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Schweizerisches Bundesblatt.

48. Jahrgang. III.

Nr. 25.

17. Juni 1896.

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Druck und Expedition der Buchdruckerei Stämpfli & de. in Bern.

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Bericht des

Bundesrates an die Bundesversammlung über das Unternehmen des Simplondurchstiches und die darauf bezüglichen Verhandlungen mit Italien.

(Vom 11. Juni 1896.)

Tit.

Wir haben die Ehre, Ihnen in nachstehendem den mit Schreiben vom 23. März d. J. in Aussicht gestellten Bericht über die zum Zwecke des Abschlusses eines Staatsvertrages, betreffend Bau und Betrieb einer Eisenbahn durch den Simplen, mit Italien gepflogenen Verhandlungen und das genannte Unternehmen überhaupt zu erstatten.

Dabei beschränken wir uns auf eine übersichtliche historische Darstellung der auf das Simplonunternehmen bezüglichen frühern Vorgänge, ohne auf alle Phasen, welche das Projekt in technischer Beziehung von seinen ersten Anfängen an bis zu der greifbaren Gestalt, in der es sich heute zeigt, durchlaufen hat, sowie auf alle dasselbe betreffenden Verhandlungen mit den interessierten Nachbarstaaten, und speciell Italien, des genauem einzugehen, dies schon aus dem naheliegenden Grunde, weil zu einer derart umfassenden Arbeit die verfügbare Zeitzeit nicht ausgereicht hätte. Die richtige Beurteilung der heutigen Sachlage erheischt auch keineswegs die genaue Kenntnis aller frühern Pro jekte, Vorgänge und Verhandlungen.

Vielmehr dürfte es sich um so eher rechtfertigen, mit Bezug auf die frühere Periode den Bericht etwas kürzer zu halten, als Ihnen regelBundesblatt 48. Jahrg. Bd. III.

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mäßig in den jährlichen Geschäftsberichten das Wesentliche über den Stand der Simplonangelegenheit zur Kenntnis gebracht und in den verschiedenen Botschaften betreffend Fristverlängerungen für das Teilstück Brig-italienische Grenze jeweilen auch nähere Angaben gemacht wurden. Über die neuern Verhandlungen dagegen, welche zum Abschluß des Staatsvertrages mit Italien führten, und insbesondere über das zur Ausführung reife, technisch bis in alle Einzelheiten gründlich vorbereitete und von uns genehmigte letzte Projekt für den zweiten Alpendurchstich in der Schweiz erachten wir uns zur Erteilung eingehenden Aufschlusses um so mehr für verpflichtet.

Anfänge. Gründung der Gesellschaften der Ligne d'Italie.

Erlöschen der alten Konzession. Neue Konzession. Gründung der Simplontaahngesellschaft.

Es würde zu weit führen, auf die ganze Entwicklung der Alpenbahnfrage in der Schweiz, mit welcher diejenige des Simplon im engen Zusammenhang steht, sowie auf die diesem letztern Durchstich geltenden Bestrebungen der Westschweiz zurückzugehen.

An folgende Hauptdaten mag indessen kurz erinnert werden.

Die erste Konzession für dio Linie Bouveret-Sitten datiert vom 22. Januar 1853 und wurde zu Händen einer französischen Gesellschaft erteilt. Am 4. Dezember 1854 folgte die Konzessionierung der Fortsetzung von Sitten bis an die sardinische Grenze, mit Ermächtigung, dieselbe nur bis Brig fortzuführen, und von Bouveret an die sardinische Grenze bei St. Gingolph. Nachdem dann die Linie von Bouveret bis Martigny am 14. Juli 1859, von Martigny bis Sitten am 10. Mai 1860 dem Betrieb übergeben worden war und inzwischen die erste Gesellschaft der Ligne d'Italie falliert hatte, wurde am 6./17. Februar 1866 vom Kanton Wallis zu Händen einer zweiten Gesellschaft der internationalen Ligne d'Italie eine neue, unterm 7. Juli und 23. November 1867 modifizierte Konzession für die sämtlichen erwähnten Linien erteilt, welche durch Bundesratsbeschluß vom 15. Mai 1868 die bundesseitige Genehmigung erhielt. Am 15. Oktober 1868 wurde noch die Teilstrecke Sitten-Siders eröffnet, während dagegen auf der Fortsetzung der Linie die bereits begonnenen Arbeiten infolge gänzlichen Mangels an Mitteln vollständig ins Stocken gerieten, ohne daß begründete Aussicht auf baldige Besserung der Lage der Gesellschaft vorhanden war. Im Hinblick hierauf und nach unbenutztem Ablauf der Vollendimgsfrist wurde durch Bundesratsbeschluß

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vom 19. September 1872 die Bundesgenehmigung der vom Kanton Wallis für die Linien Bouveret-Sitten und Sitten-italienische Grenze, beziehungsweise Brig, und Bouverot-St. Gingolph der Gesellschaft der Ligne d'Italie erteilten Konzession als erloschen erklärt und durch Beschluß vom 5. Mai 1873 die Versteigerung der bereits erstellten Teilstrecken und Bauten angeordnet. Nachdem ferner durch Bundesbeschluß vom 24. September 1873 eine neue Konzession für die aus den Teilstücken Bouveret-Siders (damals im Betrieb), SidersLeuk (in Angriff genommen, aber nicht vollendet), Leuk-Visp, Bouveret-St. Gingolph und Visp-Brig-italienische Grenze bestehende Ligne dTtalie festgestellt worden war, wurde diese Konzession durch Bundesratsbeschluß vom 22. April 1874 in Kraft gesetzt und der von der ,,Compagnie des chemins de fer de la Suisse occidentale10 und der ,,Société financière vaudoisca neu gegründeten .1Simplonbahngesellschafta übertragen.

Für die Erstellung des großen Tunnels (Brig-Grenze) wurde die Frist von der Bundesversammlung jeweilen auf Gesuch der Gesellschaft erstreckt.

Studien der Simplonbahngesellschaft (1873--1880).

Diese neue Gesellschaft nun ließ, neben dem ihr konzessionsgemäß zunächst obliegenden successiven Bau der Sektionen SidersLeuk, Leuk-Visp und ferner Visp-Brig, sowie dem weitern Ausbau der im Betrieb befindlichen Teilstrecke Bouveret-Siders, eingehende Studien über den großen Simplontunnel und die darauf bezüglichen Fragen machen, deren Resultat im Juni 1877 den Bundes- und kantonalen Behörden vorgelegt und auch der Öffentlichkeit übergeben wurde. Die Studien fanden in fachmännischen Kreisen im allgemeinen eine günstige Beurteilung.

Das bezügliche Material wurde ferner den Regierungen der mitinteressierten Nachbarstaaten, Frankreich und Italien, mitgeteilt und mit denselben Verhandlungen betreffend Subventionierung dos Werkes angeknüpft, von denen hiernach eingehender die Rede sein wird.

Schon mit Schreiben vom 2. Februar 1880 hatte dann die Direktion der Simplonbahn die Pläne betreffend den nördlichen Eingang des Tunnels vorgelegt und um die Bewilligung zum Beginn der Arbeiten nachgesucht, teils um, wie sie bemerkte, in geologischer Beziehung zu zuverlässigen Resultaten zu kommen, und andernteils, um der Vorschrift des Art. 6 der Konzession gerecht zu werden. Sie hat in dieser Eingabe auch darauf aufmerksam

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gemacht, daß sie nicht bloß mit dem bereits vollendeten Ausbau der Linie bis Brig mehr gethan habe, als wozu sie nach der Konzession verpflichtet gewesen wäre, sondern daß auf die Studien für die Tunnelanlage bereits etwa Fr. 130,000 verwendet worden seien, und die ganzen bisherigen Ausgaben für den in litt, e des Art. 6 vorbehaltenen Zweck (d. h. Bau der III. Sektion Visp-Brigitalienische Grenze) sich zur Zeit auf beinahe Fr. 900,000 belaufen.

Eine Plangenehmigung ist aber nicht ausgesprochen worden, weil wir davon ausgingen, daß zuvor das Programm des Tunnels mit Italien vereinbart sein müsse, und daß überdies von einer Bewilligung des Arbeitsbeginns nicht die Rede sein könne, bevor nicht ein zureichender Finanzausweis vorliege, dessen Leistung unzweifelhaft wieder von einer vorauszugehenden Verständigung zwischen den interessierten Staaten über die dem Unternehmen zu gewährenden finanziellen Unterstützungen abhängig sei.

Fusion der Simplonbahn- mit der Westbahngesellschaft. Neue Studien. Projekt von 1882.

Zufolge Vertrages vorn 26. März 1881 ging die bisherige Simplonbahngesellsehat't in der Westbahngesollschaft auf, welche demgemäß den Namen ,,Compagnie des chemins de fer de la Suisse Occidentale et du Simplona annahm. Ein Hauptzweck dieser Fusion, welcher die Bundesversammlung unterm 28. Juni 1881 die Genehmigung erteilte, bestand darin, den Simplondurchstich mit vereinten Kräften zu fördern und sie war nicht in letzter Linie dadurch veranlaßt, daß der Kanton Waadt seine Unterstützung des Unternehmens von einer engern Verbindung der beiden bisher getrennt operierenden Gesellschaften abhängig gemacht hatte.

Veranlaßt namentlich durch die im französischen Parlament gegenüber dem Simplonprqjekt erhobenen Einwendungen -- zu große Steigungen auf der südlichen Zufahrtsrampe und ungünstige Betriebsbedingungen der Zufahrtslinie durch den Jura von Dole nach Lausanne -- ordnete die neue Gesollschaft nach beiden Richtungen weitere Studien an.

Dieselben führten zu einem befriedigenden Ergebnis, das, eingehend und übersichtlich in einer Anzahl von Plänen und Berichten zusammengefaßt, unterm 8. März 1883 dem Bundesrate vorgelegt wurde (Projekt vom Jahr 1882, mit tiefliegendem Tunnel von 19,795 km. Länge). Mit dieser Vorlage war das Gesuch verbunden, diese Studien den Regierungen von Frankreich und Italien zur Kenntnis zu bringen und die Aufnahme internationaler Verhandlungen neuerdings vorzuschlagen.

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Als Nachtrag zu unterm 25. Juli 1883 logischen Verhältnisse richt der italienischen leitet wurde.

den neuen Plänen legte die Bahngesellschaft noch einen Expertenbericht über die geodes projektierten Tunnels vor, welcher .Beund französischen Regierung ebenfalls zuge-

Mitwirkung der Westkantone. Studien für ein billigeres Projekt mit hochgelegenem Tunnel. Expertise. Projekt 1886.

Subventionsbeschlüsse der Kantone und des Bundes. Sicherung der Mitwirkung des Privatkapitals.

Die Gesellschaft der westschweizerischen Bahnen und des Simplon arbeitete inzwischen unausgesetzt auf die Verwirklichung des Projektes hin und fand dabei die wertvolle und thatkräftige Unterstützung der Regierungen der am Unternehmen zunächst interessierten westschweizerischen Kantone Freiburg, Waadt und Wallis, sowie auch von Genf und Neuenburg.

Hatte im Jahr 1883 und früher bei den über den Simplondurchstich geführten Verhandlungen die Frage der Subventionierung des Unternehmens durch Italien und Frankreich im Vordergrund o gestanden und in mehr oder weniger ausgesprochener Weise don Angelpunkt der ganzen Angelegenheit gebildet, so gelang- es don vereinten Anstrengungen der Gesellschaft und der Kantouo, eine entschiedene Änderung der Sachlage herbeizuführen.

Die Schwierigkeiten, welchen die Finanzierung des Projektes von 1882 (mit Tunnel von rund 20 km. Länge) begegnete, veranlai.Uc die Interessenten, eine ökonomischere technische Lösung zu suchen, ohne indessen die Idee eines Durchstiches durch den Fuß des Gebirges, welcher einzig den an eine große internationale Linie zu stellenden Anforderungen genügen konnte, preiszugeben.

Zur Prüfung der verschiedenen zu diesem Behufe sowohl durch die Gesellschaft der westschweizerischen Bahnen und des Simplon selbst, als seitens ihr fremder Firmen und Persönlichkeiten aufgestellten Projekte wurde auf gemeinsamen Beschluß der Delogierten der beteiligten Kantone und der Bahngesellscliaft eine aus hervorragenden Fachmännern bestehende viergliedrige Expertenkommission niedergesetzt. In ihrem vom 17. November 188<> datierten, uns durch den Vorort der Simplonkantone übermittelten Bericht verwarfen die Experten alle vorgeschlagenen Specialsystemo (Seilbahnen zum Transport ganzer Züge u. dgl.) und anerkannten zwar als die unbestreitbar beste Lösung diejenige eines tiefgelegenen Tunnels von cirka 20 km. Länge nach dem Projekt von 1882,

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schlugen aber, nach einem von der Bahngosellschaft aufgestellten Projekt, einen 16 km. langen, hinsichtlich des Betriebes noch genügenden Tunnel vor, der, mit einer knieförmigen Biegung des Tracés nach der Mitte, oberhalb Brig auf Kote 820 (mit Beginn der Zufahrtslinie in Visp) seinen Anfang nehmen und noch auf Schweizergebiet, bei Gondo, Kote 830, cirka 600 m. von der Grenze ausmünden würde. Die Kosten des Tunnels veranschlagten die Experten auf Fr. 49,738,960 für eingeleisige Anlage und Fr. 58,(i09,ßOO für doppelspurige Anlage oder mit Zufahrtsrampen etc.

auf total Fr. 52,948,960 resp. Fr. 62,319,600.

Dieser Vorschlag wurde von der Bahngcsellschaft und den Simylonkantonen gutgeheißen und alsbald die Finanzierung des Projektes auf der neuen technischen Grundlage mit aller Energie an die Hand genommen.

Die Kantone Freiburg, Waadt und Wallis kamen in dieser Richtung zuerst entgegen, indem sie beschlossen, sich bei dem Unternehmen des Simplondurchstichs mit Subventionen im Gesamtbeträge von 7 Millionen Franken zu boteiligen, nämlich Freiburg mit 2, Waadt mit 4 und Wallis mit l Million.

Ferner wurde auf Gesuch dieser Kantone, denen sich auch Genf und Neuenburg, wenn auch ohne bestimmte Subventionszusagen, anschlössen, durch Bundesbeschluß vom 27. April 1887 von diesen Subventionsbeschlüssen Akt genommen und demgemäß anerkannt, daß die Kantone Freiburg, Waadt und Wallis, sowie diejenigen, welche sich allenfalls ferner mit Subventionen am Simplonunternehmon beteiligen werden, auf die im Art. 5 des Bundesgesetzes vom 22. August 1878 für eine Alpenbahn im Westen der Schweiz zugesicherte Subvention von 4 J /2 Millionen Franken, und zwar behufs Verwendung für das Unternehmen des Simplondurchstichs, berechtigt geworden seien. Dabei wurde die Festsetzung der nähern Bedingungen für die effektive Aushiubezahlung dieser Subvention im Sinne des Schlußsatzes des genannten Art. 5 bis nach Konstituierung und Organisation des Unternehmens vorbehalten.

Ferner leitete die Gesellschaft auch zur Beschaffung des neben den Subventionen für den Durchstich erforderlichen Privatkapitals Unterhandlungen ein, stellte die Grundlagen für ein bezügliches Finanzabkommen fest und gelangte bereits dazu, von einer Anzahl Bankhäuser bindende Zusicherungen zu erlangen. Ebenso wurden Verhandlungen mit Städten und Landesgegeuden, welche am Unternehmen in hervorragendem Maße beteiligt erschienen, angeknüpft, die mehr oder weniger bedeutende Subventionen in Aussicht stellten.

563 Stellungnahme Frankreichs zu dem Unternehmen. Verhandlungen zur Erlangung einer Subvention (1870--1887).

Das Projekt einer Durchtunnelung des Simplon hatte von jeher auch in Frankreich nicht bloß Interesse geweckt, sondern auch Freunde und Vertreter in parlamentarischen Kreisen gefunden.

Zum erstenmal wurde am 21. Juni 1870 im französischen gesetzgebenden Körper der Antrag auf Gewährung einer Subvention von 40 Millionen an den Simplondurchstich gestellt. Er blieb zwar infolge der bald darauf eintretenden großen politischen Ereignisse (Krieg mit Deutschland) zunächst resultatlos, wurde aber im Jahre 1873 wieder aufgenommen, unter Erhöhung der vorgeschlagenen Subvention auf 48 Millionen, und dann den beteiligten Ministerien zur Prüfung überwiesen. Auch der Generalrat des Seinedepartements sprach sich unter zwei Malen, im Jahre 1874 und 1876, durch förmliche Beschlüsse für die Unterstützung des Simplonunternehmens durch die französische Regierung aus.- Ebenso sahen sich wiederholt parlamentarische wie außerparlamentarische Kommissionen und Handelskammern veranlaßt, in ihren Berichten auf die große Bedeutung hinzuweisen, welche die Eröffnung eines großen Verkehrsweges durch den Simplon für die französischen Interessen habe.

Nachdem, wie oben erwähnt, in den siebziger Jahren von der Simplonbahngesellschaft eingehende Studien über den großen Tunnel gemacht und in Fachkreisen günstig beurteilt worden waren, handelte es sich dann vor allem darum, die nötigen Büttel für die AusführungO zu finden, in welcher Beziehung0 die Gesellschaft, wie 7 von vornherein klar erschien, auf bedeutende Subventionen der Schweiz sowohl, wie der mitinteressierten Nachbarländer, Italiens und ganz besonders Frankreichs, angewiesen war.

Mit einer ausführlichen, den Stand der ganzen Frage resümierenden Eingabe vom 4. April 1877 ersuchte die Simplongesellschaft den Bundesrat, unter Hinweis auf die dem Unternehmen eines Simplondurchstiches von jeher und in der letzten Zeit in Frankreich entgegengebrachten Sympathien, zunächst mit der französischen Regierung bezüglich Subventionicrung des Werkes in Verbindung zu treten und Verhandlungen, später eventuell unter Beiziehung auch Italiens, zum Zwecke der Sicherung des großen Werkes in Vorschlag zu bringen.

Die unter Mitteilung der vorhandenen Studien in diesem Sinne vom Bundesrate unternommenen wiederholten Schritte fanden aber wenig Entgegenkommen bei den sich folgenden französischen Mini}

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sterien und vermochten weder eine bestimmte offizielle Antwort, geschweige denn eine bindende Zusage erhältlich zu machen.

Die französische Regierung nahm besonders daran Anstoß, daß Italien die Leistung einer Subvention ablehne, und es wurde in der Folge unserem Gesandten auf seine Anfragen und Rechargen stets erklärt, daß die französische Regierung vor allem die Absichten Italiens kennen und ihre Stellungnahme von einer vorherigen Verständigung mit diesem Staate abhängig machen müsse.

Der Bundesrat erachtete es aber unter den gegebenen Verhältnissen und namentlich im Hinblick auf die bestimmte Erklärung Italiens vom Jahr 1877 (siehe Seite 566 hiernach) nicht für thunlich, seinerseits bei Italien Schritte zu thun, um die von französischer Seite gewünschte, der Gesellschaft gegenüber aber bestimmt abgelehnte Zusicherimg finanzieller Beihülfe an das Werk zu erwirken, sondern glaubte, ein darauf abzielendes Vorgehen der französischen Regierung selbst überlassen und letztere von dieser Auffassung verständigen zu sollen. Das französische Ministerium sah sich indessen nicht veranlaßt, mit Italien zu gedachtem Zwecke in Verbindung zu treten, und hielt an seiner bisherigen hinhaltenden Stellung fest, obwohl es einerseits der Bundesrat an Erinnerungen und Betonung des großen Wertes, den man schweizorischerseits auf baldige Eröffnung von Verhandlungen zur Erörterung und Regelung der Subventionsfrage lege, nicht fehlen ließ, wie anderseits auch die Gesellschaft im gleichen Sinne in maßgebenden politischen Kreisen zu wirken sich angelegen sein ließ.

Zwar wurde die Alpcnbahnfrage im französischen Parlament mehrfach zur Sprache gebracht und in der Deputiertenkammer im Herbst 1880 ein Antrag auf Subventionierung des Simplon mit 50 Millionen gestellt, dem aber von anderer Seite mit einem solchen auf Verschiebung jeder Beschlußfassung bis nach gründlichem Studium eines Mont Blanc-Durchstiches entgegengetreten wurde. Es war aber damit die Angelegenheit bloß insoweit in Fluß gebracht, als die Regierung sich ernstlicher mit dem Studium derselben zu befassen begann und eine Kommission zur Prüfung der Frage eines neuen Alpendurchstichs zwischen Mont Cenis und Gotthard niedergesetzt wurde. Deren im Jahre 1880 gestellter und begründeter Antrag auf Anordnung weiterer Studien über einen Alpendurchstich, und speciell
durch den Mont Blanc, hatte vorerst keine Schlußnahme zur Folge und fiel dann später infolge der Kammererneuerung ohne weiteres dahin. Die zahlreichen offiziellen Erinnerungen und Schritte, wie die Bemühungen der Gesellschaft blieben nach wie vor ohne positives Resultat.

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Den hauptsächlichen Aussetzungen, welche die genannte parlamentarische Kommission an dem vorliegenden Sirnplonprojekte machte -- zu große Steigungen auf der südlichen Zufahrtsrampc und ungünstige Betriebsbedingungen der Zufahrtslinie über den Jura, von Dole nach Lausanne -- suchte die S. 0. S. Rechnung zu tragen und die in beiden Richtungen vorgenommenen neuen Studien führten zu einem befriedigenden Ergebnis.

Auf Wunsch der Bahngesellschaft wurden die neuen Pläne und Berichte vom Jahr 1882 (denen später noch ein Expertenbericht über die geologischen Verhältnisse des projektierten Tunnels folgte) der Regierung der französischen Republik -- wie derjenigen von Italien -- übermittelt, mit dem Ersuchen, die Vorlagen /AI prüfen und sich über dieselben, sowie ferner darüber auszusprechen, welche Stellung sie gegenüber der eventuellen Ausführung des Simplonprojektes einzunehmen gedenke. Außerdem erhielt die Gesandtschaft den Auftrag, das Historische der Angelegenheit in einer schriftlichen Note zu resümieren und bei deren Übergabe mündlich zu eröffnen, daß der Bundesrat mit diesen Mitteilungen beabsichtige, dem Zusammentritt einer internationalen Konferenz zwischen den beteiligten Staaten den Weg zu ebnen, und diesfalls weitere Vorschläge folgen lassen werde, wenn er über die Ansichten der Regierungen von Frankreich und Italien unterrichtet sein werde.

Die französische Regierun» sowenigo als die italienische erÖ O teilte hierauf eine bestimmte Antwort.

In der Folge unterblieben unserseits weitere offizielle Schritte bei Frankreich und es kam eine Begrüßung desselben vollends nicht mehr in Frage, als inzwischen die Gesellschaft ihr Augenmerk einer ökonomischeren Lösung zugewendet und im Jahr 1887 ein bezügliches Projekt vorgelegt hatte, zu dessen Finanzierung auf eine Subvention Frankreichs nicht mehr reflektiert wurde. Als man später den Gedanken eines kürzern Tunnels in höherer Lage wieder aufgab und auf einen tiefliegenden langen Tunnel zurückkam, wurden im Hinblick auf die wenig entgegenkommende Haltung, welche die französische Regierung den vielfachen hierseitigen Vorstellungen und Bemühungen gegenüber konsequent beobachtet hatte, auch dannzumal Verhandlungen mit Frankreich nicht wieder aufgenommen, von denen man sich doch keinen Erfolg versprechen durfte.

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Die ersten Verhandlungen mit Italien (1876--1883).

Im Jahre 1876 ließ der Bundesrat durch die schweizerische Gesandtschaft in Rom dem italienischen Minister der öffentlichen Arbeiten zunächst ein Gesuch der Simplongesellschaft um Bewilligung von Tracéstudien auf der Südseite des Simplon, die auch unmittelbar darauf gewährt wurde, und wenig später ein eigentliches Konzessionsgesuch für die auf italienisches Gebiet entfallende Teilstrecke des projektierten Tunnels übermitteln. In diesem Gesuche wurde ferner die Zusicherung erbeten, daß Italien die nötigen Zufahrtslinien bauen werde, um den Simplontunnel mit dem italienischen Bahnnetz zu verbinden. Ferner wurde die Frage angeregt, ob eventuell die italienische Regierung geneigt wäre, statt einer direkten Subvention, der Gesellschaft eine bestimmte Beteiligung an dem auf der italienischen Zufahrtslinie infolge Eröffnung des großen Tunnels zu erzielenden Gewinn, oder aber besonders günstige Bedingungen für den Betrieb der italienischen Teilstrecke des Tunnels zu gewähren. Hierauf erteilte der italienische Minister der auswärtigen Angelegenheiten im Mai des folgenden Jahres (1877) die Antwort, einmal, daß seine Regierung im Prinzip nicht abgeneigt sei, wegen Erteilung der gewünschten Konzession Vorhandlungen mit der Gesellschaft zu eröffnen, unter der Voraussetzung jedoch, daß Italien an die Kosten c.es Tunneldurchbruchs nicht beitragen würde, und ferner, daß die Regierung sich nicht weigern würde, die Verpflichtung zur Fertigstellung der Zufahrtslinie zum Tunnel auf den Zeitpunkt der Vollendung desselben zu übernehmen. Außerdem könnte sie sich auch bereit finden, seiner Zeit einen direkten Tarif zu vereinbaren, der in seiner Wirkung dem Begehren der Gesellschaft entsprechen würde.

An diesem Standpunkte hielt die italienische Regierung, wie sich aus den folgenden Ausführungen ergeben wird, bei allen spätem Verhandlungen mit Konsequenz und großer Zähigkeit fest und er mußte schließlich hierorts, wenigstens der Hauptsache nach, im Staatsvertrag vom 25. November 1895 anerkannt -werden, wenn anders auf den Abschluß des letztern nicht verzichtet werden wollte.

Die Verhandlungen betreffend Konzessionserteilung für die Tunnelstrecke auf italienischem Gebiet, zu welchen sich die Regierung nicht abgeneigt erklärt hatte, fanden in den nächsten Jahren noch nicht
statt, sondern wurden erst anläßlich der letzten Konferenz zur Vereinbarung des Staatsvertrages wirklich ernsthaft an die Hand genommen und Anfang des laufenden Jahres zum Abschluß gebracht.

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Im Hinblick auf die angeführte Erklärung vom Mai 1877 beschränkten sich die hierseitigen Schritte bei der italienischen Regierung in den nächsten Jahren auf gelegentliche Orientierung über den Stand der Angelegenheit und Mitteilung der von der Bahngesellschaf't gemachten Studien, ohne die Subventionsfrago wieder zur Spruche zu bringen, was um so mehr angezeigt erschien, als im Jahr 1879 auf Vorschlag der Regierung das italienische Parlament die Simplonzufahrtslinie Gozzano-Domodossola in das allgemeine Projekt für Erstellung neuer Linien, und zwar unter diejenigen aufnahm, deren Kosten zu 9/io der Staat und zu '/JQ die Provinzen und Gemeinden zu tragen haben.

Für die im Jahr 1881 von der S. 0. S. veranlaßten neuen Studien erteilte die italienische Regierung für ihr Gebiet die nachgesuchte Bewilligung unter dem Vorbehalt, daß auf die beschlossenen Zufahrtslinien Rücksicht genommen werde und daß aus der Bewilligung nicht ein Vorrecht auf die eventuelle Konzession der Linie erwachsen dürfe.

Als im Jahr 1883 das auf Grund neuer Studien ausgearbeitete Projekt von 1882 dem Bundesrate mit dem Gesuch um Mitteilung desselben an die Regierungen von Frankreich und Italien und um Aufnahme internationaler Verhandlungen vorgelegt wurde, entsprach der Bundesrat diesem Ansuchen. Er ließ demgemäß die neuen Pläne und Berichte mit einer im gleichen Sinne lautenden Note und dem nämlichen Beifügen wie in Paris (siehe Seite 565 hiervor), so auch in Rom überaieben.

O Diese Schritte hatten aber, wie bereits auf Seite 565 hiervor erwähnt, keinen Erfolg, indem weder von der einen noch von der ändern Regierung eine offizielle Antwort erteilt wurde.

Portsetzung der Verhandlungen mit Italien. Technische Konferenz von 1887. Veranlassung neuer Studien.

Mit Aufstellung des ökonomischeren Projektes von 1886 war eine neue Kombination für Realisierung des Unternehmens geschaffen, die es ermöglichte, die seit 1883 abgebrochenen diplomatischen Verhandlungen mit Italien behufs Abschlusses eines internationalen Anschlußvertrages wieder aufzunehmen. Auf eine bezügliche Eingabe der S. 0. S. ließen wir der italienischen HoO o gierung mit Note der Gesandtschaft in Rom, vorn 18. Mai 1887, die seit dem erwähnten Zeitpunkte eingetretene Veränderung der Sachlage und den damaligen Stand des Simplouimternehmens zur

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Kenntnis bringen und derselben eine Anzahl der die Studien über das neue Projekt enthaltenden Dokumente übermitteln. Gleichzeitig wurde die italienische Regierung ersucht, sich über das neue Projekt auszusprechen, und unter Bezugnahme auf die früheren Zusagen vom 23. Mai 1877 (siehe oben) und insbesondere des Art. 13 des schweizerisch-italienischen Handelsvertrages 'vom Ì. Februar 1884 dem Wunsche Ausdruck verliehen, daß baldmöglichst die Verhandlungen zum Zwecke des Abschlusses eines dio Anschlußverhältnisse regelnden Staatsvertrages eröffnet werden möchten. Man hielt dafür, daß es nun vor allem auf die Regelung dieser technischen Fragen und ferner darauf ankomme, von Italien Garantien dafür zu erhalten, daß es, für den Fall der Realisierung des Unternehmens, auf den Zeitpunkt der Eröffnung des großen Tunnels die Zufahrtslinie bis Gondo erstellen werde, während die Frage einer Subventionsleistung durch Italien einstweilen in den Hintergrund treten konnte.

o Auf die erwähnte Mitteilung hin erklärte sich die italienische Regierung bereit, zwei italienische Ingenieure abzuordnen, welche in Verbindung mit den Delegierten der S. 0. S. von den bisherigen Studien und Arbeiten an Ort und Stelle Einsicht zu nehmen hätten, ohne daß indessen diese Mission offiziellen Charakter haben, sondern lediglich dazu dienen sollte, der Regierung vor allem aus über verschiedene technische Fragen Klarheit zu verschaffen.

Die vorgeschlagene Konferenz fand vom 5. bis 15. September 1887 in Domodossola und Lausanne statt und es wohnten derselben auf Wunsch des italienischen Delegierten auch Vertreter unseres Eisenbahndepartementes bei. Das Resultat der Verhandlungen über die verschiedenen Projekte, sowie über die Bau- und Betriebsverhältnisse wurde in einem vom 15. September datierten Protokolle niedergelegt. Als wesentlich ist hervorzuheben, daß von seiten des italienischen Delegierten als notwendige Bedingung bezeichnet wurde, daß die südliche Ausmündimg des Tunnels auf italienisches Gebiet verlegt werde.

Nachdem schon anläßlich der Konferenz vorläufige Varianten, welche durch galerieartige Verlängerung des Tunnels bezweckten, der vom italienischen Delegierten gestellten Bedingung gerecht zu werden, zur Erörterung gelangt waren, ermangelte die Bahngesellschaft nicht, hierüber ungesäumt die erforderlichen genauem Studien für ein eigentliches Projekt anzuordnen und durchzuführen.

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Bau- und Finanzvertrag der S. O. S. mit einem Finanzsyndikat.

Koch im nämlichen Jahre, unterm 1. Oktober 1887, schloß die Gesellschaft der westschweizerischen Bahnen und des Simplem mit einem aus französischen, schweizerischen und italienischen Bankfirmen gebildeten Syndikate einen Vertrag ab, in welchem das letztere den Bau des Tunnels und der Zufahrtslinien auf schweizerischem Gebiet à forfait um die Summe von 96 Millionen Franken (auf welchen Betrag die Gesamtkosten, einschließlich Bauzinsen, Verwaltungskosten etc. veranschlagt wurden) übernahm und gleichzeitig das über die vorgesehenen 30 Millionen Subventionen und 30 Millionen Obligationen hinaus erforderliche Baukapital von 3(5 Millionen Franken unter gewissen Bedingungen zu beschaffen sich verpflichtete. In einer spätem Konvention vom 12. November 1887 wurden die aus diesem ersten Vertrag resultierenden gegenseitigen Verpflichtungen noch näher präcisiert und zum Teil modifiziert, ferner auch ein detailliertes Pflichtenheft für den Bau aufgestellt.

Ebenso gelang es der Bahngesellschaft, die Übernahme des Obligationeukapitals zu sichern. Diese neue Kombination brachte es notwendig mit sich, auch wieder auf eine finanzielle Beihülfe Italiens, und zwar von 15 Millionen Franken, und außerdem auf die Erstellung der südlichen Zufahrtslinien von Domodossola bis Gondo und von Arona nach Ornavasso durch den italienischen Staat rechnen zu müssen. Das übrige Baukapital von Fr. 81,000,000 konnte durch die schweizerischerseits zugesicherten Subventionen des Bundes, der Kantone, von Städten, Gemeinden und Landesgegenden, Gesellschaften, sowie durch die vertragliche Verpflichtung des Syndikates als gesichert betrachtet werden.

Fortsetzung der Verhandlungen mit Italien. Internationale Konferenz Tom Jahr 1889 (Tracefrage).

Damit erschienen, abgesehen von der italienischerseits beizustellenden Subvention, die programmgemäßen finanziellen Mittel gesichert und die Vorarbeiten so weit gediehen, daß internationale Verhandlungen mit Erfolg gepflogen werden konnton. Wir ließen daher, gemäß unserem Beschlüsse vom 24. Februar 1888, die italienische Regierung, in Entsprechung eines bezüglichen Gesuches der S. 0. S., unter Übermittlung der bezüglichen Aktenstücke, namentlich der mit dem Banksyndikate abgeschlossenen Verträge, über den Stand der Angelegenheit und speciell über die finanzielle Seite neuerdings eingehend unterrichten und ihr für Anfang April 1888 eine Konferenz in Vorschlag bringen zum Zwecke der Ver-

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eiübarung eines die gegenseitigen Verhältnisse der beiden Staaten bei der Erstellung des gemeinsamen Werkes regelnden Vertrages.

Auf diese Einladung erteilte aber die italienische Regierung zunächst keine Antwort.

Mit Note unserer Gesandtschaft in Rom. vom 25. April 1888 brachten wir sodann der italienischen Regierung auch das unter Berücksichtigung des bei der technischen Konferenz vom Jahre 1887 geäußerten Wunsches des italienischen Delegierten von der S. 0. S. ausgearbeitete modifizierte Projekt (Verlängerung des Tunnels nach Projekt 1886 und Ausrnündung auf italienischem Gebiet, cirka 240 m. von der Grenze entfernt) zur Kenntnis, nachdem wir dasselbe, um unserseits dazu Stellung zu nehmen, einer nähern Prüfung, namentlich auch vom Gesichtspunkt der militärischen Interessen aus, unterzogen hatten.

Wiederholt ließen wir durch die Gesandlschaft in Rom unscrn Vorschlag zur Eröffnung von Vertragsvorhandlungen in Erinnerung bringen, und die Bahngesellschaft verfehlte nicht, durch offiziöse Schritte ihrer Delegierton das hierseitige Vorgehen zu unterstützen, indem sie sich namentlich auch mit den dem Unternehmen sympathischen Handelskreisen (Handelskammern etc.) in Mailand und Genua in VerbindungO setzte.

Aber erst unterm 29. April 1889 erklärte sich die italienische Regierung zu Verhandlungen und zur Beschickung;O der vorgeO O o o schlageneri Konferenz bereit.

Nach einem weitern Notenwechsel bezüglich des Ortes und der Zeit der Abhaltung fand dann die Konferenz in den ersten Tagen Juli 1889 in Bern statt.

Sie befaßte sich hauptsächlich mit der Frage, welches der von der Bahngesellschaft studierten Tunneltraces vorzuziehen sei.

Während die schweizerischen Delegierten, vornehmlich aus Ersparnisrücksichten, aber auch aus ändern Gründen, welche die Verlegung des Tunnels ganz auf Schwcizergebiet wünschbar erscheinen ließen, dem Projekt von 1886 (mit 16,o?o km. langem, kniefürmig gebogenem Tunnel) den Vorzug gaben, bezeichnete die italienische Delegation von vornherein und a.uch nach eingeholter neuer Instruktion ihrer Regierung jedes Projekt, welches den Tunnel zum größten Teile auf Schweizergebiet verlege, für unannehmbar.

Sie lehnte also sowohl das Projekt von 1886 als die Modifikation desselben von 1887 und eine während der Verhandlungen dazu vorgeschlagene Variante ab und erklärte, daß die italienische Regierung nur ein Tunneltracé acceptieren könne, welches einen großen Teil der Entwicklung auf italienisches Gebiet und demgemäß

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den südlichen Tunnelausgang auf eine beträchtliche Entfernung von der italienisch-schweizerischen Grenze verlege ; demgemäß könnte das Tracé von 1882 von der italienischen Regierung acceptiert werden, jedoch würde sie auch ein anderes gleichwertiges und den erwähnten Bedingungen genügendes annehmen, wenn die 8. 0. S.

es für angemessen erachten sollte, ein solches studieren zu lassen und seiner Zeit vorzulegen. Mit Bezug auf die Leistungen Italiens und seine Mitwirkung bei dem Bau des Simplontunnels glaubte die italienische Regierung, wie die Delegation ferner vorbrachte, sich dermalen noch nicht aussprechen zu sollen, sondern behielt sich eine bezügliche Erklärung auf den Zeitpunkt vor, wo die Tracéfrage im Einverständnis der beiden beteiligten Staaten definitiv gelöst sein werde.

Hierauf erwiderte die schweizerische Delegation, daß sie erst im Falle sein werde, sich über die Annahme eines südlich auf italienischem Gebiete ausmündenden Tunnels auszusprocheu, wenn sie die finanzielle Beteiligung Italiens kennen werde. Um aber doch die Angelegenheit um einen Schritt vorwärts zu bringen, wurde schweizerischerseits die Bestellung von technischen Experten beider Staaten vorgeschlagen, zur kontradiktorischen Prüfung dos von der italienischen Regierung verlangten Tracés und zur Aufstellung der für Festsetzung eines Finanzplanes nötigen Kostenvoranschläge.

Die italienischen Delegierten erachteten sich zu einer Antwort auf diesen Vorschlag nicht für ermächtigt, verpflichteten sich aber, denselben ihrer Regierung mitzuteilen, worauf sich die Konferenz trennte.

Da eine Antwort ausblieb, so sahen wir uns veranlaßt, der italienischen Regierung Ende August 1889 die Angelegenheit in Erinnerung zu bringen und dann durch Notenwechsel die Unterhandlungen fortzusetzen, in deren Verlauf aber die italienische Regierung unsern Vorschlag bestimmt ablehnte, mit der Begründung, ihre Aktionsfreiheit in der Simplonfrage nicht durch Teilnahme an einer Maßnahme präjudizieren zu wollen, welche den Schein erwecken könnte, als beabsichtige sie, ihrerseits auch nur eine rein moralische Verpflichtung einzugehen. Selbstverständlich ließen 1 wir uns angelegen sein, die Grundlosigkeit dieser Befürchtung und die völlige Unverfänglichkeit und Zweckmäßigkeit unter den gegebenen Verhältnissen des beantragten Vorgehens darthun zu
lassen. Allein die italienische Regierung blieb auch gegenüber den daherigen Versicherungen, daß mit der Prüfung der Tracéfrage den spätem definitiven Entschließungen der Staaten in keiner Weise präjudiziert

sein solle, bei ihrer Ablehnung, da sie nicht über ihre f r ü h e r e n Zusagen hinauszugehen wünsche. In der betreffenden Noie, vom 18. Februar 1890, war allerdings beigefügt, daß im übrigen die Schweiz nicht gehindert sei, die gewünschten Tracéstudien von sich aus vorzunehmen, auch ohne Mitwirkung der italienischen Regierung, welche hoffe, durch ihre Ablehnung die verdienstvolle Initiative der Schweiz in dieser wichtigen Frage in keiner Weise zu beeinträchtigen.

Expertise (Thommen) über 1886er Projekt im Jahr 1889. Hinfall des Bau- und Finanzvertrages. Fusion der S. O. S. und J. B. L.

Während diese Verhandlungen mit Italien im Gange waren, ließ unser Eisenbahndepartement von einem anerkannten inländischen Fachmann ein Gutachten über den mutmaßlichen Ertrag einer Simplonbahn, beziehungsweise die finanziellen Folgen, welche sich für die bestehende Gesellschaft aus dem Bau und Betriebe des Simplontunnels ergeben würden, wie auch über die Baukosten ausarbeiten, und betraute ferner einen ausländischen Techniker von hervorragendem Ruf -- Herr Oberbaurat Thommen in Wien -- mit der Begutachtung der Kostenberechnungen für die verschiedenen Tunnelprojekte. In dem vom 28. Oktober 1889 datierten, höchst wertvollen Berichte sprach sich der Experte nicht bloß über die Voranschläge aus, sondern erörterte im weitern auch die verschiedenen Projekte als solche, die Tunneltracés und die Prinzipien der Kostenberechnungen für so große Tunnelbauten in ausführlicher Weise.

Hier ist auch zu erwähnen, daß den weiter oben erwähnten Abmachungen der Bahngesellschaft, welche gleichzeitig die Beschaffung der nötigen finanziellen Mittel und die Übernahme der Bauausführung des großen Tunnels zu sichern bezweckten, keine weitere Folge gegeben werden konnte, weil sich einige bei dem Banksyndikate beteiligte ausländische Finanzetablissemente (infolge Falliments) zurückzogen.

Dagegen tauchte ein anderes Projekt auf, um dem Simplonunternehmen eine breitere Grundlage zu geben, eine größere Summe von Interessen zu vereinigen und so die auf Beschaffung der nötigen Mittel gerichteten Finanzkombinationen zu erleichtern, nämlich die Fusion der beiden Gesellschaften der S. 0. S. und der J.-B.-L. Die Realisierung des Projektes gelang, und die eidgenössischen Räte erteilten durch Beschluß vom 19. Dezember 1889 der Übertragung der Konzessionen auf die neue Gesellschaft der Jura-Simplon-Bahn die Genehmigung.

573 Im Fusionsvertrage wurde ausdrücklich die Wichtigkeit der Verbindung mit Italien durch den Simplon anerkannt, und es ging die neue Gesellschaft, um in dieser Beziehung den Kantonen, welche für den Simplondurchstich Subventionen bewilligt haben, ein Pfand zu geben, gegenüber diesen Kantonen, und zwar gegenüber jedem für sich, die förmliche Verpflichtung ein, zur Ausführung dieses Werkes (Simplontunnel nebst nördlicher Zufahrtslinie) zu schreiten, sobald die Bedingungen des Anschlusses und Betriebes der neuen Linie zwischen der Schweiz und Italien festgesetzt und Subventionen für den Tunnel im Gesamtbetrage von wenigstens 30 Millionen Franken beigebracht sein werden. In den begleitenden Berichten der fusionierenden Gesellschaften wurde noch besonders betont, daß zwar das Tracé zwischen der Schweiz und Italien noch nicht definitiv festgesetzt, daß aber bestimmt anzunehmen sei, daß der große Tunnel von 19 bis 20 km. gebaut werden müsse, so daß man mit dieser Voraussetzung nicht zu rechnen haben werde.

Unter Bezugnahme hierauf brachte dann die Jura-Simplon-Bahn mit Eingabe an den Bundesrat vom 3. Februar 1890 an, daß mit Annahme des von Italien verlangten tiefliegenden Tunnels von cirka 20 km. Länge seitens der fusionierten Gesellschaft, und zwar ohne Inaussichtnahme einer Erhöhung der Italien zugemuteten Subvention (15 Millionen Franken), die Tracéfrage, über welche man sich bei der letzten Konferenz und seither nicht zu einigen vermochte, als erledigt zu betrachten sei, und wünschte, daß nach nunmehrigem Definitivwerden der Fusion von den Erklärungen der neuen Gesellschaft der italienischen Regierung Kenntnis gegeben werde, damit auf der neuen Grundlage die Verhandlungen mit ihr wieder aufgenommen werden könnten.

Grundsätzliche Feststellung des Tracés durch den Bundesrat.

Neue Studien der J. S. B. Projekt von 1891. Expertise.

Konferenz mit den interessierten Kantonen.

Das soeben genannte Gesuch der Bahngesellschaft und die oben erwähnte Antwort der italienischen Regierung, vom 18. Februar 1890, gab uns neuerdings Veranlassung, uns mit der Angelegenheit zu befassen, um der veränderten Sachlage gegenüber Stellung zu nehmen.

Dabei war es vor allem einleuchtend, daß nach der kategorisch lautenden Erklärung der italienischen Regierung der Vorschlag einer g e m e i n s a m e n Feststellung des Tracés als abgethan Bundeablatt. 48. Jahrg.

Bd. III.

38

574 betrachtet werden mußte und die Unterhandlungen mit Italien erst später, auf einer ändern Grundlage, wieder aufgenommen werden konnten. Als solche anerkannten wir mit dem Eisenbahndepartement, daß die Schweiz im stände sein müsse, ein fertiges Projekt für den Simplonübergang und eine darauf begründete Kostenberechnung vorzulegen. Auf einer solchen Basis hatte die italienische Regierung Unterhandlungen nicht abgelehnt, und es ging aus den unserm Gesandten in Rom gemachten mündlichen Mitteilungen im Gegenteil hervor, daß die Weigerung Italiens, am Tracéstudium teilzunehmen, keine unbedingte Ablehnung jeder Beteiligung am Simplonunternehmcn bedeuten sollte, indem man später immer noch darauf zurückkommen könne.

Bevor wir aber der Bahngesellschaft die Bedingung zur Wiederanknüpfimg der Verhandlungen mit Italien, nämlich die Ausarbeitung definitiver Ausführungspläne und Voranschläge mitteilen und sie zu deren Erfüllung veranlassen konnten, handelte es sich darum, unserseits grundsätzlich über die Tracéfrage, und zwar speciell darüber, ob der hochgelegene Tunnel nach Projekt von 1886 oder der tiefgelegene nach Projekt von 1882 ins Auge zu fassen sei, uns schlüssig zu machen.

Nachdem uns über diese Frage das Eisenhahndepartement, gestützt namentlich auf die Resultate der sehr gründlichen letzten Expertise, ferner das Militärdepartement vom Standpunkt der militärischen und das Zolldepartement von demjenigen der zolldienstlichen Interessen aus, wie auch das Departement des Auswärtigen einläßlich Bericht erstattet hatten, entschieden wir uns, durch Beschluß vom 14. April 1890, einer tiefgelegenen Tunnelanlage aus den vom Eisenbahndepartement vorgebrachten Gründen bau- und betriebstechnischer Natur den Vorzug zu geben, womit dann zugleich den von Italien wiederholt gestellten Begehren (Konferenzen von 1887 und 1889) entsprochen war. Domgemäß erklärten wir uns der Jura-Simplon-ßahn gegenüber bereit, die Verhandlungen mit der italienischen Regierung über die Erstellung des Simplontunnels mit der in dem Projekt vom Jahre 1882 angenommenen Höhenlage fortzusetzen, indem wir die Direktion der Bahngesellschaft gleichzeitig einluden, uns mit möglichster Beförderung definitive Baupläne für den Tunnelbau und die Zufahrten vorzulegen und über die mutmaßlichen Kosten des Baues eine genaue Berechnung aufzustellen,
welcher ein Plan über die Beschaffung der Geldmittel beizulegen sei.

Der italienischen Regierung sodann ließen wir mitteilen, der Bundesrat sei bereit, auf die von ihr zuletzt ausgesprochene An-

575 schauung einzugehen, und werde deshalb ungesäumt von sich aus die Ausarbeitung von definitiven Plänen für den Bau des Simplontunnels anordnen und dieselben seiner Zeit der Regierung von Italien zum Zwecke der Fortsetzung der Unterhandlungen über die alsdann noch zu beordnendcn Fragen vorlegen.

l)ie Direktion der Jura-Si m pio n-B ahn leistete der an sie gerichteten Einladung ohne Zögern Folge, und war schon im Juli 1891 in der Lage, definitive Baupläne für einen tiefliegenden Tunnel von 19,73i krn. Länge, begleitet von einem einläßlichen technischen Bericht und Kostenvoranschlag, nebst einem Finanzplan über die Bechaffung der zum Bau erforderlichen Geldmittel uns vorzulegen.

Auch über dieses Projekt (1891) und den darauf basierenden Kostenvoranschlag sah sich das Eisenbahndeparternent veranlaßt, ein fachmännisches Gutachten einzuholen, das vom 30. Oktober 1891 datiert und der BahngeselJschaf't mitgeteilt wurde.

Ferner glaubten wir, mit dem neuen Projekt auch die Regierungen der Kantone, welche sich zu Subventionen an den Simploudurchstich verpflichtet hatten, offiziell bekannt machen und denselben zum Meinungsaustausch, sowie zur Geltendmachung allfälliger Begehren bezüglich des Tunnelbaues oder der bevorstehenden Unterhandlungen mit Italien, in einer gemeinsamen Konferenz mit der Balmdirektion Gelegenheit geben zu sollen. Die Konferenz fand am 11. November 1891 statt und es stellten bei diesem Anlasse die Kantonsvertreter keine bestimmten Anträge, sondern erklärten übereinstimmend, dorn Bundesrate die Veranlassung der zur Förderung des Werkes dienlichen Schritte in der ihm geeignet scheinenden Weise anheimzustcllen.

Neue Studien der J. S. B. Konkurrenzprojekt Masson.

Auf die Mitteilung der Bemerkungen und Ausstellungen der letzterwähnten Expertise (vom 30. Oktober 1891) setzte die Direktion der Jura-Simplon-Bahn ihre Studien über das Projekt fort und knüpfte insbesondere auch mit Unternehmern Verbindungen an.

Es mag hier erwähnt werden, daß unterm 9./10. September 1892 von Seiten eines Privaten ein Konzessionsgesuch für ein« andere Überschienung des Simplon eingereicht wurde, welches au Stelle des langen, tiefliegenden Tunnels einen Übergang mittelst gemischten Systems (streckenweise Zahnstange) und nur einen relativ kurzen Tunnel (von cirka 8 km. Länge) in der ubera Partie vorsah. Nach der eigenen Angabe des Gesuchstellers sollte aber sein

576 Projekt nur als Ersatz für dasjenige der Jura-Simplon-Bahn dienen und nur dann zur Ausführung gelangen, wenn das ältere, größere an der Unmöglichkeit der Finanzierung definitiv oder einstweilen scheitern würde. Der Eingabe wurde daher bei den günstigen Aussichten des Projektes der Jura-Simplon-ßahn im Einverständnis des Potenten zunächst und auch seither keine Folge gegeben.

Projekt vom Jahr 1893. A forfait-Bauvertrag mit einer Unternehmergruppe vom gleichen Jahr.

Als Ergebnis der weitern Verfolgung der Angelegenheit reichte die Direktion der Jura-Simplon-Bahn am 24. Oktober 1893 ein neues Projekt für den Tunnel ein, begleitet von einem mit einer Gruppe leistungsfähiger Unternehmer unterm 20. September 1893 abgeschlossenen à forfait-Vertrag über die Ausführung des großen Tunnels mit allen zudienenden Anlagen. Die auf das Projekt bezügliche Vorlage bestand aus Übersichtskarte des Tracés (Maßstal) l : 25,000), Längenprofil, Normalprottlen, Plänen für das nördliche und südliche Tunnelportal, die Nischen und Kammern, und Profil des Richtstollens, wozu etwas später noch ein geologisches Profil des Simplon in der Tunnelachse kam. Dem à forfait-Vertrag waren beigegeben ein Pflichtenheft über die Ausführung des Tunnels, ein allgemeines Programm für die Ausführung der Arbeiten und eine Preisaufstellung für Berechnung der monatlichen Zahlungen. Die unter der Firma ,,Brandt, Brandau
Mit der Vorlage war das Gesuch verbunden, es möchte der Bundesrat gemäß seiner Schlußnahme vom 14. April 1890 die Pläne und Projekte der Regierung von' Italien mitteilen, behufs Wiederaufnahme der im Juli 1889 in Bern eröffneten Verhandlungen.

Zur Erlangung weiter notwendig erscheinender Aufschlüsse über das neue, im allgemeinen nicht sehr wesentlich von demjenigen aus dem Jahre 1891 abweichende Projekt und zur Erörterung der Punkte, in welchen es noch einer weitern Prüfung bedürftig erschien, sowie zur Besprechung des weitern Vorgehens fand, nach erfolgter vorläufiger Prüfung der Vorlagen durch das Eisenbahndepartement, zwischen diesem und der Bahndirektion im Dezember 1893 eine Konferenz statt, zu welcher auch Vertreter der Unternehmer beigezogen wurden. Die Besprechung brachte in technischer Hinsicht viele interessante Aufschlüsse.

577

Über das Projekt selbst und den à forfait-Vertrag lassen wir hier einige nähere Angaben folgen, indem wir uns im übrigen gestatten, auf die Ihnen mit diesem Bericht zugehende ausführliche Darstellung des Projektes von 1893 (I. Allgemeine Darstellung i II. Bauausführung; III. Ventilation im Bahnbetriebe) und die beigegebenen Pläne (Tracékarte, Längenprofil, Normalprotüe, geologisches Profil, Plan der Installationen in Brig, Profil des Richtstollens, allgemeine Anordnung der unterirdischen Arbeitsstellen, graphische Darstellung der Lüftungsbedingungen) zu verweisen, welche Akten allen wünschbaren nähern Aufschluß über dieses letzte Projekt geben.

Nach demselben durchzieht der Tunnel in einer Länge von 19,73i km. und -- abgesehen von den Anschlußkurven an beiden Mündungen -- in gerader Linie das Gebirge zwischen Rhone- und Diveriathal. Das Nordportal des Tunnels im Rhonethal ist cirka 2,5 km. oberhalb der jetzigen Station Brig projektiert, das Siidportal cirka 750 m. thalabwärts der italienischen Ortschaft Iselle.

Die Landesgrenze wird im Tunnel bei km. 9,ioo vom Nordportal geschnitten, so daß etwas mehr als die Hälfte der Tunnellänge auf italienisches Gebiet entfallt. Die Bahn liegt am Nordportal auf der Höhe von 687 m. ü. M., am Südportal auf derjenigen von 634 m.

Da der nördlichen Tunnelhälfte für den Ablauf des Wassers wenigstens ein Gefäll von 2 °/oo gegeben werden muß, so ergiebt sich die Bahnhöhe in der Tunnelmitte zu 705,2 m. und somit für die südliche Tunnelhälfte ein Gefäll von 7 0/00.

Für die Ausführung sind zwei Perioden unterschieden : In der ersten Periode würde ein einspuriger Tunnel und gleichzeitig in einem Abstand von 1 7 m . (von Achse zu Achse) davon ein Parallelstollen ausgeführt.

Der Tunnel erhält eine Lichtweite von 4,so m. auf Schwellenhöhe und von 5 m. bei 2 m. Höhe über den Schwellen. Die lichte Höhe des Tunnels bis zum Scheitel beträgt 5,so m. und die Fläche des Lichtraumes 23.20 m 2 . Für den Parallelstollen ist ein Lichtraum von 8 m 2 vorgesehen. Tunnel und Parallelstollen sollen alle 200 m. durch Querstollen verbunden werden. Der Stollen wird während des Baues als Ventilationsrohr und zur Ableitung der Tunnelwässer benützt und es sollen darin auch die zum Baubetrieb erforderlichen Wasserleitungen Aufnahme finden. Äußerst wertvolle Dienste wird er sodann der Förderung leisten, indem die Wagen durch denselben einfahren und durch den Tunnel ausfahren können, wodurch Verkehrshemmungen vermieden werden.

578 Für die erste Periode ist eine Bauzeit von 5 V 2 Jahren vorgesehen. Um die Leistungsfähigkeit des einspurigen Tunnels zu erhöhen, soll in der Mitte desselben ein Ausweichgeleise erstellt werden, um das Kreuzen von Zügen zu ermöglichen.

Die zweite Bauperiode wird eintreten, sobald der eine einspurige Tunnel für den Verkehr nicht mehr geniigen sollte. Es würde alsdann der oben erwähnte Parallelstollen ebenfalls zu einem einspurigen Tunnel ausgeweitet, wofür eine Bauzeit von 4 Jahren in Anschlag gebracht ist.

Nach Vollendung des zweiten Tunnels würden alsdann die Züge Nord-Süd den östlichen Tunnel und die Züge umgekehrter Richtung den westlichen Tunnel befahren.

Für die Ventilation der Tunnel und Stollen während des .Baues und für die Abkühlung der Luft in denselben sind außerordentliche Vorkehren in Aussicht genommen. Mächtige Ventilatoren, vor den Tunnelmündungen aufgestellt, sollen, auf jeder Seite 50 m 3 Luft per Sekunde in den Parali olstollen (I. Bauperiodc) einblasen, welche Luft jeweilen durch den hintersten Querstollen in den Tunnel eintritt und den Weg ins Freie suchend die Arbeitsstollen lüften wird.

Es wird sodann eine eigene Kühlwasserleitung unter hohem Druck angelegt, aus welcher mittelst Wasserzerstäuber an den dazu notwenigen Stellen des Tunnels die Luft abgekühlt werden kann.

In der zweiten Bauperiode, da der Tunnel l im Betrieb und der Parallelstollen in Ausweitung begriffen ist, wird Luft von einer Seite in den Tunnel, von der ändern Seite in den Stollen geblasen.

Den angedeuteten Vorkehren für Ventilation und Kühlung entsprechend, sowie für den Arbeitsbetrieb im Tunnel, beziehungsweise Stollen (Bohrung, Schutterung etc.), sind denn auch umfangreiche Installationen vorgesehen, welchen bedeutende Wasserkräfte zugeführt werden sollen. Die Installationen, welche zur Kühlung und Lüftung während des Baues dienen, sollen auch für die Ventilation, eventuell Kühlung während des Bahnbetriebes verwendet worden, nachdem die Gesellschaft die künstliche Ventilation des Tunnels von Anfang an in ihr Programm aufgenommen hat.

Was die Kosten der Tunnelanlaa;e anbetrifft,/ so enthält der O à forfait-Vertrag mit der Unternehmung Brandt, Brandau & Ciò.

folgende Posten : 1. Für alle Installationen auf der Nord- und Südseite des Tunnels (u. a. Herstellung der Plätze und Zufahrten, die Wassergewinnung, die Wasserleitungen, die Maschinen, Ventilatoren,

579

Kompressoren, Dynamos, Lokomotiven und Bau, elektrische Beleuchtimg etc.) à forfait 2. Für den ersten Tunnel samt Ausweichung in der Mitte, Beschotterung, Legen des Geleises (nicht Inbegriffen das Material hierzu"), Absteckung des Tunnels und Ausführung des Richtstollens für den zweiten Tunnel, sowie der Querstellen Das Guthaben der Unternehmung für die erste Bauperiode wird demnach betragen . . . .

Dazu hat die Gesellschaft zu leisten an : 1. Expropriationen . . . . F r . 310,000 2. Nördliche Zufahrtslinie, inkl.

Bahnhof Brig ,, 1,900,000 3. Korrektion der Rhone . . ,, ' 220,000 4. Oberbaumaterial für den ersten Tunnel . . . . ,, 640,000 5. Allgemeine Kosten . . . ,, 1,250,000 Zusammen Mithin total für den einspurigen Tunnel samt Parallelstollen

Wagen für den Fr. 7,000,000

,,

47,500,000

F r . 54,500,000

,,

4,320,000

Fr. 58,820,000

Für die Ausweitung und Mauerung des zweiten Tunnels erhält die Unternehmung à forfait Fr. 15,000,000 Dazu von der Bahnverwaltung zu leisten für : 1. Beschotterung und Geleise ,, 878,000 2. Allgemeine Kosten ,, 342,000 Zusammen für die zweite Periode Hierzu die Kosten der ersten Periode Giebt Totalkosten der zwei einspurigen Tunnel samt nördlicher Zufahrt, Bahnhof Brig etc., nicht Inbegriffen die Bauzinsen

Fr. 16,220,000 ,, 58,820,000

Fr. 75,040,000

Expertise Colombo, Fox und Wagner vom Jahr 1894. Vorläufige Mitteilung an Italien. Grundsätzliche Genehmigung des 1893er Projektes durch den Bundesrat.

Der Bundesrat faßte dann unterm 2. Februar 1894, auf einen bezüglichen Berieht und Antrag des Eisenbahndepartements, den

580

Beschluß, die neuen technischen Vorlagen, bevor er dazu Stellung nahm, einer gründlichen fachmännischen Prüfung zu unterwerfen, und zwar von sich aus, nur im Benehmen mit der Bahngesellschaft, aber ohne Begrüßung der italienischen Regierung, wie jene vorgeschlagen hatte, da er sich im Hinblick auf die bestimmt ablehnende Haltung, welche Italien vorher bezüglich der vorgeschlagenen Expertise zur Feststellung des Tracés eingenommen hatte, einmal von einem solchen Schritte keinen Erfolg versprechen konnte und dann auch nicht einer nochmaligen Ablehnung aussetzen durfte.

Es schloß das indessen nicht aus, der italienischen Regierung das neue Projekt in seinen allgemeinen Darstellungen schon damals zur vorläufigen Kenntnisnahme zu übermitteln, mit dem Beifügen, daß dasselbe hierorts noch einer Expertise unterstellt werde, die der Bundesrat von sich aus glaube anordnen zu sollen, nachdem Italien seiner Zeit seine Mitwirkung zu einer solchen abgelehnt hatte.

In der in diesem Sinne an das italienische Ministerium erlassenen Note vom 15. Februar 1894 wurde im weitern die Annahme ausgesprochen, daß das neue Projekt in Bezug auf das Tracé den dortseitigen Anforderungen entsprechen werde, und die Regierung ersucht, sich hierüber ohne Präjudiz für die spätem Verhandlungen betreffend die Projektausführung in bestimmter Weise zu erklären.

Die Antwort des italienischen Ministers der auswärtigen Angelegenheiten vom 19. März gl. Js. war eine sehr reservierte und beschränkte sich auf eine Empfangsanzeige, mit dem Beifügen, der Bautenminister habe zwar mit Interesse von dem neuen Projekt Kenntnis genommen, bedaure aber mit Bezug auf die von ihm gewünschte Gutheißung desselben von der Zurückhaltung nicht abgehen zu können, welche sich die königliche Regierung anläßlich der frühern Mitteilungen ähnlicher Art betreffend diesen Gegenstand auferlegte. Im übrigen würden die weitern Mitteilungen des Bundesrates gcwärtigt.

Aus Mitteilungen unserer Gesandtschaft in Rom ging indessen hervor, daß, wenn auch Italien jede Initiative in der Frage ablehnte, es doch voraussichtlieh, wenn das Werk einmal gesichert sei, mit Rücksicht auf die bedeutenden dabei beteiligten italienischen Interessen, die Mittel für Erstellung der Zufahrtslinie finden werde.

Auch dürfte die Beiziehung eines italienischen Ingenieurs zu der vom Bundesrate anzuordnenden Expertise für Italien in Bezug auf die technische Frage genügende Garantie bieten.

581

Nachdem inzwischen die Direktion der Jura-Simplon-Bahn die von ihr verlangten Ergänzungen zu den Plänen und Akten noch beigebracht hatte und das Programm für die Expertise vom Eisenbahndepartement, im Einverständnis mit der Bahndirektion, festgestellt und von uns gutgeheißen worden war, betrauten wir (laut Beschluß vom 27. April 1894) mit der Aufgabe drei im Tunnelfach erfahrene Fachmänner des Auslandes, nämlich die Herren G. C o l o m b o , Ingenieur in Mailand, Mitglied des italienischen Parlaments, Francis F o x , Ingenieur in London, Erbauer des Merseytunnels, und C. J. W a g n e r , Inspektor der k. k. Staatsbahnen in Wien, früherer Sektionsleiter am Arlbergtunnel.

Die Experten traten am 29. Mai 1894 zu einer ersten Sitzung in Bern zusammen, wo ihnen zunächst, außer den schon früher mitgeteilten Darstellungen über das Projekt, weiteres reichhaltiges Material an Plänen und Berichten betreffend die Bauausführung, die Ventilation etc. zur Verfügung gestellt und dazu von der Bahndirektion und den Unternehmern die nötigen Erläuterungen erteilt wurden. In den Werkstätten der Herren Gebrüder Sulzer in Winterthur wurde ihnen die neueste Gesteinsbohrmaschine nach System Brandt, sowie ein Luftkühlungsapparat vorgeführt, und endlich nahmen sie, von Delegationen des Bundesrates, der Regierungen der Simplonkantone und der Bahndirektion begleitet, eine Besichtigung der Verhältnisse am Simplon selbst vor, worauf sie in einem Protokoll die vorläufigen Bemerkungen zum Projekt niederlegten.

Im Juli fanden sie sich neuerdings in Bern ein zur endgültigen Feststellung ihres Gutachtens, das vom 16. Juli 1894 datiert.

In demselben sind die von uns gestellten Fragen im allgemeinen in einer dem Projekt sehr günstigen Weise beantwortet.

Einzelne Bemerkungen, Ratschläge und vorgeschlagene Modilikationen werden anläßlich der Aufstellung der Ausführungspläne, während der Bauausführung und später beim Betriebe leicht berücksichtigt werden können.

Der Expertenbericht ist in der schon erwähnten Beilage zu diesem Bericht unter Ziffer IV wörtlich wiedergegeben, so daß wir uns hier weiterer Angaben über denselben enthalten.

Gestützt auf den Befund der Experten erteilten wir am 24. August 1894 dem Projekt der Jura-Simplon-Bahn vom Oktober 1893 für den Simplontunnel grundsätzlich die Genehmigung in der Meinung, daß zunächst
bei Aufstellung der Ausführungspläne und später bei der Ausführung des Baues und beim Bahnbetriebe den Vorschlägen des Expertengutachtens, vom 19. Juli 1894, thunlichst Rechnung getragen werde.

582

Offizielle Mitteilung des 1893er Projektes und des Bxpertengutaehtens an Italien. Beantragung einer diplomatischen Konferenz zur Vereinbarung eines Staatsvertrages. Vorkonferenz in Mailand. Aufstellung einer Rentabilitätsberechnung.

Unter Bezugnahme auf die vorläufige Mitteilung vom 15. Februar 1894 ließen wir dann der italienischen Regierung, durch Note vom 13. September 1894, das letzte Projekt und das Expertengutachten mit dem Beifügen übermitteln, daß der Bundesrat dem erstem, gestützt auf das günstige Ergebnis der Expertise, seinerseits im angeführten Sinne die Genehmigung erteilt habe.

Die italienische Regierung wurde gleichzeitig ersucht, das Projekt, welches den in der Konferenz vom Jahre 1889 seitens der italienischen Delegation gestellten Begehren in Bezug auf die Tunnellage etc. vollständig entspreche, nun auch ihrerseits einer Prüfung zu unterziehen, um sich darüber aussprechen und den bezüglichen Plänen und Vorschlägen für die Bauausführung die Genehmigung erteilen zu können.

Endlich wurde der italienischen Regierung vorgeschlagen, nachdem dies geschehen sein werde, die Fragen betreffend die Ausführung des Tunnels und seiner Zufahrtslinien (Inbegriffen die Strecke Domodossola-Iselle), betreffend den Bahnbetrieb, den Anschlußbahnhol' etc. in einem Staatsvertrag zu regeln und zu diesem Zwecke eine Konferenz zwischen Abgeordneten beider Staaten zu voranstalten.

Diese Mitteilungen fanden auf seiten der italienischen Regierung eine günstige Aufnahme.

In der Antwortnote des Ministeriums der auswärtigen Angelegenheiten in Rom, vom 21. November 1894, wurde zunächst anerkannt, daß der Expertenbericht allen den von der italienischen Delegation anläßlich der 1889er Konferenz als zur Wahrung der Interessen des Königreichs absolut notwendig gestellten Bedingungen genüge und demgemäß auf die Prüfung des neuen Projektes einzutreten sei.

Dagegen erachtete das italienische Bautenministerium die vorgeschlagene Einberufung einer Konferenz zur Vereinbarung eines Staatsvertrages noch für verfrüht. Da es sich italienischerseits um die Konzessionserteilung für eine Eisenbahn auf dortseitigem Gebiet an eine ausländische Gesellschaft handle, so müsse vor allein das Vorhandensein aller nach den italienischen Gesetzen für solche Konzessionen vorgeschriebenen Bedingungen konstatiert werden.

583 Es erscheine daher unerläßlich, daß der vorgeschlagenen Konferenz eine offiziöse Besprechung von rein technischem Charakter zwischen Beamten des Bautenministeriums und Vertretern der Jura-SimplonBahn vorangehe, behufs Erörterung aller auf die auszuführenden Arbeiten bezuglichen technischen und rechtlichen Fragen. Das günstige Ergebnis dieser technischen Konferenz könnte dann als Ausgangspunkt für die vorgeschlagenen diplomatischen Unterhandlungen dienen.

Die Direktion der Jura-Simplon-Bahn stimmte diesem Begehren zu, und da auch wir keinen Grund erblickten, demselben entgegenzutreten , so teilten wir der italienischen Regierung die Bereitwilligkeit der Bahngesellschaft zur Beschickung der technischen Vorkonferenz mit.

Sie fand am 25., 26. und 27. Februar 1895 in Mailand statt und es nahmen daran von Seiten des italienischen Buatenministeriums die Herren Ingenieur Colombo, Mitglied des Parlaments (einer der Exporten des Bundesrates), Ferrucci, Sektionspräsident im Oberrat für öffentliche Arbeiten, und Massa, Generaldirektor der Mittelmeerbahn, und von der Direktion der Jura-Simplon-Bahn die Herren Direktionspräsident Ruchonnet und Direktor Dumur, sowie von der Unternehmung die Herren Locher und Sulzer teil.

Das Ergebnis der offiziösen Besprechung, welches in einem allseitig unterzeichneten Protokoll niedergelegt wurde, konnte im allgemeinen als ein befriedigendes betrachtet werden, indem über verschiedene wichtige Punkte vollständige Einigung erzielt wurde und auch bei den nicht erledigten, welche in suspense belassen werden mußten, auf Seiten der italienischen Delegation eine durchaus entgegenkommende Haltung sich bemerkbar machte. Die Verhandlungen hatten zwar nach ihrem Zweck mehr nur solche Fragen zum Gegenstand, welche sich auf die Konzessionserteilung für die italienische Toi Istrecke an die Jura-Simplon-Bahn bezogen, erstreckten sich indessen mehrfach auch auf die im Staatsvertrag zu regelnden Verhältnisse, mit welchen jene Fragen naturgemäß im engsten Zusammenhang stehen. So erschien mit der offiziösen Konferenz auch der diplomatischen zur Vereinbarung des Staatsvertrages wesentlich vorgearbeitet und der Weg geebnet.

Der Vollständigkeit wegen schalten wir hier noch ein, daß die Direktion der Jura-Simplonbahn bei zwei bewährten Fachleuten ein Gutachten über den mutmaßlichen Verkehr und Ertrag der Simplonlinie einholte und das Resultat der daherigen Studien in einem Berichte vom 30. Mai 1895 ihrem Verwaltungsrate vorlegte.

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Aufstellung der Vertragsentwürfe. Mitteilung an Italien.

Weitere Vorverhandlungen. Annahme der Konferenz.

Auf Grundlage des Mailänderprotokolls vom 28. Februar 1895, sowie in Anlehnung an die Gotthardverträge und andere auf den Anschluß schweizerischer mit ausländischen Bahnlinien bezügliche internationale Vereinbarungen wurden dann Entwürfe 1. zu einem Staatsvertrag zwischen der Schweiz und Italien betreffend Bau und Betrieb einer Eisenbahn durch den Simplon, von Brig nach Domodossola; 2. zu einer Übereinkunft zwischen der italienischen Regierung und der Jura-Simplon-Bahn betreffend Bau und Betrieb einer Eisenbahn durch den Simplon, von der italienisch-schweizerischen Grenze bis Iselle (italienischer Konzessionsakt), und 3. zu einem bezüglichen Pflichtenheft, als Anlage zu der Übereinkunft unter Ziffer 2, ausgearbeitet, von der für die Simplonangelegenheit vom Bundesrate aus seiner Mitte bestellten Delegation (Vorsteher der Departemente der Bisenbahnen, des Auswärtigen und der Finanzen) geprüft und mit der Direktion der Jura-Simplon-Bahn eingehend beraten und nach Anbringung der als notwendig erfundenen Änderungen vorn Bundesrat vorläufig genehmigt.

Bezüglich des Entwurfes Staatsvertrag -- der für den Bund im Vordergrund des Interesses stand und den eigentlichen Gegenstand der Verhandlungen zwischen den beiden Regierungen zu bilden hatte, während die Übereinkunft und das Pflichtonheft, d. h. die Konzession für das italienische Teilstück des Tunnels, das Verhältnis zwischen italienischer Regierung und Bahngesellschaft berührte -- führen wir hier, ohne auf Einzelheiten einzutreten, nur an, daß es sich dabei nicht bloß um einen sogenannten Anschlußvertrag im engern Sinn des Wortes handelte. Denn es stand nicht ausschließlich der bauliche und Betriebsanschluß von zwei auf den beidseitigen Staatsgebieten unabhängig von einander erstellten oder zu erstellenden Linien in Frage, sondern es lag der Fall vor, daß von ein und derselben schweizerischen Bahngesellschaft, unter finanzieller Beihülfe des einen Vertragsstaates, der Schweiz, aber auf dem Gebiete beider Staaten, eine Eisenbahnverbindung durch den Simplon erstellt werden sollte, bei welcher der technische Anschluß an der Grenze mitten in den Tunnel fiel. Überdies war ja auch vorgesehen, daß der andere Vertragsstaat -- Italien -- zur Erstellung der südlichen Zufahrtslinie von Domodossola bis Iselle förmlich sich verpflichten sollte. In diesem Sinne handelte O

O

O

O

585

es sich um ein g e m e i n s c h a f t l i c h e s Werk, zu welchem hinsichtlich Bau wie Betrieb beide Staaten in vielfache Beziehungen treten werden, die, abgesehen von der Anschlußfrage im engern Sinn, der Feststellung in einem internationalen Vertrage bedurften.

Auf der ändern Seite lagen aber auch nicht gleiche Verhältnisse vor, wie seiner Zeit bei der Gotthardbahn, welche zwar ausschließlich auf h i e r s e i t i g e m Staatsgebiet, aber unter starker finanzieller Beteiligung der ändern Staaten (Italien und Deutschland) gebaut wurde. Während es beim Gotthard die staatlichen Subventionen waren, so ist es beim Simplem vielmehr die Lage des Tunnels auf beiden Staatsgebieten, welche gemeinsame Beziehungen der beiden Staaten zu dem Unternehmen begründet und der einheitlichen Beordnung im gegenseitigen Einverständnis rief.

Dieser besondern Sachlage entsprechend, sah daher der Vertragsentwurf nicht bloß die Regelung der Beziehungen der beiden Staaten zu dem Unternehmen im allgemeinen vor, sondern erstreckte sich auf Punkte, die beim Gotthard durch einen bosondern sogenannten Anschlußvertrag, vom 23. Dezember 1873, ihre Beordnung fanden.

Indessen konnten irn Staatsvertrag selbstverständlich die Anschlußverhältnisse nur in den wichtigsten Beziehungen und nicht bis in alle Einzelheiten festgelegt werden, da derselbe sich sonst in Details hätte verlieren müssen. Vielmehr entsprach es der Natur der Sache und empfahl sich aus sachlichen Gründen, die Erledigung der im Hauptvertrage nicht behandelten Detailfragen für später einem besondern Vertrage vorzubehalten. Ein späterer Zeitpunkt erschien dafür um so geeigneter, als dannzumal die maßgebenden Verhältnisse im einzelnen noch besser klargelegt sein würden, als es bei Abschluß des Hauptvertrages der Fall sein konnte. Wir dachten dabei namentlich an die Bezeichnung der internationalen Station oder eventuell Stationen, an die notwendigen Vereinbarungen über den Zoll-, Post-, Telegraphen-, Polizei- und gesundheitspolizeilichen Dienst in diesen Stationen etc. In diesen Beziehungen wurden daher im Vertragsentwurf die spätem Abmachungen ausdrücklich vorbehalten.

Nachdem die von Italien gewünschte offiziöse Vorkonferenz stattgefunden und den gewollten Zweck erfüllt hatte, ferner schweizerischerseits alle Vorarbeiten beendet und alle Vorbereitungen getroffen
waren, daß die internationalen Verhandlungen zur Vereinbarung eines Staatsvertrages mit Erfolg gepflogen werden konnten, hielten wir den Zeitpunkt für gekommen, Italien nunmehr die baldige Eröffnung derselben vorzuschlagen. Gemäß unserin Be-

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Schlüsse vom 5. Juli geschah dies durch Note unserer Gesandtschaft in Rom, vom 9. Juli 1895, in welcher für die Abhaltung der Konferenz die Zeit von Mitte August bis Ende September und als Ort Bern, eventuell eine Stadt der italienischen Schweiz in Vorschlag gebracht und mit welcher gleichzeitig die oben erwähnten Vertragsentwürfe der italienischen Regierung übermittelt wurden, in der Meinung, daß derjenige zu einem Staatsvertrag den diplomatischen Verhandlungen zwischen den Vertretern der beiden Staaten, die beiden ändern (Übereinkunft und Pflichtenheft) den Unterhandlungen zwischen den Abgeordneten Italiens und den Vertretern der Bahngesejlschaft als Grundlage zu dienen hätten, vorbehaltlich der bei Anlaß der Verhandlungen allfällig als notwendig sich ergebenden Modifikationen.

Nach den vorläufigen mündlichen Eröffnungen, welche unserer Gesandtschaft in Rom auf ihre Note vom 9. Jnli von Seiten des italienischen Bautenministers offiziös gemacht wurden, schien die italienische Regierung zunächst geneigt, das Eintreten auf die hierseitigen Vorschläge, beziehungsweise die Annahme der Konferenz, abhängig machen zu wollen von der vorherigen Erledigung der Subventionsfrage in dein Sinne, daß auf jede direkte Subventionsleistung von seiten Italiens verzichtet und die bezüglichen Bestimmungen aus dem Vertragsentwurf -- derselbe sah eine Subvention.

von 5 Millionen Lires von Seiten der beim Unternehmen direkt interessierten Provinzen, Städte und Korporationen, sowie die Verwendung der Regierung zur Erlangung dieser Subvention vor -- beseitigt würden. Es gelang indessen schließlich den nachdrücklichen Vorstellungen und Bemühungen unserer Vertretung in Rom, das Ministerium zu bestimmen, die Subventionsfragc als P r ä j u d i z i al f r a g e fallen zu lassen und mit der Behandlung derselben gleichzeitig mit den übrigen Bestimmungen cles Vertragsentwurfes anläßlich der diplomatischen Konferenz selbst sich einverstanden zu erklären.

Nachdem uns das italienische Ministerium noch ein Resumé der Zugeständnisse und fiskalischen Erleichterungen, welche die italienische Regierung zu gunsten des Unternehmens in der Konzession für die italienische Teilstrecke der Bahngesellschaft zu gewähren bereit wäre, zu Händen der letztem hatte übermitteln lassen, folgte dann unterm 25. Oktober 1895, mit Note von diesem Tage,
die offizielle Erklärung, daß die königl. Regierung den Vorschlag einer Konferenz in Bern über die Frage der Simplondurchschienung annehme und als seine Delegierten bezeichnet habe Herrn Baron P e i r o l e r i , k. italienischer Gesandter in Bern, und Herrn Korn-

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mandeur F e r r u c c i , Parlamentsmitglied und Sektionspräsident des Oberbaurates in Rom.

Wir ermangelten nicht, hierauf sofort auch die hierseitigen Delegierten, als welche wir aus unserer Mitte die Vorsteher der Departementc der Eisenbahnen, des Auswärtigen und der Finanzen bezeichnet hatten, der italienischen Regierung bekannt zu geben und für Abhaltung der Konferenz die Zeit vom 4. bis Hi. November vorzuschlagen.

Diplomatisehe Konferenz vom November 1895.

Vertragsabschluss.

Die Konferenz trat dann am 4. November 1895 in Bern zusammen und nahm drei Wochen in Anspruch. Im Laufe derselben wurde auf Wunsch der italienischen Delegation auch eine Vertretung der Jura-Simplon-Bahn beigezogen, und es nahmen in dieser Eigenschaft die Herren Direktionspräsident R u c h o n n o t und Direktor D u m u r an den Verhandlungen teil. Ihren Abschluß fand die Konferenz am 25. November durch Unterzeichnung, unter Ratifikationsvorbehalt, des aus den Beratungen hervorgegangenen .n Staats Vertrages zwischen der Schweiz und Italien, betreffend den Bau und Betrieb einer Eisenbahn durch den Simplon, von Brig nach Domodossola"1, den wir Ihnen mit gegenwärtigem Bericht zur Kenntnisnahme unterbreiten.

Auf die Konferenzverhandlungen, über welche ein ausführliches Protokoll nähern Aufschluß giebt, und auf die einzelnen Vertragsbestimmungen glauben -wir in diesem Bericht noch nicht näher eintreten, sondern uns dies für den Zeitpunkt vorbehalten su sollen, wo wir im Falle sein werden, Ihnen die Genehmigung des Vertrages zu beantragen.

Nur so viel mag an dieser Stelle schon erwähnt werden, daß es namentlich zwei Punkte waren, welche zu längern Verhandlungen Anlaß Ogaben und bezüglich welcher wir im Laufe der Konferenz O in die Lage kamen, unserer Delegation auf ihr Ansuchen weitere Instruktion zu erteilen, wie solche auch von den italienischen Delegierten bei ihrer Regierung eingeholt wurde. Es betraf dies die Frage der Subventionsleistung von Seiten Italiens und sodann die dem italienischen Zollbureau am Südausgange des Tunnels zu erteilenden Kompetenzen. In Bezug auf die erstcre Frage wurde schließlich eine annehmbare Einigung erzielt, indem die von Italien (Provinzen, Städte und Korporationen) zu leistende Subvention auf 4, statt der hierorts vorgeschlagenen 5 Millionen Lires festgesetzt wurde.

588 Was den zweiten Punkt betrifft, so erklärte es die italienische Regierung für unmöglich, unsern Wünschen in vollem Maße entgegenkommen zu können.

Die Konferenz zog sodann auch die zwischen der italienischen Regierung und der Jura-Simplon-Bahn direkt abzuschließende Übereinkunft und das zudienende Pflichtenheft, welche zwar keinen Bestandteil des Staatsvertrages bilden, sondern die Konzession für die italienische Teilstrecke darstellen, in den Kreis ihrer Beratung, indem sie jeweilen von dorn Stand der über diesen Gegenstand gleichzeitig geführten Verhandlungen zwischen der italienischen Delegation und der Direktion der Jura-Simplon-Bahn Kenntnis nahm und sich darüber aussprach.

Endgültige Pestsetzung der italienischen Konzession für die Strecke Grenze-Iselle.

Die Bahngesellschaft ließ es sich angelegen sein, sobald als möglich auch die noch pendente Frage der italienischen Konzession zum Abschluß zu bringen. Die zwei vorgenannten Mitglieder ihrer Direktion begaben sich zu diesem Zwecke im Februar laufenden Jahres nach Rom, um daselbst mit den kompetenten Organen die Übereinkunft und das Pflichtenheft betreffend die italienische Teilstrecke endgültig zu bereinigen. Nach längern Verhandlungen wurden die die italienische Konzession darstellenden Vereinbarungen am 22. Februar 1896 beidseitig unterzeichnet. Dieselben unterliegen aber noch der Genehmigung durch das italienische Parlament.

Einleitende Schritte zur Finanzierung, insbesondere zur Sicherung der Subventionen.

Sind mit dem Vertragsabschluß und der Feststellung der italienischen Konzession, immerhin vorbehaltlich der Genehmigung der beidseitigen Parlamente, die technischen Fragen endgültig erledigt, die rechtliche Grundlage geschaffen und die internationalen Beziehungen geordnet, so tritt nun an die Gesellschaft und auch an die Behörden noch die letzte und nicht minder schwierige Aufgabe heran, die nötigen Mittel zur Ausführung des Werkes zu finden. Bevor aber daran gedacht werden darf, sich an das Privatkapital zu wenden, gilt es vor allem, die nach dem Finanzprogramm der Gesellschaft und dem Staatsvertrag (Art. 12) vorgesehenen .Subventionen im Betrage von 20 Millionen Franken sicherzustellen.

589 Um schweizerischerseits in dieser Richtung den Anstoß zu geben und möglichst bald Klarheit und eine sichere Grundlage zu weiterem Vorgehen zu schaffen, sahen wir uns veranlaßt, die Regierungen derjenigen Kantone, welche schon früher Subventionen an den Simplondurchstioh beschlossen hatten, deren Beschlüsse aber seither zum Teil dahingefallen waren, zur Beschickung einer Konferenz einzuladen, mit dem Ersuchen, ihre Delegationen mit den nötigen Vollmachten zu versehen, um sich über die bei ihnen bestehenden Intentionen bezüglich der Subventionsfrage und specie!!

die Höhe der zu gewährenden Subsidien, wie auch über die in Art. 12 des Staatsvertrages damit in Verbindung gebrachte Ablösung der sogenannten Heimfallsrechte aussprechen zu können.

Die Konferenz fand am 6. Mai d. J. in Bern statt. Es ergab O sich dabei aus den Erklärungen der anwesenden Vertreter, daß die Subvcntionsdekrcte der Kantone Wallis und Bern (für je l Million Franken) noch in Kraft bestehen, und daß die Regierungen von Waadt und Freiburg ihrerseits entschlossen sind, für Erneuerung der frühern Beschlüsse mit allem Nachdruck einzutreten und die hierzu nötigen Sehritte zu thun, von denen bei der gegenwärtigen Sachlage mit aller Wahrscheinlichkeit ein günstiges Ergebnis erwartet werden darf. Der Staatsrat von Waadt ist ferner auch bereit, bei den Städten und Gemeinwesen, welche früher Subventionen zugesichert hatten, für Erneuerung dieser Zusagen seine Verwendung eintreten zu lassen. Endlich stellten die Vertreter des Genfer Staatsrates in Aussicht, daß der Kanton Genf, wenn auch weniger mit Rücksicht auf die für ihn an den Simplem sich knüpfenden nicht so bedeutenden Interessen, als vielmehr aus Solidarität mit den ändern westsehweizerischen Kantonen, sich zu einer Subvention von Fr. 750,000 bis 1,000,000 verstehen werde.

Der Kanton Neuenburg dagegen, der zwar dem Werke alle Sympathie entgegenbringt, wird, wegen starker Inanspruchnahme für Eisenbahnbauten auf seinem eigenen Gebiet, eine finanzielle Beihülfe zu leisten sich nicht in der Lage sehen.

Es zeigte sich auch allseitig Geneigtheit, über die Ablösung der sogenannten Heimfallsrechte, welche bezüglich einzelner Strecken des Jura-Simplon-Bahn-Netzes zu gunsten der betreffenden Kantone bestehen, mit der Bahngesellschaft in Unterbandlungen zu treten, in der Meinung, daß
eventuell bei Bemessung der Subventionen der Wert dieser Rechte in Anschlag gebracht worden könnte. Dio Bahngesellschaft wird sich über diesen Gegenstand ungesäumt mit den betreffenden Regierungen in Beziehung setzen.

ßnndesblatt. 48. Jahrg. Bd. ili.

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Bezüglich der an die Subventionen zu knüpfenden Bedingungen war man einig, daß dieselben für das ganze kantonale Subventionskapital möglichst einheitlich und gleichmäßig geordnet werden sollten und es wurde deshalb das Eisenbahndepartement ersucht, ein bezügliches Programm für solche zu entwerfen, die dann in einer spätem Konferenz zu erörtern und definitiv festzusetzen sein werden.

Nach diesen Verhandlungen besteht somit alle Aussicht, daß, abgesehen von der bereits durch das Bundesgesetz vom 22. August 1878 zugesicherten Subvention des Bundes von 41/» Millionen Franken, die Aufbringung der im Finanzprogramm vorgesehenen schweizerischen Subventionen (Kantone, Gemeinden, Gesellschaften), oder sogar noch einer etwas höhern Summe, ohne allzu große Schwierigkeiten möglich sein wird.

Am Schlüsse unseres Berichtes angelangt, konstatieren wir mit Genugthuung, daß es den unverdrossenen Bemühungen nach langwierigen Verhandlungen, die sich durch mehr als zwei Jahrzehnte hinzogen, endlich gelungen ist, mit dem Nachbarstaate, dem uns der neue Verkehrsweg noch enger verbinden soll, zu einer vollständigeti Einigung über die technischen Grundlagen des Projektes und die internationalen Beziehungen zu dem gemeinsamen großen Werke zu gelangen. Es steht zu hoffen, daß auch das italienische Parlament, dem die getroffenen Vereinbarungen unterbreitet sind, denselben seine Genehmigung nicht versagen werde.

Wir glauben Ihnen mit vorstehendem Berichte über die das Simplonuntornehmen betreffenden Verhandlungen mit den interessierten Nachbarstaaten und speciell Italien, sowie über den heutigen Stand der Frage allen wünschenswerten Aufschluß erteilt zu haben.

Wir geben uns der Hoffnung hin, daß Sie nicht Anstand nehmen werden, von unsero Ausführungen in zustimmendem Sinne Kenntnis zu nehmen.

Schon jetzt die Genehmigung des Staatsvertrages auszusprechen, wäre unseres Erachtens verfrüht. Wir halten vielmehr dafür, es sei damit noch zuzuwarten, bis die auf die Finanzierung des Unternehmens bezüglichen Fragen noch eine weitere Abklärung erfahren haben werden, insbesondere die vorgesehenen Subventionen -- die schweizerischen wie die italienischen -- als gesichert betrachtet werden können.

591 Genehmigen Sie, Tit., die Versicherung unserer vollkommenen Hochachtung.

B e r n , den 11. Juni 189«.

Im Namen des Schweiz. Bundesrates, Der B u n d e s p r ä s i d e n t :

A. Lachenal.

Der Kanzler der Eidgenossenschaft : Ringier.

Schweizerisches Bundesarchiv, Digitale Amtsdruckschriften Archives fédérales suisses, Publications officielles numérisées Archivio federale svizzero, Pubblicazioni ufficiali digitali

Bericht des Bundesrates an die Bundesversammlung über das Unternehmen des Simplondurchstiches und die darauf bezüglichen Verhandlungen mit Italien. (Vom 11. Juni 1896.)

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1896

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3

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25

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---

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17.06.1896

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557-591

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