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Schweizerisches Bundesblatt.

48. Jahrgang. IV.

Nr. 48.

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25. November 1896.

Botschaft dos

Bundesrates an die Bundesversammlung, betreffend eine am 14. Oktober 1896 mit der französischen Regierung getroffene "Vereinbarung zur Regelung der Beziehungen zwischen der Schweiz und Tunis.

(Vom 20. November 1896.)

Tit.

'

Die Schweiz und die Regentschaft Tunis, die seit dem Jahre 1881 unter französischem Protektorate steht, haben sich gegenseitig, ohne ausdruckliche Vereinbarung, stets auf dem Fuße der meistbegünstigten Nation behandelt. Seit dem Jahre 1871 besteht in Tunis für alle Waren ein Wertzoll von 8 % mit Ausnahme von Wein und Spirituosen, Uhren und Bijouterien. Letztere beiden Artikel unterliegen einem Wertzoll von 0,25 bis l °/o. Eine Anzahl Artikel, wie z. B. Rindvieh, Schafe und Ziegen, Getreide, Bücher, landwirtschaftliche Maschinen und Geräte zum Privatgebrauch, sind zollfrei.

Am 28. September dieses Jahres erschien nun ein Dekret des Bey von Tunis, welches einen neuen Zolltarif aufstellte, dessen Ansätze mit wenig Ausnahmen die gleichen wie diejenigen des französischen Generaltarifs sind. Dieser Tarif sollte vom 15. Oktober dieses Jahres an auf die Waren aller derjenigen Länder angewendet werden, die mit Tunis hinsichtlich des Handels in keinem Vertragsverhältnisse stehen. Für die Vertragsstaaten bleibt hingegen die Anwendung des -alten Zolles von 8 °/o vorläufig gesichert, weil derselbe noch durch einen Vertrag zwischen Tunis und GroßBundesblatt. 48. Jahrg. Bd. IV.

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626 britannien vom Jahre 1875 auf unbestimmte Zeit gebunden ist.

Dieser Vertrag dauert nämlich so lange, bis durch eine RevisionT die vom eiuen oder ändern Teile jederzeit verlangt werden kann,, eine Änderung "o vereinbart wird.

Es lag infolge des genannten Dekretes die Gefahr nahe, daß die schweizerischen Erzeugnisse in Tunis von Mitte Oktober an einem höheren Zoll als die französischen, englischen, italienischen etc..

unterworfen würden.

Sofort nachdem uns dasselbe zur Kenntnis gekommen war r setzten wir uns durch Vermittlung unserer Gesandtschaft in Paris mit dem französischen Ministerium in Verbindung, um wo möglich noch vor dem Termin der Inkraftsetzung des neuen Tarifes eine Vereinbarung im Sinne der gegenseitigen Meistbegünstigung zu treffen. Wir fanden denn auch das erwartete Entgegenkommen r so daß am 14. Oktober zur Unterzeichnung der Übereinkunft geschritten werden konnte, welche wir Ihnen hiermit zur Genehmigung unterbreiten.

Die F o r m dieser Konvention sollte nach dem Wunsche des französischen Ministeriums auch für die ändern Staaten, mit welchen noch Vereinbarungen wegen Tunis getroffen würden, typisch sein, weshalb einige Erläuterungen betreffend speciell schweizerische Verhältnisse nicht in der Übereinkunft selbst, sondern in einer Note de» Ministers des Auswärtigen enthalten sind.

Der Inhalt der getroffenen Vereinbarungen resümiert sich auf Grund der Konvention und der genannten Note wie folgt: 1. Die Schweiz genießt in Tunis in jeder Hinsicht die Rechte der meistbegünstigten Nation.

Nach erfolgtem Ratifikationsaustausch wird durch den Bey von Tunis ein Dekret folgenden Inhalts erlassen werden : ,,Der dem ,,Dekrete vom 28. September 1896 beigefügte Generalzolliarif ist ,,auf Erzeugnisse schweizerischen Ursprungs nicht anwendbar. Diese ,,Erzeugnisse können in Tunis eingeführt werden, ohne höhere Zölle ,,zu entrichten als die gleichartigen Artikel der meistbegünstigten ,,Nation, mit Ausnahme Frankreichs". -- Für die Zwischenzeit bis zum Ratifikationsaustausch sind die nötigen Ordres zur Meistbegünstigung der schweizerischen Erzeugnisse gegeben worden.

Die Ausnahme, welche zu gunsten Frankreichs vorbehalten wird, bezieht sich auf den Fall, daß auch Tunis, wie seiner Zeit

627 Algier und die indochinesischen Schutzgebiete, grundsätzlich dem Zollgebiete Frankreichs einverleibt und die französischen Erzeugnisse zollfrei würden. Ein gleicher Vorbehalt befindet sich auch im neuen italienisch-tunisischen Handels- und Schiffahrt s vertrag. Der letztere bestimmt jedoch zugleich, daß im Falle der Änderung des jetzigen Wertzolls von 8 °/o (der, wie bereits erwähnt, einstweilen noch durch den englisch-tunisischen Vertrag garantiert ist) die Ansätze des neuen Tarifes nicht höher sein dürfen, als diejenigen des französischen Minimaltarifes.

2. Alle zwischen der Schweiz und Frankreich bereits bestehenden Vereinbarungen werden auf Tunis ausgedehnt.

Diese Vereinbarungen sind folgende: a. V e r t r a g über den G e r i c h t s s t a n d und die Vollz i e h u n g von Urteilen in C i v i l s a c h e n , vom 15. Juni 1869 (A. S. IX, 1002). In der Note des französischen Ministers des Auswärtigen wird erklärt, daß die Ausdehnung dieses Vertrages auf Tunis sich nur auf die in der Regentschaft amtenden f r a n z ö s i s c h e n Gerichte und ihre Urteile beziehe. Immerhin sind in gewissen Fällen die Gerichte des Bey in Angelegenheiten betreffend das Grundeigentum kompetent und ihre Urteile vollziehbar in der Weise, wie es im Art. VII der italienisch-tunisischen Niederlassungskonvention vom 28. September 1896 vorgesehen ist*}5 b. A u s l i e f e r u n g s v e r t r a g vom 9. Juli 1869 (A. S. X, 35).

Durch Erklärung vom 12. April 1893 (A. S. n. F. XIII, 353) ist dieser Vertrag bereits auf Tunis ausgedehnt, jedoch bestimmt worden, daß die Frist für die Geltendmachung des Auslieferungsbegehrens bei den tunisischen Gerichten auf zwei Monate verlängert werde. Diese Erklärung soll durch die neue Vereinbarung in keiner Weise alteriert werden; *) Dieser Artikel lautet wie folgt : Die Italiener in Tunis sind nur der französischen Gerichtsbarkeit unterstellt; in Angelegenheiten, die das Grundeigentum betreffen, sofern dieses in die öffentlichen Register eingetragen ist oder alle beteiligten Parteien persönlich unter französischer Gerichtsbarkeit stehen, wird jedoch das Urteil durch die tunisisihen Gerichte und in letzter Instanz durch den Bey gefällt.

Die Vorladung eines Italieners vor ein tunisisches Gericht erfolgt durch Vermittlung des italienischen Konsuls und ant dessen Anojdnung; dieser soll,
unter Nichtigkeit des zu fällenden Urteils, eingeladen werden, an den Gerichtsverhandlungen teilzunehmen oder sich hei denselben vertreten zu lassen.

Die in Grundeigentumsangelegenheiten vom zustäudigen tunisischen Gericht gegen einen Italiener gefällten Urteile werden auch fernerhin durch die französischen Gerichtsbehörden vollzogen werden.

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c. N i e d e r l a s s u n g s v e r t r a g vom 23. Februar 1882 (A. 8. n. F. VI, 395). Die Ausdehnung dieses Vertrages auf Tunis sichert den Schweizern die Gleichbehandlung mit den Franzosen oder den Angehörigen der meistbegünstigten Nation; d. Übereinkunft betreffend gegenseitige unentgeltliche Verpflegung der Geisteskranken und verlassenen Kinder, vom 27. September 1882 (A. S. n. F. VII, 186); e. Übereinkunft betreffend Durchführung der Schulpflicht in den beidseitigen Gebieten, insbesondere in den Grenzortschaften, vom 14. Dezember 1887 (A. S. n. F. X, 629).

Selbstverständlich haben die unter d und e erwähnten Konventionen in Tunis vorläufig wenig praktische Bedeutung; es handelt sich mehr um das Prinzip, auf dem die vorliegende Vereinbarung beruht, überhaupt alle zwischen der Schweiz und Frankreich bestehenden Verträge, soweit sie nicht nur die Grenz Verhältnisse betreffen, auf Tunis auszudehnen.

3. Die Schweiz beansprucht für ihre Konsuln, Privatangehörigen und Niederlassungen (établissements) in Tunis keine ändern Rechte und Privilegien als diejenigen, welche sie in Frankreich erworben hat.

4. Die Meistbegünstigung in Tunis begreift im a l l g e m e i n e n die Rechte und Vorrechte zu gunsten Frankreichs nicht in sich.

Was aber die Niederlassung anbetrifft, so ist hervor/.uheben, daß kraft der Meistbegünstigungsklausel, die im schweizerisch französischen Niederlassungsvertrag von 1882 enthalten ist, die in Tunis niedergelassenen Schweizer mit Bezug auf ihre Personen und ihre Güter nicht nur den tunisischen Unterthanen, sondern auch den Franzosen in Tunis gleichgestellt sein sollen. Dies ist auch im neuen französisch-italienischen Niederlassungsvertrag für Tunis zu gunsten der Italiener in der Regentschaft ausdrücklich stipuliert worden.

Was die Einfuhr tunisischer Erzeugnisse in die Schweiz betrifft, so ist von uns selbstverständlich Gegenrecht zu halten, obschon dies in den getroffenen Abmachungen nicht ausdrücklich gesagt ist.

Mangels eines förmlichen Handelsvertrages zwischen der Schweiz und Frankreich dient als formelle Grundlage für die reciproke .Meistbegünstigung das schweizerisch-französische Arrangement, welches seinen Ausdruck im Notenaustausch vom 25. Juni 1895 gefunden hat. Dieses Arrangement beruht bekanntlich auf der stillschweigenden Voraussetzung der gegenseitigen Behandlung auf dem Fusse der meist-

629 begünstigten Nation. Fiir die übrigen Materien resultiert die Meistbegünstigung ohne weiteres aus der Ausdehnung der aufgeführten Verträge und Konventionen mit Frankreich auf Tunis.

Über unseren Handelsverkehr mit diesem Lande giebt die Statistik unseres Warenverkehrs keinen speciellen Aufschluß, da in derselben mit Ausnahme von Egypten ganz Nordafrika zusammengefaßt ist.

Als wichtigere Exportartikel sind Baumwollgewebe und Uhren hervorzuheben ; außerdem dürften eine Reihe anderer schweizerischer Artikel dort ebenfalls etwelchen Absatz finden. Von verschiedenen Exporteuren ist uns schon während den Unterhandlungen ein erhebliches Interesse an der Verhütung einer differentiellen Zollbehandlung schweizerischer Waren manifestiert worden ; es ist also jedenfalls außer Zweifel, daß die getroffene Vereinbarung einem wirklichen Bedürfnisse entspricht und ihren bescheidenen reellen Nutzen hat.

Aus Tunis in die Schweiz wird vermutlich nur Wein, und auch dieser nur in geringer Quantität, eingeführt.

Wir empfehlen Ihnen die getroffenen Vereinbarungen und dea beiliegenden Beschlußentwurf zur Genehmigung und benutzen diesen Anlaß, Sie, Tit., unserer vollkommenen Hochachtung zu versichern.

B e r n , den 20. November

1896.

Im Namen des Schweiz. Bundesrates,.

Der Bundespräsident:

A. Lachenal.

Der Kanzler der Eidgenossenschaft r Ringier.

630 (Entwurf.)

Bundesbeschlnß betreifend

eine Vereinbarung mit der französischen Regierung zur Regelung der Beziehungen zwischen der Schweiz und Tunis.

Die Bundesversammlung der schweizerischen Eidgenossenschaft, nach Einsicht l einer Vereinbarung mit der französischen Regierung zur Regelung der Beziehungen zwischen der Schweiz und Tunis, vom 14. Oktober 1896; 2. einer Botschaft des Bundesrates vom 20. November 1896, beschließt: Art. 1.

Die erwähnte Vereinbarung wird genehmigt.

Art. 2. Der Bundesrat wird mit der Vollziehung dieses Beschlusses beauftragt.

631

Übereinkunft.

In der Absicht, die Beziehungen zwischen der Schweiz îund Frankreich in Tunis zu regeln und die vertragsmäßige Situation zwischen der Schweiz und der Regentschaft genau .zu bestimmen, haben die Unterzeichneten, von ihren Regierungen gehörig bevollmächtigt, folgendes vereinbart: Die Verträge und Konventionen jeder Art, die zwischen «der Schweiz und Frankreich in Kraft bestehen, werden auf Tunis ausgedehnt.

Die Schweiz wird für ihre Konsuln und ihre Niederlassungen (établissements) in Tunis keine ändern Rechte und Privilegien als diejenigen beanspruchen, die sie in Frankreich erworben hat.

Man ist ferner darüber einverstanden, daß die Behandlung auf dem Fuße der meistbegünstigten Nation in Tunis ·die französische Behandlung nicht in sich schließt.

Die vorliegende Urkunde soll ratifiziert und es sollen ·die Ratifikationen innerhalb dreier Monate nach der Unterzeichnung ausgewechselt werden.

Geschehen in doppelter Ausfertigung in P a r i s , den ·vierzehnten Oktober 1896.

(L. S.) gez. Lardy.

(L. S.) gez. Hanotaux.

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Botschaft des Bundesrates an die Bundesversammlung, betreffend eine am 14. Oktober 1896 mit der französischen Regierung getroffene Vereinbarung zur Regelung der Beziehungen zwischen der Schweiz und Tunis. (Vom 20. November 1896.)

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25.11.1896

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