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Bundesratsbeschluss über

den Rekurs der Lina Merz, von Leimbach und Beinwil (Aargau), in Bern, gegen das Strafurteil der Polizeikammer des Appellations- und Kassationshofes des Kantons Bern vom 13. November 1895, betreffend das Vergehen der Amtsanmaßung durch unbefugte Ausübung der "Verrichtungen einer ,,Leichenbitterin" in der Stadt Bern.

(Vom 18. August 1896.)

Der s c h w e i z e r i s c h e B u n d e s rat

hat über den Rekurs der Lina M e r z , von Leimbach und Beinwil (Aargau), in Bern, gegen das Strafurteil der Polizeikammer des Appellations- und Kassationshofes des Kantons Bern vom 13. November 1895, betreffend das Vergehen der Amtsanmaßung durch unbefugte Ausübung der Verrichtungen einer ,,Leichenbitterint" in der Stadt Bern, auf den Bericht des Justiz- und Polizeidepartements folgenden Beschluß gefaßt: A.

In thatsächlicher Beziehung wird festgestellt:

I.

In Nachachtung des Art. 53, Absatz 2, der Bundesverfassung hat das Gesetz über die Organisation des Kirchenwesens im Kanton Bern vom 18. Januar 1874 in § 3 und auf dessen Grundlage das Bundesblatt. 48. Jahrg.

Bd. III.

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842 großrätliche Dekret betreffend das Begräbniswesen, vom 25. November 1876 (§ 1J, das Begräbniswesen als Ortspolizeisache erklärt.

In Ausführung des großrätlichen Dekretes wurde vom Gemeinderat der Stadt Bern am 29. Dezember 1879 eine Begräbnisund Friedhofordnung erlassen, die u. a. folgende Bestimmungen enthält : ,,§ 1. Jeder Todesfall ist längstens innerhalb 48 Stunden von den Angehörigen oder Hausgenossen, nach eingeholter ärztlicher Todesbescheinigung, unter Angabe von Zeit und Ort des Todes, Namen, Heimat, Alter etc. des Verstorbenen, dem Civilstandsbeamten anzuzeigen (Gesetz und Verordnungen über Civilstand).a ,,§ 2. Mit der vom Civilstandsbeamten ausgestellten Todesbescheinigung begiebt sich der Anzeigende auf die Stadtpolizei, um die Beerdigungsbewilligung auszuwirken.

,,Ohne dieselbe darf kein Leichnam beerdigt werden."1 ,,§ 3. Die Stunde des Leichenbegängnisses wird gemäß §§ 14 und 15 des Dekretes über das Begräbniswesen vom 25. November 1876 von der Stadtpolizei bestimmt.

,,Der Abgang vom Trauorhause hat genau zu der bestimmten Stunde stattzufinden. "· ,,§ 4. Die Veranstaltung des Leichenbegängnisses und der Beerdigung, sowie die daherigen Kosten fallen den Hintcrlassenen auf, diejenigen Fälle ausgenommen, in welchen das Gesetz oder Staats vertrage etwas anderes bestimmen. a .,§ 5. Diese Veranstaltung und die Besorgung aller für das Leichenbegängnis und die Beerdigung nötigen Vorkehren kann von den Betreffenden den durch die Polizeikommission bezeichneten Leichenbitterinnen übertragen werden, welche dieselben nach hiesiger Übung und nach Weisung der Stadtpolizei gegen die tarifmäßigen Gebühren auszuführen haben. "· II.

Von Alters her besteht in der Stadt Bern das Institut der ,,Leichenbitterinnena (früher Leichenladnerinnen genannt). Bis 1805 war es ein durchaus freies Gewerbe. Von da an wurde es der Kontrolle der Stadtpolizei unterstellt. Die Leichenladnerinrien hatten sich im Polizeibureau anzumelden und ihre Namen in eine Matrikel setzen zu lassen. Im Jahre 1823 wurde für sie eine Instruktion

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erlassen, gemäß welcher die sämtlichen (fünf) Leichenladnerinnen ·m getreuer Erfüllung der amtlichen Vorschriften ins Handgeliibde genommen wurden. Die Leichen bitterinnen waren Gemeindeangestellte geworden.

Im Jahre 1880 unterzog die Polizeikommission der Stadt Bern diese Instruktion einer Revision. Die vom 12. Februar 1880 datierende neue Instruktion lautet wie folgt : ,,Instruktion für die Leichenbitterinnen.

1.

Dieselben werden auf den Vorschlag des Polizeiinspektors von der Polizeikommission auf alljährliche Bestätigung hin ernannt und vom Polizeiinspektor ins Gelübde aufgenommen. Als Angestellte der Stadtpolizei stehen sie unter der Polizeikornmission und direkt unter dem Polizeiinspektor, dessen Weisungen 'sie in Erfüllung ihres Amtes zu befolgen haben.

2.

Sie sollen sich mit den jeweiligen Vorschriften über das Begräbniswesen vertraut machen, dieselben genau befolgen, die Betreffenden darauf aufmerksam machen und WiderhandJungen dem Polizeiinspektor anzeigen.

3.

Sie haben jeden Auftrag (§ 6 der Begräbnisordnung) zur Besorgung der für das Leichenbegängnis und die Beerdigung nötigen Vorkehren seitens derjenigen, denen deren Veranstaltung obliegt, zu übernehmen und nach hiesiger Übung auszuführen.

Diese Besorgung begreift in sich : a. die sofortige Anzeige des Todesfalles an das Civilstandsamt

(§ i); b. im Falle der Versiegelung auf Verlangen der in Satzung 501 bezeichneten Personen (Erben, Familien- oder Hausgenossen) die Bestellung des Versiegelunsbeamten (§ 2) ; c. die Auswirkung der Beerdigungsbewilligung (§ 3) ; d. das Vertragen der Todesanzeigen -- faire part -- auf die Post; e. das Ausfertigen und Vertragen der Einladungen zum Leichenbegängnis an die Verwandtschaft ;

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f. die Bestellung des Sarges, eventuell die in § 7 vorgesehene Angabe des Maßes an den Totengräber und Leichenfuhrunternehmer ; g. die Bestellung von Leichenwagen und Kutschen und der dazu erforderlichen Bedienung; h. die Mitteilung an die Polizei, wenn polizeiliches Geleite ausdrücklieh abgelehnt wird (§ 9) ; i. die Bestellung der besondern Sargtücher ; A. die rechtzeitige Anwesenheit im Trauerhause vor der für das Leichenbegängnis (§ 3) bestimmten, beziehungsweise für das Leichengebet angesetzten Stunde, und zwar in anständiger schwarzer Kleidung, und die Anordnung aller fernem Verrichtungen in der Weise, daß genau zur bestimmten Stunde abgefahren wird ; l. specifizierte Rechnungslegung über die verschiedenen Bestellungen.

4.

Für die sub 3 angeführten Verrichtungen haben die Leichenbitterinnen die im Tarif bestimmte Gebühr und nicht mehr zu beanspruchen. Weitergehende Aufträge, z. B. die Dekorierung von Zimmern oder hier nicht übliche Vorkehren, werden besonders bezahlt. Wenn letztere außerhalb des Trauerhauses getroffen werden sollen, so ist die Leichenbitterin verpflichtet, dem Polizeiinspektor davon Mitteilung zu machen, beziehungsweise dessen Bewilligung einzuholen.

5.

Diese Instruktion ist auf Verlangen den Auftraggebern vorzuweisen. Die Leichenbitterinnen haben sieh jeder Abänderung derselben durch die Polizeikommission zu unterziehen.a

in.

Nach dem Tode der Frau Leuenberger-Meister, einer amtlich bestellten Leichenbitterin, erließ Lina Merz, die Rekurrentin, im ,,Anzeiger für die Stadt Bern" (Nr. 56 und 67 vom 7. und 20. März 1895) eine Anzeige des Inhaltes, daß sie alle Aufträge bei vorkommenden Leichenbegängnissen besorge, ,,als langjährige Gehülfin und Stellvertreterin der sei. verstorbenen Frau Leuenberger-Meister, gewesene Leichenbitterin".

845 IV.

Der Polizeikorporal Abi erstattete hierüber wegen Amtsanmaßung der Lina Merz an die städtische Polizeidirektion (II. Abteilung) Berieht und diese leitete die Anzeige an das Regierungsstatthalteramt. Vom Regierungsstatthalteramt wurde die Saehc dorn Untersuchungsrichteramt überwiesen und von hier gelangte sie an das Richteramt Bern (Abteilung des Polizeirichters).

V.

Durch Urteil des Polizeirichters von Bern vom 21. August 1895 wurde Lina Merz von der Anklage auf Amtsanmaßung (Art. 83 des bernisehen Strafgesetzbuches) freigesprochen und ihr eine Entschädigung von Fr. 15 zuerkannt.

Infolge der Appellationserklärung der Staatsanwaltschaft wurde die Sache der Beurteilung der Polizeikammer des Appellations- und Kassationshofes des Kantons Bern unterstellt.

Durch Urteil vom 13. November 1895 hat die Polizeikammer Lina Merz der Amtsanmaßung schuldig erklärt und zu fünfzehn Tagen Gefängnis verurteilt, die Verurteilte jedoch von Amtes wegen dem Großen Rate des Kantons Bern zur ^teilweisen" Begnadigung empfohlen.

VI.

Gegen dieses letztinstanzliche Strafurteil ist der von Fürsprecher Ernst Abi in Bern namens der Verurteilten unterm 13. Januar 1896 ergriffene Rekurs an den Bundesrat gerichtet.

Indem in thatsächlicher Beziehung ohne weiteres, wie übrigens schon vor den gerichtlichen Instanzen, zugegeben wird, daß Lina Merz Besorgungen und Verrichtungen ausgeführt habe, wie sie in Ziffer 3, litt. «--l, der von der Polizeikommission der Stadt Bern am 12. Februar 1880 aufgestellten Instruktion vorgesehen sind, bringt die Rekursschrift in rechtlicher Beziehung folgende Erörterungen : Die in der Instruktion limitativ aufgezählten Funktionen der Leichenbitterinnen sind im Grunde genommen gewöhnliche Botendienste 5 ihre Verrichtung setzt keine besondern Kenntnisse voraus ; die öffentliche Ordnung und das öffentliche Wohl sind dabei nicht wesentlich mehr beteiligt, als bei der Mehrzahl der einem Gewerbetreibenden erteilten Aufträge ; das darf auch in Hinsicht auf die unter litt, a der Ziffer 3 der Instruktion vorgeschriebene ,,sofortige Anzeige des Todesfalles an das Civilstandsamt" gesagt werden.

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Die Rekursschrift vermag den Leiehenbitterinnen ebensowenig Beamtenqualität zuzuerkennen als den Kaminfegern, bei welch letzteren die bernische Polizeikammcr unter Hinweis auf Art. 31 der Bundesverfassung das Vorhandensein dieser Eigenschaft ausdrücklich verneint hat; sie erblickt in dem Urteil der Polizeikammer eine Verletzung der Gewerbefreiheit, die durch die kantonale und die eidgenössische Verfassung gewährleistet ist, insbesondere des Grundsatzes, daß die Ausübung eines Berufes nicht durch Aufstellung einer Maximalzahl von Konkurrenten beschränkt werden darf.

Art. 31 der Bundesverfassung, Art. 81 der bernischen Staatsverfassung, § 3 des bernischen Gesetzes über das Gewerbewesen enthalten gewisse Vorbehalte gegenüber der Gewerbefreiheit, aber unter keinen derselben läßt sich der Beruf der Leiehenbitterinnen unterbringen, und es ist auch nicht einzusehen, warum es zu seiner Ausübung einer besondern Bewilligung des Staates bedürfen sollte.

Das Gemeinwohl erfordert dies entschieden nicht.

VII.

Zur Vcrnehmlassung eingeladen, übermittelte der Regierungsrat des Kantons Bern mit Schreiben vom 15. Februar 1896 eine Zuschrift der Polizeikammer vom 29. Januar 1896, in welcher dieser Gerichtshof vorerst auf die Motive seines Urteils verweist und sodann gegen die Bemerkung der Rekursschrift sich verwahrt, wonach das angefochtene Urteil betreffend die Leichenbitterinnon im Widerspruch stände mit dem Urteil (vom 29. Mai 1890) betreffend die Kaminfeger. Die Polizeikammer spricht sich darüber aus wie folgt: ^Während bei den Kaminfegern der Gesichtspunkt des Gewerbes vorherrscht, überwiegt umgekehrt bei den Leichenbitterinnen derjenige des Amtes, und dies zwar aus dem Grunde, weil die Bundesverfassung selbst in Art. 53, Alinea 2, das Begräbniswesen als Sache der ,,bürgerlichen Behörden", bezw. als einen Zweig der öffentlichen (kommunalen) Verwaltung erklärt und weil die in Ausführung dieser Verfassungsbestimmung erlassenen kantonalen und ortspolizeilichen Erlasse das Institut der Leiehenbitterinnen eben mit in die Organisation jenes Verwaltungszweiges des Begräbniswesens eingegliedert haben. a VIII.

Replicando hat hierauf der Anwalt der Rekurrentin unterm 6./20. März 1896 erwidert: A majori ad minus dürfte denn doch zu

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schließen sein, daß die Leichenbitterinnen, deren Funktionen ja nicht einmal scharf abgegrenzt sind, noch weniger Beamtenqualität besitzen als die Kaminfeger.

Als gänzlich verfehlt bezeichnet die Replik die auf Art. 53, Absatz 2, der Bundesverfassung gegründete Beweisführung. Der in dieser Verfassungsbestimmung enthaltene Grundsatz, welcher im Interesse des konfessionellen Friedens den bürgerlichen Behörden das Verfügungsrecht über die Friedhöfe einräumt und ihnen zugleich die Pflicht auferlegt, für schickliche Beerdigung Verstorbener besorgt zu sein, hat mit dem Institut der Leichenbitterinnen absolut nichts zu schaffen. Die Replik führt diesen Satz näher aus : Sowenig als der Pfarrer, welcher das Leicbcngebet hält, haben die Leichenbitterinnen mit dem Begräbniswesen zu thun. Mit demselben Recht und derselben Logik könnte man den Fuhrmann des Leichenwagens, die Verkäuferin von Totenkränzen, den Schreiner, der den Sarg liefert u. s. w. zu Beamten stempeln. Alle diese Berufsklassen stehen mit dem Begräßniswesen in näherm Zusammenhang als die Leichenbitterinnen Es ist wirklich nicht einzusehen, weßhalb die Polizeikammer gegenüber dem in der Kantonsverfassung aufgestellten Grundsatz, daß die Feuerpolizei Sache der Gemeinde und des Staates sei, der Gewerkschaft der Kaminfeger die Beamtenqualität nicht zuerkennen will, obschon nach der Auffassung der Polizeikammer ein auch nur entfernter Zusammenhang zwischen einem Grundsatze der Verfassung und den Funktionen einer bestimmten Klasse von Gewerbetreibenden genügt, um diesen Beamtenqualität zu verleihen.

In Wahrheit, fährt die Replik fort, handelt es sich nicht einmal um einen konzessionierten Beruf, sondern um ein einfaches Gewerbe.

Aber wenn es sich auch um einen konzessionierten Beruf handelte, so dürfte er zweifellos nicht in der von den Gemeindebehörden von Bern beliebten Weise geregelt werden. Insonderheit widerstreitet die Beschränkung der Zahl der Leichenbitterinnen dem Grundsatz der freien Konkurrenz. Die Aufstellung einer Normalzahl ist nicht mehr Konzession, sondern Monopol. Ein solches ist nicht einmal für den Beruf der Apotheker als zulässig erfunden worden. Die bernischen Réglemente, die nicht eine jede Person, welche bestimmte Requisite erfüllt, als Leichenbitterin konzessionieren, sind Verfügungen gleichzuachten, die den Grundsatz der Handels- und Gewerbefreiheit als solchen beeinträchtigen.

848 IX.

Eine vom eidgenössischen Justiz- und Polizeidepartement an die Polizeibehörden der größern Städte und Ortschaften der Schweiz gerichtete Anfrage hat ergeben, daß berufsmäßige Leichenbitterinnen vielorts unbekannt sind, daß aber da, wo man sie kennt, die Besorgung ihrer Aufgaben meistens als ein freies Gewerbe betrachtet wird; an ganz wenigen Orten sind ihre 'Verrichtungen amtlich organisiert, mit oder ohne Zulassung der Privatkonkurrenz.

B.

In rechtlicher Beziehung fällt in Betracht: 1. Das angefochtene polizeigerichtliche Urteil hat zur prinzipiellen Grundlage die Auffassung, daß Art. 53, Absatz 2, der Bundesverfassung die Polizeibehörden angewiesen habe, alles, was mit dem Begräbniswesen zusammenhängt, zu einem öffentlichen Dienste zu machen, dessen Besorgung nicht Privaten, sondern nur Amtspersonen, polizeilichen Angestellten, überlassen werdeu könne.

Art. 53, Absatz 2, der Bundesverfassung hat aber keineswegs diese Tragweite. Er bezweckt nichts anderes als was sein Wortlaut besagt: die Leitung des Begräbniswesens durch die bürgerlichen Behörden, im Gegensatz zu der durch konfessionelle Rücksichten bestimmten kirchlichen Ordnung desselben. Wie der Bundesrat schon in seinem Berichte an die Bundesversammlung vom 24. Mai 1875, betreffend das Begräbniswesen in den Kantonen, bemerkt hat, ist es der Wille des Art. 53, Absatz 2, der Bundesverfassung, ^daß die Besorgung und Beaufsichtigung des Begräbniswesens ausschließlich Sache der politischen Gemeinden seia. (Bundesbl. 1875, III, 21 ; v. Salis, Bundesrecht, II,. Nr. 732.) Damit ist nun aber nicht gesagt, daß die politischen Gemeinden der Privatinitiative und der Privatthätigkeit in diesem Gebiete keinerlei Spielraum zu gewähren haben. Allerdings soll, der Natur der Sache nach und im Interesse der öffentlichen Ordnung und des öffentlichen Wohles, das ganze Gebiet des Begräbniswesens der Aufsicht der bürgerlichen Polizeibehörden unterstellt sein, und es erscheint daher als durchaus gerechtfertigt, wenn die Behörden den Dienst der Leichenbitterinnen reglementieren, in Bezug auf die persönliche Qualifikation der diesen Dienst als Beruf, betreibend en Personen, ihre Verrichtungen und deren Bezahlung genaue, der Lage der Trauerfamilie und der Würde der Leichenfeierlichkeiten angemessene Vorschriften aufstellen. In dieser Weise sorgt die Behörde dafür, daß dem Publi-

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kum in der That durch den Dienst der Leichenbitterinnen ein Dienst erwiesen wird. Die Polizeikommission der Stadt Born hat dies durch ihre Instruktion vom 12. Februar 1880 gethan, und es ließe sich gegen den Inhalt ihrer Verordnungen, wie unter Ziffer 2 besprochen werden soll, im wesentlichen nichts einwenden, wenn sie nicht davon ausginge, daß der Dienst der Leichenbitterinnen als eine Amtsverrichtung zu betrachten sei und daher nur einigen von ihr ernannten Personen als Angestellten der Stadtpolizei gestattet werden könne.

Zur Begründung dieses Standpunktes kann sich die Polizeibehörde der Stadt Bern, wie dargethan wurde, nicht auf Art. 53, Absatz 2, der Bundesverfassung berufen ; sie kann aber auch nicht aus den irn Kanton Bern geltenden staatlichen und der in der Stadt Bern eingeführten kommunalen Ordnung des Begräbniswesens oder aus der Natur und dem Inhalt der den Leichenbitterinnen obliegenden Verrichtungen die Berechtigung ihrer Auffassung herleiten und dieselbe gegenüber der Bestimmung des Art. 31 der Bundesverfassung, wonach Verfügungen über Ausübung von Gewerben den Grundsatz der Gewerbefreiheit selbst nicht beeinträchtigen dürfen, aufrecht erhalten.

2. Das großrätliche Dekret vom 25. November 1876, betreffend das Begräbniswesen, enthält keinerlei Bestimmungen, die sich auf den Dienst der Leichenbitterinnen beziehen ; es erklärt im Eingänge, daß es bezwecke, die §§ 3 und 4 des bernischen Gesetzes über das Kirchenwesen, vom 18. Januar 1874, und den Art. 53, Absatz 2, der Bundcsverfassung auszuführen, stellt, diesem Zwecke entsprechend, im allgemeinen fest, daß das Begräbniswesen Ortspolizeisache sei, überläßt die Anordnung kirchlicher Feierlichkeiten, mit gewissen Beschränkungen, der Initiative der Hinterlassenen des Verstorbenen und erläßt sodann eingehende Vorschriften über die Benutzung und Anlage der Friedhöfe und die Beerdigung in denselben.

Die in Ausführung des Dekretes vom 25. November 1876 vom Gemeinderat der Stadt Bern aufgestellte Begräbnis- und Friedhofordnung für die Stadtgemeinde Bern, vom 29. Dezember 1879, deren hier wesentlich in Betracht fallende Bestimmungen unter Ziffer I hiervor wörtlich angeführt sind, betrachtet grundsätzlich die mit einem Todesfall verbundenen Anzeigepflichten - in Übereinstimmung mit dem Bundesgesetz über Civilstand und Ehe -- als Sache der Familienangehörigen oder Hausgenossen, ebenso die Veranstaltung des Leichenbegängnisses und der Beerdigung, sowie die Tragung der Kosten. Demgemäß legt die go-

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meinderätliche Verordnung denn auch niemand die Pflicht auf, die Veranstaltung und Besorgung der Vorkehrungen für ein Leichenbegängnis und eine Beerdigung den Leichenbitterinnen zu übertragen, sondern stellt die Inanspruchnahme derselben ausdrücklich dem Belieben der Beteiligten anheim. ' Damit haben die administrativen Behörden des Kantons und der Stadt Bern anerkannt, daß der Dienst der Leichenbitterinnen nicht solche Verrichtungen in sich begreift, die vermöge ihrer Natur und ihrer Wichtigkeit Amtsverrichtungen bilden müssen und daher der privaten Initiative und Besorgung nicht überlassen werden dürfen.

Es'ist ohne weiteres klar, daß die Privaten, welche sich der Vermittlung der Leichenbitterinnen entschlagen und die bezüglichen Verrichtungen nach freier Wahl entweder selbst besorgen oder durch andere Personen besorgen lassen, die sämtlichen einschlägigen polizeilichen Vorschriften ebenso genau zu beobachten oder für deren Befolgung einzustehen haben, wie die Leichenbitterinnen, und daß sie hierfür der polizeilichen Aufsicht gleich wie diese unterliegen.

Daraus ergiebt sich, daß die Leichenbitterinnen zwar der besondern Aufsicht der Polizeiorgane unterstellt sein müssen, daß es aber unrichtig ist, ihnen die Eigenschaft von Beamten zuzuschreiben.

Eine nähere Betrachtung der in der Instruktion der Polizeikommission vom 12. Februar 1880 den Leichenbitterinnen übertragenen Obliegenheiten wird erweisen, ob gegen diese Auffassung etwas Stichhaltiges eingewendet werden kann.

a. Die allgemeine Vorschrift, daß die Leichenbitterinnen die jeweiligen polizeilichen Bestimmungen über das Begräbniswesen kennen und sowohl selbst befolgen als auch die Beteiligten darauf aufmerksam machen, eventuell Widerhandlungen dem Polizeiinspektor anzeigen sollen, kann ganz ebensowohl gegenüber Privaten, die sich einem polizeilich geregelten Berufe widmen -wollen, aufgestellt werden.

6. Daß die Leichenbitterinnen die ihnen zugehenden Aufträge übernehmen und ausführen müssen, ist eine Pflicht, die sie mit einer Reihe von Gewerbetreibenden teilen ; man denke an die Apotheker, deren Beruf ja durch einen förmlichen Bundesbeschluß (vom 23. Dezember 1881) als der Wohlthat des Art. 31 der Bundesverfassung teilhaftig erklärt worden ist, an die Gasthofwirtc, denen die Pflicht der Aufnahme der Reisenden obliegt, u. a. m.

c. Unter den Verrichtungen, welche die Instruktion der Polizeikommission von Bern ins Pflichtcuheft der Leichenbitterinnen

851 schreibt, befindet sich nicht eine einzige, deren Ausführung den amtlichen Charakter der verpflichteten Person voraussetzen oder erheischen würde; wohl aber kann gesagt werden, daß für ein/eine derselben eine behördliche Anleitung und Anweisung erforderlich ist; das gilt z. B. von der sofortigen Anzeige des Todesfalles an das Civilstandsamt, von der Angabe des reglementarischen Maßes des Sarges au den Totengräber und Leichenfuhrunternelnner, von der Anwendung der Tarifsätze bei der specifizierten Rechnungslegung, von der Einholung der polizeilichen Bewilligung für außergewöhnliche Veranstaltungen. Diese besondern Erfordernisse vermögen jedoch der Thätigkeit der Leichenbitterinnen den Charakter einer gewerblichen Berufsausübung nicht zu benehmen, und nachdem bundesrechtlich sogar bei wissenschaftlichen und für das öffentliche Wohl eminent wichtigen Berufsarten, wie der Ärzte, Apotheker (vergi, v. Salis, II, Nr. 586 ff.), das gewerbliche Element des Berufes anerkannt worden ist, muß es doch wohl als ausgeschlossen gelten, für Leichenbitterinnen der wenigen polizeilichen Vorschriften wegen, die sie kennen müssen, den Charakter als Amtspersonen zu fordern und jegliche berufliche Konkurrenz zu verpönon.

3. Das Urteil der bernischen Polizeikammer vom 13. November 1895 hat seine Beweisführung auf einem Satze aufgebaut, der der Berichtigung bedarf. ,,Es liegt auf der Hand1'", sagt die Polizoikammer, ,,daß eine Polizeibehörde einen Teil des ihr zustehenden Aufsichtsrechtes über das Begräbniswesen nicht beliebigen Drittpersonen überlassen kann, sondern sie muß für solche Personen bestimmte Vorschriften aufstellen und dieselben einer genauen Kontrolle unterstellen. Dies geschieht in rationeller Weise nur dadurch, daß sie diese Personen als Angestellte wählt, ihuen amtlichen Charakter verleiht, so daß Dritte diese Funktionen nicht ausüben können, ohne sich der Amtsanmaßung schuldig zu machen.

Es hat daher die Polizeibehörde behufs Aufrechterhaltung der Ordnung im Begräbniswesen ein wesentliches Interesse, daran, daß die Obliegenheiten der Leichenbitterinnen amtlicher Natur seien."

Gegen die Folgerichtigkeit dieses Gedankenganges ließe sich nichts einwenden, wenn der Ausgangspunkt ein richtiger wäre.

Dies ist nun aber nicht der Fall. Das der Polizeibehörde zustehende Aufsichtsrecht erfordert zu seiner
Ausübung nicht die Vornahme aller und jeder mit dem Begräbniswosen zusammenhängenden Handlungen und Vorkehrungen durch die Organe und Angestellten der Polizei. Das anerkennt, wie schon gesagt, auch die bernische Gesetzgebung über das Begräbniswesen, indem sie die Inanspruchnahme der Leichenbitterinnen den Privaten nicht vorschreibt,

852 sondern nur gestattet. In der That stellen sich die, die Präliminarien einer Leichenbestattung bildenden Verrichtungen der Leichenbitterinnen samt und sonders als Aufträge dar, welche von den Beteiligten ausdrücklich oder stillschweigend erteilt werden und für deren Ausführung durch Beamte oder Angestellte durchaus kein zwingendes öffentliches Interesse vorliegt, wie dies umgekehrt z. B. in Bezug auf den Leichcntransport und den Beerdigungsakt selbst gesagt werden kann.

Es mag hier beinehens bemerkt werden, daß die Begrab ni sund Friedhofordnung der Stadt Bern vom 29. Dezember 1879 ganz und gar, auch in Hinsicht auf die Pflicht der Todesanzeige an das Civilstandsamt, auf diesem richtigen, durch das Bundesrecht im genannten Punkte übrigens vorgezeichneten Standpunkte steht, während die Instruktion der Polizeikommission aus der Todesanzeige eine amtliche Pflicht der Leichenbitterinnen machen möchte, die auf keiner gesetzlichen Bestimmung beruht und welche die gesetzlich Verpflichteten nicht von ihrer Verantworlichkeit zu befreien vermag.

Der bernische Gerichtshof geht demnach zu weit, wenn er aus dem unzweifelhaft richtigen Satze, daß eine Polizeibehörde ihr Aufsichtsrecht nicht beliebigen Privatpersonen übertragen kann, die Schlußfolgerung zieht, die Leichenbitterinnen, die ja unbestreitbar der Aufsicht und Kontrolle der Polizeibehörde unterstellt sein sollen, müssen amtliche Personen sein.

4. Aus dem Gesagten folgt, daß die Leichenbitterinnen in der Stadtgetneinde Bern schon nach kantonalem Recht nicht als Amtspersonen gelten können, und daß, wenn auch die Auffassung des kantonalen Gerichts der kantonalen Gesetzgebung entsprechen würde -- was in maßgebender Weise festzustellen freilich nicht Sache der Bundesbehörde ist --, das Bundesrecht (Art. 31 der Bundesverfassung) verbieten würde, den Dienst der Leichenbitterinnen unter Ausschließung jeder Konkurrenz zu einem auf eine bestimmte Zahl von Inhabern beschränkten Amte zu stempeln. Andererseits ist aus den bisherigen Erörterungen hervorgegangen, daß es nicht gegen Bundesrecht verstößt, wenn die Polizeibehörden die Ausübung des Berufes einer Leichenbitterin nur solchen Personen gestatten, welche die wünschbare persönliche Garantie für eine würdige, der Sache angemessene Erfüllung der einschlägigen Obliegenheiten und für genaue, gewissenhafte
Befolgung der polizeiliehen Vorschriften darbieten, und daß in diesem Sinne gegen den Inhalt der Instruktion der bernischen Polizeikommission vom 12. Februar 1880, sobald Ziffer l derselben entsprechend abgeändert wird, wesentlich nichts zu bemerken ist. Selbstverständlich muß

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die Anwendung der Kontroll- und Aufsichtsrechte der Polizeiorgane von jeder Willkür frei sein; andernfalls würde sie einer thatsächlichen Beeinträchtigung des durch Art. 31 der Bundesverfassung gewährleisteten Rechtes des freien Wettbewerbes im Gebiete des Gewerbewesens gleichkommen.

Es kann also wohl gegen die Ausübung dieses Berufes ohne polizeiliche Bewilligung eine Ordnungsstrafe verhängt, nicht aber darf jemand, der ohne polizeiliche Bewilligung berufsmäßig den Leichen bitterdienst versieht, wegen Amtsanmaßung, d. h. nach der Ausdrucksweise des bernischen Strafgesetzbuches (Art. 83) "wegen unbefugter Einmischung in öffentliche Civil- oder Militäramtsvorrichtungen oder Vornahme einer in diese Verrichtungen einschlagenden Handlung" bestraft werden.

Demnach wird beschlossen: 1. Der Rekurs ist begründet.

2. Infolgedessen wird das gegen die Rekurrentin ausgefällte Strafurteil der Polizeikammer des Appellations- und Kassationshofes des Kantons Bern vom 13. November 1895 aufgehoben.

3. Dieser Beschluß ist der hohen Regierung des Kantons Bern, für sie und zu Händen der Polizeikammer, sowie dem Vertreter der Rekurrentin schriftlich mitzuteilen.

B e r n , den 18. August 1896.

Im Namen des Schweiz. Bundesrates, Der B u n d e s p r ä s i d e n t :

A. LachenaL.

Der Kanzler der Eidgenossenschaft: Ringier.

Schweizerisches Bundesarchiv, Digitale Amtsdruckschriften Archives fédérales suisses, Publications officielles numérisées Archivio federale svizzero, Pubblicazioni ufficiali digitali

Bundesratsbeschluss über den Rekurs der Lina Merz, von Leimbach und Beinwil (Aargau), in Bern, gegen das Strafurteil der Polizeikammer des Appellations- und Kassationshofes des Kantons Bern vom 13. November 1895, betreffend das Vergehen der Amtsanmaß...

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1896

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35

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26.08.1896

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841-853

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