1050

# S T #

Schweizerische Bundesversammlung,

Die gesetzgebenden Räte der Eidgenossenschaft sind am 7. Dezember 1896 zur ersten Session der XVII. Amtsperiode zusammengetreten.

Herr Louis W u i l l e r e t , von und in Freiburg, geboren im Jahre 1815, eröffnete als Alterspräsident die Sitzung des N a t i o n a l r a t e s mit folgender Ansprache: Meine Herren Nationalräte !

Durch das Vorrecht des Alters zur Leitung der ersten Sitzung der 17. eidgenössischen Legislaturperiode berufen, stelle ich, wie Sie, mit Genugthuung fest, daß trotz dem Gegensatz der Parteien die Erneuerung des Nationalrates sich mit der Ruhe und Würde vollzogen hat, wie sie einem Volke geziemen, das vertraut mit den Akten des öffentlichen Lebens und das seiner Rechte und Pflichten sieh bewußt ist.

Eine kurze Rückschau auf die Arbeit der abgelaufeneu Legislaturperiode mag uns zeigen, daß sie sehr wohl den Vergleich mit ihren Vorgängerinnen aushalten kann, dank dem Eifer, der sowohl seitens der obersten Verwaltung als auch der Räte in gesetzgeberischen Arbeiten, wie in Maßnahmen und Beschlüssen zur Förderung der öffentlichen Wohlfahrt entfaltet wurde. Angesichts der Zahl von Gesetzen und Volksbegehren, die nicht die Zustimmung des Schweizervolkes haben finden können, könnte mau sogar behaupten, es habe nur eine zu große Geschäftigkeit in Ausarbeitung und Erlaß neuer Gesetze gewaltet.

Die von der letzten Legislaturperiode erlassenen Gesetze, welche stillschweigend vorn Volk genehmigt wurden oder siegreich aus der Feuerprobe des Referendums hervorgiengen, sind folgende : Gesetz zur Förderung der Landwirtschaft, Postregal, Gesetz über Vergehen gegen die öffentliche Sicherheit, Gesetz über die Organisation der Gotthardbefestigungen, Bundesbeschluß über die Nationalbibliothek, Gesetz über Inspektion und Instruktion des Landsturms, Gesetz über die Besoldungen der Beamten des Militärdepartements, Gesetz über das S ti mmrecht der Eisenbahnaktionäre, Gesetz über das Rechnungswesen der Eisenbahnen.

1051 Das Bankgesetz wird im nächsten Februar der Billigung des Schweizervolkes unterbreitet.

Die Gesetze und Bundesbeschlüsse, welche das Volk verworfen hat, sind folgende: Bundesbeschluß betreffend Gewerbegesetz°;ebung (verworfen am 4. März 1894), Initiativbegehren über das Recht auf Arbeit (verworfen am 3. Juni 1894), Zollverteilungsinitiative (verworfen am 4. November 1894), Zündhölzchenmonopol (verworfen am 29. September 1895), Militärcentralisation (verworfen am 3. November 1895), die Gesetze über Viehhandel und Discipliuarstrafordnung (verworfen am 4. Oktober 1896).

Hat demnach die 16. Legislaturperiode mit Eifer auf verschiedenen Gebieten der öffentlichen Verwaltung sich gesetzgeberisch bethätigt, so ist ihre Arbeit nicht weniger fruchtbar gewesen hinsichtlich öffentlicher Bauten, in der Bewilligung von Subventionen zu gunsten der Landwirtschaft, für Straßen bauten, Flußverbauuugen und andere zur Förderung des Landeswohles berechnete Werke.

Von öffentlichen Bauten, welche direkt von der Eidgenossenschaft unternommen wurden, nenne ich in erster Linie den Bau des Bundeshauses, ein großes, schönes Werk, welches eine der Hauptzierden der Bundesstadt bilden wird, dann das Archivgebäude, ferner die Poslgebäude in Frauenfeld, Sehaffhausen, Zürich, Chur, Freiburg, Lausanne und Winterthur. Von den Subventionen an Straßen militärischen Charakters erwähne ich diejenige für die Schallenbergstraße (Bern) und die Schangnau-Wiggenstraße (Luzeru).

Besonders zahlreich flössen die Subventionen für Flußverbauungen: Hornbach, Scheuß, Engstligen, Emme irn Kanton Bern, ttüfibaeh (Schwyz), Gryonne, Rhone und Orbe in der Waadt, Giswylerbach (Obwalden), Trübbach (St. Gallen), Maggia (Tessiu"), Limmat, Sihl und Küßnachterbach (Zürich), Nolla (Graubüuden), Biltenerbach (Glarus), Wiese (Basel). Das schöne Werk zur Förderung des Basler Handels, der Hüningerkanal, sei nicht vergessen. Nicht mit Stillschweigen übergangen werden dürfen ferner die Subventionen, welche den durch die Trockne des Jahres 1893 heimgesuchten Kantonen zugewendet wurden, ebenso die der Landesausstellung zugewiesene Subvention im Betrag von einer Million.

Gewiß, das Schweizervolk schuldet den eidgenössischen Behörden ein Zeichen der Dankbarkeit für die weitherzige Voraussicht und die Bereitwilligkeit, mit welcher sie den Kantonen zur Ausführung
von öffentlichen Werken die helfende Hand geboten haben.

War die von der 16. Legislaturperiode durchlaufene Bahn reich an Arbeit und oft dornenvoll, so wird die Aufgabe der heute beginnenden 17. Periode noch viel schwieriger sein. Außer dem Pro-

1052 bìetn, welches angesichts der ausein.mdergehenden Ideen über die Organisation der Kranken- und Unfallversicherung zu lösen ist, sehen wiv andere schwerwiegende Fragen auftauchen: Verstaatlichung der Eisenbahnen und Vereinheitlichung des Civil- und Strafrechts.

Ich enthalte mich jeder Äußerung über diese letzteren Fragen und halte mich nur einen Augenblick bei der Kranken- und Unfallversicherung auf. Wir alle «unschön, daß dieses großartige humanitäre Werk baldmöglichst seine Vollendung erhalte. Es wird der wahrhafte Ausdruck der christlichen Bruderliebe sein und dazu beitragen, den socialen Frieden an siehern. Aber um das längst ersehnte Ziel zu erreichen, wird das uns vorliegende Projekt der Abänderung bedürfen. Einmal müßte die Existenz der freien Kassen garantiert, sodann das System der Versic-horungskreise in der Weise modifiziert werden, daß sie den kantonalen Grenzen und dem Gebietsumfang der einzelnen Kantone angepalU werden. Es wird nur recht und billig sein, kantonalen Beamten oder Behörden, unter der Aufsicht der Centralbehörde, die Verwaltung im einzelnen anzuvertrauen, denn sie sind am besten im Falle, die Lage ihrer Zugehörigen kennen und würdigen zu können. Vergessen wir übrigens nicht, daß das föderative System, welches die Schweiz geschaffen h«t und unter welchem sie im Laufe der Jahrhunderte groß und glüi'klich geworden isf, auch das einzige ist, welches ihren verschiedenartigen Bevölkerungen, die hinsichtlich Abstammung, Sprache, Sitten und Gebräuchen so weit auseinandergehen, nn^epaßt ist und einzig auch die Einigkeit und Harmonie unter den Eidgenossen aufrechtzuerhalten vermag.

Herren Nationalräte !

Bevor ich schließe, liegt mir noch ob, derer zu gedenken, welche der Bundesversammlung seit der letzten Session entrissen w u r d e n : je dreier Mitglieder beider Riite.

Arn 9. Juli hatte der Kanton Wallis den Verlust des Herrn Louis v on K a i b e r m a t t e n , von Reckin^en, zu beklagen, der, ein noch jugendlieher Magistrat, ein liebenswürdiger Charakter, ein volkstümlicher uud geachteter Mann, im Alter von 40 Jahren dahinschied.

Im Jahre 1895 war er an Stelle des in den Nationalrat gewählten Herrn de Torrente in den Ständerat getreten. Von Leben und Gesundheit strotzend ist er uns, nach kurzen Krankheitstagen, unerwartet entrissen worden, ein um so beklagenswerterer
Verlust, als seine Fähigkeiten, seine Hingabe dem Lande noch lange uud gute Dienste halten leisten können.

Drei Tage nach dem Hinscheid erlitt der Kanton Baselstadt einen herben Verlust durch den Tod von Fritz G ö t t i s h ei m. Im Dezember 1881 in den Ständerat gewählt, gehörte er diesem Rate

1053 ununterbrochen bis zu seinem Tode an. Ihm war im Juni 1891 die Ehre zu teil geworden, den Rat zu präsidieren, und er bekleidete diese Funktionen bis Ende März 1892. Seine hohen Fähigkeiten hatten ihn überdies dazu berufen, zahlreiche Kommissionen als Präsident zu leiten und vielfach als Komniissionsmitglied Bericht zu erstatten; dank ihnen hat er sich auch großes Gewicht bei den Beratungen dieser Behörde zu verst-haffeu gewußt. Sein Tod hinterläßt tiefes Bedauern.

Am 23. August traf ein neuer Verlust den Nationalrat iu der Person des Herrn Plinio B o l l a von Oüvone (Tessin). Er war bei Anlaß der Integralerneuerungswahlen vom Dezember 1893 in den Nationalrat getreten. Wir alle haben Gelegenheit gehabt, bei deu Beratungen über das Eisenbahnreehnungsgesetz seine hervorragenden Eigenschaften, seine Redegewandtheit, sein klares, leichtfließendes Wort zu bewundere. Er hat sich als ausgezeichneter Jurist hervorgethan und der Kanton Tessin muß seinen Verlust schwer bedauern.

Am 19. Oktober verstarb in Mels (St. Gallen) Karl Friedrich G o o d , geboren 1841. Von seinem HeiinatUanton in den Stäuderat entsandt, gehörte er dieser Behörde bis zu seinem Tode an und hat derselben durch seine Fähigkeilen und seine gründliche Geschäfts kenntnis wertvolle Dienste geleistet. Er war Präsident der Budgetkommission für das Jahr 1894, Mitglied zahlreicher anderer Kommissionen und mehrfach Berichterstatter, ein stets arbeitsfrohes und eifriges Ratsmitglied, in dem der Ständerat einen fleißigen, kenntnisreichen und erfahrenen Mann verloren hat.

Arn 30. Oktober verlor der Kanton Waliis, noch in tiefer Trauer über den Hinscheid von Louis von Kalbermatten, einen weiteren seiner Söhne, Nationalrat Emile G a i l l a r d , von Orsières, Notar in Sembrancher. Geboren im Jahre 1833, erreichte er ein Alter von 63 Jahren. Er war im Januar 1887 in den NationalTM!

getreten. Getragen durch das wohlverdiente Vertrauen seiner Mitbürger blieb er bis an sein Ende ihr Vertreter in unserem Rate.

Er war Mitglied mehrerer Kommissionen, zeichnete sich durch seine Hingebung und seinen fleißigen Besuch der Sitzungen aus, bis eine schleichende, durch hohes Alier unterstützte Krankheit ihn verhinderte, an der letzten Session teilzunehmen.

Nach dieser Reihe beklagenswerter Todesfälle, welche im kurzen Zeiträume von fünf Monaten sich
folgten, mußte auch der Kauton Hern sieh getroffen sehen, und zwar iu bitterster Weise getroffen
1054 Magistrat geleistet hat, andere haben es verkündet und noch andere werden es weiter verkünden. Ich muß mich darauf beschränken, seiner Thätigkeit als Mitglied des Nationalrates zu gedenken. Er saß zu zweien Malen in diesem Rat: zuerst von 1866 bis 1878, dann von 1884 bis zum Schlüsse der 16. Legislaturperiode. Eben war er als Mitglied der 17. Legislaturperiode wiedergewählt worden, als ihn plötzlich der Tod seiner Familie und seinem Lande entriß.

Ich brauche nicht zu sagen, daß er eines der thätigsten und verdientesten Mitglieder des Rates war; sein knappes, klares Wort, seine gedrängte Beweisführung, entsprungen aus einer tiefen Sachkenntnis, sicherten ihm einen überwiegenden Einfluß im Rate. Von 1877 auf 1878 saß er auf dem Präsidentenstuhl. Nachdem er -«im zweitenmal wieder in den Nationalrat eingetreten war, wurde er in Würdigung seiner großen Fähigkeiten und der reichen Erfahrungen, die er sich als Direktor zweier Eisenbahngesellschaften erworben hatte, in die permanente Eisenbahnkommission berufen. In der Kommission, welche die schwerwiegende Frage des Eisenbahnrliukkaufs zu behandeln hatte, bekleidete er die Stelle eines Präsidenten.

Der Tod Eduard Martis beraubt den Nationalrat eines seiner tüchtigsten und unterrichtetsten Mitglieder.

Herren Nationalräte!

Nach diesen schmerzlichen Erinnerungen lade ich Sie ein, dem.

Andenken dieser verdienten Mitglieder beider Räte durch Erheben von den Sitzen Ehre zu erweisen, als ein Zeichen tiefer Sympathie für die Familien und Freunde, die sie hinterlassen haben.

Am 8. Dezember bestellte der Nationalrat sein Bureau wie folgt: Präsident: Herr K e e l , Johann Josef, Regierungsrat, von Rorschach und Rebstein, in St. Fiden.

Vizepräsident: ,, Gr ies h a b e r , Robert, Regierungsrat, Dr. jur., von Unterhallau, in Schaöhausen.

Stimmenzähler: ,, T h èli n , Adrien, Oberstbrigadier, von BiolleyOrjulaz, in La Sarraz.

,, G o o d , Wilhelm, gewesener Bezirksammann, von und in Mels.

,, M o s e r , Johannes, Bezirksstatthalter, von und in Klein-Andelfingen.

,, Z i m m e r m a n n , Johann, Gerichtspräsident, von Lyß, in Aarberg.

1055 Zur Eröffnung der Sitzung des S t ä n d e r a t e s hielt der abtretende Präsident, Herr H o h l , folgende Ansprache : Hochgeehrte Herren Ständeräte!

Zur Eröffnung der nun beginnenden 17. Legislaturperiode und in der Stunde, in der ich das Amt, welches Sie mir anvertraut haben, in Ihre Hände niederlege, werden Sie mir noch ein Wort erlauben.

Vorab heiße ich sowohl die bisherigen als auch die neu eintretenden Mitglieder unseres Rates ·--· Vertreter der Kantone Freiburg, Baselstadt, Schaffhausen, St. Gallen, Waadt, Wallis, Neuenburg und G e n f -- herzlich willkommen, und auch den ausgetretenen Herren Kollegen sei noch ein warmer Abschiedsgruß gewidmet.

Meine Herren !

Durch das Vertrauen des Volkes zu dieser hohen amtlichen Wirksamkeit berufen, muß, soll und wird uns alle der Entschluß beseelen, unsere inhaltsschwere Aufgabe nach bestem Wissen und Gewissen zu erfüllen und treu und unverzagt mitzuwirken, wo es sich um die Förderung der Freiheit des Geistes, der Aufklärung überhaupt, der Erhaltung und Vermehrung unseres Nationalwohlstandes handelt. Ja, die Richtschnur in der Behandlung aller uns wartenden Aufgaben sei und bleibe die Rücksichtnahme auf das a l l g e m e i n e Wohl unseres lieben Vaterlandes. Ich will es unterlassen, die vielfachen Einzelheiten des öffentlichen Lebens, auf die sich unsere amtliche Thätigkeit, unser Wirken und unsere Sorge notwendig ausdehnen muß, in ihrer äußern und innern Bedeutung vor Ihnen zu entrollen, da einerseits Ihre Geduld dadurch offenbar in unberechtigtem Maße in Anspruch genommen würde und anderseits diese unsere Aufgaben gewiß uns alle genügend vor Augen schweben.

Meine Herren !

Seit unserer letzten Tagung ist wieder eine bedeutende Bewegung durch das Schweizervolk gegangen. Die am 4. Oktober zur Abstimmung gelangten Bundesgesetze betreffend die Gewährleistung beim Viehhandel, über das Rechnungswesen der Eisenbahnen und die Disciplinarstrafordnung für die eidgenössische Armee begegneten einem unerwarteten und energischen Widerstand. Von diesen Gesetzen wurde nur dasjenige über das Rechnungswesen der Eisenbahnen mit 46,651 Stimmen Mehrheit angenommen, die beiden andern aber abgelehnt.

Über das im abgelaufenen Juni zu Ende beratene Gesetz betreffend die Errichtung der schweizerischen Bundesbank ist das

1056 Referendum ergriffen worden, dessen Resultat in der Volksabstimmung wir noch zu gewärtigen haben.

In diesen Vorgängen lie»;t abermals ein Beweis. daß unser O O o Wollen dem Können nicht immer entspricht. Die Opposition gegen die Gesetze wurde, wie man zu beobachten Gelegenheit hatte, auch durch eine Mißstimmung gegen andere Vorkommnisse unterstützt, die nicht in den Vorlagen selbst lagen. Der Souverän hat nun gesprochen und wir anerkennen die Entscheide getreu unsern republikanischen Grundsätzen ohne irgend welchen Rückhalt; wir wollen und sollen aber auch die nötigen Lehren daraus ziehen. Eine von den tief einschneidenden wichtigeren Aufgaben, die der Erledigung harren, die zunächst zu lösen ist, nilgemein mit Spannung erwartet, und eines der schönsten Werke sooialen Fortschrittes sein wird, ist das Gesetz über die Kranken- und Unfallversicherung.

Wolle ein O guter Stern über deren Beratung und dem darauf folgenden Volksurteil walten !

Moine Herren!

Unangenehm berührten wohl allgemein die betrübenden Vorkommnisse, welche Ende Juli in Zürich stattfanden. Dem Bundesrat gebührt die volle Anerkennung und der Dank des Schweizerlandes, daß er den meines Ertichtens richtigen Weg einsehlug, den Aufruhr zu unterdrücken. Es ist zu hoffen, daß sich solche Begebenheiten in unserm Vaterlande nicht wiederholen werden.

Die Thore der Landesausstellung Genf, welche mit so vieler und angestrengter Arbeit verbunden war, sind geschlossen. Mögen nun die erwarteten guten Folgen dieser Ausstellung nicht ausbleiben und die von Bund und Kantonen geleisteten Beiträge ihre versprochenen Früchte bringen. Ja, möge sie für alle Zukunft den naiionalen Gedanken, das Gefühl der Zusammengehörigkeit und die Liebe zu unserm gemeinsamen Vaterlande aufs Neue gehoben und gestärkt haben.

Treten wir nun mit neuem Mut das verantwortliehe Amt, die neue Legislaturperiode an. Nicht Mißmut, nicht Verstimmung und Mutlosigkeit über Vergangenes bessern die Zustände, wo sie immer leiden mögen, sondern Mut und Kraft zur Überwindung der Schwierigkeiten, gegenseitiges Vertrauen zwischen Volk und Behörden und gemeiusi'haftliche Hülfe, um das Gute und Edle zu fördern. Der intensivste Parteieifer sei ein ehrenhafter rühmlicher Wettkampf, welche von den Parteien in werkthätiger Hingabe für unser schönes gemeinsames Vaterland die Wägste und Beste sei. Suchen wir durch mäßiges Vorgehen in der Gesetzgebung das etwas geschwundene Vertrauen unter den Bundesbrüdern wieder herzustellen.

1057 Unser Schweizervolk will -- davon haben wir an der Hand von Beweisen nicht zu zweifeln -- sicherlich den Fortschritt und ·eine stetige freisinnige Entwicklung unserer staatlichen Zustände, aber es will auch seine spezifisch schweizerischen Gewohnheiten und Ansichten so viel wie immer möglich berücksichtigt und gewahrt sehen, und was es vor allem nicht liebt, das ist der Versuch, die nationale Gesetzgebung zu socialpolitischen Experimenten zu verwenden.

Namentlich der Ständerat ist dazu berufen, mäßigend und ausgleichend zu wirken, den wirklichen, erringbaren und zeitgemäßen Fortschritt nie aus dem Auge verlierend. Solange er diese Mission erfüllt, wird er auch immer als ein notwendiges Glied unseres konstitutionellen Lebens anerkannt werden; überflüssig wird seine Stellung erst, wenn er diese Funktionen weder erfüllen kann, noch will.

Meine Herren!

Noch liegt mir die traurige Pflicht ob, der seit unserer letzten Sitzung heimgegangenen Mitglieder der Bundesversammlung zu gedenken. In der kurzen Zeit, seit wir uns in diesem Saale trennten und jeder dem andern Glück,'; Gesundheit und fröhliches Wiedersehen wünschte, hat der unnachsichtliche Tod im Schöße unserer Behörden reiche Ernte gehalten.

Herr Ständerat de K a l b e r m a t t e n , Louis, von Wallis, ist nicht mehr, so tönte die Trauerkunde vom 9. Juli abhin. Noch an der letzten Sitzung wohnte er unseren Verhandlungen bei; wer hätte damals geglaubt, daß der in der Blüthe seiner Jahre und in der Fülle männlicher Kraft stehende Kollege diese Session nicht mehr besuchen könne? Der Verstorbene, geboren 1856, studierte in Sitten und Leipzig Jurisprudenz. Seine Thätigkeit auf dem Gebiete des Gemeinwesens eröffnete er 1881 im Großen Rate und wurde von der Bürgergemeinde Sitten 1892 als Präsident an die Spitze der Verwaltung gestellt. Dem Ständerate gehörte er seit März 1895 an, wo er sich einen ehrenvollen Platz erworben hat. Sehr liebenswürdig im Umgang mit seinen Kollegen, wohlwollend und leutselig, wird Herr de Kalbermatten allgemein betrauert. Kurz ist der Schritt vom Diesseits ins Jenseits, daran erinnert uns auch wieder dieser Hinschied. Bewahren wir dem Heimgegangenen ein freundliches Andenken.

Drei Tage später, den 12. Juli, folgte im Tode Herr Ständerat 'Dr. G ö t t i s h e i m in Basel. Der Abberufene war zwar schon längere Zeit
schwer leidend und doch hat er -- seinen Zustand mit sichtlicher Anstrengung überwindend -- in der Junisitzung einige Zeit , seinen Platz im Rate noch eingenommen. Weder ganz plötzlich, Bundesblatt. 48. Jahrg. Bd. IV.

73

1058 noch überraschend ist also sein Ablebeu eingetreten, aber der Verlust eines solchen Mannes, sei es im öffentlichen oder häuslichen Leben, macht sich erst in seiner ganzen Machtfüile geltend, wenn er zur unabänderlichen Thatsache geworden ist. Göltisheim, geboren 1837, wurde 1081 in den Stäuderat gewählt. Im Jahre 1891 Präsident dieser Behörde, hat er hei Anlaß unseres schweizerischen Bundesfestes auf dem Rütli als Spreeher ein unvergeßliches Zeichen seiner Vaterlandsliehe hinterlassen. In seinem Heirnaikanlou bekleidete er von 1866--1881 die Stelle des Rats- und Staatsschi eibers und seit 1862 war er Mitglied des Großen Rates. Seine Studien machte er 1854--1857 in Basel und Tübingen. Mit Göttisheitn haben wir einen mit reichem Wissen versehenen Staatsmann verloren. Die Lücke, welche der verstorbene Kollege hinterläßt, wird tief empfunden werden. Er ruhe im Friedeu!

Der Sonntagmorgen vom 23. August brachte die unerwartete Trauernachricht vom Hinschied des Nationalistes Herrn Pünio Bollii., aus dem'Kanton Tessin; der Tod, der kein Mitleid kennt, verschont selbst, die Jüngern Mitglieder unserer Bundesversammlung nicht, denn Nationalrat Bolla zählte erst 37 .îahre. Seit 1892 w;u- er Mitglied des Großen Rates (Präsident ] 895) und Mitglied des Wrfassungsrates im Kauton. Dem Natiounlrale gehörte er seit 1898 an. Beine Studien machte er in Lausanne. Der Heimatkanton hat an ihm eine tüchtige Kraft und einen geachteten Staatsmann verloren. Unerschrocken stand er für die Einigung und Stärkung und für alles das ein, was er geeignet hielt, den Staatshaushalt, und die Gerichtspflege seines Kautons zu ordnen. Auch ihm sei die Erde leicht.

Ein weiteres schmerzliches Bedauern durchzieht unser Gemüt, wenn wir an den am 19. Oktober erfolgten Heimgang unseres Kollegen Herrn Karl Friedrich G o o d von Mels, Kauton St. Gallen, gedenken. Auch diese Trauerbotschaft bewegte uns tief, denn der Entschlafene war uns ein gewissenhafter, pflichteifriger und zielbewußter Berater, er war uns allen ein lieber treuer Kolloge.

Good erreichte ein Alter von 55 Jahren. Seine juridischen Studien muchte er in München, Heidelberg und Zürich 1859--1862. In seiner Heimat hat er sich als vorzüglicher, mit natürlicher Beredsamkeit und schneller Auffassung begabter Anwalt einen guten Nnmeu erworben. Sein Talent und sein aufrichtiger,
leutseliger Charakter haben auch im Kanton die verdiente Anerkennung gefunden, indem er daselbst seit 1879 mit kurzem Unterbruche dem Großen Rate angehörte. Wiederholt übertrug ihm das Kollegium die Würde des Präsidiums; seit 1875 Mitglied des Kassationsgeriehts, wurde er vor einem Jahre an die Spitze desselben gestellt.

Unserem Rate gehörte er seit 1886 an. Ich habe wohl nicht nötig,

1059 die trefflichen Eigenschaften des Heimgegangenen, der ja mitten unter uns gelebt und gewirkt hat, hier weiter aufzuführen, wir alle kannten seine Pflichttreue und seine rastlose Arbeitskraft. Was wir vor allem hochschätzen wollen, das ist sein offenes biederes Wesen, seine Liebenswürdigkeit, sowie auch seine dem politischen Gegner gerecht werdende Unabhängigkeit des Charakters. Wir vermissen ihn mit tiefer Trauer und werden ihm, unserm geachteten und beliebten Kollegen, ein treues Andenken bewahren.

Der Fünfte der Dahiügeschiedenen ist Herr Nationalrat Emile G a i l l a r d , Notar in Sembrancher, Kantons Wallig, gestorben den 30. Oktober. Geboren am 30. März 1833, war Gaillard Mitglied des Nationalrates seit 1887. In seinem Heimatkanton bekleidete er verschiedene Boamtungen, so war er von 1856--1874 Friedensrichter und Gemeindesehreiber in seinem Geburtsort Orsières, und von 1875 an Mitglied des Gemeinderates in Sembrancher, sowie Präsident dieser Gemeinde seit 1890, Mitglied des Großen Kittes von 1878 --1893. Durch sein besonnenes, gemäßigtes Wesen soll er YM den populärsten Volksbeamten seines Kreises gehört haben. Ehre seiuem Andenken, ein guter Bürger wurde mit ihm zu Grabe getragen.

Und, als ob es an dem Angeführten noch nicht genug wäre,, haben wir in unserer Todteoschau noch eine weitere Lücke zu verzeichnen. Am S.November erlag Herr Nationalrat Eduard M a r t i von Rapperswyl, Kantons Bern, seinen Leiden in Baden, woselbst er Heilung gesucht hatte. Den 13. Oktober 1829 iin hermachen Seeland geboren, machte er seine Studien von 1851 --1855 in Bern und praktizierte dann als Anwalt in Biel. Bei Grüadung der Jurabahnen, wobei er sich große Verdienste erwarb, wurde er in deren Direktion berufen und bekleidete das Amt des Präsidenten bis zu seinem Rücktritt 1892. Sein Name wird auch mit der Geschichte der schweizerischen Eiseobahnpolitik verknüpft bleiben. Alsdann wählte ihn der Große Rat in den Regierungsrat, 1893 wurde er zum Präsidenten erhoben. Dem Nationalrate gehörte er mit Unterbrechung von zwei Amtsperioden, von 1878 --1884, seit 18(5(5 an, als dessen Präsident 1877--1878. Mit ihm ist ein thatenreiches Leben zu Ende gegangen und allgemeine Trauer herrscht um den beliebten, so hervorragenden Mann. Ein vortrefflicher Charakter, ein guter Eidgenosse ist zur ewigen Ruhe gebettet worden
; unser Vaterland und besonders sein Heimatkanton werden stets in Achtung und ehrend seiner gedenken.

So werfen wir denn heute noch einen Blick auf die frischen Gräber unserer Freunde und Kollegen, die wir alle sechs noch vor wenigen Monaten zu den unsrigen zählten. Wohl dürfen wir

1060 ihnen eine stille Thräne nachweinen und einen letzten dankbaren Abschiedsgruß nachsenden, aber unsere Sinne und Gedanken dürfen nicht bei den Verstorbenen verweilen. Staub sinkt zu Staub und wie sich der von der irdischen Hülle befreite Geist über die Todesgruft emporschwingt, so sollen auch wir jetzt den Blick wieder dem Leben mit den großen Anforderungen und Aufgaben, die es an uns stellt, zuwenden.

Hochgeehrte Herren Ständeräte!

Indem ich dem Schmerze und Bedauern über das für Familie und Vaterland allzufrüh erfolgte Ableben unserer Kollegen öffentlich Ausdruck verleihe, lade ich Sie ein, um das Andenken der sechs Verstorbenen zu ehren, sich von ihren Sitzen zu erheben!

Ich erkläre die erste Sitzung der 17. Legislaturperiode als eröffnet.

Das Bureau des Ständerates wurde am 7. Dezember 1896 wie folgt neu bestellt: Präsident: Herr B l u m e r , Othmar, Kaufmann, von Glarua und Unter-Embrach, in Rorbas.

Vizepräsident : fl R a s c h e i n , Lucius, Obergerichtspräsident, von und in Malix.

Stimmenzähler: n H i l d e b r a n d , Josef, Staatsanwalt, von Cham, in Zug.

,, R o b e r t , Arnold, Großrat, von und in Chauxde-Fonds.

--£*m®fäs^*3r-

Schweizerisches Bundesarchiv, Digitale Amtsdruckschriften Archives fédérales suisses, Publications officielles numérisées Archivio federale svizzero, Pubblicazioni ufficiali digitali

Schweizerische Bundesversammlung.

In

Bundesblatt

Dans

Feuille fédérale

In

Foglio federale

Jahr

1896

Année Anno Band

4

Volume Volume Heft

50

Cahier Numero Geschäftsnummer

---

Numéro d'affaire Numero dell'oggetto Datum

09.12.1896

Date Data Seite

1050-1060

Page Pagina Ref. No

10 017 665

Das Dokument wurde durch das Schweizerische Bundesarchiv digitalisiert.

Le document a été digitalisé par les. Archives Fédérales Suisses.

Il documento è stato digitalizzato dell'Archivio federale svizzero.