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Schweizerisches Bundesblatt.

48. Jahrgang. II.

Nr. 11.

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11. März 1896.

Bericht des

Bundesrates an die Bundesversammlung über

seine Geschäftsführung im Jahre

1895.

D, Justiz- und Polizeidepartement.

A. Justizwesen.

I. Gesetzgebung.

1. Mit bundesrätlicher Botschaft vom 3. Mai 1895 (Bundesbl.

1895, II, 892) wurde der Bundesversammlung ein Gesetzesentwurf betreffend Übertragung der Kompetenzen des Bundesrates in S c h u l d b e t r e i b u n g s - und K o n k u r s s a c h e n au das Bundesgericht und betreffend Abänderungen am Bundesgesetze vom 11. April 1889 über Schuldbetreibung und Konkurs und am Bundesgesetze vom 22. März 1893 über die Organisation der Bundesrechtspflege zugeleitet.

Der Ständerat, dem die Erstbehandlung zufiel, veränderte die Vorlage des Bundesrates in einem wichtigen Punkte, er nahm die Besetzung der beim Bundesgerichte zu schaffenden Schuldbetreibungsund Konkurskammer in der Weise in Aussicht, daß diese Kammer Bundesblatt. 48. Jahrg. Bd. II.

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aus zwei neuen, keiner der bestehenden zwei Abteilungen angehörenden, Mitgliedern des Bundesgerichts und dem jeweiligen Vizepräsidenten des Bundesgerichts als Vorsitzendem zusammengesetzt sein solle, und der Nationalrat stimmte ihm bei. Am 28. Juni 1895 war die vollständige Übereinstimmung beider Räte hergestellt ; von diesem Tage datiert nun das .^Bundesgesetz betreffend die Übertragung der Oberaufsicht über das Schuldbetreibungs- und Konkurswesen an das Bundesgerieht". Dasselbe wurde am 17. Juli 1895 im Bundesblatt veröffentlicht ; am 15. Oktober ist die Referendumsfrist unbenutzt abgelaufen. Infolgedessen haben wir durch Beschluß vom 18. Oktober die Aufnahme des Gesetzes in die Amtliche Sammlung verfügt und den Beginn seiner Wirksamkeit auf 1. Januar 1896 festgesetzt. Durch Bundesratsbeschluß vom 8. November sodann wurde die am 9. Oktober 1891 auf dem eidgenössischen Justiz- und Polizeidepartement provisorisch geschaffene Abteilung für Schuldbetreibung und Konkurs, bestehend aus dem eidgenössischen Amt für Schuldbetreibung und Konkurs und aus dem eidgenössischen Rat für Schuldbetreibung und Konkurs, auf 1. Januar 1896 aufgehoben. Weiteres berichten wir unter ,,Schuldbetreibung und Konkursa.

2. Wie wir im letzten Berichte vorausgesehen haben, fanden die Arbeiten der Expertenkommission zur Begutachtung des Vorentwurfes eines S c h w e i z e r i s c h e n S t r a f g e s e t z b u c h e s im Jahre 1895 ihren Abschluß. In vier Tagungen von je zweiwöchiger Dauer führte die Kommission ihre Beratungen zu Ende. Über die Verhandlungen giebt ein einläßliches Protokoll Aufschluß.

Professor Karl Stooß hat den Entwurf nach den Kommissionsbeschlüssen in deutscher, Professor Alfred Gautier in französischer Sprache festgestellt. Sowohl das Verhandlungsprotokoll (2 Bände mit Sachregister) als der Entwurf liegen nun gedruckt vor und werden den Mitgliedern der eidgenössischen gesetzgebenden Räte zugestellt werden. Indem unser Departement den Entwurf veröffentlicht, um ihn der Beurteilung sowohl der Sachverständigen als weiterer Kreise zu unterbreiten, bezeichnet es denselben ausdrücklich als Kommissionaleatwurf. Die Bemerkungen, zu denen der Entwurf Anlaß giebt, wird es gerne entgegennehmen. Der weitere Verfolg der Angelegenheit fällt in das Jahr 1896.

Im Oktober letzten Jahres haben auch die von unserm
Departement auf den Wunsch der Strafrechtsexpertenkommission, wie Sie wissen, mit der Untersuchung der schweizerischen Strafanstalten und Gefängnisse beauftragten Experten Hartmann und

Gohl ihre Aufgabe vollendet. Ihr Bericht ist als Manuskript gedruckt dem Departement eingegeben worden ; er behandelt : a. Die Anforderungen, welche in baulicher Beziehung an Strafanstalten und Bezirksgefängnisse zu stellen sind ; b. den Zustand der Strafanstalten und Gefängnisse der einzelnen Kantone, und zieht daraus c. Schlußfolgerungen. Die Experten anerkennen sehr die bereitwillige und zuvorkommende Weise, in welcher sie bei ihren Inspektionen überall von den zuständigen Behörden und Beamten empfangen worden sind, und auch wir wollen nicht unterlassen, unsere lebhafte Befriedigung darüber auszusprechen.

Unser Departement hat zu dem Berichte noch nicht Stellung genommen ; es will denselben einer allseitigen und objektiven Prüfung unterstellt wissen und hat zu diesem Behufe vorerst die Mitglieder der Strafrechtsexpertenkommission zur Eingabe kritischer Bemerkungen veranlaßt.

UgjV,

3. In erfreulicher Weise hat sich im Berichtsjahre die Zahl der Kantonsregierungen vermehrt, die über das von Professor Eugen Huber aufgestellte Programm, betreffend das Vorgehen bei der Ausarbeitung eines S c h w e i z e r i s c h e n C i v i l g e s e t z b u c h e s , einläßlich sich vernehmen lassen ; es stehen nun nur noch wenige aus, und auch von diesen haben einige ihr Gutachten für die nächste Zeit angekündigt.

"Wie wir schon letztes Jahr bemerkten, sind diese Vernehmlassungen dem Redaktor von großem Werte.

Auch über die von Professor Huber bereits ausgearbeiteten Teilentwürfe, betreffend die rechtlichen Wirkungen der Ehe und betreffend das Erbrecht, liegen wertvolle Gutachten vor, und es ist uns eine angenehme Pflicht, an dieser Stelle den Herren Experten für ihre sehr gefällige Mitwirkung unsern besten Dank abzustatten.

Der Redaktor hat im Berichtsjahre nicht nur die beiden Teilentwürfe an Hand der gutachtlichen Äußerungen der Experten einer nochmaligen Durchsicht unterworfen, sondern auch der Abfassung der übrigen Teile des Personen- und Familienrechtes seine Aufmerksamkeit zugewendet.

Weiteres behalten wir späteren Mitteilungen vor.

4. Der mit Botschaft vom 29. Mai 1894 (Bundesbl. 1894, II, 681) Ihnen zugeleitete Entwurf zu einem Gesetze über den V i e h h a n d e l ist vom Nationalrat in der Frühjahrstagung auf der Grundlage eines neuen bundesrätlichen Entwurfes vom 26. Februar 1895

(Bundesbl. 1895, I, 630) durchberaten und vom Ständerat in der Dezembersession mit einigen Abweichungen angenommen worden.

Die Weiterbehandlung des Gegenstandes fällt ins Jahr 1896.

5. Mit Schreiben vom 12. Dezember 1895 hat der Regierungsrat des Kantons G l a r u s uns sehr angelegentlich die Wiederaufnahme des Versuchs einer gesetzgeberischen Regelung des Verbotes der D o p p e l b e s t e u e r u n g empfohlen. In dem Schreiben wird auch die Praxis des Bundesgerichts in Doppelbesteuerungsfragen gestreift und in der einen und ändern Richtung beanstandet.

Wir hatten diese legislatorische Aufgabe des Bundes nicht aus den Augen verloren, aber uns vorgenommen, dieselbe erst dann wieder an die Hand zu nehmen, wenn das Bedürfnis nach einem bezüglichen Bundesgesetze sich so dringend fühlbar machte, daß eine Einigung der gesetzgebenden Räte in den Hauptfragen, insbesondere in der Frage der gleichzeitigen Besteuerung der Aktiengesellschaften und der Aktionäre, erhofft werden kann.

Über die Notwendigkeit oder Wünschbarkeit einer gesetzgeberischen Ordnung des Doppelbesteuerungsverbotes steht unzweifelhaft derjenigen Bundesbehörde das maßgebende Urteil zu, welche in diesem Gebiete Recht zu sprechen hat, dem Bundesgerichte. Wir haben daher nicht ermangelt, das Bundesgericht zur Vernehmlassung über die Anregung der Glarner Regierung ·einzuladen, und gewärtigen dessen Antwort.

Wenn wir den Gegenstand schon in diesem Jahresberichte berühren, so geschieht es namentlich deshalb, um den Mitgliedern der gesetzgebenden Räte Gelegenheit zur Kundgebung ihrer Ansicht über das praktische Bedürfnis nach einem Bundesgesetze betreffend das Verbot der Doppelbesteuerung zu bieten.

II. Sclmldbetreibimg und Konkurs.

Die Zahl der im Berichtsjahre eingegangenen Rekurse beträgt 242.

Über deren Erledigung giebt die nachstehende Tabelle Auskunft : Jahr,

1892 1893 1894 1895

Zahl Begründet der Rekurse. Zurückgezogen. Abgewiesen. erklärt. Pendeut.

188 225 230 242

29 16 19 30

110 147 155 132

49 62 56 29

-- -- -- 51

Die beim Jahresschlüsse unerledigt gebliebenen 51 Rekurse sind gemäß Art. 16 des Bundesgesetzes betreffend die Übertragung der Oberaufsicht über das Schuld betreibungs- und Konkurswesen an das Bundesgerieht, vom 28. Juni 1895, zu Anfang des Jahres 1896 an das Bundesgericht übergegangen.

Anfragen juristischen Inhalts von Behörden und Privaten waren zu beantworten: 1892: 6105 1893: 501; 1894: 399; 1895: 242.

Der Betreibungsrat hat im Berichtsjahr 9 halbtägige Sitzungen gehalten.

Einer vom Großen Rate des Kantons Tessin beschlossenen Abänderung des Einführungsgesetzes konnte die Genehmigung insoweit nicht erteilt werden, als durch diese Gesetzesrevision die bisher dem Staatsrat zugewiesenen Obliegenheiten einer kantonalen Aufsichtsbehörde unter zwei verschiedenen Behörden, Staatsrat und Obergericht, verteilt werden sollten. Eine solche Zweiteilung erscheint uns mit Art. 13, 14, 17, 18 B.-G. unvereinbar.

Die Kundgebungen der Abteilung für Schuldbetreibung und Konkurs beschränkten sich auf den Erlaß folgender Kreisschreiben : 1. Betreffend die Auslegung von Art. 50 des Gebührentarifs (Bundesbl. 1895, II, 217).

2. Betreffend Erledigung der nach kantonalem Recht zu liquidierenden Konkurse (Bundesbl. 1895, IH, 622).

3. Betreffend die Voraussetzungen der "Wechselbetreibung (Bundesbl. 1895, III, 876).

Die Anregung von Tessin und Graubünden, es möchte der Gebiihrentarif revidiert werden, veranlaßte unser Justizdepartement, die Ansichten der kantonalen Regierungen über diesen Vorschlag einzuholen. Alle Kantone mit Ausnahme von Schwyz und Frei bürg haben im Laufe des Jahres sich ausführlich über die Frage geäußert.

Der Bundesrat wird an Hand dieser Ansichtsäußerung die Frage weiter verfolgen und dabei selbstverständlich auch die Betreibungsund Konkurskammer des Bundesgerichtes zu Rate ziehen.

Außer der Festsetzung des Gebührentarifs bleibt der Bundesrat auch fernerhin mit der Genehmigung der kantonalen Einführungsgesetze und Rechtsstillstände.l sowie mit der Kontrollierung D O O der in Betreibungs- und Konkurssachen durch das Schweizerische Handelsamtsblatt zu erlassenden öffentlichen Bekanntmachungen betraut.

An solchen Bekanntmachungen erschienen im Jahre 1892: 2141; 1893: 2357; 1894: 2170; 1895: 1903.

Endlich ist auch die Beschaffung von Formularen und Registerbogen bisher noch nicht vom Bundesgerichte übernommen worden, sondern mit dem 1. Januar an das eidgenössische Finanzdepartement übergegangen, das provisorisch den Vertrieb dieser Formulare leitet.

III. Internationales Privatrecht.

Letztes Jahr haben wir Ihnen über die Konferenzen für internationales Privatrecht, die in den Jahren 1893 und 1894 im Haag, der niederländischen Haupt- und Residenzstadt, stattgefunden, und bei denen unser Land durch die Professoren Meili (Zürich) und Roguin (Lausanne) ehrenvoll vertreten war, im allgemeinen Bericht erstattet. Wir sind dieses Jahr in der Lage, Ihnen unsere Entschließung in Hinsicht auf einen der von der Konferenz am 13. Juli 1894 festgestellten fünf Vertragsentwürfe zur Kenntnis zu bringen.

Über die anderen werden wir später Beschluß fassen. Wie wir schon voriges Jahr andeuteten, erschienen von Anfang an die civilprozeßrechtlichen Festsetzungen als die annehmbarsten. Von der nämlichen Anschauung ausgehend, hat die Königlich Niederländische Regierung durch ihre Gesandtschaft in Bern mit Note vom 12. November 1894 den Entwurf zu einer internationalen Übereinkunft vorgelegt, welche sich auf die von der Konferenz behandelten civilprozessualischen Materien beschränken würde. Der niederländische Entwurf schließt sich genau an die Konferenzbeschlüsse an ; er zerfällt in fünf Teile, nämlich : a. Zustellung gerichtlicher und außergerichtlicher Aktenstücke ; b. Gesuche um Vornahme gerichtlicher Handlungen ; c. Anspruch auf Sicherstellung wegen den Prozeßkosten ; d. Unentgeltliche gerichtliche Verbeiständung 5 e. Schuldhaft.

Auf den Antrag unseres Departements haben wir am 28. Dezember 1895 unsere Geneigtheit ausgesprochen, den von der niederländischen Regierung vorgelegten Entwurf unter einigen Vorbehalten als Grundlage einer Vertragsschließung anzunehmen. Es ist hier nicht der Ort und jetzt nicht die Zeit, auf den Inhalt des Entwurfes näher einzutreten. Wenn, wie zu erwarten steht, die nun zu eröffnenden Unterhandlungen der Konferenzstaaten zu einem positiven Resultate führen werden, soll dies in besonderer Vorlage geschehen.

Bereits haben sich eine Reihe von Staaten bereit erklärt, eine Übereinkunft nach dem niederländischen Entwurf zu unterzeichnen.

Eine solche Vereinbarung würde einen nicht zu unterschätzenden Fortschritt bedeuten, einen Gewinn im internationalen civilprozeßrechtlichen Verkehr verwirklichen.

IT. Gewährleistung von Kantonsverfassungeu.

Im Berichtsjahre haben die Bundesgarantie erhalten : 1. Bin Verfassungsgesetz des Kantons T e s s i n , vom 8. November 1894, durch Bundesbeschluß vom [5. April 1895 (A. S.

n. F. XV, 136).

Durch dieses Gesetz werden zur Verwaltung der Strafgerichtsbarkeit eingesetzt: a. eine Rekurskammer des Appellationsgerichtes; b. Bezirksschwurgerichte, bestehend aus dem Bezirksgerichte und fünf Geschwornen als Beisitzern ; c. das Kantonsschwurgericht, bestehend aus drei Appellationsrichtern und neun Geschwornen als Beisitzern; d. ein Kassationshof, bestehend aus dem Präsidenten des Appellationsgerichts und vier Mitgliedern.

Die neue Organisation tritt an die Stelle derjenigen vom 2. Juli 1892, die für Strafsachen (wie für Civilsachen) als erste Instanz das Bezirksgericht und als zweite Instanz das Appellationsgericht vorgesehen hatte (Bundesbl. 1895, I, 816).

2. Zwei Verfassungsgesetze des Kantons G e n f , vom 12. Januar 1895, durch Bundesbeschluß vom 5. April 1895 (A. S. n. F.

XV, 134).

Das eine dieser Verfassungsgesetze führt das fakultative Referendum in Gemeindeangelegenheiten ein, das andere bestimmt Zeitpunkt und Dauer der Tagungen des Großen Rates, in Abweichung vom bisherigen, durch Art. 46 der Verfassung vom 24. Mai 1847 geordneten Modus (Bundesbl. 1895, I, 809).

3. Die Partialrevision der Verfassung des Kantons A p p e n z e l l L - R h., vom 28. April 1895, durch Bundesbeschluß vom 22. Juni 1895 (A. S. n. F. XV, 155).

Der Kanton Appenzell I.-Rh. hat durch diese Revision die Volkswahl und eine dreijährige Amtsdauer seines Mitgliedes im schweizerischen Ständerate eingeführt (Bundesbl. 1895, III, 147).

4. Die Abänderung der Artikel 23 und 42 der Verfassung des Kantons S c h a ff h a u s e n , vom 26. Januar 1895, durch Bundesbeschluß vom 22. Juni 1895 (A. S. n. F. XV, 153).

Bisher -- nach Art. 23 der Verfassung von d 876 -- wurde im Kanton Schaffhausen das in Art. 89 der Bundesverfassung den Kantonen eingeräumte Recht, eine eidgenössische Referendumsabstimmung zu verlangen, vom Großen Rate ausgeübt, seit der

Revision vom 26. Januar 1895 nun .,,vom Großen Rate in Verbindung mit dem Volke".

Nach Art. 42 der Verfassung von 1876 erfolgten im Kanton Schaffhausen Volksabstimmungen über Gesetze und Beschlüsse auf Verlangen ven 1000 oder mehr Aktivbürgern, die Revision vom 26. Januar 1895 führt das obligatorische Referendum für alle Gesetze und die Großratsbeschlüsse nach Art. 23 (Begehren eines eidgenössischen Referendums) und für alle, einmalige oder wiederkehrende Ausgaben in bestimmter Höhe nach sich ziehenden Großratsbeschlüsse ein und gestattet überdies dem Großen Rate, von sich aus gewisse Schlußnahmen der Volksabstimmung zu unterbreiten oder das Volk über die Aufnahme einzelner Grundsätze in einen Erlaß zu befragen (Bundesbl. 1895, III, 233).

5. Eine Abänderung der Verfassung des Kantons G l a r u s , vom 5. Mai 1895, durch Bundesbeschluß vom 22. Juni 1895 (A. S. n. F. XV, 151).

Diese Revision enthält eine Neuordnung der Civilgerichtskompetenzen (Bundesbl. 1895, III, 230).

6. Die Partialrevision der Verfassung des Kantons S o l o t h u r n, vom 17. März 1895, durch Bundesbeschluß vom 28. Juni 1895 (A. S. n. F. XV, 169).

Die Hauptpunkte dieser Revision sind : a. Die obligatorische Einführung des Proportionalsystems für die Wahl des Kantonsrates und der mehr als 7 Mitglieder zählenden Gemeinderäte, die Gestattung dieser Wahlart für die übrigen Gemeinderäte und für Kommissionen ; b. die Einführung der Verfassungsinitiative ; c. die Finanzreform (Einführung der direkten Staatssteuer; Herabsetzung der Handänderungsgebühren für Liegenschaften, der Sportein und des Salzpreises). (Bundesbl. 1895, II, 556.)

Nach Antrag der ständerätlichen Kommission wurde von beiden Räten zu der dem Garantiebeschlusse vorausgeschickten bundesrätlichen Erwägung der Zusatz angefügt, daß die, als Anlagen A und B, der Verfassungsvorlage beigegebenen Ausführungsbestimmungen betreffend das proportionale Wahlverfahren und betreffend die Finanzreform jederzeit auf dem Wege der Gesetzgebung abgeändert werden können, ohne die Verpflichtung, hierfür die Gewährleistung des Bundes nachzusuchen (vergi, hierüber den ständerätlichen Kommissionalbericht [von Dr. J. Stößel] im Bundesbl. 1895, ffl, 471).

V. Civilstand und Ehe.

1. Die in Artikel 12 des Bundesgesetzes betreffend die Feststellung und Beurkundung des Civilstandes und die Ehe vorgeschriebenen I n s p e k t i o n s b e r i c h t e d e r k a n t o n a l e n R e g i e r u n g e n haben auch im Berichtsjahre Anlaß zu einer weitschichtigen Korrespondenz des eidgenössischen Justiz- und Polizeidepartements mit den kantonalen Aufsichtsbehörden geboten. Aus zwei Kantonen waren keine Berichte erhältlich. Es ist jedoch Vorsorge getroffen, daß dafür über das Jahr 1895 um so eingehender referiert wird. Einzelne Berichte gingen sehr verspätet ein. -- Die Berichtgabo kann im allgemeinen als eine befriedigende bezeichnet werden. Immerhin wird darauf Bedacht genommen werden, das den Inspektionen gegenwärtig zu Grunde liegende Fragenschema (T/Handbuch für die Civilstandsbeamtena, S. 205 ff.) abzuändern, um die Berichterstattung für die eidgenössische Oberaufsichtsbehörde inhaltsreicher und infolgedessen nützlicher zu gestalten. Auf ein Eintreten in Einzelheiten müssen wir aus früher angegebenen Gründen hier verzichten.

2. Im Jahre 1895 sind von uns mit Bezug auf die Beurkundung des Civilstandes und die Eheschließung die folgenden K r e i s s c h r e i b e n an die Regierungen sämtlicher eidgenössischen Stände erlassen worden : a. Das Kreisschreiben vom 8. Mai 1895 betreffend d e n a m t lichen Verkehr mit den preußischen ^Standesbea m t e n (Bundesbl. 1895, II, 945).

In diesem Kreisschrciben haben wir mitgeteilt, daß auf Grund einer Vorschrift des preußischen Ministeriums des Innern vom 10. Juni 1894 die von preußischen Standesbeamten zu erledigenden Verkündgesuche schweizerischer Civilstandsämter auf diplomatischem Wege, d. h. durch Vermittlung der schweizerischen Gesandtschaft in Berlin, an ihren jeweiligen Bestimmungsort geleitet werden müssen. Das n ä m l i c h e g i l t , wie das eidgenössische Justiz- und Polizeidepartement mehrfach zu beobachten Gelegenheit hatte, f ü r E l s a ß - L o t h r i n g e n . Bezüglich des Großhcrzogttims B a d e n ist zu vergleichen unser Kreisschreiben vom 8. Dezember 1894 (Bundesbl. 1894, IV, 604). -- Auf verschiedene Eintragen ist geantwortet worden, daß in allen einschlägigen Fällen die schweizerischen Civilstandsbeamten mit der schweizerischen Gesandtschaft in Berlin d i r e k t verkehren können.

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b. Das Kreisschreiben vom 24. Oktober 1895, betreffend d e n E r s a t z der am 20. S e p t e m b e r g l e i c h e n J a h r e s verbrannten Register des Civilstandskreises Prez-versN o r é a z (Bundesbl. 1895, IV, 29).

c. Das Kreisschreiben vom 28. Oktober 1895, betreffend die M i t t e i l u n g der C i v i l s t a n d s a k t e n von A u s l ä n d e r n in de r S c h w e i z a-n de r en H e i m a t (Bundesbl. 1895, IV, 37).

d. Das Kreisschreiben vom 6. Dezember 1895, betreffend die Verehelichung von Ungarn in der Schweiz und von S c h w e i z e r n in U n g a r n (Bundesbl. 1895, IV, 680).

e. Das Kreisschreiben vom 10. Dezember 1895, betreffend eine civilstandsamtliche V e r e i n b a r u n g mit Spanien und die staatliche Führung der Matriken in Ungarn (Bundesbl. 1895, IV, 683).

3. Die in Artikel 5 des Reglements «Vorgeschriebenen M i t teilungen an die Civilstandsbeamten des Auslandes haben in der Regel auf diplomatischem Wege zu geschehen und es sind die betreffenden Aktenstücke zu beglaubigen (Nr. 20 und 21 der Anleitung im ,,Handbuche").

Im Berichtsjahre hat nun die Kantonskanzlei von Appenzell Außerrhoden von dem eidgenössischen Justiz- und Polizeidepartement darüber Auskunft verlangt, ob für die Beglaubigung die gewöhnliche Legalisationsgebühr verlangt werden dürfe, sowie ob bei den direkt bestellbaren civilstandsamtlichen Mitteilungen nach Bayern auch die Frankatur von den Interessenten eingehoben werden dürfe.

Da die Übermittlung von Civilstandsakten an auswärtige Staaten der Bundeskanzlei obliegt, so wurde deren Mitbericht eingeholt und gestützt auf denselben folgende Antwort gegeben : Die Instruktionen, welche Nummer 26 der Anleitung im V)Handbuche zu Artikel 8 des eidgenössischen Civilstandsgesetzes und zu § 15 des zudienenden Réglementes giebt, enthalten in klarer, nicht mißzuverstehender Weise jede wünschenswerte Auskunft.

Die Berechnung von irgend welchen Gebühren ist bei allen für das Ausland bestimmten Civilstandsakten, die a m t l i c h zur Versendung gelangen, unzulässig.

Was die nach B a y e r n zu sendenden Civilstandsurkunden anbetrifft, so schreibt die Übereinkunft vom 7. Dezember 1874 (A. S. n. F. I, 210) vor, daß dieselben direkt, l e g a l i s i e r t und k o s t e n f r e i , zu übermitteln sind. Die Portoauslagen können nicht

11 von den Interessenten erhoben werden, da diese die Übermittlung der Akten, die eben von A m t e s w e g e n erfolgt, gar nicht verlangt haben.

Nummer 21 des ,,Handbuches" betrifft gemäß ihrer Überschrift nur M i t t e i l u n g e n an S c h w e i z e r , die sich im Auslande aufhalten.

Auf Urkunden, die von A m t e s w e g e n versendet werden müssen, kann weder der erste noch der zweite Absatz dieser Nummer Anwendung finden. Dieselbe spricht einzig und allein von solchen Civilstandsurkunden, welche von Privaten -- Parteien -- in ihrem eigenen Interesse verlangt werden.

4. In letzter Zeit hat das Departement des Auswärtigen Gelegenheit gehabt, die Beobachtung zu machen, daß für die L e g a lisierung v o n a m t l i c h e n G e b u r t s - , T r a u - u n d T o t e n s c h e i n e n für in ihrem Bezirke niedergelassene Schweizerbürger e i n z e l n e s c h w e i z e r i s c h e K o n s u l n eine G e b ü h r verlangen, während andere regelmäßig auf eine solche verzichten.

Ohne daß in dieser Hinsicht irgend welcher Tadel ausgesprochen werden wollte, hielt das Departement es für angezeigt, diese Ungleichheit zu beseitigen, in dem Sinne, daß die schweizerischen Konsuln zur u n e n t g e l t l i c h e n Legalisierung der e r s t e n Ausfertigung amtlicher Geburts-, Trau- oder Totenscheine von Schweizern verpflichtet würden, während ihnen für weitere allfällig verlangte Ausfertigungen solcher Civilstandsakten, wie bisher, der Bezug einer Legalisationsgebühr gestattet bliebe. Schon aus dem Wortlaute des Artikels 27 des Reglements für die schweizerischen Konsularbeamten vom 26. Mai 1875 dürfte sich eine Pflicht zur unentgeltlichen Legalisierung von solchen Civilstandsakten ableiten lassen.

Das Departement des Auswärtigen wurde denn auch beauftragt, die schweizerischen Gesandtschaften und Konsulate anzuweisen, in Zukunft für die Legalisierung der ersten Ausfertigung a m t l i c h e r Geburts-, Trau- oder Totenscheine keine Gebühr mehr zu verlangen (Beschluß vom 10. Juni 1895).

5. Gegen verschiedene Civilstandsbeamte des Kantons Luzern sind Klagen laut geworden wegen u n g e s e t z l i c h e n B e z u g e s von Gebühren bei Trauungen.

Nun bestimmt der Artikel 8 des Bundesgesetzes über Civilstand und Ehe, ,,daß die Eintragungen und die nach Vorschrift gegenwärtigen Gesetzes von Amtes wegen zu machenden Mitteilungen taxfrei zu geschehen haben", -- und der Artikel 15 des

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Reglements für die Führung der Civilstandsregister (vom 20. Herbstmonat 1881) schreibt ausdrücklich vor, daß von den beteiligten Parteien keine Gebühren bezogen werden dürfen für die Trauungen, welche im Civilstandskreise des Wohnsitzes des Bräutigams stattfinden. Eine Ausnahme ist nur dann zulässig, wenn die Trauung außerhalb dieses Kreises oder nicht an den von den kantonalen Behörden festgesetzten Tagen und Stunden verlangt wird ; doch muß auch in diesen beiden Fällen der Bezug einer Gebühr durch kantonale Vorschrift ausdrücklich gestattet sein (zu vergleichen das Kreisschreiben des Bundesrates vom 11. Februar 1876 [Bundesbl. 1876, I, 295] und die Nummern 41, 184 und 195 der Anleitung im .^Handbuche für die Civilstandsbeamten"-).

Anderseits schreibt der Artikel 3 des Civilstandsgesetzes vor, daß die Bestimmungen über die Entschädigung dev Civilstandsbeamten den Kantonen überlassen bleiben.

Da in den eingeklagten Fällen die Gebühr von Fr. 3, welche die luzernischen Civilstandsbeamten gemäß dem kantonalen Gesetz betreffend die Gebühren für das Civilstandswesen (vom 1. Dezember 1885) ,,für jede Ehe im Register A"" von der Polizeikasse zu fordern berechtigt sind, nicht von dieser Kasse, sondern von den Brautleuten erhoben worden und zudem teilweise noch höhere Taxen verlangt worden waren, so haben wir gestützt auf das Ergebnis der von der kantonalen Aufsichtsbehörde auf unsere Veranlassung hin durchgeführten Untersuchung die betreffenden Civilstandsbeamten mit 10 beziehungsweise 40 Franken Buße belegt, und zwar unter Hinweis auf die für den Wiederholungsfall im Abschnitt F des Civilstandsgesetzes angedrohten Strafen. Mit dem Vollzuge haben wir die Regierung des Kantons Luzern beauftragt und dieselbe gleichzeitig eingeladen, durch zweckentsprechende Weisungen an sämtliche Civilstandsbeamte des Kantons den geschilderten Ungesetzlichkeiten entgegenzutreten.

Die verhängten Bußen sind zu gunsten der Polizeikassen der betreffenden Gemeinden eingezogen worden.

Einige Zeit nach Erledigung dieser Angelegenheit hat uns das Statthalteramt Hochdorf mitgeteilt, daß bei ihm der eine der gebüßten Civilstandsbeamten eine Amtsehrverletzungsklage gegen seinen Ankläger anhängig gemacht habe, die sich auf den Vorhalt stütze, der fragliche Beamte habe bei Trauungen zu viel, beziehungsweise unrechtmäßig Gebühren
gefordert. Da der Angeklagte für seine Behauptungen den Beweis der Wahrheit anei-boten und sich dabei auf die von uns angeordnete Untersuchung berufen hatte, so ersuchte

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uns das genannte Statthalteramt um Edition der bezüglichen Untersuchungsakten.

Unsere Antwort, die wir durch die kantonale Regierung vermitteln ließen, ging dahin, daß der Bundesrat solchen Begehren um Edition von Untersuchungsakten in der Regel nicht entspreche. Da es sich aber im vorliegenden Falle um eine Klage wegen Verletzung der Amtsehre eines Civilstandsbeamten handle und diese Klage im Zusammenhange stehe mit einer amtlichen Untersuchung, die gegen den klagenden Beamten auf Anordnung der eidgenössischen Oberaufsichtsbehörde über das Civilstandswesen durchgeführt worden sei, so stünden wir nicht an, den in Betracht kommenden Teil unseres Beschlusses und seine faktische und rechtliche Begründung in Abschrift mitzuteilen.

· 6. Ein Civilstandsbeamter aus dem Kanton Schwyz hat dio Frage aufgeworfen, o b n i c h t d i e H e b a m m e n unter Verantwortlichkeit v e r p f l i c h t e t w e r d e n k ö n n t e n , alle Vierteljahre auf dem Civilstandsamt s i c h zu v e r g e w i s s e r n , ob a l l e Geb u r t e n , bei denen sie als Geburtshelferinnen walteten, a u c h r i c h t i g z u r A n z e i g e g e l a n g t seien.

Anlaß zu dieser Anfrage gab dem Beamten der Umstand, daß ein Vater mehrere Geburten nicht zur Anzeige gebracht hatte, weshalb gegen ihn Strafklage hatte erhoben werden müssen.

In unserer Antwort, die wir durch die kantonale Aufsichtsbehörde mitteilen ließen, haben wir darauf hingewiesen, daß die Mitwirkung der Hebammen bei den Geburtsanzeigen durch den Art. 15 des eidgenössischen Civilstandsgesetzes und durch die zudienenden Ausführungen in der Anleitung des ,,Handbuches für die Civilstandsbeamtena vollkommen genügend geregelt ist. Dazu treten die Strafbestimmungen des Art. 59 leg. cit. Andererseits steht der Verwirklichung des Vorschlages unter anderem der Umstalid entgegen, daß bei vielen Geburten statt der Hebammen Ärzte mitwirken, bei anderen Geburten vielleicht gar niemand. Wenn also auch die vorgeschlagene Vorschrift im Interesse größerer Sicherheit bezüglich der Geburtsanzeigen liegen mag, so würde doch eine Überwachung ihrer Befolgung kaum möglich sein.

7. Der Staatsrat des Kantons Genf hat uns die zwischen ihm und dem Verwaltungsrat der Stadt Genf streitige Frage vorgelegt, ob der Absatz 2 des Art. 20 des Bundesgesetzes über Civilstand und Ehe extensiv interpretiert
werden dürfe oder nicht, d. h. öl) T o d e s a n z e i g e n von den Civilstandsbeamten auch dann entgegenzunehmen seien, wenn dieselben nicht von den in fraglicher Gesetzesstelle genannten Personen, sondern z. B. -- wie dies in

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Genf so Sitte geworden war -- von d e m U n t j e r n e h m ' e r der B e g r ä b n i s s e gemacht werden.

Unsere Antwort lautete : In gleicher Weise, wie die Artikel 14 und 15 des citierten Bundesgesetzes expressis verbis diejenigen Personen nennen, welche bei Geburten, und wie Art. 41 des gleichen Gesetzes diejenigen Personen aufführt, die bei Legitimationen per subsequens matrimonium anzeigepflichtig sind, ebenso bezeichnet der Art. 20 diejenigen Persönlichkeiten, die bei Todesfällen die Anzeige zu machen haben. Wird diese Anzeige unterlassen oder erfolgt sie nicht innerhalb der vorgeschriebenen Frist, so ist die fehlbâre Person nach Art. 59 des Civilstandsgesetzes zu bestrafen. Gerade aus dieser Strafbestimmung ergiebt sich mit aller wünschbaren Deutlichkeit, daß der Gesetzgeber die Anzeigen g a n z b e s t i m m t e n P e r s o n e n oder O r g a n e n überbinden wollte.

8. Ein Bürger des Kantons Freiburg, B e a m t e r der schweiz e r i s c h e n Z o l l s t a t i o n in L u i n o , wünschte sich mit einer in U s t e r (Zürich) wohnhaften Bernerin zu v e r e h e l i c h e n . Er befragte zu diesem Zwecke den Civilstandsbeamten von Uster und dieser machte ihn, im allgemeinen in richtiger Weise, auf die Schwierigkeiten aufmerksam, welche seiner Verehelichung infolge seiner Anstellung in Luino sich entgegenstellen würden. Er wandte sich deshalb an die eidgenössische Aufsichtsbehörde über das Civilstandswesen und erhielt von dieser die folgende Wegleitung: Da das Bundesgesetz betreffend die Beurkundung des Civilstandes und die Ehe nur die Eheschließung in der Schweiz wohnhafter Personen im Auge habe, so seien die bezüglichen Ausführungen des Civilstandsbeamten von Uster in der Hauptsache richtig. Dagegen habe dieses Civilstandsamt übersehen, daß Potent als Beamter der schweizerischen Zollstation in Luino daselbst keinen gewöhnlichen Wohnsitz im Sinne des Art. 37 des citierten Bundesgesetzes habe (zu vergi. Bundesbl. 1895, II, 169, Z. 32) und daß infolgedessen für die Dauer seiner gegenwärtigen Amtsthätigkeit, sofern Civilstandsangelegenheiten in Frage kommen, sein Heimatort als sein Wohnsitz zu gelten habe (zu vergi. Bundesbl. 1895, II, 115, Z. 7). Im Hinblicke darauf, daß das eidgenössische Gesetz die hauptsächlichen Funktionen bei der Eheschließung dem Civilstandsbeamten am Wohnorte des
Bräutigams ttberbinde, habe er demgemäß das Verkündgesuch bei dem Civilstandsbeamten seines freiburgischen Heimatortes anzubringen. Zwar sei auch der Civilstandsbeamte am Wohnorte der Braut zur Durchführung des Verkündverfahrens befugt. Doch hätte derselbe später sämtliche Verkündakten zur weiteren Amtshandlung dem erstgenannten Kollegen

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zuzuleiten. Dieser letztere könne dann, sofern Potent wilnsehe, seine Ehe an einem anderen Orte in der Schweiz abzuschließen, den dortigen Civilstandsbeamten hierzu ermächtigen.

9. Eine Bürgerin aus Vallorbes wollte sich in Meulan (Frankreich) mit einem dortigen Bürger verehelichen. Zu diesem Zwecke verlangte diefranzösischeCivilstandsbehörde ,,eine Ermächtigung seitens der helvetischen Regierung11.

Dem gegenüber haben wir auf die Anfrage des Anwaltes der Braut bemerkt: Art. 54 der Bundesverfassung und mit ihm übereinstimmend Art. 25 des Bundesgesetzes über Civilstand und Ehe schreibt vor, daß jede im Ausland nach der dort geltenden Gesetzgebung abgeschlossene Ehe im Gebiete der Eidgenossenschaft als Ehe anerkannt werden soll. Eine besondere Ermächtigung der Heimatbehörde ist nicht erforderlich.

Was speciell die Formalitäten der Trauung von Schweizern in Frankreich anbelangt, so hat das französische Justizministerium am 2. August 1884 an die Generalprokuratoren Frankreichs die Weisung erlassen, den Civilstandsbeamten mitzuteilen, daß sie die Trauung von Schweizern vornehmen dürfen, sobald deren Geburtsschein und ein Ausweis über ihre Nationalität vorliegt. Dieser Ausweis besteht in der Regel in einem durch die schweizerische Gesandtschaft in Paris oder durch den nächsten schweizerischen Konsul ausgestellten, durch das Ministerium der Auswärtigen Angelegenheiten beglaubigten Certiflkate über die Nationalität der zu trauenden Person. Freilich gilt dies nur für die Fälle, wo die iu Frage kommenden Schweizerbürger das 20. Altersjahr erfüllt haben.

Ist dieses Alter noch nicht erreicht, so ist die Einwilligung der Eltern erforderlich (zu vergi. Bundesbl. 1884, III, 56G).

10. Eine kantonale Aufsichtsbehörde hat an uns die Eiiifrage gestellt, ob eine E h e , die ein Schweizer in der deutsch-reformierten Kirche zu Kopenhagen abgeschlossen habe, ohne sich auch noch bürgerlich trauen zu lassen, nach der G e s e t z g e b u n g D ä n e m a r k s gültig sei.

Gestützt auf den eingeholten Bericht des schweizerischen Konsulates in Kopenhagen haben wir folgende Auskunft geben können : Vor dem dänischen Gesetze sind alle Trauungen, seien sie bloß kirchlich oder bloß bürgerlich, oder seien sie bürgerlich und kirchlich erfolgt, in gleicher Weise gültig. Ausgenommen sind die Fälle, in denen die Brautleute verschiedenen Konfessionen angehören ; hier ist einzig die Civiltrauung gestattet.

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11. Bin S c h w y z er hatte im Jahre 1872 im P i é m o n t sich mit einer Bernerin k i r c h l i c h t r a u e n l a s s e n , o h n e daß auch die Ci vi l t r a u u n g nachgesucht wurde. Da der Art. 117 des italienischen Civilgesetzbuches ausdrücklich bestimmt, daß niemand auf die Eigenschaft des Ehegatten und auf die civilrechtlichen Folgen der Ehe Anspruch machen kann, der nicht den aus den Civilstandsregistern ausgezogenen Eheschein vorweist, so antworteten wir der Regierung des Kantons Schwyz auf die Anfrage, ob diese Trauung nach italienischem Rechte eine gültige Ehe geschaffen habe, verneinend. Nun verlangten die schwyzerischen Behörden, die bisanhin die Ehe als gültig und die aus ihr entsprossenen Kinder als Schwyzerbürger anerkannt hatten, der Kanton Bern müsse die Kinder als uneheliche Kinder einer Bernerin in sein Bürgerregister eintragen. Zur Begründung dieses Begehrens wurde namentlich behauptet, gemäß Art. 54 der Bundesverfassung, der auf alle Ehen Anwendung finde, die vor oder nach dem 29. Mai 1874 von Schweizern nach der am Orte ihrer Eingehung geltenden Gesetzgebung vollzogen worden seien, müsse die in Rede stehende Ehe als ungültig betrachtet werden, wobei nicht in Frage komme, was im Kanton Schwyz bis zum Inkrafttreten der Bundesverfassung von 1874 in Ehesachen Rechtens gewesen sei.

Dem hielt die Regierung des Kantons Bern entgegen, daß die fragliche Ehe zwar nicht nach den Vorschriften des am Trauungsorte geltenden italienischen Civilgesetzbuches, wohl aber nach der durch das Decretum Tametsi des tridentinischen Konzils vorgeschriebenen Form, also nach katholischem Kircheurecht gültig abgeschlossen worden sei. Bis zum Inkrafttreten der Bundesverfassung vom 29. Mai 1874 habe nun aber im Kanton Schwyz für die Form der Eheschließung das kanonische Recht gegolten. Somit habe die im Piémont nach kanonischem Recht geschlossene Ehe für den Kanton Schwyz, als den Heimatstaat des Ehemannes, auch die bürgerlichen Folgen einer rechtsgültigen Ehe gehabt.

Da es sich um eine Bürgerrechtsstreitigkeit zwischen Gemeinden verschiedener Kantone handelte, so kam die Angelegenheit schließlich gemäß Art. 49 des Bundesgesetzes über die Organisation der Bundesrechtspflege und Art. 110 der Bundesverfassung vor Bundesgericht zur Erledigung. Diese Behörde stellte sich mit Bezug auf die Interpretation
des Art. 54 der Bundesverfassung auf den Standpunkt, daß zwar eine nach den Gesetzen des Ortes der Eingehung abgeschlossene Eheschließung formell überall als gültig anzuerkennen sei, daß aber die Ehe jedenfalls auch dann gültig sei, wenn sie zwar nicht unter Beobachtung der am Orte der p]in-

17 gehung geltenden Gesetze, wohl aber der heimatlichen, abgeschlossen wurde. Das Gericht fand, es wäre nicht recht begreiflich, warum ein Staat der nach seiner Gesetzgebung gültig abgeschlossenen Ehe eines Bürgers aus dem Grunde die Gültigkeit versagen sollte, weil das am Orte der Trauung geltende fremde Gesetz nicht beobachtet wurde. Aber selbst dann, wenn die Bestimmung der Bundesverfassung wirklich den ihr von den Behörden des Kantons Schwyz beigelegten Sinn hätte, könnte auf dieselbe deswegen nicht abgestellt werden, weil die Eheschließung im Piémont in die Zeit vor Inkrafttreten der Bundesverfassung fällt, und eine nach der damaligen (schwyzerischen) Gesetzgebung gültig eingegangene und daher in Rechtskraft erwachsene Ehe niemals O ö O unter Berufung auf eine später erlassene Satzung ungültig erklärt werden könnte.

Von diesen Erwägungen ausgehend und im Hinblick auf den Nachweis, daß der Eheabschluß im Piémont in der That konform den Vorschriften des im Kanton Schwyz damals geltenden kanonischen Rechtes geschah, schützte das Bundesgericht den Standpunkt der Regierung des Kantons Bern. Dieser Entscheid findet sich im Band XXI der B.-G.-E., S. 311 ff.

12. Am 1. Februar 1894 ist i n der p r o t e s t a n t i s c h e n K i r c h e z u K a i r o ein Bürger der Stadt B e r n mit einer Bürgerin der Stadt B e i r u t g e t r a u t worden. Als es sich im November 1895 darum handelte, den von dem deutschen Konsul in Alexandrien, von dem Auswärtigen Amte des Deutscheu Reiches und von der schweizerischen Gesandtschaft in Berlin legalisierten Eheakt in das heimatliche Eheregister einzutragen, ersuchte die Polizeidirektion des Kautons Bern uns um einen Entscheid darüber, ob diese Trauung als eine nach den ägyptischen Gesetzen rechts-, gültige Eheschließung im Sinne von Art. 25, 3. Absatz, dos eidgenössischen Civilstandsgesetzes anzuerkennen sei.

Wir haben in unserer Antwort zunächst betont, daß ein wirklicher ,,Entscheid" über die Gültigkeit fraglicher Ehe nach ägyptischem und schweizerischem Eherecht dem kompetenten Richter überlassen bleiben müsse, während die administrativen Aufsichtsbehörden über das Civilstandswesen in der Schweiz bloß zu prüfen haben, ob irgend eine Täuschung beabsichtigt oder die Sicherstellung Ist das "5 der Gesetzlichkeit des Aktes unterblieben sei.

Resultat dieser Prüfung
ein negatives, so haben die Administrativbehörden im Hinblick auf Art. 54 der Bundesverfassung keine Veranlassung, die Eintragung solcher Akte in das heimatliche Bundesblatt, 48. Jahrg. Bd. II.

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Civilstandsregister zu beanstanden. Allfälligen Interessenten bleibt deren gerichtliche Anfechtung vorbehalten.

Von diesem Gesichtspunkte aus ging unsere Ansicht dahin, daß die in Rede stehende Trauung ohne Bedenken in das Eheregister B. des Civilstandskreises Bern eingetragen werden könne.

Wir fügten noch bei, daß die christliche Bevölkerung in Ägypten, wie in der Türkei, bezüglich der Civilstandsvorgänge beziehungsweise ihrer Beurkundung auf zwei Wege angewiesen ist : entweder wendet sie sich an ihre Geistlichen oder aber an denjenigen Konsul eines christlichen Staates, unter dessen Schutz sie steht. Das letztere Vorgehen ist ohne Zweifel dasjenige, welches am meisten Gewähr gegen spätere Anfechtung bietet. Immerhin ist ausdrücklich hervorzuheben, daß gerade Ehen, welche von Europäern in Ägypten kirchlich abgeschlossen werden, dort als gültig anerkannt werden, sobald die Förmlichkeiten erfüllt sind, welche das Eherecht der Heimat der Ehegatten vorschreibt. Im vorliegenden Falle käme nun die Verkündung in Frage. Da aber in Ägypten die Verkündung ganz unbekannt ist, so fällt auch dieser Punkt im Hinblick auf Art. 54 der Bundesverfassung außer Betracht.

Dazu kommt überdies, daß in den Legalisationen des Eheaktes durch den deutschen Konsul in Alexandrien und das Auswärtige Amt des Deutschen Reiches in Berlin eine genügende Gewähr für die Gesetzlichkeit des fraglichen Eheabschlusses erblickt werden darf, ganz abgesehen von der ebenfalls vorhandenen Légalisation durch die schweizerische Gesandtschaft in Berlin.

Wir können hieran anschließend erwähnen, daß wir im Berichtsjahre noch zwei andere, ähnliche Fälle zu begutachten hatten.

In dem einen Fall handelte es sich um die Eintragung der Ehe, die ein Schweizer am 23. Mai 1894 ebenfalls in der evangelischen Kirche zu Kairo mit einer Französin abgeschlossen hat, und der andere Fall betraf die am 8. März 1888 in der Kirche der heiligen Katharina zu Alexandrien erfolgte Trauung eines Schweizers mit einer Österreicherin. Wir haben auch in diesen beiden Fällen die nötigen Instruktionen im Sinne vorstehender Ausführungen erteilt.

13. In der Nummer 63 des ,,Handbuches für die Civilstandsbeamten"1 wird unter 'Ziffer 2 gesagt, daß im K a n t o n T essin die geschiedenen Ehefrauen den angeheirateten Familiennamen behalten.

Da dies von gewisser Seite bestritten wurde, haben wir an das Justizdepartement des genannten Kantons die Anfrage gerichtet, auf welche Gesetzesbestimmung sich diese dem Bundesrate seiner

19 Zeit seitens der tessinischen Behörden gemachte Angabe stutze.

Die Antwort lautete : Im tessinischen Civilgesetzbuch findet sich keine ausdrückliche Vorschrift, nach welcher die geschiedenen Frauen den Familiennamen des von ihnen geschiedenen Mannes beibehalten.

Was die Gesichtspunkte betrifft, gestützt auf welche vor 15 Jahren der damalige tessinische Staatsrat der eidgenössischen Aufsichtsbehörde über das Civilstandswesen anläßlich der Bearbeitung des ^Handbuches für die Civilstandsbeamten"1 mitteilte, daß im Kanton Tessin die geschiedenen Frauen, wie die Witwen, den Familiennamen des Mannes beibehalten, so ist dies wahrscheinlich im Hinblick darauf geschehen, daß dort thatsächlich dieser Grundsatz eingebürgert und auch im a m t l i c h e n V e r k e h r i m m e r f e s t g e h a l t e n w o r d e n ist.

14. Ein B e z i r k s g e r i c h t im Kanton St. G a l l e n hatte im Oktober 1892 w ü r t t e m b e r g i s c h e E h e l e u t e geschieden, ohne nach Art. 43 des eidgenössischen Civilstandsgesetzes zur Annahme der Scheidungsklage zuständig zu sein und ohne den in Art. 56 leg. cit. geforderten Nachweis einverlangt zu haben.

Als der so geschiedene Gatte sich wieder verehelichen wollte, wurde die Verkündimg von der kantonalen Aufsichtsbehörde verweigert, bis der Nachweis geleistet sei, daß das fragliche Urteil seitens der kompetenten württembergischen Behörden nachträglich anerkannt werde. Letzteres war im Hinblick auf die Vorschriften der deutschen Civilprozeßordnung ein Ding der Unmöglichkeit (zu vergi. Bundesbl. 1888, II, 774). -- Wir ließen es uns angelegen sein, die Ordnung dieser Angelegenheit herbeizuführen. Zu diesem Zwecke veranlaßten wir die Parteien, bei dem betreffenden Bezirksgericht die Revision beziehungsweise die Aufhebung des Scheidungsurteiles zu verlangen. Diese Aufhebung erfolgte denn auch thatsächlich am 22. Mai 1895, womit wir die Angelegenheit unsererseits als erledigt betrachten konnten.

15. Ein S c h e i d u n g s u r t e i l e i n e s s c h w e i z e r i s c h e n G e r i c h t e s betreffend s c h w e i z e r i s c h e E h e l e u t e sollte gemäß Art. 57 des eidgenössischen Civilstandsgesetzes in T u r i n als dem Orte der Eheschließung vorgemerkt werden. Es erfolgte jedoch seitens der italienischen Behörden ablehnender Bescheid, da gemäß der konstanten Praxis
des Justizministeriums, die sich in Übereinstimmung befinde mit einschlägigen Entscheiden verschiedener italienischer Gerichtshöfe (u. a. mit dem Entscheide des Appellhofes von Modena vom 29. April 1892 und demjenigen des Kassationshofes

von Turin vom 28. Februar 1893), eine von einem ausländischen Gerichte über Eheleute, deren Ehe in Italien geschlossen worden sei, ausgesprochene Ehescheidung in Italien weder vorgemerkt noch im Civilstandsregister eingetragen werden könne, bevor das betreffende Urteil auf seine Gesetzmäßigkeit geprüft sei (,,jugement de délibationa).

16. A c h t S c h e i d u n g s u r t e i l e a u s l ä n d i s c h e r Ger i c h t e betreffend Ehen von A u s l ä n d e r n , die seiner Zeit in der Schweiz abgeschlossen worden waren, sind im Berichtsjahre z u r V o r m e r k u n g im s c h w e i z e r i s c h e n E h e r e g i s t e r auf diplomatischem Wege eingelangt. Alle Urteile stammten aus dem Deutschen Reiche. Die Vormerkung erfolgte überall ohne Schwierigkeit.

Z w e i U r t e i l e s c h w e i z e r i s c h e r G e r i c h t e betreffend die Scheidung von Ehen, welche S c h w e i z e r in P a r i s eingegangen hatten, wurden mittelst Ersuchungsschreib (commission rogatoire) in Paris zur Vormerkung gebracht.

Die W i e d e r ve r e h e l i c h un g e i n e r F r a u , welche in Kalifornien mit einem Schweizer verehelicht gewesen, Ende Mai 1894 von dem O b e r g e r i c h t der G r a f s c h a f t San Francisco g e s c h i e d e n worden und in die Schweiz zurückgekehrt war und sich nun hier neuerdings verheiraten wollte, ohne aus erster Ehe nach schweizerischem Rechte gültig geschieden zu sein, wurde von unserm Departement als unzulässig erklärt.

17. Das Sekretariat der zürcherischen Sittlichkeitsvereine hat uns um Auskunft darüber ersucht, w e l c h e d e u t s c h e n S t a a t e n i n B e z u g a u f E h e , Ehescheidung u n d V a t e r s c h a f t s klagen der Schweiz Gegen r echt halten.

Um namentlich auch über den letzten Teil der gestellten Eintrage genaue Auskunft geben zu können, haben wir durch die schweizerische Gesandtschaft in Berlin entsprechende Erkundigungen einziehen lassen und an Hand derselben folgende Antwort gegeben : a. E h e. Bei der heutigen Sachlage kann es wohl als feststehend betrachtet werden, daß in allen deutschen Bundesstaaten die in der Schweiz nach hiesigem Rechte gültig vollzogenen Ehen von deutsehen Staatsangehörigen in f o r m e l l e r Richtung als gültig anerkannt werden, wenn die vorgeschriebenen Aufgebote stattgefunden haben. Da im Falle der m a t e r i e l l e n Anfechtung einer Ehe ausschließlich die Gerichte zu entscheiden haben, könnte

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aber natürlich von Zusicherung des Gegenrechts punkto unbedingter Anerkennung solcher Ehen auch in materieller Richtung nicht die Rede sein.

b. E h e s c h e i d u n g . Da einerseits nach dem schweizerischen Bundesgesetz betreffend Feststellung und Beurkundung des Civilstandes und die Ehe die schweizerischen Gerichte auf Ehescheidungsklagen von Ausländern nur dann eintreten können, wenn eine Erklärung des Inhalts beigebracht wird, daß der Staat, dem die Eheleute angehören, das zu erlassende Urteil anerkennen wird, und anderseits nach Lage der deutschen Gesetzgebung eine derartige prinzipiell gültige Erklärung nicht zulässig ist, so wäre, diese Materie betreffend, eine allgemein verbindliche Zusicherung des Gegenrechts von der deutschen Reichsregierung, beziehungsweise den Regierungen der einzelnen deutschen Bundesstaaten bis auf weiteres selbstverständlich nicht zu erlangen.

Immerhin mag erwähnt werden, daß sich schon dieses und jenes Jusizministerium der einzelnen deutschen Bundesstaaten dazu verstanden hat, nach Einholung einer Vernehmlassung der zuständigen Gerichtsbehörden in einem einzelnen Falle die Erklärung auszustellen, daß eine von dem schweizerischen Gerichte erkannte Scheidung deutscherseits anerkannt würde. (Vergleiche aber Bundesblatt 1888, H, 774.} c. V a t e r s c h a f t s k l a g e n . Hier muß vor allem hervorgehoben werden, daß betreffend die deutschen Bundesstaaten und Provinzen, welche noch unter französischem Recht stehen, von Gegenrecht darum keine Rede sein kann, weil dort auf Grund des Grundsatzes ,,la recherche de la paternité est interdite11 eine Vaterschaftsklage überhaupt nicht zulässig ist. Dagegen kann grundsätzlich angenommen werden, daß in den übrigen deutschen Bundesstaaten und Provinzen Ausländerinnen Vaterschaftsklagen anheben können.

Trotzdem dürfte es sich aber kaum empfehlen, zur Konstatierung dieser faktischen Gewährung des Gogenrechts den schwerfälligen Apparat der formellen und ausdrücklichen Zusicherung desselben seitens aller der in Frage kommenden deutschen Bundesstaaten in Bewegung zu setzen. Abgesehen von der Eventualität, daß sich hierbei doch noch diese und jene unerwarteten Hindernisse geltend machen könnten, würde auch in Betracht zu ziehen sein, daß erfahrungsgemäß derartige Erhebungen in der Regel einen unverhältnismäßig langen Zeitraum in Anspruch nehmen.

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18. Das s c h w e i z e r i s c h e G e n e r a l k o n s u l a t in T u r i n richtete an den Civilstandsbeamten des Kreises Carouge die Mitteilung, daß die am 29. März 1881 zu Carouge geborene MarieMélanie C. durch die am 6. Februar 1892 zu Turin erfolgte Verehelichung ihrer Eltern legitimiert worden sei. Gestützt hierauf stellte das Konsulat das Gesuch, es möchte diese Legitimation vorgemerkt und ihm ein entsprechender Geburtsakt zugesandt werden.

Auf die an uns gestellte Einfra haben wir geantwortet, daß die Legitimation des Kindes Marie-Mélanie erst dann im Geburtsregister von Carouge zur Eintragung gelangen dürfe, wenn der Eheschein der Eltern und ein richtiger Legitimationsakt legalisiert vorliegen. -- Das genannte Generalkonsulat aber haben wir darauf aufmerksam gemacht, daß es nicht in der Stellung und auch nicht in der Kompetenz der schweizerischen Konsularbeamten liege, an die Adresse schweizerischer Civilstandsämter derartige Bescheinigungen auszustellen, beziehungsweise gestützt auf solche Bescheinigungen irgend welche Eintragungen in die schweizerischen Civilstandsregister zu beantragen.

19. Das kantonale Civilstandsbureau in Genf hat uns zwei in englischer Sprache abgefaßte und von den gesetzlich vorgeschriebenen französischen Übersetzungen begleitete, von dem K o n s u l d e r V e r e i n i g t e n S t a a t e n z u G e n f als g e t r e u b e glaubigte Auszüge aus den Protokollen des Kons u l a t e s übermittelt, aus welchen sich ergab, daß 1. am 14. Dezember 1894 Herr F r a n c i s D a w s o n G. von Genf und seine Frau vor dem Konsul der Vereinigten Staaten Nordamerikas zu Genf die protokollarische Erklärung abgegeben haben, sie seien am 19. April 1892 durch den "recteur de l'église duCalvaire"- in New York in der genannten Kirche, gemäß den Gesetzen des Staates New York und entsprechend den Vorschriften der espiskopalischen Kirche der Vereinigten Staaten ehelich verbunden worden; 2. am nämlichen Tage vor demselben Konsularbeamten diese Personen verlangt haben, daß in die Konsulatsregister eingetragen werde die Geburt ihres Kindes M a r i e - L u c i l i e , das am 21. Mai 1893 in ihrer Wohnung Nr. 1265 der 34. Straße von New York zur Welt gekommen sei.

Das kantonale Civilstandsbureau fügte bei, daß ihm diese beiden Auszüge von der Staatskanzlei des Kantons Genf zugestellt worden seien zum Zwecke der Veranlassung ihrer Eintragung in die Civilstandsregister der Stadt Genf. Es stellte die Einfrage, ob

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es diese beiden Aktenstücke als vollwertige Civilstandsurkunden annehmen dürfe oder nicht.

Wir haben hierauf folgende Auskunft erteilt: Wie sich aus den Geschäftsberichten des eidgenössischen Justiz- und Polizeidepartementes, Abteilung Civilstand und Ehe, für die Jahre 1887, 1890 und 1892 (Bundesbl. 1888, U, 693; 1891, II, 557, Ziffer 26; 1893, II, 31, Ziffer 7) ergebe, habe der Bundesrat stets mit aller Entschiedenheit daran festgehalten, daß, soweit die Schweiz in Betracht kommt, die konsularischen und diplomatischen Vertreter der auswärtigen Staaten in der Schweiz im Hinblick auf die einschlägigen Vorschriften unserer Civilstandsund Ehegesetzgebung civilstandsamtliche Funktionen mit Gültigkeit nicht einmal gegenüber Angehörigen ihres Staates ausüben können.

Um so weniger sei dies selbstverständlich der Fall, wenn es sich um Schweizer handle. Herr G. könne sich also nicht etwa auf nordamerikanisches Bürgerrecht berufen. Die für schweizerische Behörden absolut wertlose Art der Aufnahme der beiden Aktenstücke falle ganz außer Betracht. Es müsse den Interessenten überlassen bleiben, einen gehörig legalisierten Eheakt für sie und einen gehörig legalisierten Geburtsakt für ihr Kind aus New York kommen zu lassen (zu vergleichen Anleitung im .,,Handbuche1-- Nr. 23).

In letzterer Beziehung machten wir noch auf folgendes aufmerksam : In den nordamerikanischen Unionsstaaten wird die Führung der Geburts-, Trauungs- und Sterberegister von den Gemeinden nach eigenem Ermessen eingerichtet. Die Führung der Register erfolgt regelmäßig durch die Gern einde organe, und zwar durch den Gemeindesekretär (Town Clerk), in den größeren Städten durch den City Clerk oder Registrar, beziehungsweise durch die Sanitätsbehörde (Board of Health). In den großen Städten existiert ein dem Board of Health unterstehendes eigenes Bureau für das Civilstandswesen (Bureau of Records of vital Statistics). Den Kirchgemeinden bleibt es unbenommen, für ihre Zwecke eigene Register zu führen, doch sind ihre Seelsorger, sowie auch alle anderen zur Trauung in gewissen Fällen befugten Organe, wie die Bürgermeister, Richter, Notare, verpflichtet, die vollzogenen Trauungen dem Civilstandsbeamten behufs Eintragung in die bürgerlichen Register anzuzeigen.

20. In der Nummer 67 der Anleitung im ,,Handbuche1' werden die Civilstandsbeamten angewiesen, für den Fall, daß ein A n g e h ö r i g e r eines a u s w ä r t i g e n Staates 'in einem

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schweizerischen Kantone ein außereheliches Kind a n e r k e n n e n w i l l , von dem Anerkennenden vor Beurkundung seiner Erklärung stets darüber den v o l l g ü l t i g e n B e w e i s mittelst öffentlicher Urkunde zu v e r l a n g e n , daß s e i n h e i m a t licher Staat die A n e r k e n n u n g mit r e c h t l i c h e r Wirkung auf den bürgerlichen Stand des fraglichen K i n d e s zuläßt.

Auf die Einfrage, ob diese Anweisung auch dann zu befolgen sei, wenn das ausländische Recht mit dem Rechte des in Frage kommenden Kantons übereinstimmt, beziehungsweise wenn der Civilstandsbeamte die einschlägigen Vorschriften des ausländischen Rechtes aus der Praxis kennt, hat das eidgenössische Justiz- und Polizeidepartement unter Hinweis auf die möglichen Konsequenzen und auf die Verantwortlichkeitsbestimmung im Art. 58 des eidgenössischen Civilstandsgesetzes geantwortet, daß die Vorschrift eine absolute sei und daß der verlangte Nachweis im eigenen Interesse der Civilstandsbeamten durch ihre persönliche Kenntnis der ausländischen Gesetzgebung nicht ersetzt werden dürfe.

Diese Einfrage hängt mit dem folgenden Vorgang zusammen : Ein zu Genf geborenes Kind war anläßlich der Geburtsbeurkundung von einem die Anzeige erstattenden Franzosen und von der Mutter anerkannt und mit Nennung des Vaters als deren uneheliches Kind eingetragen worden. Später heiratete die Mutter einen ändern Mann und strengte nun gegen den angeblichen Vater eine Klage auf Berichtigung des Civilstandes ihres Kindes in dem Sinne an, daß das letztere als ihr uneheliches Kind ohne Nennung des Vaters einzuschreiben sei. Zur Begründung dieser Klage stützte sie sich namentlich darauf, daß der Civilstandsbeamte von dem anerkennenden Vater den in der oben citierten Nummer 67 des ,,Handbuches" geforderten Nachweis nicht einverlangt habe. Die Klage wurde jedoch von den Gerichten des Kantons Genf abgewiesen, mit der Begründung, daß die Nichtbeobachtung von Anleitungen des ,,Handbuches" seitens eines Civilstandsbeamten die Gerichte, sofern das Gesetz selbst nicht verletzt erscheine, keineswegs zur Berichtigung einer Eintragung verpflichte. Die Anerkennung eines außerehelichen Kindes seitens eines Franzosen sei zulässig, auch wenn derselbe den urkundlichen Nachweis, daß diese Anerkennung in. seiner Heimat gesetzlich gültig sei, nicht erbracht habe.

Nun rekurrierte die Mutter an das Bundesgericht. Dieses aber erklärte sich i n k o m p e t e n t , aus folgenden Erwägungen:

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1. Artikel 9 des eidgenössischen Civilstandsgesetzes bestimmt, daß die Berichtigung von Civilstandsurkunden nur durch Urteil der kompetenten k a n t o n a l e n Gerichte angeordnet werden kann, es sei denn, es liege ein offenbarer Irrtum vor, in welchem Falle die k a n t o n a l e Aufsichtsbehörde über das Civilstandswesen auf dem Administrativwege denselben berichtigen kann.

Nach Artikel 8 des Bundesgesetzes über die civilrechtlichen Verhältnisse der Niedergelassenen und Aufenthalter (vom 25. Juni 1891) sodann richtet sich der Civilstand einer Person, namentlich die eheliche oder uneheliche Abstammung, die freiwillige Anerkennung, sowie die behördliche Zusprechung der Kinder und die Adoption, nach dem heimatlichen Recht und unterliegt der Gerichtsbarkeit der Heimat.

2. Aus diesen Bestimmungen ergiebt sich deutlich, daß das Bundesgericht im allgemeinen zum Entscheide in Prozessen, in denen es sich um die Feststellung des Civilstandes handelt, nicht kompetent ist. Im Specialfalle ist zu entscheiden, ob der betreffende Franzose im Geburtsregister als Vater des Kindes der Rekurrentin erscheinen dürfe oder ob dieses Kind als nur von seiner Mutter anerkannt eingetragen sein solle. Diese Frage ist einzig von den kantonalen Behörden zu entscheiden und das Bundesgericht hat sich mit dem eingereichten Rekurs nicht zu befassen.

21. Wir schließen hier den folgenden Fall an : Das Justizdepartement des Kantons Neuenburg hat an uns die Einfrage gestellt, ob ein F r a n z o s e , der durch Urteil des kompetenten französischen Gerichtes a u s e r s t e r Ehe g e s c h i e d e n sei, a n l ä ß l i c h s e i n e r im Kanton Neuenburg in Aussicht genommenen z w e i t e n V e r e h e l i c h u n g nicht nur nach schweizerischem, sondern auch nach französischem Rechte in g ü l t i g e r W e i s e z w e i K i n d e r l e g i t i m i e r e n k ö n n e , d i e er m i t seiner k ü n f t i g e n z w e i t e n F r a u w ä h r e n d des Bestandes der ersten Ehe erzeugt hatte.

Unsere Antwort lautete : Die Legitimation vorehelich geborener Kinder und dio Ausübung dieses Rechtes stehen mit dem Personalstande im Zusammenhang und gehören somit dem nationalen positiven Rechte der Eltern an. Im vorliegenden Falle schließt das französische Recht, da die fraglichen Kinder im Ehebruch erzeugt sind, die Legitimation aus.

26 (Einige einschlägige Beispiele aus den Geschäftsberichten des eidgenössischen Justiz- und Polizeidepartementes sind zusammengestellt in R o g u i n, conflits des lois suisses en matière internationale et iutercantonale, S. 145 ff.)

22. Mit Beschluß vom 22. August 1893 hat der Bundesrat einen R e k u r s als unbegründet abgewiesen, der von den G e b r ü d e r n C. v o n R e e e o (Italien) gegen einen Entscheid des tessinischeu Staatsrates vom 19. Februar 1891, beziehungsweise gegen die Bestätigung dieses Entscheides durch Beschluß des tessinischen Großen Rates vom 2. Mai 1893 eingereicht worden war und welcher die Berichtigung der auf die Rekurrenten bezüglichen Eintragungen im Geburtsregister zu Berzona und damit ihre Anerkennung, als außereheliche, von dem italienischen Vater nicht anerkannte Kinder 'einer tessinischen Blutter bezweckte.

Indem wir bezüglich der tbatsächlichen Verhältnisse, welche dieser langwierigen, in den Anfang der 50er Jahre zurückgreifenden Angelegenheit zu Grunde liegen, sowie bezüglich der Begründung der Abweisung des Rekurses auf unseren Geschäftsbericht für das Jahr 1893 verweisen (Bundesbl. 1894, I, 23, Z. 14), sind wir im Falle, über den weiteren Verlauf der Sache folgendes mitzuteilen.

Am 5. September 1893 reichten die Gebrüder C. bei dem Gerichte in Locamo eine Klage auf Berichtigung ihres Civilstandes ein. Am 10. gleichen Monates stellte der Gcmeinderat von Berzona an den tessinischen Staatsrat das Gesuch, die in den oben erwähnten Beschlüssen der tessiuischen Behörden verfügte Ausweisung der Gebrüder C., die eigentlich bereits durch Staatsratsbeschluß vom 19. August 1889 dekretiert gewesen war, endlich zur Ausführung zu bringen. Es gelang jedoch den Gebrüdern C. wiederholt, unter anderem auch durch Rekursschriften an unsere Instanz, Aufschiebung ihrer Ausweisung zu erlangen.

Da aber deren weitere Duldung schließlich der Gefahr gerufen hätte, dieselben mit der Zeit zu Heimatlosen werden zu sehen, wogegen die Gemeinden Berzona und Mosogno energisch opponierten, so beschloß der tcssinische Staatsrat mit unserem Einverständnis die Ausweisung definitiv auf den 4. April 1895.

Am 6. April nun langte neuerdings ein Gesuch des Anwaltes der Gebrüder C. bei uns ein, dahingehend, der Ausweisungsbeschluß möchte auf so lange suspendiert werden, bis der Prozeß über den Civilstand der Gebrüder C., der die schweizerische oder aber die italienische Staatsangehörigkeit derselben nachweisen werde, he-

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endigt sei. Die Petenten waren jedoch bereits am 5. April aus dem Kanton entfernt worden und sollen sich nach Amerika begehen haben. Das Suspensionsgesuch ist deshalb von uns im Hinblick auf die ganze Sachlage am 18. Juli als hinfällig und unbegründet abgewiesen worden. Über den Verlauf des fraglichen Prozesses ist seither keine Nachricht eingelangt.

23. IQ der Nacht vom 8. auf den 9. März 1893 waren anläßlich einer auf dem Gebiete der Gemeinde C a s t a g n o l a unternommenen F a h r t ü b e r d e n L u g a n o r s e e v i e r t e s s i n i s c h e B ü r g e r v e r s c h w u n d e n . Am ändern Morgen hatte man das von ihnen benutzte Schiffchen umgekippt und teilweise zerschlagen aufgefunden, von den vier Männern aber ließ sich keine Spur entdecken. Zur kritischen Zeit waren in der Nacht von zwei Zeugen Hülferufe von der in Frage kommenden Stelle des Sees her gehört worden. Man nahm allgemein an, die vier Personen seien ertrunken, veranstaltete mildthätige Sammlungen zu gunsten der Hinterbliebenen, stiftete Totenmessen u. s. w. Eine Beurkundung in das Totenregister war jedoch nicht nachgesucht und auch von den zuständigen Behörden nicht veranlaßt worden. Erst zwei Jahre später, als erbrechtliche Fragen in Betracht kamen, wurde die Eintragung dieser vier Personen in das Totenregister verlangt. Das Civilstandsamt Castagnola, in dessen Obliegenheiten die Ausführung dieses Begehrens fiel, verweigerte jedoch die letztere und ergriff gegen einen Entscheid des tessinischen Staatsrates, welcher die Eintragung; anordnete,i den Rekurs an den Bundesrat. Es berief o O sich dabei hauptsächlich darauf, die betreffenden vier Personen seien bloß als unbekannt abwesend zu betrachten und könnten erst dann in das Totenregister eingetragen werden, wenn der kompetente Richter gemäß kantonaler Gesetzesvorschrift die Todeserklärung ausgesprochen haben würde.

Wir haben diesen Rekurs am 4. Februar 1895 b e g r ü n d e t erklärt. Da damit der frühere Standpunkt des Bundesrates gegenüber solchen Vorkommnissen, wie er z. B. im Falle Molly Müller (Bundesbl. 1892, III, 153) festgehalten wurde, im Prinzip vorlassen worden ist, so haben wir es für angezeigt erachtet, unseren Entscheid im ,,Bundesblatt" in extenso zu veröffentlichen (Bundesbl.

189«, I, 1014 ff.).

24. Von den noch pendenten Hei matlose n - F ä l l e n sind im Berichtsjahre n e u n definitiv erledigt worden. Von fünf Fällen, die neu dazugekommen sind, haben bereits d r e i ihre Erledigung gefunden.



Der folgende B Fall bietet besonderes Interesse : Arn 7. September 1894 wurde in der Klosterkirche zu Einsiedeln durch die Polizei ein ungefähr zwanzig Jahre alter, taubstummer und gänzlich verblödeter Mensch aufgegriffen und auf das Bezirksamt geführt. Derselbe trug nichts auf sich, was auf seine Herkunft hätte schließen lassen. Als er nach einiger Zeit zur weiteren Versorgung in das Spital überfuhrt werden sollte, gab er deutlich zu verstehen, er wünsche, fortgelassen zu werden. In der Hoffnung, er finde den Weg wieder, auf dem er hergekommen, ließ man ihn frei. Nach einigen Tagen wurde er jedoch neuerdings im Wäggithal abgefaßt und nach Lachen verbracht. Nun erhob sich zwischen den Bezirken Einsiedeln und March Streit darüber, wer diesen Menschen für die Zukunft behalten müsse.

Die Regierung des Kantons Schwyz entschied am 4. Februar 1895, die Gemeinde Einsiedeln sei verpflichtet, für gehörige Unterbringung und Verpflegung des Unbekannten zu sorgen. Sie stützte sieh dabei auf die §§ 12 und 20 der kantonalen Verordnung vom 26. November 1851 über Einbürgerung von Heimatlosen, wo auch Normen aufgestellt seien darüber, wohin Personen zu weisen seien, welche als völlig Unbekannte aufgefunden oder aufgegriffen würden.

Gegen diesen Entscheid ergriff der Bezirksrat Einsiedeln den Rekurs an den Bundesrat und verlangte dessen Aufhebung, da er von einer unzuständigen Amtsstelle gefaßt sei, weil die Angelegenheit nicht nach schwyzerischem Rechte, sondern nach Maßgabe des Bundesgesetzes von 1850 über Einbürgerung der Heimatlosen durch den Bundesrat zu behandeln sei. Der Beschwerdeführer stellte das Gesuch, der Bundesrat möge in Sachen im Sinne der Artikel 3, 7 und 8 des letztgenannten Gesetzes die geeignet scheinenden Verfügungen treffen. Er betonte dabei, daß es gei-ade für Einsiedeln eine Lebensfrage sei, ob der angefochtene Regierungsratsentscheid aufgehoben werde oder nicht, da, wenn in der Folge Individuen, welche dort aufgegriffen würden und deren Heimat nicht zu ermitteln sei, einfach definitiv dieser Gemeinde zugewiesen werden könnten, hieraus für Einsiedeln eine geradezu ruinöse Last entstehen würde. Denn bei den Tausenden jährlich daselbst verkehrender fremder Pilgern könnten sehr leicht Personen ausgesetzt werden, deren Staatsangehörigkeit nicht festzustellen wäre.

Zur Vernehmlassung eingeladen,
äußerte sich die Regierung des Kantons Schwyz in der Hauptsache folgendermaßen : Der Auffassung des Rekurrenten könnte sie sich gar wohl anschließen, wenn die Voraussetzung richtig wäre, daß man es

29

schon jetzt mit einem Fall vou Heimatlosigkeit zu thuu hätte. Der aufgegriffene Unbekannte falle aber vorderhand unter keine dei' in Artikel 2 des citierten Bundesgesetzes aufgestellten Kategorien von Heimatlosen; er sei weder ein sogenannter Tolerierter, noch weniger sei er als Vagant zu betrachten, da er sich zweifelsohne nicht aus eigenem Antrieb und Entschluß in den Kanton begehen habe, sondern von dritter Hand böswillig dahin verbracht und ausgesetzt worden sei.

Der Unbekannte sei ein Findling gerade wie ein ausgesetztes Findelkind. Nach der Auffassung der Regierung erstrecke sich der Begriff von Findelkind weiter als nur auf neugeborene und ausgesetzte Kinder; er repräsentiere nicht nur die am häufigsten vorkommende Species der kleinen Findlinge, sondern ganz gewiß auch andere Findlinge, die vermöge ihrer geistigen Beschränktheit und körperlicher Gebrechen vollständig im Zustande eines kleinen Kindes dahinleben, und die, falls sie nicht aufgefunden würden, elend /zu Grunde gehen müßten.

Im Entscheide der Regierung sei nun überall nicht die Rode von der bürgerlichen Zuteilung dieses Findlings, von der Anweisung eines Heimatrechtes in einer schwyzerischen Gemeinde, sondern nur von der vorläufigen Versorgung des Unbekannten, bis es möglich geworden sein werde, auf Grund der polizeilichen Nachforschungen die Zuständigkeit des Findlings zu eruieren, und denselben seinen Heimatbehörden zuführen zu lassen, oder aber, bis die Erfolglosigkeit aller dieser Schritte offen auf der Hand liege und die Notwendigkeit herantrete, auf den Fremdling, der dann thatsächlieh heimatlos, geworden, die Grundsätze des Bundesgesotzes von 1850 in Anwendung zu bringen.

In diesem Stadium stehe aber dermalen die Angelegenheit noch nicht; die Regierung habe sich denn auch wohlweislich gehütet, über das Bürgerrecht des Unbekannten irgend eine Verfügung zu treffen oder eine Weisung zu erteilen, sondern lediglich angeordnet, daß in analoger Anwendung der §§ 12 und 20 der kantonalen Verordnung betreffend Einbürgerung von Heimatlosen der unbekannte, hülflose Mensch nach Einsiedeln zu verbringen sei, wo er zuerst aufgegriffen worden, und daß die dortige Gemeinde für dessen Verpflegung aufzukommen habe. Durch diese Verfügung sei die Frage der eventuellen Einbürgerung nicht präjudiziert.

Wir haben uns der Auffassung der Regierung von Schwyz angeschlossen.

30

VI. Handelsregister.

A. Allgemeines.

1. Wie wir bereits in unserem letzten Berichte mitzuteilen: die Ehre hatten (Bundesblatt 1895, II, pag. 131), wurde seiner Zeit vom Schweizerischen Handels- und Industrieverein und vom Verein schweizerischer Geschäftsreisender hinsichtlich der P f l i c h t z u r E i n t r a g u n g i n d a s H a n d e l s r e g i s t e r d a s Gesuch gestellt : .;1Es möchte die Vorschrift der bundesrätlichen Verordnung vom 6. Mai 1890 (Art. 13, letzter Absatz) über die zur Eintragung ins Handelsregister verpflichtende Lagergrenze von Fr. 2000 und Umsatzgrenze von Fr. 10,000 in der Weise m o d i f i z i e r t werden, daß das Vorhandensein schon eines dieser Kriterien die Eintragspflicht begründe. u Zur Zeit unserer letzten Berichterstattung war diese Angelegenheit noch nicht spruchreif. Nachdem inzwischen sämtliche kantonale Behörden, welche in dieser Frage zur Vernehmlassung waren eingeladen worden, ihre Stellung zu derselben bekundet hatten, konnten wir am 7. Oktober 1895 über das Begehren Beschluß fassen. Wir haben dasselbe a b g e l e h n t . Die Gründe, welche uns hierzu führen mußten, sind unter den Verhandlungen des Bundesrates im Bundesblatte vom 16. Oktober 1895 (Band HI, pag. 937 und 938) mitgeteilt und auch im Handelsamtsblatte (Nr. 253 vom 12, Oktober 1895, pag. 1053) veröffentlicht worden..

2. Anläßlich der erstmaligen offiziellen Herausgabe des Schweizerischen Ragionenbuches (vergi, unsern Geschäftsbericht pro 1895, Bundesblatt II, pag. 130) erhoben der Vorort des Schweizerischen Handels- und Industrievereines und, besonders nachdrücklich, der Centralvorstand des Vereines schweizerischer Geschäftsreisender Einwendungen gegen die Z u v e r l ä s s i g k e i t des H a n d e l s r e g i s t e r s . Der Verein der Geschäftsreisenden machte auch bestimmte Vorschläge, welche nach seiner Ansicht Abhülfe schaffen sollten.

Die Behauptungen der Kritiker waren unbelegt. Wir konnten somit nicht wissen, inwieweit die Mängel wirklich vorhanden und welche Kantone betroffen seien. Eine vom GeschäftsreisendenVerein unternommene Enquete lieferte kein genügendes Ergebnis.

Die Beschwerdeführer scheinen überdies zu übersehen, einmal, daß das Ragionenbuch, auf dessen Inhalt sich ihre Behauptungen bezogen, im Momente seines Erscheinens vieles enthalten mußte,.

31.

was mit dem Inhalt des Handelsregisters in demselben Zeitpunkte nicht mehr übereinstimmt, indem /wischen der Herstellung des Werkes und dessen Erscheinen ein Zeitraum von mehreren Monaten liegt, und ferner, daß für Löschungen, welche von Amtes wegen vorgenommen werden können, in den meisten Fällen eineFrist von einem Jahre eingehalten werden muß (Art. 28 der Verordnung über Handelsregister und Handelsamtsblatt, vom 6. Mai 1890). So finden sich denn eine große Zahl der Abweichungen: des Ragionenbuches von den im Zeitpunkt seines Erscheinens bestehenden thatsächlichen Verhältnissen im Handelsregister selbst nicht. Es können aber auch thatsächliche Veränderungen eingetreten sein, die im Register noch nicht gebucht sind.

Unser Justiz- und Polizeidepartement erließ im Handelsamtsblatte eine ,,Öffentliche Aufforderung"1, worin es einerseits die im Verzug befindlichen Anmeldungspflichtigen an die Erfüllung ihrer Eintragungspflicht mahnte, anderseits ein weiteres Publikum einlud, Fälle versäumter Anmeldungspflicht zur Kenntnis der Behörden zu bringen.

Zu weiteren Maßnahmen haben wir uns vorderhand nicht veranlaßt gesehen.

Daß die ,,Aufforderung"1 Erfolg hatte, ergiebt sich aus der bedeutend vermehrten Zahl der im Jahre 1895 vorgenommenen Änderungen und mit Löschungen verbundenen Neueintragungen im Handelsregister. Wir verweisen diesfalls auf die unter litt. B hiernach folgende tabellarische Zusammenstellung.

Trotzdem tauchen dieselben Bemängelungen auch jetzt wieder auf. Wir werden uns mit dieser Angelegenheit im Jahre 1896 neuerdings zu befassen haben.

3. I n s p e k t i o n e n von Handelsregisterbureaux konnten wiederum nur in beschränkter Zahl vorgenommen werden, da sich die Geschäftslast des Handelsregisterbureaus in ungeahnter Weise häufte. Von dem uns aus der Mitte der eidgenössischen Räte nahegelegten Auskunftsmittel, die Register durch besondere Delegierte inspizieren zu lassen, glaubten wir einstweilen Umgang nehmen zu sollen, indem nun für das Jabr 1896 die begründete Aussicht besteht, dass der Handelsregistersekretär eine große Zahl der Handelsregisterbureaux wird besuchen können.

4:. In der O r g a n i s a t i o n der Handelsregister ist keine Änderung eingetreten.

Die Bureaux sind in der Zahl von 99 unverändert geblieben ; ebenso die kantonalen Aufsichtsbehörden.

32

B. Statistik.

Von 8659 Eintragungen im Jahre 1894 ist deren Zahl im Berichtsjahre auf 10,518 gestiegen.

Es wurden eingetragen:

a. I m H a u p t r e g i s t e r (A) : 2675 Einzelfirmen (1894: 2284); 827 Kollektiv- und Kommanditgesellschaften (1894: 705); 342 Aktiengesellschaften, Kommandit-Aktiengesellschaften und Genossenschaften (1894: 299); 88 Vereine (1894: 88); 97 Zweigniederlassungen (1894: 77); 98(5 Bevollmächtigungen (1894: 790).

b. Im b e s o n d e r e n R e g i s t e r (B): 71 Personen (1894: 31).

Gelöscht wurden :

a. Im H a u p t r e g i s t e r : 2432 Einzelfirrnen (1894: 1986), wovon 262 wegen Konkurses (1894: 282); 581 Kollektiv- und Kommanditgesellschaften (1894: 565), wovon 21 wegen Konkurses (1894: 26); 62 Aktiengesellschaften, Kommandit-Aktiengesellschaften und Genossenschaften (1894: 62), wovon 2 wegen Konkurses (1894: 8); 18 Vereine (1894: 16), wovon l wegen Konkurses (1894: --) ; 72 Zweigniederlassungen (1894 : 56) ; 725 Bevollmächtigungen (1894: 624).

b . Im b e s o n d e r e n R e g i s t e r : 72 Personen (1894: 35).

Veränderungen gelangten sw Eintragung :

507 betreffend Einzelfirmen (1894: 288); 275 betreffend Kollektiv- und Kommanditgesellschaften (1894 : 201); 244 betreffend Aktiengesellschaften, Kommandit - Aktiengesellschaften und Genossenschaften (1894 : 195) : 115 betreffend Vereine (1894: 139); 304 betreffend das Personal der Vorstände von Genossenschaften (1894: 204); 25 betreffend Zweigniederlassungen (1894: 14).

33

Auf 31. Dezember 1895 blieben im Handelsregister eingetragen : a. Im H a u p t r e g i s t e r : 32,119 Einzelfirmen (gegen 31,876 im gleichen Zeitpunkte des Vorjahres und 24,023 auf 31. Dezember 1883); 5,214 Kollektiv- und Kommanditgesellschaften (1894: 4968; 1883: 3666); 4,342 Aktiengesellschaften, Kommandit-Aktiengesellschaften und Genossenschaften (1894: 4062; 1883: 1417); 1,030 Vereine (1894: 946; 1883: 134); 682 Zweigniederlassungen (1894: 654; 1883: 368).

b. Im b e s o n d e r e n R e g i s t e r : 977 Personen (1894: 978; 1883: 2052).

Die Gesamtsumme der für die Eintragungen bezogenen Gebühren beträgt Fr. 54,817. 50, wovon dem Bunde Fr. 10,963. 50 zukommen.

Über die Verteilung obiger Ziffern auf die einzelnen Kantone geben die beigefügten 2 Tabellen Aufschluss.

C. Specielle Fälle.

Rekurse wurden 9 eingereicht (1894: 12), davon entfallen fünf auf den Kanton Zürich und je einer auf die Kantone Baselstadt, Bern, Neuenburg und Tessin.

7 wurden erledigt, 2 auf das Jahr 1896 übergetragen.

Von den behandelten sieben Rekursen wurde einer für begründet erklärt ; auf zwei wurde nicht eingetreten, vier wurden abgewiesen.

Ein Entscheid, dem allgemeine Bedeutung zukommt (Fall ,,Witwe Kübler-Schwarz Söhne"), ist im Bundesblatt (1895, II, pag. 416 ff.) und im Handelsamtsblatt (1895, Nr. 91, pag. 383) veröffentlicht worden.

TU. Staatsrechtliche Rekurspraxis.

1. Statistik.

Im Jahre 1895 waren mit Einrechnung der aus dem Vorjahre anhängig gebliebenen Fälle 125 Rekurse (1894: 139; 1893: 112) zu behandeln, von welchen 99 ihre Erledigung fanden und 13 als Bandesblatt. 48. Jahrg. Bd. II.

3

Zu Seite 33.

Kollektiv- und KommanditGesellschaften.

Einzelfirmen.

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Aktiengesellschaften, Kommanditaktiengesellschaften und Genossenschaften.

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Handelsregister-Eintragungen im Jahre 1895.

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Total

36

( 44) 1,680 ( 43) 1,638 ( 10) 449 ( D 34 (-) 65 ( 3) 32 ( -) 29 ( 4) 91 ( D 57 ( 15) 353 ( 3) 210 ( 9) 541 (-) 70 ( l) 88 ( 3) 138 ( D 20 ( 22) 544 ( 4) 701 ( 9) 430 ( 3) 243 ( 12) 225 ( 44) 1,321 ( 4) 60 ( 22) 522 ( 28) 986

Fr.

Cts.

87

38

1,887 1,695 410 43 62 25 28 76 85 353 235 615 83 71 124 21 529 567 521 257 255 1,388 62 555 1,005

40 60 40 30 20 60 10 60 90 80

40 80 90 70 20 80 20 50 50 60 40 60

1 2 14

3 2 3

1 1 1

3 3 2 1 4

1 2 1 2 1 1

2 1 2 4

62

3 16 2 10 4 8

1 9

7 7

4

4 7

1 4

304

97

38

34

25

71

72

(286) 10,518

10,963

50

204 186 179 182 99 ·> ·> ·> 1 ?

77 87 85 138 77 67 54 61 ' 89 :

32 33 32 51 20 18 18 16 18 18

(1)24 (1)32 (1)39 (4)58 (1)37 (2) 14 (2) 19 (2)34 (1)33 (2) 19

14 28 32 24 20 19 12 7 4 4

31 12 32 30 14 25 31 37 34 58

35 34 177 713 UO 34 186 92 42 17

(307) 8,659 (327) 8,339 (436) 11,777 (291) 16,308 (224) 7,736 (235) 6,599 (234) 6,618 (290) 6,664 (277) 6,181 (294) 5,399

8,893 8,752 11,437 15,056 8,269 7,018 7,118 7,398 6,379 5,667

80 20 50 80

8o ;

12 3 1

1

20 50 30 50

Zu Seite 33.

Bestand der

am 31. Dezember 1895 im Handelsregister eingetragenen Einzelfirmen, Handelsgesellschaften, Vereine und nicht handeltreibenden Personen.

Kantone.

Zürich Bern Luzern Uri Schwyz Nidwaiden . . .

Obwalden Glarus Zua .

. .

Freiburg Solo th um 1 Basel-Stadt Basel-Landschaft Schaffhausen . .

Appenzell A.-Rh Appenzell I.-Rh St. Gallen Graubünden .

Aarffau Thurga.u Tessin Waadt Wallis Neuenburg Genf

Einzelfirmen.

. ' . . .

. . .

. .

. . .

Total Total am 31. Dezember 1883

( ( ( ( ( ( ( ( ( ( ( ( ( ( ( ( ( ( ( ( ( ( ( ( (

(1894) 3,617) 4,017) 1,340) 75) 425) 127) 137) 584) 196) 1 238) 628) 964) 222) 544) 618) 61) 1,926) 1 069) 1,154) 845) 1,598) 5,112) 350) 1,793) 3,236)

(31,876)

1895 3,716 4,244 1 281 75 435 122 134 567 194 1,360 624 985 223 527 607 63 1,942 1,048 1,149840 1,576 5,145 330 1,804 3,128 32,119

24,023

Kollektiv- und KommanditGesellschaften.

Aktiengesellschaften, Kommandit-Aktiengesellschaften und Genossenschaften.

Vereine.

716) 663) 167) 20) 66) 26) 21) 97) 29) 94) 99) 303) 40) 54) 73) 4) 325) 208) 257) 121) 202) 547) 73) 336) 427)

774 685 172 26 63 28 22 96 36 110 109 323 46 56 73 3 337 228 269 123 216 563 72 344 440

(1894) ( 478) ( 942) ( 124) ( 4) ( 23) ( 8) ( 8) ( 25) ( 22) ( 253) ( 116) ( 95) ( 34) ( 40) ( 48) ( 6) ( 163) ( 59) ( 153) ( 58) ( 39) ( 891) ( 38) ( 184) ( 251)

1895 511 981 141 5 27 8 10 25 29 266 119 102 38 42 49 6 170 64 180 64 49 953 41 196 266

(1894) 1895 ( 42) 43 (175) 198 ( 34) 34 ( 1) 1 C 2) 3

(4968)

5214

(4062)

4342

(1894)

( ( ( ( ( ( ( ( ( ( ( ( ( ( ( ( ( ( ( ( ( ( ( ( (

1895

3666

1417

(

\

1) 5) 8) 60) 18) 27) 11) 7) 3)

1 6 8 64 20 27 12 7 1

( 33) ( 17) ( 38) ( 4) ( 8) (218) ( 6) ( 71) (157)

38 18 43 6 22 232 7 73 166

(946)

1030

( ( ( ( ( ( ( ( (

134

Zweigniederlassungen.

Besonderes Register.

(1894) 1895 ( 88) 84 ( 91) 89 ( 24) 27 ( 3) 3 ( 4) 3 ( 2) 2 ( 2) 2 ( 3) 5 ( 2) 2 ( 17) 14 ( 11) 10 ( 34) 44 ( 4) 4 ( 1) 1 ( 4) 4 ( 2) 2 ( 74) 73 ( 36) 47 ( 16) 15 ( 40) 47 ( 26) 29 ( 61) 64 ( 5) 8 ( 46) 49 ( 58) 54

(1894) 1895 (122) 118

(654) 368

682

(371) (204) ( --) ( -) ( 2) ( 1) ( --) ( 2) ( 38) (102) ( __) ( 1)

432 1 58 -- 2 1 _ 2 38 90 _ 1

{

__ )

- --

( ( ( ( ( ( ( ( ( ( (

4) --) 12) 4) 3) --) 40) 18) 13) 33) 8)

4 -- 12 4 3 ~ 40 18 13 33 8

(978)

977

2052

Total.

( ( ( ( ( ( ( ( ( ( ( ( ( ( ( ( ( ( ( ( ( ( ( ( (

(1894) 1895 5,063) 5,246 6,259) 6,629 1,893) 1,813 103) 110 520) 531 165) 102 170) 170 714) 699 259) 271 1,700) 1,802 974) 972 1,423) 1,481 312) 324 640) 633 750) 738 73) 74 2,533) 2,572 1,393) 1,409 1,621) 1,059 1,008) 1,080 1,913) ' 1,932 6,847) 6,975 485) 471 2,463) 2,499 4,137) 4,062

(43,484)

44,364

31,740

34

unerledigt auf das Jahr 1896 übertragen wurden. 6 Fälle wurden' von den Kantonsbehörden erledigt, 4 Rekurse wurden zurückgezogen,, auf l Rekurs wurde wegen Fristversäumnis nicht eingetreten ;.

l Wahlrekurs war durch eine Neuwahl gegenstandslos geworden; l Wiedererwägungsgesuch- eines Rekurrenten wurde abschlägig beschieden.

In 75 Rekurse (1894: 91 ; 1893: 72) traten wir materiell nicht ein, teils weil ausschließlich die kantonalen Behörden oder das Bundesgericht für den Entscheid kompetent waren, teils weil da, wo unsere Kompetenz materiell wirklich begründet gewesen wäre, die kantonalen Instanzen noch nicht erschöpft waren.

Die übrigen 24 Rekurse (1894: 32; 1893: 30) betrafen dem Gegenstande nach : · 12 Beeinträchtigung der Handels- und Gewerbefreiheit; 4 Verweigerung oder Entzug der Niederlassung gegenüber Ausländern ; 5 Stimmrecht und Wahlen ; l Steuerwesen (Tessiner im Ausland) ; l Begräbniswesen ; l Haftpflicht, resp. Armenrecht.

Sieben Rekurse wurden begründet erklärt und 16 abgewiesen..

Ein Stimmrechts- und Wahlrekurs wurde teilweise begründet erklärt und teilweise abgewiesen.

Die Bundesversammlung hatte sich im Jahre 1895 mit 5 Beschwerden und Rekursen gegen Entscheide aus dem Geschäftskreise des Justiz- und Polizeidepartements zu befassen (1894: 6 ; 1893 : 7).

Zwei Fälle wurden zurückgezogen, zwei sind noch pendent und auf einen wurde nicht eingetreten.

35 2. Rekursgegenstände.

a. Handels- und Gewerbefreiheit,

7

4 --.

16 1

-- -- -- --

-- -- -- --

1 1 1 1

--

--

--

1

1 --

--

---

1

1

--

--

1

--

1

--

1

Begründet.

1

--

Pendent.

'--

1 --

1

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11 >

--

-- -- -- --

--

-- -- --

1 --

-- 1 -- 1 --. 1 1 --

--

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1 1 -- --

4 5 1 --

--

Zurückgezogen.

1. Wirtschaftswesen .

2. Hausierwesen 3. Verkauf von Anleihenslosen .

4. Versicherungswesen 5. Wanderlager 6. Friedhofgärtnerei .

7. Betrieb einer fahrbaren Holzzerkleinerungsmaschine mit Petrolmotor .

8. Petroleumverkauf mittelst Zuführens der Ware ins Haus 9. Direkte Einfuhr von Schweinen im Kant o n Genf . . . .

10. Ordnungswidriger Aufenthalt und Gewerbebetrieb 11. Ausverkauf eines Konfektions- und Maßgesehäf'tes .

Unbegründet.

Nicht eingetreten.

aa. Statistik.

--i

-- --

-- 1

1 --

9

3

--

-- 2

-- -- 1

4

CC

1

26

36

bb. Einzelne Rekursfälle.

1.

Wirtschaftswesen.

1. Das Gesetz des Kantons Wallis vom 24. November 1886 über die Gasthöfe, Wirtshäuser, Kaffeehäuser, Schenken, sowie über den Tanz bestimmt in Art. l, daß die Konzessionen für Gasthöfe, Gasthof-Pensionen und Wirtshäuser vom Staatsrat erteilt werden, in Art. 7, daß keine Restaurants, Cafés, Finten oder Schenken ohne Bewilligung des Gemeinderates eröffnet werden dürfen.

Der Staatsrat hat nun in einem konkreten Falle erklärt, daß in der Konzession eines Gasthofes oder Wirtshauses (,,auberge") nicht auch die Bewilligung eines öffentlichen Getränkeausschankes enthalten sei, und daß sich ein Bewerber für diese letztere an den Gemeinderat zu wenden habe.

Ein gegen den bezüglichen Staatsratsbeschluß vom 26. Februar 1895 von Jungfrau L o u i s e Ciò in Sitten erhobener Rekurs wurde vom Bundesrat am 23. April 1895 wegen Inkompetenz abgewiesen.

Wir gingen von der Erwägung aus, daß es nicht die Aufgabe des Bundesrates sein könne, festzustellen, welche Arten von Wirtschaften der Walliser Gesetzgeber unter den in den Artikeln l und 7 des kantonalen Gesetzes aufgeführten Etablissementen verstanden hat, und zu prüfen, ob die Gesetzesauslegung der kantonalen Vollziehungsbehörde in casu eine richtige sei.

Da die Rekurrentin nicht etwa behauptete, sie werde unter gleichen thatsächliehen Umständen anders als andere Bewerber behandelt, so liege für sie -- so argumentierten wir weiter -- überhaupt kein Grund vor, den Schutz des Bundesrates wegen Verletzung der Handels- und Gewerbefreiheit anzurufen.

2. Durch unsern Beschluß vom 4. Juni 1895 über den Rekurs des J. U l r i c h G r o b - S c h e r r e r , alt Gemeinderat, in Kappel, Kanton St. G a l l e n , gegen die Schlußnahme des st. gallischen Großen Rates vom 23. November 1894, betreffend Verweigerung eines Wirtschaftspatentes, haben wir von neuem die Rechtsbeständigkeit des Art. 5 des st. gallischen Gesetzes vom 31. Dezember 1888 anerkannt, welcher lautet : ,,Wenn an einem Orte die Zahl der Wirtschaften derart zunimmt, daß das öffentliche Wohl dadurch gefährdet erscheint, so kann der Regierungsrat, auf Antrag des betreffenden Gemeinderates und sachbezügliches Gutachten des Bezirksamtes, die Erteilung neuer Wirtschaftspatente bis auf weiteres verweigern.u

37

Im Rekursfalle rechtfertigten die ^tatsächlichen Verhältnisse die Anwendung dieser Bestimmung auf die Gemeinde Kappel und das Patentgesuch des Rekurrenten, und es lag keinerlei im Bundesrecht wurzelndes Motiv vor, aus welchem dem kantonsbehördlichen Beschlüsse in casu die rechtliche Gültigkeit und Wirksamkeit hätte aberkannt werden können.

3. In den Erwägungen zu unserem Beschlüsse vorn 10. Juni 1895 über den Rekurs des J o h a n n W e n d o l i n S c h m i d , in Gipf-Oberfrick, Kanton A a r g a u , gegen die Schlußnahme des Regierungsrates des Kantons Aargau vom 31. Januar 1895, betreffend Verweigerung der Umwandlung eines Speisewirtschaftsrechtes in ein Tavernenwirtschaftsrecht, haben wir neuerdings unser ernstes Bestreben kundgegeben, die Kantonsbehörden, soviel an uns liegt, in der Geltendmachung strenger persönlicher Requisite gegenüber den Wirtschaftspatentbewerbern in weitestgehendem Maße zu unterstützen. Der Regierungsrat hatte sich auf den Standpunkt gestellt, daß die richtige Führung einer Tavernenwirtschaft in verschiedenen Beziehungen an den Inhaber größere Anforderungen stelle, als die Führung einer Speisewirtschaft. Da der Petent im Jahre 1890 bezirksgerichtlich zu Fr. 60 Buße und Fr. 20 Spruchgebühr verfällt worden war, weil er auf dem Markt in Aarau ein entlaufenes fremdes Faselschwein eingefangen und mit sich nach Hause genommen hatte, und da das ihm ausgestellte gemeinderätliche Leumundszeugnis nur besagt, daß er ,,im allgemeinen^ einen guten Leumund besitze, so glaubte der Regierungsrat dem Gesuche um Erteilung des Tavernenwirtschaftsrechtes nicht entsprechen zu sollen.

Wir haben nicht unterlassen, zu betonen, daß bei aller zulässigen Strenge in der Handhabung der persönlichen Requisite gegenüber Patentbewerbern doch gewisse Grenzen nicht überschritten werden dürfen, daß insbesondere eine einmalige strafgerichtliche Verurteilung nicht die Wirkung haben könne, einer Person den guten Ruf für die ganze nachfolgende Lebenszeit zu entziehen, vielmehr, wie der Bundesrat in seinem Beschlüsse vom 8. Januar 1895 in Sachen Kragl ausgeführt hat, der amtliche Vorhalt einer gerichtlichen Verurteilung nur dann als gerechtfertigt erscheine, wenn er auf Verhältnisse sich stützen kann, die in der Gegenwart noch fortbestehen oder doch in ihren Folgen naturgemäß sich noch fühlbar machen
(Bundesbl. 1895, I, 60). Im Rekursfalle aber wurde der Standpunkt der Kantonsbehörden von uns gebilligt und bundesrechtlich geschützt, weil dieselben mit Recht vom Wirtschaftspatentbewerber ein Leumundszeugnis verlangen, das vorbehaltlos und unmißverständlich seinen guten Ruf zu erweisen geeignet ist.

38

4. In Bestätigung der Entscheidungsgründe zu unserem im Bundesbl. 1890, I, 392 veröffentlichten Beschlüsse vom 8. Januar 1890, betreffend die Schließung des ,,Café Fribourgeois" in Vauderens (Kt. Freiburg), haben wir am 16. Dezember 1895 den Rekurs des Bäckers J u l e s C o n u s gegen die Schlußnahme des Freiburger Staatsrates vom 6. April 1895 abgewiesen, indem wir namentlich feststellten, daß die objektiven Verhältnisse in Vauderens und Umgegend in Hinsicht auf die Bedürfnisfrage seit 1890 sich gar nicht verändert haben. Unsere Erwägungen finden sich abgedruckt im Bundesbl. 1895, IV, 819.

5. Auf einen undatierten Rekurs des P e t e r J u n g o in Heitenried, Kanton Freiburg, gegen die Schlußnahme der Regierung des Kantons F r e i b u r g v o m 15. F e b r u a r 1894, betreffend Wirtschaftspatentverweigerung, sind wir wegen Verspätung nach Maßgabe von Art. 178, Ziffer 3, und Art. 190 des Organisationsgesetzes über die Bundesrechtspflege vom 22. März 1893 nicht eingetreten, indem die 60tägige Rekursfrist nicht eingehalten worden war.

2. Hausier verkehr.

6. Durch Schlußnahme vom 5. Februar 1895 haben wir erkannt, daß ein Verbot des Detailverkaufs von Petroleum mittels Zufiihrens der Ware ins Haus nur insofern bundesreehtlich geschützt werden könne, als es gegen den eigentlich hausiermäßigen Vertrieb des Petrols sich richtet, der sich darstellt in dem Vorweisen, Anbieten und Übergeben der Ware von Haus zu Haus. Es wurde, daher der Rekurs der S c h w e i z e r i s c h e n P e t r o l e u m h a n d e l s g e s e l l s c h a f t in Zürich gegen den Beschluß des R e g i e r u n g s r a t e s des K a n t o n s B e r n vom 30. Mai 1894 von uns insoweit als begründet erklärt, als der Gesellschaft auch das bloße Aufsuchen von Bestellungen auf Petrol oder die Ablieferung bestellten Petrols ins Haus des Käufers untersagt werden wollte. Ein solcher Hausierverkehr kann nicht schlechthin verpönt werden ; Art. 31 der Bundesverfassung läßt die Unterdrückung des Großbetriebes nicht zu, auch wenn dieselbe in der Tendenz, den Kleinbetrieb vor erdrückender Konkurrenz zu schützen, ihre Rechtfertigung suchen wollte.

: P' l Unsere Entscheidung ist in extenso abgedruckt im Bundesblatt 1895, I, 245 ff. Am 8. April 1895 hat die Berner Regierung gegen sie den Rekurs an die Bundesversammlung ergriffen. Der Gegenstand ist zur Stunde noch nicht erledigt.

39

7. L o u i s D e s s a u x in Martigny-ville boschwerte sich gegen, «ine Verfügung des W a l l i s e r Staatsrates, wonach er als ,,déballeur10 (Wanderlagerhalter) und nicht, als ein fest niedergelassener, den ordentlichen Steuern unterworfener Handelsmann angesehen wurde. Es war uns nicht ersichtlich, worin die Beeinträchtigung der Handels- und Gewerbefreiheit in diesem Falle bestehen sollte, zumal der Staatsrat an seine Verfügung noch den Vorbehalt knüpfte, daß dem Dessaux die Wanderlagertaxe eventuell nach Abzug der ordentlichen Gewerbesteuer zurückzuerstatten sei, sofern jener sich in der Folge als festangesiedelter Handelsmann darstellen würde.

Daher wurde der Rekurrent von uns am 4. Januar 1895 abgewiesen.

8. Auf die Anfrage der Kommission für Handel und Gewerbe des Kantons Appenzell A.-Rh. an unser Justiz- und Polizeidepartement, ob es zulässig wäre, die A n g e h ö r i g e n f r e m d e r Staaten vom Hausierhandel auszuschließen, und ob nicht politische Gründe einer solchen Maßregel entgegenständen, hat das Departement, gestützt auf eine Vernehmlassung des Departements des Auswärtigen (Handelsabteilung) vom 30./31. Oktober 1895 geantwortet, was folgt: ,,In unseren mit Deutschland und Österreich-Ungarn abgeschlossenen Handelsverträgen ist ausdrücklich bestimmt worden, daß die Bestimmungen betreffend das Aufsuchen von Bestellungen bei Wiederverkäufern oder bei Kaufleuten und Personen, in deren Gewerbebetrieb Waren der angebotenen Art Verwendung finden, auf den Gewerbebetrieb im Umherziehen und den Hausierhandel keine Anwendung finden (vergi. Art. 9 des Handelsvertrages mit Deutschland und Art. 7 des Handelsvertrages mit Österreich-Ungarn).

Es ist dabei angenommen worden, daß diese Gewerbearten lediglich nach den Grundsätzen der inneren, d. h. für die Schweiz der kantonalen, Gesetzgebungen zu behandeln seien. Da demgemäß die Regelung des Hausierhandels Sache der kantonalen Gesetzgebung ist, so steht jedem Kanton das Recht zu, deutschen Reichsangehörigen , die in der Schweiz nicht niedergelassen sind, den Hausierhandel zu verweigern. Nach Art. 56 der deutschen Gewerbeordnung kann allerdings den Ausländern der Gewerbebetrieb im Umherziehen gestattet werden. Soviel uns jedoch bekannt ist, richtet sich diese Bewilligung nach der Frage des lokalen Bedürfnisses und wird in der Regel von diesem
Gesichtspunkte aus verneinend beantwortet.

,,Wie es mit dieser Erlaubnis in Deutschland gegenüber Schweizern gehalten wird, die daselbst n i e d e r g e l a s s e n sind, ist uns nicht bekannt; wir setzen jedoch voraus, daß dieselben im Sinne der Bestimmungen der Artikel 1 bis 3 des Niederlassungs-

40

Vertrages zwischen der Schweiz und Deutschland vom 31. Mai 1890 behandelt werden.

,,Was Österreich-Ungarn anbelangt, so darf nach den ,,Vorschriften über den eigentlichen Hausierhandel " die Bewilligung zum Betriebe des Hausierhandels nur Personen erteilt werden, welche ,,österreichische Unterthanen" sind. ,,Dem Verbot der Zulassung von Ausländern zum Hausierhandel in Österreich", wird im amtlichen Kommentar zu jenen Vorschriften ausdrücklich hervorgehoben, ,,ist durch keinen der bestehenden Handels- und Zollverträge mit auswärtigen Staaten derogiert worden." Ja, die Beschränkung des Hausierhandels in Österreich geht so weit, daß die Waren, mit denen derselbe getrieben wird, inländischen Ursprungs und mit besonderm Stempel und Bezugsausweisen versehen sein müssen.

,,Der Niederlassungsvertrag, zwischen der Schweiz und Österreich-Ungarn bestimmt auch in Art. l, daß die in demselben enthaltenen Bestimmungen auf den Gewerbebetrieb im Umherziehen keine Anwendung finden.

,,Die Handelsverträge, welche die Schweiz mit Italien^ Spanien, Belgien, Rumänien, Serbien, den Niederlanden u. s. w.

abgeschlossen hat, regeln nur den gegenseitigen Verkehr der Handelsreisenden mit Kaufleuten, Fabrikanten und Gewerbetreibenden und enthalten eine Klausel betreffend den Hausierhandel nicht ; hingegen räumen die zwischen der Schweiz und jenen Staaten vereinbarten Niederlassungsverträge den beidseitigen Angehörigen das Recht der Ausübung j e d e r Art von Gewerbe und Handel in den betreffenden Staaten ein. Im Niederlassungsvertrage mit Frankreich wird besonders bestimmt, daß jede Art von Gewerbe und Handel, welche den Angehörigen der verschiedenen Kantone erlaubt ist, auf gleiche Weise auch den Franzosen gestattet ist."

3. Handel mit Prämienwertpapieren und Lotierieverbot.

9. Bekanntlieh ist das Lotteriewesen, solange der Bund nicht von der ihm in Art. 35 der Bundesverfassung verliehenen Kompetenz Gebrauch macht, der kantonalen Gesetzgebungshoheit unterstellt. Ob auf ein strafwürdiges und daher des Schutzes von Art. 31 der Bundesverfassung nicht teilhaftiges Geschäftsgebaren ·im Prämienloshandel die kantonalen Strafbestimmungen betreffend die Lotterien oder selbständige Strafsätze angewendet werden, kann bundesrechtlich nicht in Betracht fallen. (Bundesratsbeschluß überden Rekurs des A l o y s B e r n h a r d in Zürich gegen die -a, a r g a u i s c h e n Gerichtsbehörden, vom 17. Mai 1895, veröffentlicht im Bundesbl. 1895, HI, 4 u. ff.)

4!

4. Kantonale G-eioerbébetriebsstewr.

10. Diejenigen einer besondern Gewerbesteuer zu unterwerfen,, die nicht zur Entrichtung der übrigen Steuern herbeigezogen werden können, weil sie irn Kanton nicht oder bloß während einer für die Herbeiziehung zu den übrigen Steuern zu kurzen Zeit niedergelassen sind, kann nur in den Fällen eines Gewerbebetriebes im Umherziehen und eines dem Hausiergewerbe gleichzuachtenden zeitweiligen Gewerbebetriebes als bundesrechtlich zulässig betrachtet werden, nicht aber z. B. in dem Falle, wo jemand in der Schweiz, mit festem Geschäftswohnsitz sein Gewerbe betreibt und infolge bestimmter Bestellung in einem ändern Kanton eine Arbeit ausführt. (Bundesratsbeschluß vom 5. Februar 1895 über den Rekurs des H u l d r e i c h G r a f , Mosaikplattenfabrikant in Winterthur, gegen ein Strafurteil des Polizeigerichtspräsidenten in B a s e l , veröffentlicht im Bundesbl. 1895, I, 219.} 5. Staatliche Versicherungsanstaltund private Versicherungsunternelvmung-

11. Bei unserer Entscheidung vom 1. Februar 1895 über den gemeinsamen Rekurs von zehn F e u e r v e r s i c h e r u n g s a k t i e n g e s e l l s c h a f t e n und den besondern Rekurs der S c h w e i z e r i s c h e n M o b i l i a r V e r s i c h e r u n g s g e s e l l s c h a f t gegen das von der Landsgemeinde des Kantons G l a r u s am 6. Mai 1894 angenommene Gesetz betreffend die o b l i g a t o r i s c h e s t a a t l i c h e M o b i l i a r v e r s i c h e r u n g sind wir davon ausgegangen, daß der Bundesgesetzgeber durch Art. l, Absatz 5, des Gesetzes vom 25. Juni 1885 über die Beaufsichtigung von Privatunternehmungon im Gebiete des Versicherungswesens in authentischer Weise die Kantone für befugt erklärt habe, mit Beitrittszwang für alle Bewohner ihres Gebietes und Ausschließung der Konkurrenz von Privatunternehmungen solche staatliche Versicherungsanstalten zu errichten, welche keinen Erwerb (Gewinn) bezwecken, sondern ausschießlich das öffentliche Interesse vertreten. Unsere Entscheidung ist in extenso abgedruckt im Bundesbl. 1895, I, 188--218.

6. Gewerbebetrieb auf öffentlicher

Strasse.

12. Durch polizeiliche Bestimmungen kann die Ausübung eines nicht dem öffentlichen Verkehr dienenden Gewerbes auf öffentlicher Straße beschränkt oder gänzlich untersagt -werden ; es besteht hiergegen kein auf Art. 31 der Bundesverfassung sich gründender Rechtsanspruch. Diesen Satz spricht der Bundesratsbeschluß vom 30. April 1895 in der Rekurssache des F r a n z I s e n m a n n von Guttannen

42

in B e r n betreffend Aufstellung und Betrieb einer fahrbaren Holzzerkleinerungsmaschine mit Petrolmotor in den Straßen der Stadt Bern aus. Der Regierungsrat des Kantons Bern hatte letztinstanzlich am 17. Oktober 1894 die Bewilligung verweigert.

Der Gegenstand wurde an die Instanz der Bundesversammlunggezogen. Am 18. Dezember 1895 hat der Nationalrat den Rekurs abgewiesen ; die Beschlußfassung des Ständerates steht noch aus.

b. Niederlassungsrecht.

13. Wie im Vorjahre sind auch während des Berichtsjahres in ansehnlicher Zahl Beschwerden von Ausländern wegen Fortweisung aus einem Kantonsgebiete eingelaufen, insbesondere von d e u t s c h e n , i t a l i e n i s c h e n u n d f r a n z ö s i s c h e n Staatsangehörigen. Solche Beschwerden sind durch Art. 189, letzter Absatz, des Bundesgesetzes über die Organisation der Bundesrechtspfloge vom 22. März 1893 der Rechtsprechung der politischen Bundesbehörden -unterstellt. Dieselben bieten in der Regel sehr wenig Interesse. Im Jahre 1895 mußten sie ausnahmslos als gänzlich unbegründet abgewiesen werden.

14. Vom Regierungsrate des Kantons Baselstadt wurde die Einfrage gestellt, ob angesichts der Niederlassungsverträge, welche für die Angehörigen der Vertragsstaaten Befreiung vom Militärdienst irgend welcher Art, auch von jedem Dienst in der Nationalgarde oder in den Ortsbürgerwehren, ausbedingen, der F e u e r w e h r , in welcher alle Niedergelassenen, auch die A u s l ä n d e r , dienstoder ersatzpflichtig sind, gesetzlich die Verpflichtung auferlegt werden könne, bei Unruhen zur H e r s t e l l u n g der ö f f e n t lichen Ordnung mitzuwirken.

Wir antworteten mit Schreiben vom 7. Oktober 1895 verneinend, aus folgenden Erwägungen : Die Mitwirkung zur Wiederherstellung der gestörten öffentlichen Ordnung ist eine Dienstleistung politischer Natur; sie trägt überdies einen unverkennbar militärischpolizeilichen Charakter. Die Niederlassungsverträge wollen offenbar die fremden Staatsangehörigen gerade von solchen Dienstleistungen befreien, indem sie dieselben von der Pflicht nicht nur des Militärdienstes, sondern auch des Dienstes in Nationalgarden, Bürgerwehren u. s. w. entheben.

Damit steht in vollkommener Übereinstimmung, was der Bundesrat im Jahre 1880 der französischen Botschaft in Bezug auf die Verpflichtung der Franzosen zum e i g e n t l i c h e n Feuerwehrdienst geantwortet hat. (Vergi. Bundesbl. 1881, II, 658; v. Salis, Bundesrecht, H, Nr. 498 a.)

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c. Konfessionelles.

15. Am 12. Dezember 1894, morgens 8 Uhr, während des Gottesdienstläutens. wurde die Leiche des Untersuchungsgefangenen, J o s e f M a r i a Seh a l l b e r g e r, der sich am Vormittag des 10. Dezember in seiner Zelle im Untersuchungsgefangnisse zu B t a n s erhängt hatte, in derjenigen Abteilung des Stanser Friedhofes vom Totengräber unter Beihülfe eines Leichonträgers beerdigt, die für die Protestanten bestimmt ist und wo überhaupt, nach Angabe der Nidwaldner Regierung, die Beerdigungen stattfinden, welche nicht nach katholischem Ritus vollzogen werden.

Schallberger gehörte der römisch-katholischen Konfession an.

Wegen dieses Beerdigungsaktes haben sich der Evangelist der evangelischen Diaspora-Gemeinde in Unterwaiden, G. Haas in Alpnach, und die 'Herren Lussi, Fürsprecher, und Dr. Cubaseli in Stans zuerst bei der Kantonsregierung und hierauf, da ihr Begehren von dieser Behörde abgewiesen wurde, beim Bundesrate beschwert. Sie bezeichneten die Beerdigung des Schallberger als eine der Vorschrift des Art. 52, Absatz 2, der Bundesverfassung nicht entsprechende und verlangten die Ausgrabung der Leiche und Bestattung derselben an derjenigen Stelle der Gräberreihe der Katholiken, die bei ununterbrochener Folge der Gräber für Schallberger zutrifft; sie erklärten insbesondere, daß die in Nidwaiden lebenden Protestanten sich durch diese Beerdigung schwer beleidigt fühlen, da bis jetzt niemals ein Angehöriger der römisch-katholischen Konfession in der den Protestanten angewiesenen Abteilung des Friedhofes beerdigt worden sei und man sich nun nicht gescheut habe, den Selbstmörder ihnen zuzuweisen.

Landammann und Regierungsrat des Kantons Unterwaiden nid dem Wald verneinten, daß im Beschwerdefalle die Vorschrift der Bundesverfassung verletzt sei, da es sich einfach um eine bürgerliche Beerdigung handle; in Stans seien seit 1875 die Leute unbekannter Konfession und die Selbstmörder immer in der protestantischen Abteilung des Friedhofes beerdigt worden, ohne daß bis jetzt darüber Klage erhoben worden wäre.

Der Bundesrat hat die Beschwerde für begründet erklärt.

Nicht darin erblickte er. die Unschicklichkeit der Beerdigung, daß Josef Maria Schallberger in der Gräberabteilung der Protestanten und an der Seite eines Protestanten bestattet worden ist, wohl aber darin, daß derselbe ein Grab an anderer als an der durch die Begräbnisordnung angezeigten Stelle und zwar bei den Protestanten angewiesen erhielt, weil er einen Selbstmord begangen hatte.

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Das bezügliche Sehreiben des Bundesrates an die Regierungvon Nidwaiden, vom 11. Januar 1895, sowie die von uns getroffenen und von der Kantonsbehörde vollzogenen Verfügungen finden sich mitgeteilt im Bundesbl. 1895, I, 62 ff.

a. Politische Stimmberechtigung. Wahlen und Abstimmungen.

16. Durch Bundesratsbeschluß vom 20. März 1895 in Sachen P e t e r K ä c h und Genossen gegen die Schlußnahme der s o l o t h u r n i s c h e n Kantonsbehörden wurde erkannt, daß die unter der Herrschaft des aufgehobenen kantonalen Rechtes in ,,Geldstaga gefallenen Bürger mit Bezug auf die öffentlich-rechtlichen Folgen des Geldstages in Anwendung des kantonalen Ehrenfolgengesetzes den nach den Bestimmungen des Bundesrechtes in ,,Konkurs"1 geratenen Bürgern gleichzustellen seien.

Bei diesem Rekursentscheide haben wir die von uns bereits am 14. November 1893 (Bundesbl. 1893, V, 159) in Sachen Kaufmann und Genossen erörterte Frage, ob die eidgenössische Rekursbehörde Stimmrechtsfragen, auch an und für sich, ohne Zusammenhang mit einer vollzogenen oder unmittelbar bevorstehenden Wahl oder Abstimmung, zu beurteilen habe, neuerdings in bej a h e n d e m Sinne beantwortet.

Unsere Entscheidung ist in extenso veröffentlicht im Bundesbl.

1895, II, Seite 73 ff.

17. Von der unter der vorhergehenden Ziffer besprochenen Urteilskompetenz hat der Bundesrat auch in der Stimmreehtsrekurssache des J. R ü t t i m a n n , Richter in Rain (Kt. Luzern), gegen eine Schlußnahme des Regierungsrates des Kantons Luzern, betreffend Nichteintragung des Bernhard Müller, Knecht, in Rain, in das Stimmregister dieser Gemeinde, Gebrauch gemacht und darüber am 18. Juli 1895 eine materielle Entscheidung getroffen.

18. Unsere Schlußnahme vom 11. November 1895 in der Rekurssache C h a p p u i s und G e n o s s e n in Delsberg gegen den Großratsbeschluß vom 23. August 1894, betreffend die Bezirksbeamtenwahlen vom 15. Juli 1894 im bernischen A m t s b e z i r k e D e l s b e r g erörtert in sehr einläßlicher "Weise den Umfang der Kompetenz der politischen Bundesbehörden zur Prüfung und Erledigung von Stimmreehts- und Wahl- und Abstimmungsbeschwerden an Hand der geschichtlichen Entwickelung der staatsrechtlichen Rekurspraxis und der Bestimmungen der Organisationsgesetze über die Bundesrechtspflege von 1874 und 1893.

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Unsere Entscheidung, durch welche eine Bestimmung des großrätlichen Wahl- und Abstimmungsdekretes des Kantons Bern vom 28. September 1892 in dem ihr von den Kantonsbehörden gegebenen Sinne als den eidgenössischen und kantonalen Verfassungsgrundsätzen betreffend die Wahrung des politischen Stimmrechts der Bürger nicht entsprechend befunden wurde, findet sich in extenso gedruckt im Bundesbl. 1895, IV, 83 u. ff.

B. Polizeiwesen.

I. Yerträge und Konventionen.

1. Die r u m ä n i s c h e Regierung erklärte sich mit dem ihr zur Prüfung zugesandten Entwurfe zu einem A u s l i e f e r u n g s v e r t r a g e (Bundesbl. 1895, II, 153, Ziffer 1) im allgemeinen einverstanden. Einige Beifügungen zu demselben schlug sie indessen vor, auf die wir nicht eintreten konnten. Wir ließen dem rumänischen Ministerium des Auswärtigen eine bezügliche Mitteilung zugehen. Eine Antwort hierauf steht noch aus.

2. Die Regierung der N i e d e r l a n d e hat uns verschiedene Gegenvorschläge mit Bezug auf die Bemerkungen zukommen lassen, zu denen uns seiner Zeit der von ihr vorgelegte Entwurf zu einem neuen A u s l i e f e r u n g s v e r t r a g e veranlaßt hat (Bundesbl. 1895, II, 153, Ziffer 2). Wir konnten die Gegenvorschläge nicht alle annehmen und waren genötigt, mancherlei Abänderungen, zu beantragen. Die niederländische Regierung hat sich über unsere Anträge noch nicht ausgesprochen.

3. Der endgültige Abschluß eines A u s l i e f e r u n g s v e r t r a g e s mit Ö s t e r r e i c h - U n g a r n hat noch nicht stattfinden können (Bundesbl. 1895, II, 153, Ziffer 3), indem von der k. und k. Regierung neue Anregungen gemacht worden sind. Sie wünschte nämlich, es möchte in das Schlußprotokoll des Vertrages ein Passus aufgenommen werden, wonach es einer speciellen Vereinbarung vorbehalten bleibe, den unmittelbaren Schriftenwechsel zwischen den Gerichtsbehörden der limitrophen Bezirke für den Rcchtshülfeverkehr in Strafsachen festzustellen. Wir antworteten hierauf, daß wir es vorziehen würden, ein Abkommen zu treffen, wonach nicht nur den Gerichtsbehörden der Grenzbezirke der gegen-

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seitige direkte Verkehr gestattet würde, sondern allen Gerichtsbehörden der Schweiz und der österreichisch-ungarischen Monarchie, und zwar sowohl in Straf-, wie in Civilsachen. Eine Rückäußerung hierauf haben wir noch nicht erhalten.

Einen ändern Vorschlag der k. und k. Regierung, welcher dahin ging, es möchte über das Verfahren der Übergabe und Übernahme von aus- und durchzuliefernden Personen an der Grenze ein Abkommen getroffen werden, wie es zwischen Preußen und Österreich bestehe, haben wir gerne angenommen. Wir sehen der Vorlage eines Entwurfes zu einer solchen Vereinbarung von seiten der k. und k. Regierung entgegen.

4. Im Jahre 1892 wurde uns durch Vermittlung unserer Gesandtschaft in Buenos-Ayres von seiten der Regierung der a r g e n t i n i s c h e n Republik der Entwurf zu einem A u s l i e f e r u n g s v e r t r a g e Übermacht. Nach Prüfung desselben an der Hand der Bestimmungen des Bundesgesetzes über die Auslieferung vom 22. Januar 1892 sahen wir uns genötigt, verschiedene Modifikationen zu beantragen. Wir haben unsere Bemerkungen im Oktober dieses Jahres der argentinischen Regierung zur Kenntnis bringen lassen und gewärtigen nun deren Rückäußerung.

5. Betreffend den Abschluß einer Vereinbarung mit F r a n k r e i c h über d i e u n e n t g e l t l i c h e V e r p f l e g u n g a r m e r E r k r a n k t e r (Bundesbl. 1895, II, 154, Ziffer 4) sind die Unterhandlungen noch im Gange.

Um einige Bedenken der französischen Regierung darüber zu beseitigen, daß für die erkrankten Franzosen in der Schweiz minder gut gesorgt werden könnte, als für die in der gleichen Lage befindliehen Schweizer in Frankreich, sahen wir uns genötigt, Erhebungen zu machen, ob und inwieweit in den Kantonen ein Unterschied in der Verpflegung der armen kranken Kantonsbürger und der Angehörigen anderer Kantone bezw. der Ausländer stattfindet. Gleichzeitig erkundigten wir uns, ob arme Erkrankte auch in ihrer eigenen Wohnung auf öffentliche Kosten verpflegt werden, wie dies in Frankreich zu geschehen pflegt, und wie viele Spitäler oder Krankenhäuser jeder Kanton zur Versorgung der Einheimischen und Fremden hat.

Das Resultat der bezüglichen Erhebungen war: 1. Bezüglich der Behandlung der kranken Kantonsangehörigen, und Fremden wird nur in den Kantonen Zug, Freiburg, Baselland und Appenzell I.-Rh. etwelcher Unterschied gemacht, der jedoch von keinem wesentlichen Nachteil für die Fremden ist.

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2. Die Verpflegung armer Kranken in der eigenen Wohnung findet in den Kantonen Zürich, Luzern, Nidwaiden, Glarus, Baselstadt, Schaffhausen, Appenzell A.-Rh., St. Gallen, Graubünden, Aargau, Thurgau, Tessin, Wallis, Neuenburg und Genf statt.

3. Die Zahl der öffentlichen Spitäler in den Kantonen beläuft sich im ganzen auf 146. Außerdem bestehen noch an manchen Orten sogenannte Krankenstuben.

6. Von der b e l g i s c h e n Regierung wurde die Anregung gemacht, es möchte zwischen der Schweiz und Belgien eine Vereinbarung getroffen werden, durch welche die U n t e r s t ü t z u n g und Heimschaffung der armen und hülfsbedürftigen A n g e h ö r i g e n des einen der beiden Staaten, welche auf dem Gebiete des ändern der öffentlichen Wohlthätigkeit zur Last fallen,, geregelt werden. Dabei wurde auf die ähnlichen, von Belgien mit.

Deutschland und Italien abgeschlossenen Verkommnisse hingewiesen.

Wir haben diese Vereinbarungen geprüft und erachteten diejenige zwischen Belgien und Deutschland wohlgeeignet, um als Basfs für eine schweizerisch-belgische Übereinkunft zu dienen. Es.

entspricht dieselbe im wesentlichen den diesfalls allgemein,geltenden internationalen Grundsätzen und steht auch mit den Bestimmungen, des Bundesgesetzes über die Kosten der Verpflegung erkrankter und der Beerdigung verstorbener armer Angehöriger anderer Kantonevom 22. Juni 1875, sowie mit den ähnlichen Vereinbarungen,, welche von der Schweiz mit den Nachbarstaaten abgeschlossen worden sind, im Einklang.

Bevor wir der belgischen Regierung eine Antwort und unsere Anträge in der Sache zukommen ließen,, haben wir die Ansicht der Kantonsregierungen über den projektierten Vertrag eingeholt, da die Kantone durch eine derartige Vereinbarung zunächst berührt und in förmlicher Weise verpflichtet werden. Von denselben sind ausnahmslos zustimmende Antworten eingegangen.

Eine Rückäußerung der belgischen Regierung auf unsere Anträge ist bis jetzt noch ausstehend.

II. Auslieferungen und Strafverfolgungen.

7. Die Gesamtzahl der A u s l i e f e r u n g s a n g e l e g e n h e i t e n , mit denen sich der Bundesrat im Berichtsjahre zu beschäftigen hatte, beträgt 360 (1894: 336, 1893: 288). Davon sind 99 von der Schweiz im Ausland (1894: 98, 1893: 99) und 261 von auswärtigen Staaten bei der Schweiz (1894: 238, 1893: 189) anhängig gemacht worden.

48 Im weitern gingen 5 Gesuche um D u r c h t r a n s p o r t ein, die nach Maßgabe von Art. 32 des Bundesgesetzes über die Auslieferung vom 22. Januar 1892 und der in Betracht kommenden Verträge gestattet worden sind.

Die Auslieferungsbegehren d e s A u s l a n d e s b e i d e r S c h w e i z verteilen sich folgendermaßen auf die einzelnen Staaten : Deutschland 151 Frankreich 49 Italien 47 Österreich-Ungarn 10 Belgien 2 Rußland .

l Vereinigte Staaten v o n Amerika . . .

l Von diesen Begehren sind 210 bewilligt worden; in 32 Fällen blieben die Nachforschungen nach den Verfolgten resultatlos; in 2 Fällen wurde die Auslieferung verweigert; 10 Begehren wurden zurückgezogen und 5 Fälle waren am Jahresschluß noch pendent.

2 Begehren sind eingelangt, nachdem die Beschuldigten infolge Ablaufs der,, Frist der provisorischen Haft bereits wieder auf freien Fuß gesetzt worden waren.

Bei 7 Individuen, die wegen gemeiner Verbrechen und daneben auch wegen F a h n e n f l u c h t verfolgt waren, bewilligten wir die Auslieferung nur unter dem in Art. 11, Absatz 2, des Auslieferungsgesetzes vorgesehenen Vorbehalt.

Von den Auslieferungsbegehren, welche die S c h w e i z bei a u s w ä r t i g e n S t a a t e n gestellt hat, gingen an Frankreich . -.

42 Deutschland 25 Italien 9 Österreich-Ungarn 6 Belgien 5 Vereinigte Staaten v o n Amerika . . .

l Außerdem wurde gegen 4 Individuen in Frankreich und Deutschland und gegen 7 andere in sämtlichen Nachbarstaaten, sowie in Belgien, Luxemburg und Großbritannien gleichzeitig ge-fahndet.

Von den seitens der Schweiz gestellten Begehren hatten 59 die Bewilligung der Auslieferung zur Folge ; in 20 Fällen blieben die Verfolgten, unentdeckt; 13 Begehren wurden zurückgezogen und 7 Fälle sind noch nicht erledigt.

Außer den obigen vom Bundesrat und dem Bundesgericht bewilligten Auslieferungen ans Ausland sind gemäß den uns nach

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Vorschrift von Art. 29 des Auslieferungsgesetzes zugekommenen Anzeigen 39 A u s l i e f e r u n g e n k u r z e r H a n d von den Kantonen vollzogen worden (1894: 45).

Nach Maßgabe von Art. 31 des Bundesgesetzcs betreffend die Auslieferung vom 22. Januar 1892 haben wir im Jahr 1895 den Kautonen Bern, Schwyz, Zug, Freiburg, Baselstadt, Schaffhausen, St. Gallen, Graubünden, Aargau, Thurgau, Tessin; Waadt und Neuenburg a n K o s t e n f ü r A u s l i e f e r u n g e n i m ganzen Fr. 2326. 45 (1894: Fr. 2026. 85) vergütet.

8. Auf Grund von Artikel 23 des Bundesgesetzes über die Auslieferung vom 22. Januar 1892 hatten wir 6 Auslieferungsbegehren fremder Staaten (1894: 8) an das B u n d e s g e r i c h t zur Entscheidung zu verweisen. In einem Falle wurde die Auslieferung verweigert, wovon wir unter folgender Ziffer näher sprechen.

Von den 5 bewilligten Auslieferungen ist der Fall O s k a r L u x (Bundesgerichtl. Entscheid. XXI, 76) bemerkenswert. Es hat in demselben das Bundesgericht erkannt, daß eine Einwendung gegen die Auslieferung an Deutschland wegen Notzucht nicht damit begründet werden kann, daß der nach der inländischen Gesetzgebung erforderliche Strafantrag nicht gestellt worden ist, indem ein Vorbehalt, daß die Auslieferung nur stattzufinden hat, wenn die betreffende Handlung nach der Landesgesetzgebung der beiden vertragenden Teile, also auch nach der Gesetzgebung desjenigen Landes, an welches das Begehren gerichtet wird, ebenfalls strafbar ist, in dem Auslieferungsvertrage zwischen der Schweiz und Deutschland vom 24. Januar 1874 hinsichtlich des Vergehens der Notzucht nicht gemacht ist.

Auch stellte das Bundesgericht hierbei neuerdings den Grundsatz fest, daß in Auslieferungsaugelegenheiten gegenüber Staaten, mit welchen die Schweiz einen Vertrag eingegangen bat, nur der Inhalt dieses Vertrags maßgebend sein kann und nicht der des Bundesgesotzes über die Auslieferung vom 22. Januar 1892, indem die Bestimmungen des Vertrages durch das Auslieferungsgesetz als einem einseitigen gesetzgeberischen Akt der einen Vertragspartei nicht alteriert werden können.

9. Seit dem im Geschäftsberichte pro 1887 (Bundesbl. 1888, II, 815, Ziffer H) angeführten Fall Wey wurden öfters Personen, welche wegen V e r ü b u n g u n z ü c h t i g e r H a n d l u n g e n m i t K i n d o r u u n t e r 14 J a h r e
n verfolgt waren,i von Deutschland an die ö Schweiz und umgekehrt unter Annahme einer erweiternden Auslegung der Ziffern 8 und 9 (Notzucht und Kuppelei) von Art. l des schweizerisch-deutschen Ablieferungsvertrages vom 24. Januar Bundesblatt. 48. Jahrg. Bd. II.

4

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1874 ausgeliefert. Im Berichtsjahre erhob nun der wegen eines solchen Delikts vom Landgerichte Rottweil verfolgte F. K n i t t e l aus Württemberg, welcher sich in der Schweiz aufhielt, gegen seine Auslieferung an die württembergischen Behörden beim Bundesgerichte Einsprache und dieses erkannte, daß nach Maßgabe des schweizerisch-deutschen Auslieferungsvertrages dem Auslieferungsbegehren nicht entsprochen werden könne, indem K. laut den im Haftbefehl enthaltenen Anschuldigungen bei seinen Manipulationen auf die Ausübung des Beischlafs nicht ausgegangen sei und ihm daher nicht eine unter den Begriff der Notzucht fallende Handlung zur Last gelegt werden könne.

Infolge dieses Erkenntnisses erklärte die deutsche Regierung, sie könne das im Fall Wey getroffene und seither beobachtete Einverständnis über die Auslegung der erwähnten Ziffern des Auslieferungsvertrages für nicht mehr bestehend erachten. Auch scheine ihr die Entscheidung des Bundesgerichtes in Sachen K. mit dessen bisheriger Praxis nicht in Übereinstimmung zu stehen.

Wir erwiderten mit Bezug auf den ersten Punkt, daß wir trotzdem nicht anstehen. werden, in Zukunft auf Auslieferungsanträge der deutschen Behörden wegen Vergehen fraglicher Art einzutreten und ihnen eventuell zu entsprechen. Es werde dies zwar nicht auf Grund des bestehenden Auslieferungsvertrages geschehen können, dagegen gestützt auf das Bundesgesete über die Auslieferung vom 22. Januar 1892, worin dem Bundesrate die Befugnis eingeräumt sei, auch wegen einer in einem Vertrag nicht vorgesehenen strafbaren Handlung die Auslieferung zu bewilligen, sofern dieselbe in dem besagten Gesetz als Auslieferungsdelikt aufgeführt ist. Dies sei bezüglich der in Frage kommenden Sittlichkeitsvergehen der Fall, indem gemäß Art. 3, Ziffer 13, des Gesetzes wegen ,,Unsittlichkeiten mit Kindern oder Pflegebefohlenen"' die Auslieferung gewährt werden könne. Was die Bemerkung zum Entscheide des Bundesgerichtes betreffend K. anlange, so erscheine uns dieselbe nicht zutreffend, denn es ergebe sich aus den in Betracht kommenden Entscheidungen jeues Gerichtshofes in Sachen Straßburger und Wittig (Bundesgerichtl. Entsch. XII, 139, und XVIII, 184), daß derselbe stets davon ausgegangen ist, der Begriff der Notzucht im Sinne des schweizerisch-deutschen Auslieferuugsvertrages sei zwar nicht auf die Notzucht
im engern Sinne, das stuprum violentimi, zu beschränken, fasse jedoch immerhin eine vollendete oder versuchte Beischlafsvollziehung in sich.

Weil nun dem K. eine derartige Handlung nicht zur Last gelegt worden, sei das Gericht zur Verweigerung der Auslieferung gelangt.

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Die deutsche Regierung kam bald in die Lage, die Auslieferung eines nach der Schweiz geflüchteten preußischen Lehrers wegen Vornahme unzüchtiger Handlungen mit Schulkindern nachzusuchen, wobei sie auf unser eben erwähntes Antwortschreiben Bezug nahm.

Wir gewährten die fragliche Auslieferung in Anbetracht der Einwilligung des Verfolgten und auf Grund des Bundesgesetzes über die Auslieferung vom 22. Januar 1892, sowie unter der Voraussetzung, daß in einem ähnlichen Fall deutscherseits der Schweiz gegenüber Gegenrecht beobachtet werde (Fall Twartz).

Es geschah dies auch seitens der großh. badischen Regierung, bei welcher wir genötigt waren, die Auslieferung dos wegen unzüchtiger Handlungen mit Minderjährigen von dem st. gallischen Bezirksgerichte am See verurteilten F. Ambühl' zu beantragen.

10. Seitens der b e m i s c h e n Behörden wurde von der B a r s c h a f t , welche einem an Deutschland Ausgelieferten bei seiner Verhaftung im Kanton Bern abgenommen worden war, zur teilweisen Deckung der Auslagen für die Arretierung und provisorische Verhaftung ein Teil z u r ü c k b e h a l t e n . Der verfolgende deutsche Untersuchungsrichter reklamierte hiergegen. Die bernischen Behörden waren indessen der Meinung, es verstoße das von ihnen beobachtete Verfahren nicht gegen Art. 9 des deutsch-schweizerischen Auslieferungsvertrages, indem es sich nicht um Gegenstände handle, die irgendwie als Beweisstücke in dem Strafprozeß gegen den Beschuldigten betrachtet werden können.

Wir wurden hierdurch veranlaßt, die bernischen Behörden auf Art. 11 des Staatsvertrages aufmerksam zu machen, der ausdrücklich bestimmt, daß der um die Auslieferung angesprochene Staat alle aus der Festnahme und dem Unterhalte des Auszuliefernden entstehenden Kosten zu tragen habe. Es dürfen somit zu deren Vergütung nicht etwaige Gelder oder Wertsachen des Verhafteten in Anspruch genommen werden, diese sind vielmehr ausnahmslos den Behörden des requirierenden Staates aushiuzugeben. Artikel 9 jenes Vertrages kann nämlich nicht dahin interpretiert werden, daß bloß die Sachen, welche als Beweisstücke in dem Prozesse gegen den Beschuldigten dienen können, ausgehändigt werden müssen, sondern der Eingang jenes Artikels enthält ganz allgemein die Vorschrift, daß ,,die im Besitze des Verurteilten oder Angeschuldigten vorgefundenen Gegenstände01,
seien diese nun Geld oder etwas anderes, auszuliefern seien. Dieser Grundsatz, der eine allgemeine Regel im Auslieferungsverfahren bildet, hat denn auch in Art. 27 des Bundesgesetzes über die Auslieferung vom 22. Januar 1892 Ausdruck gefunden.

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11. Das italienische Konsulat in Bellinzona, welches häufig in den Fall kommt, hei den tessinischen Behörden um die Fahndung ' O nach flüchtigen Verbrechern zum Zwecke ihrer V e r h a f t u n g u n d A u s l i e f e r u n g an I t a l i e n nachzusuchen, war der Ansicht, es könne jeweiien mit dem diplomatischen Auslieferungsantrage zugewartet werden, bis es gelungen sei, den Verfolgten in der Schweiz festzunehmen (Fall Ancona).

Wir konnten uns hiermit nicht einverstanden erklären, sondern bemerkten, daß einem von der zuständigen ausländischen Amtsstelle bei einer inländischen Behörde gestellten Gesuch um provisorische Verhaftung eines Verfolgten mit möglichster Beschleunigung die Vorlage eines Haftbefehles oder Urteils und der diplomatische Antrag auf Auslieferung nachzufolgen habe, gleichgültig ob die Verhaftung des Beschuldigten schon erfolgt ist oder nicht. Für die Mitteilung jener Akten und die Stellung des Auslieferungsbegehrons bestehen keinerlei Fristen, sondern es sollen dieselben ohne Verzug und so rasch wie möglich der verlangten Verhaftung nachfolgen.

Es haben darum auch schon die direkten schriftlichen Ansuchen und Telegramme um provisorische Verhaftung flüchtiger Verbrecher stets die Angabe zu enthalten, daß ein Haftbefehl besteht und die Auslieferung verlangt wird.

Das erwähnte Verfahren gilt allgemein als Regel und ist auch in den Artikeln 9 und 10 des schweizerisch-italienischen Auslieferungsvertrages vom 22. Juli 1868 anerkannt. Übrigens hat das italienische Justizministerium in betreff der Ausführung des citierten Art? 10 unterm 7. Juni 1874 selbst ein Cirkular erlassen, worin die italienischen Behörden angewiesen worden sind, im Sinne obiger Bemerkungen zu verfahren (Bundesbl. 1874, II, 536 f.).

12. G e s u c h e um s t r a f r e c h t l i c h e V e r f o l g u n g von Schweizern, die auf fremdem Gebiete delinquiert und sich in die Schweiz geflüchtet hatten, sind uns im-Berichtsjahre 15 zugegangen, nämlich 8 von Deutschland,> 6 von Frankreich und l von Belgien.

O Von denselben haben 4 durch Verurteilung und 3 durch Freisprechung der Verfolgten ihre Erledigung gefunden ; 8 Fälle sind noch pendent. · Wir unsererseits haben bei Frankreich in 8, bei Deutschland in 7 und bei Italien in 3 Fällen die strafrechtliche Verfolgung von Angehörigen dieser Staaten verlangt, die nach
Begehung strafbarer Handlungen in der Schweiz nach ihrer Heimat geflohen waren.

In 9 Fällen sind die Angeklagten verurteilt und in 2 freigesprochen worden. In einem Falle blieb der Verfolgte unentdeckt. 6 Fälle sind noch unerledigt.

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13. Die b e l g i s c h e R e g i e r u n g gab anläßlich eines Begehrens um s t r a f r e c h t l i c h e V e r f o l g u n g eines Schweizerb ü r g e r s , welcher sich in Belgien des Delikts der Unterschiebung eines Kindes schuldig gemacht hatte, die Zusage, daß in ähnlichem Falle von den belgischen Behörden Gegenrecht beobachtet werde.

Auch erklärte sie, es werde der Angeklagte nach seiner Aburteilung in der Schweiz nicht mehr in Belgien verfolgt werden, bemerkte jedoch dabei, daß sich die k. Staatsanwaltschaft in jedem einzelnen Falle vorbehalte, in Erwägung zu ziehen, ob sie auf die Verfolgung eines Fremden, der sich in Belgien eines Delikts schuldig gemacht hat und wegen desselben vor die Gerichte seines Heimatlandes gestellt worden ist, verzichte oder nicht (Fall Rilling).

Andererseits sprach sich die f r a n z ö s i s c h e R e g i e r u n g in einem Falle, in welchem es sich um die Strafverfolgung eines bornischen Angehörigen handelte, der in Frankreich Fälschungen begangen hatte, dahin aus, daß auf dessen Verfolgung in Frankreich nicht verzichtet werden könne, wenn derselbe auch in der Schweiz wegen der in Betracht kommenden Handlungen abgeurteilt worden sei. Es sei durch die französische Rechtspraxis und Wissenschaft anerkannt, daß in Anbetracht der Territorialhoheit ein Ausländer, welcher von seinen heimatlichen Gerichten wegen eines in Frankreich begangenen Deliktes verurteilt oder freigesprochen worden sei, doch jederzeit in Frankreich wegen derselben That verfolgt werden könne. Außerdem sei im vorliegenden Falle durch den Assisenhof des Departementes Eure ein Kontumazurteil ergangen, durch welches der Beschuldigte zu 10 Jahren Arbeitshaus verurteilt worden sei. Dies habe zur Folge, daß gegen denselben eine Verfügung auf Verhaftung bestehe. Solange nun eine Strafverjährung nicht eingetreten sei, bleibe diese Verfügung aufrecht und könne die Verhaftung und Stellung des Verurteilten vor den genannten Assisenhof erfolgen.

Mit Rücksicht auf-diese Erklärung leimte die Anklagekammer des Kantons Bern die Verfolgung und Aburteilung des Angeklagten ab. Wir hatten gegen diesen Beschluß nichts einzuwenden, da mit Frankreich keinerlei vertragliche Bestimmung über die Strafverfolgung der eigenen Staatsangehörigen, welche sich in dem ändern Lande eines Verbrechens schuldig gemacht haben, besteht
(Fall Guédat).

In zwei ändern, neuern Fällen (Hurni und Imhof) erklärte dagegen die französische Botschaft, daß mit der Aburteilung und Bestrafung der Beschuldigten in der Schweiz ihre Verfolgung in Frankreich dahinfalle.

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lé. Von der k. württembergischen Regierung wurde beantragt, es möchte der b e r n i s c h e A n g e h ö r i g e F. B ü t i k o l ' e r , welcher sich in W ü r t t e m b e r g e i n e s seh M'e r en D i e b s t a h l s schuldiggemacht und hierauf in seinen Heimatkanton geflüchtet hatte, wegen dieses Deliktes in der Schweiz abgeurteilt und bestraft werden.

Unter Übermittlung der Strafakten gaben wir der bernischen Regierung von dem Ansuchen Kenntnis und luden sie ein, für die Durchführung des Strafverfahrens gegen B. besorgt -/AI sein.

Die Anklagekammer des Kantons Bern wollte indessen der Angelegenheit nicht die gewünschte Folge geben, da keine Erklärung der württembergischen Regierung im Sinne von Art. 2 des Bundesgesetzes über die Auslieferung vom 22. Januar 1892 vorliege, daß B.

nach Verbüßung der in der Schweiz gegen ihn verhängten Strafe von den württembergischen Behörden nicht noch einmal wegen desselben Verbrechens verfolgt werde.

Wir antworteten hierauf der bernischen Regierung, daß das Bundesgesetz über die Auslieferung für die Strafverfolgung des B.

nicht in Betracht komme. Durch das Bundesgericht und den Bundesrat ist in der That zur Genüge festgestellt worden (Bundesgerichtliche Entscheidungen XVII, 193 und 498, XIX, 129 und 137, sowie Kreisschreiben des Bundesrates zum Auslieferungsgesetze vom 28. Juni 1892 unter Ziffer I und IV), daß für die Verhältnisse der Schweiz zu auswärtigen Staaten, mit denen Auslieferungsverträge bestehen, die in diesen Verträgen vereinbarten Grundsätze einzig gelten und maßgebend sind. In Art. 2, Absatz 2, des schweizerischdeutschen Auslieferungsvertrages ist eine Regelung bezüglich der Verfolgung derjenigen Schweizerbürger, welche sich in Deutschland eines Deliktes schuldig gemacht und nach der Schweiz geflüchtet haben, sowie umgekehrt getroffen, und es besteht diesfalls auch eine gegenseitige konstante Praxis (vgl. Fall Thierstein im Bundesblatt 1893, II, 79 ff.).

Im Falle B. sind entsprechend der Bestimmung in Art. 2 des Auslieferungsvertrages die gegen den Angeklagten in Württemberg erhobenen Strafakten von der württembergischen Regierung anhergesandt worden, mit dem Antrage, B. wegen des von ihm begangenen Diebstahls von den hierseitigen Gerichten beurteilen zu lassen.

Damit war der Anlaß (Art. 2, Abs. 2, des Vertrages) gegeben, daß das Strafverfahren
gegen den Verfolgten in der Schweiz durchgeführt werde ; auch besteht ein solcher Anlaß unzweifelhaft nach den Gesetzen des Heimatkantons bei dem Verbrechen des Diebstahls, um das es sich hier handelt.

55 Aus diesen Gründen erklärten wir die bernischen Behörden für ptlichtig, die strafrechtliche Verfolgung des B. zu übernehmen.

Es traf daraufhin die bernische Anklagekammer die zweckdienlichen Anordnungen, jedoch nur, wie sie bemerkte, mit Rücksicht darauf, daß der Angeschuldigte auf Erledigung dringe und sich eine längere Voruntersuchungshaft um so weniger rechtfertige, als derselbe der ihm zur Last gelegten That geständig sei, und mit dem Vorbehalt, beim nächsten sich darbietenden Falle es zum Kompetenzkonflikte kommen zu lassen.

Von den ändern Kantonen, welche im Berichtsjahre in die Lage kamen, Angehörige auf Antrag von Deutschland zu verfolgen (Zürich, St. Gallen, Waadt), wurde die Verpflichtung zur Ausübung der Strafjustiz ohne weiteres anerkannt.

15. In K o n s t a n t i n o p e l wurde der dort wohnhafte deutsche Schutzgenosse Buchbinder F. A m r e i n aus L i t t a u , Luzern, von dem k. deutschen Konsulargerichte wegen schweren Diebstahls zu 4 Wochen Gefängnis und zur Tragung der Kosten verurteilt. Er verbüßte die Strafe in den Gefängniszellen des deutschen Krankenhauses zu Konstantinopel, konnte aber die aus der Durchführung des Strafverfahrens entstandenen Kosten von Fr. 45 nicht entrichten. Die deutsche Gesandtschaft suchte unsere Vermittlung für die Rückerstattung derselben nach. Wir stunden nicht an, uns diesfalls bei den luzernischen Behörden zu verwenden ; denn es erschien die Bezahlung jener Kosten als geboten, weil sonst unsere Staatsangehörigen in Ländern mit Kapitulationen, wo wir keine eigene Vertretung besitzen, Gefahr liefen, jeden Rechtsschutzes verlustig zu gehen. Die luzernischen Behörden sandten uns den Betrag ungesäumt zu.

III. Rogatorien.

16. Unser Justiz- und Polizeidepartement hatte während des Berichtsjahres in 143 Fällen (1894: 131, 1893: 155) bei der Vermittlung von R e q u i s i t o r i a l i e n ausländischer Behörden an schweizerische Gerichte und umgekehrt mitzuwirken. 64 derselben bezogen sich auf Civüangelegenheiten, 79 auf Strafsachen.

Von den s c h w e i z e r i s c h e n Rogatorien waren 21 an Frankreich, 16 an Belgien, je 7 an Großbritannien und an die Vereinigten Staaten von Amerika, 4 an die Türkei, je 3 an Argentinien und Ägypten, je 2 an Dänemark, Rußland, Monaco, Tunis,

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Spanien und Chile gerichtet, und je eines war für Deutschland, Österreich, Holland, Rumänien und China bestimmt.

Von den a u s l ä n d i s c h e n Rogatorien sind 36 aus Frankreich, 14 aus Spanien, 6 aus Rußland, 3 aus Italien, 2 aus Belgien und je l aus Argentinien, Deutschland, Griechenland, Großbritannien und Österreich-Ungarn eingelangt.

9 der an ausländische Behörden gerichteten und l der aus dem Ausland eingegangenen Rogatorien hatten am Schlüsse des Jahres ihre Erledigung noch nicht gefunden.

17. Durch das Polizeibureau der Gemeinde F l e u r i er (Neuenburg) wurde das k. württembergische O b e r a m t z u H a l l ersucht, auf dem Heimatscheine einer Familie aus Hall ein neugeborenes Kind vorzumerken. Das genannte Oberamt sandte indessen die betreffende Zuschrift mit der Bemerkung zurück, es möge die Eingabe in d e u t s c h e r S p r a c h e oder wenigstens in Begleitung einer beglaubigten deutschen Übersetzung eingereicht werden.

In Anbetracht der anerkannten Gleichberechtigung der deutschen und französischen Sprache im Geschäftsverkehr zwischen den schweizerischen und deutschen Behörden ersuchten wir die deutsche Gesandtschaft in Bern, dahin wirken zu wollen, daß von dem Oberamte Hall dem in französischer Sprache gestellten Ansuchen der Polizeidirektion von Fleurier Vollziehung gegeben werde. Es .machte daraufhin in der That die württembergische Regierung das genannte Oberamt auf die Unrichtigkeit seines Vorgehens aufmerksam und wies es an, dem Ersuchen der Polizeibehörde in Fleurier ohne M'eiteres zu entsprechen.

18. Auf Requisition eines französischen Gerichtes sollte eine in Bern bei dem Sekretär einer fremden Gesandtschaft wohnende Person, welche der Erpressung beschuldigt war, einvernommen werden. Die bernischen Behörden hatten Zweifel, ob der fraglichen Person in Anbetracht der E x t e r r i t o r i a l i t ä t des P e r s o n a l s der f r e m d e n G e s a n d t s c h a f t e n eine amtliche Ladung zur Erscheinung vor dem Statthalteramte in der Wohnung des Gesandtschaftssekretärs angelegt werden könne.

Unser Justiz- und Polizeidepartement antwortete, daß im gegebenen Falle kein Hindernis zur Vorladung und Einvernahme bestehe. Wenn die betreffende Person auch bei einem Gesandtschaftssekretär wohne, so sei sie doch kein Mitglied seiner Familie und gehöre auch nicht zu seiner Dienerschaft, sie genieße daher nicht das 'Recht der Exterritorialität. Auch könne niemals von

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dem Personal einer fremden Gesandtschaft Drittpersonen, die gerichtlich verfolgt sind, ein Asyl gewährt werden.

19. Von der ö s t e r r e i c h i s c h - u n g a r i s c h en G e s a n d t s c h a f t wurde an den Bundesrat das Gesuch gerichtet, das Geeignete zu veranlassen, daß drei beim Bezirksgerichte in Bregenz wider eine Frau M a y e r in H e l l i n g e n , Kanton Aargau, eingebrachte C i v i l k l a g e n , deren Annahme die Beklagte verweigert hatte und deren Mitteilung an sie von dem aargauischen Obergerichte unter Berufung auf Art. 59 der Bundesverfassung abgelehnt worden war, der Genannten z u g e s t e l l t werden.

Wir sahen uns jedoch nicht in der Lage, diesem Ansuchen entsprechen zu können. Es war eine Kompetenz bezw. Pflicht des Bundesrates, die Behörden des Kantons Aargau zur Vornahme der fraglichen Zustellung zu veranlassen, weder aus der inneren Landesgesetzgebung betreffend die Gerichtsorganisation und das Prozeßrecht, noch aus den bestehenden internationalen Vereinbarungen zwischen Österreich-Ungarn und der Eidgenossenschaft herzuleiten.

In der ersteren Beziehung haben die Kantone ihre eigene Gesetzgebung und daher auch ein selbständiges Verwaltungsrecht ; in letzterer Hinsicht ermangelt ein Staatsvertrag betreffend die Zustellung von Gerichtsbefehlen, Vorladungen, Notifikationen und ändern Prozeßakten zwischen den beiden Ländern.

IV. Heimschaffungen.

20. Die Zahl der Fälle von H e i m s c h a f f u n g e n v e r lassener Kinder, Geisteskranker und solcher Personen, welche der ö f f e n t l i c h e n Wohlthätigkei t anh e i m g e f a l l e n s i n d , belief sich im Berichtsjahr auf 113 (1894: 133, 1893: 132) und betraf 139 Personen.

Die Schweiz wurde seitens des A u s l a n d e s um die Heimschaffung von 58 Personen (48 Gesuche umfassend) angegangen, nämlich von 21 verlassenen Kindern, 33 Geisteskranken und 4 Hilfsbedürftigen. Aus Frankreich liefen 37 Gesuche ein, aus Italien 4, aus Deutschland 3 und je 2 aus Österreich und Belgien.

Von den 58 Personen wurden 6 nicht anerkannt, 42 dagegen als schweizerische Angehörige ermittelt und übernommen ; l Begehren wurde zurückgezogen und 9 Fälle (9 Personen umfassend) sind pendent geblieben.

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Die S c h w e i z stellte an das Ausland auf diplomatischem Wege 65 Heimschaffungsbegehren, und zwar 32 an Prankreich, 24 an Italien, 5 an Österreich und je l an Deutschland, Rußland, Großbritannien und Rumänien. Dieselben betrafen 30 verwaiste und verlassene Kinder, 38 Geisteskranke und 13 der öffentlichen Wohlthätigkeit Anheimgefallene, zusammen 81 Personen. Davon wurden 45 vom Ausland als Angehörige anerkannt und heimgeschafft, während bezüglich l Person die Heimnahme abgelehnt worden ist ; betreffend 21 Individuen standen die Erklärungen der fremden Regierungen am Ende des Jahres noch aus. 8 Begehren (13 Personen umfassend) wurden von den Kantonsregierungen vor Abschluß der Verhandlungen zurückgezogen.

Außerdem sind von Seiten Deutschlands 8 Gesuche um Bewilligung des D u r c h t r a n s p o r t s von geisteskranken oder der öffentlichenWohlthätigkeit in Deutschland anheimgefallenen Italienern, welche auf Kosten des requirierenden Staates über schweizerisches Gebiet nach ihrer Heimat verbracht werden sollten, eingegangen . und unsererseits genehmigt worden.

Deutsche, aus Italien ausgewiesene, Staatsang e h ö r i g e wurden 207 (im Vorjahr 260) durch die Polizeibehörden der Kantone Tessin, Uri, Schwyz, Zug, Zürich und Schaffhausen in der Zeit von Anfang Juli 1894 bis Ende Juni 1895 nach Deutschland heimgeschafft. Die dadurch entstandenen Kosten im Betrage von Fr. 5557. 90 ersetzte die italienische Regierung gemäß der Übereinkunft vom 16. Februar 1881 betreffend den Polizeidienst in den internationalen Stationen der Gotthardbahn und der Erklärung vom 11. November 1884/12. Januar 1885.

21. Die im Kanton T e s s i n niedergelassene i t a l i e n i s c h e Staatsangehörige C a r o l i n a C i v a t t i konnte, nachdem bereits einige Zeit vorher das Begehren um ihre Heimnahme wegen Geisteskrankheit auf dem diplomatischen Wege bei Italien gestellt worden war, als geheilt aus der Anstalt, in welche sie provisorisch verbracht worden, wieder entlassen werden. Der Staatsrat von Tessin wollte daraufhin der Genannten den fernem Aufenthalt im Kanton nur unter der Bedingung gewähren, daß die italienischen Behörden ihre Verpflegung, wenn sie wieder erkranken sollte, sofort übernehmen würden, ohne daß zuvor diesbezügliche Verhandlungen stattfinden müßten.

Das italienische Ministerium erklärte indessen, ein solcher Vorbehalt sei nicht vereinbar mit der schweizerisch-italienischen Übereinkunft vom Jahr 1875 betreffend die gegenseitige unent-

59 geldliche Verpflegung armer Erkrankter, indem sieh damit die beiden Staaten verpflichtet haben, für die Verpflegung der Kranken des ändern Vertragsteiles Sorge zu tragen, bis sich ihre Heimschaffung ohne Gefahr ausführen lasse. Es könne keine Ausnahme von dieser Regel gestattet werden. Die italienische RegierungÜbermächte einen Ausweis über die Nationalität der Civatti und über ihr "Wohnsitzrecht in einer bestimmten italienischen Gemeinde, damit auf Grund dieser Dokumente, im Falle die Person wieder geisteskrank werden sollte, einem Heimschaffungsbegehreu ohne Anstand und Verzug von den italienischen Behörden entsprochen werden könnte.

22. Der I t a l i e n e r L u i g i P a l m e r hatte seinen noch in zartem Alter stehenden Knaben allein in der Gemeinde M o n t e g g i o (Tessi n) zurückgelassen und war nach dem Kanton Neuenburg gezogen. Von da aus ersuchte er die tessinischen Behörden, sie möchten seinen Knaben nach Italien heimschaffen, da er für dessen Unterhalt nicht aufzukommen vermöge.

Die Polizeidirektion des Kantons Tessin wünschte nun, daß auf dem diplomatischen Wege die Übernahme des Kindes bei der italienischen Regierung beantragt werde. Wir konnten uns zu einem solchen Schritte nicht verstehen, indem vorauszusehen war, daß- die italienische Regierung einem derartigen Ansuchen nicht entsprechen, sondern darauf hinweisen würde, daß der Knabe nicht als ein verlassenes Kind betrachtet werden könne, indem sein Vater einen bekannten Wohnsitz in der Schweiz habe, arbeitsfähig sei und daher von ihm erwartet werden dürfe, daß er für sein Kind selbst sorge. Übrigens gingen dem Luigi Palmer nicht alle und jegliche Mittel ab, um die Verpflegung seines Kindes, wenigstens teilweise, bestreiten zu können. Konnte und wollte derselbe nun der Gemeinde Monteggio nicht die nötige Unterstützung für sein Kind zukommen lassen, so blieb kein anderer Ausweg, als ihm dieses zuzuführen. Von den nouenburgischon Behörden durfte einem solchen Vorgehen nichts in den Weg gelegt werden, da ein minderjähriges Kind an dem Orte, wo dessen Vater sich aufhält, auch geduldet werden muß. Sollten diese Personen in der Folge der öffentlichen Wohlthätigkeit zur Last fallen, so steht es dem Kanton Neuenburg zu, zur polizeilichen Ausweisung derselben im Sinne von Art. 2 des schweizerisch-italienischen Niederlassungsvertrages vom 22. Juli 1868 zu schreiten.

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V. Verschiedene Geschäfte polizeilicher Natur.

23. Durch die französische Botschaft ist die Schweiz zur Teilnahme an dem V. i n t e r n a t i o n a l e n K o n g r e s s e f ü r G e f ä n g n i s w e s e n in Paris eingeladen worden. Wir beschlossen die Beschickung desselben und ernannten als Delegierte die Herren Dr. Karl Stooß, Professor, und Dr. Guillaume, Direktor des eidgenössischen statistischen Bureau in Bern. Bei dem Kongresse, welcher vom 30. Juni bis 10. Juli 1895 dauerte, wurden Fragen betreffend die Strafgesetzgebung, das Gefängniswesen im engern Sinne, die Präventivmaßregeln und betreffend die Kinder und Minderjährigen behandelt. Die Kantone Genf, Waadt und Bern hatten besondere Vertreter an den Kongreß gesandt.

24. Durch ein Komitee in B o r d e a u x war die Abhaltung eines internationalen K o n g r e s s e s , bei welchem verschiedene Fragen betreffend den Schutz d e r K i n d e r zur Sprache kommen sollten, organisiert worden. Wir wurden unter Einsendung des aufgestellten Réglementes zur offiziellen Teilnahme an dem Kongresse eingeladen. Durch eingezogene Erkundigungen erfuhren wir jedoch, daß derselbe nur von der Stadt Bordeaux veranstaltet sei und in keinem Zusammenhange stehe mit dem im Jahre 1894 stattgehabten und von der Schweiz offiziell beschickten internationalen Kongresse zu A n t w e r p e n , bei welchem speciell über den Schutz verlassener Kinder verhandelt-worden ist. Daher sahen wir von der Absendung eines schweizerischen Delegierten nach Bordeaux ab. Wie wir in der Folge erfahren haben, hatte jener Kongreß absolut keinen internationalen Charakter, sondern konnte nur als ein französischer, bezw. departementaler bezeichnet werden.

25. Von der schweizerischen Gesellschaft für Gemeinnützigkeit ist die Anregung ausgegangen, im Jahre 1896 anläßlich der Landesausstellung in Genf einen i n t e r n a t i o n a l e n Kongreß betreffend das A r m e n w e s e n und speciell die U n t e r s t ü t z u n g b e d ü r f t i g e r f r e m d e r S t a a t s a n g e h ö r i g e r zu organisieren. Zur Ausführung dieses Gedankens hat sich in Genf ein Komitee gebildet.

Herr Bundespräsident Lachenal wird das ihm anerbotene Ehrenpräsidium dieses Kongresses übernehmen.

Ähnliche internationale Kongresse sind bereits in Brüssel 1856, in Frankfurt a. M. 1857, in London 1862, in Mailand 1880,
in Paris 1889 und in Chicago 1893 abgehalten worden.

Um unsere Ansicht über den beabsichtigten Kongreß angefragt, erklärten wir, daß derselbe ohne Zweifel zu interessanten

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Diskussionen führen und auch auf die Entwicklung der internationalen Beziehungen der Staaten fördernd einwirken dürfte.

Hinsichtlich des Verhandhmgsgegenstandes bemerkten wir, daß in den meisten Staaten Europas schon gewisse allgemeine Grundsätze hinsichtlich der Behandlung der auf ihrem Gebiete sich aufhaltenden armen Fremden gelten und gleichmäßig zur Anwendung gelangen. Dieselben gipfeln darin, daß solchen Personen an ihrem Wohnorte in derselben Weise Sorge und Unterstützung zu teil wird, wie den eigenen Bürgern, und zwar ohne daß ein Anspruch auf Ersatz der Kosten gegenüber dem Heimatstaate besteht. Indessen soll der fremde Staat zu einer solchen Unterstützung nicht auf die Dauer verpflichtet sein, sondern wenn dieselbe zu einem bleibenden Bedürfnis wird, steht es ihm zu, von dem Heimatstaate die Übernahme der betreffenden Person oder die Verabfolgung einer Subsidie von Seiten der Heimatbehörden zu verlangen. Eine Hülfeleistung der letztern Art erfolgt indessen nur von wenigen Staaten ; die meisten verabreichen keine Geldunterstützungen an Angehörige in auswärtigen Staaten. In der Mehrzahl der Fälle schreitet man bei Verarmungen, die sich als dauernd erweisen, zur Heimschaffung der Fremden.

Entsprechende Bestimmungen enthalten die Niederlassungsverträge der Schweiz mit Deutschland, Österreich-Ungarn, Italien, Spanien, Frankreich, Großbritannien, den Niederlanden (Znsatzprotokoll), Dänemark, Rußland, Serbien. Eine speciclle Vereinbarung im gleichen Sinne steht die Schweiz im Begriffe, mit Belgien abzuschließen.

Bekanntlich kommen bei uns in den interkantonalen Verhältnissen, gegenüber kantonsfremden Niedergelassenen oder Aufenthaltern , dieselben Grundsätze zur Anwendung. Nach Art. 45, Absatz 3, der Bundesverfassung können dio Heimatbohördon erst dann aufgefordert werden, ihre Angehörigen zu unterstützen oder heimzunehmen, wenn das Unterstützungsbedürfnis ein dauerndes wird.

Bis dahin ist für den unterstützungsbedürftigen Niedergelassenen oder Aufenthalter durch die Gemeinde oder den Kanton des Wohnortes zu sorgen. Im weitern ist durch das in Ausführung von Art. 48 der Bundesverfassung erlassene Bundosgesetz vom 22. Juni 1875 über die Kosten der Verpflegung erkrankter und der Beerdigung verstorbener armer Angehöriger anderer Kantone bestimmt, daß solchen Schweizerbürgern ohne Regreßrecht
für die Kosten im Notfalle die erforderliche Pflege und ärztliche Besorgung und im Sterbefall eine schickliche Beerdigung zu teil worden soll. Auch in dieser Beziehung ist, wie Sie wissen, unser nationales Recht

62 mehr und mehr, durch Vertragsschließung und Gegenrechtsübung, zum internationalen geworden.

26. Der Schweizerbürger K a r l H o h l in Basel war einer schweizerischen Lebensversicherungsgesellschaft aus dem Agenturverhältnisse einige hundert Franken schuldig geworden und gab hierfür durch den Bürgen G. Naas in Buschweiler (Elsaß) Sicherheit. Da Hohl in der Folge die Schuld nicht tilgte, wurde der Bürge Naas vor dem Amtsgerichte Hüningen (Elsaß) belangt.

Dieser lehnte indessen seine Zahlungspflicht ab mit der Begründung, seine Unterschrift auf dem Bürgschaftsscheine sei falsch. Auf Veranlassung der Versicherungsgesellschaft war nun Hohl bei der Gerichtsverhandlung freiwillig erschienen, um als Zeuge gegen den Bürgen Naas zu dienen. Der Gerichtsvorsitzende nahm jedoch seine Einvernahme nicht vor, sondern ließ ihn, naohdem er ihn nach dem Namen gefragt hatte, sofort wegen Urkundenfälschung verhaften. Von dem Landgerichte zu Mülhausen wurde sodann Hohl wegen dieses Deliktes zu einer mehrmonatlichen Gefängnisstrafe verurteilt.

Wir verwendeten uns zu gunsten des Hohl bei der deutschen Regierung und machten geltend, da derselbe auf Veranlassung der klägerischen Partei zu der fraglichen Gerichtsverhandlung in Hüningen aus der Schweiz erschienen sei, habe er füglich erwarten dürfen, daß er ausschließlich als Zeuge behandelt werde. Die deutsche Regierung erwiderte hierauf, die Prüfung der Angelegenheit habe zu dem Ergebnis geführt, daß die Annahme, als ob die Verhaftung und Strafverfolgung des Hohl unzulässig gewesen sei, weil er sich als Zeuge vor dem Amtsgerichte Hüningen eingefunden und daher auf sicheres Geleit gerechnet habe, nicht als begründet anzusehen sei. Wäre Hohl in einer Strafsache infolge der an ihn in der Schweiz ergangenen Vorladung vor dem Amtsgerichte Hüningen erschienen, so hätte er allerdings wegen des von ihm verübten Verbrechens der Urkundenfälschung nicht in Haft genommen werden können (Art. 13 des schweizerisch-deutschen Auslieferungsvertrages vom 24. Januar 1874). Dieser Fall liege aber nicht vor. Ganz abgesehen davon, daß die Vorschrift des Art. 13 nur auf die Zeugnisablegung in Strafsachen anzuwenden sei, würde doch auch im gegenwärtigen Falle die Anwendbarkeit des Art. 13 von der Voraussetzung abhangen, daß auf Betreiben der Behörden des einen Staates eine Vorladung an den Zeugen von den Behörden des ändern Staates und die Aufforderung, der Vorladung Folge zu leisten, bewirkt worden wäre. Hohl sei aber auf Grund einer vorherigen

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Vereinbarung mit dem Givilkläger vor Gericht freiwillig erschienen, weil er durch sein Zeugnis die etwa noch hinsichtlich der Echtheit der in Betracht kommenden Urkunde bestehenden Zweifel beseitigen und ein obsiegliches Urteil für den Kläger herbeiführen zu können gehofft habe. Wäre er als Zeuge vernommen worden, so hätte er aller Wahrscheinlichkeit nach außer dem ändern Delikte auch noch das Verbrechen des Meineids verübt. Es sei hiernach die gemäß § 163 der deutschen Strafprozeßordnung erfolgte Verhaftung des Hohl durchaus gerechtfertigt gewesen.

27. Der Schweizerbürger J. Kläusler wurde wegen angeblich agitatorischer Thätigkeit in der Arbeiterbewegung aus D e u t s c h l a n d polizeilich ausgewiesen. Er wünschte nun, wir möchten bei der deutschen Regierung Schritte für die A u f h e b u n g s e i n e r A u s w e i s u n g thun, indem durch diese der schweizerisch-deutsche Niederlassungsvertrag verletzt worden sei. Wir konnten jedoch in der betreffenden Verfügung eine solche Verletzung nicht erblicken, denn nach Art. l des Niederlassungsvertrages zwischen der Schweiz und Deutschland von 1890 können die beidseitigen Staatsangehörigen auf dem Gebiete des ändern Staates nur dann frei verkehren, wenn sie den Gesetzen und Polizei Verordnungen nachleben, und durch Art. 4 derselben Übereinkunft ist jedem der beiden Staaten das Recht vorbehalten, Angehörigen des ändern Teils entweder infolge eines gerichtlichen Urteils oder aus polizeilichen Gründen den Aufenthalt zu versagen. Auch ist jeder derselben vollständig souverän, die für sein Gebiet zweckmäßig erscheinenden Polizeivorschriften zu erlassen, und steht dem ändern Vertragsteile eine Prüfung derselben oder eine Einsprache gegen eine auf Grund solcher Vorschriften erlassene Verfügung nicht zu.

Aus diesen Gründen konnten wir auf die Petition nicht eintreten.

28. Auf Anordnung des Regierungsstatthalteramtes zu Laufen (Bern) wurde ein älterer Mann, Namens A u g u s t Fischer, welcher Schriften- und mittellos aufgegriffen worden war, nach Basel geschafft und dort über die Grenze nach Deutschland abgeschoben. Es geschah dies, obwohl weder das Heimatrecht jenes Mannes, noch seine Identität festgestellt worden war, somit unter Außerachtlassung der Bestimmung in Art. 8, Absatz 3, des deutsch-schweizerischen Niederlassungsvertrages vom 31. Mai 1890, betreffend die vorherige Erledigung der Frage der Übernahmepflicht. Fischer fiel bald in die Hände der badischen Behörden. Da sich seine deutsche Staats-

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angehörigkeit nicht konstatieren ließ, stellte die badische Regierung unter Mitteilung der Angelegenheit den Antrag hei uns, es möchte die Rücknahme der fraglichen Person veranlaßt werden. Die bernischen Behörden mußten sich infolgedessen zur Wiederübernahme des A. Fischer bereit erklären.

29. Eiue kantonale Behörde stellte die Anfrage, ob ö s t e r r e i c h i s c h e D e s e r t e u r e , w e l c h e das S c h w e i z e r b ü r g e r r e c h t e r w o r b e n h a b e n , mit einem schweizerischen Passe versehen, in Deutschland reisen können, ohne für ihre persönliche Freiheit fürchten zu müssen, oder ob die deutschen Behörden solche Leute trotz ihrer schweizerischen Angehörigkeit eventuell an Österreich ausliefern werden.

Es wurde darauf geantwortet, daß die zweite Frage unbedingt zu bejahen sei, indem die Bundeskartell-Konvention vom Februar 1831 zwischen Österreich und Preußen, vermittelst welcher wechselseitig die Auslieferung von Deserteuren zugesichert wurde, durch den Prager Frieden mit Ausdehnung auf das deutsche Reich ausdrücklich erneuert worden ist.

Der Umstand, daß ein österreichischer Deserteur nach seiner Fahnenflucht das Schweizerbürgerrecht erworben, dürfte schon deshalb seiner eventuellen Auslieferung an Österreich durch Deutschland nicht im Wege stehen können, weil der Betreffende zur Zeit, als er desertierte, noch österreichischer Staatsangehöriger war.

Zudem können ja nach Maßgabe der Auslieferungsvertrage auch Angehörige eines dritten Staates ausgeliefert werden. Deutschland wäre daher berechtigt und auf Grund oben erwähnter Abmachungen auch verpflichtet, einem österreichisch-ungarischerseits gestellten Auslieferungsantrage ohne weiteres Folge zu geben, bezw. nach dem in der Schweiz naturalisierten österreichischen Deserteur zu fahnden und denselben im Betretungsfalle trotz Vorweisung schweizerischer Legitimationspapiere an Österreich auszuliefern.

30. Durch die Behörden des Kantons G r a u b ü n d e u wurde der Antrag gestellt, es möchten zu gunsten einer in diesem Kanton sich aufhaltenden I t a l i e n e r i n Schritte bei der italienischen Regierung gethan werden, damit derselben das ihr von der Heimatgemeinde vorenthaltene Töchterchen herausgegeben werde. Wir mußten hierauf erwidern, daß wir eine bezügliche Verwendung bei Italien nicht eintreten lassen können, da es nicht Sache der schweizerischen Behörden sei, die Interessen der Ausländer gegenüber ihren eigenen Heimatbehörden zu vertreten. Die betreffende Person habe sich

65 vielmehr selbst an die zuständige Oberbehörde ihres Heimatstaates oder an die italienische Gesandtschaft in Bern zu wenden, deren Aufgabe es sei, die Interessen ihrer Landsleute zu schützen.

31. Für den in Glarus mit seiner Familie seit vielen Jahren niedergelassenen Coiffeur K a r l S t r ä u b , welcher im Jahre 1870 das a m e r i k a n i s c h e B ü r g e r r e c h t erworben hat, haben wir uns auf Veranlassung der glarnerischen Regierung für die Ausstellung eines neuen Passes bei der Gesandtschaft der Vereinigten Staaten von Amerika verwendet. In Anbetracht der vom amerikanischen Konsulate in Borgen von Sträub verlangten eidlichen Erklärung, daß er innerhalb zwei Jahren nach Amerika zurückzukehren beabsichtige, machten wir die Gesandtschaft darauf aufmerksam, daß von einer solchen Zusicherung wohl kaum die Ausstellung eines Passes abhängig gemacht werden könne. Sträub habe zur Zeit sein gutes Fortkommen in Glarus und wolle dies nicht durch eine Rückkehr in den nächsten Jahren nach Amerika aufs Spiel setzen. Dagegen wünsche er und seine Familie Bürger der Vereinigten Staaten zu bleiben.

Die Gesandtschaft antwortete, es könne dem Sträub nur unter der Bedingung ein neuer Paß verabfolgt werden, daß er eidlich erkläre, er habe die Absicht, nach den Vereinigten Staaten wieder zurückzukehren (ein bezüglicher Zeitpunkt wurde nicht aufgestellt), und es werden von ihm die mit der amerikanischen Staatsangehörigkeit in Verbindung stehenden Pflichten übernommen.

Bei der Mitteilung dieser Rückäußerung an die Regierung von Glarus bemerkten wir, daß Sträub von der Beobachtung jener Vorschriften der Vereinigten Staaten nicht entbunden werden könne.

Art. IV des schweizerisch-amerikanischen Vertrages vom 25. Wintermonat 1850 habe hinsichtlich derselben nichts geändert und auch nichts ändern können, denn es sei jedem Staate vorbehalten, die ihm gutscheinenden Bestimmungen aufzustellen, unter denen seine Angehörigen Ausweispapiere erhalten.

32. In einem ändern Falle handelte es sich darum, bei der a m e r i k a n i s c h e n Gesandtschaft die A u s s t e l l u n g e i n e s n e u e n P a s s e s für eine durch Heirat Bürgerin der Vereinigten ·Staaten gewordene und nach dem Hinscheide ihres Mannes nach ihrer ursprünglichen schweizerischen Heimatgemeinde zurückgekehrte Frau (Maukel) zu erwirken. Die fragliche
Frau fühlte sich wegen ihres vorgerückten Alters und wegen ihrer körperlichen Gebrechen nicht mehr im stände, die Beschwerden einer Rückreise nach Amerika auszuhalten. Von ihr wurde nun zwar trotzdem die Bnndesblatt. 48. Jahrg. Bd. II.

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66 Abgabe einer Erklärung verlangt, daß sie innerhalb eines bestimmten Zeitraumes nach den Vereinigten Staaten zurückzukehren beabsichtige, jedoch die Erneuerung des daraufhin ausgestellten Passes zugesichert, im Falle es ihr nach Ablauf der betreffenden Zeit aus Gesundheitsrücksichten nicht möglich wäre, die Rückreise vorzunehmen.

33. Infolge der Mitteilung eines unserer Konsulate im Auslandej daß auf den ihm von durchreisenden Schweizerbürgern vorgelegten H e i m a t s c h e i n e n sehr häufig die B e g l a u b i g - u n g e n der k a n t o n a l e n S t a a t s k a n z l e i e n fehlen und solche Papiere von den ausländischen Behörden nicht als vollgültig angesehen werden, richteten wir ein Kreisschreiben an die Regierungen der Kantone und ersuchten sie, zu veranlassen, daß von den Gemeindebehörden die fraglichen Legalisationen bei den Staatskanzleien stets eingeholt werden möchten. Es ist übrigens eine Solche Beglaubigung in den Formularen für die Heimatscheine, wie sie durch das Konkordat vom 28. Januar 1854 und durch Bundesratsbeschluß vom 16. März 1885 (siehe Bundesblatt 1885, II, 183) festgestellt worden sind, vorgesehen..

Bei demselben Anlasse wiesen wir noch darauf hin, daß die Schweizerbürger, welche sich vorübergehend nach dem Auslande begeben, in den meisten Fällen besser daran thun, sich zu ihrer Legitimation mit P ä s s e n zu versehen und nicht mit Heimatscheinen.

Es hat dies darin seinen Grund, daß auch von der Mehrzahl der fremden Staaten ihren eigenen Angehörigen für die Reise ins Ausland Pässe als Ausweispapiere ausgesteDt werden und daß diese Urkunden eine Personalbeschreibung des Inhabers enthalten, was unter Umständen von großem Nutzen ist.

34. Eine kantonale Polizeidirektion war der Meinung, es könneeine in ihrem Kanton auf Grund des B u n d e s s t r a f r e c h t e ' s wegen Beschädigung einer Telegraphenleitung verurteilte Person zur E r s t e h u n g d e r S t r a f e nicht angehalten werden, da der Bestrafte sich nunmehr in einem ändern Kantone aufhalte. Diese Ansicht ist irrig, da es sich um ein in Anwendung eines Bundesgesetzes ausgefälltes Urteil handelt. Ein solches kann in der ganzen Schweiz, wo sich auch immer der Verurteilte aufhalten mag, vollzogen werden. Es ist nur unter Übersendung eines Auszuges des ergangenen Urteils die Polizeidirektion des Kantons,
in welchem die betreffende Person wohnt, einzuladen, diese zur Erstehung der Strafe zu verhalten.

35. Das Centralkomitee der schweizerischen S c h u t z a u f s i c h t s v e r e i n e für e n t l a s s e n e S t r ä f l i n g e stellte das Gesuch, es

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möchte ihm seitens des Bundes ein jährlicher Beitrag von Fr. 500 zugesprochen werden, damit aus demselben die aus Frankreich ausgewiesenen und über Genf und Pruntrut abgeschobenen Schweizer behufs ihrer Weiterreise in den Heimatkanton unterstützt werden können. Das Ansuchen stützte sich im wesentlichen darauf, daß die aus Frankreich ausgewiesenen Schweizerbürger zum größten Teile in einem elenden Zustande ankommen, ohne rechte Kleider, ohne Nahrung und ohne Geld, und sie daher nicht in ihre Heimat zurückkehren können. Sie vagabundieren demzufolge im Lande, namentlich an der Grenze umher, fallen der öffentlichen Wohlthätigkeit zur Last oder als Delinquenten in die Hände der Polizei ; häufig auch kehren sie nach Frankreich zurück, von wo sie nach einiger Zeit wiederum zurückgeschoben werden. Das von den schweizerischen Schutzaufsichtsvereinen im Jahre 1893 gebildete Centralkomitee wurde nun beauftragt, sich jener Heimgeschobenen anzunehmen. Allein bei aller Geneigtheit dazu war es demselben und den Männern, mit welchen es sich diesfalls in Genf und Pruntrut in Verbindung setzte, nicht möglich, etwas Erhebliches zu leisten, da es an den nötigen Geldmitteln fehlte. Daher stellte das fragliche Centralkomitee das Gesuch um Gewährung eines Bundesbeitrages.

Wir mußten anerkennen, daß die Bestrebungen des Komitees, die erwähnten Übelstände möglichst zu heben, den Dank und die Unterstützung der Behörden verdienen, und bewilligten einen jährlichen Beitrag von Fr. 500 mit der Bedingung, jeweilen gegen don Schluß des Jahres eingehend darüber unterrichtet zu werden, in welcher Weise das Geld verwendet worden ist.

36. Durch eine Anfrage seitens der belgischen Regierung wurden wir veranlaßt, uns in einem Kreisschreiben an die Staatskanzleien zu wenden und darüber Erkundigung einzuziehen, ob in den Kantonen eine A u f s i c h t ü b e r die e n t l a s s e n e n G e i s t e s k r a n k e n bestehe und wie dieselbe eventuell geordnet sei. Aus den eingegangenen Berichten ergab sich, daß in den Kantonen Freiburg und Tessin die Gemeindebehörden speciell beauftragt sind, die aus einer Irrenanstalt entlassenen Gemeindeangehörigen im Auge zu behalten 5 es sind jedoch hierüber keine besonderen gesetzlichen Vorschriften erlassen "worden. Im übrigen haben sich an verschiedenen Orten private Vereine die Beaufsichtigung der
entlassenen Geisteskranken zur Aufgabe gestellt. Es ist dies der Fall in don Kantonen Zürich, Bern, Baselstadt, St. Gallen, Graubünden, Aargau und Thurgau. Außerdem ist im Kanton Genf die Bildung eines ähnlichen Vereins im Gange.

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37. Im Bundesblatt 1895, IV, 45,7, haben wir die dringende Warnung erlassen, daß j u n g e M ä d c h e n , welche sich n a c h dem A u s l a n d e begeben, um dort S t e l l e n zu suchen, sich hüten mögen, solche anzunehmen, ohne über die Familie, bei der sie eintreten sollen, sich erkundigt zu haben.

Außerdem haben wir den diesfalls am meisten in Betracht kommenden Kantonen Bern, Freiburg, Waadt, Wallis, Neuenburg und Genf einen Bericht unserer Gesandtschaft in Wien zugehen lassen, wonach solche Mädchen noch auf weitere Umstände aufmerksam zu machen sind. Die auswärtigen Placierungsbureaux verfahren nämlich, in folgender Weise : Sie erlassen in einer schweizerischen Zeitung ein Inserat, durch welches von einer guten Familie in einer größern Stadt eine erste Bonne oder dergleichen gesucht wird. Auf die Anmeldung wird geantwortet, daß derjenige, welcher die Annonce veranlaßt habe, nicht für sich selbst, sondern für eine vornehme Familie eine bewährte Bonne suche. Die Bewerberin möge in vollem Vertrauen zu dem Placierungsbureau nur kommen, sie könne da logieren und werde die Adresse der betreffenden Familie erfahren. In den meisten Fällen nun findet das junge Mädchen nicht die Stelle, die ihr angeboten worden war; man tröstet sie zuerst, bemerkt ihr sodann, sie wäre für den fraglichen Platz nicht geeignet gewesen, läßt sie einige Zeit bei dem Inhaber des Vermittlungsbureaus wohnen und sendet sie schließlich irgendwohin auf das Land. Das Mädchen hat die Pension für den kürzeren oder längeren Aufenthalt, sowie eine Gebühr für die Platzbeschaffung von mindestens 10 Gulden zu entrichten. Kann das Mädchen diese Zahlung nicht sofort leisten, so läßt das Bureau durch die neue Herrschaft die Kosten nach und nach vom Lohne abziehen, oder behält bis zur Bezahlung die Schriften und Effekten des Mädchens zurück, oder übergiebt dieselben der Familie gegen Entrichtung der Kosten, so daß das junge Mädchen sofort Schuldnerin ihrer Herrschaft wird und damit an sie gebunden ist. Daher sollte kein Mädchen sich ins Ausland begeben, bevor ihm genau der Name und die Adresse der Familie, bei der sie eintreten soll, bekannt sind. Auch sollte es vorher den Lohn und die Dienste, die es zu verrichten hat, feststellen. Im Falle eine junge Schweizerin im Auslande irgendwie in eine mißliche Lage kommen und über ihre Papiere
und Effekten nicht mehr frei sollte verfügen können, so hätte sie ungesäumt die Intervention des näehstgelegenen schweizerischen Vertreters (Gesandtschaft oder Konsulat) anzurufen.

69 38. Von der P l a c i e r u n g s a g e n t u r P. C l e e s in Luxemburg sind in den schweizerischen Zeitungen häufig Inserate erlassen worden, womit gutbezahlte Stellen angeboten wurden. Von den daraufhin sich anmeldenden Personen verlangte die Agentur, angeblich zur Deckung von Korrespondenzkosten und anderen Spesen, die Einsendung eines Betrages von Fr. 10 oder mehr. Nach Empfang desselben ließ sie aber nichts mehr von sich hören und der Übersender des Geldes war darum geprellt.

Wir machten die Polizeidirektionen der Kantone mit Kreisschreiben hierauf aufmerksam, damit sie das Publikum davor warnen können, auf jene verlockenden Annoncen einzutreten.

39. Einer neuen Art von B e t r u g s v e r s u c h e n vom A u s l a n d e her ist das schweizerische Publikum in diesem Jahre ausgesetzt gewesen. Es ist hierbei in folgender Weise verfahren worden: Von französischen Weinhändlern wurde in einem mit der richtigen Adresse versehenen Couvert ein Brief und ein Wechsel übersandt, welche an eine andere, gewöhnlich im Auslande wohnhafte Person gerichtet waren. Wenn nun der Empfänger den Brief und Wechsel an den Adressant zurückschickte, so erhielt er nach einigen Tagen ein Schreiben von demselben, worin dieser sich für den begangenen Irrtum entschuldigt und für die Rücksendung verbindlichst dankt. Als Beweis seiner Dankbarkeit offeriert er ein Faß jenes ausgezeichneten Weines, von dem er in dem früheren, zurückgesandten Briefe gesprochen hat, und zwar als Vergütung für den geleisteten Dienst zu einem außerordentlich billigen Preise. Darin liegt nun der Schwindel. Kommt nämlich das Faß an, so enthält es ein ungenießbares Getränk.

Es sind uns mehrere Briefe der erwähnten Art mit den Wechseln aus den Kantonen zugekommen. Wir haben die Schriftstücke der schweizerischen Gesandtschaft in Paris Übermacht, damit sie dieselben den französischen Behörden zum Zwecke der Verfolgung der Schwindler zustelle. Diese Schritte blieben nicht ohne Erfolg, indem daraufhin von dem Untersuchungsrichter in Bordeaux gegen einen gewissen Paul Durand daselbst Strafuntersuchung wegen Betrugsversuches eingeleitet worden ist.

eO. Die bekannten s p a n i s c h e n S c h w i n d l e r (s. Bundesbl.

1895, II, 172) fahren noch immer, wenn auch nicht mehr in dem Maße wie früher, mit ihren Betrugsversuchen fort und senden Briefe
nach der Schweiz. Der Inhalt dieser Briefe hat indessen insofern geändert, als jetzt nicht mehr ein verborgener Schatz, sondern die Erbschaft eines spanischen Generals als Lockspeise

10 dienen soll. Derselbe hat, wie behauptet wird, der Person, deren Übervorteilung versucht wird, ein beträchtliches Legat hinterlassen, unter der Bedingung, daß der Bedachte die Vormundschaft über die verwaiste Tochter des Generals übernehme. Die Liquidation des Nachlasses begegne aber Schwierigkeiten, welche nur gelöst werden können, wenn der Adressat dem Briefschreiber eine gewisse Summe übersende. Die Briefe waren unterzeichnet José Andreù, curé, und kamen in dei- Regel aus Madrid.

C. Bundesanwaltschaft.

I. Bundesstrafrecht.

1. Wir hatten im Berichtsjahr 142 Fälle von E i s e n b a h n g e f ä h r d u n g e n zu behandeln, 11 derselben bezogen sich auf den Tramwayverkehr.

Hiervon erwiesen sich 3 Fälle als W i d e r h a n d l u n g e n g e g e n das B a h n p o l i z e i g e s e t z ; wir sandten dieselben zur Erledigung nach den Bestimmungen dieses Gesetzes an die kantonalen Behörden zurück.

In 24 Fällen lag eine e r h e b l i c h e Gefährdung des Eisenbahnverkehrs nicht vor, es wurde daher denselben in bundesstrafrechtlicher Beziehung keine Folge gegeben.

Bei 16 Betriebsgefährdungen lag kein s t r a f b a r e s Verschulden der beteiligten Personen vor, oder es stand dasselbe mit dem eingetretenen Erfolg in keinem ursächlichen Zusammenhang.

2. Das Bundesstrafrecht bedroht mit Strafe Handlungen, durch welche Personen oder Waren, die s i c h auf e i n e m E i s e n b a h n z u g e b e f i n d e n , einer erheblichen Gefahr ausgesetzt werden.

Sofern es sich um Gefährdung -- Verletzung oder Tötung -- von Personen d u r c h einen Eisenbahnzug handelt, sind die kantonalen Strafbestimmungen zur Anwendung zu bringen. Wir haben deshalb 4 Fällen, bei denen Personen von fahrenden Zügen getötet oder verletzt worden waren, in bundestrafreehtlicher Beziehung ebenfalls keine Folge gegeben.

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3. In zwei Fällen wurde Klage erhoben, weil bei der Durchfahrt von Zügen bei Niveauübergängen die Barrieren nicht geschlossen worden waren, ohne daß dadurch eine k o n k r e t e Gefahr für die betreffenden Züge herbeigeführt worden wäre. Gefährdet waren offenbar die Personen, die den Übergang unmittelbar vor der Durchfahrt der Züge passierten ; allein nach dem eben Gesagten ist hier das kantonale Strafrecht zur Anwendung zu bringen.

Zu der Annahme einer Zugsgefährdung genügt die bloße, vielleicht noch so entfernte Möglichkeit, daß infolge einer -Handlung oder Unterlassung ein Schaden eintreffe, nicht. Wir konnten daher in dem b l o ß e n O f f e n l a s s e n der Barrieren bei der Durchfahrt von Zügen eine erhebliche Gefährdung derselben nicht erblicken und sahen deshalb davon ab, in diesen Fällen die Anwendung des Bundesstrafrechtes zu verlangen.

Das gleiche traf ein in 7 ändern Fällen, und zwar aus verschiedenen Gründen; entweder standen die Angeschuldigten noch nicht im strafmündigen Alter, oder es qualifizierten sich die betreffenden Vorfälle als Unglücksfälle, oder es waren dieselben auf Störungen in der Funktion von Apparaten zurückzuführen, für welche niemand verantwortlich gemacht werden konnte.

e. Den kantonalen Gerichten überwiesen wir 85 Fälle, von denen 32 als a b s i e h t l i e h e G e f ä h r dun g en aufgefaßt wurden.

(Legen von Gegenständen auf die Geleise, Verkeilen von Weichen, Bewerfen fahrender Züge mit Steinen u. s. w.) In 24 Fällen wurde das Verfahren sistiert, weil entweder die Thäterschaft nicht ausgemittelt werden konnte, oder weil sich ergab, daß die That von Kindern oder Unzurechnungsfähigen begangen worden. Eine Verurteilung fand nur in einem Falle statt, wobei das urteilende Gericht leichtsinnige Gefährdung annahm, in einem Falle wurde der Angeschuldigte freigesprochen, 6 Fälle sind noch unerledigt.

5. 53 der den Gerichten überwiesenen Fälle betrafen fahrlässige, zumeist von Eisenbahnangestellten begangene Gefährdungen.

Sistiert wurden hier 6 Untersuchungen, 20 derselben endigten mit der Verurteilung des oder der Angeschuldigten, in 8 Fällen erfolgte ein freisprechendes Urteil, 19 Fälle sind noch unerledigt.

Die einzelnen Fälle geben zu keinen besondern Bemerkungen Anlaß.

6. Im Berichtsjahre wurde uns ein Fall von D a m p f s c h i f f g e f ä h r d u n g und
ein solcher von P o s t g e f ä h r d u n g unterbreitet. Da jedoch ein strafrechtliches Verschulden der Angeschuldigten nicht vorlag, wurde denselben keine Folge gegeben.

7. Von 8 Fällen betreffend S t ö r u n g d e s T e l e g r a p h e n u n d T e l e p h o n b e t r i e b e s haben wir 6 an die Gerichte gewiesen.

8. Die Störung des Telephonbetriebes wird nach Maßgabe des Art. 66 des Bundesstrafrechtes (Störung des Telegraphenbetriebes) strafrechtlich verfolgt. Der Telephonbetrieb bildet einen Teil des eidgenössischen Telegraphenregals und es ist die Telephonanstalt technisch und begrifflich eine Unterart der Telegraphenanstalt; überdies sieht das Bundesgesetz betreffend das Telephonwesen ausdrücklich vor, daß die auf das Telegraphenwesen bezüglichen Bestimmungen des Bundesstrafrechtes auch auf das Telephonwesen Anwendung finden.

9. Bei Anlaß eines Specialfalles haben wir uns dahin ausgesprochen, daß nicht nur die vorsätzliche, sondern auch die fahrlässige Störung des Telegraphenbetriebes durch das Gesetz mit Strafe bedroht sei. Der Art. 66 des Bundesstrafrechtes sagt : ,,Handlungen, durch welche die Benutzung gehindert oder gestört wird"; es wird demnach die eingetretene Schädigung als die Folge einer Handlung hingestellt, ohne Rücksicht auf den Handelnden selbst, und was die Handlung betrifft, so ist deren Begriff ganz allgemein gefaßt ; man muß hieraus schließen, daß unter diesen Handlungen alle zu verstehen sind, die den vorgesehenen Erfolg verursachten, sofern denselben überhaupt ein strafrechtlicher Charakter (Absicht oder Fahrlässigkeit) beigelegt werden kann.

10. Betreffend Fälschungen in M i l i t ä r d i e n s t b ü c h l e i n Ersatzpflichtiger (Ausradieren der pädagogischen Noten und anderer Eintragungen) wurden uns 51 Fälle vorgelegt, in 45 Fällen wurden die Angeschuldigten verurteilt.

Die Fälschungen von Militärdienstbüchlein, welche von militärpflichtigen Personen, die persönlichen Dienst zu leisten haben,, außerhalb des Dienstes verübt werden, unterliegen der militärstrafgerichtlichen Beurteilung nach Anleitung des Art. l, Litt. 5, der Militärstrafgerichtsordnung.

Bei Anlaß eines Specialfalles wurde die Frage aufgeworfen, ob auch die Landsturmwehrmänner gleich zu behandeln seien.

Wir haben uns auf den Standpunkt gestellt, daß nur der aufgebotene und der im wirklichen Militärdienst befindliche Landsturm unter dem Militärstrafgesetze stehe (Bundesgesetz betreffend den Landsturm, d. d. 4. Dezember 1886, Art. 5, und Bundesgesetü betreffend Inspektion und den Unterrieht des Landsturmes vom 29. Juni 1894, Art. 5), und daß demnach derartige Vergehen, welche

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von Landsturmwehrmännern außerhalb des Dienstes verübt werden,, von den bürgerlichen Strafgerichten zu beurteilen seien.

11. Ein Landesfremder legte seinem an den Bundesrat gerichteten Gesuche betreffend Erteilung der Bewilligung zur Erwerbung des schweizerischen Bürgerrechtes ein falsches Zeugnis bei.

Wir überwiesen den Betreffenden den bernischen Gerichten,, die ihn wegen Widerhandlung gegen Art. 63, Litt, ö, Bundesstrafrecht mit Gefängnis und einer Geldbuße bestraften.

12. Von A m t s d e l i k t e n d u r c h P o s t a n g e s t e l l t e (Verletzung des Briefgeheimnisses, Fälschungen, Unterschlagungen und Unregelmäßigkeiten in der Dienstbesorgung) kamen 11 Fälle zur Behandlung, wovon 9 an die kantonalen Gerichte gewiesen wurden, 2 Fällen gaben wir keine Folge.

13. In der Nacht vom 28. Februar auf den 1. März 1895 wurden an verschiedenen Orten in La Chaux-de-Fonds Plakate anarchistischen Inhalts, in welchen zu Verbrechen gegen die Sicherheit von Personen und Sachen aufgefordert wurde, angeheftet. Die Beurteilung des Falles wurde den Gerichten des Kantons Neuenburg; übertragen. Das korrektionelle Gericht von La Chaux-de-Fonds verurteilte den Urheber nach Anleitung des Art. 4 des Bundesgesetzes vom 12. April 1894 betreffend Ergänzung des Bundesgesetzes über das Bundesstrafrecht der schweizerischen Eidgenossenschaft zu einer Gefängnisstrafe von 6 Monaten.

14. Von einem Kanton wurde die von ihm verlangte Auslieferung eines wegen Jagdfrevels Verurteilten, gestützt auf das Bundesgesetz über die Auslieferung von Verbrechern oder Angeschuldigten, datiert den 24. Juli 1852, verweigert.

Auf eine an uns gestellte Anfrage gaben wir den Bescheid, daß die verlangte Rechtshülfe zu leisten sei, mit folgender Begründung.

Das erwähnte Auslieferungsgesetz habe die Übertretung kantonaler Strafgesetze zur Voraussetzung ; in concreto liege die Verletzung einer bundesrechtlichen Vorschrift vor. Die wegen Übertretung solcher Vorschriften von den zuständigen Gerichten rechtskräftig gefällten Urteile müssen überall im Lande vollzogen werden. Der Art. 150 des Bundesgesetzes über die Organisation der Bundesrechtspflege bestimme in dieser Beziehung : In den nach eidgenössischen Gesetzen zu erledigenden Strafsachen haben die Behörden eines Kantons denjenigen der ändern Kantone sowohl für die Untersuchung als die Urteilsvollstreckung Rechtshülfe zu leisten, wie den Behörden des eigenen Kantons.

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15. Auf eine Anfrage, nach welchem Recht die strafrechtliche Verfolgung wegen Übertretung des Bundesgesetzes über polizeiliche Maßregeln gegen Viehseuchen verjähre, hat das Justizdepartement erklärt, daß nach seiner Ansicht das kantonale Recht in dieser Beziehung maßgebend sei. Das Gesetz selbst enthält keine Bestimmung betreffend Klage- und Strafverjährung. Die bezüglichen Bestimmungen des Bundesgesetzes über das Bimdesstrafrecht können nicht zur Anwendung kommen, weil diese Vorschriften sich nur beziehen auf die dort angeführten Delikte und solche, deren Beurteilung in Ergänzung dés Bundesstrafrechtes der Bundesstrafgerichtsbarkeit unterstellt sind. Eine allgemeine Bestimmung betreffend Verjährung bei Übertretungen im Gegensatze zu Verbrechen oder Vergehen ist im Bundesrecht nirgends vorgesehen. Nach Art. 2 des Viehseuchengesetzes ist die Ausführung der Bestimmungen des Gesetzes Sache der Kantone. Es ist deshalb auch die Einleitung und Durchführung des Strafverfahrens wegen Zuwiderhandlungen gegen das Gesetz Aufgabe der kantonalen Behörden, und geschieht dieselbe nach Maßgabe der Gesetzgebung des betreffenden Kantons.

Diese Frage der Verjährung ist bekanntlich eine sehr bestrittene, und es wird Sache des Bundesgerichtes sein, bei Anlaß eines Kassationsbegehrens zu entscheiden, welches Recht zur Anwendung zu kommen habe.

16. Eine kantonale Gerichtsbehörde ersuchte um Wegleitung bezüglich des einzuschlagenden Verfahrens in Strafprozessen betreffend Widerhandlungen gegen die Vorschriften über Kontrollierung und Garantie des Feingehaltes der Gold- und SUberwaren und über die Erflndungspatente.

Wir gaben folgenden Bescheid : Die strafrechtliche Beurteilung der Übertretungen, sowohl des Bundesgesetzes betreffend Kontrollierung von Gold- und Silberwaren, als desjenigen betreffend die Erfindungspatente, ist ausschließlich der kantonalen Strafgerichtsbarkeit unterstellt, vorbehalten die Kassation durch das Bundesgericht, nach Anleitung des Art. 160 et seq. des Bundesgesetzes über die Organisation der Bundesrechtspflege. Soweit nicht im Gesetze ausdrücklich etwas Gegenteiliges gesagt ist, bildet die Strafgerichtsbarkeit der Kantone die Regel. Eine Delegation im Sinne des Art. 125, 1. 2, des Organisationsgesetzes hat nicht stattzufinden, da eine solche nur erfolgt, wenn dem Bunde die Strafgerichtsbarkeit
zusteht und der Bundesrat die Wahl hat, die Beurteilung eines Falles dem Bundesgericht oder den kantonalen Gerichten zu überweisen. In den vorliegenden Fällen steht die Beurteilung gesetzlich den kantonalen Gerichten zu.

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Das Verfahren richtet sich nach Art. 146 des Organisationsgesetzes nach den kantonalen Strafprozeßgesetzen. Das Bundesgesetz betreffend das Verfahren bei Übertretungen fiskalischer und polizeilicher Bundesgesetze vom 30. Juni 1849 findet nicht Anwendung, da dieses Verfahren nur Platz greift bei Übertretungen der Fiskalgesetze des Bundes.

II. Widerhandlungen gegen eidgenössische Fiskalgesetze.

17. Im Berichtsjahre wurden von der Bundesanwaltschaft 15 Fälle von Ü b e r t r e t u n g e n des Z o l l g e s e t z e s gerichtlich anhängig gemacht und zur Beurteilung den kantonalen Gerichten, in einem Falle dem Bundesstrafgericht überwiesen. In zwei Fällen war mit der Zollübertretung, auch eine Widerhandlung gegen das Alkoholgesetz verbunden. In 9 Fällen wurden die Angeschuldigten verurteilt, in einem Falle freigesprochen; 5 Fälle sind noch unerledigt.

18. Gegen einen verurteilenden Entscheid erhob der Angeschuldigte bei dem Bundesgericht die Kassationsbeschwerde, welche indessen abgewiesen wurde. In einem ändern Falle wurde von der Bundesanwaltschaft gegen das freisprechende Urteil eines kantonalen Gerichts die Kassationsbeschwerde erhoben. Das Bundesgericht kassierte das angefochtene Urteil und überwies die Angelegenheit dem Gerichte eines ändern Kantons zur Beurteilung.

19. Nach Art. 54, 1. 2, des Zollgesetzes hat die Grenzwachtmannschaft das Recht, in Ausübung des Grenzwachtdienstes, Grundstücke jeder Art, mit Ausnahme von Wohnungen und mit solchen in direkter Beziehung stehenden Einfriedungen, zu betreten. Ein Grundeigentümer in Genf hat sich zu wiederholten Malen dein Betreten seiner Besitzung durch das den Grenzwachtdienst ausübende Zollwachtpersonal widersetzt. Diese Handlungsweise qualifiziert sich als eine gewaltsame Verhinderung der Vollziehung der Bundesgesetze, als ein Vergehen im Sinne des Art. 47, Bundesstrafrecht. Von einer strafrechtlichen Verfolgung wurde zur Zeit Umgang genommen, dagegen der Betreffende durch Vermittlung von Genf auf die gesetzlichen Bestimmungen und die Folgen seines Verfahrens aufmerksam gemacht.

20. Nach Art. 57 des Zollgesetzes ist das Personal der Zollverwaltung befugt, solche Zollübertreter, welche keinen festen Wohnsitz im Inland haben und für die Bezahlung der verwirkten Buße weder Hinterlage noch genügende Bürgschaft bieten können, zu verhaften.

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Diese Maßregel hat lediglich den Zweck, den Strafvollzug zu sichern ; die Zollverwaltung ist befugt, die Verhaftung in jedem Zeitpunkt -- vor oder nach einem gerichtlichen Urteil -- anzuordnen, in welchem Veranlassung dazu vorhanden ist.

21. Ein Zollbeamter wurde wegen angeblich unwahrer und ehrverletzender Rapporte vor den bernischen Gerichten strafrechtlich eingeklagt. Der Angeschuldigte rief die Intervention des .Bundesrates an, weil er wegen Handlungen verfolgt werde, die er kraft seiner amtlichen Stellung begangen habe. Wir ließen die nachgesuchte Intervention eintreten, nach Anleitung des Art. 14 des Bundesgesetzes über die Verantwortlichkeit der eidgenössischen Behörden und Beamten, vom 9. Dezember 1850. Die Regierung des Kantons Bern teilte mit uns die Ansicht, daß im vorliegenden Falle die Strafkompetenz des Bundes gegeben sei, und es wurde deshalb dem Verfahren vor den bernischen Gerichten keine weitere Folge gegeben.

Die Sache selbst blieb auf sich beruhen, weil eine Klage beim Bundesrate nicht eingereicht wurde (Art. 41 des Verantwortlichkeitsgesetzes) und die bereits aufgenommenen Akten überhaupt keine Veranlassung boten, von Amtes wegen einzuschreiten.

22. Wie wir im Geschäftsbericht pro 1893 bemerkten, besorgt, infolge eines Entscheides des Bundesgerichts und um ein gleichmäßiges Verfahren zu sichern, die Bundesanwaltschaft die Durchführung der Prozesse in Fiskalstraffällen. Demnach wird in jedem einzelnen Falle, auch bei den kantonalen Gerichten, die Klage von der Bundesanwaltschaft mittelst schriftlicher Eingabe und unter Beilage sämtlicher zudienenden Akten direkt eingeleitet. Es ist einleuchtend, daß es schon mit Rücksicht auf die Sprachverschiedenheit dem Bundesanwalt nicht möglich ist, vor den kantonalen Gerichten jeweils persönlich zu erscheinen und die Anklage zu führen ; es ist deshalb eine Vertretung notwendig. Der Generalanwalt wurde ermächtigt, in diesen Fiskalstraffällen für seine Vertretung vor den kantonalen Gerichten jeweils besondere Bevollmächtigte zu bezeichnen. Für die Vertretung werden in erster Linie die Staatsanwälte der betreffenden Kantone in Anspruch genommen; diese Vertreter üben nicht selbständige amtliche Funktionen aus, sondern sie verhandeln vor Gericht im Namen und gemäß Instruktion des Generalanwaltes.

Von Anwälten in Genf wurde der Bundesanwaltschaft das Recht bestritten, die öffentliche Anklage vor den kantonalen Gerichten selbständig zu führen, und auch die oben erwähnte Vertretung

77 beanstandet; bezügliche Beschwerden sind jedoch von der Cour de justice in Genf und dem Bundesgerichte als unbegründet abgewiesen worden, 23. Zwei Begnadigungsgesuche in Fiskalstraffällen wurden von der Bundesversammlung abgewiesen (vide Bundesbl. 1895, IV, 625 und 665).

III. Politische Polizei.

Durch Verfügung vom 29. Januar wurden zwei Italiener, welche in Genf anarchistische Propaganda zur That betrieben, aus dem Gebiete der Eidgenossenschaft ausgewiesen (vide Bundesbl. 1895, I, 108).

Über die Ausweisung einer Anzahl Fremder (vide Bundesblatt 1895, I, 106 und 285), die durch ihr Verhalten im Kanton Tessin ein Einschreiten gegen sie notwendig machten, haben wir im letzten Jahr eingehend berichtet.

Im übrigen sind im Berichtsjahr keine erwähnenswerten Vorgänge zu verzeichnen.

Zu besonderen Verfügungen bestand keine Veranlassung.

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Bericht des Bundesrates an die Bundesversammlung über seine Geschäftsführung im Jahre 1895.

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1896

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