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Schweizerisches Bundesblatt.

48. Jahrgang. III.

Nr. 34.

19. August 1896.

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Bericht des

Bundesrates an die Bundesversammlung über den Rekurs der Regierung des Kantons Freiburg gegen den Bundesratsbeschluß vom 7. März 1896 betreffend die Gemeinderatswahl in Romont vom 5. Mai 1895.

(Vom 14. August 1896.)

Tit.

Der Staatsrat des Kantons Freiburg hat gegen unsern Beschluß vom 7. März 1896 betreffend die Gemeinderatswahl in Romont vom 5. Mai 1895 (Bundesbl. 1896, II, 83 f f ) mit Schreiben vom 6. Mai den Rekurs an die Bundesversammlung ergriffen.

Dem staatsrätlichen Schreiben liegt ein Memorial bei, das den Rekurs begründen soll.

Der Staatsrat teilte gleichzeitig mit, daß er in Ansehung der bundesrätlichen Beschlußfassung den Kompetenzkonflikt beim Bundesgerichte erhoben habe, und stellte das Begehren, daß der Rekurs an die Bundesversammlung erst nach der bundesgerichtlichen Entscheidung behandelt werde.

Die von der hohen Kantonsregierung beim schweizerischen Bundesgerichte zu Recht gesetzten Begehren haben folgenden Wortlaut: ,,Das Bundesgericht möge 1. erkennen, der Bundesrat habe dadurch, daß er in seinem Beschluß vom 7. März einen Regierungserlaß vom 26. Februar 1895 betreffend die Gesamterneuerungswahlen der Gemeinderäte (im Bundesblatt.

48. Jahrg. Bd. III.

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Kanton Freiburg) als rechtsungültig erklärte, seine Kompetenz überschritten und in das dem Kanton oder dem Bundesgericht vorbehaltene Kompetenzgebiet übergegriffen ; 2. infolgedessen den angefochtenen Bundesratsbeachluß aufheben und den Bundesrat einladen, neuerdings, und zwar unter Anerkennung der Rechtsgültigkeit des citierten Regierungserlasses, in der Sache Beschluß zu fassen ; 3. im Falle der Weigerung des Bundesrates den in Art. 85, Ziff. 13, der Bundesverfassung vorgesehenen Kompetenzkonflikt erheben."

Das Bundesgericht hat am 10. Juni über die Sache geurteilt.

Das Urteil lautet auf Abweisung des Rekurses der Freiburger Regierung.

In Hinsicht auf die zwei ersten Rechtsbegehren der Rekurrentin, insoweit sie nicht auf die Frage eines Kompetenzkonfliktes sich beziehen, erachtet sich das Bundesgericht für unzuständig. Gegen Entscheidungen des Bundesrates, sagt es, kann nicht an das Bundesgericht rekurriert werden ; die hierfür einzig zuständige Instanz ist die Bundesversammlung.

Was aber die Frage eines Kompetenzkonfliktes zwischen Bundesrat und Bundesgericht anbelangt, so besteht eia solcher nach der Ansicht des Bundesgerichts nicht; es fehlen dessen Voraussetzungen: Inanspruchnahme einer Kompetenz durch die beiden Behörden, in der Weise, daß z. B. der Bundesrat behaupten würde, ein beim Bundesgericht anhängiger Rechtsstreit gehöre zu den in Art. 189 des Organisationsgesetzes dem Bundesrat vovbehaltenen Fällen, Das Bundesgericht hat keinerlei Veranlassung, im vorliegenden Falle die Kompetenz der Entscheidung für sich zu beanspruchen und die Sache vor die Bundesversammlung zu ziehen. Wie das Gericht schon in seiner Entscheidung vom 14. November 1894 in Sachen Käch und Genossen anerkannt hat, kann angesichts des ganz allgemein gefaßten Gesetzestextes kein Zweifel darüber bestehen, daß die politischen Bundesbehörden und nur sie zur Erledigung von Streitigkeiten, die sich auf kantonale Wahlen und Abstimmungen beziehen, kompetent sind, und daß sie dabei auch solche Bestimmungen zur Anwendung bringen dürfen, die sonst dem Jurisdiktionsgebiet des Bundesgerichtes angehören, so z. B. den Grundsatz der Gleichheit der Bürger vor dem Gesetze. Sobald eine Frage des Stimmrechts vorliegt, steht die Rechtsprechung in Bezug auf die Gesamtheit aller in Betracht fallenden Punkte des Streites dem Bundesrate
zu. Das gilt auch für den Rekursfall, wo es sich um die Frage einer Verletzung des in Art. 31 der Kantonsverfassung enthaltenen Grundsatzes der Ge·waltentrennung handelt.

791 Über die im ersten Rechtsbegehren der Rekurrentin enthaltene Behauptung einer Kompetenzüberschreitung des Bundesrates gegenüber dem k a n t o n a l e n Jurisdiktionsgebiete glaubt das Bundesgericht um so mehr hinweggehen zu dürfen, als die Kantonsregierung in ihren Erörterungen nichts vorgebracht hat, was diesen Beschwerdepunkt irgendwie begründen könnte, und im gegenwärtigen Falle ein Konflikt zwischen der eidgenössischen und der kantonalen Gewalt über die Grenzen ihrer, durch die Bundesverfassung festgestellten Souveränität und ihrer Befugnisse überhaupt nicht vorliegt.

Dieser Ausspruch der Bundesbehörde, welche, kraft des Art. 113, Ziff. l, der Bundesverfassung und gemäß Art. 175, Ziff. l, des Organisationsgesetzes über die Bundesrechtspflege, Kompetenzkonflikte zwischen Bundesbehörden und Kantonalbehörden endgültig zu beurteilen hat, enthebt uns der Notwendigkeit, auf den T. Teil des an die Bundesversammlung gerichteten freiburgischen Rekursmemorials in sehr einläßlicher Weise zu antworten.

Das Bundesgericht hat erkannt, daß der von der Kantonsregierung dem Bundesrate vorgeworfene Übergriff in das kantonale Kompetenzgebiet nicht stattgefunden hat; es hat ferner erklärt, daß kein Anlaß vorliege, eine vom Bundesrat nicht anerkannte Kompetenz des Bandesgerichts in dieser Sache in Anspruch zu nehmen und eventuell einen Kompetenzkonflikt zwischen Bundesgericht und Bundesrat vor der Bundesversammlung zum Austrag zu bringen.

Durch die bundesgerichtliche Entscheidung ist der Standpunkt, auf den sich der Staatsrat des Kantons Freiburg gestellt hat, in der wichtigsten Beziehung vom Staatsgerichtshof der Eidgenossenschaft als unbegründet erklärt.

Wir halten es trotzdem für angemessen, weil einer richtigen Beurteilung und raschen Erledigung der Sache förderlich, das staatsrätliche Rekursmemorial hiernach in extenso ins Deutsche übersetzt in unsern Bericht einzuschalten.

Eekurs an die Bundesversammlung gegen den, den Parteien am 9. März 1896 zugestellten, Bundesratsbeschluss vom 7. März 1896 betreffend die Gemeindewahlen in Komont vom 5. Mai 1895.

Tit.

Wir haben die Ehre, Ihnen den nachstehenden Rekurs gegen den Bundesratsbeschluß vom 7. März 1896 betreffend die Gemeindewahlen in Romont vom 5. Mai 1895 einzureichen.

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Rechtsbegehren : Die h. Bundesversammlung wolle : 1. erkennen, daß der Bundesrat durch den angefochteuen Beschluß seine Kompetenz überschritten habe; eventuell: 2. erklären, daß der Bundesrat in der Sache selbst unrichtig geurteilt habe; 3. in beiden Fällen: den Beschluß des Bundesrates aufheben und denjenigen des Staatsrates von Freiburg, vom 24. Juni 1895, durch welchen die Wahl des Gemeinderates von Romont, vom 5. Mai 1895, als rechtsgültig anerkannt wurde, wieder in Kraft setzen.

Zur Begründung obiger Begehren verweisen wir auf die Ausführungen unserer Rechtsschriften an den Bundesrat vom 31. August 1895 (Antwort) und vom 11. Dezember 1895 (Duplik), welche bei den Akten liegen.

Wir glauben, dieselben durch folgende Darlegungen verstärken und vervollständigen zu sollen :

I. In Bezug auf die Kompetenz des Bundesrates.

Der vom Bundesrat behandelte Rekurs b e t r i f f t e i n e k a n tonale Wahl.

Der Bundesrat war also gemäß Art. 189 des Bundesgesetzes über die Organisation der Bundesrechtspflege unbestreitbar kompetent, über den Rekurs zu urteilen.

Seine Kompetenz war indessen nicht eine unbeschränkte. Nach dem Wortlaute des eben citierten Artikels hat der Bundesrat die Wahlrekurse nicht u n t e r a l l e n G e s i c h t s p u n k t e n , sondern nur ,,auf Grundlage sämtlicher einschlägigen Bestimmungen des kant o n a l e n V e r f a s s u n g s r e c h t s und des Bundesrechts"1*) zu beurteilen.

Hieraus folgt a contrario, daß die Rechtsprechung des Bundesrates sieh nicht erstrecken kann : a. auf Bestimmungen irgend welcher Art, die n i c h t e i n s c h l ä g i g sind, d. h. die dem Wahl- und Abstimmungsrecht durchaus ferne stehen; *) Der französische Text sagt: ,,d'après l'ensemble des dispositions de la constitution cantonale et du droit fédéral r é g i s s a n t la m a t i è r e " ; der italienische Text: ,,Con la scorta di tutte le disposizioni della costituzione cantonale et del diritto federale elio regola questa materia."

793 b, auf Bestimmungen, die zwar e i n s c h l ä g i g , aber bloß in k a n t o n a l e n G e s e t z e n u n d B e s c h l ü s s e n enthalten sind, sofern dieselben in keiner Richtung den e i n s c h l ä g i g e n B e s t i m m u n g e n der Kantonsverfassung und des Bundesrechtes zuwiderlaufen.

Der Bundesrat hat demnach bei Wahlrekursen nur den einen Punkt zu prüfen: liegt eine Verletzung des B u n d e s r e c h tes oder k a n t o n a l e r V e r f a s s u n g s b e s t i m r n u n g e n , die auf das Wahlund Abstimmungsrecht Bezug haben, vor oder nicht?

Mit Gesetzes- oder Verfassungsverletzungen irgend welcher ändern Art hat der Bundesrat sich in solchen Fällen nicht zu befassen. So hat er nicht zu entscheiden über Fragen, die bloß gelegentlich und nebenbei auftauchen können, wie z. B. die Frage, ob ein mit dem ,, e i n s c h l ä g i g e n " 1 , d. h. dem Wahl- und Abstimmungsrecht nicht zusammenhängender Verfassungsgrundsatz verletzt worden sei, ob ein kantonales Gesetz die richtige Auslegung und Anwendung gefunden habe, ob der auf Grund des Gesetzes gefaßte Vollziehungsbeschluß mit dem Gesetze selbst vereinbar sei oder nicht etc.

Alle diese Fragen fallen entweder in die Kompetenz des Bundesgerichts oder gehören dem ausschließlich den Kantonen zustehenden Rechtsprechungsgebiete an.

Beim ersten Anblicke könnte es scheinen, als ob auch der Bundesrat selbst die Grenzen seiner Befugnisse in dieser Weise aufgefaßt habe, wenn er (Seite 32 seines Beschlusses) sagt : ,,unterliegt somit das ganze Gebiet des kantonalen W a h l - u n d A b s t i m m u n g s r e c h t s in Rekursfällen der Rechtsprechung der politischen Bundesbehörden". Es wird sich aber später zeigen, daß der Bundesrat diese Abgrenzung nicht aufrechterhalten hat. Er hat soine Erwägungen auf eine Verfassungsbestimmung -- das in Art. 31 der Freiburger Verfassung enthaltene Prinzip der Trennung der Gewalten -- ausgedehnt, die mit dem W a h l - und A b s t i m mungsrecht von ferne nicht in B e r ü h r u n g steht und deren Wahrung unzweifelhaft dem B u n d e s g e r i c h t und nicht dem Bundesrat übertragen ist; und doch bildet'gerade diese Verfassungsbestimmung den Eckstein der ganzen bundesrätlichen Argumentation.

Der Bundesrat vernichtet damit den Fortschritt, den Art. 189 der heute in Kraft bestehenden Organisation der Bundesrechtspflege
gegenüber der früheren Organisation verwirklichen sollte. Unter der Herrschaft des 1874er Gesetzes kam es vor, daß die Interpretation und die Anwendung e i n e r und d e r s e l b e n V e r f a s s u n g s b e s t i m m u n g je nach den Umständen das eine Mal Sache des Bundesrates, das andere Mal Sache des Bundesgerichtes waren.

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Diesem Übelstande wollte man abhelfen, indem man die Bestimmung aufstellte, daß in Zukunft jede Streitsache in Wahl- und Abstimmungsangelegenheiten, handle es sich nun um das Individualrecht eines Bürgers oder um die Gültigkeit einer Wahlverhandlung, einzig und allein vor das Forum des Bundesrates gehöre.

Danach entscheidet heute der Bundesrat, und zwar er allein, über verfassungsrechtliche und bundesrechtliche Fragenaus dem Gebiete des Wahl- und Abstimmungsr e c h t e s , gleichviel, in welchem Stadium und unter welchen Gesichtspunkten solche Fragen sich darbieten mögen; der Bundesrat allein hat darüber zu wachen, daß sämtliche behördliche Maßnahmen den sie beherrschenden Bestimmungen entsprechen ; er allein kann widersprechende Verfügungen aufheben. In Hinsicht auf Bestimmungen aber, die einem ändern Rechtsgebiet entstammen, mit Ausnahme der in Art. 189 Bundesrechtspflege limitativ angeführten, steht, falls sie überhaupt den eidgenössischen Behörden unterstellt sind, heute wie früher die Rechtsprechung einzig und allein dem Bundesgerichte zu.

Dank dieser neuen Ausscheidung schien für die Zukunft jedem Kompetenzkonflikt zwischen den beiden eidgenössischen Gewalten, der richterlichen und der administrativen, vorgebeugt zu sein; es bestand keine Frage gemischter Natur mehr, die -- je nach den Umständen -- durch die eine oder die andere Gewalt zu beurteilen war. Dem Bundesrate die Abstimmungs- und Wahlrechtsfragen, dem Bundesgerichte alle übrigen !

Da kommt nun die von uns angefochtene bundesrätliche Entscheidung und stürzt, indem sie die Auslegung und Anwendung des Art. 31 der Freiburger Verfassung der Kognition des Bundesrates unterwirft, die so klug aufgerichteten Schranken der Jurisdiktion wieder um ! Es ist ein nicht wenig ergötzliches Spiel des Zufalls, das den Bundesrat auf e i d g e n ö s s i s c h e m B o d e n den Grundsatz der Trennung der Gewalten in dem Augenblicke mißachten läßt, wo er einem Verfassungsartikel zur Anerkennung zu verhelfen vorgiebt, der die Geltung eben dieses Grundsatzes auf k a n t o n a l e m G e b i e t e ausspricht.

Hat doch in der That die vom Bundesrat beurteilte und entschiedene Frage, ob ein G e s e t z , das einen bestimmten Tag als Endtermin einer Frist festsetzt, durch einen B e s c h l u ß der Vollziehungsbehörde ergänzt werden könne, der eine bestimmte
S t u n d e jenes Tages als Endtermin setzt, -- hat doch die Frage, ob ein solcher Beschluß das Verfassungsprinzip der Trennung der Gewalten verletze, nichts, aber auch gar nichts an sich, was mit dem W a h l - und A b s t i m m u n g s r e c h t e nur von ferne zusammen-

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hinge ! Vielmehr stehen wir hier vor einer Frage ganz allgemeiner Natur, die bei jeder Art von Gesetzen auftauchen kann und die, wenn sie einen Streitfall hervorruft, in letzter Instanz durch das Bundesgericht zu entscheiden ist. Jede andere Bundesbehörde, welche die Frage unabhängig vom Bundesgericht beurteilen wollte, beginge einen Übergriff auf das jenem Gerichtshof vorbehaltene Rechtsprechungsgebiet. Oder wird man vielleicht behaupten wollen, die Thatsache, daß diese Frage bei A n l a ß e i n e s W a h l r e k u r s e s aufgeworfen wurde, rechtfertige und ermächtige die distractio fori, über die wir uns beschweren? Wäre dies wirklich der Sinn des Art. 189 des Gesetzes von 1893, so müßten wir uns natürlich ohne weiteres bescheiden, immerhin mit dem Bedauern, daß der eidgenössische Gesetzgeber auf diese Art sich leichthin über das Prinzip der einheitlichen Rechtsprechung hinweggesetzt hätte. In That und Wahrheit ist dem aber nicht so. Der fragliche Passus des Art. 189 macht den Bundesrat zum Richter über das W a h l und A b s t i m m u n g s r e c h t , nicht aber über b e l i e b i g e Fragen d e s ö f f e n t l i c h e n R e c h t s , die bei Anlaß eines Rekurses in Wahl- oder Abstimmungssachen entstehen können.

Man wird uns vielleicht entgegenhalten, daß die Artikel 4, 5 und 6 der Bundesverfassung, auf welche in den Bundesratsbeschlüssen über Fragen des Wahl- und Abstimmungsrechtes so viel Gewicht gelegt wird, daß auch diese Artikel, sagen wir, von allgemeiner Natur, von einer Tragweite seien, die weit über diejenige von Stimmrechtsfragen hinausgeht, und daß trotzdem die Rechtsprechung der eidgenössischen Verwaltungsbehörden schon längst dieses Gebietes sich bemächtigt, jene Bestimmungen bei Wahlrekurseu ausgelegt und angewendet habe. Wenn sie dies gethan hat, so geschah es eben, weil sie, mit Recht oder Unrecht, jenen Artikeln eine Tragweite beilegte, die sie zu einem wesentlichen Teil, ja zur Basis und Grundlage unseres gesamten Wahlrechtes macht.

Die Praxis geht davon aus, daß die Artikel 4--6 unseres Bundes Vertrages (,,pacte fédéral11) jedem Bürger die freie Ausübung des Wahlrechtes gewährleisten, daß sie aus diesem Rechte ein ursprüngliches, ein Grundrecht gemacht haben, und daß jeder auf diesem Gebiete unternommene Eingriff in die Rechte von einzelnen Bürgern oder von Gemeinschaften
eine Verletzung der genannten Artikel bedeute, also unter die eidgenössische Verwaltungsgerichtsbarkeit falle.

Ganz anders Artikel 31 der Freiburger Verfassung! Zwischen diesem Artikel und dem Wahlrechte ist keinerlei Beziehung vorhanden. Die Frage, ob ein Regierungsdekret -- welches zufällig

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Wahlangelegenheiten beschlägt -- auf das gesetzgeberische Gebiet übergreife und, in Verletzung des Art. 31 der Freiburger Verfassung, den Befugnissen des Grüßen Rates Eintrag thue, diese Frage steht dem Wahlrecht absolut fern; sie ist von der (dem Entscheide des Bundesrates unterstellten) Frage, ob vielleicht genanntes Dekret gegen die Rechte der Bürger und die in W a h l - und Abs t i m m u n g s s a c h e n erlassenen Bestimmungen verstoße, ganz und gar unabhängig.

Wäre es zur Zeit der Bekanntmachung des Regierungserlasses vom 26. Februar 1895 jemand eingefallen, dessen Verfassnngsmäßigkeit anzufechten und zu behaupten, es sei darin ein Übergriff auf das Gebiet des Gesetzgebers zu erblicken, vor welcher Behörde hätte er wohl diese Beschwerde anbringen müssen?

Offenbar vor dem Bundesgerichte! Denn diesem steht die Oberaufsicht über die Beobachtung der Bundes- und der Kantonsverfassungen zu, soweit es sich nicht um einen der in Art. 189 als Ausnahmen dem Bundesrat vorbehaltenen Fälle handelt. Die Frage der Trennung der Gewalten aber ist unter diesen Ausnahmen nicht verzeichnet; sie steht namentlich mit dem Wahl- und Abstimmungsrecht in keiner Beziehung; sie ist allgemeiner Natur, da sie ins Gebiet der Organisation des Staates fällt und von dem gegenseitigen Verhältnis der öffentlichen Gewalten handelt.

Eine so umfassende Frage, eine Frage, die so wesentlich dem Gebiete der Doktrin angehört, par excellence juristischer Natur ist, sollte plötzlich, auf indirektem Wege, der a d m i n i s t r a t i v e n Gewalt unterstellt werden können, und das bloß infolge des zufälligen Umstandes, daß sie bei Anlaß eines Wahlrekurses und im Hinblick auf eine Wahl Verhandlung aufgeworfen wird?

Art. 189 der Bundesrechtspflege würde sein Dasein einer außerordentlich unglücklichen Eingebung verdanken, wenn das wirklich seine Absicht wäre. Diesem Artikel kommt aber, wir wiederholen es, eine ganz andere Bedeutung zu. Er will eine Ausscheidung der Gewalten, nicht nach den e i n z e l n e n F ä l l e n -- dies wäre ein kläglicher Empirismus -- , sondern nach den zu lösenden R e c h t s f r a g e n . Er will, daß in Zukunft einheitliche Rechtsprechung für j e d e F r a g e bestehe; er will, daß ratione materise Kompetenzkonflikte oder konkurrierende Kompetenzen nicht mehr vorkommen können; aber er will nicht verhindern,
daß ein und dieselbe streitige Angelegenheit, ein und derselbe konkrete Fall, wie es oft vorzukommen pflegt, verschiedene Rechtsfragen erzeuge, die verschiedener Jurisdiktion unterliegen.

Der Bundesrat hat dies in einem ändern Falle neueren Datums sehr gut eingesehen, wo er die Grenzlinie für seine Kompetenzen

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ganz richtig zu ziehen wußte. Wir sprechen von seiner Schlußnahme über den Rekurs Käch und Genossen, vom 20. März 1895 (Bundesbl. 1895, II, 73 ff.).

Die Rekurrenten, welche unter der Herrschaft des alten Betreibungsgesetzes und des Art. 9 der solothurnischen Verfassung, der die Vergeltstagten für Lebenszeit vom Stimmrecht ausschließt, als ,,vergeltstagt" erklärt worden waren, hatten das Begehren gestellt, der Wohlthat eines neuen Gesetzes teilhaftig zu werden, das die Falliten nur noch für vier Jahre vom Stimmrech l aussehließt.

Die erste Frage, die sich hier darbot, war offenbar die, ob ein bloßes Gesetz auf diese Weise eine Verfassungsbestimmung abändern und einschränken könne. Der Bundesrat glaubte aber auf diese Vorfrage nicht eintreten zu sollen, von der wohlbegründeten Ansicht ausgehend, es sei dies eine der Materie des Wahlrechts fernstehende Frage, die ausschließlich in die Kompetenz des Bundesgerichtes falle.

,,Der Bundesrat", drückt sich der fragliche Beschluß aus, ,,hat nicht zu untersuchen, ob nach dem Staatsrechte des Kantons Solothurn die Feststellung der öffentlich-rechtlichen Folgen der fruchtlosen Pfändung und des Konkurses in der Staatsverfassung zu geschehen hatte oder durch ein einfaches Gesetz geschehen konnte.

Er steht vor der Thatsache, daß der kantonale Gesetzgeber -- auf letzter und höchster Stufe das Volk -- im Wege der gewöhnlichen Gesetzgebung die Feststellung vorgenommen hat. Der Inhalt dieses Gesetzes ist ein Bestandteil des öffentlichen Rechts des Kanton» Solothurn geworden. a Kraft dieser Argumentation hat der Bundesrat seine sämtlichen ferneren Erwägungen auf die -- für ihn undiskutierbare -- Voraussetzung der Verfassungsmäßigkeit des in Frage stehenden Gesetzes basiert und sich darauf beschränkt, zu untersuchen, welche Wirkungen dieses, als rechtsgültig angenommene Gesetz auf das durch Art. 189 der Bundesrechtspflege seinem Schütze anvertraute Stimmrecht der Bürger ausübe.

Ist die Analogie zwischen den beiden Fällen nicht in die Augen springend? Verhält sich ein Regierungsbeschluß zu einem Gesetze nicht wie ein Gesetz zu der Verfassung?

Wenn der Bundesrat es sich versagte, die Verfassungsmäßigkeit eines Gesetzes zu untersuchen, das doch direkt mit dem Gebiete des Sümmrechts zusammenhängt, sollte er sich dann nicht auch,, demselben Gedankengange folgend, die Untersuchung der Verfassungs- und Gesetzmäßigkeit eines Vollziehungsbeschlusses untersagen und diese Aufgabe dem Bundesgericht überlassen? Wollte

798 er sich dem von ihm selbst geschaffenen Präcedens unterordnen, so mußte die vom Bundesrat zu lösende Frage dahin präcisiert werden : schließt der in Rede stehende, als gesetz- und verfassungsmäßig angenommene Regierungserlaß in irgend einer Weise eine Verletzung der durch die Kantonsverfassung oder durch das Bundesrecht explicite oder implicite garantierten Rechte der Bürger in Wahl- und Abstimmungssachen in sich?

Diese so umschriebene Frage, die einzige, die vor sein Forum gehörte, hätte der Bundesrat notwendigerweise verneinend beantworten müssen, wie wir weiterhin zeigen werden.

II. In Bezug auf die Sache selbst.

1. Wir behaupten eventuell, der Slaatsrat von Freiburg habe den in Frage stehenden Beschluß i n n e r den Seh r a n k e n s e i n e r K o m p e t e n z gefaßt, und machen uns anheischig, dies zu beweisen, wobei wir indessen wiederholen, daß diese Frage im Grunde weder vor den Bundesrat, noch vor die eidgenössischen Kammern gehört.

Art. 48 des freiburgischen Gemeindegesetzes bestimmt", daß in denjenigen Gemeinden, welche (gemäß Art. 21 dieses Gesetzes) das Proportionalsystem eingeführt haben, ,,die Parteien oder Gruppen, welche eine Liste in Vorschlag bringen, dieselbe s p ä t e s t e n s am M o n t a g vor dem Abstimmungssonntag auf der Gemeindekanzlei hinterlegen müssen.tt Ist diese Bestimmung wirklich so klar und genau gefaßt, daß sie keine Unsicherheit bestehen läßt, daß kein Zweifel über sie aufkommen kann ?

Der Bundesrat behauptet es.

Thatsache ist aber, daß dieselbe Bestimmung, welche man als so präcis bezeichnet, auf drei verschiedene Arten aufgefaßt worden ist und daß sogar diejenigen, welche deren klaren Wortlaut rühmen, über ihre Tragweite sieh nicht haben einigen können.

Nach dem Bundesrate hat die Gesetzesstelle den Sinn, daß die für Einreichung der Listen eingeräumte Frist Montags um M i t t e r n a c h t abläuft.

Nach den Rekurrenten, die den buudesrätlichen Entscheid veranlaßt haben, würde die Frist um 6 Uh r A b e n d s zu Ende gehen.

Nach der Freiburger Regierung endlich wäre der Termin für Ablauf der Frist ,, u n g e w i ß t t (incertain) und mußte gemäß Art. 66 des Gesetzes, welcher dem Staatsrate ,, d i e B e s t i m m u n g a l l e r E i n z e l h e i t e n und A n w e n d u n g s p u n k t e ' 1 überträgt, auf dem Wege eines Regierungsbeschlusses noch näher festgesetzt werden.

799 Die Meinungsverschiedenheit, die zwischen denjenigen herrscht, welche die Bestimmung als klar und genau gefaßt bezeichnen, rechtfertigt, so scheint uns, hinreichend den vom Staatsrate eingenommenen Standpunkt; die Thatsache besteht, greifbar, unbestreitbar: Hervorragende Rechtsgelehrte wie die Verfasser des Rekurses des liberalen Komitees und die Juristen im Bua'desrate gehen in Bezug auf den Sinn der Bestimmung absolut auseinander. Der Zweifel war also möglich und es lag folglich in der Pflicht des Staatsrates, von der ihm durch Art. 66 des Gesetzes ausdrücklich erteilten Vollmacht Gebrauch zu machen und die Frage zu entscheiden, wenn anders er darauf bedacht sein wollte, die Regelmäßigkeit der Wahl Verhandlungen zu sichern und jedem Anlaß, der zu Störungen führen konnte, vorzubeugen.

Indem er dies that, war aber der Staatsrat keineswegs gehalten, die vom Bundesrat angepriesene bizarre und seltsame Lösung, d. h.

den Ablauf der Frist um Mitternacht, anzunehmen.

Das Gesetz bestimmt allerdings auf der einen Seite, daß die Listen ,,am Montag", ohne genauere Angabe der Tageszeit, eingereicht werden können, aber es schreibt anderseits nicht vor, daß die mit der Entgegennahme der Listen beauftragte Gemeindekanzlei sich bis zum Glockeaschlage Mitternacht in Permanenz zur Verfügung der Listeninhaber halten müsse.

Da zur Hinterlegung einer Sache zwei Personen notwendig sind, eine, die übergiebt, und eine, die empfängt, und da Art. 48 des Gesetzes nur von der ersten spricht, so war noch festzusetzen, bis zu welchem Zeitpunkte die zweite -- die Gemeindekaozlei -- verpflichtet sei, bei der Operation Hand zu leihen.

In der ganzen Welt -- Irrtum vorbehalten -- wird als selbstverständlich angenommen, daß, wenn ein Gesetz bestimmt, diese oder jene Handlung könne bis zu diesem oder jenem Tage vor dieser oder jeoer Behörde vorgenommen werden, die genannte Handlung innerhalb derjenigen Zeit vorzunehmea ist, während welcher die betreffende Behörde zur Verfügung des Publikums steht, und daß die Behörde durch nichts verpflichtet ist, in Permanenz zu bleiben.

Kann mau sich, ernstlich gesprochen, ein Gemeindekanzleipersonal vorstellen, das ununterbrochen bis Mitternacht auf seinem Bureau verharrt, um in der Lage zu sein, Listen entgegenzunehmen, welche noch 5 Minuten vor Mitternacht in gesetzlich gültiger Weise
eingereicht werden könnten ? Das Lächerliche einer solchen Annahme -- und auf diese läuft die Argumentation des Bundesrates hinaus -- sieht jedermann ein.

Das rekurrierende Liberale Komitee war denn auch entschieden besser inspiriert als der Btindesrat, als es von vornherein zugab,

800

das Gesetz verpflichte den Gemeindesekretär nicht, sich bis zu einer ganz ungehörigen Zeit den Deponenten zur Verfügung zu stellen ; das Komitee erkannte seinerseits an, daß es nicht angehe, den Gemeindesekretär in seiner Nachtruhe zu stören.

Dafür gerät aber die Beweisführung des Liberalen Komitees in einem ändern Punkt auf Abwege -- und das erklärt, weshalb der Bundesrat ihr nicht folgte -- darin nämlich, daß es, genötigt, wohl oder übel eine genaue Stunde für Ablauf der Frist anzugeben, als solche 6 U h r ansetzt, ohne jedoch nachweisen zu können, daß dies die gesetzliche oder auch nur eine reglementarische Schließungsstunde für die kantonale, speciell die Gemeindeverwaltung sei.

Thatsächlich besteht, wie der Staatsrat dargethan hat, im Kanton Freiburg keine gesetzliche Schließungsstunde; der Staalsrat war demnach befugt, wenn nicht verpflichtet, im vorliegenden Falle diejenige Stunde festzusetzen, bis zu welcher die Gemeindekanzleien dem Publikum für Einreichung der Listen offen zu stehen hatten.

Soll er ihnen etwa in Zukunft befehlen, bis Mitternacht offen zu bleiben? Der Entscheid des Bundesrates scheint dies zu fordern, aber der gesunde Menschenverstand muß sich gegen eine derartige Auslegung auflehnen.

Da es dem Staatsrat freistand, die Schließungsstunde der Gemeindeschreibereien mit Bezug auf die besprochene Amtshandlung nach seinem Ermessen anzuordnen, hat er seine diskretionäre Gewalt nicht mißbraucht; er stellte jene Bureaux w ä h r e n d des g r ö ß t e n T e i l e s des M o n t a g s zur Verfügung des Publikums und ist so dem Geist des Gesetzes in weitherziger Weise gerecht geworden, welches will, daß noch ein Teil des Montags iu der Frist mitbegriffen sei, und daß man auch an diesem Tage noch d i e Listen bequem, o h n e s i c h ü b e r m ä ß i g b e e i l e n z u m ü s s e n , einreichen könne.

Daß die durch den Staatsrat getroffene Anordnung vollkommen billig und korrekt ist, beweist übrigens auch schon der Umstand, daß bei deren Erlaß kein Mensch irn geringsten daran dachte, an ihr etwas auszusetzen oder sie als Eingriff in das Wahlrecht hinzustellen.

2. Und doch ist das die einzige Frage, die der Bundesrat sich vorzulegen hatte: Bringt die angeführte Bestimmung eine ungerechtfertigte und unzulässige Benachteiligung der R e c h t e der B ü r g e r in W a h l - und A b s t
i m m u n g s s a c h e n mit sich ?

Der Bundesrat hat aber die Frage nicht so formulieren können, weil die Antwort ebenso knapp und klar hätte lauten müssen, wie die Frage selbst. ,,Nein," hätte er gezwungenermaßen sagen müssen,

801 .,,es liegt nichts den verfassungsmäßigen Rechten der Bürger Zuwiderlaufendes darin, wenn diese letztern zwei Monate zum voraus in Kenntnis gesetzt worden, daß die Liste ihrer Wahlkandidaten, um gültig zu sein, inner einer bestimmten Frist eingereicht worden muß, und es ändert offenbar an der Sache nichts, ob diese Frist zu dieser oder jener Tagesstunde, um 3 Uhr, 6 Uhr oder Mitternacht, zu Ende gehe, vorausgesetzt, daß der Bürger es wisse und zu richtiger Zeit davon benachrichtigt worden sei. Welches auch die festgesetzte Stunde sei, die Wähler wissen seit langer Zeit, woran sie sich zu halten haben, und es steht ihnen eine weitaus genügende Zeit zur Verfügung, um sich darnach einrichten zu können. tt In der That waren für jedermann, der den Beschluß des Staatsrates kannte, die neun Ergänzungsstunden, um welche nach der Behauptung des Bundesrates der Staatsrat die Wähler verkürzt hat, und weiche der Bundesrat denselben nachträglich noch zusprechen will, durchaus überflüssig. Wenn jemand zwei Monate Zeit hat, um eine Handlung vorzunehmen, so kommt doch gewiß sehr wenig darauf an, ob die Frist, während welcher diese Handlung in gültiger Weise vorgenommen werden kann, 9 Stunden mehr oder weniger betrage.

Nicht der Beschluß des Staatsrates hat eine Gruppe von Wählern in ihren Rechten benachteiligt; die Schuld hieran trägt einzig und allein die Nachlässigkeit, Gleichgültigkeit oder Vergeßlichkeit ihres Beauftragten.

Von jedermann wird angenommen, daß er die öffentlichen Erlasse der staatlichen Behörde kenae, und niemand kann aus seiner persönlichen Unkenntnis oder Vergeßlichkeit einen Beschwerdegrund gegen die Behörden machen.

Wenn der Entscheid des Bundesrates die fatalen Folgen der Vergeßlichkeit eines Einzelnen einer angeblichen Gesetzesverletzung der Regierung zur Last legen will, so rückt er damit die Verantwortlichkeit von dem Orte weg, wohin sie gehört.

Handelte es sich hier nur um eine gelegentliche Zweckmäßigkeitsfrage, so konnten wir uns sehr wohl bei einem Entscheide beruhigen, welcher -- dies geben wir gerne zu -- das Gute an sich hat, daß er die mißlichen Folgen einer bedauerlichen Sorglosigkeit beseitigt.

Aber der besondere Anlaß geht vorüber, das Recht bleibt bestehen ! Es ist uns nicht möglich, eine Maßregel durch Stillschweigen anzuerkennen, welche unter dem Vorgeben, momentane Gleichheit zu bringen, ein dem Gesetze zuwiderlaufendes Präcedens schafft

802 und die Autorität unserer Behörde erschüttert, indem sie eine von ihr inner den Grenzen ihrer Befugnisse und -- wie jedermann anerkennt -- frei von jeder Parteivorliebe getroffene Anordnung,, eine einfache Vollziehungs- und Ordnungsmaßregel, wie jede Exekutivbehörde sie treffen kann, als ungesetzlich, ja verfassungswidrig darstellt.

Dadurch, daß den kantonalen Regierungen in der durchaus rechtmäßigen Ausübung ihrer Befugnisse Hindernisse in den Weg gelegt werden, schwächt man ihre Autorität, wirft man die gesunden Begriffe unseres öffentlichen Rechts über den Haufen.

Es liegt hier ein Symptom jener in eidgenössischen Sphären leider nur zu sehr verbreiteten Tendenz vor uns, gegen welche, getreu dem Sprichwort: ,,Principiis obsta!" bei jedem Anlaß Stellung genommen werden muß.

Wir mußten dies hier thun; denn mit dem Rechte, Beschwerdezu erheben, ist uns im vorliegenden Falle zugleich die Mission anvertraut, die Vertreter des Volkes und der Kantone um Unterstützung anzurufen gegen einen Übergriff der eidgenössischen Exekutivgewalt in die Souveränität der Kantone.

Wir leben der Überzeugung, daß die h. Bundesversammlung die wichtige öffentlich-rechtliche Frage, die wir ihr unterbreiten, in ihrer vollen Tragweite zu würdigen wissen, mit uns in derselben eine prinzipielle und nicht eine bloße Gelegenheitsfrage erkennen und sie gänzlich unbeirrt durch die besondern Umstände der in Frage stehenden Wahl erledigen wird.

In diesem Sinne bitten wir Sie, Herren Präsideuten, Herren National- und Ständeräte, die Versicherung unserer ausgezeichneten, Hochachtung entgegenzunehmen.

F r e i b u r g , den 6. Mai 1896.

Im Namen des Staatsrates^ Der Präsident: (gez.) S. Aeby.

Der Kanzler: (gez.) M. Nuoffer.

Dem Gedankengange des staatsrätlichen Memorials folgend^ besprechen wir

soa I. Die Kompetenz des Bundesrates.

Wir haben uns über die Frage, ob der Bundesrat kompetent war, den Rekurs des Liberalen Komitees der Stadt Romont gegen den Regierungsbeschluß vom 24. Juni 1895 materiell zu beurteilen, in den rechtlichen Erwägungen zu unserer Beschlußfassung vom 7. März ausführlich vernehmen lassen. Wir verweisen namentlich auf unsere Ausführungen auf 8. 113 u. ff. des Bundesblattes von 1896, II. Band (S. 31 u. ff. des Sonderabdruckes).

Wie Sie bemerkt haben, bestreitet der freiburgische Staatsrnt die Kompetenz des Bundesrates eigentlich aus einem einzigen Grunde.

Er sagt: Der Buudesrat hat sich bei seiner Entscheidung auf Art. 31 der Staatsverfassung des Kantons Freiburg berufen, der die Trennung der vollziehenden von der gesetzgebenden Gewalt ausspricht.

Nun schlägt aber dieser Artikel nicht in das Gebiet des Stimmrechts der Bürger und überhaupt des Wahl- und Abstimmungsrechts ein, er gehört nicht zu den ,,einschlägigen11 Bestimmungen des kantonalen Verfassungsrechts, auf deren Grundlage der Bundesrat zufolge Art. 189, vorletzter Absatz, des Organisationsgesetzes über die Bundesrechtspflege vom 22. März 1893 Stimmrechts- und Wahlund Abstimmungsbeschwerden zu beurteilen hat; die Trennung der Gewalten hat mit dem Stimmrecht der Bürger und dem ganzen Wahl- und Abstimmungsrechtsgebiet nichts zu thun.

Der Staatsrat möchte die Frage, ob er bei Erlaß seiner Verordnung vom 26. Februar 1895, speciell bei Aufstellung der Vorschrift des Art. 20, Ziff. l, dieser Verordnung, innerhalb der Grenzen seiner verfassungsmäßigen Befugnisse sich gehalten habe, eventuell der Kognition des Bundesgerichts unterstellt wissen, und meint, diese Abgrenzung der Kompetenzen zwischen Bundesrat und Bundesgericht entspreche gerade dem Gesetze von 1893, das die frühere Unsicherheit in dieser Beziehung habe beseitigen wollen.

Der Staatsrat geht hierbei von falschen theoretischen und praktischen Voraussetzungen aus, und es hat denn auch das Bundesgericht von der Gabe, die er ihm angeboten hat, nichts wissen wollen.

Wenn nur diejenigen verfassungsrechtlichen Bestimmungen, die sich ex professo, im technischen Sinne, mit dem Stimmrecht und dem Wahl- und Abstimmungswesen befassen, als ,,einschlägiges"1 kantonales Verfassungsrecht gelten könnten, so wäre der Dualismus der Rechtsprechung, der unter dem früheren
Gesetze bestanden und zu einem unhaltbaren Zustande geführt hatte, nicht nur nicht beseitigt, sondern geradezu von neuem sanktioniert worden. Denn sehr wenige Verfassungsbestimmungen behandeln in dieser Weise das

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Stimmrecht und das Wahl- und Abstimmungswesen ; ja nicht selten wird dieses ganze Gebiet von den Verfassungen der Gesetzgebung zur Ordnung und Feststellung überwiesen. Ob nun aber eine kantonale Verfassung mehr oder weniger einläßliche Festsetzungen über diese Materie enthalte, das Stimmrecht bleibt in allen Fällen das Grundrecht, das oberste politische Recht der Bürger, und Beeinträchtigungen desselben müssen als Verletzungen des Verfassungsrechts zurückgewiesen und unterdrückt werden, mögen sie sich in dieses oder jenes Gewand kleiden. Es ist bundesgerichtlich schon im Jahre 1875 erkannt worden, daß Beschwerden, die eine Beeinträchtigung des Stimmrechts der Bürger durch Nichtbeobachtung des g e s e t z l i c h e n Verfahrens behaupten, vor das Forum des Bundesrates gehören. (Bundesgerichtliche Entscheidungen I, S. 343 ff.) Selbstverständlich ist dies nicht weniger, sondern in noch erhöhtem Maße der Fall, wenn Verfassungsgrundsätzc in Beziehung auf das Stimmrecht der Bürger oder einen Wahl- oder Abstimmungsakt mißachtet worden sind. So hat sieh denn auch seit vielen Jahren die staatsrechtliche Praxis der Bundesbehördon dahin ausgebildet, daß Art. 4 der Bundesverfassung, beziehungsweise die entsprechenden Artikel der Kantonsverfassungen -- in Freiburg Art. 9 -- zur Grundlage von Stimmrechts- und Wahlbeschwerden gemacht werden können. Und doch hat der Grundsatz der Gleichheit vor dem Gesetze auf das Stimmi-echi der Bürger keinen nähern Bezug, als der Grundsatz der Trennung der Gewalten. Der Staatsrat will die Einbeziehung des Gleichheitsgrundsatzes in das Gebiet der Stimmrechtsausübung, der Wahlen und Abstimmungen, nicht anfechten und hier dem Bundesrate die Jurisdiktion lassen. Er sollte sie ihm aber, wenn er logisch folgerichtig verfahren wollte, auch in dieser Richtung bestreiten. Denn über Verletzungen des Art. 4 der Bundesverfassung und der entsprechenden Bestimmungen der Kantonsverfassungen hat ja bekanntlich sonst das Bundcsgericht zu urteilen. Der Stuatsrat hat diese Konsequenz nicht zu ziehen gewagt, weil damit der Widerspruch seiner Theorie mit der allseitig anerkannten Praxis und ihre Unvereinbarkeit mit der vom Gesetzgeber gewollten Einheit der Jurisdiktion bei Stimmrechts- und Wahlsachen in der Hand der politischen Bundesbehörden allzu offenbar geworden wären.

Gerade die Errungenschaft
des Gesetzes von 1893, deren Vernichtung der Staatsrat uns vorwirft, müsste bei Anwendung des von ihm befürworteten Systems der Kompetenzverteilung vollständig in die Brüche gehen.

Die Theorie des Staatsrates ist nur in Hinsicht auf solche Verfassungsbestimmungen richtig, die vermöge ihrer Natur und ihres

805 Inhaltes auf die Ausübung des Stimmrechts oder auf einen Wahloder Abstimmungsvorgang sich nicht beziehen, darauf nicht einwirken können. Sobald im einzelnen Falle die Beziehung der Verfassungsbestimmung auf den Stimmrechts- oder Wahlakt hergestellt erscheint, hat jene Theorie keinen Raum mehr. Das Gesetz und die Praxis stehen ihr ausdrucklich entgegen.

So auch im gegenwärtigen Falle.

Der Rekurs des Liberalen Komitees der Stadt Romont ist auf die Behauptung gegründet, daß die Kantonsregierung einen gesetzlich bestimmten Termin zur Vornahme einer wesentlichen, die Gültigkeit der Stimmgebung bedingenden Wahlhandlung v e r ä n d e r t habe, daß infolge dieser, vom Staatsrat in Überschreitung seiner konstitutionellen Befugnisse vorgenommenen, von der Oppositionspartei nicht beachteten, Terminansetzung die ,,Unabhängige Liste" nicht berücksichtigt worden sei und somit eine Partei, die nahezu die Hälfte aller Stimmberechtigten in ihren Reihen zählt, dem Proportionalsystem zum Hohn, jeder Vertretung im Gemeinderat entbehren würde.

Ein auf solcher Grundlage ruhender Wahlrekurs sollte, nach Ansicht des Freiburger Staatsrates, vom Bundesrat entweder gar nicht oder doch nur in der Weise beurteilt werden, daß er, der Bundesrat, von vorneherein die Gesetzmäßigkeit der angefochtenen staatsrätlichen Verfügung als gegeben annähme und dann die -- natürlich auch gegebene -- Entscheidung träfe! Vor, während oder nach dieser wahrhaft platonischen Rekursbehandlung vor den politischen Bundesbehörden hätte eventuell das Bundesgericht sich mit der Frage zu beschäftigen, ob der Wahlbeschwerde eine Verletzung des kantonalen Verfassungsrechtes zu Grunde liege oder nicht. Das ist die eidgenössische Kompetenzscheidung ,,ratione materise", wie sie dem Staatsrate des Kantons Freiburg als wünschenswert vorschwebt. Daß dies nicht die vom Bundesgesetzgeber 1893 gewollte und im Gesetze niedergelegte Kompetenzregulierung ist, bedarf keiner weitern Erörterung.

Das staatsrätliche Rekursmemorial huldigt ferner einer unrichtigen Anschauung, wenn es glaubt, behaupten zu dürfen, die Inkompetenz des Bundesrates wäre für jedermann sofort erkennbar gewesen, falls die Verfügung der Kantonsregierung vor der Wahlverhandlung vom 5. Mai 1895 angefochten worden wäre. In diesem Falle hätte nien:and an der Kompetenz des Bundesgerichtes
gezweifelt. Wir erlauben uns, auch in dieser Beziehung anderer Ansicht zu sein, und verweisen diesfalls auf unsere Ausführungen zum Rekurse von Romont auf Seite 114 und 115 des Bundesblattes von 1896, II. Band, oder Seite 32 und 33 des Sonderabdruckes.

Bnndesblatt. 48, Jahrg. Bd. III.

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Der Regierungserlaß vorn 26. Februar trifft für die Gemeinderatswahlen vom 5. Mai 1895 die nähern organisatorischen Bestimmungen. Jeder Wähler war befugt, gegen eine Bestimmung, di« ihm nicht gesetzmäßig erschien, sofort sich zu beschweren als gegen eine verfassungs- und rechtswidrige Verfügung betreffend die Organisation einer bevorstehenden Wahl, und er hatte sich hierbei nach Art. 189, zweitletzter Absatz, des Bundesrechtspflegegesetzes an die nämliche Behörde zu wenden, die zur Behandlung von Beschwerden betreffend das Stimmrecht der Bürger und kantonale Wahlen und Abstimmungen überhaupt und ausschließlich berufen ist, an den Bundesrat. Der Wähler konnte aber auch mit seiner Beschwerde zuwarten, bis die Wahlverhandlung vorüber war, wie es im Rekursfalle geschehen ist. Über die Beweggründe, die ihn zu diesem oder zu jenem Vorgehen veranlassen, hat er keine Rechenschaft zu geben; er macht im einen wie im ändern Falle von seinem Rechte Gebrauch.

Der Bundesrat hat gerade in dem vom staatsrätlichen Memorial mit so großem Nachdruck angerufenen Entscheide über den Rekurs Käch und Genossen vom 20. März 1895 (Bundesblatt 1895, II, S. 73 ff.), wie schon vorher durch seine Schlußnahme vom 14. November 1893 in Sachen Kaufmann und Genossen (Bundesblatt 1893, V, S. 159), festgestellt, daß seine Rechtsprechung auch in Hinsicht auf b e v o r s t e h e n d e Wahlen und Abstimmungen einzutreten habe. Das gilt nicht minder für Beschwerden, die eino kantonale Organisationsbestimmimg in betreff einer künftigen Wahl oder Abstimmung als verfassungsrechtswidrig anfechten, als für Stimmrechtsbeschwerden. Auch in den ersteren Fällen handelt es sich übrigens zumeist um Fragen, welche die Ausübung des Stimmrechts beschlagen. Gerade im Rekursfalle von Romont stand zur Entscheidung, ob die Stimmgebung der Beschwerdeführer anzuerkennen war oder nicht; auch im Falle der Beschwerdeführung v o r der Wahl hätte es sich gefragt, ob die Wähler für eine Liste, die n a c h dem regierungsseitig festgesetzten Termin eingereicht wird, noch rechtsgültig stimmen können.

Das Rekursmemorial verweilt mit einem gewissen Behagen bei unserer Entscheidung in der Rekurssache von Käch und Genossen, indem es vermeint, uns eine Inkonsequenz nachgewiesen zu haben, der wir uns dadurch schuldig gemacht haben würden, daß wir dort die Kompetenz zur
Prüfung der Frage, ob ein solothurnisches Stimmrechtsgesetz mit einer Bestimmung der solothurnischen Staatsverfassung im Einklänge stehe oder nicht, abgelehnt hätten, während wir hier -- im Falle von Romont -- die Kompetenz zur Entscheidung der Frage, ob ein freiburgischer Regierungserlaß mit

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einem freiburgischen Gesetze in Übereinstimmung stehe, in Anspruch genommen haben.

Die Auffassung des Staatsrates beruht indessen auf einem Mißverständnisse. Der Staatsrat hat eine im Jahrgang 1895 (Heft 3) des von Herrn Dr. A. Brüstlein herausgegebenen Archivs für Schuldbetreibung und Konkurs erschienene Kritik unserer Erwägungen in Sachen Käch und Genossen zur seinigen gemacht. Jene Kritik geht aber von einer irrtümlichen Annahme aus. Der Bundesrat hat keineswegs die ihm zugeschriebene Kompetenzablehnung ausgesprochen, sondern nur erklärt, er habe nicht zu untersuchen, ,,ob nach dem Staatsrechte des Kantons Solothurn die Peststellung (1er öffentlich-rechtlichen Folgen der fruchtlosen Pfändung und des Konkurses in der Staatsverfassung zu geschehen hatte oder durch ein einfaches Gesetz erfolgen konnte11. Mit keinem Worte wurde vom Bundesrate zugestanden, es liege eine Frage vor, die nicht von ihm, sondern vom ßundesgericht zu lösen wäre; der Angelpunkt der ganzen Beweisführung des ßundesrates in jenem Falle lag in der Anschauung: Art. 328 des Bundesgesetzes über Schuldbetreibung und Konkurs habe das System des solothurnischen Civilrechtes betreffend den sogenannten ,,Geldstag" speciell in Ansehung der weitem Folgen des Geldstages derart durchbrochen, daß der Verfassungsartikel über die öffentlich-rechtlichen Folgen des Geldstages seiner rechtlichen Voraussetzung und Unterlage beraubt erscheine, und infolge dessen nicht nur nicht auf die Konkursiten und fruchtlos Gepfändeten des Bundesgesetzes, sondern auch nicht mehr auf die nach altem kantonalem Recht Vergeldstagten Anwendung finden könne, daß vielmehr für diese, die nun civilrechtlich ganz dem neuen Recht unterstellt seien, die Bestimmungen des kantonalen Rechtes über die öffentlich-rechtlichen Folgen der Pfändung und des Konkurses gemäß dem Verfassungsgrundsatze der Rechtsgleichheit der Bürger ebenfalls Geltung haben müssen, bezw. daß die alten Geldstager nicht schlechter gestellt werden dürfen, als die neuen Konkursiten und die Ausgepfändeten. Der Bundesrat hat denn auch in seiner Schlußfolgerung nicht erklärt, Art. 9, Ziff. 4, der solothurnischen Staatsverfassung sei durch das solothurnische Ehrenfblgengesetz abgeändert oder aufgehoben worden, sondern im Hinblick auf Art. 328 des eidgenössischen Betreibung»- und Konkursgesetzes und gestützt
auf Art. 4 der Bundesverfassung und Art. 12, Ziff. l, der Kantonsverfassung erkannt, Art. 9, Ziff. 4, der letztern (betreffend das Stimmrecht der Geldstager) könne keine Rechtswirkung mehr äußern.

Am 15. Mai 1895 kam im Kantonsrate von Solothurn die Frage zur Verhandlung, ob gegen den Bundesratsbeschluß in Sachen Käch

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und Genossen die Weiterziehung an die Bundesversammlung zu erklären sei. Auf den Antrag des Regierungsrates beschloß der Kantonsrat, der oberste Wächter der Kantonalsouveränität, hiervon abzusehen. Die diesem Beschlüsse vorangehende Diskussion ergab, nachdem das durch die Bemerkungen des Kritikers im Archiv für Schuldbetreibung und Konkurs auch bei einigen solothurnischen Ratsmitgliedern hervorgerufene Mißverständnis aufgeklärt war, vollständige Billigung des bundesrätlichen Standpunktes. Wir legen das gedruckte amtliche Bulletin der bezüglichen Kantonsratsverhandlungen zu den Akten.

Damit schließen wir unsere Bemerkungen über den I. Teil des freiburgischen Rekursmemorials, die Kompetenzfrage, und gelangen II. Zur Sache selbst.

Das freiburgische Gesetz über die Gemeinden und Pfarreien, vom 19. Mai 1894, überträgt in Art. 66 dem Staatsrate die Bestimmung aller Einzelheiten und Anwendungspunkte, welche sich auf das Verhältniswahlverfahren bezieheu und in dem G e s e t z e s e l b s t n i c h t v o r g e s e h e n sind.

Art. 48, Absatz 2, des nämlichen Gesetzes bestimmt, daß die Parteien oder Gruppen, welche eine Liste in Vorschlag bringen, dieselbe ,,spätestens am M o n t a g vor dem Abstimmungstag"- auf der Gemeindekanzlei hinterlegen müssen.

Der Staatsvat, auf Art. 66 des Gesetzes sich berufend, hat am 26. Februar für die Wahlen vom 5. Mai 1895 verfügt, daß die Frist zur Hinterlegung der Listen am Montag den 29. April, 3 U h r n a c h m i t t a g s , ablaufe. Die Rekurenten von Romont haben diese staatsrätliche Verfügung als gesetzwidrig angefochten, indem sie sagen, das Gesetz räume den g a n z e n Montag vor dem Abstimmungstag für die Hinterlegung der Listen ein. Der Endtermin dieser Frist falle nach der für die Gemeindekanzleien bestehenden reglementarischen Ordnung auf 6 Uhr abends.

Der Bundesrat seinerseits fand, daß der Staatsrat in seinem Wahl verordnungserlasse vom 26. Februar 1895 sich überall, mit alleiniger Ausnahme der angefochtenen Verfügung, genau an die vom Gesetz aufgestellten Termine oder Fristen gehalten habe, sei es, daß er sie einfach wiederholte, sei es, daß er da, wo das Gesetz Fristen aufstellt, die Wochen oder eine Mehrzahl von Tagen umfassen, festsetzte, die fragliche Handlung miisse v o r dem auf den letzten Tag der Frist f o l g e n d e n Tag vorgenommen sein, so z. B. in Art. 16 und in Art. 21 des Regierungserlasses. Wir haben k e i n e s w e g s e r k l ä r t , der Staatsrat sei durch das Gesetz ge-

809 zwungen gewesen, die Tagesfristen bis Mitternacht auszudehnen, vielmehr nur darauf hingewiesen, daß der S t a a t s rat d i e s in z w e i F ä l l e n g e t h a n h a t u n d f o l g e r i c h t i g auch hinsichtlich der fraglichen Montagsfrist hätte thun sollen, und beigefügt, bundesrechtlich sei gegen eine solche Fristbestimmung nichts einzuwenden.

Wir haben die Frage im übrigen offen gelassen, ob im Kanton Freiburg eine gesetzliche Arbeitszeit der administrativen Amtsbureaux bestehe, nach der die Gemeindekanzleien nur bis abends 6 Uhr gehalten wären, Eingaben entgegenzunehmen u. s. f., wie die Rekurrenten es behaupten.

Der Buodesrat hat es also unentschieden gelassen, als Sache des kantonalen Rechts, sei es der Gesetzgebung, sei es der verwaltungsrechtlichen Übung bezeichnet, ob die in Art. 48, Abs. 2, des freiburgischen Gemeindegesetzes aufgestellte Tagesfrist bis abends 6 Uhr oder bis Mitternacht gültig benützt werden könne. Sehr entschieden dagegen hat er den Satz aufgestellt, daß der Staatsrat vom Gesetze jedenfalls nicht ermächtigt war, die fragliche Montagsfrist in der Weise zu v e r k ü r z e n , wie er es gethan hat, indem er sie nachmittags 3 Uhr zu Ende gehen ließ. In dieser staatsrätlichen Verfügung, welche die Gesetzesbestimmung offenbar ä n d e r t , hat der Bundesrat eine gesetzwidrige Maßnahme, eine Überschreitung der Befugnisse des Staatsrates erblickt und ihr darum die Rechtskraft abgesprochen.

Das Rekursmemorial der Freiburger Regierung unterschiebt nun aber dem Bundesrate die Erklärung, die fragliche Montagsfrist sei gesetzesgemäß erst um Mitternacht abgelaufen, und bringt es dadurch fertig, eine Verschiedenheit der Ansichten der .,,Rechtsgelehrten" über den Ablaufsmoment dieser Frist zu konstatieren, um hierauf gestutzt den Nachweis der Notwendigkeit und Gesetzmäßigkeit der staatsrätlichen Zeitbestimmung als geleistet proklamieren zu können, einer Bestimmung, welche die richtige Mitte halte, indem sie den ,,größern Teil" des Montags den Bürgern zur Einreichung der Listen anweise. Der Staatsrat hat eine von ihm behauptete, aber, wie wir gezeigt haben, in der That gar nicht erfolgte Fristbestimmung des Bundesrates (,,bis Mitternacht"1) als etwas geradezu Absurdes, Unsinniges hingestellt, unter energischer Verteidigung des Rechtes des Gemeindeschreibers auf die unentbehrliche
Nachtruhe. Es ist nicht der Bundesrat indessen, sondern der Staatsrat des Kantons Freiburg, der in einem Falle (Art. 21 seines Erlasses vom 26. Februar 1895) der Gemeindekanzlei, in einem ändern (Art. 16 des Erlasses) jedem Wähler zumutet, Zustellungen -- dort Listen, hier Stimmrechtsausweiskarten -- für die Gemeinderatswahl an den Scblußtagen der gesetzlichen

810 Fristen bis Mitternacht entgegenzunehmen. Man beachte wohl: der Staatsrat bestreitet, daß es im Kanton Freiburg eine gesetzliche Schließungsstunde für die Gemeindekanzleien gebe, und behauptet, er sei befugt, beziehungsweise verpflichtet, jeweilen im einzelnen Falle durch eine Ordnungsbestimmung diese Stunde festzusetzen. Danach mußte angenommen werden, daß, wenn der Staatsrat verordnete, es sei ein Begehren spätestens ,, v o r dem 14. A p r i l " 1 der Gemeindekanzlei einzureichen, dieses Begehren am 13. April bis Mitternacht gültig eingereicht werden konnte, und daß, wenn er verfügte, die Stimmfähigkeitskarten müssen ,, v o r dem 27. A p r i l " in den Händen der Wähler sein, diese Karten dem Bürger bis zum letzten Zeitmoment des 26. April rechtzeitig zugestellt werden konnten.

Wir glauben, in den Erwägungen zum Beschlüsse vom 7. März und in Vorstehendem unsern Standpunkt und die darauf gebaute Schlußfolgerung ausreichend begründet zu haben und daher zur materiellen Rechtfertigung unserer Entscheidung nichts mehr beifügen zu müssen. Nur wenige Bemerkungen mögen uns, bevor wir schließen, noch gestattet sein.

Der Bundesrat hat sich bei seiner Entscheidung durch keinerlei Opportunitätsrücksichten leiten lassen; er hat die Rechtsfrage genommen, wie sie sich ihm darbot, und dieselbe, gegen die Anschauung der Kantonsregierung, aber den guten Glauben der Behörde ausdrücklich anerkennend, entschieden, weil er sich sagen mußte, daß keineswegs das entscheidend sei, daß die Wähler lange vor dem 5. Mai 1895 von der staatsrätlichen Fristbestimmung Kenntnis hatten, oder daß sie ohne ihrer Bequemlichkeit Eintrag zu thuu die Listen am Montag den 29. April bis nachmittags 3 Uhr hätten einreichen können, sondern daß einzig und allein in Frage stehe, ob die Bürger ein g e s e t z l i c h e s R e c h t hatten, die Listen an jenem Montag erst nach 3 Uhr nachmittags einzugeben. Indem d i e s e Frage im Sinne der Rekurrenten entschieden wurde, ist allerdings die Möglichkeit eröffnet worden, in Bezug auf die Zusammensetzung des Gemeinderates der Stadt Romont ein schreiendes Mißverhältnis zu beseitigen. Darüber wird sich aber unseres Eraehtens in Freiburg niemand grämen, der ein Freund der Demokratie und ein Feind politischer Einseitigkeit und Ausschließlichkeit ist.

Es ist also eine d u r c h n i c h t s
gerechtfertigte Anklage, die der Staatsrat des Kantons Freiburg erhebt, wenn er uns vorwirft, nicht die Rechte der Bürger in Wahlsachen im Auge gehabt, sondern einen Opportunitätsentscheid getroffen zu haben, wenn er uns beschuldigt, ,,den kantonalen Regierungen in der durchaus rechtmäßigen Ausübung ihrer Befugnisse Hindernisse in den Weg zu legen, ihre

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Autorität zu schwächen, die gesunden Begriffe des öffentlichen Rechts über den Haufen zu werfen".

Der Bundesrat kann übrigens nicht finden, daß die Freiburger Kantonsregierung den Anlaß glücklich gewählt habe, um dem Bundesrate über die gesunden Begriffe des öffentlichen Rechts der Eidgenossenschaft eine Lektion zu erteilen. Hat sie doch in der Rekurssache von Romont neuerdings, wie schon früher (man sehe Bundesbl. 1893, IV, 843 ff, insbesondere 846; 1894, II, 43 und 44), einer Verfügung betreffend die Aufrechthaltung'des Status quo, die von der eidgenössischen Instanz in Ausübung ihrer unbestreitbaren, von keiner ändern Kantonsregierung jemals angezweifelten Kompetenz erlassen worden, einen mehr oder weniger offenen Widerstand entgegenzusetzen für gut gefunden.

Durch strenge Pesthaltung und Anwendung der Kompetenzen der Bundesrekursbehörden zur Wahrung verfassungsmäßiger Rechte der Bürger wird die Autorität des Rechts gewahrt, nicht aber der Autorität irgend einer kantonalen Behörde zu nahe getreten.

Diese Überzeugung, Tit., wird auch die Ihrige sein.

Wir beehren uns, Ihnen zu beantragen, die h. Bundesversammlung wolle den Rekurs der Regierung des Kantons Freiburg als unbegründet abweisen.

Genehmigen Sie, Tit., die Versicherung unserer vollkommenen Hochachtung.

B e r n , den 14. August 1896.

Im Namen des Schweiz. Bundesrates, Der B u n d e s p r ä s i d e n t :

A. Lachenal.

Der Kanzler der Eidgenossenschaft: Riugier.

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Bericht des Bundesrates an die Bundesversammlung über den Rekurs der Regierung des Kantons Freiburg gegen den Bundesratsbeschluß vom 7. März 1896 betreffend die Gemeinderatswahl in Romont vom 5. Mai 1895. (Vom 14. August 1896.)

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1896

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34

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19.08.1896

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789-811

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