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Bundesratsbeschluß über

den Rekurs des Leo Gröner, Wein- und Spirituosenhändler in Zürich, gegen einen Entscheid des Regierungsrates des Kantons Bern, betreffend freiwillige Versteigerung von gebrannten Wassern.

(Vom 27. November 1896.)

Der schweizerische Bundesrat hat

über den Rekurs des Leo G r ö n e r , Wein- und Spirituosenhändler in Zürich, gegen einen Entscheid des Regierungsrates des Kantons Bern, betreffend freiwillige Versteigerung von gebrannten Wassern, auf den Bericht des Justiz- und Polizeidepartements, folgenden Beschluß gefaßt: A.

In thatsächlicher Beziehung wird festgestellt': 1. Am 9. Juni abhin teilte Leo Gröner, in Zürich, dem Regierungsstatthalteramte I in Bern mit, daß er beabsichtige, 2800 Liter Spirituosen verschiedener Art in Bern durch den W ei bei in Quantitäten von mindestens 40 Liter zur öffentlichen Versteigerung zu bringen. Da der Regierungsstatthalter erklärte, daß diesem Vorhaben keine gesetzliehen Hindernisse entgegenständen, traf Leo Gröner die nötigen Vorkehrungen.

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2. Die Polizeidirektion des Kantons Bern, durch einen Protest bernischer Konkurrenzfirmen aufmerksam gemacht, ersuchte indessen unterm 18. Juni das Statthalteramt, die Bewilligung zurückzunehmen, was letzteres auch that.

3. Gröner rekurrierte gegen diese Verfügung an den Regierungsrat des Kantons Bern, wurde aber durch regierungsrätlichen Entscheid vom 18, Juli 1896 abgewiesen.

Der Regierungsrat hat sich von folgenden Erwägungen leiten lassen : Nach dem bernischen Gesetz vom 24. März 1878 fällt die vorübergehende Eröffnung eines Warenlagers unter den Begriff des ,,Gewerbebetriebes im Umherziehen"; nach § 7, litt, c, desselben Gesetzes aber ist der Verkauf von geistigen Getränken im Umherziehen, ohne Unterschied zwischen Groß- und Kleinhandel, verboten. Diese Bestimmung ist eine verfassungsmäßige kantonale Verfügung ,,über Ausübung von Handel und Gewerbe a .

Das Bundesgesetz vom 23. Dezember 1886 verbietet das Hausieren mit gebrannten Wassern, gleichviel in welchen Quantitäten.

In Art. 8 desselben ist der Handel mit gebrannten Wassern nur unter Vorbehalt des in Art. 7 ausgesprochenen Hausierverbotes als zulässig erklärt. Was aber unter Hausieren zu verstehen sei, sagt das Bundesgesetz nicht; für die Definition dieses Begriffes ist daher das einschlagende Kantonalgesetz maßgebend.

4. Gegen diesen Entscheid hat Fürsprecher Dr. H. Rüfenacht namens des Leo Gröner den staatsrechtlichen Rekurs an den Bundesrat ergriffen ; der Rekurrent macht im wesentlichen geltend, was folgt: Nach Art. 8 des Bundesgesetzes vom 23. Dezember 1886 ist der Verkauf von gebrannten Wassern in Quantitäten von mindestens 40 Liter als Großhandel zu betrachten. Die Kantone können denselben daher nur den durch Art. 31, litt, e, gestatteten Einschränkungen unterwerfen.

Die Verfügung der Berner Regierung ist ein absolutes, bedingungsloses Verbot der Versteigerung von Alkohol ; sie ist keineswegs mit Rücksieht auf das öffentliche Wohl erlassen worden; wenn der Rekurrent in Bern ein ständiges Warenlager hätte, könnte er darin jederzeit die beabsichtigte Versteigerung abhalten.

Die Verfügung der Berner Regierung steht daher mit Art. 31 der Bundesverfassung in Widerspruch.

Aber noch mehr. Diese Verfügung verletzt auch das Bundesgesetz über gebrannte Wasser. Art. 7 des Alkoholgesetzes verbietet

1044 allerdings das Hausieren mit gebrannten Wassern schlechthin. Allein die Vergleichung dieser Geseteesstelle mit Art. 31, litt, c, der Bundesverfassung ergiebt, daß das Hausieren nur soweit verboten sein kann, als es unter den Begriff des Kleinhandels fällt. Die Definition des vom Bundesgesetze verwendeten Begriffs des ,,Hausierens" ist nicht in einem kantonalen Gesetze zu suchen, sonst könnten die Kantone dem Bundesgesetz, anstatt des vom Gesetzgeber gewollten, den i h n e n gutscheinetiden Sinn unterschieben. ,,Hausieren"1 ist ein Ausdruck von gemeinverständlicher Bedeutung; ein ,,Hausieren" mit Quantitäten von mehr als 40 Liter ist gar nicht denkbar. Das Bundesgesetz kennt denn auch kein solches Hausieren5 es hätte sonst in Art. 8, welcher den Großhandel mit gebrannten Wassern als freies Gewerbe erklärt, einen diesbezüglichen Vorbehalt machen müssen 5. In seiner Vernehrnlassung vom 7. Oktober 1896 verweist der Eegierungsrat des Kautons Bern lediglich auf die Begründung seines Entscheides und fügt folgende ergänzende Bemerkung an: Art. 8 des Alkoholgesetzes enthebt den Großhandel mit gebrannten Wassern, indem es ihn als ,,freies Gewerbe11 erklärt, wohl von dem Requisit einer staatlichen Bewilligung, entzieht ihn dagegen keineswegs auch dem Bereich der durch Art. 31, litt, e, der Bundesverfassung der kantonalen Gesetzgebung vorbehaltenen Verfügungen über Ausübung von Handel und Gewerben. Der Großhandel mit gebrannlen Wassern fällt daher auch unter die Bestimmungen der berni.schen Gesetzgebung über den Gewerbebetrieb im Umherziehen, beziehungsweise unter das eidgenössische und kantonale Verbot des Verkaufs gebrannter Wasser im Umherziehen.

B.

In rechtlicher Beziehung fällt in Betracht: 1. Das Bundesgesetz; betreffend gebrannte Wasser vom 23. Dezember 1886 hat in Art. 7 das ,,Hausieren" mit gebrannten Wassern jeder Art verboten.

Dieses Verbot ist ein absolutes : dasselbe nimmt, wie die ihm vorbildliche deutsche Gesetzgebung, keine Rücksicht auf die Umsatzmenge. (Vergi. Botschaft vom 8. Oktober 1886 im Bundesblatt 1886, III, Seite 445, und : Vergleichende Darstellung der Gesetze und Erfahrungen einiger ausländischer Staaten [Beilage zum Bundesblatt 1884, II, Seite 269].)

Art. 8, Absatz l, des citierten Gesetzes, welcher dea Verkaut' von gebrannten Wassern aller Art in Quantitäten von mindestens

1045 40 Litern als ein freies Gewerbe (Großhandel) erklärt, ist daher mit der Einschränkung xu verstehen, daß auch der Großhaudel nicht eine der Formen des hausiermäßigen Betriebes annehmen darf.

2. Das Bundesgesetz vom 23. Dezember 1886 hat es unterlassen, den Begriff des ,,Hausierens"- zu bestimmen. Die Ordnung des Hausierweseris ist nach konstanter bundesrechtlicher Praxis Sache der Kantone. Ein neueres Bundesgesetz, dasjenige über die Patenttaxen der Handelsreisenden, vom 24. Juni 1892, hat diese Praxis ausdrücklich anerkannt und bestätigt.

Damit ist jedoch nicht gesae;t, daß es den Kantonen freigestellt worden sei, in beliebiger schrankenloser Weise über den Hausierhandel zu legiferieren. Die Bundesbehörden haben sich vielmehr von jeher die Prüfung der einschlägigen kantonalen Bestimmungen unter dem Gesichtspunkte des Art. 31 der Bundesverfassung vorbehalten.

3. Das bernische Gesetz vom 24. März 1878 über den Marktverkehr und den Gewerbebetrieb im Umherziehen (Hausieren) stellt unter den Begriff des Gewerbebetriebes im Umherziehen auch das Feilbieten von Waren durch vorübergehende Eröffnung eines Warenlagers außerhalb der Dauer von Märkten (Ausverkäufe, liquidations, étalages, déballages, etc.) und es schließt vom Verkauf im Umherziehen gänzlioh aus: ,,geistige Getränke und gebrannte geistige Flüssigkeiten, überhaupt Waren, deren Vertrieb durch Specialgesetze oder Verordnungen Beschränkungen unterworfen ista.

Gegen diese kantonalgesetzliche Bestimmung ist bundesrechtlich nichts einzuwenden.

4. Die Berner Behörden haben das Vorhaben eines im Kanton nicht niedergelassenen Händlers, in einer Ortschaft des Kantons Born eine Partie Spirituosen steigerungsweise in Quantitäten von mindestens 40 Liter abzusetzen, der Absicht, vorübergehend ein Warenlager /u eröffnen, gleichgestellt und die Ausführung dieses Vorhabens, gestützt auf Art. 7 des eidgenössischen Alkoholgesetzes und § 7, litt, c, des kantonalen Hausiergesetzes, verhindert.

Hiergegen richtet sieh die Rekursbesehwerde im vorliegenden Falle.

Der Bundesrat hält jedoch die Anschauungsweise der Kautonsbehörden für thatsächlich und rechtlich wohl begründet, aus folgenden Erwägungen : a. Nachdem einmal feststeht, daß das Hausierverbot des Art. 7 des eidgenössischen Alkoholgesetzes nicht bloß den Kleinhandel trifft, sondern sich auch auf Quantitäten von 40 Liter und darüber er-

1046 streckt, kann der Umstand, daß der Rekurrent erklärt hat, er wolle seinen Vorrat von Spirituosen in Bern in Quantitäten von mindestens 40 Litern versteigern lassen, nicht ins Gewicht fallen, b. Der Rekurrent hat in Bern weder sein persönliches, noch ein geschäftliches Domizil; er besitzt ein Quantum gebrannter Wasser, das er in Bern leichter und besser als auf dem Platze Zürich, wo er wohnt, absetzen au können hofft, und er will sich, ebenfalls zum Zwecke raschem und erfolgreichern Absatzes, hierzu der Steigerungsform unter Assistenz eines Weibels bedienen.

Das kommt der Sache und der Wirkung nach vollständig auf die vorübergehende Eröffnung eines Warenlagers hinaus, und alle die Gründe, welche den eidgenössischen und den kantonalen Gesetzgeber bewogen haben, den hausiermäßigen Alkoholverkauf zu verbieten, treffen auch hier zu.

Mag auch das Vorgehen des Rekurrenten äußerlich, auf den ersten Blick, sich nicht als die hausiermäßige Eröffnung eines Warenlagers darstellen, so braucht man doch nur den Fall sich zu vergegenwärtigen, daß ein Spirituosenhändler seine Ware wiederholt in einem oder in mehreren Kantonen, ohne Geschäftsniederlassung, in dieser Form an den Mann zu bringen sucht, um sofort zu erkennen, daß man es mit einem Gewerbebetrieb im Umherziehen zu thun hat und daß die Form der öffentlichen Steigerung der Sache selbst keinen andern Charakter zu verleihen vermag.

Demnach wird beschlossen: Der Rekurs ist unbegründet und wird daher abgewiesen.

B e r n , den 27. November

1896.

Im Namen des Schweiz. Bundesrates, Der B u n d e s p r ä s i d e n t :

A. Lachenal.

Der Kanzler der Eidgenossenschaft; Ringier.

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Bundesratsbeschluß über den Rekurs des Leo Gröner, Wein- und Spirituosenhändler in Zürich, gegen einen Entscheid des Regierungsrates des Kantons Bern, betreffend freiwillige Versteigerung von gebrannten Wassern. (Vom 27. November 1896.)

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