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Bericht des

Bundesrates an die Bundesversammlung, betreffend das Begnadigungsgesuch von Job. Huwyler und Genossen.

(Vom 29. Mai 1896.)

Tit.

Am 19. Juli 1895 ist der zwischen den Stationen Wohlen und Brugg kursierende und auf der Jetztgenannten Station um 12 Uhr 38 Minuten eintreffende Zug Nr. 172 bei der Station Brugg, 43 Meter außerhalb des Einfahrtssignals, auf zwei Schotterwagen gestoßen. Der Zusammenstoß hatte glücklicherweise nur einen unbedeutenden Schaden zur Folge, dagegen wurde durch das Stehenlassen der Schotterwagen auf dem Einfahrtsgeleise und durch das Geben des Einfahrtssignals trotz jenem Hindernisse und der nicht freien Bahn eine erhebliche Gefahr für den einfahrenden Zug herbeigeführt. Da die gerichtliche Untersuchung ergehen hat, daß es sich um eine Eisenbahngefährdung handelt, die einem fahrlässigen Verschulden von Bahnangestellten zuzuschreiben ist, wurde der Fall den Gerichten des Kantons Aargau zur Beurteilung überwiesen.

Das Bezirksgericht Brugg hat mit Urteil vom 20. März 1896 Johann Huwyler, Wagenwärter, Rudolf Schatzmann, Wagenwärter, Friedrich Schatzmann, Weichenwärter, und Hans Jakob Schatzmann, Weichenwärter, der fahrlässigen Eisenbahngefährdung schuldig erklärt und in Anwendung des Art. 67, litt, b, B.-St.-R. die erstem beiden jeden in eine Gefängnisstrafe von 2 Tagen und Fr. 10 Buße und die letztern jo in eine Gefängnisstrafe von l Tag und Fr. 10 Buße, sowie sämtliche zur Bezahlung der Untersuchungskosten und einer Staatsgebühr verurteilt.

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Mit Eingabe vom 5. Mai 1896 an die Bundesversammlung stellen die Verurteilten das Gesuch um vollständige Begnadigung, beziehungsweise wenigstens um Erlaß der Freiheitsstrafe.

Zur Begründung des Gesuches wird von ihnen im wesentlichen angeführt, es sei der vorliegende Fall ein ganz unbedeutender, der eingetretene Materialschaden sei mit Fr. 20 bereits mehr als gedeckt worden; der Anprall sei bei einer Fahrgeschwindigkeit von bloß 5 Kilometern erfolgt. Im fernem bestreiten die Verurteilten ein Verschulden ihrerseits ; der Bahnmeister der Centralbahn habe vielmehr in reglementswidriger Weise unterlassen, auf die im offenen Geleise stehenden Schotterwagen eine rote Fahne zu stecken ; diese Unterlassung trage die Hauptschuld daran, daß die Weichenwärter die Wagen nicht bemerkten; die Ursache des Zusammenstoßes liege in der fehlerhaften höhern Leitung und in dem Mangel an Personal, welcher trotz des enormen Verkehrs auf der Station Brugg herrsche. Wenn übrigens auch ein Versehen der Verurteilten angenommen werden wollte, so könne es nicht in der Absicht des Gesetzgebers liegen, in einem solchen Falle eine Haftstrafe auszusprechen, da sie in keinem Verhältnis zum Verschulden stehen würde.

Wir haben hierzu zu bemerken, daß allerdings keine schweren Folgen eingetreten sind ; bei der Beurteilung eines solchen Falles ist indessen nicht die Größe des Schadens allein ausschlaggebend -- der Schaden hat nur Einfluß auf die Strafausmessung --, entscheidend ist die Gefährdung des Eisenbahnbetriebes 5 und eine Gefährdung, und zwar eine erhebliche, lag unzweifelhaft vor. Wenn behauptet wird, der Anprall sei bei einer Fahrgeschwindigkeit von bloß 5 Kilometern erfolgt, so ist diesfalls zu erwähnen, daß nach Angabo des Maschinenführers Kuli der Zug eine Fahrgeschwindigkeit von 30--40 Kilometern hatte, welche erst liei Wahrnehmung der Schotterwagen auf 7 Kilometer reduziert werden konnte, ohne daß dadurch der Zusammenstoß verhütet wurde.

Was das subjektive Verschulden betrifft, so ist dasselbe in der Motivierung des Urteils für jeden der Verurteilten genau festgestellt; diese Feststellungen sind in Übereinstimmung mit dem Resultat der Untersuchung. Die Handlungen, respektive Unterlassungen, welche den Verurteilten zur Last gelegt werden, qualifizieren sich als Dienstvernachlässigungen und stehen in Kausalzusammenhang
mit der eingetretenen Gefahr und dem erfolgten Zusammenstoß.

Das verurteilende Erkenntnis wurde nicht an eine höhere kantonale Gerichtsinstanz gezogen. Es kann nun aber nicht in

318 der Stellung der Begnadigungsbehörde liegen, gleichsam als Appellationsinstanz das Urteil des Gerichtes einer Prüfung auf dessen Richtigkeit zu unterziehen.

Die Strafe selbst wurde erkannt nach Vorschrift des Gesetzes.

Gemäß Art. 67, litt, b, des Bundesstrafrechtes wird die fahrlässige Gefährdung von Eisenbahnzügen mit Gefängnis, verbunden mit Geldbuße, bestraft. Die Milderungsgründe, die für die Verurteilten sprechen, sind vom Richter, soweit immer möglich, berücksichtigt worden.

Unter diesen Verhältnissen besteht unseres Erachtens kein Grund, eine Begnadigung eintreten zu lassen, und wir beantragen deshalb Abweisung des Gesuches.

Genehmigen Sie, Tit., die Versicherung unserer vollkommenen Hochachtung.

Bern, den 29. Mai 1896.

Im Namen des Schweiz. Bundesrates, Der Bundespräsident:

A. Lachenal.

Der Kanzler der Eidgenossenschaft : Eingier.

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Bericht des Bundesrates an die Bundesversammlung, betreffend das Begnadigungsgesuch von Joh. Huwyler und Genossen. (Vom 29. Mai 1896.)

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