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Bericht des

Bundesrates an die Bundesversammlung, in Sachen des Rekurses des Herrn Fürsprech Albisser in Luzern, namens der Hinterlassenen des Bernhard Steiger, gewesenen Schlauchwebers in Büron, Kanton Luzern, gegen einen bundesrätlichen Entscheid betreffend Bewilligung einer Militärpension.

(Vom 26. Mai 1896.)

Tit.

Arn 7. September 1895 rückte Bernhard Steiger, Schlauchweber in Büron (Kanton Luzern), Füsilier des Bataillons Nr. 43, Landwehr, in den Wiederholungskurs seines Bataillons in Luzern ein. Am 8. September erkrankte er und wurde am 9. in den Bürgerspital Luzern evakuiert, wo er am 11. September starb.

Namens der Hinterlassenen des Bernhard Steiger stellte Fürsprech Albisser in Luzern durch Eingabe vom 30. November 1895 an den Bundesrat das Gesuch um Ausrichtung einer Militärpension an die hinterlassene Witwe des Bernhard Steiger und deren minderjährige Kinder. Der Gesuchsteller berief sich auf die Art. l, 3 bis 9 des Bundesgesetzes über Militärpensionen und Entschädigungen vom 13. November 1874.

Gestützt auf das Gutachten des Oberfeldarztes und auf den einstimmigen Antrag der eidgenössischen Pensionskommission halten wir das Pensionsgesuch abgewiesen. Unser Entscheid stützte sich auf folgende Thatsache und Erwägungen :

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Zunächst ergab sich aus den Schulakten und ärztlichen Krankenberichten, daß die Behauptung des Gesuchstellers : ,,Der ärztliche Untersuch fand an Steiger nichts Krankes, weshalb er auch den Dienst antrat11 unrichtig ist, indem nämlich Steiger sich zur ärztlichen Untersuchung beim Diensteintritt gar nicht meldete und daher auch nicht untersucht wurde. Am Morgen des ersten Diensttages (8. September) stürzte Steiger unter Konvulsionen zusammen ; er erholte sich aber bald wieder und wurde, da sein Zustand auf Betrunkenheit schließen ließ, vorläufig in Arrest gesetzt. Im Krankenrapport steht wörtlich : ,,Man fand bei ihm eine Schnapsflasche und er duftete förmlich nach Schnaps." Am Mittag desselben Tages', nach der Entlassung Steigers aus dem Arrest, wiederholte sich der Anfall und Steiger wurde daher, in das Krankenzimmer aufgenommen. Als nach einer ruhigen Nacht während des folgenden Tages (9. September) Spuren von Delirium sich zeigten, wurde der Kranke in den Spital verbracht. Dort konstatierten die Ärzte Delirium tremens : der Patient war sehr aufgeregt, tobte und hallucinierte. Am nächsten Tage (10. September) war er ziemlich ruhig bis gegen Abend, in der folgenden Nacht (vom 10./ll. September) starb er. Die Ergebnisse der Sektion waren : hämorrhagische Entzündung der harten Hirnhaut ; chronische Entzündung der weichen Hirnhäute, Hyperämie und Ödem des Gehirns ; Fettherz, chronischer Milztumor, Fettnieren, Fett- und Schrumpfleber Aus diesen Feststellungen geht unzweifelhaft hervor, daß Bernhard Steiger an hochgradigem c h r o n i s c h e m Alkoholismus gelitten hat; die fettige Degeneration von Hera, Nieren und Leber, die chronische Leptomeningitis lassen nach medizinischem Gutachten keine andere Deutung zu. Es ist auch von seiten der Potenten kein Vorsuch gemacht worden, zu bestreiten, daß Steiger Gewohnheitstrinker war ; das Zeugnis des Gomeinderates von Büroii schweigt über diesen Punkt gänzlich und die dem Gesuche beigegebenen Zeugnisse von Kameradon des Bernhard Steiger behaupten nur, daß Steiger am Morgen des 8. September nicht betrunken gewesen sei.

Nun ist aber auch die Pachymeningitis haemorrhagica, welche als unmittelbare Todesursache anzusehen ist, auf dem Boden des chronischen Alkoholismus und als dessen Folge zu stände gekommen; sie wäre auch ohne Militärdienst ausgebrochen, und es
kann diesem, der zudem bis zum ersten Symptom der Erkrankung kaum einen Tag gedauert hatte, nicht einmal eine Beschleunigung des Zustandekommens der tödlichen Erkrankung zur Last gelegt werden.

175 Laut Art. 4 Lemma l und 2 des Pensionsgesetzes ist der Bund zu einer Entschädigung nicht verpflichtet: in Fällen von Selbstverschuldung, welche mit dem Militärdienste nicht zusammenhängt; ferner, wenn nachzuweisen ist, daß eine Erkrankung durch Einflüsse zu stände kam, welche dem Militärdienste fremd waren.

Ein solcher Fall liegt unzweifelhaft hier vor, und es mußte daher das Pensionsgesuch in Übereinstimmung mit dem einstimmig abgegebenen Gutachten der Pensionskommission abschlägig beschieden werden.

Der Rekurs gegen unsern Entscheid beruft sich auf Art. 18 der Bundesverfassung. Gemäß Lemma 2 dieses Artikels haben Wehrmänner, welche infolge des eidgenössischen Militärdienstes ihr Leben verlieren oder dauernden Schaden an ihrer Gesundheit erleiden, für sich oder ihre Familien im Falle des Bedürfnisses Anspruch auf Unterstützung des Bundes. Die Eingabe stellt nun die Behauptung auf: ,,Es ist unbestritten, daß stets dann, wenn ein Milizsoldat im D i e n s t e o d e r i n f o l g e desselben invalid wird oder stirbt, die Eidgenossenschaft für die Hinterbliebenen aufzukommen habe.a Dieser Satz enthält eine ganz willkürliche Erweiterung sowohl des angerufenen Artikels 18 der Bundesverfassung als auch des Artikels 2 des Pensionsgesetzes. Ersterer statuiert den Entschädigungsanspruch nur für Wehrmänncr, welche i n f o l g e des Militärdienstes ihr Leben oder ihre Gesundheit verlieren, und Artikel 2 des Pensionsgesetzes spricht außer von den Hinterlassenen der Gefallenen nur von den Hinterlassenen der inf o l g e e i n e r i m e i d g e n ö s s i s c h e n D i e n s t e r l i t t e n e n Verwundung oder K r a n k h e i t Gestorbenen. Dadurch und im Zusammenhang mit Artikel 18 der Bundesverfassung sind die Hinterlassenen der an außerdienstlich erworbenen Krankheit Verstorbenen von der Entschädigungsberechtigung ausgeschlossen.

Daß bei Bernhard Steiger eine solche außerdienstlich erworbene Krankheit, nämlich chronischer Alkoholismus vorlag, welcher älter war, als der eine Diensttag, den er teils im Arrest, teils im Krankenzimmer zubrachte, hat der Sektionsbefund, wie bereits bemerkt, auf das unzweideutigste ergeben und kann durch keine Aussagen von Zeugen widerlegt werden, welche erklären, daß Steiger am Morgen des ersten Diensttages nicht betrunken gewesen sei. Diese Frage ist übrigens ganz nebensächlich
gegenüber dem Ausbruch von Trinkerepilepsie, an welche sich Delirium tremens anschloß, und gegenüber der Thatsache, daß Steiger am Abend des Eiurückungstages nach Genuß eines Dreiers Wein beim Fortgehen aus der Wirtschaft eine Flasche Branntwein mit sich nahm, die am

176 Morgen leer auf ihm gefunden wurde, und gegenüber der ferneren, durch den Krankenrapport festgestellten Thatsache, daß er ^förmlich nach Schnaps duftete".

Aus diesen Ausführungen ergiebt sich, daß der Rekurs materiell unbegründet ist.

Wir stellen uns indessen im konkreten Falle auf den Standpunkt, welchen wir im Rekursfalle Buser (vide unsern Bericht vom 14. November 1893, Bundesbl. 1893, Bd. IV, S. 891--893) eingenommen, und wobei wir die Kompetenz der Bundesversammlung, Rekurse dieser Art materiell zu behandeln, in Frage gezogen haben.

Dieser Standpunkt wurde von uns unter Berufung auf Artikel 12 des Pensionsgesetzes vom 13. November 1874, wonach alle Beschlüsse betreffend die Bewilligung, Veränderung oder Zurückziehung einer auf den Vorschriften des genannten Gesetzes beruhenden Pension oder anderweitigen Entschädigung vom Bundesrate gefaßt werden, mittelst folgenden Ausführungen des näheren präcisiert und begründet: ,,Gegen solche Beschlüsse erscheint indessen eine Weiterziehung an eine andere Instanz nicht zulässig. In dem Bundesgesetze über Militärpensionen und Entschädigungen vom 13. November 1874 ist nämlich das durch Alinea 2 des Artikels 16 des frühern Pensionsgesetzes vom 7. August 1852 ausdrücklich gewährte Rekursrecht an die Bundesversammlung fallen gelassen worden. In der bezüglichen Botschaft des Bundesrates an die Bundesversammlung vom 27. Mai 1874 (Bundesbl. 1874, Bd. I, S. 986 u. ff.) wird dies wie folgt begründet: ,,,,Die Bundesversammlung ist gewiß nicht die richtige Behörde, um letztinstanzlich über oft sehr verwickelte Verhältnisse zu entscheiden, zu deren Beurteilung specifisch-technische Detailkenntnisse erforderlich sind, und nur zu oft würden die Gründe reinster Humanität den Sieg über eine mehr realistische Erwägung der Dinge davontragen und so eine bedauerliche Ungleichheit zu gunsten derer schaffen, welche den Rekursweg zu betreten keinen Anstand nehmen. Sollte aber ein Rekurs gegen die bezüglichen Beschlüsse des Bundesrates dennoch belieben, so wäre es vielleicht angezeigt, das Bundesgericht als Rekursbehörde zu bezeichnen.aa ,,Die Bundesversammlung hat dieser Ansicht beigepflichtet, indem sie den vom Bundesrate vorgelegten Entwurf eines neuen Pensionsgesetzes, in -welchem das Rekursrecht an die Bundesversammlung nicht mehr aufgenommen war, sanktioniert hat.a

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Von diesem Standpunkte aus halten wir dafür, daß auf den Rekurs wegen Inkompetenz der Bundesversammlung nicht einzutreten sei.

Die Rekursschrift beruft sich zur Begründung der Kompetenz der Bundesversammlung auf die Artikel 189 und 192 des Bundesgesetzes über die Organisation der Bundesrechtspflege. Gerade diese Artikel schließen aber die Kompetenz der Bundesversammlung in Fällen wie der vorliegende aus. Artikel 189 zählt diejenigen Beschwerden auf, welche der Beurteilung des Bundesrates o d e r der B u n d e s v e r s a m m l u n g (Artikel 85, Ziffer 12, der Bundesverfassung) unterliegen, erwähnt aber dabei in keiner Weise die Beschwerden gegen Entscheide des Bundesrates in Sachen von Militärpensionen und Entschädigungen ; und Artikel 192, welcher die Frist festsetzt, innerhalb welcher gegen bundesrätlicbo Entscheidungen an die Bundesversammlung weiterrekurriort werden kann, fügt dabei ausdrücklich hinzu: ,, s o f e r n die W e i t e r z i e h u n g n i c h t d u r c h das G e s e t z a u s g e s c h l o s s e n i s t.a Nun haben wir aber im vorstehenden nachgewiesen, daß die Weiterziehung an die Bundesversammlung im vorliegenden Falle sowohl durch den Wortlaut des Artikels 12 des Pensionsgesetzes als namentlich auch durch die Begründung dieses Artikels in der bezüglichen Botschaft vom 27. Mai 1874 in der That ausgeschlossen ist. Damit fällt auch dio Berufung auf die Artikel 189 und 192 des Bundesa;esetzes über die Organisation der Bundesrechtspflege dahin.

Gestützt hierauf beehren wir uns, Ihnen zu beantragen, die Bundesversammlung wolle auf den Rekurs des Herrn Fürsprech Albisser in Luzern namens der Hinterlassenen des Bernhard Steiger wegen Inkompetenz nicht eintreten.

B e r n , den 26. Mai 1896.

Im Namen des Schweiz. Bundesratcs, Der Bundespräsident:

A. Lachenal.

Der Kanzler der Eidgenossenschaft: Bingier.

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27.05.1896

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