97), S. 148 ff.

tutu Vgl. die Übersichten über die diversen ausländischen und schweizerischen Projekte bei I Hablützel et al.(Anm.. 97). 99 ff.:Haldemannn(Anm.. 97). S. 2.1 ff.

492

Dcxen-

tralisierungswelle, Kanada mil einer «philosophy of empowerment und Grossbritannien mil der «Next-Steps»-Initiative folgten dieser Bewegung. Weitere Schritte in die gleiche Richtung sind etwas später in Skandinavien, in den Niederlanden sowie in Japan zu beobachten. Von Frankreich abgesehen, sind in den übrigen europäischen Ländern auf nationaler Ebene kaum Neuerungen im Sinne des NPM zu verzeichnen. Am schnellsten und am radikalsten wurde die neue Steuerungsphilosophie auf regionaler und lokaler Ebene eingeführt. Grosse Aufmerksamkeit weckte vor allem die hollandische Stadt Tilburg. Dank der Dokumentation über diesen Fall spricht man heute vom Tilburger Modell. Dieses wurde in Deutschland vor allem von Duisburg und Nürnberg umgesetzt, Diese beiden Städte dienen als Vorbilder fur die Reformbestrebungen in der Schweiz, vor allem auf der Gemeindeebene.

b. Kantonale Projekte In zahlreichen Kantonen sind in den letzten beiden Jahren NPM-Projekte gestartet worden. Drei der fortgeschrittensten Projekte seien im folgenden kurz vorgestellt: Recht fortgeschritten ist der Kanton Bern107) mit seinem Projekt «Neue Verwaltungsführung 2000» (NEF), das gestutzt auf einen Regierungsratsbeschluss mit sieben Verwaltungseinheiten mit fiber 2000 Mitarbeitenden und einem Aufwandvolumen von gegen 600 Millionen Franken vor einer vierjahrigen Pilotphase steht. Dem Parlament werden im Bereich der NPM-Pilotämter Produktegruppenbudgets unterbreitet. Der Grosse Rat entscheidet über einen globalen Budgetkredit, erhält dafür samtliche Informationen bezüglich Produktegruppen, Qualität und Aufwendungen, mit Einschluss von Zielen, Leistungsindikatoren und -standards je Produktegruppe.

Gestutzt darauf soll das Parlament beurteilen können, ob der vom Regierungsrat beantragte Kredit angemessen ist. Im einzelnen beschliesst das Parlament über folgende vier Positionen: Im Rahmen der (neuen) Kostenrechnung: den Saldo aller Produktegruppen sowie einzelne wesentliche Staatsbeitrage. Im Bereich der Verwaltungsrechnung: den Saldo der laufenden Rechnung und den Saldo der Investitionsrechnung.108) Alle anderen Angaben des Produktegruppenbudgets (insbesondere Leistungsvorgaben) dienen Informationszwecken.

Der Kanton Luzern (Projekt WOV) 109) starlet ab 1. Januar 1996 mit neun Versuchsdienststellen in Richtung New Public Management.110) Wahrend für 1996 noch ein

107)

Vgl. Basisbericht des Gesamtprojektausschusses vom 15. Dezember 1994; Regierungsratsbeschluss vom 21. Dezember 1994; Unterlagen der Medienkonferenz vom 21. September 1995. Folgende 7 Projekte gehen ab 1. Januar 1996 in die Pilotphase: Molkereischule Rütli, Kreisforstamt Thun, Universitäre psychiatrische Dienste, Psychiatrische Klinik Münsingen, Strassenverkehrs- und Schiffahrtsamt, Wasser- und Energiewirtschaftsamt, Tiefbauamt.

108) Im Rahmen der ersten Beratung des Produktebudgets im November 1995 hat das Parlament bei der Produktegruppe «Zulassung zum Schiffsverkehr» eine Kostenunterdeckung bei den Gebuhren festgestellt. Es hat daraufhin eine voile Kostendeckung verlangt und den entsprechenden Saldo um Fr. 387 000 reduziert.

IDS) Vgl. allgemein Hans-Peter Egli/Urs Käch. Instrumente der neuen Verwaltungssteuerung im Projekt Wirkungsorientierte Verwaltung (WOV) des Kantons Luzern. In: Hablützel et al. (Anm. 97), 165 ff. Grossratsbeschluss iiber die Genehmigung der versuchsweisen Einfuhrung des Modells der «Wirkungsorientierten Verwaltung» vom 21. November 1995; Botschaft des Regierungsrates vom 22. August 1995. Bericht der Projektleitung vom August 1995.

110) Liegenschaftsverwaltung, Kantonsschule Sursee, NaturmuseuLuzern,m, Sonderschulen Hohenrain, Ami fur Statistik, Organisations- und Informatikdienste, Ami fur Umweltschutz, Strassenverkehrsamt, Landwirtschafts- uBäuerinnenschuleule Schupfheim; zusatzlich kantonale Heilanstalten.

19 Bundesblatt 148, Jahrgang. Bd. II

493

Übergangsbudget vorliegt, soll der Grosse Rat ab 1997 auf der Basis eines Leistungsauftrages («Politischer Auftrag») pro Dienststelle ein Globalbudget mit Leistungszielen bewilligen. Für die Begleitung des Versuchs wird eine Spezialkommission bestimmt, in der die Finanzkommission und die Geschäftsprüfungskommission angemessen vertreten sind. Zudem zieht der Grosse Rat eine verwaltungsunabha'ngige Projektbegleitung bei.

Im Kanton Solothurn (Projekt Schlanker Staat)l!lt hat der Kantonsrat im Juni 1995 einen Experimentierartikel genehmigt, der die Durchführung von Pilotprojekten ermöglicht. Der Regierungsrat hat im August 1995 zwölf Pilotprojekte bestimmt.

Ab 1996 erhalten diese anstelle von detaillierten Budgets Rahmenkontrakte über drei Jahre sowie Jahreskontrakte. Das Parlament beschliesst je Pilotprojekt einen Verpflichtungskredit im Sinne eines Globalbudgets sowie einen Leistungsauftrag für die Jahre 1996-1998. Der bewilligte Kredit wird bei einer wesentlichen Änderung der zugrundeliegenden Planungsfaktoren angepasst. Regierungsrat und Kantonsrat haben das Recht, jederzeit eines oder mehrere Pilotprojekte abzubrechen.

c. Kommunale Projekte Auf kommunaler Ebene ist der Umfang der NPM-Welle schon kaum mehr zu überblicken. An vorderster Front dabei sind insbesondere die Städte Bern und Winterthun Die Stadt Bern, '12) der gesamtschweizerisch eine Vorreiterrolle zukam, geht nach längeren Vorarbeiten ab 1. Januar 1996 in das erste Pilotjahr. Pilotprojekte sind die Berufsfeuerwehr, das Jugendamt und das Strasseninspektorat. Das Produktegruppenbudget vom August 1995, das erste der Schweiz, weist einen beachtlichen Detaillierungsgrad auf. Je Produktegruppe werden übergeordnete Ziele, die einzelnen Produkte sowie Leistungsindikatoren aufgeführt. Das Parlament berät und beschliesst über alle Inhalte des Produktegruppenbudgets. '13) Die erste Pilotphase ist auf zwei Jahre beschränkt.

1M

> Vgl. Botschaft und Entwurf des Regicrungsrates des Kantons Solothum an den Kanlonsrat vom.3I.Oktober 1995, Globalbudgels 1996-1998, Allgemeine Rahmenbedingungcn und gemeinsames Vorgehen bei der Erprobung der Führung mit dem Instrument «Globalbudget» in verschiedenen Amtsstellen, Schulen und Anstalten in den Jahren 1996-1998.

2) " Vgl. Vortrag des Gemeinderates der Stadt Bern an den Stadirat betr. Kredit für die Durchführung von Pilotprojekten im Rahmen des Projektes «Neue Stadtverwaltung Bern» vom 31. August 1994; NSB-Bulletin vom August 1995; Produktegruppenbudget 1996 vom August 1995. Bruno Möller/Peter Tschanz, Das Projekt «Neue Stadtverwaltung Bern». In: Hablüt2el et al (Anni. 97), 223 ff.

3 " >Im Rahmen der ersten Budgetberatung haben die beiden vorberatenden Kommissionen (Geschüftsprüfungskommission/Finanzkommission) insgesamt fünf Änderungen beschlossen, Das Spektrum der Anträge war dabei recht breit. Beispiele: Im Bereich der Brandbekämpfung wurde die Aufnahme eines operativen Ziels «angemessene Einsalzreserve» mit Leistungsindikator «Anzahl gleichzeitig durchführbarer Einsätze» und der Sollvorgabe 2 beschlossen. Bei der Produklegruppe Tagesstätten wurde die Anzahl subventionierter Plätze um 10 erhöht, unter entsprechenden Mehrkosten von Fr. 70 000. Bei der Produktegruppe Strassenunterhalt wurde ein'neues übergeordnetes Ziel aufgenommen: «Behindertengerechte Sanierung von Strassenabschlüsscn».

494

In der Stadt Winterthur114) gehen ab 1. Januar 1996 sieben Aufgabenbereiche in die Pilotphase.115) Das Produktegruppenbudget ist als strategisches Führungsinstrument des Stadtparlaments ausgestaltet. Mit ihm soll es auf den Umfang und die Qualität des Leistungsangebotes der Verwaltung Einfluss nehmen. DieProduktegruppenbud-gets werden in zwei speziell gebildeten parlamentarischen Kommissionen (zusammengesetzt aus Mitgliedern derRechnungsführungs-- und Geschäftsprüfungskommission) yorberaten. Gegenstand des Budgetbeschlusses und damit für die Pilotorganisationen rechtsverbindlich sind der Globalkredit für die definierte Produktegruppe, die auf die einzelnen Produkte bezogenen Produktbeschreibungen sowie Leistungsziel11 lfl> für das Voranschlagsjahr. Weitere Angaben des Produktegruppenbudgets (Rechtsgrundlagen, Zielgruppen und Verantwortlichkeiten) haben informativen Charakter.

353 353.1

Vorschläge für eine NPM-Steuerung im Bund Artikel 51 RVOG als Pforte zu NPM-Modellen im Bund

Mit dem neuen Regierungs- und Verwaltungsorganisationsgesetz (RVOG)117) werden die rechtlichen Voraussetzungen für eine - zumindest sektorielle - Steuerung im Sinne einer wirkungsorientierten Verwaltungsführung geschaffen. Die Vorlage wurde nach den ersten parlamentarischen Beratungen durch einen Zusatzbericht des Bundesrates vom 10. Mai 1995 noch ergänzt. Gleichzeitig mit dem RVOG werden auch Bestimmungen im Finanzhaushaltgesetz (FHG) sowie im Bundesgesetz über Massnahmen zur Verbesserung des Bundeshaushalts geändert. Die hier wesentlichen Bestimmungen lauten nach den parlamentarischen Beratungen wie folgt: Regierungs- und Verwaltungsorganisationsgesetz (RVOG) vom 6. Oktober 1995:

Art. 51

Leistungsaufträge

Der Bundesrat kann für bestimmte Gruppen und Amter Leistungsaufträge erteilen und den dafür erforderlichen Grad der Eigenständigkeit bestimmen.

Finanzhaushaltgesetz (FHG) vom 6. Oktober 1989 (i. d. F. vom 6. Okt. 1995): Art. 38a Verwaltungsbereiche mit Leistungsaufträgen 1 In Verwaltungsbereichen, für die ein Leistungsauftrag nach Artikel 51 RVOG des Regierungs- und Verwaltungsorganisationsgesetzes sowie ein ausgebautes betriebliches Rechnungswesen besteht, kann der Bundesrat die Rechnungslegung nach diesem Gesetz im Interesse einer wirtschaftlichen Verwaltungstätigkeit besonders

IN) Vgl. Weisung vom 1. November 1995 an den Stadtrat; WOV-Info Nr. l vom September 1995.

115)

116)

117)

Pilotorganisationen: Öffentliches Bibliothekswesen, Büro für Quartierkultur und Freizeitaktionen, Strasseninspektorat, Vermessungsamt, Sportamt, Asylkoordination, Krankenheim Oberi.

Beispiele für Leistungsziele für 1996: Produktegruppe Bibliothekswesen, Stadtbibliothek; Auslastung Lesesaal 80 (1995: 75%); Freihandbestand grösser als 55 000 (1995: 50 000), Produkt Öffentliche WC-Anlagen und Wartehallen: WC-Anlagen in Betrieb Sommer 30 (1995: 39). Produkt Alte Kaserne: Anzahl Bistro-besucher/innen ca. 35 000 (1995 ca. 30 000).

Vgl. vorne Anm.74.

495

regeln. In diesem Falle können die Sondervorschriften Abweichungen von einzelnen Grundsätzen der Rechnungsführung nach Artikel 3 sowie von der Pflicht zur Stellung von Nachtragskreditbegehren nach Artikel 17 vorsehen.

2 Die Rechnungslegung nach den Sondervorschriften bildet Teil der Staatsrechnung und des eidgenössischen Voranschlages.

Bundesgesetz vom 4. Oktober 1974 über Massnah men zur Verbesserung des Bundeshaushalts (i. d. F. vom 6. Oktober 1995):

Art. 2a

Ausnahmen

2

Der Bundesrat kann Bereiche, für die ein Leistungsauftrag nach Artikel 51 des Regierungs- und Verwaltungsorgamsationsgesetzes sowie Sondervorschriften für die Rechnungslegung nach Art. 38a des Finanzhaushaltgesetzes vom 6. Oktober 1989 bestehen, aus der Stellenplafonierung entlassen.

Artikel 51 RVOG trifft insofern eine wesentliche Weichenstellung, als die Erteilung des Leistungsaußrages in die Zuständigkeit des Bundesrates gelegt wird. Das Parlament hat ebenfalls die Kompetenz zur Festlegung von Form und notwendigem Inhalt der Leistungsaufträge delegiert. Der Leistungsauftrag geht vom Bundesrat an ein Bundesamt (oder an Gruppen); die Rolle des Departements lässt der Gesetzestext offen. Immerhin ist offensichtlich, dass das Departement bei der Formulierung des Leistungsauftrages federführend sein wird. Über die Dauer des bundesra'tlichen Leistungsauftrages schweigt sich der Gesetzestext aus.

Da gegen das neue Regierungs- und Verwaltungsorganisationsgesetz das Referendum ergriffen wurde, ist die Zukunft der Vorlage zwar noch ungewiss. Da die hier interessierenden Bestimmungen im Parlament jedoch politisch nicht umslritten waren und sie deshalb bei einem Scheitern der Vorlage in dieser oder in zumindest ähnlicher Form wieder vorgebracht werden dürften, erhalten die folgenden Ausführungen auch bei einer Verwerfung des RVOG ihren Wert.

353.2

Zur Umsetzung von Artikel 51 RVOG

Der Bundesrat wird in absehbarer Zeit in einer Verordnung über die konkrete Umsetzung von Artikel 51, den Inhalt der neuen Leistungsaufträge wie auch über die Rahmenbedingungen von Pilotversuchen im Bund zu befinden haben. Ohne diesem Entscheid vorgreifen zu wollen, seien im folgenden einige Überlegungen zur Umsetzung von Artikel 51 RVOG vorgebracht und - im Hinblick auf die Darstellungen zu Rolle und Funktion des Parlaments - ein konkreter Vorschlag dargelegt.

Artikel 51 RVOG könnte wie folgt in die Praxis umgesetzt werden: Der bundesrätliche Leistungsaußrag an ein Bundesamt soll vierjährlich erfolgen. I1M) Dies in Anlehnung und bestmöglicher Abstimmung auf die Legis,laturplanung (Richtlinien der Regierungspolitik und Legislaturfinanzplan). Am jährlichen Voranschlag wird gestützt auf die verfassungsrechtliche Festlegung von Artikel 85 Ziffer 10 BV festgehalten. Nach erfolgter Budgetdebatte wird der Leistungsauftrag durch eine Leistungsvereinbarung zwischen Departement und Amt auf ein bestimmtes Jahr hin konkretisiert.

"«t Denkbar ist natürlich, in einer Anlaufphase die Dauer des Leistungsauftrages kürzer zu fassen, um später den Rhythmus der normalen Legislaturperioden aufzunehmen.

496

Behörde/Zeithorizont

unbegrenzt

4Jahre

1 Jahr Budget

Parlament

Bundesrat Departement/Amt

«| Leistungsvereinbarung

Dem Parlament wird fur Amter mit Leistungsaufträgen anstelle des traditionellen Voranschlages ein Amtsbudget in Form von Produktegruppen (oder im folgenden Produktegruppenbudget) unterbreitet. Darin werden die einzelnen Produktegruppen (je Amt etwa 3-7) mit den jeweiligen Kosten und Erträgen sowie den entsprechenden Saldi ausgewiesen.1I9) Es enthalt zudem zahlreiche Informationen, insbesondeüberblängerfristigeige Zielsetzungen, wie sie bundesrätlichenhen Leistungsauftrag je Amt und Produktegruppe formuliert sind, sowie allenfalls iiber konkrete Leistungsvorgaben wie Leistungsindikatoren und -standards, Kennzahlen und Rahmenbedingungen. Wo Produktebudgets eingesetzt werden, w i ü b e r b e r sie beschlossen; das ordentliche Budget kann d a n e b f ü r f u r informative Zwecweitergeführthrt werden, falls dies aGründenden der Haushaltstatistwünschbarbar ist.

Parallel zu Leistungsauftrag und Leistungsvereinbarung wird ein Berichtswesen eingerichtet, das jahrlich bzw. vierjährlich iiber die Einhaltung der vorgegebenen Leistungsvorgaben Rechenschaft ablegt.

Ohne weiteres denkbar sind NPM-Modelle insbesondere in folgenden Bundesämtern mit vorwiegend betrieblichem Charakter; EDA: Direktionfürr Entwicklungszusammenarbeit und Humanitare Hilfe (DEH). EDI: SchweizerischesBundesarchivv (BAR), Schweizerische Meteorologische Anstalt (SMA), Amt fiir Bundesbauten (AFB),Bundesamtt fur Statistik (BFS), Bundesamt fiirMilitärversicherungg (BAMV), Eidgenossische Sportschule Magglingen (ESSM), Schweiz.Landesmu-seum (Lmus), Schweiz. Landesbibliothek (LBibl), Hochschulen und Forschungsanstalten. EJPD:Eidgenössischess Amt fiir Messwesen (EAM). EMD: umfassend, evt. ohne Planungsdienste. EFD:Eidgenössischee Zollverwaltung (EZV),Eidgenös-sische Alkoholverwaltung (EAV), Bundesamt fur Informatik Arbeit (BIGA), Bundesamtfürr wirtschaftliche Landesversorgung (BWL), Eidg.

Getreideverwaltung (EGV); Forschungsanstalten. EVED: Bundesamt fiir Zivilluftfahrt (BAZL), Bundesamt fur Strassenbau (ASB).

353.3

Zur neuen Rolle des Parlaments

In demokratischen Regierungssystemen werden Parlamenten regelmässig die Funktionen der Repräsentation, der Gesetzgebung, der Kontrolle, der Regierungswahl,

119Vgl.i. allgemein: Schedler (Anm. 97), S.135ff,

497

der Rekrutierung und der Kommunikation zugewiesen.I20) Eine Umgestaltung der Verwaltungsführung nach NPM-Grundsätzen tangiert vor allem Gesetzgebung, Finanz-, d. h. namentlich Budgetkompetenz sowie Kontrolle. Der oberste Grundsatz besteht darin, dass sich das Parlament auf die normativ-strategische Ebene konzentriert und dabei insbesondere darüber beschliesst, was der Staat tun soll und welche Mittel ihm dabei insgesamt zur Verfügung stehen. Die Kontrolle soll vor allem der Prüfung dienen, ob sich die Verwaltung Ziele im Sinne der parlamentarischen Vorgaben setzt und ob diese auch verwirklicht werden. Die Frage des «Wie» der Verwirklichung staatlicher Aufgaben sowie ganz allgemein Fragen der operativen Ebene sollen nach den Grundsätzen der NPM-Philosophie dagegen nicht mehr Sache des Parlaments sein.

Im einzelnen heisst dies, dass sich das Parlament im Hinblick auf ein NPM-Sleuerungsmodell von folgenden Prinzipien leiten lassen sollte: - Ein neues Steuerungsmodell nach NPM-Grundsa'tzen darf nicht zu einer weiteren Verschlechterung des parlamentarischen Steuerungsinstrumentariums führen; es ist vielmehr danach zu trachten, Verbesserungen zugunsten Regierung und Verwaltung mit Verbesserungen zugunsten des Parlaments zu verbinden. Ein «verwaltungsinternes Szenario» einer wirkungsorientierten Verwaltungsführung ist aus Sicht des Parlaments nicht zufriedenstellend. Zwar werden damit die Bedürfnisse der Verwaltung nach mehr Handlungsspielraum befriedigt, die bestehenden Steuerungsprobleme aber eher noch verschärft.l21' - Das Parlament soll sich auf die Beratung und die Beschlussfassung der grundlegendsten und wichtigsten Entscheide des Bundes und der wesentlichen Inhalte des staatlichen Handelns beschränken und sich nicht in Details verlieren. Die Frage des «Wie» ist damit grundsätzlich Regierung und Verwaltung zu überlassen. 122) Ist die Frage des «Wie» allerdings von grundlegender politischer Bedeutung, so muss sich das Parlament den Entscheid aus demokratischen Gründen vorbehalten.1231 Im Vordergrund steht dabei eine Zuweisung einer entsprechenden Beschlusseskompetenz im Gesetz.

- Das Parlament sollte vermehrt für frühzeitige politische AnstÖsse sorgen (Inputfunktion) und sich ausreichend der Kontrolle widmen können; dies zulasten des Engagements im Bereich eigentlicher gestalterischer (Detail)arbeit, zu dem es

L20) vg]. Alois Riklin, Die Funktionen des schweizerischen Parlaments im internationalen Vergleich. In: Zeitschrift für Parlamentsfragen, 1977, S. 368ff.; Peter Gerlich, Funktionen des Parlaments. In; Heinz Fischer (Hrsg)., Das politische System Oesterreichs, Wien 1976, S. 77 ff.

i2" Unter Art. 51 RVOG wäre es grundsätzlich denkbar, das bisherige Budgetverfahren zwischen Bundesrat und Bundesversammlung beizubehalten. Das System der wirkungsorientierten Verwaltungsführung würde in diesem Sinne rein verwaltungsintern zum Tragen kommen. Voraussetzung ist aber zumindest die Relalivierung des budgetrechtlichcn Spezifikationsprinzips, mithin die Bewilligung von Globalbudgets. Die Folge davon wäre ein Steuerungsverlust für das Parlament.

l22 ' Wobei einzuräumen ist, dass die Frage der Zuordnung zum «Was» oder zum «Wie» in vielen Fällen alles andere als einfach ist. Hier gilt es entsprechende Kriterien zu entwikkeln.

I23) Das Parlament soll, wie eine Konzemleitung, auch im operativen Bereich gewisse (politische) Zeichen setzen können (z. B. Verwendung von Umwelipapier für einen ganzen Betrieb zur Schaffung einçs einheitlichen Erscheinungsbildes). Es ist darauf hinzuweisen, dass der Frage des «Wie» recht häufig eminente politische Bedeutung zukommt. Dies zeigt allein schon die Rechtsprechung des Bundesgerichts zu den gebundenen Ausgaben: besteht Handlungsspielraum bezüglich des «Wie», liegt eine neue Ausgabe vor, welche ab bestimmter Höhe vom Volk zu beschliessen ist (BGE115 la 142).

498

aufgrund der etwa diagnostizierten Zeit-, Sachkunde- und Bewertungsnot heute weniger befähigt scheint.

- Regierung und Verwaltung sollten die ihnen zur Erfüllung der Aufgaben zur Verfügung stehenden Mittel globaler als heute zugewiesen werden, damit mehr Freiraum für eine effiziente und effektive Leistungserbringung besteht. Auf detaillierte Personal-, Sachmittel- und Finanzvorgaben des Parlaments ist zunehmend zu verzichten; insbesondere ist die Personal bewirtschaftung als klassische Ressourcensteuerung zu überdenken.

- Die verschiedenen Steuerungs- und Kontrollinstrumente sind besser miteinander zu vernetzen. Planung, Entscheidung, Vollzug und Kontrolle sind viel gesamtheitlicher zu betrachten. Im Budgetrecht soll das letztinstanzliche Entscheidprimat des Parlaments ersetzt werden durch einen partizipativ orientierten Prozess zwischen den beiden obersten Bundesbehörden. I24> - Die Regierung muss zugunsten des Parlaments in den verschiedenen Politikbereichen Leistungsziele und -vorgaben in zweckmässiger Art und Weise formulieren, substantiieren und begründen; was zugunsten eines verbesserten parlamentarischen Controllings zu nutzen ist.

Eine Kompetenzverteilung zwischen Parlament und Regierung, die diesen Grundsätzen nachlebt, braucht nicht vollständig neu erfunden zu werden. Wenn auch der Reformbedarf als gross zu bezeichnen ist, so darf immerhin festgehalten werden, dass verschiedene Grundelemente bereits im heutigen Regierungssystem angelegt sind; so beispielsweise in> der allgemeinen Konzeption der Gewaltenteilung, 125> der Unterscheidung zwischen Gesetzgebung und Vollzug,12U) im unterschiedlichen Inhalt von Gesetz und Verordnung I27> sowie in der Umschreibung der Oberaufsicht des Parlaments.128)

353.4

NPM-Steuerung durch die Bundesversammlung: ein Vorschlag

Für den Bund isi ein eigenes parlamentarisches NPM-Steuerungsmodell zu entwikkeln. Die besondere Ausprägung des schweizerischen Regierungssystems, insbesondere bezüglich Föderalismus, direkter Demokratie und Konkordanz, lässt die direkte Übernahme von ausländischen Vorbildern nur beschränkt zu. Ausländische Modelle wurden in der Regel im Rahmen parlamentarischer Demokratien entwikkelt, die ein grundsätzlich anderes Verhältnis zwischen'Parlament, Regierung und Vewaltung kennen. Gegenüber den Kantonen unterscheidet sich das Regierungssystem des Bundes durch die Grössenverhältnisse und das Zweikammersystem.

Grundlegend anders ist überdies der Charakter der Tätigkeit der Bundesverwaltung: Diese erbringt - abgesehen von verschiedenen Betriebsämtern - nicht primär selbständige Leistungen, sondern ist schwergewichtig im Bereich der Politikgestaltung und der Koordination tätig und nimmt Transferzahlungen vor. In Fällen, in denen IM)

Vgl. exemplarisch zu Partizipationsmodellen: Hansjörg Seiler/Thomas Webler, Prozedurale Demokratie - Ein Beitrag zur schweizerischen Demokratiereform? In: ZSR 1995 I.

S. 171 ff.; Jörg Paul Müller, Demokratische Gerechtigkeit, München 1993.

lM »'VgI. allgemein: Seiler (Anm. 10).

126 > Vgl. dazu allerdings differenziert Georg Müller (Anm. 35), S. 54ff.

1271 Vgl. dazu Ziffer 31 des vorliegenden Berichts.

I28

> Vgl. allgemein: Bernhard Heusler, Oberaufsicht und Kontrolle im schweizerischen Verfassungsrecht, Basel u.a. 1993; Philippe Maslronardi, Kriterien der demokratischen Verwaltungskonlrolle, Basel u. a.1991.

499

der Vollzug von Bundesrecht Sache der Kantone ist, haben die Bundesämter nur geringen Einfluss auf die eigentliche Leistungserstellung. Auf der Stufe der Gemeinden ist auf der parlamentarischen Ebene der Verhandlungsgegenstand sehr viel konkreter und leistungsbezogener als auf Bundesebene, was insbesondere im Hinblick auf die Ausgestaltung von Produktegruppenbudgets andere Perspektiven eröffnet. Zudem fehlt es auf Gemeindeebene - was von besonderer Bedeutung ist weitgehend an der inhaltlichen Steuerungsebene des Gesetzes.

Im folgenden soll ein konkreter Vorschlag zu einer NPM-Steuerung durch das Parlament zur Diskussion gestellt werden. Dabei wurde in erster Linie an eigentliche Betriebsämter gedacht; sie werden voraussichtlich als erste Pilotfunktionen übernehmen. Der Vorschlag basiert dabei auf folgenden Grundgedanken: Eine detaillierte Ressourcensteuerung wird durch globale Ressourcenvorgaben ersetzt. Das Budget soll allerdings möglichst einfach und für das Parlament überblickbar bleiben, damit der Budgetprozess zu bewältigen ist und die Grundfunktion des Voranschlages, nämlich die Gestaltung des Bundeshaushaltes in seiner Gesamtheit, nicht noch weiter behindert wird. Das Parlament wird in die neue NPM-Steuerung einbezogen, gleichzeitig aber - abgesehen von einer Neudeßnition des Motionsrechts - nicht mit neuen, völlig unvertrauten Verfahren überhäuft. Der Vorschlag ist damit recht pragmatisch ausgerichtet.

a. Beschlüsse im Rahmen des Produktegruppenbudgets Im Bereich von Bundesämtern mit Leistungsaufträgen wird auf eine detaillierte Ressourcensteuerung nach Aufwandarten verzichtet; sie wird ersetzt durch eine globale Ressourcenvorgabe (Globalbudgei) auf Stufe Amt und Produktegruppe. Das Parlament beschliesst über - den Saldo je Produktegruppe oder allenfalls einen Gesamtsaldo je Amt (bestehend aus dem Total der Saldi aller Produktegruppen}; - allfällige weitere besondere strategisch bedeutsame Kennziffern, wie beispielsweise wichtige Transferzahlungen. 12'J) Die Kommissionen sowie die einzelnen Parlamentarier besitzen ein entsprechendes Antragsrecht.

Diese beschlussrelevanten Positionen werden von den übrigen Informationsteilen klar^ auseinandergehalten. Die Informationen des Produktegruppenbudgets, die auf die Bedürfnisse des Parlaments zuzuschneiden sind, werden zur Kenntnis genommen. I30)
Ein «information overload» ist zu vermeiden. Es steht dem Parlament und seinen Kommissionen offen, allenfalls zusätzliche Informationen einzufordern. Das Parlament erhält mit dieser Darstellung eine umfassende Übersicht über die Leistungsseite'eines Amtes. Während das traditionelle Budget keine Aufschlüsse über die Gesamtkosten einer bestimmten staatlichen Aufgabe ermöglichte, weil die Budgetkredite auf die einzelnen Kostenarten (Personal, Sachmittel usw.) aufgegliedert wurden, legt das Produktegruppenbudget die gesamten Kosten je Produktegruppen dar. Es informiert zudem über die im Bereich bestehenden übergeordneten Ziele und wesentliche Leistungsvorgaben.

I19

> So z. B. im Kanton Bern.

i») Möglich wäre allenfalls auch eine Kenntnisnahme in ablehnendem Sinn (vgl. auch Art. 44biî GVG). Denkbar wären auch Genehmigungslösungen; diese werden hier aufgrund der damit verbundenen unklaren Zuordnung der Verantwortlichkeit allerdings nicht weiter verfolgt.

500

Das Produktegruppenbudget braucht nicht auf Anhieb flächendeckend zu sein; es kann zu Beginn auch bereichsweise eingesetzt werden. Wo Produktegruppenbudgets bestehen, wird über sie beschlossen; das traditionelle Budget kann insbesondere für statistische Zwecke noch weitergeführt werden; es hat aber in Bereichen mit Produktegruppenbudgets nur noch informativen Charakter.

Nicht unproblematisch ist bei diesem Modell namentlich das Verhältnis zwischen (vierjährigem) rLeistungsauftrag und dem (jährlichen) Produktegruppenbudget.

Wesentlich ist, dass der 4jährige Leistungsauftrag des Bundesrates nicht durch das jährliche Budget des Parlaments unzweckmässig übersteuert wird. Die einzelnen Ämter müssen sich längerfristig orientieren und damit auf die Vorgaben des Leistungsauftrages vertrauen können. Eine rechtliche Bindung der Budgetbehörde an den Leistungsauftrag besteht allerdings nicht. Das Parlament hat sich aber der Wirkungen seiner Budgetentscheide auf die vom Bundesrat gesetzten strategischen Zielvorgaben im Leistungsauftrag bewusst zu sein. Die aufgearbeiteten Grundlagen über die Kosten der Leistungserstellung werden es ermöglichen, dass im Rahmen des Budgetprozesses zwischen Parlament und Bundesrat ein weitaus kreativerer Dialog über die Zweckmässigkeit des Mitteleinsatzes in einem bestimmten Sachbereich erfolgen kann als heute. Gestützt auf diese Informationen wird der Bundesrat im Rahmen des Budgetprozesses dem Parlament - im Sinne des hier angestrebten partizipativen Dialogs - die Auswirkungen anfälliger Budgetanträge konkreter darlegen können und müssen. I3I)

b, Aufträge Im Bereich von Leistungsauftrag und Leistungsvorgaben Im Rahmen der Leistungsvorgaben, die vom Parlament bloss zur Kenntnis genommen werden, soll dem Parlament allerdings nun neu das Instrument des Auftrags zur Verfügung stehen, mit welchem pro futuro Änderungen anbegehrt werden können. Denkbar wären z. B. Anträge, ein bestimmtes Amt mit einem Leistungsauftrag auszustatten, einen Leistungsauftrag in eine bestimmte Richtung hin zu revidieren, künftig auf eine bestimmte Produktegruppe zu verzichten, eine Leistungsvorgabe anders zu formulieren oder einen Leistungsstandard anders zu setzen. Ausgeschlossen, ist mit diesem Verfahren -eine direkte Änderung des Leistungsauftrages oder jede andere direkte Änderung des informativen Teils des Produktegruppenbudgets.

Das in Ziffer 322 vorgestellte neue Instrument des Auftrags (Art. 147bis Abs. 2 VE 1995) eignet sich besonders für eine solche Mitsprache des Parlamentes im Bereich der Leistungsaufträge. Da der Auftrag im Zuständigkeitsbereich des Bundesrates als Richtlinie wirkt, kann das Parlament die Ausgestaltung von Leistungsaufträgen beeinflussen, ohne in die Zuständigkeit des Bundesrates einzugreifen, Nach dem von der Expertenkommission präsentierten Vorschlag können Aufträge in der parlamentarischen Beratung abgeändert werden, so dass im Parlament eine Diskussion über Leistungsaufträge entstehen kann.

Das Instrument des Auftrags ermöglicht es, ein konkretes Begehren - auch losgelöst vom Budgetverfahren - mit der notwendigen Aufmerksamkeit und Sorgfalt zu behandeln. Die Budgetanträgen eigene Einheit mit der Beratung des Budgets (und 131) Die Problematik des Widerspruches zwischen längerfnstiger Steuerung des Bundesrates und kurzfristigerer Steuerung des Parlaments könnte durch eine teilweise Verbindlicherklärung des Finanzplanes, wie sie beispielsweise im Kanton Bern vorgesehen ist, vermindert werden (vgl. Art. 10a Abs. 4 Finanzhauslialtgesetz des Kantons Bern). Damit würde die parlamentarische Ressourcensieuerung bereichsweise von der einjährigen auf die vierjährige Ebene verlagert und die parlamentarische Einflussnahme auf die Rahmenbedingun.gen der jeweiligen Leistungsaufträge gestärkt.

501

damit die permanente Überlastung des Budgetverfahrens) wird damit gelockert.

Dabei ist nicht ausgeschlossen, dass eine Frage auch in unmittelbarem Zusammenhang mit dem Budget beraten und entschieden werden kann; dies dürfte bei geeigneten Vorstössen sogar zweckmässig sein. I32) Mit dieser Lösung wird die Zuständigkeit des Parlaments im Rahmen von Produktegruppenbudgets einerseits zweckmässig erweitert, andererseits sinnvoll begrenzt.

Eine umfassende Zuständigkeit zum Beschluss von Leistungsvorgaben im Rahmen des 'Budgets wäre nach Ansicht der Expertenkommission problematisch: Detaillierte Ressourcensteuerung sollte nicht durch noch detailliertere Leistungssteuerung ersetzt werden! Würde das Parlament über das Produktegruppenbudget selber jährliche Leistungsvorgaben bis in die Produktegruppe hinein beschliessen, wäre nicht nur die längerfristige Ausrichtung der verschiedenen Policies gefährdet, sondern auch die generelle Zielsetzung der Konzentration auf das Wesentliche unter Entlastung von Details gerade ins Gegenteil verkehrt. Zudem wäre fraglich, ob Leistungsvorgaben im Bereich von Produktegruppen derart ausgestaltet werden könnten, dass sie die für das Parlament angestrebte strategische Ebene (nota: Entscheide über das «Was» - nicht das «Wie»!) erreichen. Ein Mehr an Zuständigkeiten bedeutet für das Parlament nicht zwingend ein Mehr an zweckmässigem Einfluss. Angesichts der schon heute überlasteten Budgetdebatten kann auch hier gelten: weniger ist letztlich mehr.

Falls der von der Expertenkommission beantragte Ersatz, der bisherigen Motion durch den Auftrag an den Bundesrat (vgl. vorne, Ztff, 322) nicht auf J.Januar 1998 realisiert werden könnte, rechtfertigt es sich möglicherweise, die Einführung des Instrumentes des parlamentarischen Auftrages für den Bereich der Leistungsaußräge int Sinne einer Versuchsregelung vorzuziehen, sei dies auf Stufe Geschäftverkehrsgesetz (für die Pilotämter ab l, Jan. 1998) oder auf Stufe Geschäßsreglemente (allenfalls bereits ab I.Jan. 1997). Für eine entsprechende Änderung des Geschäßsverkehrsgesetzes wird im folgenden ein Vorschlag unterbreitet.

Demgegenüber verzichtet die Expertenkommission auf Texlvorschläge auf Reglementsstufe. Sie empfiehlt, die entsprechenden Arbeiten hier allenfalls durch die parlamentseigenen Fachdienste vornehmen zu lassen.

Geschäftsverkehrsgcsetz Art. 22i"aifr 1 Die Bundesversammlung kann in] Zusammenhang mit Leistungsaufträgen, die der Bundesrat gestützt auf Artikel 51 des Regierungs- und Verwaltungsorganisationsgesetz.es vom O.Oktober 1995" erteilt,'Aufträge beschliessen.

2 Der Auftrag weist den Bundesrat an. einen Leistungsauftrag zu erlassen oder zu ändern. Der Auftrag wirkt als Richtlinie.

» SR ...; AS ... (BB1 1995 IV 450

1M

> Vgl. bereits Art. 27 Abs. l Geschäftsrcglement SR; Art. 35 Abs. 2 Geschäftsreglement NR.

502

3

Der Auftragstext kann auf Antrag einer Kontmission, einer Fraktion oder des Bundesrates abgeändert werden, sofern der Urheber seine Zustimmung dazu nicht vor der Verabschiedung im Erstrat verweigert.

4 Der Auftrag bedarf der Zustimmung des anderen Rates. Halt der Erstrat in der zweiten Beratung an einer Differenz fest, wird die Einigungskonferenz einberufen (Art. 17ff).

5 Beschlüsse eines Rates auf Abschreibung von Aufträgen bedürfen der Zustimmung des anderen Rates.

c. Neuorientierung im Bereich Gesetzgebung Wesentlich ist, die Gesetzgebung auf ihre Übereinstimmung mit den Grundsätzen wirkungsorientierterVerwaltungsführungg zuüberprüfen,, insbesondere im Bereich allfalligerNPM-Pilotämter.. Anzustreben sind namentlich folgendeGrundsätze::133)> - Gesetze haben sich noch starker auf die Aufgabe zu konzentrieren, übergreifende Ziele vorzugeben, Grundkonsense anzusteuern, zu koordinieren und zu integrieren.

- Auf unnötige Details ist im Sinne wohlverstandener Deregulierung zu verzichten. Das Parlament hat sich auf die Festlegung des Wichtigen zu beschranken und sich bei der Regelung von Unwesentlichem Zurückhaltung aufzuerlegen (legislativer «Self-restraint»).134) Dies nicht nur zum Vorteil der Handlungsfähigkeit der Bundesverwaltung, sondern auch im Hinblick auf zweckmässige, NPMkompatible Vollzugslösungen durch die Kantone.

- Regelungen, fur welche sich das Gesetzgebungsverfahren nicht eignet, sollen vermehrt dem Bundesrat überlassen werden. Sofern es sich um wichtige Normen handelt, die im Grundsatz durch das.Parlament zu beschliessen sind, sind dem Bundesrat im Gesetz zumindest durch Delegationsvorschriften die notigen Rechtsetzungsspielräume zu schaffen. 134) - Vom Dogma der unbegrenzt geltenden gesetzlichen Regelung ist Abschied zu nehmen. Es ist eine gesunde Mischung zwischen Stabilität und Flexibilität anzustreben. Dabei kann auch vermehrt von befristetem oder fliessendem Recht Gebrauch gemacht werden (Stichworte: Sunset legislation, Updating). Gesetze müssen sich als lernfähig erweisen können. An die Stelle von endgültigen Lösungen und absoluten Normen haben vermehrt vorlaufige Entwürfe sowie Lern- und Prozessorientierung zu treten.

- Konditionalrecht ist vermehrt durch Finalrecht zu ersetzen (Gesetze vermehrt als Leistungsaufträge und nicht nach Verhaltensregeln nach dem «WennDann»-Schema). Es gilt vermehrt zu prüfen, ob Gebote und Verbote durch andere staatliche Instrumente (Anreize, direkte Leistungen usw.) abgelöst werden kb'nnten. Es ist mehr mit offenen Zielvorgaben denn mit konkreten Verhaltenspflichten zu arbeiten.

- Die Auswirkungen des Legal itätsprinzips auf einzelne nach NPM-Grundsätzen zu führende Bereiche sind zu überprüfen. Der aus dem Legalitätsprinzip abgeleitete Grundsatz des «Vorbehaltes des Gesetzes» sowie die vom Bundesgericht ent-

133) Vgl. auch Hill (Anm.75), S . 84 f . ; Lange (Anm. 78),

175

503

wickelten Grundsätze der Gesetzesdelegation verlangen heute ein Übermass an Entscheidungszuständigkeit beim Parlament. I35) - Die Evaluation der Gesetzgebung ist dringend aufzuwerten. Das Parlament benötigt zwingend mehr Kenntnisse über Umsetzung und Wirkungsweise der von ihm erlassenen Gesetze.I3fi) d. Steigerung der Wirksamkeit der parlamentarischen Oberaufsicht Die unter dem vorgeschlagenen NPM-Führungsmodell vorgeschlagenen leìstungsbezogenen Informationen im Rahmen der Leistungsaufträge, Produktegruppenbudgets und Leistungsvereinbarungen sprengen das bisher Bekannte bei weitem. Diese Informationen gilt es für ein effektiveres parlamentarisches Controlling im Rahmen der Oberaufsicht zu nutzen. Die parlamentarischen Aufsichtsgremien haben sich mit den neuen Verfahren und Instrumenten rechtzeitig vertraut zu machen. Traditionelle Aufsichtsmittel sind mit modernen Formen eines Finanz- und Leistungscontrollings anzureichern. Erste Ansätze finden sich in der Revision des Finanzkontrollgesetzes mit der neuen Verpflichtung zur Verstärkung der Wirtschaftlichkeitspriifungen. I37) Die parlamentarischen Kommissionen werden sich dabei vor neuartige Herausforderungen gestellt sehen. Als Stichworte können angeführt werden: Überprüfung der Leistungsaufträge und Leistungsvereinbarungen; vermehrte Ex-ante- und Ex-posiEvaluationen, Auditing-Verfahren. Dabei werden sich die Kommissionen teilweise neu zu organisieren haben. Es sind verschiedene Arbeitsaufteilungen denkbar. Während sich beispielsweise die Finanzkommissionen den grundsätzlichen Steuerungsaufgaben zuwenden könnten (Vorbereitung des Voranschlages, übergreifende Koordination und Steuerung auf den Gebieten des Finanz-, Leistungs- und Personalcontrolling), könnte den anderen Kommissionen die anspruchsvolle Aufgabe zugewiesen werden, im Rahmen der nachträglichen Verwaltungskontrolle die Leistungsaufträge des Bundesrates, deren Umsetzung in Leistungsvereinbarungen sowie deren Erfüllung anhand der entsprechenden Leistungsberichte sowie aufgrund von eigenen Abklärungen kontinuierlich zu überprüfen. Die Aufgabenteilung zwischen den Geschäftsprüfungskommissionen und den Legislativkommissionen wäre dabei noch zu klären.

Dem Parlament wird empfohlen, im Hinblick auf die kommenden Pilotversuche die Art und Weise der Behandlung rechtzeitig vorzubereiten und die Gcschäftsreglemente allenfalls entsprechend zu ergänzen.

e, Würdigung Das hier skizzierte Modell verbessert das parlamentarische Steuerungspotential insoweit, als der Schritt zu bereichsweisen Globalbudgets (und damit der Verzicht auf eine detaillierte Ressourcensteuerung) durch eine deutlich verbesserte Informationslage über die Leistungsseite der Verwaltung mehr als nur kompensiert wird.

Auf der Basis dieser Leistungsinformationen kann das Parlament Ressourcen ver-

135) vgi. z.B. René Rhìnow, Meinungsbildung und Entscheidfmdung im öffentlichen Bereich aus der Sicht der Legislative. In: Krisenmanagement im öffentlichen Bereich, Schriftenreihe SGVW, 1995, S. 56.

IMI Vgi, dazu die Vorschläge in Ziffer 34 dieses Berichts. Sodann Werner Bussmann (Anm. 72).

I37

> Vgi. BB1 1994 II 721 ff.; 1994 III 1856IT. Vgi. dazu auch Kuno Schedler. Wirkungsprüfung in der Öffentlichen Verwaltung. In: Der Schweizer Treuhänder 1-2/95. S. 37ff.

504

"

bindlich bestimmten, leistungsseitig definierten Aufgaben (Leistungen) zuweisen, über parlamentarische Antragsrechte im Bereich der Leistungserstellung politische Impulse auslösen und seine Oberaufsicht über Bundesrat und Verwaltung besser wahrnehmen.

Mit diesem Modell besteht für das Parlament keine direkte Möglichkeit, auf Leistüngsaufträge bzw. Leistungsvereinbarungen einzuwirken. Diese Lösung macht auch Sinn. Das Parlament soll seine Zielsetzungen primär auf Stufe Gesetz formulieren. Darüber hinaus soll es sich im Sinne einer richtig verstandenen Geschäftsführungsprüfung darauf konzentrieren, zu überwachen, ob Ziele gesetzt werden, ob verschiedene Zielsetzungen einander zuwiderlaufen, ob die Einhaltung der Zielsetzungen kontrolliert wird und ob die Nichteinhaltung der Zielsetzungen sanktioniert und allfällige Massnahmen getroffen werden.

Eine andere Lösung würde schliesslich die Bemühungen um eine zweckmässige Abgrenzung der Inhalte zwischen Gesetz und Verordnung bzw. auch zwischen Verwaltungsführung und Oberaufsicht unterlaufen. Zusätzliche Wünsche nach konkreter und eigenständiger Leistungssteuerung sollen nicht über das Instrument des heutigen (noch jährlichen), ohnehin überlasteten Budgets, sondern über neue Formen der Gesetzgebung oder über noch zu schaffende Instrumente (vgl. hinten, Ziff. 353.5) gelöst werden.

Auch wenn das Parlament nicht aus eigener Kompetenz im Rahmen des Budgets Leistungsvorgaben beschliesst, darf das vorgesehene Produktegruppenbudget durchaus als leistungsorientiert bezeichnet werden. Das Parlament beschliesst nicht nur Ressourcen, sondern ordnet diese einer vom Bundesrat mit Zielsetzungen und Leistungsvorgaben umschriebenen bestimmten Aufgabe zu.

353.5

Ideen für die Zukunft

Das soeben skizzierte pragmatische Model! ist für Pilotämter mit Betriebscharakter kurzfristig realisierbar. Darin dürfte sein Vorteil liegen. Hingegen setzt es nicht alle Zielsetzungen einer umfassenden NPM-Strategie um. Auch vermag es noch nicht sämtliche vorne beschriebenen Steuerungsdefizite zu beheben; - Die Haushaltsteuerung des Parlaments bleibt mit dem jährlichen Budget allzu kurzfristig. Es fehlt an einer mittelfristigen griffigen Finanzsteuerung durch das Parlament.

- Es fehlt immer noch an einem zweckmässigen Instrument zu mittelfristig ausgerichteten parlamentarischen Politikvorgaben, an einer schnelleren und flexibleren Alternative zum Gesetz.

- Aufgaben und Ausgaben sind nicht miteinander verknüpft. Der Gesetzgeber kann immer noch Leistungen bestellen, ohne - über global gehaltene Darstellungen hinaus - über den Preis dieser Leistungen orientiert zu sein und ohne unmittelbar für deren Finanzierbarkeit sorgen zu müssen.

- Gesetz und Leistungsauftrag werden in einem grundlegend anderen Verfahren erarbeitet. Stellt man im Rahmen der Erstellung des Leistungsauftrages fest, dass der gesetzliche Rahmen zu verändern wäre, sind entweder die Hände gebunden oder es ist ein länger dauerndes Verfahren über die ordentliche Gesetzgebung einzuschlagen.

- Zusammenfassend: Es fehlt an einem parlamentarischen Führungsinstrument, das auf normativ-strategischer Ebene die Tätigkeit des Staates mittelfristig und bereichsspezifisch, unter Verbindung von Zielsetzungen und Leistungsvorgaben

505

sowie der Festlegung des Ressourceneinsatzes, zeitgerecht und wirkungsvoll zu beeinflussen vermag.

Idealvorstellungen können wohl nur mit einem grösseren Umbau des heute bekannten Steuerungssystems erreicht werden. Die vielfältigen Funktionen, die in den heute bestehenden Instrumenten bereits angelegt sind (Stichworte: Haushaltfunktion des Gesetzes; Kontroll-, Planungs-, Rechtssetzungsfunktion des Voranschlages) könnten" neu verteilt und die Verbindungslinien zwischen Gesetz, Budget, Leistungsauftrag und auch Ausgabenbeschluss neu gezogen werden. Es kann nicht die Aufgabe dieser Darstellung sein, im folgenden ein fertiges neues System zu präsentieren. Dafür wäre der heute bestehende NPM-Erfahrungsschatz noch eindeutig zu gering. Immerhin; Im Sinne einer Ideenskizze möchte die Expertenkommission aber mit einigen Vorschlägen zur Diskussion herausfordern und zu weitergehenden politischen und wissenschaftlichen Überlegungen aufmuntern: (1) Das «politische Programm» als zentrales Steuerungsinstrument. Ein politischer Auftrag des Parlaments an die Regierung könnte in einem bestimmten Politikbereich für eine periodische, mittelfristige Steuerung im Sinne eines eigentlichen Programmes sorgen. Dieses könnte, als zusätzliches, polyvalentes Steuerungsinstrument zwischen Gesetz, Budget und Finanzplan eingebettet werden und dabei insbesondere das Gesetz ergänzen und entlasten.

Das politische Programm könnte beispielsweise - vom Bundesrat vorgelegt und vom Parlament beschlossen werden; - periodisch total-, aus besonderem Anlass auch kurzfristig teilrevidiert werden; - in Ergänzung zum Gesetz (das auf seine wesentlichen Funktionen zurückgenommen wird) Grundlage für Leistungsaufträge des Bundesrates sein, in dem es in den Grundzügen die Leistungsbereiche und die Produktegruppen bezeichnet, strategische Leistungsvorgaben umschreibt sowie Finanzvorgaben für verschiedene Jahre macht; - als bereichsweise Festlegung des Finanzplanes dienen (ähnlich den heute besonderen Verpflichtungskrediten gegenüber dem Budget).

Für die Erprobung derartiger politischer Programme eignet sich das in Ziffer 321 dieses Berichts vorgeschlagene Instrument des parlamentarischen Grundsalzbeschlusses besonders gut (Art. 147bis Abs. l VE 1995). Denkbar wäre auch eine Kombination mit dem Instrument des Verpflichtungskredites.

Ansätze zu
derartigen «politischen Programmen» sind in der Praxis bereits vorhanden. So ist beispielsweise für die Bundesstatistik im Rahmen der gesetzlichen Vorgaben für jede Legislaturperiode ein Mehrjahresprogramm zu erstellen, das namentlich darüber Auskunft gibt, welche wichtigen statistischen Arbeiten zu erstellen sind und welche finanziellen und personellen Mittel dafür aufzuwenden sind.13*1 Oden Für die Erfüllung der Aufgaben der Stiftung «Pro Helvetia» bewilligt das Parlament gestützt auf eine Botschaft des Bundesrates sowie eine «Eingabe» der Stiftung alle vier Jahre Beiträge (Globalkredite).m> Auf diesen bereits bestehenden Ansätzen kann durchaus aufgebaut werden.

(2) Finanzplan in der Zuständigkeit des Parlaments. Es wäre zu überlegen, ob nicht generell die Zuständigkeiten zur Beschlussfassung von Finanzplan und Voranschlag gewechselt werden könnten. Der Finanzplan müsste dabei vom heutigen Pro1381

Vgl. Art. 9 Bundesstatistikgesetz vom 9. Dezember 1992, SR 431.01.

139) Vgl, Art. 3 Bundesgesetz betreffend die Stiftung «Pro Helvetia» vom 17. Dezember 1965.

SR447.1; BB1 1995 II 892ff.

506

gnose- zu einem eigentlichen Planungsinstrument ausgebaut werden. Ein neu definierter Finanzplan ware vierjährlich durch das Parlament zu beschliessen; der Voranschlag durch das Parlament nur noch alljährlich zur Kenntnis zu nehmen. Der Bundesrat ware an den Finanzplan gebunden, könnte aber durch Beschluss davon abweichen. Abweichungen mussten dem Parlament vorgelegt und begründet werden. Damit würde das Problem der möglichen Übersteuerung beseitigt (vgl.vorne,, Ziff. 353.4) und das notige parlamentarische Instrument zur mittelfristigen Finanzsteuerung geschaffen.

- (3) Gesetz und Finanzplan koppeln. Das Gesetz umschreibt in den Grundzügen die zu erbringenden Produktegruppen und ermöglicht damit eine Zuordnung der verursachten Ausgaben. Ein neuer Finanzplan nimmt eng auf diese gesetzlich vorgegebenen Produktegruppen Bezug. Der Gesetzgeber als Besteller einer Leistung beschliesst neue Aufgaben in Kenntnis der damit verursachten Aufwendungen; die bereichsweise Diskussion des Finanzplanes wird damit zu einem festen Bestandteil des Gesetzgebungsverfahrens. Bei der periodischen, gesamthaften Beratung des Finanzplanes können beantragte Anderungen an ein entsprechendes konkretes Rechtssetzungsprogramm gebunden werden. Der neue Finanzplan ist EDV-mässig im Sinne eines modernen "Management Information System» (MIS) derart aufgearbeitet, dass das Gesamtergebnis standig ausgewiesen werden kann. Durch diese Koppelung von Gesetz und Finanzplan ist auch die budgetrechtliche Wirkung des Gesetzgebers als Leistungsbesteller messbarer. Diese Lösung ermoglicht eigene Legislaturzielsetzungen des Parlaments sowie die nachtragliche Messung und Beurteilung von dessen Leistungen.

(4) Ubergang zu einem Zweijahresbudget. Sollte sich eine neue Konzeption der Finanz(planungs)zuständigkeiten zwischen Bundesrat und Parlament nicht realisieren lassen, so waren auch allein mil dem Ubergang von einem Ein- zu einem Zweijahresbudget zahlreiche Verbesserungen verbunden. 140) (5) Neues Rechnungsmodell: Das Rechnungsmodell des Bundes wird den Bedürfnissen einer nach betriebswirtschaftlichen Grundsätzen orientierten Steuerung in keiner Art und Weise gerecht. Die Kantone sind hier mit dem «Neuen Rechnungsmodell» der Finanzdirektoren eindeutig besser bedient. Ein breiterer Einsatz von Kostenrechnungen wird mittelfristig auch die Entwicklung eines neuen Rechnungsmodelles im Bund bedingen.

354 354.1

Ausgewählte Fragen Prozesse

Die angestrebte verstärkte Vernetzung von Planung, Entscheidung, Vollzug und Kontrolle - wie sie in NPM-Modellen angestrebt wird - stellt hohe Anforderungen an die Ablauforganisation. Es ist dabei zu bedenken, dass es nicht nur um eine zeitlich sorgfältige Planung der Prozesse geht, sondern dass darüber hinaus auch in Rechnung zu stellen ist, dass mit zunehmender Konkretisierung und Verwirklichungsnähe andere (tiefere) hierarchische Stufen der Verwaltung aktiv werden. Die Prozessorganisation muss auch mit einer angemessenen Kompetenzverteilung einhergehen, Eine Aufteilung des Steuerungsprozesses in eine (aufgewertete) längerfri-

140) Dazu ware allerdings eineÄnderungg des heutigen Art. 85 Ziff. 10 BV notig.

507

stige Komponente (Legislaturvorgaben) und eine (zurückgestufte) kurzfristige Komponente der Steuerung (jährliche oder besser noch zweijährliche Budgets) hat zwingend zur Folge, dass die Zuständigkeiten für die beiden Komponenten auch auseinandergehalten werden. Dabei wird zusätzlich über die Zielkonformität der kurzfristigen mit der längerfristigen Steuerung zu wachen sein. Die Komplexität der Prozesse - wohl eine der heikelsten Stellen jedes umfassenden NPM-Modells - spricht denn auch eindeutig für ein vorerst bereichsweises Austesten der Abläufe. Dazu müssen allerdings Regierung und Verwaltung die Möglichkeit und die Kompetenz erhalten, in Pilotprojekten mit den neuen Steuerungsformen zu experimentieren.

Die endgültige rechtliche Festlegung des Steuerungsprozesses kann dagegen wohl erst erfolgen, wenn Erfahrungen mit derartigen Pilotprojekten und detaillierte Konzepte für ihre Umsetzung vorliegen. Dabei niuss als Vorgabe dienen; die Abläufe sind heute schon kompliziert; sie dürfen zwischen Parlament und Regierung nicht noch komplizierter werden.

In allen funktional ausdifferenzierten politischen Systemen besteht die Gefahr, dass mit dem Denken in bereichsspezifischen Kategorien die bereichsübergreifenden Politikkonzepte in Vergessenheit geraten. Dieses Problem stellt sich auch im Rahmen der wirkungsorientierten Verwaltungsführung. NPM heisst allerdings nicht Verzicht auf bereichsübergreifende Policies. Es ist durchaus möglich, auch im Rahmen von NPM übergeordnete Zielvorgaben zu berücksichtigen und die verschiedenen Policies aufeinander abzustimmen. Dazu sind allerdings bestimmte Vorkehrungen zu treffen: Zunächst ist sicherzustellen, dass in den Leistungsvorgaben auf die übergeordneten politischen Zielsetzungen explizit Bezug genommen wird. Dann sind diese Leistungsvorgaben ständig zu .evaluieren und auf ihre Übereinstimmung mit den übergeordneten Zielen zu überprüfen. Dies ist nicht zuletzt eine Sache des Parlaments. Schliesslich müssen die einzelnen Dienstleistungszentren, wenn sie unter Effektivitätsdruck - bestimmte übergeordnete Zielsetzungen verletzen, mittels Auflagen und Standards im Leistungsauftrag in der Stossrichtung korrigiert werden - allenfalls unter Abgeltung des Mehraufwandes. Sind diese Voraussetzungen erfüllt und bleiben somit die Dienstleistungseinheiten in die Öffentliche
Verwaltung eingebunden, so drohen von ihnen weniger Gefahren für bereichsübergreifende Policies als von Agencies, die ohne eigentlichen Leistungsauftrag aus der Verwaltung ausgelagert werden. I4I) 354.2

Demokratie

Wie ist NPM mit (direkter) Demokratie vereinbar? In den kantonalen und kommunalen Modellen geht man davon aus, dass die Volksrechte weitgehend unverändert weiterbestehen können. Ein NPM-Modell würde auch beim Bund nicht zu einer Reduktion der Volksrechte führen, greifen diese hier doch primär auf der normativen Ebene. Insgesamt sollte jedoch gelten, dass sich NPM im Rahmen der durchaus wandelbaren direkten Demokratie zu entfalten hat - und nicht umgekehrt.

Ein Verlust an direkter Demokratie droht allenfalls aufgrund einer allzuweit gehenden Aushöhlung des Gesetzes. Gemäss dem Wunsch nach Offenheit und Flexibilität wurden schon bisher zunehmend nur noch Rahmengesetze erlassen, und es 14I

> Als Beispiel kann hier das neu gestaltete Institut für Geistiges Eigentum genannt werden.

Vgl. Bundesgesetz ober Statut und Aufgaben des Eidgenössischen Instituts für Geistiges Eigentum (IGEG) vom 24. März 1995. Immerhin scheibt Art. 9 IGEG vor, dass das Institut der Aufsicht des Bundesraies untersteht.

508

wurde immer mehr mil unbestimmten Rechtsbegriffen und Ermessensspielräumen gearbeitet. Damit verlagert sich die Kompetenz zur inhaltlichen Festlegung zunehmend vom demokratischen Gesetzgeber weg auf Regierung und Verwaltung. Diese Offenheit und Flexibilität vermag, wie vorneausgeführt,, unterGrundsätzenn wirkungsorientierterVerwaltungsführungg durchaus nochverstärktt sinnvoll sein; ihr sind aber im System derdirekten Demokratiee gewisse Schranken gesetzt. Allenfalls kann undsolll ein allfalliger Demokratieverlust im den.142)> Ahnliche Überlegungen gilt es im Spannungsfeld der beiden Grundsätze das Wie in die Kompetenz der Verwaltung» - das «Wichtige in die Hand des Gesetzgebers» anzustellen. Der Frage der demokratischen Wichtigkeit ist gegenüber dem ökonomischen «Wie» nach der hier vertretenen Auffassung der Vorrang einzuräumen.

354.3

Föderalismus

Inwieweit ist NPM mil dem dreistufigen Föderalismus vereinbar? Auf der grundsätzlichen Ebene sind kaum Widerspruche zwischen den Föderalismustheorien und der NPM-Philosophie auszumachen. Beide folgen den Ideen der dezentralisierten Entscheidfindung, der Subsidiaritat, der Bürgernäher Biirgema'h zienz. Probleme entstehen auch keine, wo eine Ebene, seien es Bund, Kantone oder Gemeinden, allein sowohl fur Politikformulierung als auch fur Finanzierung und Vollzug zustandig ist.

Praktische Schwierigkeiten konnen allerdings bei Verflechtungslösungen, insbesondere beim Vollzugsföderalismus entstehen. Wenn bei einer Trennung von strategischen Zielsetzungen und operativem Management die strategischen Entscheidungen dem Bund, die operative Managementverantwortung aber den Kantonen zukommt, so ist ein standiger S t u m t urn die Frage, was der strategischen und was der operativen Ebene zuzurechnen sei, zu erwarten. V o r a u s s e t f ü r fiir ein reibungsloses Funktionieren v o n w ä r e w a ' r e in diesem Falle auch eine einheitliche Kostenrechnung und vereinheitlichte Formen des Controlling. Dazu waren insbesondere auch gemeinsame und dkonsensfähige'hige Indikatoren zur Beurteilung der Leistungen und Wirkungen der staatlichen Programme erforderlich, Davon sind wir in der Schweiz noch entfernt.e143) I43>

354.4

Verantwortlichkeiten, Sanktionen

Das Problem der Verantwortlichkeit gewinnt bei der Einräumung von Handlungsfreiraumen an Amtsstellen (Leistungszentren). und der Zuerkennung von Selbstverantwortlichkeit an Bedeutung. Wie konnen NPM-Verantwortliche bei fehlerhaften Leistungen zur Rechenschaft gezogen werden? Insgesamt ist festzustellen, dass die NPM-Philosophie mil ihrer Betonung der Eigenverantwortlichkeit allein dadurch einen Fortschritt bringt, als damit Schlechterfüllungen und Unverantwortlichkeiten aufgrund von messbaren Grossen überhaupt an den Tag kommen. NPM ist in die-

1421 1431

Vgl. dazu beispielsweise die Vorschlage im Rahmen der Diskussion um die totalrevidierte Verfassung (Art. 123 des Verfassungsentwurfs 1995, blaue Version).

Vgl. Ulrich Klöti, «Auswirkungen» des New Public Managements auf den Foderalismus.

In: Hablützel et al. (Anm. 97), S. 4 1 1 ff.

509

sem Sinn bereits ein Schritt weg vom bisherigen System einer «organisierten Unverantwortlichkeit» (Gerhard Banner). Die Verantwortung für die Einhaltung der NPM-Zielsetzungen hat die Regierung zu übernehmen, Regierung und Verwaltung steht das bereits heute bekannte beamtenrechtliche Instrumentarium zur Verfügung (Versetzung, Entlassung). Das Hauptproblem liegt in der Frage, wann und wie das Parlament eingreifen kann, wie das Parlament Korrekturen in der Politikimplementation durchsetzen kann, namentlich wenn Meinungen von Regierung und Parlament über das Ausmass der Mängel auseinandergehen. Hier gilt es noch konkretere1 Lösungen zu entwickeln. Dabei dürften politische Lösungsansätze im Vordergrund stehen.

354.5

Zur Funktion und Rolle des Staates

Die Fragen nach der Funktion des Staates, nach dem richtigen Mass seiner Tätigkeit und nach der Reichweite seiner Interventionen in Wirtschaft und Gesellschaft bilden einen klassischen Streitpunkt zwischen einer liberalen und einer sozialistischen Staatstheorie und den sich darauf berufenden Parteien. NPM ist bezüglich der Rolle des Staates nicht neutral. Liberale können sich von einer wirkungsorientierten _ Verwaltungsführung erhoffen, dass der Staat seine Aufgaben effizienter wahrnimmt, dass damit Einsparungen möglich werden und somit die Staatsquote tendenziell sinkt. Sozialdemokraten ihrerseits sehen in NPM den Vorteil, dass der Staat seine Steuerungsfunktion beibehält und nicht an Private überträgt, dass er noch effektiver steuern und damit seine zentrale Rolle in der Gesellschaft beibehalten kann. Wirkungsorientierte Verwaltungsführung ist damit für breite Kreise vorläufig noch ein konsensfähiges Instrument. Dies gilt umso mehr, als mît den Leistungsvorgaben und mit ihrer ständigen Überprüfung eine grössere Transparenz über die Rolle des Staates und die Wirksamkeit seiner Aktivitäten erreicht wird.

Mit der zunehmenden Konkretisierung der Modelle und ersten Erfahrungen wird sich zeigen, ob die künftigen NPM-Modelle sich auf dem schmalen Grat des politischen Konsenses halten können. Zwei Beispiele mögen die Problematik illustrieren: Unter'der NPM-Zielsetzung, dass staatliche Betriebe vermehrt dem privaten Wettbewerb auszusetzen sind, soll Verwaltungseinheiten künftig die Möglichkeit eingeräumt werden, über hoheitliche gebührenpflichtige Grundleistungen hinaus auch kommerzielle Dienstleistungen anzubieten. Dies nicht nur im Sinne einer Einnahmequelle für die Bundeskasse (optimale Ausnützung der mit Steuergeldern finanzierten staatlichen Infrastruktur), sondern als Anreizmechanismus, Härtetest und Lernprozess, welcher letztlich der effektiven Leistungserbringung im hoheitlichen Bereich dienen soll. Solche kommerziellen Dienstleistungsangebote stehen zwangsläufig in einem Spannungsverhältnis zu den Grundsätzen des schweizerischen Wirtschaftsverfassungsrechts, welches sich zu einer koordinierten Privatwirtschaftsordnung bekennt und sich damit gegen eine staatliche Verwaltungswirtschaft richtet. IW > Hier wird es darum gehen, den Bundesbetrieben die wünschbaren Hand-

1441

Vgl. Klaus A. Vallender, Wirtschaftsfreiheit und begrenzte Staatsyeraniwortung. Bern 1995, insb. S. 85 f.; Jörg Paul Müller, Die Grundrechte der schweizerischen Bundesverfassung, Bern i 991. S. 353 f.; Rene Rhinow. Kommentar Bundesverfassung. Art. 31 Rz. 20.

510

lungsspielräume zu eröffnen und die erwünschten Härtetests zuzulassen, ohne die staatliche Tätigkeit in letztlich unerwünschter Art und Weise ausufern zu lassen.t451 Ähnliche Probleme einer Vermischung staatlicher und privater Tätigkeiten könnten sich auch aufgrund der Tatsache stellen, dass unter NPM-Grundsätzen die Erbringung staatlicher Leistungen nicht mehr ausschliesslich (oder zumindest weitgehend) staatlichen Betrieben vorbehalten bleiben, sondern dass in viel grösserem Mass als heute ermöglicht werden soll, die Erbringung von Leistungen durch Vertrag auch an Private zu übertragen. Dies wäre nach NPM-Grundsätzen nicht nur gestützt auf eine entsprechende Ermächtigung in einem Gesetz möglich, wie sie heute nach herrschender juristischer Lehrauffassung nötig ist, sondern nach Evaluation staatlicher und privater Angebote durch Verwaltungsentscheid (contracting out). Die bisherige Prinzipienfrage, ob Staat oder Privatwirtschaft, solle künftig demnach nicht mehr vom Gesetzgeber, sondern durch das Verwaltungsmanagement getroffen werden. M6> Hier dürfte es darum gehen, das Zweckmässige zu ermöglichen, ohne Parlament und Volk das Wesentliche zu entziehen.

354.6

NPM und totalrevidierte Bundesverfassung

Die totalrevidierte Verfassung147> sollte die Zielsetzung einer Regierungs- und Verwaltungsreform im Sinne einer wirkungsorientierten Verwaltungsführung nicht ohne zwingenden Grund behindern. Die nötigen verfassungsrechtlichen Handlungsfreiräume sind offenzuhalten. Die einschlägigen Bestimmungen sollten unter diesem Gesichtspunkt überprüft werden.

Positiv zu beurteilen ist der offen gehaltene Verfassungstext im Bereich des Legalitätsprinzips (Art. 4 VE); dies allerdings nur, sofern damit nicht zwingend die strenge Praxis des Bundesgerichts im Bereich des Legalitätsprinzips in der Leistungsverwaltung zementiert werden soll. Begrüssenswert klärend ist die Feststellung von Artikel 29 -Absatz 2 VE, wonach auch Private, falls sie Öffentliche Aufgaben erfüllen, nicht unbegrenzte Privatautonomie geniessen, sondern an die Grundrechte gebunden sind. Dadurch, dass gemäss Anikel 147 Absatz l Buchstabe h VE die Bundesversammlung nur die «Grundsätze» der Organisation der Bundesbehörden festzulegen hat, ist der unter einer wirkungsorientieren Verwaltungsführung nötige organisatorische Spielraum der Regierung garantiert. Allerdings würde hier der Verfassungstext wohl mit Vorteil von «Grundzügen der Organisation» sprechen (vgl. Kommentar der Expertenkommission zu diesem Artikel in Ziff. 33). Positiv 'zu bewerten ist auch der Verzicht auf die Festlegung einer einjährigen Budgetperiode (Art. 144 VE; vgl. bisher Art. 85 Ziff. 10 B V), was allenfalls den Weg zu einer zweijährigen Budgetperiode öffnen würde. Zweckmässig'ist schliesslich, dass - mit Ausnahme des Finanzplanes (Art. 157 VE) - die einzelnen Planungs- und Berichtsinstrumente (Legislaturplanung, Geschäftsbericht, Richtlinien der Regierungspolitik) nicht ausdrücklich auf Verfassungsstufe verankert werden und damit einer Weiterentwicklung zugänglich sind.

I4î)

Vgl. zum Problemkreis kommerzieller Nebenläligkeiten von Verwaltungseinheiten und öffentlichrechtlichen Unternehmungen in der Zwischenzeit auch Bundesamt für Justiz, Gesetzgebungsleitfaden, Anhang 23 vom I. Juni 1995.

'*> Vgl. dazu auch König (Anm. 99), S. 355.

1471 Vemehmlassungsvorlage vom Juni 1995.

511

Negativ zu bewerten ist die einseitige Zuweisung der Planungsfunktion an den Bundesrat (Art. 154 VE allgemein, bezüglich des Finanzplanes Art. 157 VE); damit bleibt wenig Raum für die hier propagierte weitergehende Beteiligung des Parlaments an der Fixierung mittelfristiger politischer Zielsetzungen. Die Expertenkommission schlägt deshalb in Ziffer 323 dieses Berichts die Aufnahme einer entsprechenden Kompetenz in die Verfassung vor (Art. 147 Abs. l Bst. abls) Allzu eng scheint im Hinblick auf eine vermehrte Möglichkeit zur Auslagerung bisher staatlich erstellter Dienstleistungen auf Private Artikel ! 52 Absatz 3 VE; Diese Bestimmung bindet jede Übertragung öffentlicher Aufgaben an Organisationen oder Personen des privaten Rechts an eine (formell)gesetzliche Grundlage. Diese Regelung mag einer strengen Interpretation bundesgerìchtl ìcher Präjudizien sowie einem überwiegenden Teil der Lehre entsprechen; sie ist aber modernen flexiblen Formen staatlicher Leistungserbringung nicht angemessen. NPM-Modelle eines weitreichenden «Contracüng out» wären damit verfassungsrechtlich unzulässig; die Bestimmung müsste im Hinblick auf eine vernünftige Flexibilisierung in diesem Bereich unbedingt geöffnet werden. I4M> Es wird deshalb vorgeschlagen, dass die Voraussetzungen für solche Auslagerungen zwar gesetzlich festgelegt werden müssen, nicht aber für jede externe Leistungserbringung ein gesetzliche Grundlage geschaffen werden muss.

Artikel 152 Absatz 3 des Vcrfassungsentwurfs lieren:

ist deshalb neu zu formu-

Art. 152 Bundesverwaltung 1 Unverändert.

2 Unverändert.

3 Bundesaufgaben können Organisationen und Personen des öffentlichen oder des privaten Rechts, die ausserhalb der Bundes Verwaltung stehen, übertragen werden. Die Voraussetzungen dafür werden auf dem Wege der Gesetzgebung festgelegt.

355

Zusammenfassende Thesen

Der Bundesversammlung wird empfohlen, die Einführung von NPM-Modellen im Bund wie folgt zu unterstützen: (1) NPM muss auch im Parlament zu einem bedeutenden Thema werden: Zwar ist die Entwicklung eines NPM-Steuerungsmodelles primär Aufgabe von Regierung und Verwaltung; wirkungsorientierte Verwaltungsführung (NPM) stellt die klassische Aufgabenverteilung von Parlament, Regierung und Verwaltung allerdings derart grundsätzlich in Frage, dass das Parlament nicht mehr daran vorbeisehen darf.

Die Bundesversammlung soll dabei nicht zögern, Erkenntnisse der NPM-PhilosoI48

> Als Beispiel darf hier einmal mehr auf die jieue Bemer Verfassung verwiesen werden, wo in Art. 95 der Gesetzesvorbchalt bei der Übertragung von Aufgaben an Dritte auf Fälle «bedeutender Leistungen» beschränkt ist. Ein formelles Gesetz ist zudem nötig, wenn die Dritten zur Einschränkung von Grundrechten oder zur Erhebung von Abgaben ermächtigt werden sollen. Vgl. Kälin/Bolz (Anm. 51), S. 499 ff.

512

phie ab sofort in die laufende Arbeit einfliessen zu lassen. Für eine Übernahme des mit NPM verbundenen neuen Geistes braucht es vorerst nicht einmal institutionelle Reformen und Änderungen der Rechtsgrundlagen.

(2) Das Parlament"soll für Pilotversuche Hand bieten und die dafür nötigen Rechtsgrundlagen bereitstellen: NPM erfordert eine Experimentierphase. Diese ist Regierung und Verwaltung einzuräumen. Mit dem neuen Regierungs- und Verwaltungsorganisationsgesetz (RVOG, insbesondere Art. 51) wurde ein erster richtiger Schritt getan. Sollte das RVOG in der Volksabstimmung an der Frage der Staatssekretäre scheitern, sollte das Parlament Hand bieten, die nötigen Rechtsgrundlagen für Pilotversuche dringlich in einem zweiten Anlauf bereitzustellen. Dabei ist das Parlament bereits in der Pilotphase zweckmässig im NPM-Steuerungsmodell zu positionieren. Es ist dafür zu sorgen, dass die nötigen parlamentsseitigen Verfahren rechtzeitig vorhanden sind.

(3) Zum Entscheid zu einer flächendeckenden Einfuhrung eines NPM-Modeüs ist es noch zu früh; eine solche würde eine grundlegende Siaatsreform bedingen: An einem besseren Regierungssystem wird schon lange und immer wieder gearbeitet.

Wenn auch die NPM-Diskussion neuen Schwung in Reformdiskussionen bringt, ist im Hinblick auf umfassende und flächendeckende Strukturreformen vorläufig noch Zurückhaltung am Platz. Die ersten Erfahrungen auf Stufe Gemeinde und Kanton wie auch in ersten Pilotämtern auf Stufe Bund müssen vorerst nicht nur die Vorteile der neuen Modelle bestätigen, sondern auch über Art und Umfang zweifellos bestehender negativer Nebenwirkungen Aufschluss geben. Immerhin ist im Rahmen der wieder angelaufenen Diskussion um eine neue Bundesverfassung dafür zu sorgen, dass die nötigen Spielräume offen bleiben; Ein ganzheitliches, flächendekkendes NPM-Modell bedingt eine grundlegende Staatsreform und ein grundsätzliches Überdenken -von direkter Demokratie, Föderalismus, Funktion des Staates sowie - nicht zuletzt - Stellenwert, Funktion und Professionalität des Parlaments.

Bei aller Begeisterung, die im Rahmen von NPM-Projekten an den Tag gelegt wird - anerkannte Errungenschaften unseres staatlichen Systems sind nicht leichtfertig zu gefährden. Allzu hohe zeitliche und qualitative Zielsetzungen und Anforderungen an laufende NPM-Modelle könnten letztlich
sinnvolle Reformen auch dort gefährden, wo sie - nach heutiger Erkenntnis mit guter Chance - zum Nutzen eines effektiveren und wirtschaftlicheren Staates fruchtbar gemacht werden können.

36

Wahl des Bundesrates: Stärkung der Verantwortlichkeit der Regierung149>

Gemäss ihrem Mandat hatte die Expertenkommission die Aufgabe, Möglichkeiten zu prüfen, wie die Verantwortlichkeit des Bundesrates gegenüber der Bundesversammlung - insbesondere auch in Zusammenhang mit Wahlen - gestärkt werden könnte.

'*> Literatur Urs Altermalt (Hrsg.), Die Schweizer Bundesräte. Ein biographisches Lexikon, Zürich/München 1991; Klaus von Beyme (Anm. 1); Georg Brunner, Vergleichende Regierungslehre, Paderborn, 1979; Ernst Fraenkel, Deutschland und die westlichen Demokratien, 7. Aufl., Stuttgart .1979; Franz Lehner, Vergleichende Regierungslehre, Opladen 1989; Winfried Steffani, Parlamentarische und präsidentielle Demokratie: Strukturelle Aspekte wesllicherDemokratien. Opladen 1979.

513

Im folgenden werden einzelne Reformvorschläge, die politisch zur Diskussion stehen, dargestellt und gewürdigt. Die Beurteilung erfolgt immer mit Blick auf die unmittelbaren Folgen der vorgeschlagenen Neuregelung für das Verhältnis von Parlament und Regierung einerseits, für das Regierungssystem im weiteren Sinne andererseits.

Bei den hier präsentierten Vorschlägen geht es um institutionelle Änderungen, die es den eidgenössischen Räten erlauben, die Regierung enger an die politischen Vorgaben des Parlaments zu binden. Implizit heisst dies, dass die Vorschläge darauf hinauslaufen, weitere Elemente des parlamentarischen Regierungssystems zu übernehmen.

361

Wahlverfahren

Bei den verschiedenen Ersatzwahlen in den Bundesrat sind in den letzten Jahren immer wieder Probleme aufgetaucht. Dies hat dazu geführt, dass das Verfahren der Wahl in Frage gestellt worden ist. Die Rcformvorschläge, die in die Diskussion gebracht worden sind, reichen von marginalen Verfahrensänderungen bis zum Übergang zur Volkswahl. Einige Varianten sollen im folgenden erörtert werden.

361.1

Volkswahl des Bundesrates

Die Volkswahl des Bundesrates stand in der Geschichte des Bundesstaatcs mehrmals zur Diskussion. Zweimal (1900 und 1942) ist sie vom Volk deutlich abgelehnt worden. Ein letztes Mal ist die Idee in der Form zweier parlamentarischer Initiativen (93.412 Robert, GP/BE und 93.418 Hämmerle, SP/GR) im Jahre 1993 im Anschluss an die Wahl von Bundesrätin Dreifuss Wieder aufgenommen worden.

Interessant ist der Umstand, dass der Initiant Hämmerle die Wahl der Regierung durch das Parlament als systemfremd bezeichnet, weil in den Kantonen und Gemeinden die Exekutive vom Volk gewählt werde. Dort stellt sich indessen die Frage der angemessenen Vertretung der Regionen und der Sprachgruppen nicht mit der gleichen Schärfe wie auf Bundesebene, wo komplizierte Mechanismen des Minderheitenschutzes in die Regelung des Wahl Verfahrens eingebaut werden müsslen.

Aus systematischer Sicht ist zu sagen, dass die Volkswahl des Bundesrates ein weiteres Element des präsidentiellen Regierungssystems einführen würde. Dies kann eigentlich nicht im Interesse des Parlaments liegen, weil damit die Regierung lendenziell gestärkt würde. Der Vorschlag ist denn 1994 (Amtl.Bull. N 1994 1850) auch deutlich abgelehnt worden.

361.2

Gemeinsame Wahl der Bundesräte in einem Wahlgang

Hängig ist eine Motion Weyeneth (SVP/BE) (95.3140), die eine gemeinsame Wahl der Bundesräte in einem Wahlgang vorsieht. Einschränkend ist dabei vorgesehen, dass erstmals Kandidierende einzeln gewählt werden sollen. Ziel des Vorstosscs ist es, taktische Überlegungen bei der Wahl nach Möglichkeit auszuschalten. Es ist allerdings fraglich, ob dieses Ziel mit dem vorliegenden Vorschlag erreicht werden könnte. Aus politikwissenschaftlicher Sicht ist festzuhalten, dass jedes Wahlverfahren taktische Manöver zulässt. Es ist ex ante nur schwer auszumachen, wie das Wahlgremium die sich bietenden neuen Möglichkeiten der'Äusserung von Unzufrie514

denheit mit einzelnen Mitgliedern des Bundesrates nutzen würde. Es ist zu erwarten, dass Streichungen von einzelnen Namen auch mit diesem Verfahren nicht ausgeschlossen würden. Um wirksam zu sein, müssten sie allerdings konzertiert werden. Dies bedingt ejne vorherige Absprache. Überraschungen in der Form der Nichtwiederwahl einzelner Mitglieder des Bundesrates wären damit noch weniger zu vermeiden als mit dem bisherigen Verfahren.

Das Ausmass der präventiven Wirkung dieses" Rechts ist nur äusserst schwer zu bestimmen. Zugunsten des Vorstosses ist das Argument ins Feld zu führen, dass er die Kollegialität der Regierung stärken würde, müssten doch alle Mitglieder des Bundesrates darauf achten, dass nicht Fehlleistungen einer einzelnen Persönlichkeit die Wiederwahl aller Kandidierenden gefährden würde.

361,3

Listenwahl des Bundesrates

Ein weitergehendes Modell ^der eigentlichen Listenwahl müsste vorsehen, dass bei Neuwahlen die Regierung in globo (mit neuen und bisherigen Mitgliedern) bestellt würde. Dies würde zu einem klaren Schritt in Richtung eines parlamentarischen Konkurrenzsystems führen. Die Parteien müssten sich im Vorfeld der Wahl auf ein gemeinsames Ticket einigen. Für den Fall, dass ihnen dies nicht gelänge, wäre zu erwarten, dass verschiedene Listen, denen nur gesamthaft zugestimmt werden könnte, einander gegenüberstehen würden. In dieser Situation würden Mehrheit und Minderheit(en) deutlich sichtbar.

Das Modell weist indessen auch Nachteile auf. So besteht die Gefahr, dass sich die grossen Parteien nicht auf ein gemeinsames Ticket einigen können. Dies hätte eine Erschwerung der Regierungsbildung zur Folge. Aus systematischer Sicht ist überdies zu bedenken, dass dieses Modell die Kompetenz der Bundesversammlung, einzelne Kandidierende zu streichen, aufheben würde. Personelle Änderungen könnte das Parlament nur noch durchsetzen, indem es so lange keinem Ticket zustimmen würde, bis die Parteien sich auch personell auf eine mehrheitsfähige Auswahl geeinigt hätten. Dies würde nicht nur den Handlungsspielraum des Parlaments beschränken, sondern unter Umständen bei den heute gegebenen Kräfteverhältnissen eine Regierungsbildung verzögern oder gar verunmöglichen.

Neue Fragen stellen sich mit der Listenwahl beim Rücktritt eines einzelnen Regierungsmitglieds während der Legislatur. Bei der Listenwahl wäre es dann erforderlich, dass sich die ganze Regierungsequipe neu formieren und einer Wahl stellen müsste. Dies hätte den Vorteil, dass Rücktritte weniger unbedacht erfolgen könnten. Taktischen Manövern Hesse aber auch dieses Wahlverfahren die Tore offen. So könnte etwa ein Mitglied des Bundesrates gezielt zurücktreten, um dann bei den Neuwahlen wieder zu kandidieren, aber bei dieser Gelegenheit über vorher getroffene Absprachen einem wiederkandidierenden Bisherigen die Wiederwahl zu verunmöglichen. Dem könnte zwar mit einer Bestimmung entgegengewirkt werden, wonach ein freiwillig zurücktretendes Mitglied der Regierung nach seinem Rücktritt wenigstens vier Jahre nicht mehr gewählt werden könnte. Dennoch sind auch bei allen gutgemeinten Detailregeln taktische Spiele nie ganz zu verhindern. Ob mit diesem Verfahren die Verantwortlichkeit der Regierung überhaupt gestärkt würde, bleibt offen.

515

361.4

Proporzwahl des Bundesrates

Im Anschluss an die Nichtwahl von offiziellen Kandidaten und vor allem Kandidatinnen der Parteien ist auch die Frage aufgeworfen worden, ob die Wahl der Regierung nach Proporz erfolgen sollte (z. B. die zurückgezogene Parlamentarische Initiative 93.415, Gross Andreas, SP/ZH). Eine derartige Verfahrensänderung hätte relativ weitreichende Konsequenzen. Die wichtigste bestünde darin, dass die Bundesversammlung als Ganzes nur noch die parteipolitische Verteilung der Bundesratssitze bestimmen, auf die personelle Auswahl aber keinen direkten Einfluss mehr nehmen könnte. Diese käme primär den Fraktionen zu, welche die Vorschläge zu unterbreiten hätten.

Unter der Annahme gleichbleibender Stärkeverhältnisse in den eidgenössischen Räten und einer grösseren Fraktionsdisziplin als bisher kann davon ausgegangen werden, dass sich die parteipolitische Zusammensetzung des Bundesrates nicht ändern würde. Ein Zusammengehen aller rechten und bürgerlichen Stimmen (unter Einschluss der CVP) könnte allenfalls dazu führen, dass die SP eines ihrer Mandate verlieren würde. Ein Zusammenschluss der linken und grünen Parteien könnte dies allerdings verhindern. Gravierender wäre der Umstand, dass sich die Gewählten nicht mehr auf eine absolute Mehrheit im Wahlgremium stützen könnten und so ihre Legitimation geschwächt würde. Es bestünde auch die Gefahr, dass bei der Auswahl der Persönlichkeiten die Teamfähigkeit weniger beachtet würde, was der Arbeit im Regierungskollegium und seiner Geschlossenheit nicht zuträglich wäre.

Schliesslich müssten komplizierte Vorkehrungen getroffen werden, um die Kantonsklausel durchzusetzen und den freiwilligen Minderheitenschutz zu gewährleisten.

Es scheint nicht sinnvoll zu sein, all diese Nachteile in Kauf zu nehmen, nur um den Fraktionen einen grösseren Einfluss auf die Wahl «ihrer» Mitglieder der Landesregierung einzuräumen.

362

Misstrauensäusserungen

Auch bei einer sorgfältigen Wahl der Regierung ist nicht auszuschliessen, dass das Parlament mit gewissen Handlungen und Entscheidungen der Exekutive nicht einverstanden ist. In solchen Fällen wünscht das Parlament seinem Missfallen Ausdruck zu verleihen. Es will sein Misstrauen äussern können. Das Misstrauensvotum ist eines der wichtigsten Elemente des parlamentarischen Regierungssystems. Alle im folgenden diskutierten Reform vorschlüge laufen in mehr oder weniger starkem Masse darauf hinaus, die Möglichkeit zu schaffen, mit parlamentarischen Misstrauensäusserungen die Regierung zur Rechenschaft zu ziehen und sie an ihre Verantwortlichkeit gegenüber der Legislative zu erinnern.

362.1

Misstrauensvotum ohne Sanktionen

Als schwächste Form der Missfallensäusserung kann das Misstrauensvotum ohne Sanktionen bezeichnet werden. Hier würden die Räte in der Form eines Auftrags (einer Motion gemäss geltendem System) beschliessen, sie seien mit einem Entscheid des Bundesrates nicht einverstanden. Ein solcher Schritt käme wohl am ehesten dann in Frage, wenn der Bundesrat in einer Sache eine Richtung einschlagen würde, die nach Auffassung der Räte im Widerspruch zu den mehrheitlichen Intentionen des Parlaments stünde. Das Misstrauensvotum hätte keine rechtlichen Fol516

gen. Es würde indessen einen gewissen politischen Druck ausüben und hätte wohl beträchtliche Öffentlichkeitswirkung, vor allem dann, wenn nur in Ausnahme fällen zu diesem Mittel gegriffen würde. Allerdings könnte ein solches Misstrauensvotum für das Parlament auch als Bumerang wirken, indem es als öffentliche Demonstration seiner Machtlosigkeit aufgefasst würde. Das neue Instrument hätte nur geringfügige Änderungen dés bestehenden Regierungssystems im engeren Sinn zur Folge.

Es würde Föderalismus, direkte Demokratie und Konkordanz nicht tangieren.

362.2

Misstrauensvotum mit Konsequenzen

Als etwas schärfere Form kann man sich leicht ein Misstrauensvotum mit Konsequenzen vorstellen. Mit diesem Instrument würde der Bundesrat gezwungen, auf den Entscheid, der das Missfallen des Parlaments aasgelöst hat, zurückzukommen.

Das Parlament greift also in den Tätigkeitsbereich des Bundesrates ein, und dies nicht nur in Form einer Richtlinie. Der Eingriff in der Form einer Misstrauenskundgebung wirkt spektakulärer, als wenn auf der rein sachlichen Ebene über Aufträge Differenzen ausgetragen werden. Das Parlament könnte mit diesem Instrument Aufmerksamkeit auf sich ziehen. Allerdings ist zu bedenken, dass im Falle eines Scheiterns eines Misstrauensvotums der Bundesrat wesentlich gestärkt würde.

362.3

Abwahl einzelner Regierungsmitglieder

In den letzten Jahren hat sich gezeigt, dass Teile des Parlaments mit der generellen politischen Ausrichtung einzelner Mitglieder des Bundesrates unzufrieden waren.

Dies hat da und dort zum Ruf nach Schaffung der Möglichkeit zur Abwahl einzelner RegierungsmUglieder während der vierjährigen Amtszeit geführt. Dies würde einen grossen Schritt in Richtung auf ein parlamentarisches Regierungssystem hin bedeuten. Eine Verfassungsänderung wäre unumgänglich. Ein entsprechender Verfassungsartikel wäre leicht zu formulieren. Immerhin wäre die Frage zu prüfen, ob zur Abwahl ein qualifiziertes Mehr (z. B. zwei Drittel der Stimmenden) zu verlangen wäre, um das Aussergewöhnliche einer Abwahl besonders hervorzuheben. Vermutlich wäre eine derartige Sicherung nicht nötig, ist doch ohnehin davon auszugehen, dass von der Möglichkeit der Abwahl noch weniger Gebrauch gemacht würde als von der bestehenden Möglichkeit, ein wieder kandidierendes Mitglied des Bundesrates nicht wiederzuwählen. Die Abwahl während der Legislatur wäre ein noch viel gravierenderer Schritt.

Bezüglich des Regierungssystems im engeren Sinne wäre mit einer (weiteren) Schwächung der Regierung zu rechnen. Dem würde eine Stärkung des Parlaments nur dann gegenüberstehen, wenn dieses mit dem Instrument sinnvoll umginge und es nicht für leere Drohgebärden missbrauchen würde. Föderalismus und direkte Demokratie wären von der Regelung nicht betroffen. Hingegen würde die Konkordanz bei einer Abwahl - und schon bei der Androhung einer Abwahl - einer schweren Belastung ausgesetzt.

517

362.4

Abwahl der Gesamtregierung

Für die Möglichkeit der Abwahl der Gesamtregierung während der Amtszeit gelten teilweise die Argumente, die bei der Abwahl einzelner Mitglieder des Bundesrates vorgebracht wurden. Es ist zusätzlich zu betonen, dass mit diesem radikalen Instrument ein Übergang zum reinen parlamentarischen Regierungssystem untrennbar verbunden wäre. Dies würde heissen, dass der Regierung auch das Recht zukommen müsste, das Parlament vorzeitig aufzulösen und Neuwahlen auszuschreiben. Es würde auch bedeuten, dass ein «Ministerpräsident» seine Regierungsequipe selbst zusammenstellen und sie als Ganzes dem Parlament zur Wahl vorschlagen können sollte. Damit würden auch Föderalismus und direkte Demokratie grundlegend in Fra'ge gestellt. Das Parlament hat einen solchen Systemwechsel abgelehnt. Es ist nicht davon auszugehen, dass es kurzfristig auf diesen Entscheid zurückkommen will.

362.5

Ausserorden t liehe Gesamterneuerung

Eine gemässigterc Variante zu den beiden vorgangehenden Vorschlägen zur Abwahl einzelner oder aller Regierungsmitglieder stellt die ausserordentliche Gesamtemeuerung der Regierung dar.I50) Dieses Instrument soll dem Parlament die Möglichkeit geben, sich zwischen den vierjährlichen Wahlterminen zur Zusammensetzung der Regierung äussern zu können. Es wird hier nicht a priori von der Zielsetzung einer Abwahl ausgegangen, sondern das Parlament kann durchaus alle sieben Mitglieder wiederwählen. Damit könnte das Parlament der Regierung nach besonderen Vorkommnissen neu das Vertrauen aussprechen. In der Praxis könnte das Instrument allerdings -auch gebraucht werden, um in ausserordentlichen Umständen ein fehlbares Mitglied der Regierung nicht wiederzuwählen. Einige wenige Male in der Geschichte des Bundesstaates sind Mitglieder des Bundesrates nach Skandalen zwar unter politischem Druck des Parlamentes, aber doch letztlich freiwillig zurückgetreten. Das Instrument würde sozusagen als «Sicherheitsventil» dienen, falls einmal in einer derartigen Situation ein Rücktritt nicht freiwillig erfolgen sollte. Damit kein Missbrauch mit diesem Instrument getrieben werden kann, müsste die Einleitung eines solchen Verfahrens von einer bestimmten Zahl Mitglieder der Räte Verlangt werden.

Auch dieses Instrument bringt aber gewisse Nachteile mit sich. So kann es als Drohmittel gegen Mitglieder der Regierung benutzt werden. Wenn das Parlament eine Gesamterneuerung verlangt, dann würde es damit auch kund tun, dass es seine Verantwortung bei der letzten ordentlichen Gesamterneueritng nicht richtig wahrgenommen hat.

363

Gesamtbeurteilung der Vorschläge

Die Prüfung der verschiedenen Re form vorschlage hat gezeigt, dass es heikel ist, die Verantwortlichkeit der Regierung gegenüber dem Parlament mit institutionellen Vorkehrungen im Bereich des Wahl Verfahrens verbessern zu wollen. Die Auswir-

isoi Verschiedene Kantonsverfassungen billigen das Recht auf ausserordentliche Gesamierneuerung der Regierung oder des Parlamentes dem Volk zu. Vgl. Kälin/Bolz (Anm.51), S. 388 f.

518

kungen der verschiedenen Instrumente sind zum Teil schwer voraussehbar und könnten häufig nicht der ursprünglichen Absicht entsprechen. Vor allem besteht die Gefahr, dass die Zusammenarbeit zwischen Regierung und Parlament durch solche Instrumente beeinträchtigt würde. Die Idee der kooperierenden Gewalten, von der die Expertenkommission ausgegangen ist, stellt die konstruktive Zusammenarbeit in den Vordergrund und nicht gegenseitige Misstrauenskundgebungen.

Die Expertenkommission empfiehlt deshalb, dass auf institutionelle Reformen im Bereich Bundesratswahl sowie auf die Einfuhrung von Misstrauensvoten gegen den Bundesrat verzichtet wird. Die Verantwortlichkeit der Regierung gegenüber dem Parlament kann durch.die ordentlichen Gesamterneuerungswahlen hinreichend wahrgenommen werden.

8268

519

Überblick über die vorgeschlagenen Verfassungs- und Gesetzesrevisionen Bundesverfassung (Verfassungsentwurf 1995) Ar!. 141

Gesetzgebung

1

Die Bundesversammlung ist zuständig für den Erlass von Bundesgesetzen und allgemeinverbindlichen Bundesbeschlüssen.

2 Rechtsetzungsbefugnisse können durch Bundesgesetz oder dem Referendum unterstehenden allgemeinverbindlichen Bundesbeschluss übertragen werden, soweit dies nicht durch die Bundesverfassung ausgeschlossen wird. Die ermächtigende Bestimmung muss die Grundzüge der Regelung festlegen.

Art. 142 Gesetzgebung bei Dringlichkeit 1 Allgemeinverbindliche Bundesbeschlüsse, deren Inkrafttreten keinen Aufschub erträgt, können von der Mehrheit der Mitglieder jedes Rates dringlich erklärt und sofort in Kraft gesetzt werden. Sie sind zu befristen.

2 Wird gegen einen dringlich erklärten Bundesbeschluss die Volksabstimmung verlangt, so tritt dieser ein Jahr nach Annahme durch die Bundesversammlung ausser Kraft, wenn er nicht innerhalb dieser Frist vom Volk gutgeheissen wird.

3 Ein dringlich erklärter Bundesbeschluss, der keine Verfassungsgrundlage hat, tritt ein Jahr nach Annahme durch die Bundesversammlung ausser Kraft, wenn er nicht innerhalb dieser Frist von Volk und Ständen gutgeheissen wird.

4 Dringlich erklärte Bundesbeschlüsse, die in der Volksabstimmung nicht gutgeheissen werden, können nicht erneuert werden.

An, 147 Weitere Aufgaben und Befugnisse 1 Die Bundesversammlung hat zudem folgende Aufgaben und Befugnisse; a. sie kann Einfluss nehmen auf die Gestaltung der Aussenpolitik; sie beaufsichtigt die Pflege der Beziehungen zum Ausland und trifft Massnahmen zur Wahrung der äusseren Sicherheit, der Unabhängigkeit und der Neutralität der Schweiz; b.

c.

d.

e.

f.

g.

520

sie beaufsichtigt die Wahrung der inneren Sicherheit und trifft die dafür notwendigen Massnahmen; wenn es ausserordentliche Umstände erfordern, erlässt sie, unmittelbar gestützt auf Buchstabe a oder b, allgemeinverbindliche Bundesbeschlüsse und Verfügungen; sie kann die Bundesbeschlüsse dem Referendum entziehen; sie ordnet den Aktivdienst an und bietet dafür die Armee oder Teile davon auf; sie beaufsichtigt die Pflege der Beziehungen zwischen Bund und Kantonen durch den Bundesrat und gewährleistet die Kantonsverfassungen; sie genehmigt die Verträge der Kantone unter sich oder mit dem Ausland, wenn der Bundesrat die Genehmigung verweigert oder ein Kanton Einsprache erhebt; · sie beschliesst Massnahmen zur Durchsetzung des Bundesrechts; sie befindet über die Gültigkeit zustandegekommener Volksinitiativen;

Bundesverfassung (Vorschläge der Expertenkommission) Art. Ì4Ì Bundesgesetze Die Bundesversammlung ist zuständig für den Erlass der wichtigen Rechtsnormen.

Sie sind in die Form des Bundesgesetzes zu kleiden.

Art. 142 Dringlicherklärung von Bundesgesetzen 1 Bundesgesetze, deren Inkrafttreten keinen Aufschub erträgt, können von der Mehrheit der Mitglieder jedes Rates dringlich erklärt und sofort in Kraft gesetzt werden.

2 Wird gegen ein dringlich erklärtes Bundesgesetz die Volksabstimmung verlangt, so tritt dieses ein Jahr nach Annahme durch die Bundesversammlung ausser Kraft, wenn es nicht innerhalb dieser Frist vom Volk gutgeheissen wird.

3 Ein dringlich erklärtes Bundesgesetz, das keine Verfassungsgrundlage hat, tritt ein Jahr nach Annahme durch die Bundesversammlung ausser Kraft, wenn es nicht innerhalb dieser Frist von Volk und Ständen gutgeheissen wird.

4 Dringlich erklärte Bundesgesetze, die in der Volksabstimmung nicht gutgeheissen werden, können nicht erneuert werden.

Art, 147 Weitere Aufgaben und Befugnisse ' Die Bundesversammlung hat zudem folgende Aufgaben und Befugnisse: a. Unverändert

abis sie wirkt bei den wichtigen Planungen der Staatstätigkeit mit; b. bis h. Unverändert

521.

(Verfassungsentwurf) h.

sie legt die Grundsätze für die Organisation der Bundesbehörden fest;

i.

sie entscheidet über Zuständigkeitskonflikte zwischen den obersten Bundesbehörden; sie spricht Begnadigungen aus und entscheidet über Amnestie.

k.

Art. 152

Bundes Verwaltung

1

Der Bundesrat leitet die Bundesverwaltung. Er sorgt für die zweckmässige Organisation und eine zielgerichtete Erfüllung der Aufgaben, 2

Die Bundesverwaltung wird in Departemente gegliedert; jedem Departement steht ein Mitglied des Bundesrates vor.

3

Das Gesetz kann Bundesaufgaben Organisationen und Personen des öffentlichen oder des privaten Rechts übertragen, die ausserhalb der Bundesverwaltung stehen.

Art, 156 Rechtsetzung und Vollzug 1 Der Bundesrat erlässt rechtsetzende Bestimmungen in der Form der Verordnung, soweit er durch Verfassung oder Gesetz dazu ermächtigt ist.

2

Er sorgt für den Vollzug der Gesetzgebung, der Beschlüsse der Bundesversammlung und der Urteile von richterlichen Behörden des Bundes. Er erlässt die erforderlichen Voilzugsbestimmungen.

522

(Vorschläge der Expertenkommission) hbis. sie entscheidet über wichtige Verwaltungsakte, soweit ein Bundesgesetz dies ausdrücklich vorsieht; Ì. und k. Unverändert

Art, ]47bis Verhältnis zum Bundesrat 1 Die Bundesversammlung kann im Bereich ihrer Zuständigkeit Grundsatzbeschlüsse fassen.

2 Sie kann dem Bundesrat Aufträge erteilen. Im Zuständigkeitsbereich des Bundesrates wirkt der Auftrag als Richtlinie.

Art. 752 Bundes Verwaltung 1 Unverändert ' 2

Unverändert / 3 Bundesaufgaben können Organisationen und Personen des öffentlichen oder des privaten Rechts, die ausserhalb der Bundes Verwaltung stehen, übertragen werden.

Die Voraussetzungen dafür werden auf dem Wege der Gesetzgebung festgelegt.

Art. 156 Rechtsetzung und Vollzug 1

Der Bundesrat ist zuständig für den Erlass der weniger wichtigen Rechtsnormen.

Sie sind in die Form der Verordnung zu kleiden.

lbis

Das Gesetz kann vorsehen, dass der Bundesrat weitere Rechtsnormen erlässt, falls sich dafür das Gesetzgebungsverfahren nicht eignet.

2 Der Bundesrat sorgt für den Vollzug der Gesetzgebung, der Beschlüsse der Bundesversammlung und der Urteile von richterlichen Behörden des Bundes.

5. Titel Die Bundesbehörden 5, Kapitel: Evaluation staatlicher Massnahmen Art. I66l!is Stellung und Wahl des Evaluationsorgans Ein unabhängiges Organ beschäftigt sich mit der Evaluation staatlicher Massnahmen. Seine Leitung wird von der Bundesversammlung gewählt. Es ernennt seine Bediensteten selbst.

523

(Verfassungsentwurf)

Geschäftsverkehrsgesetz vom 23. März 1962 Art. 4 Die Erlasse der Bundesversammlung sind in eine der folgenden Rechtsformen zu kleiden:

a. "Bundesgesetz, b.

c.

allgemeinverbindlicher Bundesbcschluss, einfacher Bundesbeschluss.

Art. 5 1

Unbefristete Erlasse, die rechtsetzende Normen enthalten, sind, unter Vorbehalt von Artikel 7, in die Form des Bundesgesetzcs zu kleiden.

2 Als rechtsetzend gelten alle generellen und abstrakten Normen, welche natürlichen oder juristischen Personen Pflichten auferlegen oder Rechte einräumen oder die Organisation, die Zuständigkeit oder die Aufgaben der Behörden oder das Verfahren regeln.

3

Die Form des Bundesgesetzes ist auch da zu wahren, wo sie durch besondere Vorschrift verlangt wird.

Art, 6 1

Befristete Erlasse, die rechtsetzende Normen enthalten, sind in die Form des allgemeinverbindlichen Bundesbeschlusses zu kleiden.

2 Das gleiche gilt für Erlasse, gegen die kraft einer Verfassungsbestimmung das Referendum verlangt werden kann und für die nicht die Form des Bundesgesetzes vorgesehen ist.

3 Allgemeinverbindliche Bundesbeschlüsse dürfen dringlich erklärt werden, wenn ihr Inkrafttreten zeitlich keinen Aufschub erträgt (Art. 89bis Abs. l der BV).

4 Für das Verfahren zur Dringlicherklärung gelten die Bestimmungen des Artikels 35.

524

(Vorschläge der Expertenkommission)

Art. 118 Abs. l Bst. d; An. 119 Abs. l Bst. b und c: Art. 137 Abs. 3 und Abs. 4; Art. 147 Bsl. c, Ari. 166 In diesen Bestimmungen ist der Begriff des allgemeinverbindlichen Bundesbeschlusses wegzulassen bzw. durch denjenigen des Bundesgesetzes zu ersetzen.151)

Geschäftsverkehrsgesetz (Vorschläge der Expertenkommission) Art. 4 Die Erlasse der Bundesversammlung sind in eine der folgenden Rechtsformen zu kleiden: a. Bundesgesetz: b. Beschluss der Bundesversammlung.

Art. 5 1 Erlasse, die rechtsetzende Normen enthalten, sind in die Form des ßundesgesctzes zu kleiden.

2 Unverändert

2bis

Bei der Bestimmung der Wichtigkeit von rechtsetzenden Normen ist insbesondere zu berücksichtigen, ob sie a. sich an eine grosse Zahl von Personen richten, b. stark in die Rechtsstellung der Betroffenen eingreifen, c. für die politische Willensbildung oder die Organisation und das Verfahren von grosser Bedeutung sind, d. erhebliche finanzielle Auswirkungen haben, e. Fragen regeln, die besonders umstritten sind.

3 Unverändert

Art, 6 Aufgehoben

151) Das gleiche gilt auch für die folgenden Bestimmungen im Bereich «Reformvorschläge Volksrechte» («blaue» Fassung): Art. 120 Bst.d; Art. 122 Abs. l Bst. b und c bissowie Abs. 2; Art. 123 Abs. I; Art. 124 Abs. l Bst. c; Ari. 126 Abs. 2; Art. 127; Art. 166 . Bei den«Reformvorschlägenn Justiz» («grüne» Fassung) ist Art. 168 Abs. 2 und 3 betroffen.

20 Bundesblatt 148. Jahrgang. Bd. II

525

{Verfassungsentwurf)

Art. 7 1

Erlasse, die rechtsetzende Normen enthalten und gestützt auf eine besondere Ermächtigung durch die Bundesverfassung, ein Bundesgesetz oder einen allgemeinverbindlichen Bundesbeschluss gemäss Artikel 6 unter Ausschluss des Referendums beschlossen werden, sind ebenfalls in die Form des allgemeinverbindlichen Bundesbeschlusses zu kleiden, auch wenn sie unbefristet sind.

2 Solche Ermächtigungen dürfen aus einem Bundesgesetz oder aus einem allgemeinverbindlichen Bundesbeschluss nur abgeleitet werden, sofern sie dort ausdrücklich und unter Hinweis darauf vorgesehen sind, dass das Referendum nicht verlangt werden kann.

3 Den gestützt auf eine solche Ermächtigung erlassenen Bundesbeschlüssen ist anstelle der Referendumsklausel beizufügen, auf Grund welcher Bestimmung das Referendum nicht verlangt werden kann.

Art, 8 1

Die Form des einfachen Bundesbeschlusses ist für Erlasse bestimmt, für welche keine andere Rechtsform vorgeschrieben ist.

2

Gegen einfache Bundesbeschlüsse kann das Referendum nicht verlangt werden.

Art, 8b!* 1 Bestimmungen zur Ausführung dieses Gesetzes über die Tätigkeit der Bundesversammlung, insbesondere über gemeinsame Organe beider Räte,.über die Parlamentsdienste, über die Mitwirkung in internationalen parlamentarischen Organisationen und dergleichen können durch Bundesbeschlüsse aufgestellt werden, die dem Referendum nicht unterstehen.

2 Jeder Rat erlässt sein eigenes Reglement und genehmigt die Réglemente seiner Kommissionen.

3 Die Vereinigte Bundesversammlung gibt sich ihr Reglement und genehmigt die Réglemente ihrer Organe (Büro, Begnadigungskommission).

Art. 22 1 Die Motion beauftragt den Bundesrat, den Entwurf zu einem Bundesgesetz oder Bundesbeschluss vorzulegen oder eine Massnahme zu treffen.

526

(Vorschlage der Expertenkommission)

Art, 7 Aufgehoben

Art. 8 Die Form des Beschlusses der Bundesversammlung ist fur Anordnungen bestimmt, fur welche keine andere Rechtsform vorgeschrieben ist.

Art. 8bis 1 Bestimmungen zur Ausführung dieses Gesetzes über die Tätigkeit der Bundesversammlung, insbesondere über gemeinsame Organe beider Rate, über die Parlamentsdienste, über die Mitwirkung in internationalen parlamentarischen Organisationen und dergleichenkönnenn durchBeschlüssee der Bundesversammlung aufgestellt werden, die dem Referendum nicht unterstehen.

2 Unverändert 3

Die Vereinigte Bundesversammlung gibt sich ihr Reglement und genehmigt die Reglemente ihrer Organe.

Art. 8bis a 1

Grundsatzbeschlüsse sind Vorentscheidungen, die festlegen, dass bestimmte Ziele anzustreben, Grundsätze und Kriterien zu beachten oder Massnahmen zu planen sind.

2 Grundsatzbeschlüsse bezwecken insbesondere, die Vorbereitung der Gesetzgebung und die Legislaturplanung zu steuern.

-1 Grundsatzbeschliisse werden in der Form eines Beschlusses der Bundesversammlung erlassen.

Art. 22 1

Der Auftrag weist den Bundesrat an, den Entwurf zu einem Bundesgesetz oder zu einem Beschluss der Bundesversammlung vorzulegen oder eine Massnahme zu treffen.

527

.(Verfassungsentwurf) 2

Der Bundesrat kann erklären, ob er die Motion entgegennimmt.

3

Die Motion kann auf Antrag eines Ratsmitgliedes oder des Bundesrates in ein Postulat umgewandelt werden, sofern der Motionär einverstanden ist.

4

Die von einem Rat beschlossene Motion bedarf der Zustimmung des anderen Rates. Lehnt dieser die Motion ab, wird sie von der Geschäftsliste gestrichen. Er kann sie auch ganz oder teilweise als Postulat beider Räte an den Bundesrat überweisen.

5 Beschlüsse eines Rates auf Abschreibung von Motionen bedürfen der Zustimmung des anderen Rates.

528

(Vorschläge der Expertenkommission) 2

Der Auftragstext kann auf Antrag einer Kommission, einer Fraktion oder des Bundesrates abgeandert werden, sofern der Urheber seine Zustimmung dazu nicht vor der Verabschiedung im Erstrat verweigert.

3 Der Auftrag bedarf der Zustimmung des anderen Rates. Halt der Erstrat in der zweiten Beratung an einer Differenz fest, wird die Einigungskonferenz einberufen (Art. 17ff.).

4 Bei Massnahmen, die in seinem eigenen Kompetenzbereich liegen, kann der Bundesrat in begründeten Fallen vom Auftrag abweichen.

5

Beschlusse eines Rates auf Abschreibung von Auftragen bedürfen der Zustimmung des anderen Rates.

Als Übergangslösung für die unverzügliche Anwendung des Auftrags im NPMBereich bei verzögerter Revision von Art. 22 GVG: Art. 22quater 1 Die Bundesversammlung kann im Zusammenhang mil Leistungsaufträgen, die der Bundesrat gestutzt auf Artike151 des Regierungs- und Verwaltungsorganisationsgesetzes vom 6. Oktober 1995 erteilt. Auftrage b e s c h l s s e n , 2 Der Auftrag weist den Bundesrat an, einen Leistungsauftrag zu erlassen oder zu ändern, Der Auftrag wirkt als Richtlinie.

3 Der Auftragstext kann auf Antrag einer Kommission, einer Fraktion oder des Bundesrates abgeandert werden, sofern der Urheber seine Zustimmung dazu nicht vor der Verabschiedung im Erstrat verweigert.

4 Der Auftrag bedarf der Zustimmung des anderen Rates. Halt der Erstrat in der zweiten Beratung an einer Differenz fest, wird die Einigungskonferenz einberufen (Art. 17ff.)

5

Beschlusse eines Rates auf Abschreibung von Aufträgen bedürfen der Zustimmung des anderen Rates.

529

4

Weitere Empfehlungen betreffend das parlamentarische Verfahren

Die Expertenkommission hat im weiteren die untenstehenden Vorschläge geprüft.

Sie hat aber - auch aufgrund von Rückmeldungen seitens der von den Staatspolitiscnen Kommissionen eingesetzten Subkommîssionen Parlamentsreform - beschlossen, diese nicht weiterzuverfolgen. Dennoch sollen die hierzu gemachten Überlegungen festgehalten werden. Die Vorschläge betreffen Verfahrensfragen; die Kommission versteht deshalb die von ihr gemachten Überlegungen in erster Linie als Empfehlungen für die parlamentarische Praxis.

41

Sinnvolle Nutzung des parlamentarischen Initiativ- und Antragsrechts

Gemäss Mandat der Expertenkommission hatte diese bei der Beurteilung von Reformvorschlägen zwei Kriterien zu berücksichtigen: Erstens sollte das Parlament seiner Repräsentationsfunktion gerecht werden können, d. h. die verschiedenen gesellschaftlichen Interessen sollten am politischen Entscheìdungsprozess beteiligt sein. Zweitens sei die Effektivität staatlichen Handelns zu gewährleisten, d. h. das Parlament sollte seine Funktionen in effizienter und qualitativ befriedigender Weise wahrnehmen können.

Ausgehend vom zweiten Kriterium hat sich die Expertenkommission die Frage nach dem Einfluss des parlamentarischen Initiativ- und Antragsrechts auf die Qualität und Kohärenz der Gesetzgebung gestellt. Dabei standen sich zwei Standpunkte gegenüber. Auf der einen Seite wurde der Aspekt der demokratischen Legitimation der Parlamentsbeschlüsse betont. Danach hat die Bundesversammlung den Wortlaut ihrer Erlasse selbst festzulegen. Auf der anderen Seite wurde die Notwendigkeit der Kohärenz und der fachlichen Fundierung 'der Gesetzgebung hervorgehoben. Diese ist am ehesten gewährleistet, wenn die Ausarbeitung der Erlasse (auf der Basis von parlamentarischen Aufträgen) allein Regierung und Verwaltung obliegt. Im Sinne des zweiten Standpunktes wurde erwogen, ob a. auf das Instrument der parlamentarischen Initiative gemäss Artikel 211"" ff. des Geschäftsverkehrsgesetzes zu verzichten und b. keine Änderungen an Vorlagen mehr durch das Parlament vorgenommen werden sollten. Wenn ein Vorlage nach dem Willen des Parlamentes in einem bestimmten Sinne geändert werden müsste, so hätte es diese mit den entsprechenden Aufträgen an die Regierung zurückzuweisen.

Die Möglichkeiten des einzelnen Parlamentariers und der einzelnen Parlamentarierin, mit Initiativen und Anträgen die Gesetzgebung mitzugestalten, gehen in der schweizerischen Rechtsordnung sehr weit. Dies im Gegensatz zu Parlamenten in anderen Staaten, insbesondere denjenigen, die nach dem Gewaltenteilungsprinzip parlamentarischer Systeme funktonieren. So spielen zum Beispiel im Deutschen Bundestag Änderungsanträge durch einzelne Abgeordnete kaum eine Rolle. Mit der Fraktion nicht abgesprochene Anträge gelten als Verstoss gegen die Fraktionssolidarität. Ebenso verfügt der einzelne Abgeordnete nicht über das Initiativrecht: Die Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages bestimmt, dass Gesetzesentwürfe

530

nur von einer Fraktion oder 5 Prozent der Abgeordneten eingebracht werden können,152) Die unterschiedliche Ausgestaltung der Antrags- und Initiativrechte in der Schweizerischen Bundesversammlung und im Deutschen Bundestag sind vor dem Hintergrund einer unterschiedlichen Wahrnehmung der Repräsentationsfunktion durch die beiden Parlamente zu sehen. Im Gegensatz zu politischen Systemen, in denen die Repräsentationsfunktion primär durch die Regierungsmehrheit und die Opposition wahrgenommen wird (der Wähler und die Wählerin fühlen sich entweder durch die Regierungsmehrheit oder die Opposition repräsentiert), steht im schweizerischen System die individuelle Repräsentation im Vordergrund: Die Parlamentarier und Parlamentarierinnen sind nicht in eine Regierungsmehrheit oder Opposition eingebunden, sondern können als relativ eigenstandige Akteure handeln, was von ihnen auch erwartet wird. Die Wähler und Wählerinnen verlangen von ihren Repräsentanten im Parlament die Vermittlung ihrer Präferenzen.

Im Gespräch mit den Mitgliedern der Subkommissionen Parlamentsreform wurde die Bedeutung dieser individuellenRepräsentation,, die wesentlich durch das Initiativ- und Antragsrecht wahrgenommen wird, hervorgehoben. Da die Expertenkommission bei ihrer Arbeit auch dem Kriterium derbestmöglichenn Wahrnehmung der Repra'sentationsfunktion durch das Parlament Rechnung zu tragen hatte, verfolgte sie die Vorschlage zur Abschaffung des Initiativ- und Antragsrechts nicht welter.

Sie beantragt jedoch im Zusammenhang mit derEinführungg der neuen Instrumente des Auftrags und des Grundsatzbeschlusses eine Konzentration des Gebrauchs der parlamentarischen Initiative auf das Parlamentsrecht und aufGrundsatzbeschlüssee (vorne, Ziff. 322.4).

Gerade weil das Initiativ- und Antragsrecht des einzelnen Abgeordneten im schweizerischen Kontext bedeutend ist, empfiehlt die Expertenkommission, diese Instrumente sinnvoll zu nutzen, so dass ihr Gebrauch die Qualität der Gesetzgebung nicht negativ beeinflusst. Eine inflationäre, unqualifizierte Nutzung dieser Instrumente wertet diese ab. Die Expertenkommission schlagt deshalb den Staatspolitischen Kommissionen die Prüfung folgender Massnahmen, die zum Teil durch Praxis- und zum Teil durch Reglementsänderungen zu verwirklichen wären, vor:

411

Vermehrter Gebrauch des Instruments-der Ruckweisung mehr Distanz zu den Vorlagen des Bundesrates

Im Interesse einer qualifizierten und kohärenten Gesetzgebung ist dem Parlament und seinen Mitgliedem eine distanziertere Haltung zu den vom Bundesrat unterbreiteten Vorlagen zu empfehlen. Vor einer allzu schnellen Vertiefung in die einzelnen Artikel sollte eine grundliche Gesamtbeurteilung der Vorlage erfolgen. Werden anlasslich dieser Gesamtbeurteilung zuviele Unstimmigkeiten festgestellt, so kann es politisch wirksamer sein, die Vorlage dem Bundesrat zur Überarbeitung zurückzuweisen, anstatt selbst die mühsame Umformulierung von einzelnen Artikeln vorzunehmen. Das Parlament kann so gegenüber der Öffentlichkeit und der Wählerschaft kund tun, dass es die Vorlagen des Bundesrates kritisch prüft und diese nicht akzeptiert, sollten sie nicht befriedigen. Damit ist auch ein Beitrag zur F5rderung

153) vgl. Wolfgang Ismayr, Der Deutsche Bundestag: Funktionen - Willensbildung - Reformansätze, Opladen 1992, S. 39 und 272.

531

der institutionellen Repräsentation geleistet, indem das Parlament als Institution gegenüber dem Bundesrat auftreten kann.

412

Änderung des Verfahrens bei der Behandlung von Einzelanträgen (Fristen zur Einreichung, Vorprüfung durch Kommissionen, Einführung von Quoren)

Anträge sind im Nationalrat gemäss Artikel70 Absatz! des Ralsreglementes «rechtzeitig.,., in der Regel vor der Beratung des betreffenden Geschäftes» einzureichen. Im Reglement des Ständerates steht nur, dass Antrüge schriftlich einzureichen sind. In der Praxis bedeutet dies, dass die Ratsplena oft über sehr kurzfristig eingereichte Anträge zu befinden haben, die weder in den Kommissionen noch in den Fraktionen diskutiert werden konnten. Um den Ratsmitgliedern, dem Bundcsrat und der Verwaltung eine seriöse Prüfung der eingegangenen Änderungsanträge zu ermöglichen, wäre deshalb eine Frist für die Einreichung von Änderungsanträgen sinnvoll. Es könnte zum Beispiel verlangt werden, dass Anträge zwei oder drei Tage vor der Behandlung des Geschäftes eingereicht werden müssen. Dies würde es auch ermöglichen, dass die vorberatende Kommission eine kurze Sitzung zur Vorberatung der zum Geschäft eingegangenen Anträge abhalten könnte. Der Kommissionssprecher kann so im Plenum zu den Anträgen Stellung nehmen und auf allfällige Konsequenzen eines wenig durchdachten Antrages hinweisen.

Zu prüfen wäre auch, ob am Antragsrecht des einzelnen Ratsmitgliedes festgehalten werden soll, oder ob ein Antrag der Unterschriftenzahl einer bestimmten Anzahl Ratsmitglieder bedarf. Eine andere Möglichkeit bestünde darin, dass der Antrag des einzelnen Ratsmitgliedes .in einem gestrafften Verfahren behandelt wird, wenn er in der vorberatenden Kommission nicht die Unterstützung einer bestimmten Anzahl Mitglieder gefunden hat. Zu Anträgen, die nicht von einer bestimmten Anzahl Ratsmitglieder unterstützt werden, würden zum Beispiel nur der Antragssteiler, die Kommissionsberichterstatter und der Bundesrat das Wort erhalten.

Eine von der Staatspolitischen Kommission des Nationalrates eingesetzte Subkommission hat 1993 verschiedene Möglichkeiten zur Verbesserung des Verfahrens bei der Behandlung von Anträgen aufgezeigt und auch entsprechende Rcglementsänderungen ausgearbeitet.153) Die Expertenkommission empfiehlt den Staatspolitischcn Kommissionen, diese Ideen wieder aufzugreifen.

42

Delegation von Entscheidungskompetenzen an parlamentarische Kommissionen

Die Idee, den parlamentarischen Kommissionen die Kompetenz zu übertragen, über gewisse Fragen abschliessend zu entscheiden, ist aus verschiedenen Gründen attraktiv: Erstens könnte dem Kriterium der Effizienz Rechnung getragen werden, indem wenig umstrittene Vorlagen rasch verabschiedet werden können und nicht noch auf eine Behandlung im Plenum warten müssen. Zum zweiten werden die Parlamcntsdebatten attraktiver, wenn sie von für eine breitere Öffentlichkeit uninteressanten Isa» Vgi. Staatspolitische Kommission des Naiionalraies: Subkommissjon «Verbesserung von Parlamentsorganisation und -verfahren»: Bericht der Subkommission vom 24. Juni 1993.

Zu beziehen beim Sekretariat der Staatspolitischen Kommissionen.

532

Fragen entschlackt sind. Die Expertenkommission hat deshalb vorgeschlagen, dass bestimmte Geschäfte (z. B. solche, die nur der Genehmigungspflicht der Bundesversammlung unterliegen) in der abschliessenden Kompetenz der zuständigen Kommission liegen sollen, es sei denn, das Ratsbüro oder eine Anzahl Ratsmitglieder verlange, dass das Geschäft dem Plenum vorgelegt wird.

421

Die Aufnahme des von der Staatspolitischen Kommission des Nationalrates ausgearbeiteten Artikels 85bis Absatz 3 in die neue Verfassung (als dritter Absatz von Artikel 131

des Verfassungsentwurfs

1995)

Aufgrund der parlamentarischen Initiativen Petitpierre und Rhinow (90.228/90.229) haben sich die Staatspolitischen Kommissionen der eidgenössischen Räte intensiv mit der Frage der Kompetenzdelegation an Kommissionen beschäftigt. In ihrem Bericht vom 2I.Oktober 1994 (94.428 Parlamentarische Initiative. Bundesversammlung. Revision BV) ist die Staatspolitische Kommission des Nationalrates zum Schluss gekommen, dass auf eine Kompetenzdelegation im Bereich der Rechtssetzung zu verzichten ist. Die Begründung basierte auf Erfahrungen in anderen Parlamenten mit einflussreichen parlamentarischen Kommissionen (Italien, USA): An diesen Beispielen kann gezeigt werden, dass in einem dezentralisierten Parlament die Gesetzgebung intransparenter wird und der Einfluss der Lobbyisten zunimmt. lw > Die nationalrätliche Kommission macht zudem darauf aufmerksam, dass es das Kategoriensystem im Nationalrat erlaubt, die Plenumsverhandlungen zu entlasten, indem wenig kontroverse Geschäfte in Kategorie 4 oder 5 behandelt werden.

Hingegen ist die Staatspolitische Kommission des Nationalrates der Ansicht, dass eine Kompetenzdelegation an Kommissionen in anderen Bereichen parlamentarischer Tätigkeit als der Rechtssetzung (Finanzkompetenzen, Oberaufsicht, administrative Selbstverwaltung des Parlamentes, Organisation der Bundesversammlung) durchaus sinnvoll sein kann. Sie hat deshalb einen entsprechenden Verfassungsartikel IM) ausgearbeitet, welcher die Delegation solcher Kompetenzen an Kommissionen ermöglicht. 15f>t Angesichts der geleisteten Vorarbeiten hat die Expertenkommission beschlossen, die Frage nicht weiterzuverfolgen. Sie empfiehlt jedoch, den von den Staatspolitischen Kommissionen vorgeschlagenen Artikel in den Verfassungsentwurf aufzunehmen. Die Existenz parlamentarischer Kommissionen ist im Verfassungsentwurf des Bundesrates in Artikel 131 erwähnt. In Absatz 2 desselben ist zudem vorgesehen, dass das Gesetz gemeinsame Kommissionen vorsehen kann. Es wäre durchaus sinnvoll, hier als dritten Absatz die Bestimmung betreffend Kompetenzdelegationen anzufügen.

l5

-" Vgl. zur detaillierten Begründung den Bericht der Staatspolitischen Kommission des Nationalrates vom 2l. Oktober 1994 (94.428), BBI 1995 I 1185f.

I5S

> Betreffend die Notwendigkeit einer verfassungsmässigen Grundlage für ejne Kompelenzdelcgalion an parlamentarische Kommissionen vgl. Urs W. Kamber, Die Übertragung von Rechlssetzungkompelenzen vom Parlament auf Parlamentskommissionen, Basel 1980, S. 56.

"w Vgl. den Bericht 94.428 vorn 21. Oktober 1994, BBI 1995 I 1159f. und 1173.

533

43

Gemeinsame Geschäftsplanung von Bundesversammlung und Bundesrat

Im Sinne der verflochtenen Ausgangsthese eines Systems der kooperierenden Gewalten erachtet es die Expertenkommission als unerlässlich, dass die Planung der Behandlung der anstehenden Geschäfte durch Bundesversammlung und Bundesrat gemeinsam geschieht. Wie die Expertenkommission in den von ihr durchgeführten Hearings erfahren konnte, gibt die Zusammenarbeit zwischen den betroffenen Organen, d. h. der Bundeskanzlei und den Büros der eidgenössischen Räte, zu wenig Problemen Anlass. Die Expertenkommission möchte hier zusätzlich anregen, bei der gemeinsamen Geschäftsplanung durch Bundesversammlung und Bundesrat (bzw. durch Organe derselben) die politische Prioritätensetzung besser zu berücksichtigen. Der Verbindlichkeitscharakter dieser Geschäftsplanung sollte erhöht werden. Ob zu diesem Zweck eine Reglementsänderung in dem Sinne vorgenommen ·werden muss, dass die Büros mehr Kompetenzen erhalten, musste geprüft werden.

Im Vordergrund steht aber eher eine Praxisänderung.

8208

534

Schweizerisches Bundesarchiv, Digitale Amtsdruckschriften Archives fédérales suisses, Publications officielles numérisées Archivio federale svizzero, Pubblicazioni ufficiali digitali

Kompetenzverteilung zwischen Bundesversammlung und Bundesrat Bericht der von den Staatspolitischen Kommissionen der eidgenössischen Räte eingesetzten Expertenkommission vom 15. Dezember 1995 1)

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1996

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2

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17

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Numéro d'affaire Numero dell'oggetto Datum

30.04.1996

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428-534

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